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Calvin, Jean - Psalm 25.

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Calvin, Jean - Psalm 25.

Inhaltsangabe: Dieser Psalm enthält Betrachtungen, die mit Bitten gemischt sind. David ist hart bedrängt durch die Wut seiner Feinde; um Hilfe von Gott zu erlangen, erkennt er darin zuerst eine gerechte Strafe Gottes für seine Sünden an. Deshalb bittet er auch um Vergebung, damit er den Herrn zum Freund und Erlöser gewinne. Dann fleht er um die Gnade des heiligen Geistes, um darauf gestützt unter den mannigfachen Versuchungen in der Furcht Gottes zu bleiben. Er flicht an verschiedenen Stellen Betrachtungen ein, teils um sich dadurch zu guter Hoffnung zu ermuntern, teils um seine Gedanken frei von den Lockungen dieser Welt vor Gott zu sammeln.

V. 1. Zu dir, Herr usw. David will sagen, dass er nicht wie die Ungläubigen bald hierhin bald dorthin blicke, sondern dass er seine Hoffnung nur auf den einigen Gott setze und sich betend zu ihm wende. Denn nichts steht in größerem Widerspruch zu der wahren und lauteren Anrufung Gottes, als wenn man, wie die Gottlosen zu tun pflegen, umherschaut, ob nicht irgendwo sich irdische Hilfe zeige. Dabei verlieren sie Gott aus dem Auge oder begeben sich doch nicht geradewegs zu seinen treuen Schutz. Manche Ausleger finden freilich in den Anfangsworten ein Gelöbnis Davids, dass er sich ganz dem Herrn zur Verfügung stellen und zum Opfer geben wolle. Aber das passt nicht in den Zusammenhang. David hebt vielmehr, um Zuversicht zu gewinnen, das hervor, worauf es beim Gebet vor allem ankommt, nämlich dass seine Hoffnung fest auf Gott gerichtet sei, und dass er frei und ledig von allen irdischen Lockungen sich zu Gott erhebe. Daher muss auch bei uns dieses als Regel fürs Beten gelten, dass wir nicht zu mannigfachen, ungewissen Hoffnungen uns verleiten lassen und nicht bei den irdischen Hilfsmitteln stehen bleiben, sondern dem Herrn die Ehre geben, dass wir unsere Bitten aus der Tiefe des Herzens zu ihm emporsenden.

V. 2. Mein Gott, ich hoffe auf dich. Aus diesem Verse schließen wir, was später noch deutlicher hervortritt, dass David es mit Menschen zu tun hatte. Da er jedoch überzeugt war, dass seine Feinde Zuchtruten Gottes waren, so bittet er mit Recht, dass sie durch seine Hand gezügelt würden, damit sie nicht weiter in ihrer Frechheit fortfahren. Dass er auf Gott hofft, dient zur Bestätigung der vorangehenden Aussage, dass er seine Seele zu Gott erhebe. Der zweite Ausdruck wird entweder hinzugefügt, um zu beschreiben, in welcher Weise David seine Seele zu Gott erhebt, - oder die Zuversicht und Hoffnung stellt den Erfolg jener Erhebung dar. Und gewiss sind dieses die Flügel, mit denen wir uns über diese Welt emporschwingen. David wurde also mit dem ganzen Verlangen seines Herzens zu Gott hingezogen, da er im Vertrauen auf seine Verheißungen von ihm sicher das Heil erwartete. Die Bitte, deren er sich bedient, ist gegründet auf die Lehre, die allgemein in der Schrift verkündigt wird, dass niemand zu Schanden wird, der auf Gott vertraut. Es ist auch zu beachten, dass er als Grund, um Gottes Mitleid zu erregen, anführt, dass er nicht den Feinden zum Spott werde. Denn mit ihrer Bosheit verwunden sie nicht nur die frommen Herzen, sondern beleidigen auch den Herrn selbst.

V. 3. Es wird ja auch keiner zu Schanden usw. Vielleicht will David sich damit zur Stärkung seines Glaubens vorhalten, was Gott immer und immer wieder versprochen hat. Doch scheint mir eine andere Auslegung noch vorzuziehen: denn das Wörtlein „auch“ hat einen besonderen Nachdruck. David deckt damit die Frucht der göttlichen Gnade auf, die aus seiner Errettung auch für alle anderen erwachsen musste. Wusste er doch, dass viele Augen auf ihn gerichtet waren, und er hegte die klare Zuversicht, dass sein Beispiel eine weitreichende Wirkung üben und dazu dienen würde, alle Kinder Gottes aufzurichten und den Trotz der Gottlosen niederzuschlagen. Ohne Zweifel denkt David insbesondere an seine Feinde, wenn er von Leuten spricht, die ohne Ursache treulos handeln. Wird er von ihnen errettet, so bedeutet dies nicht allein für ihn eine Wohltat, sondern muss auch für alle anderen Frucht bringen, - wie es umgekehrt den Glauben bei vielen hätte erschüttern müssen, wenn er von Gott verlassen worden wäre. So lässt sich der gegensätzlichen letzten Wendung auch entnehmen, dass es zu Gottes Ehre gereichen muss, wenn das Glück der Gottlosen zerstört wird, da ihre Erhebung im Glücke eine offenbare Verspottung Gottes ist. Denn sie verachten sein Gericht und scheuen tollkühn vor keiner Sünde zurück. Der Zusatz: „ohne Ursache“ dient zur Verstärkung ihrer Verschuldung. Denn die Bosheit ist umso unerträglicher, wenn jemand, ohne durch Ungerechtigkeit dazu gereizt zu sein, sich dazu treiben lässt, unschuldigen Menschen Schaden zuzufügen.

V. 4. Herr, zeige mir deine Wege. Als „Wege Gottes“ bezeichnet David zuweilen, wie wir schon anderwärts (Ps. 5, 9; 18, 31) sahen, freundliche und glückliche Erfolge, noch öfter aber die Regel eines heiligen und gerechten Lebens. Da er indessen hier alsbald (V. 5) um Leitung in der göttlichen Wahrheit bittet, so wird der Gesamtinhalt seines Gebets sein, dass Gott seinen Knecht im Glauben an seine Verheißungen erhalte und nicht zugebe, dass er hierhin oder dorthin abweiche. Denn wenn wir so unsere Seelen in Geduld fassen, so werden wir nichts Verkehrtes unternehmen, da wir dann ja ganz abhängig von der Vorsehung Gottes sind. David bittet also an dieser Stelle nicht nur, dass Gott ihn durch seinen Geist regiere, damit er nicht vom rechten Wege abweiche, sondern vor allem, dass es ihm offenbar werde, dass Gott wahrhaftig und treu ist in seinen Verheißungen, damit er ruhig unter seinen Augen lebe. Falls jemand den allgemeinen Sinn vorzieht, dass David sich ruhig der Führung Gottes übergibt, so habe ich dagegen nicht viel einzuwenden. Indessen wird sich das Gebet auf Davids ganz besondere Lage beziehen: weil er sich vor Regungen der Ungeduld und Rachgier und vor unerlaubter Heftigkeit fürchtet, bittet er darum, dass ihm Gottes Verheißungen möchten tiefer ins Herz geschrieben werden. Wissen wir doch, dass wir im lebendigen Gedenken an Gottes Fürsorge das beste Mittel besitzen, den Versuchungen zu widerstehen. Diese Beziehung bleibt unverändert, auch wenn man unter den Wegen und Steigen Gottes Belehrungen über ein richtiges Leben versteht: immer blickt David auf die blinden Triebe, die uns, wenn Unglück uns quält, jählings auf weite Irrwege treiben, bis sie durch Gottes Wort gezügelt und beruhigt werden. Dann wäre der Sinn: O Gott, was auch geschehen mag, lass es niemals zu, dass ich von deinen Wegen abweiche und durch meinen Starrsinn oder durch irgendeine schlechte Begierde mich fortreißen lasse, sondern gib vielmehr, dass deine Wahrheit mich still und ruhig im Gehorsam gegen dich erhalte. Solches Gebet ist durchaus nicht überflüssig. Denn die eigene Erfahrung lehrt einen jeden von uns, wie schwer es hält, wenn Unglück unsere Sinne verdunkelt, in diesem Nebel zu erkennen, was wir tun müssen. Wenn nun David, der doch ein so ausgezeichneter Prophet war und ein so großes Licht der Erkenntnis besaß, diese Weisung nötig hatte, was wird dann aus uns werden, wenn Gott bei den Heimsuchungen nicht die Nebel zerstreut, damit sie uns nicht hindern, sein Licht zu schauen? Deshalb müssen wir immer, so oft eine Versuchung uns beunruhigt, bitten, dass Gottes Wahrheit uns voranleuchte, damit wir keine verkehrten Entschlüsse fassen und weit vom rechten Wege abirren. Zu beachten ist der Grund, den David dafür angibt: denn du bist der Gott, der mir hilft. Damit ruft er sich die Wohltaten, die er schon erfahren hat, ins Gedächtnis zurück, um sich in der Hoffnung für die Zukunft zu stärken. Dann bezeugt er aufs Neue seine Zuversicht: täglich harre ich dein. Der Grund solcher Zuversicht ist von der Natur Gottes selbst genommen, und gewissermaßen von seinem eigentlichen Amte. Denn weil der die Bewahrung der Gläubigen und die Fürsorge für ihre Notdurft übernommen hat, so ist er damit auch zugleich die Verpflichtung eingegangen, ihnen dieselbe Gnade bis ans Ende zu erweisen. Da aber unser Glaube dieser so großen Güte notwendig entsprechen muss, so bekennt David auch seinen Glauben und bezeugt zugleich, dass er darin beharren werde. Mit dem Worte „täglich“ gibt er nämlich zu erkennen, dass er mit unermüdlicher Standhaftigkeit an Gott hängt. Es ist aber eine Eigentümlichkeit des Glaubens, in der größten Angst auf Gott zu sehen und sich ruhig auf seine verheißene Hilfe zu verlassen. Soll übrigens das Andenken an Gottes Wohltaten unsere Hoffnung nähren und aufrecht halten, so müssen wir lernen, immer daran zu denken, wie er sich uns schon bislang offenbart hat. So macht David das zu seiner Stütze, dass er den Herrn kennen gelernt hat als den Gott, der hilft.

V. 6. Gedenke, Herr, an deine Barmherzigkeit. Zunächst sehen wir hier, dass David hart gelitten haben muss, da fast jede Empfindung des göttlichen Erbarmens ihm geschwunden ist, denn er fordert Gott auf, an seine Gnade zu denken, - als wenn dieser ihn ganz vergessen hätte. Wir vernehmen hier also die Klage eines Menschen, der sehr ängstlich und traurig ist. Übrigens lernen wir hieraus, dass wir, wenn Gott uns auch für eine Zeit jedes Zeichen seiner Güte entzieht, sich um unser Elend nicht kümmert und uns verlässt, als wären wir ihm fremd, wir trotzdem tapfer kämpfen müssen, bis unser Geist sich aus der Versuchung zu der Bitte emporarbeitet, die wir hier hören, dass Gott gleichsam zu seiner alten Gewohnheit zurückkehre und aufs Neue anfange, so milde mit uns zu handeln, wie vorher. Diese Form des Gebets ist nämlich nur dann am Platze, wenn Gott sein Angesicht vor uns verbirgt und sich stellt, als ob er sich gar nicht um uns kümmere. Ferner, da David sich zu Gottes Erbarmen und Güte flüchtet, so bezeugt er damit, dass er nichts von seinen Verdiensten erhofft. Denn wer nur aus der Quelle der göttlichen Barmherzigkeit schöpft, der findet bei sich nichts, um dessen willen Gott verpflichtet wäre, ihm etwas zu vergelten. Da die Entziehung der Gnade ihm den Zugang zu Gott verschließt, so wendet David das beste Mittel an, um aufs Neue zu ihr zu gelangen. Denn da Gott von Natur barmherzig ist, so kann er, wenn er auch für eine Zeitlang seine Hand zurückhält, sich doch nicht selbst verleugnen, noch die ihm angeborene Neigung zur Barmherzigkeit ablegen. Von seiner Barmherzigkeit kann er ebenso wenig lassen, als er sein ewiges Wesen verändern kann. Wir müssen diese Lehre festhalten, dass Gott von Anfang an barmherzig gewesen ist, damit wenn er uns einmal hart und unerbittlich erscheint, wir nicht auf den Gedanken kommen, dass er ein anderer geworden sei oder seinen Vorsatz geändert habe. Hieraus wird es uns auch klar, weswegen die Schrift so oft erzählt, dass Gott zu allen Zeiten voll Erbarmen auf die Seinen geblickt hat. Es soll uns unerschütterlich gewiss werden, dass Gottes Güte niemals verlischt, wenn sie auch zuweilen verborgen und begraben scheint.

V. 7. Gedenke nicht der Sünden meiner Jugend. Da unsere Sünden eine Mauer aufrichten zwischen uns und Gott, so dass er unsere Gebete nicht erhört noch seine Hand ausstreckt, um uns zu helfen, so nimmt David dieses Hindernis jetzt fort. Es ist ja eine allgemeine Wahrheit, dass die Menschen in verkehrter Weise und umsonst bitten, wenn sie nicht mit der Bitte um Vergebung beginnen. Denn es ist auf keine Gnade zu hoffen, wenn Gott uns nicht geneigt ist. Wie soll er uns aber lieben, wenn er uns nicht zuerst aus Gnaden mit sich versöhnt hat? Die rechte Ordnung beim Beten ist also, wie gesagt, dass wir zuerst bitten, dass der uns unsere Sünden vergebe. David erklärt hier ausdrücklich, dass er der Gnade Gottes nicht teilhaftig werden könne, wenn seine Sünden nicht vorher getilgt seien. Will Gott also an seine Güte gedenken, so muss er unsere Sünden vergessen, da ihr Anblick uns seine Gunst entzieht. Wüten auch die Gottlosen gegen David in ungerechter Weise, so schrieb er es doch seinen eigenen Sünden zu, wenn er zu leiden hatte. Würde er sich wohl zu Gottes Erbarmen flüchten und um Vergebung seiner Sünden bitten, wenn er nicht erkannt hätte, dass er eine verdiente Strafe erleide? Er handelt weise, indem er sein Augenmerk auf die erste Ursache des Übels richtet, um ein wahres Heilmittel zu finden. Und das sollen wir auch von ihm lernen. Wenn ein äußeres Leiden uns drückt, so müssen wir Gott nicht nur bitten, dass er und davon befreie, sondern zunächst müssen wir ihn bitten, dass er unsere Sünden wegnehme, durch die wir seinen Zorn und die Strafe veranlasst haben. Andernfalls würden wir wie ein schlechter Arzt handeln, der die Ursache der Krankheit nicht beachtet, sondern nur den Schmerz mildert, indem er äußere Linderungsmittel zur Heilung anwendet. David bekennt aber nicht leichte Vergehungen, wie die Heuchler zu tun pflegen, die nur so nebenbei mit einem Worte ihre Schuld bekennen oder Ausflüchte suchen und die Größe ihrer Schuld verkleinern, sondern er kommt auf alles zurück, wodurch er von Kindheit an den Zorn Gottes sich zugezogen hat. Denn die Sünden, die er in seiner Jugend begangen hat, erwähnt er nicht deswegen, weil er sich keiner neuen Schuld bewusst ist, sondern um sich desto schuldiger vor Gott darzustellen. Zunächst denkt er also daran, dass er nicht erst seit kurzem angefangen hat, zu sündigen, sondern dass er schon von Anfang an Sünde auf Sünde gehäuft hat. Dadurch lädt er eine solche Schuldenlast auf sich, dass er sie fast nicht tragen kann. Dann zeigt er an, dass wenn Gott nach Recht mit ihm handeln wollte, er nicht nur die gestrigen Sünden und die Sünden weniger Tage richten müsste, sondern alle Vergehungen, die er sich von Kindheit an hat zu Schulden kommen lassen. So oft uns daher Gott mit den Gerichten seines Zorns erschreckt, müssen wir nicht nur unserer letzten Sünden gedenken, sondern alle Übertretungen unseres vergangenen Lebens müssen uns immer wieder aufs Neue mit Scham erfüllen, so dass wir über sie aufs Neue seufzen. Um nun ferner noch deutlicher auszudrücken, dass er nur Vergebung aus Gnaden suche, beruft sich David allein auf Gottes reine Güte. Er sagt also: Gedenke mein nach deiner Barmherzigkeit. Denn nur dann kann Gott uns mit väterlichen Augen anblicken, wenn er unsere Sünden vergisst. Und dass er uns so anblickt, dafür weiß David keinen anderen Grund anzugeben, als dass Gott gütig ist: dass er uns in seine Gnade aufnimmt, geschieht lediglich um seiner Güte willen. Wenn es heißt, dass Gott unser gedenkt nach seiner Güte, so wollen wir uns erinnern, dass es ein doppeltes Ansehen vonseiten Gottes gibt. Einmal wird von Gott gesagt, dass er die Menschen ansieht, wenn er ihre Sünden im Zorn heimsucht; und zweitens, wenn er Menschen, die für eine kurze Zeit von ihm verachtet schienen, aufs Neue seiner Gunst würdigt.

V. 8. Gut und rechtschaffen ist der Herr. David hält gleichsam für einen Augenblick inne im Gebet und überdenkt Gottes Güte, um sich dadurch aufs Neue und noch mehr zu ermuntern. Die Gläubigen fühlen es, dass sie dieses Sporns bedürfen; denn wenn sie hierdurch ihren Geist nicht beleben, wird er bald matt. Die anhaltende unermüdliche Andacht ist eben eine seltene und schwierige Sache. So wie dem Feuer, wenn es brennend bleiben soll, immer neuer Brennstoff zugeführt werden muss, so bedarf auch der Gebetseifer, damit er nicht erlahme und endlich ganz aufhöre, solcher Hilfsmittel. Deshalb sagt David, ums ich zum Ausharren zu ermahnen, sich selbst vor, dass Gott gut und rechtschaffen sei. Solche Betrachtung soll ihn stärken, dass er sich mit neuer Frische zum Gebet erhebe. Zu beachten ist die Folgerung, dass Gott, weil er gut und rechtschaffen ist, den Sündern die Hand reicht, um sie auf den rechten Weg zurückzuführen. Wenn man meint, dass Gott sich nur billig zeige gegen solche, die würdig sind und es verdient haben, so hat man eine viel zu geringe Vorstellung von Gott. Und doch denkt die Welt im Allgemeinen nicht anders von Gottes Güte. Wie kommt es, dass kaum der hundertste Teil Gottes Erbarmen auf sich bezieht? Liegt es nicht daran, dass die Menschen es nur auf die Würdigen beschränken? Aber hier hören wir, dass der Herr dann einen Beweis seiner Rechtschaffenheit gibt, wenn er die Sünder auf dem Wege unterweist. Das will sagen, dass er die Sünder zur Buße ruft und sie zu einem rechtschaffenen Leben erzieht. Und sicherlich, wenn Gottes Güte nicht zu denen käme, die darniederliegen, so würde keiner sie empfangen. Die Päpstlichen brüsten sich mit einer erdichteten Selbstbereitung für den Empfang der Gnade: wir aber wollen uns daran halten, dass, wenn Gott nicht mit seiner Gnade den Menschen zuvorkommt, es um sie alle geschehen ist. Diese zuvorkommende Gnade, wie sie genannt wird, rühmt David hier. Sie ist es, die den Menschen vielleicht schon im Anfang seines Lebens beruft, um durch den Geist der Wiedergeburt die verderbte Natur zu erneuern. Sie ist es aber auch, die im anderen Falle Menschgen, die durch ihre Sünden sich weit von Gott entfernt haben, von dem Abfall zurückbringt. Denn wenn diejenigen „Sünder“ genannt werden, die Gott zu seinen Jüngern angenommen hat, so folgt daraus, dass sie durch seinen Geist erneuert werden mussten, um gelehrig und folgsam zu werden.

V. 9. Er leitet die Elenden im Recht. Hier ist die Rede von der zweiten Gnade, die Gott seinen Gläubigen erweist. Diese besteht darin, dass sie, nachdem er ihnen sein Joch aufgelegt hat, sich gehorsam seiner Herrschaft unterwerfen. Diese Gelehrigkeit ist aber nie da, so lange der durch Stolz erhobene Geist noch nicht gebändigt ist. Unter den „Elenden“ oder „Gebeugten“ pflegen die Hebräer Leute zu verstehen, die arm und bedrückt sind, dann im übertragenen Sinne auch solche, die sich sanftmütig und bescheiden halten. Wahrscheinlich wird auch David hier an ein Doppeltes denken: an die Demütigungen, die den Trotz des Fleisches brechen, und an die Tugend der Demut selbst. Er will etwa sagen: nachdem Gott diese „Elenden“ gebeugt hat, streckt er seine gütige Hand aus und leitet sie während des ganzen Laufs ihres Lebens. Dass er sie „im Recht“ leitet und seinen Weg lehrt, verstehen viele Ausleger von einem gerechten und wohl geordneten Lebenswandel. Andere denken an Gottes schützende Vorsehung. Ich halte dies letzte für richtig und dem Zusammenhang entsprechend: denn der folgende Satz sagt von den Wegen des Herrn, dass sie eitel Güte und Wahrheit sind. Mithin ist der Sinn folgender: Menschen, die sich in Gottes Schutz begeben, weil sie in ihren eigenen Augen elend und gering sind, werden es merken, wie gut er für seine Kinder sorgt. Sein „Gericht“ und sein „Weg“ sind also nichts anderes als die Führung, durch die er zeigt, dass er, wie es sich für den besten Vater ziemt, für das Wohl der Seinen sorgt. Er erlöst die Bedrückten, richtet die Gefallenen auf, erheitert und tröstet die Traurigen und kommt den Elenden zu Hilfe. Jetzt sehen wir, wie Gottes Gnade gegen uns fortschreitet. Zunächst führt er die Verirrten und Flüchtigen auf den rechten Weg zurück. Darauf zügelt er unseren Trotz und bringt die, die früher ungebändigt waren, zum Gehorsam seiner Gerechtigkeit. Dann zieht er aber seine Hand nicht ab von den Mühseligen und Zerschlagenen, sondern nachdem er sie durch das Kreuz zur Demut und Bescheidenheit erzogen hat, erweist er sich ihnen als ein fürsorgender Vater, indem er ihr Leben leitet.

V. 10. Die Wege des Herrn sind eitel Güte und Wahrheit. Es ist ein Missgriff, diese Aussage auf die Lehre des göttlichen Gesetzes zu deuten, welche sich ihren Anhängern als wahr und süß erweisen soll. So hätten wir einen ähnlichen Sinn wie in dem Wort Christi (Mt. 11, 30): „Mein Joch ist sanft und meine Last ist leicht.“ Zu unserem Zusammenhange aber sind Gottes Wege nicht solche, die wir einschlagen sollen, sondern er uns führt: es ist an Gottes väterlichen Schutz und Fürsorge zu denken, ja an seine ganze Leitung des menschlichen Lebens. Der Satz will sagen: der Herr handelt also mit seinen Gläubigen, dass sie in allen Stücken seine Güte und zuverlässige Wahrhaftigkeit erkennen werden. Denn David berichtet hier nicht, wie Gott sich gegen das menschliche Geschlecht im Allgemeinen zeigt, sondern nur, wie seine Kinder ihn kennen lernen. Wir haben (zu Ps. 18, 27) gehört, dass Gott bei den Verkehrten verkehrt ist. Wenn er auch gütig verzeiht, so sehen wir doch, dass sie nichts davon fühlen, und sie sind weit davon entfernt, sich auf seine Verheißungen zu stützen und von ihm volles Glück zu erwarten. Im Gegenteil, sobald etwas Widerwärtiges sie trifft, murren sie und werden unwillig, halten Gott für grausam und klagen, dass er taub sei gegen ihre Bitten; in der Freude fliehen sie dagegen vor seinem Anblick. Deshalb bezeichnet David die Milde und Treue Gottes mit Recht als einen Schatz, den nur die Gläubigen besitzen. Er will eben damit sagen, dass wir nicht zu fürchten brauchen, dass Gott uns täusche, wenn wir in seinem Bunde bleiben. Gottes Bund, den die Frommen halten, wird dahin erläutert, dass es sich um seine Zeugnisse handelt. Darunter ist die ganze Lehre des Gesetzes begriffen, durch welche Gott mit seinem auserwählten Volk den Bund geschlossen hat.

V. 11. Um deines Namens willen sei gnädig. Diesen Vers verbinde ich in folgender Weise mit dem Vorhergehenden: Während der Prophet bei sich erwägt, dass Gott gut und treu ist gegen seine Verehrer, prüft er sich selbst und kommt dabei zu der Erkenntnis, dass er, wenn keine Vergebung statthat, sich zu dieser Zahl nicht zählen darf. Deshalb wendet er sich dem Gebete zu. Ähnlich sprach er Ps. 19, 12 von dem Lohn der den Gläubigen bestimmt ist, wenn sie das Gesetz halten. Dann ruft er plötzlich aus: „Wer kann merken, wie oft er fehle?“ Obgleich David weiß, wie gütig Gott denen, die seinen Bund bewahren, alles verspricht, was zu einem glücklichen Leben gehört, so beharrt er doch nicht in dieser Zuversicht, weil er sieht, dass er noch sehr weit von dieser vollkommenen Gesetzesgerechtigkeit entfernt ist. Stattdessen sucht er ein Heilmittel für die vielen Vergehungen, deren er sich bewusst ist. Deshalb müssen auch wir, damit Gott uns unter seine Knechte rechne, immer bitten, dass er in väterlicher Nachsicht unsere Schwachheiten trage. Denn ohne gnädige Vergebung der Sünden ist auf keine Bezahlung der Werke zu hoffen. Um es übrigens noch bestimmter auszusprechen, dass er ganz von der reinen Gnade Gottes abhänge, sagt David ausdrücklich: „um deines Namens willen“. Er gibt damit zu verstehen, dass Gott, wenn er den Seinen verzeiht, hierzu durch keinen Grund außer sich bestimmt werde. In ähnlicher Weise hat er kurz vorher gesagt: „um deiner Güte willen“. Doch trieb ihn auch die Größe seiner Schuld, Gottes Namen anzurufen. Denn bald nachher folgt das Bekenntnis, dass seine Missetat groß ist. Er will damit sagen: die schwere Last meiner Sünden drückt mich so sehr, dass die Größe und Schwere derselben mir fast die Hoffnung auf Verzeihung nehmen könnte, aber der unermessliche Ruhm deines Namens ist so groß, dass du mich nicht verwerfen wirst.

V. 12. Wer ist der, der den Herrn fürchtet? usw. Aufs Neue stärkt David sich dadurch, dass er überdenkt, wie Gott sich seinen Knechten gegenüber zeigt. Wir haben ja schon gesagt, dass sehr leicht die Andacht des Gebets bei uns ermattet, wenn der Gedanke an Gottes Verheißungen sie nicht rege erhält. Ohne Zweifel klagt David auf der einen Seite sich an und fasst doch auf der anderen Seite gute Hoffnung und ermahnt daraufhin sich selbst zur Furcht Gottes. Zunächst zeigt er nämlich, dass den Menschen deswegen die rechte Einsicht und das gesunde Urteil fehlen, weil sie sich nicht mit Scheu und Furcht dem Herrn ergeben, damit er ihnen den Weg zeige. Er schreibt es seiner Sorglosigkeit zu, dass sein Verstand verfinstert wurde, so dass er seinen Begierden folgte. Aber er verspricht sich auch wiederum, dass, wenn er sich nur dem Herrn als gelehriger Schüler naht, der heilige Geist sein Führer auf dem Wege sein werde. Die Frageform scheint darauf hinzudeuten, dass die Zahl derjenigen, die Gott fürchten, sehr gering ist. Denn wenn auch alle ohne Unterschied beten und einen gewissen Eifer in der Frömmigkeit zur Schau tragen, so gibt es doch selten einen, der sich selbst prüft, sondern fast alle ergeben sich dem Schlafe der Sicherheit. Daher ist Gottesfurcht sehr selten, und die Folge hiervon ist, dass der Welt meistens der Geist des Rates und der Weisheit fehlt. Sind wir aber nur bereit, Gott zu fürchten, so wird er es an dem Seinen nicht fehlen lassen, sondern uns mit dem Geiste der Weisheit erleuchten, damit wir den rechten Weg wählen. Wenn wir unsere Lebensrichtung bestimmen müssen, so stehen wir gleichsam an einem Scheidewege, ja bei allen einzelnen Unternehmungen sind wir zweifelhaft und ungewiss, wenn Gott uns nicht zu Hilfe kommt, um uns den rechten Weg zu zeigen. David sagt also, dass wenn die Menschen auch nicht wissen, was das Rechte ist und was sie erwählen müssen, so werde doch Gott, wenn sie sich ihm nur mit frommer Gelehrigkeit anschließen, um ihm zu folgen, für sie immer ein sicherer und treuer Führer sein. Da aber diese Gottesfurcht uns nicht angeboren ist, so würde der einen falschen Schluss ziehen, der meinte, dass Gott so lange warte, bis die Menschen sich durch ihre Vorbereitungen bei ihm in Gunst gesetzt hätten, und dass er dann erst ihre rechten Versuche unterstütze. Von der ersten Gnade hat David früher gesprochen. Damals hat er gesagt, dass Gott die Übertreter unterweise. Jetzt kommt er auf die zweite Gnade, die darin besteht, dass Gott denen, die schon gebändigt und gefügig geworden sind, mit seinem Geiste voranleuchtet, damit sie erkennen, was sie zu tun haben.

V. 13. Seine Seele wird im Guten wohnen. Das größte Glück des Menschen besteht darin, dass er nichts angreift und nichts versucht, was Gott ihm nicht befiehlt. Und es ist eine große, unvergleichliche Wohltat, wenn wir ihn zum Führer unseres Lebens haben. Denn dann werden wir nie abirren. Nun wird aber hierzu auch noch der irdische Segen als Zutat hinzugefügt, in dem die Frucht der vorhin genannten Gnade zur Erscheinung kommt, wie auch Paulus (1. Tim. 4, 8) lehrt: „Die Gottseligkeit ist zu allen Dingen nütze und hat die Verheißung dieses und des zukünftigen Lebens.“ Kurz, die wahren Verehrer Gottes sind nicht nur geistlich glücklich, sondern sie werden auch von Gott im gegenwärtigen Leben gesegnet. Allerdings werden sie nicht immer so behandelt wie sie es wohl wünschen, und ihr Leben fließt nicht immer gleich angenehm, ruhig und sicher dahin, wie sie es wohl möchten: sondern oft geschieht es, dass sie mit Mühsalen und Sorgen gequält werden, während die Gottlosen sich erfreuen. Aber wir müssen daran denken, dass Gott, wenn er ihnen seinen Segen entzieht, sie dadurch aufwecken will, damit sie fühlen, wie weit sie noch von der wahren Gottesfurcht entfernt sind. Indessen genießen sie die Wohltaten Gottes, soweit dieses ihnen eben nützlich ist, so dass sie doch im Vergleich mit den Kindern dieser Welt und mit den Verächtern Gottes wahrhaft glücklich sind. Denn auch bei dem größten Mangel sind sie doch davon überzeugt, dass Gott ihnen nahe ist, und sie ruhen in diesem sicheren Hafen des Trostes. Sicherlich ist es eine feststehende Wahrheit, dass all unser Elend aus der einen Quelle fließt, dass wir durch unsere Sünden den Lauf des göttlichen Segens hemmen, und dass trotzdem Gottes Gnade in diesem Wirrwarr leuchtet, so dass dennoch die Heiligen ein besseres Los haben als die anderen. Denn wenn sie auch nicht mit Gütern gesättigt werden, so schmecken sie doch fortwährend die väterliche Gunst Gottes. Darauf möchte ich es deuten, dass David ausdrücklich von der „Seele“ spricht: die Gläubigen sind nicht unempfindlich gegen Gottes Gaben; sie fühlen sich schon durch ein geringes Glück viel mehr befriedigt als die Gottlosen durch den größten Überfluss. Die Seele wohnt also dann im Guten, wenn ein jeder mit seinem Lose innerlich zufrieden ist und sich bemüht, mit Heiterkeit geduldig und ruhig zu sein. Zur Vergrößerung dieses Glücks wird an zweiter Stelle hinzugefügt, dass der Same der Gläubigen das Land ererben wird. Daraus folgt, dass Gott sie mit seiner Gunst auch weiter geleitet. So können wir schließen, dass der Tod für die Knechte Gottes kein Untergang sein wird, und dass sie nicht vergehen, wenn sie aus dieser Welt wandern, sondern dass sie trotzdem erhalten bleiben. Es würde ja widersinnig sein, wenn Gott denen das Leben raubte, um deren willen er andern wohltut. In welchem Sinne aber die Kinder der Heiligen das Land ererben sollen, werden wir zum 37. Psalm genauer hören.

V. 14. Das Geheimnis des Herrn usw. Hier wird mit anderen Worten bestätigt, was soeben schon gesagt wurde, dass Gott für alle Frommen ein Lehrer und Leiter sein werde; und in bekannter Weise wird diese Wahrheit selbst in unserem einen Vers doppelt ausgedrückt. Denn der Bund Gottes ist nichts anderes als sein Geheimnis oder sein Rat. Wird aber die Lehre des Gesetzes als ein göttliches Geheimnis bezeichnet, so dient dies zu ihrer Verherrlichung. Mögen unheilige Menschen Mose und die Propheten von oben herab betrachten, so spüren die Gläubigen doch, dass ihnen in ihrer Lehre himmlische Geheimnisse offenbart werden, welche alles Maß menschlicher Weisheit weit überragen. Daher muss ein jeder, der vom Gesetze rechten Nutzen haben will, die Lehre, die in demselben enthalten ist, ehrfurchtsvoll aufnehmen. Diese Stelle mahnt uns zur Bescheidenheit und Demut, dass wir nicht im Vertrauen auf unseren Geist und unsere Geschicklichkeit zu den Geheimnissen durchzubrechen trachten, deren Erkenntnis David hier als eine besondere Gabe Gottes bezeichnet (vgl. auch Ps. 111, 10). Ferner: da die Furcht Gottes hier als der Eingang zur rechten Erkenntnis bezeichnet wird, so wird nur der im Glauben wachsen, der ebenfalls in der Furcht Gottes fortschreitet. Übrigens, wenn die Frömmigkeit bei uns lebendig ist, so brauchen wir nicht zu fürchten, dass wir uns vergeblich abmühen, wenn wir Gott suchen. Gottes Bund ist ja ein Geheimnis, welches menschliches Fassungsvermögen übersteigt; aber da Gott nicht vergeblich sich suchen lassen will, so werden Menschen, die mit rechtem Eifer seine Verehrung erstreben, auch unter der Leitung des Geistes zu der himmlischen Weisheit gelangen, die zu ihrem Heile bestimmt ist. Unser Wort birgt auch einen Seitenhieb auf die Buchstabenknechte, die mit äußerer Unterwerfung unter das Gesetz sich begnügen und sich fälschlich und vergeblich als Teilhaber am Bunde Gottes ausgeben. Freilich gilt Gottes Rede unterschiedslos den Guten wie den Bösen, - aber wo man sie nicht mit aufrichtigem Herzen hört, bleibt man innerlich taub dafür. So sagt Jesaja (29, 11), dass den Gottlosen das Gesetz wie ein verschlossenes und versiegeltes Buch sein werde. Deshalb ist es nicht zu verwundern, dass hier die reinen Verehrer Gottes, denen er sein Geheimnis erschließt, von den Übeltätern und Heuchlern unterschieden werden. Weil David diese Hoffnung hat, tritt er getrost in Gottes Schule ein und führt auch die anderen hinein. Damit zeigt er deutlich, dass es eine verabscheuungswürdige Erfindung ist, wenn man die Masse des Christenvolkes von der heiligen Schrift wie von einem Irrgarten fernzuhalten sucht. Denn ausdrücklich werden hier Leute jeglichen Standes, wenn sie nur Gott von Herzen fürchten, zur Erkenntnis seines Bundes gerufen.

V. 15. Meine Augen sehen stets zu dem Herrn. Hier preist David seinen Glauben und die Beständigkeit desselben nicht, um sich zu rühmen, sondern um durch die Zuversicht auf Erhörung mehr Gebetsfreudigkeit zu bekommen. Denn allen, die auf Gott sehen, ist die Verheißung gegeben, dass ihre Hoffnung nicht eitel sein werde und dass sie nicht zuschanden werden können. Mit diesem Schilde rüsten sich die Gläubigen. Zugleich zeigt David den anderen durch sein Beispiel, wie sie beten müssen, nämlich dass ihre Gedanken dabei gespannt auf Gott gerichtet sein müssen. Mit den Augen, die der schärfste Sinn sind, und deren Tätigkeit den ganzen Menschen in Anspruch nimmt, werden oft alle Regungen zugleich bezeichnet, so dass „meine Augen sehen auf den Herrn“ etwa heißt: alle meine Gedanken sind auf Gott gerichtet. Der Grund, der hierfür angegeben wird, zeigt deutlich, dass mit dem Verlangen sich eine feste Hoffnung verbindet: denn Er wird meinen Fuß aus dem Netze ziehen. David will sagen, dass er sein Herz nicht zweifelnd und zitternd, sondern in der gewissen Überzeugung auf die Hilfe Gottes richte, dass Er ihm ein Befreier sein werde. Das Wort „Er“ hat einen besonderen Nachdruck. David rückt damit aus, dass er nicht hier und dorthin blicke, wie Leute, die bald hier, bald dort Hilfe zu sehen meinen, sondern dass er mit Gott allein zufrieden sei.

V. 16. Wende dich zu mir. Da der fleischliche Sinn uns einzureden sucht, dass Gott uns vergessen habe, wenn wir keine Hilfe von ihm erlangen, so entspricht es der natürlichen Ordnung, dass David zunächst bittet, Gott möge sich nach der bisherigen scheinbaren Vernachlässigung wieder zu ihm wenden. Ich verbinde die Worte nämlich in folgender Weise: Wende dich zu mir, damit du dich meiner erbarmst. Denn darin sieht David offenbar den Grund seiner Rettung, dass Gott sich zu ihm wendet und ihn wieder anschaut: daran knüpft sich dann die entsprechende Wirkung. Denn sobald Gott uns seiner Fürsorge würdigt, wird seine Hand auch bereit sein, uns zu helfen. Um nun den Herrn zum Mitleid zu bewegen, hält er ihm sein Elend vor: ich bin einsam und elend. Ohne Zweifel spielt er hiermit auf die Verheißungen an, durch die Gott verkündigt, dass er den Elenden und Verzweifelten nahe sei, um ihnen Hilfe zu bringen.

V. 17. Die Angst meines Herzens ist groß. Dieser Vers zeigt, dass David nicht nur mit Feinden zu kämpfen hatte und mit den Widerwärtigkeiten, die sie ihm bereiteten, sondern dass er auch innerlich durch Trauer und Angst gequält wurde. Denn er sagt uns von einer Menge von Sorgen, die so groß ist, dass sie sein ganzes Herz ausfüllt, - gleich als wenn reißende Wasserströme sich weit und breit ergießen und eine ganze Gegend überströmen. Wenn wir hier sehen, dass Davids ganzes Herz von Angst erfüllt war, so dürfen wir uns nicht wundern, wenn auch bei uns die Versuchungen einmal so stark werden, dass sie uns niederwerfen. Aber lasst uns mit David bitten, dass Gott uns gleich dann zu Hilfe komme, wenn die Not aufs höchste gestiegen ist.

V. 18. Siehe an meinen Jammer. Die stete Wiederholung dieser Klagen lässt ersehen, dass es keine leichten Leiden waren, durch die David versucht wurde. Darauf wollen wir ernstlich achten, dann werden wir in ähnlichen Prüfungen wissen, wie wir beten sollen. Denn der heilige Geist hält uns einen solchen Spiegel vor, damit unsere Herzen nicht der großen Last der Heimsuchungen unterliegen. Um eine Erleichterung in seinen Leiden zu bekommen, bittet David aufs Neue um Vergebung seiner Sünden. Er erinnert sich also dessen, was er soeben schon aussprach, dass man auf Gottes Güte nur hoffen kann, wenn man zuvor durch gnädige Vergebung mit ihm ausgesöhnt ist. Töricht sind Leute, die nur nach äußerer Befreiung ausschauen, aber ihr inwendiges Übel nicht aufdecken, sondern so viel an ihnen ist, vergessen und begraben wollen. David beginnt also, um ein Heilmittel für seine Leiden zu finden, mit der Vergebung der Sünden. Denn wenn Gott uns zürnt und feindlich gegen uns gesinnt ist, so muss alles notwendig unglücklich für uns auslaufen. Merken wir uns als Regel: mag der Herr auch verschiedene Zwecke haben, wenn er die Seinen durch Kreuz erzieht, so sollen wir doch in jeder Heimsuchung einen Anlass zur Erforschung unseres Gewissens sehen und in demütigem Gebet neue Versöhnung mit Gott suchen.

V. 19. Siehe, dass meiner Feinde so viele sind. In diesem Verse beklagt David sich über die Menge und die Grausamkeit seiner Feinde, da Gott umso geneigter ist, den Seinen zu helfen, je mehr sie bedrängt werden, und ihnen umso kräftiger hilft, je größer die Gefahr ist. – Sie hassen mich aus Frevel. Gemeint ist ein grausamer und tödlicher Hass. Denn die Wut der Feinde wollte sich nicht eher erschöpfen, als bis sie David umgebracht hätten. Darum ruft er Gott als Wächter seines Lebens an. Wir sehen daraus, dass er sich, wie schon gesagt, in der größten Not befand.

V. 20. Lass mich nicht zu Schanden werden. Einige Ausleger übersetzen: „Ich werde nicht zu Schanden werden.“ Dann hätten wir es mit einem Ausdruck der Zuversicht zu tun, als wäre das Gebet bereits erhört. Besser werden wir den Satz doch als eine Fortsetzung des Gebets verstehen. David möchte seine aufkeimende Hoffnung auf Errettung nicht betrogen sehen, wenn er sich ganz auf Gott stützt. Gibt es doch keinen wirksameren Antrieb zu ernstlichem und brünstigem Gebet, als wenn man bezeugen darf, dass man auf Gott traut. Umso mehr müssen wir Gott bitten, dass er unsere Hoffnung mehre, wenn sie gering ist, dass er sie erwecke, wenn sie träge ist, sie befestige, wenn sie schwankend ist, sie stärke, wenn sie schwach ist, und sie aufrichte, wenn sie am Boden liegt.

V. 21. Unsträflichkeit und Rechtschaffenheit mögen mich behüten. Einige halten dieses für eine einfache Bitte, als wenn David hier den Wunsch ausspräche, dass ihm eine reine und lautere Herzensgesinnung geschenkt werde, damit er sich nicht, um sein Leben zu beschützen, zur Rache und zu anderen unerlaubten Mitteln fortreißen lasse. Der Sinn ist dann folgender: O Herr, wenn mich auch mein Fleisch reizt, alle möglichen Hilfsmittel zu suchen, und auch die Unverschämtheit meiner Feinde mich hierzu treibt, so zügele doch die schlechten Neigungen in mir, damit ich rein und unbescholten bleibe und bei dem beharre, was billig ist, dass ich mich mit der Unsträflichkeit und Rechtschaffenheit begnüge, weil diese die besten Beschützer meines Heils sind. Ich neige mich jedoch mehr zu der ersten Auffassung, weil David alsbald ein Zeugnis davon gibt, dass er ein aufrichtiges Herz schon hat. Denn wer sagen kann: ich harre dein, wer also mit ruhigem und stillem Geist auf seines Gottes Hilfe wartet, wird lieber allerlei erdulden, als sich eine ungerechte Kampfesweise wider seine Feinde erlauben. So halte ich dafür, dass David hier bezeugen will, wie rechtschaffen er unter den Menschen gewandelt habe, sodass die Misshandlung vonseiten der Feinde eine völlig unverdiente war: und weil er somit ein gutes Gewissen hat, bittet er den Herrn, dass er als Rächer seiner Unschuld auftreten möge. Immerhin muss es uns überraschen, dass David seine Redlichkeit rühmt: denn er hat schon dreimal eingestanden, dass er mit Recht gezüchtigt werde. Diese Schwierigkeit ist jedoch schon an einer anderen Stelle gelöst. Wir haben damals gesagt, dass die Heiligen, wenn sie es nur mit sich selbst zu tun haben, immer mit der demütigen Bitte um Vergebung vor Gott hintreten. Aber dieses hindert sie nicht, auf die Güte ihrer Sache vor Gott hinzuweisen, wenn sie es mit böswilligen Feinden zu tun haben. Unentbehrlich ist aber auch der Zusatz: denn ich harre dein. Soll Gott die Verteidigung unserer Sache übernehmen, so ist es nicht genug, dass Recht und Gerechtigkeit auf unserer Seite sind, sondern wir müssen uns auch auf seine Verheißungen stützen und unter seinen Schutz flüchten. Es kommt nämlich oft vor, dass tapfere und beherzte Männer, wenn sie auf ihre geistige Tüchtigkeit und das Glück vertrauen, obgleich sie für eine gute Sache kämpfen, doch nicht den erwarteten Erfolg haben. Soll daher Gott der Rächer und Beschützer unserer Unschuld sein, so müssen wir uns zuerst gerecht und unbescholten gegen unsere Feinde erweisen und dann unsere Sache ihm anbefehlen.

V. 22. Gott, erlöse Israel. Dieser Schluss zeigt, was es für Feinde waren, über die David sich beklagt. Es ist anzunehmen, dass es innere Feinde waren, die als ein inneres Übel Gottes Volk beschwerten. Denn das Wort: „erlösen“ lässt darauf schließen, dass die Gemeinde sich damals in harter Knechtschaft befand. Ich zweifle nicht, dass dieser Psalm gegen Saul und die Leute gerichtet ist, die tyrannisch mit ihm herrschten. Zugleich ersehen wir, dass David nicht nur an sich denkt, sondern die allgemeine Lage des ganzen Volkes im Auge hat. Und die Gemeinschaft, die zwischen den Heiligen besteht, fordert es, dass die einzelnen die allgemeine Not als einen Druck empfinden und dass ein jeder hierüber vor Gott seufzte. Für David war der Gedanke, dass ihn nichts von der ganzen Gemeinde der Gläubigen unterscheide, sondern dass die Ungerechtigkeiten, die er zu erdulden hatte, alle Frommen treffen, eine große Stärkung seines Glaubens. Auch für uns muss als Regel gelten, dass ein jeder, wenn er seine eigenen Leiden beklagt, zugleich die ganze Gemeinde in seiner Sorge und in seinen Gebeten mit umfasst.

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