Gess, Wolfgang Friedrich - Bibelstunden über den Brief des Apostels Paulus an die Römer - Zweiter Abschnitt. - Das innige Interesse des Apostels für die römische Gemeinde 1, 8-15.
8. Aufs erste danke ich meinem Gott durch Jesum Christum euer Aller halben, dass man von eurem Glauben in aller Welt sagt. 9. Denn Gott ist mein Zeuge, welchem ich diene in meinem Geiste am Evangelio von seinem Sohne, dass ich ohne Unterlass euer gedenke 10. und allezeit in meinem Gebet flehe, ob sich's einmal zutragen wollte, dass ich zu euch käme durch Gottes Willen. 11. Denn mich verlangt, euch zu sehen, auf dass ich euch mitteile etwas geistlicher Gabe, euch zu stärken, 12. das ist, dass ich mitermuntert werde in eurer Mitte durch euren und meinen Glauben, den wir untereinander haben. 13. Ich will euch aber nicht verhalten, liebe Brüder, dass ich mir oft habe vorgesetzt, zu euch zu kommen, bin aber verhindert bisher, dass ich etliche Frucht schaffte auch unter euch, gleichwie unter den übrigen Heidenvölkern. 14. Griechen und Barbaren, Weisen und Unweisen bin ich ein Schuldner, 15. darum, so viel an mir ist, bin ich geneigt, auch euch zu Rom das Evangelium zu predigen.
1.
Auf den Gruß folgt der Brief selbst. Und zwar zuerst des Apostels Danksagung an Gott für den Glauben der Gemeinde (Vers 8). Diese Danksagung gibt ihm Veranlassung, sein unablässiges Andenken an die Gemeinde und sein fleißiges Bitten zu Gott, um sein persönliches Gelangen zur Gemeinde zu bezeugen (Vers 9-15). Diese Worte haben denselben Zweck welchen schon die Weise seiner Begrüßung hatte: Paulus will das Herz der römischen Christen durch die Versicherung seines innigen Interesses für sie seinem Briefe zuwenden.
2.
Der Apostel dankt seinem Gott, dass der Glaube der römischen Christen verkündigt werde in der ganzen Welt (Vers 8). Wäre dieser Brief einem gebildeten Heiden in Rom in die Hand gekommen, so möchte der über diese Worte gelächelt haben. Hat sich denn die Welt um die christlichen Gemeinden bekümmert? hat man nur auch in den Hauptstädten der Länder um das mittelländische Meer von der Existenz einer christlichen Gemeinde in Rom gewusst? Der ernste Römer Tacitus, dessen berühmte Geschichtsbücher doch erst mehrere Jahrzehnte nach dem Römerbriefe geschrieben sind, kommt zwar auf die Christen in Rom zu reden, weil er das Wüten des Kaisers Nero gegen sie nach dem großen Brande der Stadt erwähnen will, aber die Weise wie er von ihnen spricht, zeigt deutlich, wie unklar seine Vorstellung von den Christen ist. Er hat sich nicht die Mühe gegeben, sie näher kennen zu Lernen. Wie mag der Apostel gleichwohl behaupten, der Glaube der römischen Christen werde in der ganzen Welt verkündigt? Er kann dabei nur an die andern Christengemeinden denken, in diesen höre man so Gutes über die Gemeinde zu Rom. Dem hochgebildeten, aber für die geistlichen Dinge blinden Tacitus galten, trotz seines scharfen Blicks in die weltlichen Faktoren der Geschichte, die christlichen Gemeinden nichts; das geistliche Auge des Apostels erblickt in ihnen das wichtigste Element für die künftige Geschichte der Welt. Pauli Urteilsweise konnte den damaligen Machthabern und geistigen Führern der Völker nur lächerlich erscheinen; dennoch hat sie sich als die richtige bewährt. Die rechte Beleuchtung der Zeit kommt aus der Erkenntnis der Ewigkeit, die rechte Beurteilung der Erde aus der Bekanntschaft mit dem was im Himmel gilt.
3.
In Vers 10 versichert der Apostel, allezeit in seinem Gebete zu flehen um das Gelangen nach Rom; in Vers 13 fügt er bei, schon oft habe er sich eine Reise dorthin vorgesetzt, sei aber bisher verhindert worden. Man sieht hieraus, dass er auch in Betreff seiner liebsten Pläne Geduld lernen musste, seine auf dieselben bezüglichen Gebete nicht eben sofortige Erfüllung fanden. Das kann unser einen Geduld lehren. Wir haben es mit der Gewährung unserer Bitten sehr eilig, auch wenn sie nur unsere eigene Person betreffen. Nicht selten hört man, wenn der Bittende eine Zeit lang hat warten müssen, das Urteil, das Bitten sei ja doch umsonst. Paulus musste sich außer der oftmaligen Verhinderung seines Reisens nach Rom noch etwas anderes gefallen lassen, das viel schmerzlicher war. Dritthalb Jahre nach Abfassung unsres Briefes ist er allerdings nach Rom gekommen, aber als ein Gefangener. Auch innerhalb der christlichen Gemeinde selbst hat er dann nach Philipper 1, 15. 17. manches Schmerzliche in Rom erlebt. In dieser Weise hat er sich die römische Reise, als er sie so fleißig im Gebet vor Gott brachte, nicht vorgestellt. Unsere Unternehmungen in Bezug auf das Reich Gottes, auch unser christliches Arbeiten an unserer Familie, und an der eigenen Person, muss gewöhnlich durch viel Aufenthalt und Hemmung hindurch, fällt auch am Ende viel unscheinbarer aus als wir uns gedacht. Da gilt es, nicht müde zu werden, die Demütigungen mit in den Kauf zu nehmen. Wie hat sich der Apostel, als er in Rom ein Gefangener war, gleichwohl so dankbar über jeden Fortschritt des Evangeliums, unter so kümmerlichen Umständen er erreicht werden musste, gefreut! Philipper 1, 12-18.
4.
In Vers 9 lesen wir, Paulus diene Gott in seinem Geiste an dem Evangelium von seinem Sohn. Das ist ein einschneidendes Wort. Aus Jesu Rede mit der Samariterin wissen wir, dass weil Gott Geist ist, die Anbetung Gottes im Geiste geschehen muss.1) Als der Geist ist Gott das Leben, ewige Bewegung und Tätigkeit, Leben um Leben erzeugend. Deshalb kann ihm eine Anbetung, in welcher Lippenwerk oder tote Zeremonien sind, oder bei der man nur nachspricht was man von Andern gehört hat, nicht gefallen; aus unserm Geiste muss die Anbetung kommen; dieser selbst muss in inniger Bewegung vor Gottes Majestät sich beugen, und in seine heilige Höhe sich aufzuschwingen suchen. Unsres inneren Lebens, Denkens, Wollens tiefster Quell muss es sein, aus welchem unsere Anbetung entspringt. Paulus aber bezeugt nun hier dasselbe auch von seinem Dienst am Evangelium. Nächst der Heiligung seines eigenen Lebens war dieser Dienst sein tiefstes Interesse; beiden war bei Tag und Nacht sein Sinnen und Verlangen zugewandt. O wenn man dies von allen Geistlichen sagen könnte! Wie anders müsste es in diesem Fall in der Kirche Christi aussehen! Setzen wir den Fall, dass von der Apostel Zeiten an alle Bischöfe, Priester, Prediger, ihren Dienst am Evangelium im Geiste getan hätten, die Kirchengeschichte hätte einen anderen Lauf genommen. Aber auch unsere Kindererziehung, unser Verkehr untereinander, jede Berufsverwaltung sollte ein Dienst Gottes im Geiste sein: ein Dienst Gottes, nicht ein Dienst der Menschen, ein Dienst Gottes im Geist, nicht ein Schlendrian. In Kap. 15, 29 sagt Paulus „ich weiß, dass wenn ich zu Euch komme, ich kommen werde in der Fülle des Segens Christi.“ Diese Gewissheit entsprang ihm eben daraus, dass er das innere Zeugnis hatte, sein Dienst am Evangelium geschehe von ihm im Geist.
5.
Noch findet sich in Vers 14 ein ergreifendes Wort: den Griechen und Barbaren, den Weisen und den Unverständigen sei er ein Schuldner. Auf diesem Bewusstsein beruht nach Vers 15 seine Willigkeit, auch in Rom das Evangelium zu predigen. Ein Schuldner aller Völker, der gebildeten und der ungebildeten; ein Schuldner aller Einzelnen in den Völkern, der weisen und der unverständigen! Wie ist er zu diesem Schuldner geworden? Nach der gewöhnlichen Denkweise wird man nur denjenigen Menschen zum Schuldner, die Wohltaten erzeigt haben, andernfalls hat man volle Freiheit, seinen Weg ohne Rücksicht auf die Andern zu gehen. Der große Augenblick, da Saulus durch die Erscheinung Christi zum Apostelamt berufen wurde, ist es gewesen, von welchem an er sich als den Schuldner aller Menschen wusste, als verpflichtet, allen denen, welche ihm durch Gottes Führung erreichbar wurden, das Heil zu verkündigen und in jeder Weise, auch mit den größten Opfern, an das Herz zu bringen. Wie grundverschieden ist hiernach die Lebensanschauung des Paulus von der fast aller Menschen gewesen! Der natürliche Mensch spricht: wer darf mir meine Freiheit rauben? Paulus bekennt sich dienstpflichtig gegen Jedermann. Dafür gilt aber auch von dem Leben der meisten Menschen, dass es so spurlos verschwindet wie ein Boot das durchs Wasser fährt, oder ein Vogel oder Pfeil der die Luft durchschneidet; wer findet, wenn sie vorüber, die Wasserwellen und die Luftteile wieder zusammengeflossen sind, noch irgendein Zeichen ihrer Bahn?2) Von dem Leben des Paulus dagegen ist eine niemals, so lange die Geschichte der Menschheit währt, aufhörende Wirkung hervorgebracht. Die Menschen, welche kraft einer vernommenen göttlichen Berufung sich als Schuldner wissen, haben es auf der Erde schwer, dürfen sich keine Ruhe gönnen, müssen vielleicht schon in der Jugend ihre Kraft durch die harte Arbeit aufgezehrt sehen, aber es sind die Mitarbeiter Gottes für dessen ewiges Werk, während unzählig Viele am Ende ihres Lebens bekennen müssen, sie haben für nichts gelebt. Dabei glauben die wirklichen Arbeiter Gottes keineswegs dass sie etwas Besonderes tun, denn sie wissen sich ja verpflichtet zu dem, was sie tun, Schuldner sind sie. Unverständige Frömmigkeit macht nicht selten aus Missionaren, Diakonissen oder andern Dienern im Reiche Gottes etwas Absonderliches, als ob solche Leute durch ihre freiwillige Aufopferung große Verdienste vor Gott sich erwerben würden; wer aber wirklich von Gott selbst berufen ist zum Dienst, der lächelt hierüber als über Unverstand. Verirrt sich ein Diener Gottes zu dem Wahne der Verdienstlichkeit seines Tuns, und dass er mehr tue als er schuldig sei, dann ist ihm zu raten dass er den Dienst Gottes verlasse; für diesen ist er von da an unbrauchbar.