Tholuck, August - Der Segen der finstern Stunden im Christenleben.

Tholuck, August - Der Segen der finstern Stunden im Christenleben.

Eine Missionspredigt über Luc. 22, 31. 32.

von
Consistorialrath, Professor Dr. A. Tholuck in Halle.

Warum wir in der Verbreitung des seligmachenden Glaubens so lau sind? davon gibt es mancherlei Ursachen. Eine der vornehmsten ist ohne Zweifel die, daß es nicht immerdar uns lebendig genug vor Augen steht, was des Herrn Gnade an uns selbst gethan. Lasset uns daher an dem heutigen Tage ein Wort unsers Heilandes beherzigen, welches uns unter Hinweisung auf die Wunder der göttlichen Gnade, die an uns geschehen sind, uns dazu auffordert, auch den Brüdern das Heil entgegenzubringen.

Wir schließen unsere Andacht heute an das Wort an, welches der Herr Luc. 22, 31. 32. zu Petrus spricht:
„Der Herr aber sprach: Simon, Simon, siehe, der Satanas hat euer begehret, daß er euch möchte sichten, wie den Weizen. Ich aber habe für dich gebeten, daß dein Glaube nicht aufhöre. Und wenn du dermaleins dich bekehrest, so stärke deine Brüder.“

Nach Anleitung dieser Worte werden wir mit einander betrachten: den Segen der finstern Stunden im Christenleben, und zwar

  1. ihren Segen im Leben des Petrus, und
  2. den Segen, den sie in unserm eigenen Leben bringen sollen.

I.

Indem wir den Segen der finstern Stunden im Leben des Petrus betrachten wollen, richten wir unser Auge zuerst auf die finstere Stunde, sodann auf den betenden Heiland, und endlich auf den gesichteten Jünger.

Als einst ein griechischer Weiser, Aesop, gefragt wurde, womit Gott sich beschäftige, war seine Antwort: er erniedrigt das Hohe und erhöhet das Niedrige. Das war eine Antwort, von der man auch sagen kann, daß nicht Fleisch und Blut sie eingegeben habe. Denn es ist ein Wort, welches auf alle Weise durch die Geschichte des Reiches Gottes bestätiget wird, das auch auf eine merkwürdige Weise in der Geschichte des Apostels Petrus wahr wird. Sehen wir auf der einen Seite die hohe Auszeichnung dieses Jüngers, welchen der Herr den Felsengrund nennt, auf dem er seine Kirche erbauen will, und auf der andern, daß grade von diesem Jünger wehr als von einem Andern uns Schwächen und Fehltritte erzählt werden, die uns erschrecken, so kommt es Einem vor, als habe Jesus gerade ihn absichtlich auserlesen, um zu zeigen, daß er auch aus dem, das Nichts ist, Etwas machen könne. Dasselbe war der Fall mit dem Volke Israel. Warum anders hat er es erwählt, das Volk mit dem harten Nacken, als damit er zeige, daß er aus dem, das Nichts ist, Etwas machen könne. Der Apostel Petrus gehört zu jener Masse von Menschen, aus denen das Beste uni Schlimmste werden kann, deren Leben fortwährend sich in den stärksten Gegensätzen bewegt, jetzt im Himmel, jetzt im Abgrunde - in einem solchen Leben gibt's viele finstere Stunden, denn es geht immerfort von Nacht in Tag. Eine Stunde aber in seinem Leben ist vor allen anderen die finstere Stunde, und das ist diejenige, auf welcher der Heiland mit banger Andeutung schon mehrere Tage vorher hindeutet, gerade so, wie auf den Verrath des andern Jüngers, und es ist gut, daß er vorher darauf hindeutet; denn daß er nicht geirrt hat, das sehen wir daraus. Den Verrath des Einen wie den Fall des Andern hat er voraus gewußt und sie dennoch in seine Jüngerzahl aufgenommen; so muß auch der Verrath des Einen wie der Fall des Andern mit einbegriffen gewesen sein in den Plan des Heiles und hat die Heilsgedanken Gottes über sie nicht zu Schande machen können. Wie ihr es bei den alttestamentlichen Weissagungen wahrnehmet, daß, einer aufgehenden Sonne ähnlich, je näher die Zeit der Erfüllung kommt, sie auch desto deutlicher werden, so sehet ihr dasselbige auch bei den Weissagungen des Herrn, bei der über sein eigenes Leiden, bei der über den Judas und bei der über den Petrus. Bei dem Verräther könnt ihr das verfolgen von dem Augenblick an, wo es heißt: „Habe ich nicht Euer zwölf erwählet, und Euer Einer ist ein Teufel“ bis zu dem Worte: „der ist es, der mit mir in die Schüssel taucht.“ Bei Petrus heißt es zuerst, wie wir in unserm Texte lesen: „Simon, Simon, siehe der Satanas hat Euer begehret, daß er Euch möchte sichten wie den Waizen,“ dann heißt es: „Petrus ich sage dir, der Hahn wird heute nicht krähen, ehe denn du nicht dreimal verleugnest, daß du mich kennest.“ „Der Satan hat Eurer begehret, daß er Euch möchte sichten!“ so lautet das Wort des Herrn. O wie viel grauenhafter das Böse uns erscheint, wenn wir es nicht bloß betrachten als die Schwäche des eigenen Fleisches und Blutes, wenn der Finger des Herrn den Vorhang hebt und auf eine geheimnißvolle finstere Macht hindeutet, die des schwachen Sterblichen in seinen schwachen Stunden begehrt, und die da lacht, so oft Einer von ihnen gefallen ist. Der Satan hat meiner begehret! o wie schon dieser Eine Gedanke tief, tief des Jüngers Auge in sein eigenes Innere hätte kehren müssen! Noch wußte er freilich nicht, wohin er wachsam den Blick zu senden hatte; ach Eingänge für diese finstere Macht waren ja an allen Seiten seines schwachen Herzens, - doch auch das erfährt er: „dreimal wirst du mich verleugnen,“ sagt ihm der weissagende Mund seines Herrn, und doch - kommt die Stunde - und der Jünger fällt - mit großem Falle. Aber wie? fragt ihr, wie konnte er nun noch fallen? Freunde! daß wir ihn auch verrathen hätten allesammt in dieser Stunde, ich will das nicht sagen; hätte es doch auch nicht Jedweder unter den Jüngern gethan. Aber das will ich sagen, in wie mancher Stunde der Trübsal haben auch wir gerufen: Einmal nur noch; dies Eine Mal, Herr! zeige daß du mein Gott bist, und ich will mich nimmermehr an dir ärgern. Und er zeigte, daß er unser Gott war und die Stunde der Trübsal kam wieder und wir ärgerten uns an ihm, wie Petrus, und wir fielen wie er. O das menschliche Herz ist ein trotzig und verzagtes Ding, wer mag es ergründen?

„Ich aber habe für dich gebetet!“ spricht der Herr, und so lasset den betenden Heiland uns betrachten. Er hat für ihn gebetet, weil er zu den Seinigen gehörte. Er hat für ihn gebetet, weil der Grund seines Herzens das Wort aufgenommen hatte, was sein Heiland zu ihm geredet und er dadurch sein Eigenthum geworden war. „Ihr seid rein, sprach er zu ihnen, aber nicht alle,“ ihr seid jetzt rein, spricht er, um des Wortes willen, das ich zu euch geredet habe.„ Das Wort war der heilige Saame, der tief auch in des Petrus Brust gefallen war, daher er auch ausrufen konnte: Herr, wo sollen wir hingehen…… Der so des Wortes Kraft erfahren hatte, für den konnte der Herr beten, für den wurde die Stunde der Versuchung zu einer Stunde der Sichtung. Wunderbar klingt des Herrn Rede: „Der Satan hat eurer begehret, daß er euch sichte“ - daß er euch verderbe, sollte man erwarten. Das Sichten ist ja eine Wohlthat für den Menschen, ist Satan der Erzfeind ein Menschenfreund geworden? Unsere deutsche Uebersetzung sagt eigentlich mehr als der Urtext und doch nichts Falsches. Im Urtext heißt es: „der Satan hat eurer begehrt, daß er euch hin und her worfele“ d. i.: anfechte, ärgere - sehet, das ist die Absicht des Erzfeindes bei solcher Versuchung, dem liegt nur daran, den Menschen anzufechten, aber wo es nun wirklich Getraide ist, das so geworfelt wird, Getraide, das Körner hat, da ist dieses Worfeln selbst ein Sichten, da verfliegt die Spreu, das ist der Ausgang, den Gottes Gnade giebt. Auf dieselbige Weise ist nicht bloß bei Petro, sondern bei einem jeglichen Christen, der nur den heiligen Samen in sich hat, jedwede anscheinende Vernichtung eine Sichtung, jedwede Zerscheiterung eine Läuterung, jedweder Tod ein Morgenroth. Und so oft ihr die Worfschaufel fühlt, Brüder, denkt daran: der Heiland hat für euch gebetet und das Ende des Worfelns wird die Sichtung sein! So lasset uns denn den gesichteten Jünger mit einander betrachten. Es wohnt in Petrus ein ungemäßigtes Feuer, das bei jeder Gelegenheit hervorbricht. Immer nimmt er vor den Andern das Wort, immer geht er allen Andern voran mit der That. Solches Feuer ist es, was den Menschen zu großer Wirksamkeit nach außen geschickt macht. An sich ist ein solcher nicht besser denn Andere, denn solche natürliche Gaben theilt der Herr verschieden aus. Aber aus Rücksicht auf diese Gabe hat der Herr ihn den Felsenmann genannt, auf dessen Schultern sich das Gebäude seiner Kirche erheben sollte. Solchen natürlichen großen Eigenschaften stehen große Fehler zur Seite. Mit solchem natürlichen Feuer ist in der Regel gepaart der Hochmuth. Solche feurige Menschen können nach Außen mehr, darum meinen sie, sie sind mehr. Im klaren Bewußtsein mit Paulus zu sagen: „Ich habe mehr gearbeitet, denn sie alle,“ und doch zu gleicher Zeit mit ihm in Wahrheit zu bekennen: „ich bin der Geringste unter den Aposteln“ - dazu gehört unendlich viel. Zwar ist noch ein anderer Fehler bei demselbigen Jünger, den das menschliche Auge für noch verwerflicher halten würde: jenes Feuer wechselt mit den schwachen Stunden, wie ihr auch nachher noch in Antiochien sehet, daß er aus Menschenfurcht das bessere Wissen verleugnet. Eine solche Schwäche, wo das Herz nur demüthig ist, ist aber unendlich weniger verderblich als der Hochmuth.

Ihr sehet. Wie er in Antiochien sich willig von Paulus strafen läßt, und nach solcher Demüthigung wird er erst wieder recht stark. Die finstere Stunde der Sichtung soll daher bei Petrus vornehmlich den Hochmuth ausrotten. Mit der Demuth aber zog denn allerdings auch zugleich die rechte Kraft in den gesichteten Jünger ein. - Dreimal ist das Wort der Verläugnung über seine Lippen gegangen - der Hahn kräht - die Pforte des hohenpriesterlichen Pallasts öffnet sich — der gerichtete und verdammte Sohn Gottes tritt heraus. Petrus, wie ist dir nun zu Muthe? Es ist ihm zu Muthe, wie wenn über der in dunkler Nacht verübten Frevelthat auf einmal der Mond aufgeht. Das Gewissen in seiner Brust hat er zudecken können, jetzt tritt das Gewissen in der Person Jesu vor sein Angesicht, und er kann es nicht verdecken.

„Und Jesus, heißt es, wandte sich um, und blickte ihn an“ - und - heißt es weiter - „Petrus stürzte sich aus dem Hofe hinaus und weinte bitterlich.“

Auf einsamem Felde geht er umher. O ihr kennt sie wohl auch, jene Augenblicke, wo die Decke der Selbstverblendung dicht vor unserm Auge lag und Ein Wort der Schrift oder eines Freundes, oder unmittelbar ein Strahl des Gewissens auf einmal alle Schleier zerriß. Den ganzen Tag könnte man da sich hinsetzen und in Thränen baden, und alles um einen her kommt einem im andern Lichte vor, und was einem dann in solchen Stunden, wo der Himmel auf einmal sich abklärt, Alles einfallt aus frühern Zeiten, woran man vorher nicht gedacht hatte: alle verklungenen Töne früherer Ermahnungen und Warnungen fangen zu klingen an. So heißt es, daß mit jenem Blicke erst sich Petrus des Wortes vom Krähen des Hahns erinnert habe, so ist gewiß damals als er einsam umherirrte auch das Wort wieder vor die aufgewachte Seele getreten: „Simon, wenn du dich dermaleinst bekehrest, so stärke deine Brüder!“ Ja, Herr, wird er da mit Thränen gerufen haben in seiner Einsamkeit, nur diesesmal vergieb mir noch, wenn ich mich dermaleinst bekehre, so will ich auch meine Brüder stärken, will ihnen sagen von dem Selbstbetruge der Sünde, will ihnen sagen von deinem wunderbaren Blicke, will ihnen sagen von der wunderbaren Seligkeit, die es bringt, sich selbst zu verdammen, sobald man einen Erlöser hat. - Die Geschichte zeigt es uns, daß die finstere Stunde den Jünger gesichtet und für sein eigenes Inneres Frucht getragen hatte. „Und wenn sich alle an dir ärgerten, so will ich doch mich nimmermehr ärgern“ hat er vorher gerufen. Was sagt er, als beim letzten Abschiede der Herr ihn fragt: „Simon Johanna, hast du mich lieb?“ - „Herr, du weißt es, daß ich dich lieb habe.“ Sich selber traut er es nicht mehr zu, über sich selber Gericht zu halten und Urtheil zu sprechen, der Herr soll das Urtheil sprechen. Das Selbstvertrauen ist gebrochen, der Hochmuth ist zerknickt, die menschliche Schwäche ist göttliche Kraft geworden.

Die Sichtungsstunde hat aber auch nach außen hin Frucht getragen, hundertfältige und tausendfältige Frucht. Derselbige Jünger hat am Pfingstfeste den Grund gelegt für die neue Gemeinde. Dreitausend sind auf sein Wort an einem Tage hinzugethan worden. Er hat sich geißeln lassen um Christi willen, und ist hinausgegangen vor des Hohen Rathes Angesicht fröhlich, daß er werth geachtet sei, um des Namens Jesu willen Schmach zu leiden. Nach dem fernen Morgenlande hat er die Predigt von Christo getragen und nach der Hauptstadt des römischen Reichs, und das Wort des Heilandes: „wer nicht das Kreuz auf sich nimmt und folget mir nach,“ hat er buchstäblich erfüllt, er ist ihm nachgefolgt bis aufs Kreuz, denn er ist gestorben den Tod seines Herrn, wie ihm vorausverkündigt war. Joh. 21, 18.

II.

O ihr Heilige und Geliebte Gottes, welche Empfindungen weckt diese Geschichte in euren Seelen? Sehet, sehet, welchen Segen auch eure finstern Stunden für den Heiland bringen sollen! Ja Geliebte, die Welt würde voll Missionare werden, wenn sie alle, denen des Heilands Gebete aus ihren finstern Stunden geholfen, ihm solche Dankopfer ihrer Liebe bringen wollten, wie Petrus.

Wenn ich von finstern Stunden im Christenleben rede, so laßt mich erklären, was ich darunter verstehe. Es gibt zwei verschiedene Arten derselben. Es gibt erstens finstre Stunden im Christenleben, wo die Sonne untergegangen ist, aber es steht der Mond am Himmel oder wenigstens der ferne Abendstern: das sind die Stunden, wo die äußere Noth drängt und der Trost des Evangeliums fern ist, die Stunden, wo, wie die Schrift es ausdrückt, das Angesicht des Herrn verhüllt ist, Stunden wie die, wo David ruft: „Herr, sei mir gnädig, denn ich bin schwach, heile mich, Herr, denn meine Gebeine sind erschrocken, meine Seele ist sehr erschrocken, o Herr, wie so lange?“ Diese Stunde kennt ihr wohl allzumal? Und nicht wahr, ihr wißt es wohl, daß es manchmal in den Stunden schwer geworden ist zu glauben auf Hoffnung wider Hoffnung, daß ihr euch manchmal im Geiste am Rande des Abgrundes habt stehen sehen, an dem Petrus stand. Aber diese finsteren Stunden sind noch gar nicht die schrecklichsten, diese Nächte sind noch nicht grauenvoll, so lange der Abendstern von ferne winkt.

Aber es gibt noch eine andere Art von finstern Stunden, da wird es ganz Nacht, da verbirgt nicht bloß der Herr sein Angesicht, sondern Satan enthüllt das Seinige. Er tritt vor die geängstete Seele hin und spricht ihr von Trotz, Verleugnung und Verrath, „gib Gott den Abschied“ ruft er ihr zu, „und bete mich an, so will ich dir die Reiche der Welt und ihre Herrlichkeit geben.“ Das war die Stunde, da Hiob den Tag verfluchte, da er geboren war. Das war die Stunde, in welcher Assaph rief: „Soll es denn umsonst sein, daß mein Herz unsträflich lebet und ich meine Hände in Unschuld wasche? Schier hätte ich auch so gesagt, wie die Gottlosen, aber siehe, damit hätte ich verdammet alle deine Kinder, die je gewesen sind.“ Das war die Stunde, wo Judas vom Tische aufstund und ging hinaus in die Nacht. Nicht wahr, dieser oder jener unter euch hat es erfahren, daß es Stunden gibt, wo Satan unserer begehret? wo nur noch ein dünner, dünner Faden mit deinem Herrn dich zusammenknüpft, und an den legt Satan sein Messer und will ihn zerschneiden. Der Herr hatte für euch gebetet, und er zerschnitt ihn nicht. Nun ruft es laut: „Seele, das that ich für dich, was thust du für mich?“ „Simon, Simon, wenn du dich dermaleinst bekehrest, so stärke deine Brüder.“ Seid ihr denn alle in einer Weise oder in der andern Petri Genossen worden in seiner finstern Stunde und in seiner Sichtung, seid ihr hervorgegangen durch die Kraft und das Gebet eures Herrn aus den Stunden der Nacht als neugeborne Kindlein, o so tretet auch in Petri Fußtapfen und stärket eure Brüder. Versammelte Gemeinde der Christen - es trete in diesem Augenblick vor eure Seele, was ihr allzumal von Stunden der Noth, der Trübsal, der Verzweiflung, der Anfechtung kennt und ich sehe ein großes, großes Heer solcher Stunden kommen - es trete euch aber zugleich vor die Seele die vielfache Erweisung der Aushülfe, welche euch zu Theil worden und im Namen der ewigen Liebe, der ihr damals angelobt habt, ihr Dankopfer zu bringen, ermahne ich euch mit dem Worte des Herrn: o so bringet auch darin Dank, daß ihr thut, was ihr könnt, um eure Brüder im Glauben zu stärken, eure schwachen Brüder hier zu Lande, hier in euern Familien, eure noch weit schwächeren Brüdern, die den Namen Jesu nicht kennen unter den Heiden. Wie angenehm dem Herrn solche Dankopfer sind, ihr seht es ja aus der Ermahnung, die er dem Petrus gibt. Vielleicht, daß es etliche in eurer Mitte gibt, welche der Herr bestimmt hat, in eigener Person die Brüder zu stärken, die er unter den fernen Heiden hat; euch wird der Geist ein heiliges Zeugniß eures Berufes geben; wenn die finstern Stunden vorüber sind, wenn der innere Himmel sich abklärt, wenn die Sonne wieder glänzt, wenn ihr in den Staub gedemüthigt euch niederwerft als die Geringsten unter allen seinen Kindern, die nicht werth sind den Apostelnamen zuführen, dann wird eine himmlische Stimme mild und doch fest zu euch sagen: „Gehe du hin und bringe meine Schäflein aus der Heidenwelt zu meiner Heerde.“ Andere werden unter euch sein, denen, während sie nach den finstern Stunden ihre Thränen trocknen, dieselbe Stimme sagt: „Thue deinen Mund auf und schone deine Stimme nicht, und rufe laut zu meinen Kindern die den Namen haben, daß sie leben und sind doch todt, rufe laut ihnen zu: Stehe auf, der du schläfst, damit dich Christus erleuchte.“ O meine Freunde, nur ein gedemüthigter Prediger des Wortes Gottes kann es recht fruchtbar verkündigen, denn zur fruchtbaren Verkündigung des Wortes gehört Langmuth und Geduld und eine nie ermüdende suchende Liebe; diese Liebe kommt nur erst aus der Erfahrung, wie uns die ewige Liebe nie ermüdend gesucht hat, bis wir uns haben finden lassen. Aber auch ihr, die ihr hier im Lande zurückbleibt und euch angelegen sein lasset, hier in eurer nächsten Nähe eure Brüder zu stärken vergesset die Heiden nicht in der Ferne.

Noch leget bis zu dieser Stunde die Lauheit unserer Christen für das Missionswerk ein Zeugniß ab, daß der Ruf des Herrn: „Stärke deine Brüder!“ noch nicht in Fleisch und Blut der Gemeinden eingedrungen ist, und wenn Hunderte von Einzelnen ihre Gabe geben und Mancher auch auszöge ins ferne Land, eine Schmach ruhet auf unsrer Christenheit, so lange nicht ganze Gemeinden aufstehen zur Arbeit an dem heiligen Werke. Rufet euch ins Gedächtniß zurück, wie in den ersten zwei Jahrhunderten das Wort vom Kreuz über die Erde hingeeilt ist. In zwei Jahrhunderten hatte das Feuer der ersten Liebe in allen Landen des weiten römischen Reichs das Panier des Kreuzes aufgerichtet, und nicht tausend und hunderttausende, Millionen waren selig geworden im Namen Jesu. Und jetzt? Seit drei Jahrhunderten nennen wir uns evangelische Christen und kaum hat in vier oder fünf Ländern der Heidenwelt das Evangelium festen Fuß gefaßt. Freunde, Sache der Gemeinden muß das Missionswerk werden wie in der ersten Kirche. Prediger, Kirchenvorsteher und Gemeinden, - als ein Werk der Kirche müssen sie es betreiben.

Sind wir doch nicht Glieder der Gemeinden als abgesonderter und abgerissener Theile, sondern von Gottes Gnade Glieder der Gemeinde, über die Christus das Haupt ist, und deren Herberge, bis sie einst vor seinem Throne versammelt steht, die ganze weite Welt ist. So dürfen wir auch nicht mehr die Aufgabe unsers Amts für gelöst betrachten, und unsern Christenberuf für erfüllt, wenn wir nur ein Auge und Herz haben für die Noth der Brüder, die mit uns in den Mauern einer Stadt, im nähern Verbande unsrer Kirchengemeinschaft leben, wenn wir nur da Evangelium predigen, nur da Hungrige speisen und Nackende kleiden, und Kirche und Schule berathen, wenn wir als Einzelne Einzelnes thun, - wir sind durch den Glauben dem königlichen Priesterthum beigezählt, dessen selige Aufgabe es ist, in aller Welt die Tugenden dessen zu verkündigen, der uns berufen hat von der Finsterniß zu seinem wunderbaren Lichte! Verlangen wir zu viel, wenn wir begehren, daß jede Gemeinde, die sich nach Christo nennt, diese Sache des Reiches Christi als ihr eigene Angelegenheit aufs Herz nehme? Hoffen wir zu viel, wenn wir erwarten, daß noch einmal jede Gemeinde wenigstens Einen in diese Aerndte sende, der in ihrem Namen den Beruf ausrichte, die Brüder zu stärken! Ist die Forderung zu groß, wenn wir das Exempel der ersten Christengemeinde zu Jerusalem Euch zum Vorbild stellen, die Ein Herz und Eine Seele waren, und also Zeugniß gaben mit großer Kraft von der Auferstehung Christi und unter denen keiner von seiner Habe sprach: Sie ist mein! -

Was könnte, was würde geschehen, wenn der Geist Jesu Christi über unsere Gemeinden ausgegossen würde, daß sie sich bekehrten, wie Petrus sich bekehrte, wenn sie die Liebe Christi erkännten, wie er sie erkannte!

Erkennet dann euren Beruf, geliebte Brüder; habt das Ziel vor Augen, höret die Mahnung des Herrn! Hat Gottes Geist euch diese Worte nahe gebracht, so säumet auch nicht mit der That; und wenn ihr am Schlusse dieser Versammlung eure Gabe für die Heiden opfern werdet, so sei Euer Scherflein ein Zeugniß, daß Eurem Herzen die heilige Missionssache groß geworden sei, und daß ihr forthin den Ruf des Herrn als an Euch gerichtet erkennet: Der du bekehrt bist von der Finsterniß zum Lichte, auf, und stärke die Brüder! Amen.

Quelle: Fliedner, Theodor - Ein Herr, ein Glaube

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