Gess, Wolfgang Friedrich - Bibelstunden über den Brief des Apostels Paulus an die Römer - Erster Abschnitt. Der Gruß 1, 1-7.

Gess, Wolfgang Friedrich - Bibelstunden über den Brief des Apostels Paulus an die Römer - Erster Abschnitt. Der Gruß 1, 1-7.

1. Paulus, ein Knecht Jesu Christi, berufener Apostel, abgesondert zu predigen das Evangelium Gottes, 2. welches er zuvor verheißen hat durch seine Propheten in heiligen Schriften, 3. von seinem Sohne, der geboren ist aus dem Samen Davids nach dem Fleisch, 4. der erwiesen ist als Sohn Gottes in Kraft nach dem Heiligkeitsgeist aus Totenauferstehung, Jesu Christo, unserem Herrn, 5. durch welchen wir haben empfangen Gnade und Apostelamt, unter allen Heidenvölkern den Gehorsam des Glaubens aufzurichten zur Ehre seines Namens, 6. unter denen auch ihr seid Berufene Jesu Christi, 7. allen den in Rom wohnenden Geliebten Gottes, berufenen Heiligen - Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserem Vater, und dem Herrn Jesu Christo.

1.

Als Paulus den Brief an die Römer schrieb, befanden sich in der römischen Christengemeinde Manche, welche dem Apostel persönlich bekannt waren, weil sie früher ihren Aufenthalt in einem der östlichen Länder gehabt hatten; wir sehen dies aus den Grüßen an sie in 16, 3-15. So war z. B. das Ehepaar Aquila und Priska in Korinth und Ephesus mit Paulus zusammen gewesen, jetzt aber befand es sich in Rom1)). Andronikos und Junias hatten in einem der östlichen Länder eine Gefangenschaft mit Paulus geteilt, und befanden sich nun gleichfalls in Rom2). Auch ein Rufus war mit seiner Mutter nunmehr in dieser Stadt; letztere betrachtet der Apostel als auch seine Mutter, so viel Gutes hatte sie früher ihm getan3). Solche, sei es in Geschäften, sei es aus Missionssinn, aus dem Osten nach Rom gekommene Christen werden es gewesen sein, welche das Feuer des Glaubens dort entzündet und die Gläubig gewordenen zu einer Gemeinschaft verbunden hatten. Die Gemeinde im Ganzen aber war dem Apostel unbekannt, und er der Gemeinde, weil er selbst bis jetzt noch nie nach Rom gekommen war4). Paulus empfand deshalb das Bedürfnis, die Herzen der Leser für sich und seinen Brief erst zu gewinnen. Dies versucht er durch den Eingang des Briefes. Derselbe zerfällt in zwei Teil: den Gruß Vers 1-7 und die Bezeugung seines herzlichsten Interesses für die Römer 8-15.

2.

Der Briefstil der Alten war anders als der unsrige. Wir finden ein Beispiel desselben Apg. 23, 26 ff. „Claudius Lystas dem hohen Landpfleger Felix Freude zuvor usw.“ Der Briefsteller nannte also zuerst sich selbst, dann den, an welchen der Brief gerichtet war, und wünschte diesem Freude. Diesem Stile schlossen sich auch die Apostel an. In Vers 1 nennt der Apostel zuerst sich selbst „Paulus usw.“ In Vers 7 die, an welche er schreibt, mit Beifügung eines Wunsches für sie. Zugleich ist aber Verschiedenheit in seiner Schreibweise von der welche damals üblich war. Seinem Namen fügt der Apostel Worte hinzu, welche ihn charakterisieren. Dann charakterisiert er das Evangelium, besonders aber den welcher des Evangeliums Mittelpunkt ist, Jesum. In Vers 7 fügt er etliche seine Leser betreffende Worte hinzu. Diese Beifügungen sind alle darauf berechnet, das Interesse der römischen Christen für des Apostels Brief zu erwecken.

3.

Zu seinem Namen macht er die Beifügungen: „Knecht Jesu Christi; berufener Apostel; abgesondert zu predigen das Evangelium Gottes. Knecht Jesu Christi.“ Die Leser sollen wissen, der Mann welcher ihnen schreibe lebe nicht sich selbst. Sein ganzes Herz, sein Wollen, Denken und Tun sei gerichtet auf Jesu Christi Dienst. Knechte, Mägde Jesu Christi sollen wir Alle sein. Es gibt adelige Familien, in deren Wappen das Wort steht: „ich dien'„; das deutet auf wirklich adeligen Sinn, wenn eine Familie nicht bloß ihrem eigenen Interesse nachgehen, sondern dem gemeinen Besten dienen will. Von den Christen schreibt Paulus in 14, 7. 8 „keiner von uns lebt ihm selbst, leben wir, so leben wir dem Herrn.“ Wie viele sind aber jetzt unter denen, die Christen heißen, berechtigt, zu versichern: wir leben nicht uns selbst? Auch unter den anständigen Leuten gibt es eine Menge solcher, von denen schwer einzusehen ist, kraft welchen Rechtes sie von sich sagen dürften: „was ich lebe, das lebe ich dem Herrn“. Denn das Entscheidende bei ihren Entschlüssen und Handlungen ist doch in der Regel nur ihr eigener Gewinn oder Genuss, ihre Ruhe und Bequemlichkeit, nur ausnahmsweise einmal der Dienst Jesu Christi. Wobei wir uns erinnern müssen, dass, den Brüdern dienen, von Jesu angesehen würde als ein Ihm getaner Dienst.

„Berufener Apostel“ heißt das zweite Beiwort, welches Paulus sich gibt. „Knechte Christi“ sollen alle Christen sein, die Berufung zum Apostelamt ist sehr Wenigen zu Teil geworden. Vor jedem Knecht Christi, also vor jedem Christen, welcher von Herzen im Dienste Christi steht, soll ein Christ so viele Hochachtung haben, dass er ein ermahnendes oder unterweisendes Wort desselben gewissenhaft prüft; wie viel mehr sollte man aber hören auf einen solchen, der zum Apostelamt berufen worden ist! Vielleicht hat für Manche der römischen Christen der Anspruch des Paulus, ein berufener Apostel zu sein, etwas befremdliches gehabt. Jesus hatte, so lange er auf Erden war, Zwölfe zu Aposteln berufen, unter diesen war Paulus nicht. Nach Jesu Himmelfahrt veranlasste Petrus die Ergänzung der Lücke, welche durch den Verrat und Selbstmord des Judas in der Zwölfzahl entstanden war5). Aber nicht Paulus, sondern Matthias wurde damals gewählt; Paulus, richtiger gesagt „Saulus“, war ja noch ein Feind. Aber selbst wenn er bereits zu dem Jüngerkreis gehört hätte, hätte die Wahl doch nicht auf ihn fallen können, denn nach dem Worte des Petrus6) war sie auf diejenigen beschränkt, welche von der Taufe des Johannes an bis zur Himmelfahrt im Verkehr mit Jesu gewesen waren. Das war bei Saulus nicht der Fall. Römische Christen konnten also fragen, womit denn Paulus seine Apostelwürde beweisen wolle? Anderwärts war ihm, zumal bei Judenchristen, schon mehrere Male diese Frage entgegengetreten. Wenn er nun nach etwa zwanzigjähriger Missionsarbeit, welche ihm schon so viele Geduldsproben und Leiden gebracht hat, bei dem Anspruche bleibt, ein berufener Apostel zu sein, so muss er eine große Gewissheit über diesen Punkt gehabt haben. Nach 1 Korinth. 9, 1, wo er schreibt „bin ich nicht ein Apostel, habe ich nicht Jesum Christum unsern Herrn gesehen“, beruhte seine Überzeugung, zum Apostel berufen zu sein, auf der Gewissheit, Jesum gesehen und von Jesu solche Worte, die ihn zur Verkündigung des Evangeliums beauftragten, vernommen zu haben. Man darf wohl sagen, des Paulus Zuversicht seiner apostolischen Berufung trotz aller der Schwierigkeiten, welche ihm bei seiner Missionstätigkeit entgegentraten, bliebe unerklärlich, wenn ihm nicht wirklich der Herr Jesus erschienen wäre. Hätte er sich nur eingebildet, dass ihm Jesus vom Himmel her sich geoffenbart und ihn zum Apostel berufen habe, so hätte ihm diese Einbildung zwar für einige Zeit, nicht aber für alle die mühseligen Jahre seiner Missionsarbeit die Begeisterung geben können. Die Kraft der Einbildung hält in den Mühsalen nicht lange vor.

„Abgesondert zu predigen das Evangelium Gottes“ lautet das dritte Beiwort, welches Paulus sich gibt. In diesem drängt er alle die Leiden zusammen, welche ihn sein Beruf gekostet hat. Wenn heute ein Mann aus dem deutschen Volk den inneren Beruf erhält, den Chinesen das Evangelium zu predigen, so kann das nicht ins Werk gesetzt werden ohne eine schmerzliche Absonderung, er muss seine Eltern, seine Freunde, die heimatliche Kultur und Sitte verlassen, und sein Leben fortan in einer Umgebung führen, welcher er für einen fremden Barbaren gilt, in deren Mitte daher hundert Widerwärtigkeiten zu tragen sind. Bei Paulus war die Absonderung noch schmerzlicher. Seine Verkündigung des Evangeliums von dem gekreuzigten Jesus bewirkte, dass ihm sein ganzes Volk feind wurde, denn es erschien den Juden eine Entwürdigung ihrer Nation, dass in dem Glauben an diesen Gekreuzigten statt in der Beobachtung des Mosaischen Gesetzes das Heil liegen sollte. Wie tief diese Feindschaft ging, und wie schwer sie auf das Herz des Paulus drückte, sieht man in Kap. 15, 30 ff. unsres Briefs, wo er die römischen Christen so dringlich bittet, sie möchten mit ihm beten, dass Er auf der Reise nach Jerusalem, die er gerade jetzt antreten wollte, aus der Hand der Ungläubigen in Judäa errettet werde. In Kap. 8, 36 wendet er das Psalmwort: „um deinetwillen werden wir getötet den ganzen Tag, wir sind geachtet wie Schlachtschafe“ auf sich an; das gehörte auch mit zu dem, wozu er um des Evangeliums willen abgesondert war. Wie schnell lesen wir über ein solches Wort hinweg, und doch ist eine Welt von Schmerzen, Verleugnungen, Tränen darinnen zusammengedrängt! Der Apostel will den Römern auch mit diesem Worte sagen, er habe ein Recht an ihr Merken auf seinen Brief, um all der Leiden willen, welche er um des Evangeliums willen auf sich genommen. „Hinfort mache mir Niemand weiter Mühe, denn ich trage die Malzeichen des Herrn Jesu an meinem Leibe“ schreibt er den Galatern in 6, 17. Liegt nicht auch für uns noch eine Verantwortung darin, wenn wir an Schriften, welche unter so schmerzvollen Erfahrungen geschrieben worden sind, gleichgültig vorübergehen, ihnen wenigstens nur eine halbe Teilnahme schenken?

4.

Von den Beiworten, welche Paulus sich selbst gegeben hat, wendet er sich jetzt zur Charakterisierung des Evangeliums und dessen welcher das A und O im Evangelium ist. Die frohe Botschaft Gottes, für welche Paulus abgesondert sei, sei von Gott zuvor verheißen durch seine Propheten in heiligen Schriften (Vers 2). Wir Menschen machen uns viel zu tun mit den Tagesneuigkeiten. Die Einen bilden sich etwas darauf ein, dieselben zu verkündigen, die Andern bringen ihre Zeit mit Anhören zu. In wenigen Tagen ist dann, was heute den Leuten so wichtig scheint, veraltet, ein neues Gerede beschäftigt sie, welches nicht minder schnell einem dritten weichen muss. Wogegen die Botschaft, welche Paulus zu verkündigen hat, aus der Ewigkeit stammt, deshalb für die Ewigkeit Bedeutung behält. Denn Gott hat sie zuvor verheißen. Im Alten Testament wird geredet von einer Zeit, da eine Freudenkunde zu den Völkern ausgehen werde. Der neue Bund verhält sich zu dem alten als die Erfüllung zur Weissagung. Das Evangelium ist nicht wie menschliche Weisheit von der Zeit gebracht. Die vorchristliche Geschichte zielt auf das Kommen des Evangeliums hin. Die Verkündigung der Apostel verhält sich zu derjenigen der Propheten wie der volle Glockenschlag nach vollendeter Stunde sich verhält zu den Vorankündigungen durch die Viertelschläge7). Einem verständigen Menschen muss dieses Geweissagtsein des Evangeliums zum mächtigen Antrieb werden, ihm seine Aufmerksamkeit zu schenken, weil nur, was aus der Ewigkeit stammt, den Durst einer für die Ewigkeit geschaffenen Seele befriedigen kann. Als den Inhalt des Evangeliums gibt Paulus kurzweg den Sohn Gottes an (Vers 3 f.). Man hat nicht selten im Laufe der christlichen Kirche das Evangelium zu etwas anderem machen wollen, z. B. zu der preiswürdigsten Sittenlehre. Das ist wider des Apostels Sinn; ihm ist die Botschaft Gottes die Botschaft über Seinen Sohn. Jede Predigt, welche nicht Jesum Christum, und zwar als den Sohn Gottes, zum Mittelpunkt hat, ist hiernach etwas anderes als Gottes Evangelium.

5.

Von diesem Sohne Gottes sagt dann Paulus ein doppeltes: erstlich, er sei geboren aus dem Samen Davids nach dem Fleische (Vers 3). Dem König David ist, als er Gott durch Erbauung eines Tempels ehren wollte, die Verheißung gegeben worden, Gott wolle vielmehr ihm ein Haus bauen, nämlich das Königtum über Israel beständig machen in Davids Geschlecht. Diese Verheißung ist später, insbesondere durch den Mund des Jesaias und Micha, näher bestimmt worden; es werde einst ein Mann aus Davids Geschlecht erstehen, welcher ewiglich den Zepter Davids führen werde8). In Jesu ist diese Weissagung erfüllt. Davids Geschlecht war, als Jesus geboren wurde, schon seit 600 Jahren in tiefe Niedrigkeit gesunken, doch hat man noch den Nachweis liefern können, dass Jesus ein Nachkomme Davids sei. Das war er freilich nur nach dem Fleisch. Nur seine leibliche und seelische Art hat Jesus von der Davidstochter Maria geerbt. Zum Heiland hat ihn das nicht machen können. Doch ist es etwas Großes, wie Gott die Geschichte gelenkt hat, dass sie musste zur Erfüllung seiner dem David gegebenen Verheißung werden. So tief das David'sche Haus in den Staub getreten war, so ist dennoch aus der Davidstochter der hervorgegangen, welcher das jedes irdische Königtum überstrahlende Zepter erworben hat. Von dem, was der Sohn Gottes nach dem Fleische war, geht der Apostel (im Vers 4) über zu seiner Gottessohnschaft nach dem Geist: „welcher erwiesen ist als Sohn Gottes in Kraft, nach dem Geiste der Heiligkeit, aus Toten-Auferstehung.“ „Nur der Geist kann lebendig machen, das Fleisch ist kein nütze.“9) Ewig lebendig machen kann nur der Geist der Heiligkeit. Es hat viele Enkelsöhne Davids gegeben, aber in dem Davidssohne Jesu war der Heiligkeitsgeist selbst Fleisch geworden, hatte aus der Davidstochter Maria sich mit Fleisch angetan, die Menschennatur als seine Wohnung, sein Rüstzeug, seine Lebensvermittlung an sich genommen. Wie es auch in Hebr. 9, 14 heißt: durch ewigen Geist habe sich Jesus im Tod an Gott geopfert. Bei uns andern Menschen kommt das Ich, durch welches Seele und Leib regiert werden, von unten her, blitzt aus unsrer natürlichen Seele auf; bei Jesu war dieses Ich von Oben her, ewiger Geist, Heiligkeitsgeist. Ich bin von Oben her, ihr seid von unten her, ihr seid aus dieser Welt, Ich bin nicht aus dieser Welt,“ Joh. 8, 23. Diese Hoheit haben die Menschen während des Erdenlebens Jesu nicht erkannt, auch seine Jünger nicht. Selbst wenn ein Petrus Jesum Sohn Gottes nannte,10) war das noch nicht ein klares Erkennen des in Jesu Fleisch gewordenen Heiligkeitsgeistes. Petrus hatte wohl einen lebendigen Eindruck davon, dass Jesu Worte und Taten übermenschlichen Ursprungs seien, aber dass er es mit dem Fleisch gewordenen, ewigen Worte in Jesu zu tun hatte, war ihm noch nicht klar. Paulus sagt, aus Toten-Auferstehung“ sei Jesus erwiesen worden als Sohn Gottes nach dem Geiste der Heiligkeit. Dieses Wunderbarste musste geschehen, den Beweis zu führen. Des toten Jesus Auferstehung hat erwiesen, dass sein Ich Heiligkeitsgeist war. Alles Fleisch ist wie Heu. Tote Menschen fallen der Verwesung anheim, weil sie nur Fleisch sind von unten her. Nur der Heiligkeitsgeist trägt das Leben in sich, das unauflösliche Leben. Eben dieser Heiligkeitsgeist nun, welcher in Jesu das Innerste ist, das Ich bildet, macht ihn zu Gottes Sohn. In Luthers Übersetzung heißt es in Vers 4: „kräftig erwiesen ein Sohn Gottes nach dem Geist“ usw. Die Worte des Apostels sind aber wohl vielmehr zu übersehen: „erwiesen als Sohn Gottes der es in Kraft ist nach dem Geist“ usw. In gewissem Sinn kann man Jesum, schon weil er der Davidssohn ist, Sohn Gottes nennen, in dem Sinn, dass auf ihm eine besondere Liebe Gottes ruhte, die Ihn als den Thronerben Davids sich ersah. Aber „Sohn Gottes in Kraft“ ist er nicht durch die Abstammung von David, vielmehr nach dem Heiligkeitsgeist, welcher sein Inneres bildet. Als dieser Heiligkeitsgeist kann er die Menschheit umzeugen aus dem Fleischesleben in das Geistesleben.

In 1 Kor. 15, 45 schreibt Paulus: es ward der erste Mensch Adam zu einer lebendigen Seele (zu nichts weiterem), der letzte Adam aber zum lebendig machenden Geist. So lange wir nur natürliche Seelen sind, beherrscht uns der Tod. Jesus aber, dieser Heiligkeitsgeist, kann seit seiner Auferstehung, in welcher Er aus seiner Erniedrigung in seine Verherrlichung eingegangen ist, unsere Seelen mit geistlichen Kräften durchdringen, denselben auch auf Grund solcher Durchdringung eine solche Leiblichkeit geben, welche seinem Auferstehungsleibe ähnlich ist. Die Erhebung der Menschheit aus dem Fleischesleben in das Geistesleben ist der eigentliche Inhalt der Weltgeschichte. Diejenigen Menschen, welche sich durch Christum in das Geistesleben neu zeugen lassen, werden beim Abschluss der Weltgeschichte, wenn der Richter mit der Wurfschaufel auf seine Tenne tritt, als das wertvolle Korn in die ewige Scheune gesammelt werden. Wer aber ein Fleischesmensch geblieben ist, wird dem Schicksale der Spreu verfallen (vergl. Matth. 3, 12). Wenn die Geschichte der Menschheit keinen anderen Inhalt hätte als Aufsteigen von Königreichen durch siegreiche Schlachten, Niederstürzen von Königreichen durch unglückliche Schlachten, ferner Fortschreiten der Menschen zu einem hohen Grade von Beherrschung der Naturkräfte u. dgl., so wäre die Weltgeschichte ein Schauspiel, über das man mehr trauern, als sich freuen müsste. Denn es käme niemals die Gerechtigkeit zum Siege über die Ungerechtigkeit, und das Ende von Allem wäre doch nur der Tod. Handelt es sich aber in der Weltgeschichte um die Erhebung der Menschheit aus dem Fleisch in den Geist, hiermit aus der Vergänglichkeit in die Ewigkeit, dann ist sie eine wahrhaft göttliche Stiftung, und wir können uns nicht genug freuen. Menschen zu sein. Umso ernster wird dann allerdings die Frage an jeden unter uns, wie es bei ihm stehe mit dem Umgeborenwerden aus dem Fleisch in den Geist. Auf die Charakterisierung des Gottessohnes nach dem Fleisch und nach dem Geist folgt dann noch der Name, mit welchen ihn die Menschen nannten „Jesus.“ Diesen Namen haben auch viele andere gehabt (vergl. z. B. Kolosser 4, 11), bei dem Sohne der Maria aber ward seine Bedeutung (Jehovah ist Hilfe) überschwänglich erfüllt (vergl. Matth. 1, 21). Dann der Name, mit dem die Gemeinde der Gläubigen ihn genannt hat „Christus“, der Gesalbte, den Gott gemacht zum König seines Reichs. Endlich noch die Beifügung „unser Herr“. Sie ist unzählige Male dem Namen Jesus Christus von Paulus angeschlossen worden, weil sie den ganzen Ernst und den ganzen Trost des Evangeliums in sich enthält. Ist Jesus Christus der Herr, so gebührt ihm unser strikter Gehorsam, das ist der Ernst des Evangeliums. So gehört uns aber auch sein Schutz und kommt seine Reichtumsfülle uns zugute, das ist des Evangeliums Trost.

6.

Nachdem der Apostel in Vers 2-4 das Evangelium, zu dessen Verkündigung er berufen, dazu den Mann, welcher des Evangeliums Mittelpunkt ist, mit Grundstrichen gezeichnet hat, kehrt er in Vers 5 zu sich selbst zurück, indem er sagt, durch Jesum Christum, seinen und der römischen Christen Herrn, habe er empfangen Gnade und Apostelamt zur Aufrichtung von Glaubensgehorsam inmitten aller Heidenvölker zur Ehre des Namens Christi, und weist dann in Vers 6 die römischen Christen darauf hin, zu diesen gehören auch sie. Hiermit gibt er einen neuen Grund an, warum er aufmerksames Lesen seines Briefs von ihnen hoffen darf: zum Heidenapostel ist er berufen, und sie gehören zu einem Heidenvolk. Der Herr zielte also bei des Paulus Berufung auch auf sie. Die römische Christengemeinde muss hienach, obwohl auch viele Judenchristen in derselben waren, der Mehrzahl nach aus früheren Heiden bestanden haben.

7.

Zur Aufrichtung von „Glaubensgehorsam“ weiß sich Paulus berufen. Über das Wort „Glauben“ ist unter den Meisten, die sich Christen nennen, große Unklarheit. Sie nehmen es gewöhnlich gleich „religiöse Meinung“, und sagen dann, die Meinungen (also der Glaube) werden immer verschiedenartig sein; es sei deshalb töricht, sich darüber zu bekümmern, ob man den rechten Glauben habe. Der Glaube ist aber, wie Paulus in Vers 5 sagt, ein Gehorsam, der Gehorsam gegen die Wahrheit. In Christo ist die Offenbarung der Wahrheit geschehen, nun gilt es, die Gedanken, Entschlüsse, Handlungen, also das Herz und Leben ihr entsprechend ein zurichten. Das Gegenteil des Glaubensgehorsams ist das gleichgültige Vorübergehen an der geoffenbarten Wahrheit, ferner das Aufhalten der Wahrheit in Ungerechtigkeit. Der Mensch wird vom ersten zum zweiten fortgetrieben. Man kann gegen die Wahrheit, weil sie alle Sünde bestraft, nicht immer gleichgültig bleiben. Noch weniger ist für die Länge möglich Neutralität gegenüber dem lebendigen Gott selbst; man muss entweder in Gehorsam sich beugen, oder zu bewusstem Widerstand fortschreiten. Denn der lebendige Gott kann den Menschen nicht in der Mitte zwischen Tod und Leben hingehen lassen; er will etwas aus dem Menschen machen, deshalb treibt er ihn zur Entscheidung.

8.

Alles bisherige war dem Namen des Briefstellers beigegeben, zuerst die Charakteristik seiner eigenen Person, dann die des Evangeliums, zu dessen Dienst er ausgesondert ist. In der ersten Hälfte von Vers 7 schreitet seine Rede fort zu denen, an die er schreibt: „Allen den in Rom wohnenden Geliebten Gottes, berufenen Heiligen“. Diese zwei Benennungen zeigen, wie der Apostel die Glieder der christlichen Gemeinde ansieht. Nämlich natürlich die Glieder der wahren Gemeinde. Von bloßen Namenchristen ist hier gar nicht die Rede. Als die „in Rom wohnenden Geliebten Gottes“ bezeichnet er sie. Dem entsprechend wäre heutzutage zu reden von den „Geliebten Gottes“ in der Stadt A. und dem Dorfe B. Ist das aber nicht eine Anmaßung, wenn in einer Stadt ein Teil der Bewohner sich für die Geliebten Gottes achtet? Darin scheint ja eingeschlossen, die Anderen in jener Stadt seien nicht die Geliebten Gottes. Hat nicht der Herr gesagt: „also hat Gott die Welt geliebt?“ Man muss unterscheiden zwischen der die Menschen suchenden Liebe Gottes und zwischen der in den Menschen wohnenden Liebe Gottes. Von der suchenden Liebe redet der Heiland, wenn er sagt: „also hat Gott die Welt geliebt“. So ernst und dringend ist dieses Suchen, dass Gott den eingeborenen Sohn für die Welt dahingegeben hat. Nun fragt es sich, wer von der suchenden Liebe sich finden lässt; der frohen Botschaft von dem gesendeten Heiland Glauben schenkt; den, dessen Liebe ihn sucht, auch seinerseits zu lieben begehrt. Zu einem solchen kommt dann Gott in das Herz, und bringt alle seine Güter mit, den Frieden, das Zeugnis von der Kindschaft, die Kräfte der Heiligung. Jesus sagt in Joh. 14, 23: „wenn Jemand mich liebt, der wird mein Wort halten, und mein Vater wird ihn lieben und wir werden zu ihm kommen und Wohnung bei ihm machen.“ Ohne diese Unterscheidung von Gottes suchender, die Versöhnung durch Christum stiftender, und bei den Herzen anklopfender Liebe, und von Gottes inwohnender Liebe kann Niemand das Neue Testament recht verstehen. Alle die Hunderttausende von Heiden, ehrbaren und sittenlosen, welche damals in Rom lebten, waren ein Gegenstand von Gottes suchender Liebe, die Christen aber waren gewürdigt der inwohnenden Liebe Gottes, deshalb, wie Paulus sagt: „Geliebte Gottes“. Greift doch auch bei der Liebe eines irdischen Vaters zu seinem Sohne eine ähnliche Unterscheidung Play; seine suchende Liebe gehört dem Kinde auch so lange es verloren ist, zur Tischgemeinschaft, vollends zum Herzensverkehr kommt es erst, wenn der verlorene Sohn sich hat finden lassen. „Berufene Heilige“ ist die andere Benennung des Apostels für die Christen. Die Christen sind Heilige, aber der Berufung nach, noch nicht der vollen Wirklichkeit nach. In dem Augenblick, da sie den Ruf zu Christus von Herzen angenommen haben, hat die Einwohnung der Liebe Gottes, also die Einwohnung des heiligen und heiligenden Geistes in ihren Herzen begonnen. Ihre Heiligung befindet sich also in lebendiger wachstümlicher Entwicklung; aber fertig ist sie noch nicht. Die Durchdringung aller Kräfte und Tätigkeiten der Seele und des Leibes von dem heiligen Geiste Gottes ist etwas so tief gehendes, dass es eine lange Zeit braucht. Aber wenn anders ein Christ seine Berufung immer neu fest macht11), kommt es sicherlich bei dem Berufenen seiner Zeit zur Völligkeit der Heiligung, weil Gott treu ist, also dabei bleibt, sein angefangenes Werk durchzuführen. Man vergleiche, was Paulus in Kap. 8, 29. 30 über das Tun Gottes an den von ihm Erwählten und auf Grund der Erwählung Berufenen sagen wird.

9.

In der zweiten Hälfte von Vers 7 folgt der Gruß selbst: „Gnade sei mit euch und Friede“ usw. In dem oben angeführten Briefe eines Heiden Apostelg. 23, 26 heißt es „Freude zuvor“, bei Paulus: Gnade und Friede von Gott usw. Wir sollen einander von Herzen Freude wünschen. Gottes Liebe hat uns zur Freude geschaffen. Jakobus beginnt seinen Brief an die 12 Stämme gleichfalls mit der Anwünschung von Freude. Paulus seinerseits gibt den Weg zu der Freude an, indem er sagt, Gnade sei mit euch und Friede von Gott usw. Freude ist wo Leben ist, Leben aber, gesundes, seliges, unvergängliches, kommt nur von Gott, der einzigen Quelle des Lebens. Solches Leben von ihm zu erhalten muss man mit Gott im Frieden stehen, und in den Frieden mit Gott kann nur Gottes vergebende und neumachende Gnade uns stellen. Man muss in der Erziehung der Kinder und im Verkehr mit den Menschen überhaupt allezeit im Auge behalten, dass das Glaubensleben der rechte Freudenweg ist. Nichts ist ungeschickter, als wenn man zu dem Irrtum Anlass gibt, dass die Bekehrung zu Gott ein Verzichten auf Herzensfreude sei. Christus selbst sagt, er rede seine Worte, damit seine Freude in den Jüngern bleibe, und unsere Freude vollendet werde (Joh. 15, 11).

10.

„Gnade sei mit euch und Friede von Gott unserem Vater!“ Man könnte sagen: mit herzlicher Zuversicht und mit klarem Bewusstsein, worauf unser Recht dazu ruhe, Gott als Vater anrufen, das sei das ganze Christentum. Dass Paulus wie von Gott dem Vater, so von Jesus Christus den Christen Gnade und Frieden anwünscht, setzt seine Überzeugung von der göttlichen Wesenheit Christi voraus; von einem bloßen Menschen kann nicht Gnade und Friede, können überhaupt nicht göttliche Wirkungen ausgehen. Nur wer derartige Stellen recht gedankenlos liest oder recht vorurteilsvoll verdreht, kann in Abrede ziehen, dass der Apostel alles Ernstes an Christi Gottheit glaubte.

1)
16, 3 (vgl. mit Apg. 18, 2 f. 26 und 1 Kor. 16, 19
2)
Röm. 16, 7.
3)
16, 13.
4)
1, 10. 13.
5)
Apg. 1, 15 ff.
6)
V. 21 f.
7)
Vgl. Bengels Gnomon zu 16, 25.
8)
2 Samuel 7.
9)
Vgl. Joh. 6, 63.
10)
Matth. 16, 16.
11)
Vgl. 2 Petri 1, 10.
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