Beste, Wilhelm - Wegweiser zum inneren Frieden - 60. Bei der Taufe eines Kindes.

Beste, Wilhelm - Wegweiser zum inneren Frieden - 60. Bei der Taufe eines Kindes.

Mark. 10, 13-16.

Und sie brachten Kindlein zu Jesu, dass er sie anrührte. Die Jünger aber fuhren Die an, die sie trugen. Da es aber Jesus sah, ward er unwillig und sprach zu ihnen: Lasst die Kindlein zu mir kommen. und wehret ihnen nicht; denn solcher ist das Reich Gottes. Wahrlich, ich sage euch: „Wer das Reich Gottes nicht empfängt als ein Kindlein, der wird nicht hineinkommen. Und er herzte sie und legte die Hände auf sie und segnete sie.“

„Sie brachten Kindlein zu Jesu, dass er sie anrührte.“ Mein Heiland, hast Du bei verhüllter Herrlichkeit in Deiner Knechtsgestalt die unmündigen Kindlein nicht umsonst berührt; hast Du damals mit Deinen Segenshänden Kräfte des ewigen Heiles ihnen mitgeteilt; wie sollte ich zweifeln, dass Du ihnen jetzt in Deiner schrankenlosen Majestät, wenn wir sie Dir zutragen, Gaben aus der Fülle Deines Gotteswesens mitteilen kannst! Ich glaube an die Kraft Deiner Taufe; ich glaube, dass Du hier wesentlich gegenwärtig bist und dieses Kind anrührst. Aber ich weiß auch, dass Du es durch uns anrühren willst. Wir sollen Dich haben, und Du sollst durch uns, aus uns diesem teuren Kinde gegeben werden. Welch eine gnadenvolle, große Aufgabe für uns Eltern und Paten! Du selbst hast diese Aufgabe so hoch gewürdigt. Deine Jünger meinten wohl, Du habest Erhabeneres zu tun, als die Kindlein anzurühren. Darum fuhren sie Die an, welche sie trugen. Du aber wurdest darüber unwillig und sprachst: „Lasst die Kindlein zu mir kommen und wehrt ihnen nicht; denn solcher ist das Reich Gottes.“ Dir ist es nichts Geringes, den Kindlein Deine heiligen Kräfte einzuströmen. Darum, o großer Kinderfreund, soll mir keine Arbeit höher und heiliger, keine Arbeit ehrenvoller sein als die Arbeit an den Seelen der Kinder. Und wie müssen wir Eltern insbesondere zu solchem Werke im tiefsten Gewissen uns getrieben fühlen, da uns eine große Schuld gegen unser Kind auf dem Herzen lastet! Es hat ja von uns eine traurige Erbschaft empfangen. In ihm schlummern die Keime der Sünde. Es hat sie von uns. Tun wir Nichts zur Tötung dieser Keime, so haben wir Schuld am Dasein eines unglücklichen Wesens und haben ein unseliges Wesen auf unserm Gewissen. Ich sollte meinen, Das müsste zu doppeltem Eifer uns drängen, mit Furcht und Zittern seine Seligkeit zu schaffen. Und zwar bald, bald! Denn der Herr spricht: „Wahrlich, ich sage euch, wer das Reich Gottes nicht empfängt als ein Kindlein, der wird nicht hineinkommen.“ Das Böse ist am leichtesten zu ertöten im Keime; der Ton ist am leichtesten zu bilden, wenn er noch weich ist. Darum ist an vielen Menschen die Zucht vergebens, weil sie nicht früh genug beginnt. Wer als Kind nicht das Reich Gottes empfängt, der empfängt es selten. Freilich ist noch eine Rettung möglich. Wenn der zuchtlose Mensch wieder ein Kind wird, so kann er noch gezogen werden. So bleibt jenes Wort des Herrn immer wahr. Aber wie Wenige werden Kinder, wenn sie nicht mehr Kinder sind! Nein auf diese gnadenvolle Begebenheit hin will ich an meinem Kinde nicht sündigen. Ich will beten und ringen, dass es als natürliches Kind in das Reich Gottes komme.

Aber in Bezug auf mich selbst will ich Gebrauch machen von der geistigen Bedeutung jener Worte des Herrn. Ich will wieder umkehren und ein Kind werden. Wahrlich, nur dann werde ich mein Kind anrühren können. Mit Recht sagt Luther: „Weil wir Kindern predigen, müssen wir auch mit ihnen lallen,“ und köstlich zeigt er uns im Gleichnis, dass wie Gott, um die Menschen zu erziehen, Mensch werden musste, so auch der Mensch, um ein Kind zu erziehen, Kind werden müsse.1) Aber wie Christus, indem er niedrig ward unter den Niedrigen, dennoch sein höheres Wesen in sich behielt: so wollen auch wir, indem wir uns herunterlassen zu den Kleinen, unsere Größe behalten. Wir wollen zu ihnen hinuntersteigen, um sie zu uns heraufzuziehen. Wie Christus nicht Sünder geworden ist unter den Sündern, so wollen wir auch nicht kindisch werden unter den Kindern, sondern wie Er die Würde behalten und ausstrahlen in der Erniedrigung. Es mag ja sein, dass wir aus den Kammern unseres Herzens allerlei lustiges Spielwerk ihnen hervorholen; aber wir sollen auch nicht unterlassen, von Zeit zu Zeit, selbst unter dem Spiel, ihnen aufzutun jene tief verborgene Kammer unseres Herzens, in welcher der Stern unserer himmlischen Glorie aufgegangen ist.

Doch ich spreche so viel von unserer Größe und Herrlichkeit, die wir den Kindern zeigen sollen. Ja freilich ist sie die beste Predigt, eine lebendige Predigt; was ist die Predigt mit Worten gegen die Predigt des Wesens! Aber wie komme ich zum Wesen? Wie komme ich zur Größe und Würde und Herrlichkeit? Ein Mensch kann Nichts nehmen, es werde ihm denn gegeben vom Himmel.2) Ich muss mir Alles schenken lassen. Sonst erlange ich Nichts. Und darum will ich ein Kind werden; denn Kinder lassen sich Alles schenken in Demut. So erst verbreitet sich mir die volle Klarheit über das Wort: „Wer das Reich Gottes nicht empfängt als ein Kindlein, der wird nicht hineinkommen.“ Und so will ich denn am heutigen Tage nicht bloß geloben und erbitten, ein Kind zu werden im Verhältnis zu meinem Kinde, sondern auch im Verhältnis zu meinem Vater. Dann gibt mir der Vater Seine beste Gabe, das höchste Gut, den heiligen Geist und durch den heiligen Geist Seinen Sohn. Dann wohnt in meinem Herzen Christus. Dann erst ist mein Kind an meinem Herzen geborgen. Und wenn ich es dann „herze,“ wird es gesegnet sein. Denn aus dem Herzen des Herzenden fließt der Geist in das Herz des Geherzten. Hab' ich Jesu Geist, so trinkt das Kind, das ich an mein Herz nehme, aus dem Borne des Lebens das Leben. O erfülle, heilige mich, Herr, um meines Kindes willen. Amen.

1)
„Niemand lasse sich hie zu klug dünken und verachte solch Kinderspiel; Christus, da er Menschen ziehen wollte, musste er Mensch werden; sollen wir Kinder ziehen, so müssen wir auch Kinder mit ihnen werden.“ Luther.
2)
Joh. 3, 27.
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