Calvin, Jean - Psalm 97.
Inhaltsangabe: Auch dieser Psalm beschreibt das Reich Gottes in einer Gestalt, wie es unter dem Gesetz noch nicht vorhanden war. Er ist also eine Weissagung von Christi Reich, welches durch das Evangelium plötzlich wie ein Licht aufging. Im Übrigen malt uns der Prophet den Herrn im Schmuck seiner Macht und Herrlichkeit, welche alle Sterblichen zu demütiger Beugung zwingen muss. Um aber Liebe und Freude an Gottes Reich zu erwecken, deutet er zugleich darauf hin, dass dasselbe auf nichts anderes zielt, als auf das Heil der Menschen.
1Der Herr ist König; des freue sich das Erdreich, und seien fröhlich die Inseln, so viel ihrer sind. 2Wolken und Dunkel ist um ihn her; Gerechtigkeit und Gericht ist seines Stuhls Festung. 3Feuer gehet vor ihm her, und zündet an umher seine Feinde. 4Seine Blitze leuchten auf den Erdboden; das Erdreich siehet und erschrickt. 5Berge zerschmelzen wie Wachs vor dem Herrn, vor dem Herrscher des ganzen Erdbodens.
V. 1. Der Herr ist König. Indem der Prophet zur Freude aufruft, lässt er deutlich ersehen, dass Gott nicht anders herrscht, als dass zugleich Heil und völliges Glück aufleuchten. Indem er aber das ganze Erdreich und sogar die Inseln, die jenseits des Meeres sind, fröhlich sein heißt, deutet er darauf hin, dass Gottes Reich, welches damals von den engen Grenzen Judäas umschlossen war, sich weit ausdehnen und auch unter den Heiden ausbreiten wird. In den nächsten vier Versen preist der Prophet Gottes himmlische Herrlichkeit in ihren wunderbaren Zeichen, um alle Sterblichen zur Ehrfurcht zu stimmen. Zu diesem Zweck wird uns Gottes schreckliche Majestät vor Augen gestellt, welcher gegenüber alles sündhafte und hochfahrende Selbstvertrauen des Fleisches zu Boden sinken und zerbrechen muss. Wenn Wolken und Dunkel den Himmel bedecken, so gewährt dies einen schrecklicheren Anblick als eine heitere Beleuchtung. So will der Prophet ohne Zweifel durch diese Zeichen Schrecken erregen, damit die Welt dem Herrn mit größerer Ehrfurcht begegne. Das bestätigt auch der Zusammenhang, in welchem weiter gesagt wird, dass Feuer vor dem Herrn hergeht, seine Feinde zu verbrennen, dass seine Blitze die Erde erschüttern und dass sogar die Berge zerschmelzen. Es könnte nun jemand sagen, dass dieser Schrecken mit der Freude nicht stimmt, von der zuerst die Rede war. Ich antworte erstlich: wenn auch Gott durch Aufrichtung seines Throns, soviel an ihm ist, alle Menschen glücklich machen will, so sind doch nicht alle für seine Wohltat empfänglich. Zum andern ist festzuhalten, was ich schon sagte, dass diese Erinnerung den Gläubigen nützlich ist, damit sie alle Höhe des Fleisches niederlegen und Gott fußfällig anbeten lernen. Dass Gerechtigkeit und Gericht seines Stuhls Festung sind, empfiehlt uns das Reich Gottes durch die Frucht, die wir davon empfangen. Denn da nichts jämmerlicher ist, als ohne Gerechtigkeit und Gericht leben zu müssen, so rühmt der Prophet den Herrn insbesondere um des willen, weil er allein durch sein Regiment die Gerechtigkeit in der Welt wiederherstellt, - wie sie denn sicherlich bei uns allen keine Stelle findet, wenn uns nicht Gott durch den Geist der Sanftmut beugt und zähmt, dass wir uns dem Joch seines Wortes unterwerfen. Weil aber die meisten Menschen hartnäckig der Herrschaft Gottes widerstreben und sie abschütteln, sieht sich der Prophet gezwungen, Gottes Angesicht mit strengen Zügen zu malen. Er will dadurch zeigen, dass den Gottlosen ihre verstockte Bosheit nicht ungestraft hingehen wird. Weil aber die Gottlosigkeit der Menschen sich verdoppelt, wenn sie den Herrn, der sich ihnen freundlich naht, nicht mit Ehrfurcht und Sanftmut aufnehmen, wird mit gutem Grunde diese Ankündigung der Rache mit Christi Reich verknüpft. Wer den Herrn in der Person seines eingeborenen Sohnes verachtet, der muss endlich, er mag wollen oder nicht, spüren, wie schrecklich seine Majestät ist. Darauf deutet der Ausdruck (V. 4): das Erdreich siehet und erschrickt. Denn wenn die Gottlosen sehen, dass ihre Anstrengungen vergeblich sind, stürmen sie wahnsinnig wider Gott an und beginnen, sich Schlupfwinkel zu suchen. Der Prophet aber verkündet, dass es ihnen in ihrem Stumpfsinn nicht gelingen wird, sich vor Gottes Angesicht zu bergen.
6Die Himmel verkündigen seine Gerechtigkeit, und alle Völker sehen seine Ehre. 7Schämen müssen sich alle, die den Bildern dienen und sich der Götzen rühmen. Betet ihn an, alle Götter! 8Zion höret´s und ist froh; und die Töchter Judas sind fröhlich, Herr, über deinem Regiment.
V. 6. Die Himmel verkündigen usw. So herrlich soll nach dieser Aussage des Propheten Gottes Gerechtigkeit sein, dass auch die Himmel ihre Herolde sein müssen. Der Satz hat also einen andern Sinn, als der ähnliche Spruch (Ps. 19, 2): „Die Himmel erzählen die Ehre Gottes“ usw. Dort will David nur sagen, dass im Weltgebäude das Abbild der Weisheit und Macht Gottes leuchtet, gleich als gäben Himmel und Erde mit lauter Stimme für ihn Zeugnis. Hier aber wird die innere Gerechtigkeit, welche Gott unter dem Reiche Christi offenbaren wird, als so groß beschrieben, dass sie Himmel und Erde erfüllen muss. Von besonderem Nachdruck ist die Personifikation, welche die Himmel mit einer Rede für Gottes Gerechtigkeit auftreten lässt, gleich als wäre auch zu ihnen eine Empfindung von derselben gedrungen.
V. 7. Schämen müssen sich alle, die den Bildern dienen. Hier unterscheidet der Prophet wie im vorigen Psalm den wahren Gott ausdrücklich von allen menschlichen Gebilden, damit niemand die rühmenden Worte, die er vorbringt, auf eine erlogene Gottheit übertrage. Gern gestehen wir zu, dass man Gott loben müsse; aber da wir zum Aberglauben geneigt sind, hält sich unter hundert kaum einer an die reine Verehrung Gottes; sobald von Gott die Rede ist, gleiten wir zu unseren Torheiten hinüber. Mit großer Selbstgefälligkeit macht sich ein jeder in der verworrensten Weise seinen eigenen Gott. Dies ist der Grund, weshalb die Propheten bei ihren Mahnungen zur Verehrung Gottes so eifrig darauf dringen, dass man den wahren Gott erkenne und nicht falsche Götter anbete. Die Menschen sind irgendwie religiös angelegt, aber in der Schwachheit, ja Blindheit und Torheit ihres Sinnes zur sofortigen Verkehrung ihrer Ahnungen von der Gottheit geneigt; so wird die religiöse Anlage der Keim alles Aberglaubens, - gewiss nicht von Natur, sondern infolge der Verfinsterung des menschlichen Verstandes, welcher den wahren Gott von den Götzen nicht mehr unterscheiden kann. Sobald aber Gottes Wahrheit bekannt wird, beweist sie ihre Kraft, den Aberglauben zu verscheuchen. Wenn die Sonne den Nebel verzehrt, was wird erst geschehen, wenn Gottes Angesicht selbst erscheint? So verstehen wir es, dass der Prophet im Anschluss an seine Verkündigung des Reiches Gottes sich zum Angriff gegen die Heiden wendet, die ihrer gemachten Götter sich rühmten. So spricht auch Jesaja von dem Aufgang des Lichtes des Evangeliums, um alsbald hinzuzufügen (19, 1), dass alsdann alle Götzenbilder Ägyptens fallen müssen. Solange aber die Erkenntnis Gottes den Menschen verborgen blieb, dürfen wir uns nicht wundern, dass der mannigfaltigste Aberglaube seit Anbeginn die Welt erfüllt hat. Weil heutzutage bei den Türken, Juden und Papisten das Licht der rechten Lehre erloschen ist, mussten sie notwendig in stumpfsinnige Irrungen sich verlieren. Denn nur, wenn man den wahren Gott erkennt, kehrt man zur Vernunft zurück und lernt sich seiner Irrtümer schämen. Freilich ist nicht die Meinung des Propheten, dass alle, die sich „schämen müssen“, zu wahrer Umkehr gelangen; denn es gibt heutzutage Spötter genug, welche zwar den Aberglauben abschütteln, aber sich schmutziger Frechheit ergeben. Immerhin bringt die Erkenntnis Gottes die Frucht aus sich hervor, dass die Menschen ihre Irrtümer verdammen und sich zu Gott wenden. Wer ihm aber in hartnäckiger Verstocktheit widersteht, muss innerlich zerbrochen und aufgerieben werden.
Betet ihn an, alle Götter! Das geht in erster Linie auf die Engel, in denen etwas von göttlichem Wesen leuchtet. In uneigentlichem Sinne lässt es sich aber auch auf die gemachten Götter ausdehnen: Alles, was man für einen Gott hält, möge weichen und sich beugen, damit der eine Gott groß werde. Hier kann man lernen, worin wahre Frömmigkeit besteht, nämlich, dass man den wahren Gott allein verehrt, so dass er allein groß ist und keine Kreatur seinen Namen verdunkelt. Wollen wir nicht die wahre Frömmigkeit zugrunde gehen lassen, so gilt es, den Grundsatz festzuhalten, dass keine Kreatur von uns über Gebühr erhoben werden darf.
V. 8. Zion höret´s und ist froh. War zuerst von der allgemeinen Freude der ganzen Welt die Rede, so wendet sich jetzt der Gedanke dem auserwählten Volk insbesondere zu. Denn ihm wurden die Erstlinge der Freude geschenkt, sodann soll aller Grund zu Eifersucht und Neid beseitigt werden. Hatte also der Prophet gesagt, dass die Heiden den Kindern Abrahams gleichgestellt werden sollten, so fügt er nun hinzu, dass durch diese Gemeinschaft den Juden nichts genommen wird; vielmehr muss es ihnen ein rechter Grund der Freude werden, dass Gott aus ihrem Quell die ganze Welt bewässert. Wahre Kinder Abrahams müssen sich doppelt freuen, wenn Gott sein Reich und seine Ehre, die bis dahin in Judäa verborgen waren, überall ausbreitet, und wenn er die verheißene Erlösung in Christus völlig schenkt. Das bringt dem Glauben keine geringe Gewissheit, dass die Heiden nun gemäß der Verheißung im Samen Abrahams sich segnen und die einst verachtete Religion allenthalben Aufnahme findet. Aber warum heißt es, dass Zion „höret“, nicht dass es sieht? Der Prophet bedient sich gerade dieses Ausdrucks aus einem doppelten Grunde. Erstlich sollen die Gläubigen noch vor der Erfüllung Freude aus der Hoffnung schöpfen. Sodann soll die Herrlichkeit des Evangeliums sich so weit ausbreiten, dass die Juden dies nicht mehr sehen, sondern nur noch davon hören können.
9Denn du, Herr, bist der Höchste in allen Landen; du bist hoch erhöhet über alle Götter. 10Die ihr den Herrn liebet, hasset das Arge! Der Herr bewahret die Seelen seiner Heiligen; von der Gottlosen Hand wird er sie erretten. 11Dem Gerechten muss das Licht immer wieder aufgehen und Freude den frommen Herzen. 12Ihr Gerechten, freuet euch des Herrn, und danket ihm, und preiset seine Heiligkeit!
V. 9. Denn du, Herr, bist der Höchste usw. Weil wir Ähnliches schon öfter lasen, kann ich mich kurz fassen. Hinweisen will ich nur auf den Vergleich zwischen Gott und den Engeln, sowie allem, was hervorragt. Der Prophet will alle Höhe auf ihr rechtes Maß bringen, so dass allein dem Herrn alle Majestät bleibt. Das wird in ganzer Fülle erst dann der Fall sein, wenn Gott in seinem eingeborenen Sohn erscheint, der sein lebendiges Abbild ist. Vorher erkannte man ihn nur dunkel; so war auch seine Erhöhung noch weniger sichtbar.
V. 10. Die ihr den Herrn liebet, hasset das Arge. Hier werden die Verehrer Gottes ermahnt, rechtschaffen zu wandeln. So sagt auch Paulus (2. Tim. 2, 19): „Es trete ab von der Ungerechtigkeit, wer des Herrn Namen nennt.“ Aus Gottes Wesen wird also der Schluss gezogen, dass der Herr niemand als seinen Knecht anerkennt, der sich nicht von der Bosheit scheidet und der Rechtschaffenheit weiht. Denn weil er der Quell aller Gerechtigkeit ist, muss alle Ungerechtigkeit ihm verhasst sein. Weil er sich selbst nicht verleugnen kann, hält er auch uns nur unter der Bedingung mit sich verbunden, dass wir im Kampf gegen alle Ungerechtigkeit stehen. Weil aber die Bosheit der Feinde uns oft zur Rache reizt und wir ohne böse Künste nicht glauben unversehrt bleiben zu können, will der Prophet solchen Versuchungen begegnen. Darum verkündet er: Der Herr bewahret die Seelen seiner Heiligen. Denn wer davon überzeugt ist, dass sein Leben unter Gottes Schutz steht, streitet nicht mit den Frevlern und vergilt nicht empfangenes Unrecht dadurch, dass er auch etwa selbst Schaden zufügte, sondern befiehlt seine Wohlergehen in Gottes treuen Schutz. So wird uns ein Zügel angelegt, damit es uns nicht zu lästig und schwer falle, uns des Bösen zu enthalten und reine Hände zu bewahren, wie sehr auch die Frevler uns reizen. Hat doch Gott sich herabgelassen, unsre Seele in seine Hut zu nehmen.
V. 11. Dem Gerechten muss das Licht immer wieder aufgehen. Dieser Satz dient zur Bestätigung des vorigen und widerlegt zugleich einen Einwand, den man erheben konnte. Sehen wir doch nur zu oft, wie die Gerechten böse und unwürdig misshandelt werden, als wären sie den Launen der Feinde preisgegeben. Darauf antwortet der Prophet: Wenn auch der Herr die Seinen nicht sofort befreit, so schützt er doch mit seiner verborgenen Kraft ihr Heil. Da wörtlich zu übersetzen wäre: „Dem Gerechten wird Licht gesät,“ – so enthält der Satz ein doppeltes Bild. Als Licht wird in der heiligen Schrift sehr oft die Freude und ein glücklicher Zustand bezeichnet, während das Unglück mit der Finsternis verglichen wird. Das zweite Bild, dass dieses Licht „gesät“ wird, scheint etwas schwieriger. Manche deuten es dahin, dass die Freude für die Gerechten wie ein verborgener Same sei, der in die Erde geworfen ward und nun erstirbt und unsichtbar bleibt, bis er aufwächst. Ich verwerfe diese Deutung nicht; aber vielleicht ist es noch einfacher, zu sagen: Obgleich die Gerechten in der Welt kaum eine Stätte finden, jedenfalls sich nicht öffentlich hervorwagen, sondern sich in tiefer Verborgenheit halten, wird Gott doch ihr Glück wie einen Samen weit und breit ausstreuen. Er wird das Licht ihrer Freude, welches jetzt gedämpft ist, hervorbrechen lassen. Das zweite Satzglied ist eine Erläuterung des ersten: an die Stelle des Lichts tritt die Freude, an die Stelle der Gerechten die frommen Herzen. Diese Erläuterung der Gerechtigkeit ist bemerkenswert: sie ist nicht eine äußere Maske, sondern echte Unschuld des Herzens; wollen wir vor Gott als gerecht dastehen, so genügt es nicht, die Zunge, Hände und Füße von Schandtaten abzuhalten. Endlich mahnt der letzte Vers die Frommen, ihre Dankbarkeit zu bezeugen. In der festen Überzeugung, dass sie dem Herrn ihre Rettung verdanken, sollen sie das Geschenk ihres Lebens auf die Rechnung seiner Gnade setzen. Was auch geschehen möge, - sie sollen sich mit seinem Schutz zufrieden geben.
Quelle: Müller, Karl / Menges I. - Johannes Calvins Auslegung der Heiligen Schrift - Psalter