Kapff, Sixtus Carl von - Am 8. Sonntag nach Trinitatis
Text: Röm. 8, 12-17.
So sind wir nun, lieben Brüder, Schuldner, nicht dem Fleisch, dass wir nach dem Fleisch leben. Denn wo ihr nach dem Fleisch lebt, so werdet ihr sterben müssen; wo ihr aber durch den Geist des Fleisches Geschäfte tötet, so werdet ihr leben. Denn welche der Geist GOttes treibt, die sind GOttes Kinder. Denn ihr habt nicht einen knechtischen Geist empfangen, dass ihr euch abermals fürchten müsstet; sondern ihr habt einen kindlichen Geist empfangen, durch welchen wir rufen: Abba, lieber Vater! Derselbige Geist gibt Zeugnis unserem Geist, dass wir GOttes Kinder sind. Sind wir denn Kinder, so sind wir auch Erben, nämlich GOttes Erben und Miterben Christi; so wir anders mit leiden, auf dass wir auch mit zur Herrlichkeit erhoben werden.
„O ich elender Mensch, wer wird mich erlösen vom Leib dieses Todes!“ Diesen Schmerzensruf presste unsere letzte Betrachtung über das sündliche Verderben uns mehrmals aus. Der Apostel löst den Schmerzensruf auf in das Lob: „ich danke GOtt durch JEsum Christ, unseren HErrn.“ Dieses Lob tönt durch unseren heutigen Text hindurch. Er zeigt uns, wie wir von der Macht des sündlichen Verderbens und von ihrem Fluch auf ewig erlöst sind durch JEsum und durch den heiligen Geist, so dass wir als Geistesmenschen schon jetzt in kindlichem und seligem Umgang mit GOtt stehen, einst aber aus der irdischen Leidensschule heraus als Miterben Christi zu seiner Herrlichkeit mit erhoben werden sollen. So zeigt unser Text uns die wunderbare Heilung der angeborenen Verderbnis unserer Natur, und wenn Eine Seele dem Tode verfallen bleibt, der der Sünde Sold ist, so ist es nicht GOttes, sondern ihre eigene Schuld. GOtt gibt seinen ewigen Liebesvorsatz und ursprünglichen Schöpfungsplan nicht auf; der Satan, der das Sündenverderben in unsere Natur, freilich mit ihrer eigenen Schuld, hereingeworfen hat, ist nicht stärker als GOtt, nicht einmal stärker als unser Wille, wenn er GOtt sich hingibt, sondern das ganze Sündenverderben mit allen seinen Folgen ist aufgehoben durch Christum und wird im Ablauf der Äonen völlig aufgehoben werden, bis alle seine Feinde zum Schemel seiner Füße sich gelegt haben. Aber so wenig der Teufel uns zwingen kann, seine Beute zu bleiben, so wenig will GOtt uns zwingen, sein Eigentum zu werden. Freie Seelen will Er, mit freier Liebe und freiem Gehorsam. So liegt es an uns, ob wir von dem tiefen und schrecklichen Verderben der Sünde geheilt sein wollen oder nicht. Heilen können wir uns nicht; denn ohne JEsum können wir nichts tun: aber heilen lassen, der Heilung JEsu und seines Geistes uns hingeben, das ist unsere Sache, und wahrlich, da müsste einer geradezu die Hölle lieben, also der blindeste Narr sein, wenn er nicht lieber heute, als morgen sich Dem ergäbe, der nicht bloß aus der tiefsten Not ihn erretten, sondern zur höchsten Freude, Ehre und Herrlichkeit ihn erhöhen will. Daher wollen wir Alles fahren lassen, was zwischen JEsum und uns sich hineinstellt, und wollen vor allem Anderen uns bemühen, solche Kinder GOttes zu werden, die nach unserem Text sich gar nicht mehr fürchten, sondern mit kindlichem Geist rufen dürfen: „Abba, lieber Vater.“ Dazu uns mehr zu ermuntern, betrachten wir unter GOttes Segen:
Die Heilung des sündlichen Verderbens durch JEsum und seinen Geist.
Durch Ihn werden wir
1) Kinder GOttes,
2) betende Geistesmenschen,
3) Miterben Christi.
HErr GOtt, Vater, Sohn und Heiliger Geist!
Du sollst Dich selbst in uns verklären,
Dass wir Dich würdiglich verehren,
Und unser Herz, Dein Heiligtum,
Mit Deiner Herrlichkeit erfüllt,
Durch Deine Nahheit tief gestillet,
Zerfließ in Deiner Gottheit Ruhm.
Dich, liebenswürdigst Gut,
Erhebe Geist und Mut!
Amen! Amen! Hallelujah! Hallelujah!
Der HErr ist groß und gut und nah'! Amen.
I.
Das Erste, wodurch das sündliche Verderben unserer Natur geheilt wird, ist die Kindschaft GOttes mit Allem, was sie begründet. Von dieser Kindschaft sagt unser Text, dass sie eine Wirkung des Heiligen Geistes sei. „Welche der Geist GOttes treibt, die sind GOttes Kinder; denn ihr habt nicht einen knechtischen Geist empfangen, dass ihr euch abermals, wie unter dem alten Bund, fürchten müsstet, sondern ihr habt einen kindlichen Geist empfangen, durch welchen wir rufen: Abba, lieber Vater!“ Unter der Herrschaft des sündlichen Verderbens ist Furcht vor GOtt und Angst vor der Ewigkeit im Herzen, und dazu wirkt besonders das Gesetz mit seinem Ausspruch: „Verflucht sei, wer nicht hält alle Worte oder Gebote des Gesetzes.“ Deswegen nennt der Apostel das Gesetz das Amt, das die Verdammnis predigt. Deswegen herrschte unter dem Gesetz ein knechtischer Geist der Furcht, da sie das Gesetz halten sollten und doch nicht konnten, weil sie durch die fleischliche Natur geschwächt, zu wahrem Guten unfähig waren. .Deswegen lehrt Paulus so oft, dass durch des Gesetzes Werke kein Fleisch gerecht werde, dass also durch das Gesetz oder durch die Moral und durch alle Tugendvorsätze das Sündenverderben nicht geheilt wird, sondern nur dadurch ist die Heilung möglich geworden, dass GOtt, da die Zeit erfüllt war, seinen Sohn sandte, geboren von einem Weibe, und unter das Gesetz getan, auf dass Er die, so unter dem Gesetz waren, erlöste, dass wir die Kindschaft empfingen (Gal. 4, 4.). Die Gottessohnschaft JEsu ist der Grund unserer Gotteskindschaft und so unserer Heilung von Sünde und Tod, Teufel und Hölle. JEsus hat in seiner Menschheit das ganze Gesetz vollkommen erfüllt und so seiner Menschheit das Recht der Gottheit erworben.
Das tat Er aber nicht um seinetwillen, sondern als unser Stellvertreter, als der zweite Adam, durch dessen Gehorsam Alle gerecht werden sollen, wie durch des ersten Adams Ungehorsam Alle Sünder geworden sind. Und Er kann seine Gerechtigkeit uns mitteilen, weil Er in seinem Leiden und Sterben auch unseren Fluch getragen und die Strafen unserer Sünde erduldet hat. Hat Er so als freiwilliger Bürge unsere Schuld bezahlt, so kann Er auch als Bruder unseres Geschlechtes uns die Vorzüge seines Wesens mitteilen. Daher sind die, die an Ihn wahrhaft glauben, schon vermöge der Zurechnung seines Verdienstes Kinder GOttes; wer durch JEsu Blut gewaschen ist von seinen Sünden, den sieht der Vater an als fromm und gerecht; ja für sein liebes Kind will Er ihn halten um JEsu Christi willen, weil der Vater die in Christo Gerechtfertigten anschaut im Sohne; den Sohn, der unser Geschlecht angenommen und in sich geheiligt hat, Ihn und seine Heiligkeit sieht der Vater in uns, und als Christi Brüder liebt Er uns als seine Kinder.
Schon dadurch ist das sündliche Verderben geheilt. JEsus hat es zunächst in seiner eigenen Person geheilt, indem Er eine reine und fleckenlos heilige Menschheit in seinem ganzen Leben dargestellt, und diese Menschheit der vollkommenen Vereinigung mit der Gottheit fähig und teilhaftig gemacht hat. So ist in Ihm schon unsere Menschheit geadelt, wie wenn Einer mit seiner Familie, die zum Teil aus ganz geringen Leuten besteht, in den Adelstand erhoben wird. Deswegen werden schon unsere Kinder durch die heilige Taufe Christo einverleibt, damit sie, wie unsere Taufliturgie sagt, durch die Taufe aus GOtt neugeboren und von GOtt an Kindesstatt von wegen unseres HErrn JEsu Christi angenommen werden, und nach der Taufe danken wir GOtt, dass das Kind durch die Taufe GOttes Kind und Erbe seiner himmlischen Güter geworden sei. Deswegen singen wir auch in unserem Tauflied:
Wasch' es, JEsu, durch Dein Blut Von den angeerbten Flecken,
Und zugleich mit dieser Fluch Lass es Dein Verdienst bedecken;
Schenk' ihm Deiner Unschuld Seide, Dass es sich in Dich einkleide.
Dadurch, dass das Verdienst des heiligen Lebens, Leidens und Sterbens JEsu dem Glauben zugeeignet wird, gilt uns schon das Wort des Apostels (Ephes. 1, 6.): „GOtt hat uns angenehm gemacht in dem Geliebten, an welchem wir haben die Erlösung durch sein Blut, nämlich die Vergebung der Sünden, nach dem Reichtum seiner Gnade.“ Wer das im Glauben ergreift, bei dem hat das sündliche Verderben bereits sein Recht, seinen Fluch und seine Macht verloren, und er darf rühmen: „Nun wir denn sind gerecht geworden durch den Glauben, so haben wir Friede mit GOtt durch unseren HErrn JEsum Christum, durch welchen wir auch einen Zugang haben im Glauben zu dieser Gnade, darinnen wir stehen, und rühmen uns der Hoffnung der zukünftigen Herrlichkeit, die GOtt geben soll.“ Wer so sprechen kann, bei dem ist durch JEsu Versöhnung und so durch die Kindschaft GOttes das Sündenverderben geheilt.
Davon sah man ein auffallendes Beispiel an einem zum Tod verurteilten Missetäter, Namens Schmid. Er sollte mit drei anderen in Gera hingerichtet werden. Ein Geistlicher der Nachbarschaft half ihn zum Tode vorbereiten. In der letzten Lebensnacht trug er ihm die Rechtfertigung des Sünders vor GOtt nach Röm. 3-5 und 8 vor, und fragte dann, wie ihm dabei zu Mute sei. Da antwortete Schmid: „Ich sehe Sie heute zum ersten Mal und traue Ihnen zu, dass Sie Ihrer Sache gewiss sind, aber ich tausche doch nicht mit Ihnen. Denn wenn Sie auch wissen, dass Sie in den Himmel kommen, so wissen Sie doch nicht wann, ich aber weiß, dass ich morgen früh hineinkomme.“ Als am anderen Morgen auf dem Markt das Bluturteil verlesen war, sagte der Geistliche: „Nun habt Ihr gehört, mein lieber Schmid, was die Obrigkeit für eine scharfe Genugtuung fordert; Ihr sollt mit Eurem Blute bezahlen. Denkt Ihr, dass Ihr etwa auch GOtt zugleich damit befriedigen könnet, wenn Ihr Euer Blut hingebet?“ - „O nein,“ sagte Schmid, „dazu ist mein Blut nicht hinreichend; das Blut JEsu muss mir ein gnädiges Urteil auswirken.“ Im Hinausführen zum Richtsatz zitterte einer der anderen Missetäter vor Todesangst so heftig, dass er fast umgefallen wäre. Der Geistliche fragte Schmid: „Warum zittert denn Ihr nicht? Hat doch sogar der HErr JEsus gezittert, da Er in den Tod- gehen sollte.“ Schmid antwortete: „Ich denke, eben darum darf ich nicht zittern, weil Er gezittert hat.“ Unerschrocken ging er den langen Weg hinaus, unerschrocken blieb er auch bei der Hinrichtung der drei Andern, so dass er beim Eintritt in den blutigen Kreis freudig ausrief: „JEsus bleibt mein letztes Wort, JEsus hier und JEsus dort!“
Könntest du auch so sterben? Hättest du auch so im festen Glauben der Gotteskindschaft Heilung und Trost für all' dein Sündenverderben, so dass du selbst einen solchen schmachvollen Tod nicht fürchten würdest? Oder dünkst du dich hoch erhaben über den Missetäter? Willst du deiner Tugend dich trösten? O bedenke, dass vor GOttes Richterstuhl jede deiner Tugenden durch hundert Sünden - und wenn's auch nur Gedankensünden sind - überschrien wird; für solche Sündennot ist allein in JEsu Heil und Rettung, und nur der kann ruhig in die Ewigkeit hinübertreten, der in Christo ein gerechtfertigtes und begnadigtes Kind GOttes geworden ist. Ein solcher wird aber nicht bloß bei der zugerechneten Gerechtigkeit Christi und bei der Annahme an Kindesstatt stehen bleiben, er wird trachten
II.
als betender Geistesmensch wesenhaft Kind GOttes, nämlich der göttlichen Natur teilhaftig zu werden. Dies liegt besonders in den Worten unseres Textes: „Welche der Geist GOttes treibt, die sind GOttes Kinder;“ nach dem Grundtext lauten die Worte: „Welche durch den Geist GOttes getrieben, regiert, durchdrungen werden, die sind Söhne GOttes.“ Wir werden sagen dürfen: „Söhne GOttes“ sagt noch mehr als Kinder GOttes, und bei Söhnen GOttes ist das Sündenverderben gründlicher und wesentlicher geheilt als bei Kindern GOttes. Kinder GOttes sind nur an Kindesstatt angenommen, dadurch, dass Christi Gerechtigkeit und so Kindesrecht ihnen zugerechnet wird; Söhne GOttes aber sind durch die Einwohnung des Heiligen Geistes so mit JEsu und durch Ihn mit dem Vater vereinigt, dass sie wesenhaft göttliches Wesen in sich haben, da GOtt sich ihnen mitteilt als die ewige Liebe, deren Wesen Selbstmitteilung ist, und da sie als Tempel GOttes der Verheißung GOttes teilhaftig worden sind: „Ich will in ihnen wohnen und in ihnen wandeln“ (2 Kor. 6,16.). Das sind solche Seelen, die durch die Liebe JEsu sich ganz erneuern, von der Welt innerlich losmachen, des eigenen Geistes, Willens und Selbstliebens sich entkleiden, und vom heiligen Geist sich so regieren und durchdringen lassen, dass sie wenigstens trachten, sagen zu können, wie Paulus: „Nicht ich lebe, sondern Christus in mir.“
So von der Welt ausgeschieden und JEsu hingegeben waren die Apostel, über die JEsus sagen konnte: „Sie sind nicht von der Welt, gleichwie auch Ich nicht von der Welt bin; Ich habe ihnen gegeben die Herrlichkeit, die Du Mir gegeben hast, dass sie Eines seien, gleichwie wir Eines sind, Ich in ihnen und Du in mir, dass sie vollkommen seien in Eins und die Welt erkenne, dass Du sie liebst, gleichwie Du mich liebst.“ Unbegreifliche Worte! Der Vater will arme Menschenkinder lieben, wie Er seinen eingebornen Sohn liebt, der Eines Wesens ist mit Ihm; ja auch wir sollen Eins werden mit dem Vater. Solches ist nur möglich durch eine wahre Einwohnung des Heiligen Geistes und bei einem steten Umgang unseres Geistes mit GOtt im Gebet, wobei das Gefühl der Nähe und Liebe GOttes uns so vertraulich gegen Ihn macht, dass wir wie ein Kind zu seinem Vater sagen: Abba oder Papa. So nahe dem himmlischen Vater zu stehen, ist denen vergönnt, die als geisterfüllte Gottesmenschen nach unserem Text das innere Zeugnis des Heiligen Geistes haben, dass sie GOtteskinder sind. Ohne dieses Zeugnis weiß Niemand gewiss, ob er GOttes Kind sei. Kein Mensch darf aus eigener Meinung oder Anmaßung denken, er stehe in der Gotteskindschaft. Und am wenigsten darf solche Meinung sich auf irgend ein eigenes Verdienst gründen, sondern nur dann dürfen wir hoffen, wir seien GOttes Kinder, wenn der Geist GOttes uns einerseits straft über unserem sündlichen Verderben, so dass wir nichts Gutes an uns erkennen und auch über die kleinsten Abweichungen uns demütigen, dabei aber dann andererseits solchen Glauben an JEsum und sein Verdienst haben, dass wir der Vaterliebe GOttes uns getrösten und die Seligkeit der Gemeinschaft mit Ihm erfahren dürfen.
Da ist dann auch Kraft, das Fleisch auch mit seinen feineren Regungen zu kreuzigen und so das Sündenverderben mit seinen auch im geistlichen Leben noch immer fortdauernden Einflüssen zu bekämpfen. Deswegen sagt unser Text: „So sind wir nun, lieben Brüder, Schuldner, nicht dem Fleisch, dass wir nach dem Fleisch leben.“ Der natürliche Mensch ist dem Fleisch wie einem Herrn verhaftet und gehorcht ihm wie ein Sklave. Aber da gilt das schreckliche Gesetz: „Wo ihr nach dem Fleisch lebt, so werdet ihr sterben müssen.“ Der Geistesmensch dagegen ist durch den Geist gebunden, doch nicht gebunden, nein, er ist mit Freudigkeit erfüllt, durch den Geist des Fleisches Geschäfte zu töten. Ein Geist, der mit GOtt im Umgang steht, kann sündliche Gedanken durch göttliche vertreiben, kann durch die Gegenwart GOttes, in der er steht, die Finsternis des Fleischeswillens erhellen, kann mit den heiligen Bildern von JEsu und seinem Leben, Leiden und Sterben das Denken erfüllen, so dass die Sünden- und Weltbilder weichen. So wird durch das Geistesleben in der Gemeinschaft GOttes und in der Kraft des Heiligen Geistes das Sündenverderben auch in seinen geheimeren Wurzeln geheilt und die menschliche Natur unter Kampf allmählig mehr in die GOttes- und JEsus-Ähnlichkeit verklärt.
Da hören dann auch die äußeren Folgen des Sündenverderbens, die Leiden und Trübsale des Erdenlebens mehr und mehr auf, uns als unerträgliche Lasten oder als schwere Strafen zu erscheinen. Unser Text stellt das Leiden dar als den Weg zur Herrlichkeit, „so wir anders mitleiden, auf dass wir auch mit zur Herrlichkeit erhoben werden.“ Freilich gäbe es ohne Sünde kein Leiden, aber da die Sünde in unsere Natur so tiefe Wurzeln geschlagen hat, so ist das Leiden nun ein Segen, eine heilsame Zucht, eine Arznei, von welcher der teure Hartmann richtig sagt:
Leiden bringt empörte Glieder
Endlich zum Gehorsam wieder,
Macht sie Christo unterjocht.
Nur durch diese Feuerkräfte
Werden manche wilde Säfte
Unsres Blutes ausgekocht.
Deswegen sagt Paulus: „Wir rühmen uns auch der Trübsale, denn Trübsal bringt Geduld, Geduld bringt Erfahrung (Bewährung), Erfahrung bringt Hoffnung, Hoffnung aber lässt nicht zu Schanden werden.“ Nach der wunderbaren Ordnung GOttes ist die Folge der Sünde ein Hauptmittel gegen die Sünde, und wer als Geistesmensch die Trübsal aus GOttes Hand annimmt und mit Geduld erträgt, dem schafft sie eine ewige, über alle Maßen wichtige Herrlichkeit.
Das erkannte jener Kaufmann in Amerika, der nach vielen Reisen und sehr glücklichen Geschäften sich's wohl sein lassen wollte, aber dann mit gänzlicher unheilbarer Blindheit heimgesucht wurde. So klug und gewandt er vorher gewesen war, so schwach und arm zeigte er sich jetzt. Er war so mutlos, dass er beschloss, sich selbst das Leben zu nehmen. Als man ihm dagegen Stellen der Bibel anführte, sagte er: „Ach, das ist eine menschliche Erfindung für das dumme Volk.“ Es ergab sich aber, dass er die Bibel noch nie gelesen hatte, sondern nur die Schriften der Gegner. Ein Bekannter zeigte ihm, wie unrecht dies sei, und bot ihm an, ihm aus der Bibel öfters vorzulesen. Schon am zweiten Tage rief der Blinde aus: „Welch' elender Mensch bin ich, dass ich gegen ein solches Buch so beschimpfende Ausdrücke brauchen konnte.“ Beim fortgesetzten Lesen wurde er immer ernster und erkannte die Hand GOttes in seiner Trübsal, so dass er sagte, sie sei geringer, als er sie verdient hätte. Sein Verlangen, die Lehre von der Gnade GOttes in Christo zu hören, wurde so groß, dass er seine Freunde bat, Alles bei Seite zu lassen, was nicht darauf Bezug habe. Er hatte Tage großer Angst über sein Sündenverderben; aber je mehr er glauben konnte, desto mehr dankte er GOtt, dass Er ihn des leiblichen Gesichtes beraubt habe, damit er das geistliche erlange. Es kam bei ihm zu einer gänzlichen Bekehrung und damit auch zu einer vollen Seligkeit in GOtt, ungeachtet seines schweren Leidens.
So wird das Sündenverderben durch GOttes Geist geheilt, und selbst seine äußerlichen Folgen werden erleichtert, oft aber auch, besonders bei ernstlich betenden Seelen, wirklich wunderbar abgenommen. Wenn aber auch nicht hier unten, so werden sie einst ganz gewiss völlig geheilt in der seligen Ewigkeit. Denn wir sollen durch JEsum und seinen Geist,
III.
Miterben Christi werden.
In unserem Text sagt der Apostel: „sind wir dann Kinder, so sind wir auch Erben, nämlich GOttes Erben und Miterben Christi, so wir anders mit leiden, aus dass wir auch mit zur Herrlichkeit erhaben werden.“ Kinder sind der Natur und dem Recht gemäß die Erben ihrer Eltern. Das wendet Paulus auf die Gotteskindschaft an. Wer GOttes Kind ist, der ist eben damit durch das von der ewiges Liebe verliehene Kindesrecht ein Erbe GOttes. So wenig ein Kind sagen, kann: ich habe das Vermögen, das mein Vater mir hinterlassen hat, erworben und verdient, so wenig können wir das himmlische Erbe als selbsterworben ansehen; es ist aus freier Gnade geschenkt, wird aber allerdings nur denen geschenkt, die sich wirklich als Kinder GOttes betragen. Aber welch' ein Gedanke ist das, dass wir GOttes Erben sein sollen! Wenn ich jetzt Einem von euch die Nachricht von Stuttgart brächte: der König hat dich zum Erben eingesetzt, geh' alsbald ins Schloss und nimm Teil an der königlichen Herrlichkeit - so würde es unglaublich vorkommen, oder wenn mans glauben könnte, so wäre die Freude und Ehre groß. Aber was ist irdische Herrlichkeit der mächtigsten Monarchen gegen das Erbteil des Königs aller Könige! Wir . sind nur die hohen Worte zu gewohnt und sehe zu viel auf das Sichtbare, aber hätten wir einmal auch nur Eine Minute in den Himmel hineinblicken, und da das Erbteil der Heiligen im Licht sehen dürfen, dann würden wir überzeugt sein, dass die ganze Herrlichkeit der Erde vor der des Himmels erbleicht, wie der Mond vor der Sonne. GOtt erben - ach, wer kann es fassen! In GOtt ist der ganze Himmel; wer GOtt hat, der hat Alles; Ihn zu erben, Ihn selbst zu haben, in Ihm zu sein - das geht über alle äußeren Freuden und Herrlichkeiten. Doch auch diese dürfen wir nicht übersehen. Sie liegen in den Worten: Miterben Christi sollen wir sein; was Christus nach seiner Menschheit ererbt hat, sollen wir auch ererben. Ist das möglich? Ja, der HErr verheißt es mehrfach. Er sagt: „Wo Ich bin, da soll mein Diener auch sein;“ Er betete: „Vater, Ich will, dass, wo Ich bin, auch die bei mir seien, die Du mir gegeben hass, dass sie meine Herrlichkeit sehen, die Du mir gegeben hast.“
In der Offenbarung verheißt Er nicht nur das Essen vom Baum des Lebens, vom verborgenen Manna, nicht nur die weißen Kleider der Priesterwürde und den neuen Namen, sondern auch die Krone des Lebens, die Macht über die Heiden und die Regierungsherrlichkeit, die Er von seinem Vater empfangen habe; ja Er sagt, wer überwinde, soll gar mit Ihm sitzen auf seinem Throne, wie Er mit seinem Vater auf seinem Throne gesessen sei. Das ist die Erklärung der Worte unseres Textes, wir sollen mit Christo zur Herrlichkeit erhaben werden. Das ist dann die höchste Stufe der Kindschaft GOttes, über die Johannes sagt: „Jetzt ist noch nicht erschienen, .was wir sein werden, wir wissen aber, wenn es erscheinen wird, dass wir Ihm gleich sein werden, denn wir werden Ihn sehen, wie Er ist.“ GOtt sehen, wie Er ist, während es doch jetzt von Ihm heißt, Er wohne in einem Licht, da Niemand zu kommen kann, Ihn schauen in seiner über alle Maßen herrlichen Majestät und Liebe, und durch solch' Schauen Ihm gleich werden - ach, wie unendlich geht das Alles über all unser Bitten und Verstehen! Da sind dann auch die letzten Folgen des Sündenverderbens geheilt, da hat GOtt abgewischt alle Tränen von den Augen, da ist der Tod nicht mehr, noch Leid, noch Geschrei, noch Schmerz wird mehr sein, denn alles Alte ist vergangen und Alles neu worden.
Im Blick auf diese Heilung der Erdennot können wir schon jetzt aus allem Elend dieser Zeit heraus freudig sagen:
Hier lieg' ich wie gebunden da,
Dort werd' ich jauchzend mit Ihm springen,
Und ein erquickend Gloria
Und heilig, heilig, heilig singen.
Angst, Klagen, Jammer, Not und Leid
Verwandeln sich in Ruh' und Freud'.
Die Tränen, die sich hier ergießen,
Die werden dort nicht ferner fließen,
In meines frommen Vaters Haus
Wird lauter Gold und Perlen d'raus.
Der Leib, der im Tod den Sold der Sünde bezahlen und in der Verwesung als in heißem Tiegel von allem Irdischen geläutert werden musste, er ist dann zu einem reinen Geistleib verklärt und in der Auferstehung zur Ähnlichkeit mit dem verklärten Leib JEsu verherrlicht, so dass er leuchtet, wie die Sonne, als ein himmlischer Lichtleib. Damit sind auch die letzten Spuren dessen, was die Sünde nach sich zog, aufgehoben. Und wenn das an Allen geschehen ist, wenn Alle, die in Adam gestorben, in Christo lebendig gemacht und alle Feinde des HErrn zum Schemel seiner Füße gelegt sind, so dass GOtt Alles in Allem ist, dann erst wird das ganze Schöpfungsall frohlocken, dass das ganze Sündenverderben, geheilt und durch Christum Alles herrlicher geworden ist, als es vor dem Falle war. Da wird erst vollkommen das neue Lied ertönen, von dem Johannes etwas hörte, da er alle Kreatur im Himmel und auf Erden und unter der Erde und. im Meer, und Alles, was darinnen ist, hörte sagen zu Dem, der auf dem Stuhle saß, und zu dem Lamm: Lob und Preis und Gewalt von Ewigkeit zu Ewigkeit. Ach, teure Seelen! nach dieser Herrlichkeit wollen wir aus allen Kräften trachten. Hat uns das tief gebeugt, was wir von der Größe des sündlichen Verderbens hörten, so soll uns hoch erheben, was wir heute vernahmen von der wunderbaren Wiederherstellung unserer Natur durch die heilige Menschheit JEsu, durch welche auch unsere Menschheit wieder in das ganze Bild GOttes nach Geist, Seele und Leib verklärt werden soll, so dass wir in reiner Weisheit, Heiligkeit und Seligkeit Eins sein sollen mit GOtt, ja GOtt wohnen in uns.
So geheilt zu werden von allen Folgen des Falles, das sei täglich unser Gebet und unsere Bemühung, dass wir des Fleisches Geschäfte töten durch den Geist, ja das Fleisch kreuzigen mit seinen Lüsten und Begierden. Und will uns das schwer werden, so soll die Herrlichkeit des himmlischen Erbes uns reizen, über die ein Lied sagt:
Bleibt der Zentner mein Gewinn,
Fahr' der Heller immer hin!
Der Zentner ist das Erbe im Himmel, der Heller ist die Welt mit ihren Schätzen, Ehren und Freuden. Konnte ein Paulus und konnten Tausende nach ihm Alles für Schaden achten, um Christum zu gewinnen und in Ihm ewig erfunden zu werden, so werden wir's auch können. Ja, wir wollen, und wer will, dem hilft der HErr. Seine Kraft sei in unserer Schwachheit mächtig, und unser Sinn sei der:
Ich eile meiner Heimat zu,
Zum stillen Paradies der Freuden,
Zum Hochzeitsaal, zum Ort der Ruh',
Zum gläsern'n Meer der Seligkeiten,
Zum Vaterhaus, zum Lammesthron,
Zum Quell des Trost's, zum großen Lohn
Der von Ihm treu gefundnen Knechten,
Zum Heer vollendeter Gerechten.
Mein Aug', das vor mit Tränen rann,
Schwingt sich im Glauben da hinan. Amen.