Tholuck, August - Welches Heil hat der Menschheit nach dem Zeugnisse der himmlischen Geister die Geburt des Erlösers gebracht?

Tholuck, August - Welches Heil hat der Menschheit nach dem Zeugnisse der himmlischen Geister die Geburt des Erlösers gebracht?

Christliche Gemeinde! Wir sind in einer früheren Betrachtung in die schaudervollen Abgründe des menschlichen Herzens hinabgestiegen; wir wollen in unserer heutigen in die gnadenreichen Tiefen des Herzens Gottes uns versenken. Wir haben in jener früheren Betrachtung in die Nacht hineingeblickt, in welcher der letzte Lichtesstrahl erlischt: laßt uns in unserer heutigen in die Nacht blicken, aus welcher das Morgenroth der Menschheit aufgegangen, welches nie wieder untergeht. Den Text der heiligen Schrift, an welchen wir unsere heutige Erbauung knüpfen wollen, finden wir aufgezeichnet im Ev. Lucä im zweiten Capitel:
Es begab sich aber zu der Zeit, daß ein Gebot vom Kaiser Augusto ausging, daß alle Welt geschätzet würde. Und diese Schätzung war die allererste, und geschahe zu der Zeit, da Cyrenius Landpfleger in Syrien war. Und jedermann ging, daß er sich schätzen ließe, ein jeglicher in seine Stadt. Da machte sich auch auf Joseph aus Galiläa, aus der Stadt Nazareth, in das jüdische Land, zur Stadt Davids, die da heißt Bethlehem, darum, daß er von dem Hause und Geschlecht Davids war, auf daß er sich schätzen ließe mit Maria, seinem vertrauten Weibe, die war schwanger. Und als sie daselbst waren, kam die Zeit, daß sie gebären sollte. Und sie gebar ihren ersten Sohn, und wickelte ihn in Windeln, und legte ihn in eine Krippe, denn sie hatten sonst keinen Raum in der Herberge. Und es waren Hirten in derselbigen Gegend auf dem Felde bei den Hürden, die hüteten des Nachts ihrer Heerde. Und siehe, des Herrn Engel trat zu ihnen, und die Klarheit des Herrn leuchtete um sie; und sie fürchteten sich sehr. Und der Engel sprach zu ihnen: Fürchtet euch nicht, siehe, ich verkündige euch große Freude, die allem Volk widerfahren wird. Denn euch ist heute der Heiland geboren, welcher ist Christus, der Herr, in der Stadt Davids. Und das habt zum Zeichen, ihr werdet finden das Kind in Windeln gewickelt, und in einer Krippe liegend. Und alsobald war da bei dem Engel die Menge der himmlischen Heerscharen, die lobeten Gott und sprachen: Ehre sei Gott in der Höhe, und Friede auf Erden, und den Menschen ein Wohlgefallen!„

Der Trost, auf den Jahrtausende gewartet hatten, er war gekommen. Das Kind, das da heißt der Friedefürst, auf dessen Schultern die Herrschaft liegt, es war geboren. In Schlummer versenkt liegt die Welt da im Schooße der Nacht. Gesetzt, daß in jener heiligen Nacht das Auge einiger wenigen Weisen noch spät gewacht hätte in der Betrachtung göttlicher und menschlicher Dinge, wessen Ohr vernahm es, als in dieser heiligen Nacht der großen Weltuhr die Stunde schlug, welche die Geburt der Ewigkeit in die Zeit hinein verkündigte? In welches von ihnen Herz war es gekommen, daß in dieser Stunde der stillen Nacht, still wie sie selber, die zweite Schöpfung des Menschen stattfand, und damit die Wiedergeburt selber zu einem neuen, zu einem wahrhaftigen Dasein? Kein sterblicher Geist durchschaute das Geheimniß, nur das Auge der himmlischen Geister erschaute das Morgenroth, das aus jener feierlichen Nacht geboren wurde, und der Lobgesang läßt sich herab aus den höhern Sphären und wird dem irdischen Ohre vernehmbar: „Ehre sei Gott in der Höhe und Frieden auf Erden und den Menschen ein Wohlgefallen.“

Aus wessen Munde können wir es besser lernen, als aus dem ihrigen, was den Menschen in jener Nacht geschenkt ward! Und so lasset uns denn die Frage beantworten: Welches Heil hat der Menschheit nach dem Zeugniß der himmlischen Geister die Geburt des Erlösers gebracht? und nachdem wir die Antwort auf diese Frage vernommen, mit einander erwägen, wozu solches Heil uns auffordere.

Wohlgefallen an den Menschen - das ist der unterste Ton, den der himmlische Lobgesang anstimmt und von dem aus wir unsere Betrachtung beginnen. Schon war ein Tag dagewesen, wo dieser Lobgesang einst über der noch jungen Erde erschallte - es war der Tag, wo Gott den Menschen geschaffen hatte nach seinem Bilde in Wahrheit und Heiligkeit, wo die Morgensterne jauchzten und die Himmelsgeister frohlockten über den jüngeren Bruder, den auf der Erde die schaffende Liebe des Allmächtigen ins Daseyn gerufen, und wo Gott sprach: siehe, es ist Alles gut! Doch wenige Jahrhunderte später, und dieselbe göttliche Stimme ruft richtend über die Erde, wo alles Fleisch seinen Weg verderbt hat: „Der Menschen Bosheit ist groß auf Erden und alles Dichten und Trachten ist böse von Jugend auf.“ Das Gift der Sünde dringt in die Wurzel, in den Stamm der Menschheit, und wo ist der Zweig, der an diesem Stamme gewachsen, und den die Vergiftung nicht mit ergriffen hätte? Aus dem sündhaften Geschlecht wirst du geboren mit dem Zunder zu allem Bösen in deinem Herzen; die Sünde, die all' deine Vorväter geübt, du findest sie vor in all' ihren Würkungen um dich her. Von Kindheit an umringt dich die Verführung und wirft Funken in den Zunder, du wirst ergriffen von der allgemeinen Sündhaftigkeit deines Geschlechts, und indem du das Gift fühlst in dem innersten Kern deines Wesens, rufst du nicht bloß aus: wie elend bin ich! sondern: wie elend ist der Mensch! Thut auf eure Brust, es falle die Decke, welche eure geheimsten Gedanken und Neigungen verhüllt! Gott ist gegenwärtig - wer ist unter euch, der kühn vor sein Antlitz trete und sage: ich kann mich ihm zeigen, wie ich bin, er muß Wohlgefallen an mir haben? Ach! damit fängt ja bei allen, die da besser werden, ihr Besserwerden an, daß sie empfinden: das Paradies meiner Unschuld ist dahin, und das Wohlgefallen Gottes über mich ist in Mißfallen verwandelt. Und wie jeder Einzelne es tief in seinem Innersten empfindet: das Paradies der Unschuld ist dahin, so geht von Anbeginn die Sage durch alle Völker hindurch - von einem verlornen Paradiese der Menschheit. - Und wie soll es wiederkehren? Vergiftet ist der Stamm bis an die Wurzel, es dringt das Gift in alle Zweige! Greift nicht von oben her die Hand herab, die den gesunden Zweig in den Stamm einpflanzt, der in alle Adern desselben die Gesundheit verbreitet: aus dem Stamme selbst kann sie nicht quellen! Aber Christenheit jubele, jubelt ihr himmlischen Heerschaaren, die Hand hat herabgegriffen aus den Wolken, der gesunde Zweig ist eingepflanzt dem kranken Stamme, und in den kranken Leib der Menschheit ist das durch und durch gesunde, lebenskräftige Glied hineingeboren; um den kranken Körper zu heilen, hat es Theil genommen an seiner Krankheit und seinen Leiden. Ja, es ist der Menschheit mehr wiedergeschenkt in dem zweiten Adam, als sie in dem ersten verloren hatte - denn der Herr der Welt selbst ist herabgestiegen und Gott ist Fleisch geworden in Jesu von Nazareth. Der stehet nun und ruft: „Wer da dürstet, der komme zu mir und trinke. Wer an mich glaubt, von dessen Leibe werden Ströme des lebendigen Wassers fließen.“ Wie der Mensch durch die leibliche Geburt hineintritt in die Gemeinschaft der Sünde und des Todes, wie sie sich ausgebreitet hat von dem ersten gefallenen Urheber des Geschlechts: so gibt es eine geistige Geburt, durch die er hineingeboren werden kann in die geistige Verbindung mit jenem allein heiligen und reinen Sproß der Menschheit, und wer also in die Gemeinschaft getreten mit ihm durch den Glauben, der wird nicht mehr von Gott angesehen als zu der natürlichen, sündlichen Menschheit gehörig; ist er eingepflanzt in Christum, wie der Apostel sagt, so wird er auch als Einer mit ihm von Gott betrachtet, und das Wohlgefallen, das auf dem Sohne der Liebe ruht, ruht auf Allen, die Kinder dieses Sohnes der Liebe werden. „Sie sind alle Einer in Christo“ - sagt der Apostel; „sie sind alle angenehm gemacht in dem Geliebten“ - sagt er in einer andern Stelle. „Ich habe den Meinen gegeben, sagt der Herr, was du mir gegeben hast, auf daß sie Eins seien, gleichwie wir Eins sind, ich in ihnen und du in mir.“ Noth lag es verborgen in jener heiligen Nacht, das heilige Gottesfeuer, in der Krippe von Bethlehem, auf einen kleinen Punkt beschrankt. Aber dem Auge in der Höhe, welchem keine Zeiten und keine Räume Grenzen setzen, dem war es offenbar, wie von Bethlehem der Licht- und Lebensstrom sich hingießen würde durch alle Zeiten und Geschlechter, bis daß er alle todten Glieder, die da belebt seyn wollen, ergriffen haben würde, und mit heiligem Feuer verzehrt die Sünde sammt dem Tode, bis daß der neue Himmel und die neue Erde wiederkommen würden, auf denen die Gerechtigkeit wohnt. Was sein Auge schaute, das schauten auch die himmlischen Geister, und ihr Mund jubelte laut: die gefallene Menschheit ist wieder angenehm gemacht in dem Sohne seiner Liebe, Gott hat ein Wohlgefallen an der Menschheit!

Frieden auf Erden - so lautet der zweite Ton des himmlischen Akkords. Die Sünde in ihrem innersten Wesen ist Zwiespalt und Krieg; sie ist das sich Losreißen von dem heiligen Gotteswillen, und überall daher, wo sie ist, kann nichts Anderes seyn, denn Zwiespalt und Krieg. Krieg zieht mit der Sünde ein in die Verbindung des Menschen mit dem Menschen. Die Völker, weit über die Erde hin, von allen Farben und Zungen, sind sie nicht alle aus einem Blut entsprossen, sind sie nicht Brüder? Warum wetzen sie den Mordstahl gegen einander? Warum muß selbst die Woge des Meeres erzittern unter dem Dröhnen ihrer Mordgeschosse? Obrigkeit und Volk - sind sie nicht zusammen geordnet, wie Vater und Kinder? Warum erheben sie gewaltthätige Hände gegen einander? Vornehme und Geringe - sind sie nicht wie Glieder Eines Leibes? Warum hassen sie sich einander? - Nun, wenn Krieg draußen ist auf den Gassen der Städte, auf den Landstraßen und auf der Welle des Meeres, vielleicht wohnt der Friede doch daheim zwischen den vier Wänden. Es sind nicht bloß die Blutsbanden, die den Gatten an die Gattin, den Vater an den Sohn binden: hat doch auch das selbstische Interesse hier einen so großen Antheil. Aber wo sind sie zu finden, jene seligen Familienkreise, wo in der aufopfernden Liebe Einer des Andern Diener seyn will, dieweil sie alle dem himmlischen Vater dienen? Krieg und Zerwürfniß ist in allen Gestalten in das Familienleben eingezogen! Du kehrst das Auge in die eigene Brust, und siehe, da bist du erst mitten in den Kampfplatz getreten! Dein Verstand kämpft mit dem Willen, dein Wille mit der Phantasie, ein Gedanke mit dem andern, eine Neigung mit der andern, es kämpft und ringt dein Menschengeist mit dem Geiste Gottes! Es soll offenbar werden, nach Pauli Predigt, an dem Tage, wo Gott das Verborgene der Menschen durch Jesum Christum richten wird, wie das Gesetz im Herzen geschrieben steht, indem das Gewissen Zeugniß ablegt, dazu die Gedanken, die sich unter einander anklagen und entschuldigen. Laßt ihn uns näher betrachten, den Richtplatz in der eigenen Brust, von dem der Apostel hier redet (Röm. 2, 15.) Auf dem Richterstuhl die Schrift des Gesetzes Gottes, und vor demselben Gedanken als Ankläger, zur Seite der Ankläger als Zeuge der Friede des Gewissens, zur Seite der Verklagten die Schläge des Gewissens. - O wie viel Krieg im Herzen und im Hause, auf den Gassen und auf den Landstraßen: Wo bist du, o Friedensfürst, der du all' dem Kriege ein Ende machst? Da ruft wie aus heiterem Himmel in das Dunkel des Streits der Jünger der Liebe: „Sehet, welche Liebe hat uns der Vater erwiesen, daß wir sollen seine Kinder heißen!“ und an der Wiege des Friedensfürsten, dessen Reich ohne Ende ist, lobsingen die Engel: „An den Menschen ein Wohlgefallen und Frieden auf Erden.“ Ja, daß er ein Friedensbringer sei, das muß dem Herrn mit besonderer Deutlichkeit vor seinem Bewußtseyn gestanden haben. Wenn man scheidet, läßt man wohl denen, von welchen man sich trennt, ein Angedenken zurück: was lässest du, Himmlischer, uns zurück, wenn du zum Himmel zurückkehrst? „Den Frieden - sagt er - lasse ich euch.“ Für so eigenthümlich hat er dieses Geschenk gehalten, daß er hinzu setzt: „Ich gebe euch nicht, wie die Welt giebet, meinen Frieden gebe ich euch.“ In der ersten christlichen Gemeinde war dieser Friede, der durch ihre Seelen wallte, seitdem sie glaubten, etwas so Neues und Ueberraschendes, daß sie selbst den alten Gruß änderten, mit dem sie bis dahin sich anzureden pflegten, und statt dessen sagten: Gnade und Friede sei mit euch! Und eben dies erkennen wir als die vornehmsten der Güter, welche der Glaube schenkt. Der Glaube an das Wohlgefallen Gottes über diejenigen, die in Christo die Versöhnung ihrer Sünden gefunden haben, gibt zuerst Frieden dem Gewissen. Es ist ein Friedensschluß des Herzens mit Gott. Sicher Gottesfriede im Herzen gibt nun aber auch Frieden in der Familie und Frieden unter den Bürgern der Städte, wie unter den Völkern der Erde. Wo anders kommt Krieg her, als aus den zwei Stücken: daß der Mensch nicht aufhören kann zu begehren, und daß er andrerseits nicht anfangen kann zu vergeben? Beides wird anders bei einem Kinde Gottes, das den Frieden aus Gott schmeckt. Das ist das Wasser, von dem, wer einmal davon getrunken, immer auf's Neue trinken will. Darum geht bei einer solchen Seele alles Wünschen nach der unsichtbaren Welt hin, aus der der Gottesfriede kommt. Das unruhige Haschen und Ringen nach den vergänglichen Gütern hört aber auf, und darum hört eine solche Seele auf zu begehren nach dem, was der Brüder ist. Sie fängt aber auch an, die Vergebung zu lernen, die Vergebung von Herzen. Erinnert euch an jenes Gleichniß des Evangeliums von dem Herrn, dem sein Knecht 10.000 Pfund, an 15 Millionen Thaler, schuldig war, und, da er es nicht bezahlen konnte, Erlaß fand, der aber hinging und einen andern Mitknecht fand, der ihm 100 Denar schuldig war, eine Summe von 12 Thalern, und sie ihm nicht erlassen wollte. Was spricht sein Herr zu ihm? “ Du Schalksknecht, solltest du denn dich nicht auch erbarmen gegen deinen Mitknecht, wie ich mich über dich erbarmt habe?„ Der Knecht, dem sein Herr die 10,000 Pfund - die 15 Millionen Thaler - Schuld erlassen hat, das sind wir! Sehet, diese unendliche Schuld, wir hätten sie nimmermehr abtragen können, die wird freiwillig vergeben einem Jeden, der an den Herrn Christus von Herzen glaubt; und wenn nun unser Bruder kommt, und ist uns 100 Denar schuldig: dem sollten wir seine Schuld nicht erlassen? O wer es nur wahrhaft inne geworden, was der Herr ihm vergeben hat, nimmermehr kann der die Hand des reuigen Bruders zurückstoßen, der um Vergebung bittet: wer es nur selbst erfahren hat, was für ein königliches Privilegium unser Gott und Herr ausübte, da er in Christo Jesu all' unsere Schuld uns erließ, wie freut sich der, wenn der allmächtige Gott ihn würdigt, von demselbigen Privilegium Gebrauch zu machen und seinen Brüdern zu erlassen all' ihre Fehler! Sehet, so wird Friede gestiftet auf Erden durch den Glauben an das Wohlgefallen Gottes, das er uns erwiesen hat in seinem Sohne - Frieden in Herzen, Haus und Ländern. Und das ist's, Geliebte, was die alte Weissagung im voraus verkündigt hat, wenn sie bei der Geburt des Friedensfürsten, wie sie ihn nennt, weissagt: „Die Wölfe werden bei den Lämmern wohnen, und die Parder bei den Böcken liegen; Kühe und Bären werden an der Weide gehen, daß ihre Jungen bei einander liegen; man wird nicht verletzen noch verderben auf meinem heiligen Berge, denn das Land wird voll Erkenntniß des Herrn seyn, wie der Meeresgrund von Wasser bedeckt wird.“

Ehre sei Gott in der Höhe. Das ist der dritte Klang aus der heiligen Dreizahl des Lobgesanges. Ehre, das ist in der Sprache der Schrift: Preis, Lob und Dank. Daß diese Ehre von allen Geschaffenen dem Höchsten dargebracht werde, das ist die Bestimmung der Geschöpfe. Wenn sie alle, die Myriaden Geister, die auf der Erde, im Himmel und in der Himmel Himmel wohnen, aus Einem Herzen und Einem Munde das Loblied anstimmen: „Ehre sei dem, der da ist, der da war und der da seyn wird, und der da allein würdig ist zu nehmen Preis und Herrlichkeit von Ewigkeit zu Ewigkeit!“ - nur dann ist die Schöpfung, was sie seyn sollte. Auf der Erde konnte dieser Hochgesang des Lobes und der Liebe dem Ewigen nicht erschallen, nachdem die Menschheit vergessen hatte, wer ihr König und Herr sei; aber er konnte auch nicht erschallen in den Sphären der Himmel, so lange die Menschheit ohne Christus war. Versucht es, sie vor eurem Auge euch zu vergegenwärtigen, jene Frevelthaten, welche die Erde befleckt haben von Anfang an - alles unschuldig vergossene Blut von Abel an, alle Thränen der gekränkten Unschuld, alle Seufzer der unterdrückten Heiligen; zählet sie zusammen, alle die Schlachtopfer, die der Krieg hingerafft hat vom Anfang der Menschheit an; laßt sie vorüberziehen vor eurem Blicke, die Schaaren weinender Wittwen und Waisen, welche die Mordlust und Grausamkeit der Menschen ihrer Verräther beraubt; sehet, wie Jahrhunderte dahinschäumt der Strom der Menschheit, und jede Welle mehr oder weniger mit Blut befleckt und mit bittern Thränen vermischt, auch nicht eine einzige Welle hell und lauter - und über dieser Menschheit sollten die Engel singen können: Ehre sei Gott in der Höhe!? Brüder! sammelt, ich beschwöre euch, sammelt euch und denket den Einen Gedanken mit mir: und wenn es nun so fortginge ohne Ende! O der Freund der Menschheit muß sein Haupt verhüllen und weinen - nehmt Christus aus der Weltgeschichte, und ihr habt die Sonne aus dem Firmamente genommen, und es wird Alles finster. Aber siehe! „Ein Kind ist uns gegeben, ein Sohn ist uns geboren, dessen Name ist Wunderbar, Rath, Kraft, Held, ewiger Vater, Friedefürst, auf daß seine Herrschaft groß werde und des Friedens kein Ende.“ Und seine Boten verkünden mit großem Schall: „Gleich wie sie in Adam Alle gestorben sind, so sollen sie Alle lebendig werden in Christo.“ Er erschien auf Erden und zündete ein Feuer an, und Petrus verkündigte von ihm, daß er seitdem in den Himmel aufgenommen ist, bis auf die Zeit, wo Alles wiedergebracht werde. Nun ist die Ehre Gottes gerettet in der sündigen Menschheit, nun steht die himmlische Heerschaar und singet laut in prophetischem Geiste: Ehre sei Gott in der Höhe!“

Versammelte Gemeinde! Unter euch ist Keiner, der sich nicht Christ nennte! Wohlan! ihr seid also allzumal Menschen, die sich freuen über die Geburt Jesu Christi. O daß ihr es seyn möchtet! o daß ihr einstimmen möchtet in den Lobgesang, den die Engel singen! Lieber Mensch! des Wohlgefallens Gottes an dir mußt du bei dir gewiß seyn, du kannst sonst nicht ruhig leben. Ein Mensch, der durch dieses Leben wandelt und ist nicht des Wohlgefallens Gottes gewiß, der ist der Knabe auf offenem Kahne ohne Steuerruder auf den Fluthen der See. Es kann wohl nicht fehlen, es sind wohl ohne Zweifel so manche unter euch, welche die Frage sich niemals mit Ernst vorgelegt haben: hat auch Gott Wohlgefallen an dir? Der Augenblicke aber, wo mitten im Strudel irdischer Zerstreuung die Frage sich vordrängen will, hat es sicher in Jedwedes Leben gegeben. Kannst du ruhig leben, ohne des Wohlgefallens Gottes gewiß zu seyn, so kannst du doch nicht ruhig sterben. Sie wird für euch Alle kommen, die feierliche Sterbestunde, wo ihr verlangen werdet nach dem Wohlgefallen Gottes. Wo willst du dann die Gewißheit hernehmen? aus dir selber? Bist du nicht ganz und gar zum Pharisäer geworden, so wirst du sie in dir nicht finden. Darum, so suche sie, dieweil es noch Zeit ist! Suche sie bei dem, den Gott der Menschheit gemacht hat zur Weisheit und zur Gerechtigkeit, zur Heiligung und zur Erlösung! Mit dieser Gewißheit wird der Friede in deine Seele einziehen, und aus deiner Seele in dein Haus, und aus deinem Hause in deine Stadt und dein Land, und ein Jeder von euch wird dann dazu beitragen, daß die Zeit herbeikomme, wo Gottes Ehre wird gerechtfertigt seyn in der ganzen Menschheit.

Sieh' da, Christengemeinde, wozu der Gesang der himmlischen Heerschaaren dich auffordert. Ist alle menschliche Stimme nicht vermögend dich aufzuwecken aus deinem Schlummer, o daß es dann doch der Lobgesang thun möge, der sanft und himmlisch aus dem Himmel auf die Erde herabtönt! -

Cookies helfen bei der Bereitstellung von Inhalten. Diese Website verwendet Cookies. Mit der Nutzung der Website erklären Sie sich damit einverstanden, dass Cookies auf Ihrem Computer gespeichert werden. Außerdem bestätigen Sie, dass Sie unsere Datenschutzerklärung gelesen und verstanden haben. Wenn Sie nicht einverstanden sind, verlassen Sie die Website.Weitere Information
autoren/t/tholuck/hauptstuecke/tholuck_hauptstuecke_4_neu.txt · Zuletzt geändert: von aj
Public Domain Falls nicht anders bezeichnet, ist der Inhalt dieses Wikis unter der folgenden Lizenz veröffentlicht: Public Domain