Erichson, Alfred - Martin Butzer, der elsässische Reformator - IV. Butzer, Helfer am Münster, Pfarrer zu St. Aurelien.

Erichson, Alfred - Martin Butzer, der elsässische Reformator - IV. Butzer, Helfer am Münster, Pfarrer zu St. Aurelien.

Die Aussichten waren nicht erfreulich. Auf eine Anfrage, die Butzer vor Jahresfrist an einen Straßburger Bekannten gerichtet hatte, ob er nicht eine Anstellung für ihn wüsste, war ihm zurückgeschrieben worden: „Hier sind alle Stellen verkäuflich; wer kein Geld hat, bekommt auch nicht die geringste. Du meid', leid', und vertrag' und spare dich auf bessere Tage.“ Dies war auch jetzt noch wahr. Butzer schrieb damals an Zwingli in Zürich, in einer so großen Bedrängnis wie die gegenwärtige, habe er sich die Tage seines Lebens noch nie befunden, aber die Not seines Pfarrers Motherer drücke ihn noch mehr als die seine. Allein, er war der Mann nicht, der sich leicht entmutigen ließ. Er begann, ohne jeglichen Entgelt, Bürgern, die ihn darum angesprochen, in Zells Wohnung das Evangelium Johannes auszulegen und zugleich den Studenten die Episteln Pauli in lateinischer Sprache zu erklären.

Aus Furcht, es möchten daraus Unruhen entstehen, verbot der Magistrat diese Vorlesungen. Als aber der Bischof vom Ammeister begehrte, dass er ihm den bännigen1) Priester ausliefere, führte gerade dieses Vorgehen eine für Butzer günstige Entscheidung herbei. Wie einst der Apostel Paulus sich auf den römischen Kaiser berief, so erklärte Butzer, er sei als Bürgersohn nicht dem Bischof, sondern dem Magistrat untertan und bitte um dessen Schutz und Schirm. Der wurde ihm auch gewährt, zumal die Bürgerschaft nicht leiden wollte, „dass ein so feiner und gelehrter Kopf auf die Schlachtbank der Pfaffen geliefert würde.“ Von diesem Augenblick an durfte er abwechselnd mit Zell im Münster, in der St. Lorenzen-Kapelle, predigen. Hier erwies sich der Raum bald zu klein, um die wachsende Zuhörerschaft zu fassen; aber die Domherren wollten ihm eben so wenig als dem „Meister Matthis“ den Zutritt zu der Doktorskanzel Geylers von Kaysersberg gestatten. So bestieg nun auch Butzer den hölzernen Predigtstuhl, den die Schreiner aus der Kurbengasse für Zell verfertigt hatten und zur Stunde des Gottesdienstes jedesmal im Hauptschiff des Münsters aufstellten.

Mit welcher Freude mag der junge Prädikant das am 1. Dezember 1523 erlassene Mandat des Magistrats begrüßt haben, „dass von Allen, die sich des Predigens unterziehen, in's künftige nichts anders, als das hl. Evangelium und die Lehre Gottes und was zur Mehrung der Liebe Gottes und des Nächsten diene, frei, öffentlich dem christlichen Volk gepredigt werden sollte.“ Zwei Tage darauf durfte er seinem Wohltäter Matthäus Zell bei seiner Trauung mit der wackeren und gottesfürchtigen Katharina Schütz, in dem bis in die letzten Winkel gedrängt vollen Münster die Hochzeitrede halten und nach Schluss der Feier dem Ehepaar das Abendmahl unter beiderlei Gestalt reichen.

Nicht allein die Bürger der Stadt, auch das Landvolk strömte an Werk- und Sonntagen herbei, um das „neue Evangelium“ aus Butzers Munde zu hören. Er war sehr gewaltig im Predigen, sagt eine Chronik. Ein angeborenes, im Predigerorden ausgebildetes Rednertalent war bei ihm durch „seine mächtige und wohltönende Stimme“ unterstützt. Zu seiner Volkstümlichkeit mag auch seine derbe Redeweise beigetragen haben. Er ging in der Bekämpfung der Altgläubigen oft so weit, dass der Magistrat ihn mahnte, von solchen Ausfällen abzustehen.

Selbst tumultuarische Auftritte kamen vor. Eines Tages, während Butzer die Nachmittagpredigt hielt, fingen die Geistlichen, darunter viele Mönche, an, im Chor mit heller Stimme ihr Komplet zu singen; Strubelhans der Schreiner, mahnte sie, bis zu Ende der Predigt zu warten. Da ihm aber schnöde Antwort ward, bewaffnete er sich mit einem Kirchenstuhl, worauf die Mönche über ihn herfielen und ihn übel zurichteten. Mehrere hundert Bürger liefen herzu. Man holte auf der nahen Bäckerstube den Ammeister, welcher beide Teile „thädigte“2) und für den andern Tag auf die Pfalz beschied.

Noch vor Jahresschluss reichten die evangelischen Prediger eine Supplik3) beim Rat ein, in welcher sie anzeigten, „wie sie zur Förderung christlichen Unterrichts sich vereinigt hätten, alle Werktage das Evangelium Johannis erklären zu hören an einem öffentlichen und bequemen Ort, und wie sie dazu den gelehrten Herrn Martin Butzer, den man seiner Kunst und frommen Lebens halb hoch rühmen höre, zu einem Leser (Professor) ersehen und um eine gebührende Besoldung durch Bitten vermocht hätten.“ Der Magistrat gewährte noch mehr: der eben jetzt in die Leitung der öffentlichen Angelegenheiten eingetretene Jakob Sturm von Sturmeck bewog noch einige Gelehrte, sich Butzer anzuschließen, um nicht nur über das Alte oder Nene Testament, sondern auch über Philosophie Vorlesungen zu halten. „Es ist eine wahre hohe Schule,“ hieß es bald von diesen Vorlesungen.

Auch mit der Feder war Butzer tätig: er veröffentlichte noch in demselben Jahre 1523 drei umfangreiche Schriften.

In der „Summary der Predigt zu Weißenburg getan“ schildert er seine dortige Wirksamkeit, rechtfertigt sein Auftreten durch Gründe aus der heiligen Schrift, und stellt sein Reformationsprogramm auf. Wie echt protestantisch lautet der Satz: „Suchet in der Schrift, die eure geistliche Übung sein soll, und ihr werdet finden, dass alle Wahrheit und Lehr Christi in dem besteht: dass wir durch Christum und sein Evangelium einen festen Glauben und herzlich Vertrauen haben zum Vater als zu einem gnädigen Gott und Vater, der uns alles Gute an Leib und Seele, ohn alles unser Verdienst, aus lauter Gnade zukommen lassen, und uns vor allem Übel behüten und alle Sünden verzeihen will.“ Mit besonderem Nachdruck wird gelehrt, dass der wahre und lebendige Glaube durch die Liebe wirke, und dass alle wahrhaft guten Werke aus brüderlicher Liebe geschehen müssen, dem Nächsten zu Gut, nicht Gott oder den abgestorbenen Heiligen, dem toten Holz oder Stein.

Bezeichnend für den auf das praktische Christentum gerichteten Sinn Butzers ist schon der Titel seiner zweiten Schrift: „Dass ihm selbst Niemand, sondern Andern leben soll, und wie der Mensch dahin kommen möge.“ Für ihn ist der auf Erden schon erreichbare „Stand der Vollkommenheit“ ein arbeitsames, eingezogenes, gemeinnütziges Leben, frei von aller Selbstsucht, voll herzlicher Nächstenliebe mit steter Sorge für das eigene zeitliche und ewige Wohl. Die Quelle solchen Lebens ist ihm der Glaube an Jesus Christus.

In der dritten Schrift „Verantwortung seiner Person“, begnügt er sich nicht damit, die Anklagen des Bischofs zurückzuweisen und seine Ehe, die dieser ihm zum Hauptverbrechen machte, aus der heiligen Schrift zu rechtfertigen, er bekämpft das klösterliche Leben „als gänzlich wider Gott“ und fordert zum Austritt aus demselben auf. Es ist dies wohl die erste Stimme, die sich über diesen Punkt in Straßburg vernehmen ließ.

Durch sein Predigen, wie durch seine Lehrtätigkeit und seine Schriften, lenkte Butzer die Aufmerksamkeit der Stadt immer mehr auf sich. Im Hinblick auf ihn sowohl als auf zwei andere tüchtige Männer, die um dieselbe Zeit nach Straßburg gekommen waren, Wolfgang Capito und Caspar Hedio, konnte jetzt der Münsterpfarrer Zell den Gegnern zurufen: „Wie dünkt euch nun? Habe ich nicht geweissagt: Gott werde bald noch mehr Arbeiter schicken?“

Die Zuversicht, welche Martin Butzer in der zuletzt genannten Schrift ausgesprochen hatte, dass „Gott, der auch die Vögel speist, ihn wohl das Zeitliche werde finden lassen“, verwirklichte sich noch eher als er dachte. Die Gartner, nämlich der ackerbauende Teil der Bevölkerung, zeigten gleich zu Anfang am meisten Eifer für die reformatorische Bewegung. Schon im Februar 1524 erbaten sie ihn vom Magistrat für den Pfarrdienst an St. Aurelien, als den tauglichsten und geschicktesten dazu und zwar nicht allein nach ihrem eigenen Bedünken, sondern aus Anzeigen der würdigen Doktoren und Prädikanten, die jetzt hier in Gottes Wort arbeiten.“ Ehre der Gemeinde, die solches „aus der Frucht einer Predigt, so Butzer bei ihnen getan, wohl gespürt und gemerkt hatte“ und nun, trotz des Widerstands des St. Thomas-Kapitels von dem ihre Kirche abhing, ihn am 31. März 1524 auf der Gärtnerstube zu ihrem Pfarrer wählte und die Bestätigung dieser Wahl beim Rate durchsetzte!

Die Pfarrkinder von St. Aurelien meinten: „Ihr Pfarrer sollte nicht mehr auf der alten Geige geigen, aber ihnen das Evangelium treu predigen, Sie, ihre Frauen und Kinder und die alten Leute auf den rechten Weg zum wahren Glauben an Gott und zur rechtschaffenen Liebe gegen den Nächsten weisen.“ So war denn Butzer ganz ihr Mann, und ihm ist es zu verdanken, dass St. Aurelien sämtlichen Stadtkirchen in der Umgestaltung des Gottesdienstes voranging. Bald wurde dieser nur noch in deutscher Sprache gefeiert; die Heiligenbilder, Tafeln und Weihwasserbecken verschwanden, zuletzt sogar das bisherige Heiligtum der Kirche, jenes wundertätige Grab der Heiligen Aurelia, bei welchem die Fieberkranken Heilung suchten. Es war nach einer Predigt Butzers, dass die Gartner zuerst das „Götzlein“ dieser Heiligen vom Altar entfernten und dann die Grabstätte erbrachen, um die darin befindlichen Gebeine, „die aber nie zu einem menschlichen Körper gehört hatten,“ wegzuschaffen.

Treueifrig wirkte Butzer sieben Jahre lang in dieser Gemeinde, bis er im Jahr 1531 zum Pfarrer an der St. Thomaskirche ernannt wurde, und also der Wunsch Capito's und anderer Prediger in Erfüllung ging, „Butzer möge in's Herz der Stadt gerufen werden; alles würde dann einen besseren Fortgang nehmen“. Aber auch von seiner entlegeneren Pfarrei aus hatte der tatkräftige Mann schon erfolgreich in das allgemeine straßburgische Reformationswerk eingegriffen. „Alsbald man den hie hatte,“ berichtet Johannes Sturm, „ließ sich die Religion von Tag zu Tag besser an, und wurde der evangelischen Kirche ein stärkeres Fundament und Grund gemacht.“

1)
gebannten
2)
verurteilte
3)
Bittschrift
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