Kähler, Carl Nikolaus - Auslegung der Epistel Pauli an die Kolosser in 36 Betrachtungen - 26. Betrachtung

6Ich freue mich im Herrn, und meine Seele ist fröhlich in meinem Gott, denn er hat mich angezogen mit den Kleidern des Heils, und mit dem Rock der Gerechtigkeit bekleidet, wie einen Bräutigam, mit priesterlichem Schmuck geziert, und wie eine Braut in ihrem Geschmeide gebärdet (Jes. 6.). Mit diesen Worten beschreibt der Prophet die herzliche Freude einer gläubigen Seele über ihren geistlichen Schmuck, wie eine solche Freude Maria empfand: Meine Seele erhebt den Herrn, und mein Geist freut sich Gottes, meines Heilandes. Tragen wir Christen nicht alle einen solchen Schmuck? Ja, einen Schmuck, der viel schöner noch ist als der des Hohenpriesters, von dem Sirach sagt, wenn er aus dem Vorhang hervorgetreten, habe er geleuchtet wie der Morgenstern durch die Wolken, wie der volle Mond, wie die Sonne scheint auf den Tempel des Höchsten, wie der Regenbogen mit seinen schönen Farben. Paulus zeigt uns diesen Schmuck. Er hat gesagt: Zieht den neuen Menschen an, und nun nennt er uns die Tugenden, woran dieser neue Mensch kenntlich ist.

Kap. 3, 12-15: So zieht nun an, als die Auserwählten Gottes, Heilige und Geliebte, herzliches Erbarmen, Freundlichkeit, Demut, Sanftmut, Geduld, und vertrage einer den andern, und vergebt euch untereinander, so jemand Klage hat wider den andern, gleichwie Christus euch vergeben hat, also auch ihr. Über alles aber zieht an die Liebe, die da ist das Band der Vollkommenheit, und der Friede Christi regiere in euren Herzen, zu welchem ihr auch berufen seid in Einem Leibe, und seid dankbar.

Hier lernen wir den Seelenschmuck sich erneuernder Christen kennen, und Paulus sagt uns

1.) warum wir uns damit schmücken sollen, und
2.) worin dieser Schmuck bestehe.

1.

Als Auserwählte Gottes, Heilige und Geliebte sollen wir uns schmücken mit den genannten Tugenden. Der Titel: „Auserwählt“ ist von Israel übertragen auf die christliche Gemeinde, und bedeutet, dass uns Gott von der gegenwärtigen argen Welt errettet und versetzt hat in das Reich des Sohnes seiner Liebe. Wie steht es jetzt, in Folge dieser Erwählung, doch ganz anders um uns als sonst! Waren wir früher als vom Fleische geborene, Fleisch, und Kinder des Zornes von Natur, so sind wir als Auserwählte nun Kinder der Gnade, und haben das Bürgerrecht im Himmelreiche, hier zeitlich und dort ewig. Aber dies himmlische Bürgerrecht legt uns nun auch himmlische Bürgerpflichten auf. Willst du wissen, ob du zu den Auserwählten gehörst, so siehe zu, ob dein Glaube durch die Liebe tätig ist, und ob du den Schmuck trägst, den Paulus dir in unserem Text zeigt.

Sodann nennt uns der Apostel „Heilige,“ in dem Sinne, dass wir von unsern Sünden durch das Blut des Sohnes Gottes gereinigt und des Heiligen Geistes teilhaftig geworden sind, der uns heiligt und in alle Wahrheit leitet, und nun nicht mehr den Kindern der Welt uns gleichstellen, sondern Gott allein und seinem Dienste leben.

Endlich heißen wir „Geliebte“ warum? Weil wir durch Christum dem Vater angenehm geworden sind, und das Pfand seiner Liebe, nämlich den Geist der Kindschaft, in unsern Herzen tragen, durch welchen die Liebe Gottes in uns ausgegossen ist. Diese drei Worte nun „Auserwählte,“ „Heilige,“ „Geliebte“ drücken eine Würde, einen Adel und ein Glück der Christen aus, die alle weltliche Würde und Glückseligkeit weit überstrahlen. Nun gilt in der Welt der Grundsatz, man müsse sich nach seinem Stande halten. Wohl! auch die Christen müssen es. Als Auserwählte, Heilige und Geliebte müssen sie alles meiden, was ihren Adel beflecken könnte, und müssen immer in dem Schmucke christlicher Tugend einhergehen. Sie dürfen nicht mehr mit den Säuen des Teufels aus Einem Troge essen, sondern es heißt: Sondert euch ab und geht aus von ihnen (2 Kor. 6, 17.). Zugleich aber lernen wir aus jener Beschreibung, was die Menschen zur wahren Tugendübung geschickt macht; nicht die Natur tut es, sondern allein die Gnade Gottes, die sie beruft, heiligt und aus dem Born der Liebe Gottes tränkt.

2.

Nun lasst uns den Tugendschmuck selbst kennen lernen. Nur einige Perlen daraus zeigt uns der Apostel, nicht alle. Die erste ist herzliches Erbarmen, welches die göttliche Bewegung bedeutet, da uns das Herz in Mitleid wallt, wenn wir unsern Nächsten, sonderlich unsern christlichen Mitbruder, im Elend sehen, und so uns getrieben fühlen, ihm in seinem leiblichen oder geistlichen Jammer zu Hilfe zu kommen. Nicht das äußerliche Werk reicht hin, sondern vor allem muss das Herz warm sein, wie es von Gott heißt (Jer. 31.): Mein Herz bricht mir, dass ich mich sein erbarmen muss. Wie er, so wir (Luk. 6, 36.).

Die zweite Perle ist Freundlichkeit, die nicht nur in Worten und Gebärden sich kundgibt, sondern zugleich eine freudige Bereitwilligkeit zu allem Nutz und Dienste gegen den Nächsten ist, so dass wir dem Baume gleichen, der nicht nur lieblich anzusehen ist, sondern auch seine Frucht für andere trägt.

Die dritte Perle: Demut, eigentlich sich herablassender Sinn, dessen Bild die volle niederhängende Korn-Ähre ist. Also wagt der Demütige nicht einmal seine Augen aufzuschlagen gen Himmel, sondern schlägt an seine Brust und spricht: Gott sei mir Sünder gnädig! Wer diesen demütigen Sinn hat, sollte der nicht auch dem Nächsten gegenüber bescheiden von sich denken? sollte der sich stolz über ihn erheben und geringschätzig auf ihn herabblicken? Die Demut stellt Paulus neben die Barmherzigkeit und Güte, und freilich hat sie daselbst einen schönen Stand, weil sie Wurzel und Krone derselben ist.

Neben ihr steht wieder die Sanftmut, wie auch bei Christo Sanftmut und Demut beisammen standen (Matth. 11, 29.). Sanftmut ist die göttliche Art, da man mit stillem Geiste das Unrecht trägt, und durch den natürlichen Zorn sich nicht hinreißen lässt, Böses mit Bösem zu vergelten, sondern vielmehr Böses mit Gutem überwindet. Des Nächsten Unglück soll uns nach außen hinaustreiben zur Hilfe, aber des Nächsten Unrecht, das er uns tut, soll uns in uns selber zurückführen zum Schweigen und stillen Dulden. Bei den Kindern der Welt ist es umgekehrt: sie ziehen sich zurück, wo sie Unglück sehen, und brechen hervor, wo sie Unrecht leiden. Sanftmut gegen fortgesetztes Unrecht wird zur Langmut, die den Beleidigern lange nachsteht und auf ihre Besserung harrt, nach dem Vorbilde Gottes, der mit großer Geduld die Gefäße des Zornes trägt (Röm. 9.).

Paulus verweilt noch etwas bei den zuletzt genannten Tugenden der Sanftmut und Geduld, indem er uns sagt, wie wir nach diesen Tugenden uns gegeneinander verhalten sollen. Übt sie spricht er, indem ihr einer den andern vertragt. Es mochte diese Erinnerung für die Kolosser besonders nötig sein, weil der Streit wegen der Irrlehren die Christen wohl häufig gegeneinander erbitterte. Was führt zu größerer Erbitterung als eben der religiöse Streit? Fleischlich gesinnte werden dem Gegner so gram, dass sie ihn nicht vor Augen sehen mögen. Aber wie Gott Geduld hat mit dem Irrenden, und selbst den hartnäckig Widerstrebenden lange trägt, und ihn zu gewinnen sucht: so lässt auch der geduldige Christ dem Gegner nicht nur einen Platz in der Welt, sondern sogar einen Platz in seinem Herzen und in seinem Gebet, und steht weniger in ihm die Blüte des Irrtums, als die jedenfalls in ihm verborgen liegende Wurzel der künftigen Umkehr an, und bedenkt, wie viel Arbeit er selber Gott gemacht hat und noch immer macht in seinen Irrtümern und Verkehrtheiten. -

Sodann aber fordert Paulus, wir sollen in Sanftmut und Langmut einander vergeben, wenn jemand Klage wider den andern habe, das heißt, wir sollen ein erlittenes Unrecht schenken und vergessen, ohne Genugtuung, Schadenersatz, Ehrenerklärung zu fordern, selbst dann, wenn wir den offenbarsten Grund zur Klage haben. Der Apostel stellt uns das Vorbild Christi vor die Augen: gleich wie Christus euch vergeben hat, also auch ihr. Denn nicht nur hat uns der sanftmütige Herr darin ein Vorbild gelassen, dass er nicht wollte Feuer vom Himmel fallen lassen auf seine Widersacher (Luk. 9.), dass er nicht wieder schalt, nicht dräute (1 Petri 2.): sondern es hat uns auch Gott in Ihm alle Sünden geschenkt, und schenkt sie uns täglich, daher wir denn freilich nicht beten können: Vergib uns unsere Schuld, wenn wir nicht auch von Herzen vergeben unsern Widersachern.

Allen genannten Tugenden aber, womit der Christ sich zu schmücken hat, soll die Krone aufgesetzt werden durch die Liebe. „Über dies alles aber zieht an die Liebe,“ wie auch Petrus sagt: Vor allen Dingen habt untereinander eine brünstige Liebe (1 Petri 4, 8.). Wer ihre Natur und Weise näher kennen lernen will, der lese 1. Kor. 13. Paulus nennt sie das Band der Vollkommenheit. Die Liebe nämlich verknüpft alle Tugenden wie Ringe zu einer goldenen Kette, deren erster und oberster Ring die Liebe Gottes ist. Wie in einem Schiffe oder Hause oder Leibe, auch wenn die vielen Stücke und Teile derselben da wären, doch alle diese Stücke keinen Wert hätten ohne das Band, durch das sie erst ein Schiff, Haus oder Leib werden: also wären auch alle unsere guten Werke Bruchstücke, zerstreute Glieder, ohne die Liebe, durch die sie einen festen, innigen Zusammenhang und eine schöne Gestalt bekommen, darum es heißt (1 Kor. 16, 14.): Alle eure Dinge lasst in der Liebe geschehen. Die christlichen Tugenden in ihrer Verbindung und Vollendung nennt Paulus die Vollkommenheit; was aber die Tugenden verbindet und vollendet, das ist die Liebe. Nun folgen noch der Friede und des Friedens Begleiterin, die Milde. Warum das? Dem lieben Apostel liegt, sonderlich um der Zwistigkeiten willen zu Kolossä, gar sehr daran, die Christen an alles zu erinnern, was dazu dienen kann, ihre Einigkeit zu stärken. Darum nimmt er noch aus dem Schatzkästlein der Liebe den Frieden heraus, beides, den Frieden mit Gott und mit dem Nächsten. Da aber dieser Friede ganz anders zu Stande kommt, als der Friede unter den Kindern der Welt, nämlich nicht durch Krieg, Genugtuung, Schadenersatz und dergleichen, sondern ganz auf der freien, vergebenden Gnade Gottes ruht, die erschienen ist in Christo Jesu, so nennt ihn Paulus den Frieden Christi, der zugleich ein Friede mit den Menschen ist, nämlich eine Ruhe und Stille der Seele, die, ungestört durch die stürmischen Bewegungen des Zorns, der Rache, der Feindschaft, welche wider fremdes Unrecht streiten, alle Kräfte der Seele in einem göttlichen, seligen Gleichgewichte erhält. Dieser Friede regiere in eurem Herzen, dazu ihr auch berufen seid in Einem Leibe. So wenig die Glieder des natürlichen Leibes untereinander in Unfrieden und Streit leben, sondern samt den sie bewegenden Kräften und Gaben stets friedlich und einträchtig zusammen wirken: so habt auch ihr als Glieder der Gemeinde Christi den Beruf, in gleicher Eintracht zu leben. Der Friede „regiere“ in euren Herzen. Das Wort „regieren“ bedeutet in dem Grundtexte eigentlich: als Kampfrichter entscheiden, wem der Preis gehöre. Es ist ein lieblich Bild, wenn man sich den Frieden Christi als einen Kampfrichter im Herzen denkt, der, wenn die Gedanken und Gefühle miteinander streiten, deren etliche zum Eifer, zum Zorn, zur Rache gegen den Nächsten reizen, etliche dagegen zur Sanftmut und Geduld, jene zurückweiset, diesen aber den Siegespreis zuerkennt. So soll es sein. Vergisst sich auch zuweilen der Christ und lässt sich zu Gedanken und Worten des Zornes fortreißen, so muss doch der Friede Christi bald wieder die Oberhand gewinnen, und wie die Magnetnadel auch mitten unter Sturm und Wellen unverwandt nach Norden zeigt, so soll sich des Christen Herz unter allen Reizungen des Zornes immer zum Frieden neigen. Das offenbart sich denn in der Milde, nämlich darin, dass sich die Gebärden nicht entstellen, das Auge nicht blitzt, der Mund nicht schäumt, die Faust sich nicht ballt, sondern alles ruhig und gelassen bleibt. Die Milde ist der Friede Gottes in Gebärde, Wort und Tat. Der Herr helfe uns, dass diese köstliche Perle nimmer fehle in unserem geistlichen Seelenschmuck!

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autoren/k/kaehler_c/kaehler_kolosserbrief_26_betrachtung.txt · Zuletzt geändert: von aj
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