Nr. 71 (C. R. – 334)
Calvin, Jean - An Farel in Neuchatel (71).
Capito war an der Pest erkrankt. Die Straßburger Messe vom 29. August an wurde von französischen Kaufleuten besucht.
Wieder in Straßburg. Weiteres von Regensburg.
Da ich für mich am Reichstag keine weitere Verwendung mehr sah, habe ich mit großer Ruchlosigkeit meinen Urlaub eher erpresst als erlangt. Denn Butzer wollte mich kaum von sich gehen lassen und auch Philippus, der stets versprochen hatte, mir dabei zu helfen, wenn die Zeit komme, bat, ich solle bleiben. Ich habe mich aber auf jede Weise losgemacht. Es trieben mich jedoch mehr amtliche als persönliche Gründe dazu, so zu drängen. Ich sah, dass unsere Schule, seit Capito zu kränkeln anfing, Schaden litt. Ich fürchtete, dass an der heurigen Messe die Gemeinde meine Gegenwart wünsche. Aus diesen Gründen kamen denn auch die Unsern dazu, mich endlich zu beurlauben. Ich will dir kurz melden, wie die Sachen bei meiner Abreise standen. Seit wir in der Frage des Abendmahls einmal auseinander gekommen waren, war in keiner andern eine Übereinstimmung unter uns möglich. Du weißt, dass wir einstimmig der Meinung waren, die Wandlung sei eine erdichtete Sache und stehe nicht nur mit Gottes Wort, sondern auch mit dem Wesen des Sakraments im Widerspruch; die Anbetung sei entweder götzendienerisch oder doch zu gefährlich; auch die Aufbewahrung sei nicht frei von Aberglauben. Da unsere drei Delegierten fest auf diese Antwort bestanden, fuhr Granvella den Philippus mit scharfen Worten an, weil er hoffte, wenn dessen Widerstand gebrochen sei, so würden die beiden andern nicht mehr viel zu tun geben. Da er aber von ihm nichts erpressen konnte, zog er vor, zu anderm überzugehen. Unterdessen sandte der Markgraf von Brandenburg heimlich, aber nicht ohne Wissens des Kaisers, einen der Fürsten von Anhalt als Gesandten zu Luther, weil er hoffte, der werde in dieser Frage den Papisten gnädiger sein als wir alle, wegen des alten Streites [ums Abendmahl]. Was er mitbrachte, weiß ich noch nicht. Ich habe aber das feste Zutrauen, dass ihm Luther nicht schlecht geantwortet haben wird. Es blieben in der Abendmahlssache noch drei Fragen zu behandeln, das Messopfer, die Privatmessen, die Austeilung unter beiderlei Gestalt. Die Gegner gaben die Menge der Messen und den damit getriebenen Schacher preis und hielten bloß an einer Messe täglich in jeder Kirche fest; dazu mit der Bedingung, sie solle nicht ohne Zuhörer, denen das Wunder dargestellt werde, und unter Ermahnung zum Kommunizieren gehalten werden. Der Laienkelch solle frei gegeben werden, so dass ihn die bekämen, die ihn wünschten. Die Opfertheorie schminkten sie mit einer sophistischen Erklärung; woher sie die nahmen, das rate du selbst. Das alles wurde zurückgewiesen, von Philippus Thesen im gegenteiligen Sinn aufgestellt und vorgebracht. Dann kam man zur Beichte. Die Gegner waren dabei recht gemäßigt, gaben die genaue Aufzählung der begangenen Sünden preis, verlangten aber die Notwendigkeit der Beichte und der Absolution. Die Unsern gaben ihre Gegenthese ein. Ebenso wurde verhandelt über die Anrufung der Heiligen, den Primat des Papstes, die Autorität der Kirche; man konnte nicht übereinkommen. Alle unsere Artikel wurden dem Protokoll beigegeben. Der Kaiser dankte den Delegierten mit vielen freundlichen Worten für den treuen Dienst, den sie getan hätten. Er selbst berichtete dann die ganze Beratung den Ständen; und da nichts beschlossen werden konnte ohne das Protokoll, wurde es samt unsern Artikeln vorgelegt. Bald reute das aber den Kaiser. Doch weil es einmal beschlossen war, wollten die Stände, es solle gelten. Noch während dieser Verhandlungen wurde den Gesandten von Ungarn und Österreich, die flehend um Hilfe gebeten hatten, eine Reichstagsaudienz bewilligt. Da begann auch der Kaiser, die Stände sollten die Religionsfrage fallen lassen und sich zu dieser Beratung wenden. Als ich sah, dass dieser Waffenstillstand bewilligt wurde, wollte ich mir die Gelegenheit nicht entgehen lassen; so entkam ich. Ich habe den Gang der Ereignisse kurz angedeutet. Was sich auf geheime Beratungen bezieht, davon sollst du etwas hören, wenn ich komme. Ich möchte nur das von dir erreichen, dass wir Butzers Rückkehr abwarten. Was die Brüder angeht, die um des Evangeliums willen leiden, so habe ich nicht erreicht, was ich wollte. Die Sache hätte eine richtige Gesandtschaft gefordert, und das ertrugen die Zeitläufte, d. h. die bösen Leidenschaften der Menschen nicht. Einen Brief habe ich also erlangt. Das war schon geschehen, ehe ein Ratsbericht eintraf. Aber ich habe dafür gesorgt, dass nach deinem Wunsch daran geändert und eingerückt werde. Mehr hat nun nicht mehr Platz auf dem Papier. Richte das alles, wenns dir gut scheint, an Viret aus. Entschuldige mich bei ihm, dass ich ihm nicht geschrieben. Ich werde nämlich, glaub mirs, überlaufen von so viel Besuchen, dass ich kaum Atem holen kann. Lebwohl, liebster Bruder. Grüße alle angelegentlich. Der Herr behüte Euch Alle.
Straßburg, Juli 1541.
Dein Johannes Calvin.