Murray, Andrew - Nach Jesu Bild - XII. Im Tun des Willens Gottes

Murray, Andrew - Nach Jesu Bild - XII. Im Tun des Willens Gottes

Ich bin vom Himmel gekommen, nicht, dass ich meinen Willen tue, sondern des, der mich gesandt hat.“ (Joh. 6,38).

In dem Willen Gottes drückt sich seine höchste Vollkommenheit und zugleich seine größte, göttliche Tatkraft aus. Ihm verdankt die Schöpfung ihr Dasein und ihre Schönheit; sie ist die Kundgebung des Willens Gottes. In der ganzen Natur wird der Wille Gottes erfüllt. Die Engel im Himmel finden ihre größte Seligkeit darin, den Willen Gottes zu tun. Darum wurde der Mensch mit einem selbständigen Willen erschaffen, damit Er die Fähigkeit habe den Willen Gottes zu erwählen, und aus freien Stücken denselben zu erfüllen. Aber ach, vom Teufel verführt, beging der Mensch die große Sünde, lieber seinen eigenen Willen zu tun, als den Willen Gottes. Ja, lieber seinen eigenen, als Gottes Willen! Hierin liegt die Wurzel und der Jammer der Sünde.

Jesus Christus ist dazu Mensch geworden, auf dass Er uns zu der Seligkeit, die im Tun des Willens Gottes liegt, zurückführe. Es war der große Zweck der Erlösung, uns und unseren Willen von der Herrschaft der Sünde zu befreien, und uns wieder dahin zu bringen, den Willen Gottes in unsrem ganzen Leben zu tun. Durch sein Erdenleben hat uns Jesus gezeigt, was es heißt, einzig und allein dem Willen Gottes zu leben; durch seinen Tod und seine Auferstehung hat Er uns die Kraft erworben, wie Er, dem Willen Gottes zu leben und denselben zu erfüllen.

„Siehe, ich komme, zu tun, Gott, deinen Willen.“ Diese Worte, welche der Heilige Geist viele Jahrhunderte vor Christi Geburt, durch einen seiner Propheten geredet hatte, sie sind der Schlüssel zu seinem Leben auf Erden. In des Zimmermanns Werkstätte zu Nazareth, am Jordan bei Johannes dem Täufer, in der Wüste bedroht von dem Satan, im öffentlichen Verkehr mit dem Volk, im Leben und im Sterben, - was war es, das Ihn beseelte, Ihn leitete und stärkte? Der heilige Wille des Vaters sollte in Ihm und durch Ihn zur Ausführung kommen.

Wir haben uns dies aber nicht vorzustellen, als habe es Ihn nichts gekostet. Wiederholt sagte Er: „Nicht mein Wille, sondern des Vaters Wille“, damit wir es verständen, dass Er in der Tat seinen eigenen Willen verleugnen musste. In Gethsemane erreichte diese Darangabe seines eigenen Willens ihren Höhepunkt, aber das, was dort geschah, war nur der vollkommenste Ausdruck dessen, was sein ganzes Leben dem Vater wohlgefällig gemacht hatte. Nicht darin liegt die Sünde, dass der Mensch einen Willen hat, der sich vom Willen des Schöpfers unterscheidet; sondern darin, dass Er auch dann an seinem eigenen Willen festhält, wenn er dem Willen des Schöpfers entgegen ist. Als Mensch hatte Jesus einen menschlichen Willen, Er kannte die natürlichen, freilich nicht die sündlichen Wünsche, welche der menschlichen Natur eigen sind. Als Mensch wusste Er auch nicht immer zum Voraus, was der Wille Gottes war. Er musste warten, und von seinem Vater jeweilen gelehrt werden, was sein Wille sei. Aber war Ihm dieser einmal klar geworden, dann war Er stets bereit, seinen eigenen menschlichen Willen aufzugeben und den Willen des Vaters zu tun. Hierin bestand der Wert seiner gänzlichen Selbstaufopferung. Er hatte sich, als Mensch, ein für allemal dahingegeben nur dem Willen Gottes zu leben, und war immer bereit, selbst im Kampf in Gethsemane und auf Golgatha, nur diesen Willen zu tun.

Dieses Leben des Gehorsams, welches der Herr Jesus im Fleische ausgeführt hat, wird uns nicht bloß zugerechnet, sondern auch durch den Heiligen Geist mitgeteilt. Durch seinen Tod hat Jesus unseren Eigenwillen und Ungehorsam gebüßt, und zwar dadurch, dass Er durch seinen vollkommenen Gehorsam denselben überwunden hat. Damit hat Er nicht nur die Schuld unsres Eigenwillens vor Gott ausgelöscht, sondern dessen Macht in uns gebrochen. Durch seine Auferstehung ist ein Leben aus dem Tode erstanden, das allen Eigenwillen besiegt und zerstört hat. Und der Christ, welcher die Kraft des Todes und der Auferstehung Jesu kennt, besitzt nun die Macht, sich selbst ganz und gar dem Willen Gottes zu weihen. Er weiß, dass der Ruf zur Nachfolge Jesu nichts geringeres bedeutet, als dass er die Worte des Meisters aufnehmen und dieselben zu seinem heiligen, feierlichen Gelübde machen soll: „Ich suche nicht meinen Willen, sondern des Vaters Willen.“

Um hierzu zu gelangen, müssen wir denselben Standpunkt einnehmen, wie unser HErr. Gottes Willen, im Ganzen und Einzelnen muss der Zweck unsres Lebens werden. Schauen wir die Sonne und den Mond, das Gras und die Blumen an, so sehen wir, dass die Herrlichkeit eines jeden darin besteht, dass es den Willen Gottes erfüllt. Bei ihnen ist es unbewusst; aber du, mein Bruder, kannst den Willen Gottes auf viel herrlichere Weise erfüllen, weil du Ihn kennst und dich freiwillig dazu hergibst. Lass dein Herz erfüllt werden von dem Gedanken, wie köstlich Gottes Wille ist in Bezug auf seine Kinder, in Bezug auf dich, und sprich es aus, dass dein Verlangen einzig darin besteht, dass dieser Wille an dir erfüllt werde. Gib dich dem Vater häufig und mit Bestimmtheit hin, indem du Ihm erklärst, es sei, wie für Jesus, so auch für dich eine ausgemachte Sache, dass sein guter und herrlicher Wille erfüllt werden müsse. In deinen Stunden stiller Andacht, sprich es öfters, mit freudigem, zuversichtlichem Herzen aus: „Gelobt sei Gott! Auch ich darf einzig und allein dafür leben, den Willen meines Gottes zu tun!“

Keine bange Furcht soll dich hiervon zurückhalten. Denke ja nicht, dass es für uns Menschen zu schwer sei; Gottes Wille scheint uns nur so lange schwer, als wir ihn nur von ferne betrachten, und uns demselben nicht unterwerfen wollen. Schaue doch noch einmal die Natur an, wie schön der Wille Gottes sie gemacht hat, und frage dich, ob es recht sei, Ihm zu misstrauen, da Er dich nun, als sein Kind, liebt und segnet? Der Wille Gottes ist der Wille seiner Liebe, wie kannst du fürchten, dich demselben zu überlassen?

Auch die Sorge, du möchtest diesem Willen nicht allezeit gehorchen können, soll dich nicht zurückhalten. Der Sohn Gottes kam auf unsere Erde um zu zeigen, was das Menschenleben werden soll und kann. Sein Auferstehungsleben gibt uns die Kraft zu leben, wie er lebte. Durch seinen Geist teilt uns Jesus die Fähigkeit mit, nicht nach dem Fleisch zu leben, sondern nach dem Willen Gottes.

„Ich komme zu tun, Gott, deinen Willen.“ Lange ehe Jesus auf die Erde kam, war ein Gläubiger des alten Testaments imstande, durch den Geist, dies Wort sowohl von sich selbst, als von Jesu zu sagen. Jesus nahm dieses Wort auf und erfüllte es mit neuer Lebenskraft. Und nun, seit Er auf Erden war, erwartet Er von seinen Erlösten, dass sie es noch völliger und freudiger zur Wahl ihres Herzens machen.

O, wir wollen es tun; wir müssen aber nicht damit anfangen, dass wir versuchen, ob es uns in einzelnen Fällen gelingt, Gottes Willen zu tun, in der Hoffnung, später einmal zu der völligen Übergabe unserer selbst zu gelangen, die da sprechen kann: „Ich komme, zu tun, Gott, deinen Willen.“ Nein, dies ist nicht der richtige Weg. Zuerst müssen wir Gottes Willen im großen Ganzen anerkennen sowohl in allen Ansprüchen, die er an uns zu machen hat, als in seiner Seligkeit und Herrlichkeit. Und dann wollen wir uns demselben rückhaltlos hingeben und als einen der ersten unserer Glaubenssätze bekennen: „Ich bin in der Welt, gleichwie Jesus, nur um des Vaters Willen zu tun.“ Diese Übergabe wird uns lehren jedweden Befehl und jedwede Lebensführung mit Freuden anzunehmen als einen Teil des Willens, welchen zu erfüllen wir uns bereits hingegeben haben. Diese Übergabe wird uns Mut machen, auf Gottes sichre Leitung zu warten, weil Derjenige, der nur dem Willen Gottes lebt, sich darauf verlassen kann, dass Gott ihn beim Wort genommen hat. Diese Übergabe wird das Bewusstsein unserer gänzlichen Ohnmacht in uns vertiefen, zugleich aber auch uns tiefer in die Gemeinschaft und Ähnlichkeit des geliebten Sohnes einführen, und uns all der Seligkeit teilhaftig machen, die der Sohn für uns bereitet hat. Durch nichts können wir Gott näher kommen oder inniger mit Jesu verbunden werden, als wenn wir den Willen Gottes lieben, ihn halten und tun.

Kind Gottes, eines der Hauptmerkmale unsrer Umgestaltung nach Jesu Bild, ist der Gehorsam, der einfache, unbedingte Gehorsam gegen den Willen Gottes. Mache dies zum hervorragendsten Zug deines Lebens. Fange damit an, dass du willig und von ganzem Herzen jeden, im heiligen Worte Gottes ausgesprochenen Befehl hältst. Fahre dann fort mit zarter Geschwindigkeit alles das zu befolgen, wozu dich dein Gewissen antreibt, auch wenn das Wort Gottes es nicht geradezu gebietet. Dann wirst du tiefer geführt werden; durch einen herzlichen Gehorsam gegen alle Gebote, so weit du sie erkannt hast und durch einen bereitwilligen Gehorsam gegen die Stimme des Gewissens, wirst du zubereitet werden für jene göttliche Unterweisung des Geistes, welche dir die Bedeutung und Anwendung der heiligen Schrift klar machen, und dich zu einem bestimmteren Bewusstsein dessen bringen wird, was im einzelnen Falle Gottes Wille für dich persönlich ist. Gott gibt seinen Heiligen Geist denen, welche Ihm gehorchen, und dadurch wird der köstliche Wille Gottes das Licht, das immer heller leuchtet, auf ihrem Pfad. Wie herrlich ist doch der Wille Gottes, wie selig der Gehorsam gegen diesen Willen! O dass wir es verstünden, diesen kostbaren Schatz recht zu würdigen und zu halten!

O mein Gott, ich danke dir für deine wunderbare Gabe. Dein Sohn ist Mensch geworden, um uns zu lehren, wie wir deinen Willen halten können. Ich danke dir für den herrlichen Beruf auch hierin Ihm ähnlich zu werden, mit Ihm die Seligkeit eines Lebens zu schmecken, das da mit deinem herrlichen und vollkommenen Willen völlig übereinstimmt. Ich danke dir, dass wir in Jesu die Kraft haben, deinen Willen zu tun und zu leiden. Ich danke dir, dass ich auch hierin dem erstgeborenen Sohne ähnlich sein darf.

Ich komme jetzt zu dir, mein Vater, um diesen meinen Beruf mit kindlichem, freudigem Vertrauen aufs neue aufzunehmen. HErr, ich möchte einzig und allein dafür leben, um deinen Willen zu tun. Ich möchte, gleich deinem Sohne, in der Gemeinschaft des Gebetes mit dir bleiben, in der festen Zuversicht, dass du mir Tag für Tag deinen Willen deutlicher zu erkennen geben wirst. O mein Vater, lass dieses mein Verlangen dir wohlgefällig sein; halte es auf ewig fest in meinem Herzen. Gib mir die Gnade mit wahrhaftiger Freude beständig zu sagen: Nicht mein Wille, sondern der Wille meines Vaters geschehe; ich bin nur deshalb auf Erden, um den Willen meines Gottes zu tun.“

Amen!

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