Spurgeon, Charles Haddon - Psalm 116

Spurgeon, Charles Haddon - Psalm 116

- Das ist mir lieb, dass der Herr meine Stimme und mein Flehen hört. - Denn er neigte sein Ohr zu mir; darum will ich ihn mein Leben lang anrufen, - Stricke des Todes hatten mich umfangen, und Ängste der Hölle hatten mich getroffen; ich kam in Jammer und Not. - Aber ich rief an den Namen des Herrn: 0 Herr, errette meine Seele! - Der Herr ist gnädig und gerecht, und unser Gott ist barmherzig. - Der Herr behütet die Einfältigen; wenn ich unterliege, so hilft er mir. - Sei nun wieder zufrieden, meine Seele; denn der Herr tut dir Gutes. - Denn du hast meine Seele aus dem Tode gerissen, mein Auge von den Tränen, meinen Fuß vom Gleiten. - Ich werde wandeln vor dem Herrn im Lande der Lebendigen. - Ich glaube, darum rede ich; ich werde aber sehr geplagt. - Ich sprach in meinem Zagen: Alle Menschen sind Lügner. - Wie soll ich dem Herrn vergelten alle sein Wohltat, die er an mir tut - Ich will den Kelch des Heils nehmen und des Herrn Namen predigen. - Ich will meine Gelübde dem Herrn bezahlen vor all seinem Volk. - Der Tod seiner Heiligen ist wertgehalten vor dem Herrn. - 0 Herr, ich bin dein Knecht; ich bin dein Knecht, deiner Magd Sohn. Du hast meine Bande zerrissen. - Dir will ich Dank opfern und des Herrn Namen predigen. - Ich will meine Gelübde dem Herrn bezahlen vor allem seinem Volk, - in den Höfen am Hause des Herrn, in dir, Jerusalem. Halleluja!

Thema

Der Psalm ist ein persönliches Glaubenslied. Der Gläubige wird durch das Passahfest an Knechtschaft und Befreiung erinnert und bringt dem Herrn Dank und Lob. Wir können uns den Israeliten mit dem Wanderstock in der Hand vorstellen, wie er singt: „Kehre wieder, meine Seele, zu deiner Ruhe!“ Und er denkt daran, wie die Familie Jakob aus Ägypten in das Land der Väter zurückkehrte. Dann trinkt er den Festbecher mit den Worten aus Vers 13: „Ich will den Kelch des Heils nehmen.“ Der Psalmist erinnert sich an seine eigene Erlösung und an die Erlösung des ganzen Volkes: „Du hast meine Bande zerrissen.“ Er fühlt sich mit seinem Volk besonders verbunden, wenn er an den Tempel und die herrliche Stadt denkt. Dabei verspricht er feierlich: „Ich will meine Gelübde dem Herrn bezahlen vor allem seinem Volk, in den Höfen am Hause des Herrn, in dir, Jerusalem.“ Persönliche Liebe zum Herrn durch persönliche Erfahrung der Erlösung ist das Thema dieses Psalms. Wir sehen, wie die Gebete der Erlösten beantwortet werden, wie sie in der Trübsal beschützt werden und in ihrem Gott Ruhe finden. Sie leben fröhlich vor dem Herrn, erfüllen ihre Pflichten und sind sich immer bewusst, dass sie für einen hohen Preis erkauft sind und sich nicht selbst gehören. Die Worte dieses Psalms zeigen auch die Erfahrung unseres Herrn Jesu Christi; er hat dieses Lied auch gesungen.

Einteilung

David Dickson gibt eine gute Einteilung dieses Psalms. Er sagt: „Dieser Psalm enthält ein dreifaches Versprechen des Psalmisten, Gott dankbar zu sein. i. Aus dankbarer Liebe will er immer im Gebet seine Zuflucht bei Gott suchen (Verse 1-3); die Gründe dafür sind in den folgenden Versen genannt (Verse 3-8). 2. Der Psalmist will einen heiligen Wandel führen (Vers 9); die Gründe dafür werden wieder in den folgenden Versen genannt (Verse 10-15). 3. Er will Gott immer loben und ihm immer dienen; seine Gelübde, die er in der Not gemacht hat, will er öffentlich vor der Gemeinde halten (Verse 14-19).

Auslegung

V. 1 „Das ist mir lieb.“ (Elberfelder Übersetzung: „Ich liebe den Herrn.“) Das sollte jeder Gläubige ohne Zögern bekennen können! Die Liebe wurde schon vom Gesetz gefordert, konnte aber niemals durch das Gesetz im Herzen des Menschen geweckt werden. Erst durch die Gnade Gottes und durch das Evangelium von Jesus Christus wird diese Liebe möglich. Sie ist die größte Gnadengabe und das sicherste Kennzeichen der Heilsgewissheit. Wie gut ist Gott, dass er sich so herab“ lässt, sich von uns armseligen Geschöpfen lieben zu lassen! Es ist ein deutlicher Beweis für das Werk Gottes in unseren Herzen, wenn wir sagen können: „Herr, du weißt alle Dinge, du weißt, dass ich dich liebhabe“ (Joh. 21, 17). „Der Herr hört meine Stimme und mein Flehen.“ (Elberfelder Übersetzung: „Denn er hörte meine Stimme, mein Flehen.“) Der Psalmist weiß nicht nur, dass er Gott liebt, sondern auch, warum er Gott liebt. Wenn die Liebe einen Grund hat, ist sie tief, stark, dauernd. Man sagt, dass die Liebe blind macht; aber wenn wir Gott lieben, hat unser Herz offene Augen und kann diese Liebe sogar logisch begründen. Wir haben unzählige Gründe, den Herrn zu lieben. Hier verbindet sich Vernunft und Gefühl auf harmonische Weise. David liebt den Herrn, weil der Herr seine Gebete hört. David gebraucht beim Beten auch seine „Stimme“; die Gewohnheit, laut zu beten, ist für unsere Andacht sehr gut. Man wird nicht so leicht abgelenkt. Manchmal hat David seine Stimme erhoben zu Gott, konnte aber vor Schmerz und Kummer kaum sprechen; er brachte nur zusammenhanglose Worte vor, so dass er nicht wagte, sein Seufzen ein Gebet zu nennen. Dennoch hörte der Herrn sein Flehen. So oft David zum Herrn kam, wurde er angenommen. Der Herr hat ihn gehört, und das bedeutet, dass er ihn angenommen hat. Deshalb liebte David den Herrn von ganzem Herzen. Erhörte Gebete verbinden unsere Herzen mit Gott. Wenn Gott Gebete beantwortet, erwächst daraus Liebe.

V. 2 „Denn er neigte sein Ohr zu mir.“ Gott beugt sich von der Höhe seiner Herrlichkeit herunter, um auf meine Gebete zu hören. Er ist wie ein behutsamer Arzt oder liebender Freund, der sich über den Kranken beugt, um jedes schwache Flüstern zu verstehen. Wenn unser Beten so schwach ist, dass wir es selbst kaum vernehmen und uns fragen, ob wir überhaupt beten, neigt Gott doch sein Ohr zu uns und achtet auf unser leisestes Flehen. „Darum will ich mein Leben lang ihn anrufen.“ (Elberfelder Übersetzung: „Ich will ihn anrufen in allen meinen Tagen.“) Jeden Tag meines Lebens will ich nur zu Gott beten. Ich will beten, ohne jemals damit aufzuhören. Man geht gern dorthin, wo man willkommen ist und freundlich behandelt wird. Das Wort „anrufen“ kann Lob und Bitte bedeuten. „Den Namen des Herrn anrufen“ bezeichnet das Gebet in den verschiedensten Ausdrucksformen. Wir werden in der Gewohnheit des Betens gestärkt, wenn unser Gebet trotz aller Schwäche gehört und nach der Kraft Gottes beantwortet wird. Deshalb sind wir fest entschlossen, unablässig weiterzubeten. Wenn uns ein Bettler erklärte, dass er uns immer weiter anbetteln wolle, weil wir ihm einmal seine Bitte erfüllt hätten, würde uns das ganz bestimmt nicht freuen. Gott aber freut sich darüber, wenn seine Bittsteller immer wieder zu ihm kommen. Daran erkennen wir die Größe seiner Güte und den Reichtum seiner Geduld. Lasst uns jeden Tag unseres Lebens zu dem Herrn aller Tage beten. Er verspricht uns, dass unsere Kraft dann für jeden Tag reichen soll.

V. 3 Der Psalmist beschreibt nun seine Lage, in der er sich befand, als er betete. „Stricke des Todes hatten mich umfangen.“ David war von einem Ring tödlicher Kümmernisse eingeschlossen wie ein Hirsch von Jägern und Hunden. Kein Fluchtweg blieb offen. Die Stricke der Sorge, der Schwachheit und Angst, mit denen der Tod die Menschen bindet, bevor er sie in die endlose Gefangenschaft wegschleppt, zogen sich um David zusammen.„Und Ängste der Hölle hatten mich getroffen.“ Furcht, wie sie verlorene Menschen quält, ergriff ihn, wühlte ihn auf und hielt ihn gefangen. Mit den Ängsten der Hölle meint David die Angst vor dem Tod und die Schrecken, die sich für uns mit dem Grab verbinden. „Ich kam in Jammer und Not.“ Je mehr er sein Elend zu ergründen versuchte, desto mehr wuchs es drohend an. Wie groß muss die Qual sein, wenn man Jammer und Not da findet, wo man sie am wenigsten erwartet hat?

V. 4 „Aber ich rief an den Namen des Herrn.“ Gebet ist zu keiner Zeit falsch am Platz. David betete gerade dann, wenn es am schlimmsten war. Es hatte für ihn keinen Zweck, Menschen anzurufen. Es schien fast ebenso aussichtslos, den Herrn um Hilfe zu bitten. Trotzdem rief David den Herrn von ganzem Herzen an und bewies damit echtes Vertrauen. Viele von uns können sich an schwere Not in ihrem Leben erinnern und sagen: „Da rief ich den Namen des Herrn an.“ Der Psalmist wendet sich an die Gnade, Macht, Wahrheit und Treue Gottes. Und er betet: „O Herr, errette meine Seele!“ Das ist ein kurzes, verständliches, konkretes, demütiges und ernstes Gebet. Es wäre gut, wenn wir uns in allen unseren Gebeten nach diesem Beispiel richteten. Vielleicht würden auch wir so beten, wenn wir uns in einer ähnlichen Lage wie der Psalmist befänden. Echte Not erzeugt echtes Gebet. Hier gibt es keine Häufung von nutzlosen Wörtern und keine schön geformten Sätze; alles ist einfach und natürlich. Da ist kein Wort zuviel und keines zu wenig.

V. 5 „Der Herr ist gnädig und gerecht.“ Gnade und Gerechtigkeit des Herrn zeigen sich in der Erhörung des Gebetes. Es ist große Gnade, dass der Herr das Gebet des Sünders hören will; aber er hat es versprochen, und er ist nicht ungerecht, seine Zusage zu vergessen. Die Verbindung von Gnade und Gerechtigkeit kann nur in dem Sühneopfer des Herrn Jesus Christus deutlich gemacht werden. Am Kreuz sehen wir, wie gnädig der Herr ist und wie gerecht. „Und unser Gott ist barmherzig.“ Er ist voll Mitleid, voll Liebe, voll Barmherzigkeit. Wir, die wir ihn im Glauben als unseren Gott angenommen haben, zweifeln keinen Augenblick an seiner Barmherzigkeit. Er wäre niemals unser Gott geworden, wenn er nicht barmherzig wäre. Achte darauf, wie die Gerechtigkeit Gottes zwischen zwei Wachen der Liebe steht: gnädig - gerecht - barmherzig. Das Schwert der Gerechtigkeit steckt in der Scheide der Gnade.

V. 6 „Der Herr behütet die einfältigen.“ Wer sehr gewitzt ist, kann gut für sich selber sorgen. Wer keine weltliche Schlauheit und List besitzt, sondern nur einfältig auf Gott vertrauen kann, darf sich darauf verlassen, dass Gott ihn beschützt. Die Klugen der Welt mit ihrer Klugheit werden in ihrer eigenen List gefangen. Wer aufrichtig und mit einfältiger Wahrhaftigkeit vor Gott wandelt, wird gegen alle hinter„ listigen Pläne der Feinde geschützt. Wer Gott vertraut, überlebt seine Feinde. Die Gläubigen leben wie Schafe unter den Wölfen. Es gibt aber mehr Schafe als Wölfe auf der Welt; und es ist sehr wahrscheinlich, dass die Schafe noch in Sicherheit weiden werden, wenn kein einziger Wolf mehr übrig ist. So sollen die Sanftmütigen das Erdreich besitzen, wenn die Gottlosen nicht mehr da sind. „Wenn ich unterliege, so hilft er mir.“ (Elberfelder Übersetzung: „Ich war elend, und er hat mich errettet.“) Einfältig wie ich war, der Herr ging nicht an mir vorüber. Obwohl ich niedergeschlagen, verleumdet und krank war, hat der Herr mir geholfen. Ein Kind Gottes kann auf vielerlei Weise ins Elend geraten; aber die Hilfe des Herrn ist so vielseitig wie die Not seines Volkes. Wenn wir arm geworden sind, erfüllt er unsere Notdurft. Wenn wir verlassen sind, erweckt er uns Freunde. Wenn wir verzweifelt sind, tröstet er uns. Wenn wir krank sind, stärkt oder heilt er uns. Das sollen wir zur Ehre des Herrn immer wieder bekennen. Damit helfen wir auch denen, die gerade im Elend sind. Achte auch darauf, dass David die allgemeine Wahrheit, dass der Herr die Einfältigen behütet, ganz persönlich mit seiner eigenen Erfahrung bezeugt. Wir sollten jede Wahrheit der Schrift auf uns persönlich anwenden und ihre Wirksamkeit selber erproben. Dadurch wird das Zeugnis Christi in uns und an uns bekräftigt, und wir sind lebendige Zeugen des Herrn, unseres Gottes.

V. 7 „Sei nun wieder zufrieden, meine Seele.“ (Elberfelder Übersetzung: „Kehre wieder, meine Seele, zu deiner Ruhe.“) David nennt die Ruhe noch immer sein eigen, und er fühlt sich innerlich frei, wieder zu ihr zurückzukehren. Auch wenn unsere Seele die Ruhe eine Weile verlassen hat, darf sie immer wieder sagen: Es ist noch immer eine Ruhe für dich da! Der Psalmist ist offensichtlich aus der Ruhe gebracht; sein Gemüt ist verstört und sein Geist durch die Trübsal beunruhigt. Aber jetzt kann er seine Seele beruhigen, weil er weiß, dass sein Gebet beantwortet ist. Er ruhte vorher in Gott, kennt die gesegnete Ruhe des Glaubens und kehrt deshalb zu seinem Gott zurück. Gott war schon immer die Zuflucht für seine Seele. Wie ein Vogel in sein Nest fliegt, so flieht die Seele zu ihrem Gott. Ein Kind Gottes soll so schnell wie möglich seinen Herzensfrieden wieder suchen, wenn es ihn auch nur für einen Augenblick verloren hat. Suche den Frieden nicht in der Welt oder in der eigenen Erfahrung, sondern nur bei dem Herrn. Wenn der Gläubige betet und der Herr sein Ohr herabneigt, ist der Weg zur alten Ruhe wieder frei. Zögere nicht, diesen Weg zu gehen. „Denn der Herr tut dir Gutes.“ Du dienst einem guten Gott. Du hast auf sicheren Grund gebaut. Suche nicht irgendwo anders deine Ruhe, sondern kehre zu ihm zurück, der dir schon früher in seiner Liebe soviel Gutes getan hat. Der Herr hat uns wirklich überfließend viel Gutes getan. Er hat uns seinen Sohn gegeben, und in ihm hat er uns alles geschenkt. Er hat uns seinen Geist gesandt, und durch ihn erhalten wir alle geistlichen Segnungen. Gott handelt an uns wie ein Gott. Er öffnet uns seine ganze Fülle, „und von seiner Fülle haben wir alle genommen Gnade um Gnade“ (Joh. 1, 16). Wir sitzen nicht am Tisch eines Geizhalses. Wir werden nicht durch eine arme Hand gekleidet. Wir werden nicht von einem missgünstigen Helfer versorgt. Wir wollen immer wieder zu ihm gehen, der uns mit so überströmender Güte behandelt hat.

V. 8 „Denn du hast meine Seele aus dem Tode gerissen, mein Auge von den Tränen, meinen Fuß vom Gleiten.“ Der dreieinige Gott hat uns eine dreifache Erlösung geschenkt: Unser Leben ist vor dem Grab verschont, unser Herz aus dem Kummer wieder aufgerichtet, und unser Lebensweg wird vor Schande bewahrt. Wir sollten uns nicht zufrieden geben, bis wir uns dieser dreifachen Erlösung bewusst geworden sind. Wenn unsere Seele vom Tod errettet ist, warum weinen wir noch? Bleibt noch irgend ein Grund zur Klage? Woher die Tränen? Und wenn unsere Tränen abgewischt worden sind:

Können wir es dulden, dass wir wieder in Sünde fallen? Lasst uns nicht ruhen, bis wir mit festem Schritt den Pfad der Gerechtigkeit gehen, jeder Schlinge entrinnen und jeden Stein des Anstoßes meiden. Errettung, Freude und Heiligung müssen zusammengehen; sie sind im Bund der Gnade für uns bereit. Der Tod ist besiegt, die Tränen sind getrocknet, und alle Furcht ist verbannt, wenn der Herr nahe ist.

Damit hat der Psalmist alle Gründe erläutert, warum er fest entschlossen ist, sein Leben lang den Herrn anzurufen. Niemand kann an der Richtigkeit dieses Entschlusses zweifeln. Wenn der Beter aus solcher Tiefe durch ein besonderes Eingreifen des Herrn gerettet worden ist, kann er nicht anders, als für immer ein treuer Anbeter des Herrn zu sein. Er verdankt ihm alles. Spüren wir nicht die Kraft dieser Beweisführung? Wollen wir uns nicht selber dazu entschließen? Möge uns der Heilige Geist helfen, dass wir ohne Aufhören beten und in allen Dingen dankbar sind, „denn das ist der Wille Gottes in Jesus Christus an euch“ (1. Thess. 5, 18).

V. 9 „Ich werde wandeln vor dem Herrn im Lande der Lebendigen.“ Das ist der zweite Entschluss des Psalmisten. Er will vor den Augen Gottes unter den Menschen leben. Der Wandel eines Menschen ist seine Lebensweise. Viele Leute leben nur unter den Augen ihrer Mitmenschen. Sie achten nur auf menschliche Meinung und menschliches Urteil. Der Gläubige denkt jeden Augenblick daran, dass Gott gegenwärtig ist, und handelt unter dem Einfluss seines Auges, das alles sieht. „Du, Gott, siehst mich“ ist ein viel stärkerer Ansporn als:

„Mein Chef sieht mich.“ Ein Leben im Glauben, in der Hoffnung, in heiliger Ehrfurcht und in wahrer Heiligkeit entsteht nur dadurch, dass wir uns bewusst sind, vor dem Herrn zu leben und unter seinen Augen zu wandeln. Wer erlebt hat, dass Gott in Güte auf Gebete antwortet, findet darin den besten Ansporn zu einem heiligen Leben. Wir wissen, dass Gott in besonderer Weise seinem Volk nahe ist; wie sollte unser Lebenswandel aussehen? Herr, heilige uns!

V. 10 „Ich glaube, darum rede ich.“ Ich könnte nicht vom Glauben sprechen, wenn es nicht durch den Glauben geschähe. Ich hätte niemals im Gebet zu Gott gesprochen oder meinen Mitmenschen ein Zeugnis gegeben, wenn mich nicht der Glaube lebendig erhalten hätte. Nun aber bin ich errettet, und ich habe Grund genug, zu reden. Von Gott sollte kein Mensch reden, wenn er nicht an ihn glaubt. Die Rede eines Zweiflers stiftet Unheil, aber die Worte eines Gläubigen dienen dem Heil. Nicht nur unser Psalmist, sondern auch Männer wie Luther, Calvin und andere große Glaubenszeugen konnten aus tiefstem Herzen sagen: „Ich glaube, darum rede ich.“ „Ich werde aber sehr geplagt.“ (Elberfelder Übersetzung: „Ich bin sehr gebeugt gewesen.“) Darüber besteht kein Zweifel. Die Trübsal war so schlimm und schrecklich, wie sie nur sein konnte. Aber weil ich von ihr befreit worden bin, bin ich ganz sicher, dass meine Errettung keine schwärmerische Selbsttäuschung ist. Meine Erlösung ist eine Tatsache. Deshalb will ich zur Ehre Gottes reden. Obwohl der Psalmist schwer angefochten war, hat er doch nicht aufgehört, Gott zu vertrauen. Sein Glaube wurde erprobt, aber nicht zerstört.

V. 11 „Ich sprach in meinem Zagen: Alle Menschen sind Lügner.“ (Elberfelder Übersetzung: „Ich sprach in meiner Bestürzung: Alle Menschen sind Lügner!“) In gewissem Sinn ist dieser Ausspruch wahr. Alle Menschen erweisen sich als Lügner, wenn wir zuviel Vertrauen in sie setzen. Einigen fehlt es an Aufrichtigkeit, anderen an Macht und Einfluss. Aber der Psalmist will seinen Ausspruch nicht rechtfertigen; er hat vorschnell geredet, in einem heftigen Ausbruch seines Temperaments. Deshalb sagt er: „Ich sprach in meiner Bestürzung.“ Er hat kein Recht, allen Menschen zu misstrauen. Viele sind ehrlich, aufrichtig und gewissenhaft. Es gibt treue Freunde und zuverlässige Anhänger. Wenn sie uns manchmal enttäuschen, sollten wir sie deswegen nicht Lügner nennen. Ihr Versagen kommt nicht aus einem Mangel an Hilfsbereitschaft, sondern aus Mangel an Hilfsmöglichkeiten. Unter dem seelischen Druck schwerer Trübsale passiert es leicht, dass wir voreilige Urteile über unsere Mitmenschen fällen. Deshalb müssen wir besonders gut aufpassen und unsere Zunge in acht nehmen. De; Psalmist glaubte, deshalb redete er; er zweifelte, deshalb redete er überstürzt. Er glaubte und betete zu Gott; er misstraute und klagte Menschen an. In dem einen Fall ist Reden gut, in dem anderen schlecht. Wer überstürzt redet, bereut es meistens hinterher. Es ist leichter etwas gesagt als das Gesagte zurückgenommen. Wir bedauern unsere Worte vielleicht, aber wir können sie nicht wieder zurücknehmen und den an“ gerichteten Schaden wieder gutmachen.

V. 12 „Wie soll ich dem Herrn vergelten alle seine Wohltat, die er an mir tut?“ David ist so vernünftig, nicht weiter über die Falschheit der Menschen zu schimpfen. Er wendet sich wieder Gott zu. Es nützt uns nichts, ständig darüber zu reden, wie unvollkommen und unzuverlässig die Menschen sind; es ist viel besser, die Vollkommenheit und Zuverlässigkeit des Herrn zu loben. Die Frage in diesem Vers ist sehr wichtig. Der Herr hat uns so viel Barmherzigkeit erwiesen, dass wir ständig um uns herum und in uns hinein schauen sollten mit der Frage: Was kann ich tun, um dem Herrn meine Dankbarkeit zu zeigen? Wir sollten mit heiligem Scharfsinn alle Möglichkeiten herausfinden, wie wir unserem Gott immer neuen Dank bringen können. Seine Segnungen sind so zahlreich, dass wir sie nicht zählen können. Unser Dank sollte im richtigen Verhältnis dazu stehen: Vielfach und vielseitig. Der Herr schenkt jedem von uns besonderen Segen; jeder von uns frage deshalb: „Wie soll ich dem Herrn danken?“

V. 13 „Ich will den Kelch des Heils nehmen.“ „Ich will nehmen“ ist eine seltsame Antwort auf die Frage „Wie soll ich vergelten?“ Aber es ist die weiseste Antwort, die überhaupt gegeben werden kann. Den Kelch des Heils nehmen bedeutet Anbetung. Dazu gehört auch, was der Psalmist weiter sagt: „Und des Herrn Namen predigen.“ Er spricht den Segenswunsch, bringt Gott seinen Dank und verkündigt den Namen des Herrn. Er trinkt von dem Kelch, den der Herr mit seiner Gnade gefüllt hat. Auf dem Tisch der unendlichen Liebe steht der volle Kelch des Heils. Es liegt bei uns, ihn im Glauben in die Hand zu nehmen, daraus zu trinken und am Heil Gottes teilzuhaben. Dann können wir mit fröhlichem Herzen den gnädigen Gott loben und preisen, der diesen Kelch für uns bereitet hat. Wir tun das sinnbildlich am Tisch des Herrn; wir tun das im Herzen, wenn wir den Kelch des Bundes ergreifen und durch den Glauben die Fülle des Segens in unser Herz aufnehmen. Lieber Leser, trinke aus dem Kelch, den Jesus gefüllt hat, und bete Gott an!

V. 14 „Ich will meine Gelübde dem Herrn bezahlen vor all seinem Volk.“ Der Psalmist beschließt, seine Gelübde zu erfüllen, die er in der Zeit der Not gemacht hat. Er will damit sofort anfangen und es öffentlich tun. Gute Entschlüsse kann man nicht schnell genug ausführen. Gelübde werden zu Schulden, und Schulden muss man bezahlen. Es ist gut, wenn man Zeugen dabei hat. Es gehören Zeugen dazu, wenn wir unsere heiligen Gelübde erfüllen. Wir beweisen damit, dass wir uns unseres Herrn nicht schämen. Es ist außerdem ein großer Segen für alle, die uns sehen und unser Lob Gottes hören. Wie können Gläubige das tun, die noch nie mit ihrem Mund den Heiland bekannt haben? Ihr stummen Jünger, was sagt ihr zu diesem Vers? Seid mutig! Kommt ans Licht und bekennt euren Erlöser! Wenn du gerettet worden bist, so tritt hervor und bezeuge das öffentlich.

V. 15 „Der Tod seiner Heiligen ist wertgehalten vor dem Herrn.“ (Elberfelder Übersetzung: „Kostbar ist in den Augen des. Herrn der Tod seiner Frommen.“) Deshalb ließ Gott den Psalmisten nicht sterben, sondern rettete ihn vor dem Tod. Wahrscheinlich will der Psalm die israelitischen Familien an die Barmherzigkeit Gottes erinnern, wenn ein Glied der Familie krank gewesen ist und wieder gesund wurde durch die Gnade des Herrn. Das Leben seiner Heiligen ist dem Herrn sehr wertvoll. Oft verschont er sie, wo andere umkommen. Sie sollen nicht vorzeitig sterben. Sie können nicht sterben, bis sie ihr Werk getan haben. Und wenn ihre Zeit gekommen ist, ist ihr Tod kostbar vor dem Herrn. Der Herr wacht über ihren Sterbebetten, glättet ihnen das Kissen, stärkt ihre Herzen und nimmt ihre Seelen auf. Wer mit dem kostbaren Blut Jesu erkauft ist, ist wertvoll für Gott. Die Sterbebetten der Heiligen sind auch für die Gemeinde sehr wertvoll; sie lernt oft viel von ihnen. Sterbebetten sind kostbar für alle Gläubigen, denen die letzten Worte der Sterbenden ein Vermächtnis sind. Aber für den Herrn ist der Tod seiner Heiligen am kostbarsten. Wenn wir vor dem Angesicht des Herrn gelebt haben, brauchen wir uns nicht zu fürchten, vor seinem Angesicht zu sterben.

V. 16 Während David sein Gelübde bezahlt, weiht er sich neu seinem Gott. Das Opfer, das er bringt, ist er selbst. „O Herr, ich bin dein Knecht.“ Ich bin dein; rechtmäßig, wirklich, von ganzem Herzen und für immer. Du hast mich befreit und erlöst. „Ich bin dein Knecht, deiner Magd Sohn.“ Meine Mutter war deine Magd; und ich, ihr Sohn, bekenne es, dass ich dir ganz und gar gehöre. Du hast schon aufgrund meiner Geburt Ansprüche an mich. Das sollten alle Kinder gläubiger Eltern sagen. Leider sind viele von ihnen keine Knechte des Herrn, obwohl sie Söhne einer Magd des Herrn sind. Die Gnade Gottes vererbt sich nicht. Davids Mutter war offenbar eine gläubige Frau. Daran dachte David gern, und er sieht darin eine Verpflichtung für sich, sein Leben dem Herrn zu weihen. „Du hast meine Bande zerrissen.“ Du hast mich aus der Sklaverei befreit, deshalb bin ich jetzt in deinem Dienst gebunden. Wer aus den Fesseln der Sünde, des Todes und der Hölle befreit ist, freut sich über das sanfte Joch des großen Erlösers.

V. 17 „Dir will ich Dank opfern.“ Weil ich dein Knecht bin, muss ich dir opfern. Weil ich geistlichen Segen von dir empfangen habe, will ich dir nicht Ochsen und Ziegen opfern, sondern das Beste, was ich habe: den Dank meines Herzens. Mein innerstes Wesen soll dich in Dankbarkeit anbeten. „Und des Herrn Namen predigen.“ (Elberfelder Übersetzung: „Und anrufen den Namen des Herrn.“) Ich will mich in Ehrfurcht vor dir beugen. Ich will mein Herz in Liebe zu dir erheben. Ich will deine Kraft in mich aufnehmen. Ich will dich für deine Offenbarungen loben. Mehrmals in diesem Psalm erklärt David, dass er den Namen des Herrn anrufen will. Je öfter wir den Herrn anrufen, desto besser.

V. 18 „Ich will meine Gelübde dem Herrn bezahlen vor allem Volk.“ Der Psalmist wiederholt auch diese Erklärung. Etwas Gutes kann man zweimal sagen. David spornt sich dadurch an, sein Gelübde noch eifriger, noch ernster, noch fleißiger zu halten. Die Gnade wurde ihm in der Stille geschenkt, den Dank erstattet er öffentlich. David wirft aber seine Perlen nicht vor die Säue: Er gibt sein Zeugnis vor denen, die es verstehen und schätzen können.

V. 19 „In den Höfen am Hause des Herrn.“ David gibt sein Zeugnis am richtigen Ort, dort, wo Gott bestimmt hatte, dass man ihn anbetet. „In dir, Jerusalem.“ Schon der bloße Gedanke an das geliebte Zion rührte sein Herz, und er redet Jerusalem direkt an. Jerusalem ist die geliebte Stadt. Dort will er seine Gelübde bezahlen. An der Stätte der Gemeinschaft, im Herzen von Judäa, wo die Stämme des Herrn hinaufziehen, will er Gott loben. Das Lob Gottes soll nicht auf ein Stübchen beschränkt bleiben; sein Name soll nicht in Ecken und Winkeln geflüstert werden, als hätten wir Angst davor, von den Menschen gehört zu werden. Nein, mitten in den großen Versammlungen wollen wir unsere Stimme für den Herrn erheben und andere zu dem Loblied einladen: „Halleluja! Lobt den Herrn!“

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