Thiersch, Heinrich Wilhelm Josias - Die Gleichnisse Jesu Christi - Die Gleichnisse von dem ungestümen Freund und von der bedrängten Witwe. Lk 11, 5-10; Lk 18, 1-8

Thiersch, Heinrich Wilhelm Josias - Die Gleichnisse Jesu Christi - Die Gleichnisse von dem ungestümen Freund und von der bedrängten Witwe. Lk 11, 5-10; Lk 18, 1-8

Lukas 11, 5–10 5 Und er sprach zu ihnen: Welcher ist unter euch, der einen Freund hat und ginge zu ihm zu Mitternacht und spräche zu ihm: Lieber Freund, leihe mir drei Brote; 6 denn es ist mein Freund zu mir gekommen von der Straße, und ich habe nicht, was ich ihm vorlege; 7 und er drinnen würde antworten und sprechen: Mache mir keine Unruhe! die Tür ist schon zugeschlossen, und meine Kindlein sind bei mir in der Kammer; ich kann nicht aufstehen und dir geben. 8 Ich sage euch: Und ob er nicht aufsteht und gibt ihm, darum daß er sein Freund ist, so wird er doch um seines unverschämten Geilens willen aufstehen und ihm geben, wieviel er bedarf. 9 Und ich sage euch auch: Bittet, so wird euch gegeben; suchet, so werdet ihr finden; klopfet an, so wird euch aufgetan. 10 Denn wer da bittet, der nimmt; und wer da sucht, der findet; und wer da anklopft, dem wird aufgetan.

Lukas 18, 1–8 1 Er sagte ihnen aber ein Gleichnis davon, daß man allezeit beten und nicht laß werden solle, 2 und sprach: Es war ein Richter in einer Stadt, der fürchtete sich nicht vor Gott und scheute sich vor keinem Menschen. 3 Es war aber eine Witwe in dieser Stadt, die kam zu ihm und sprach: Rette mich von meinem Widersacher! 4 Und er wollte lange nicht. Darnach aber dachte er bei sich selbst: Ob ich mich schon vor Gott nicht fürchte noch vor keinem Menschen scheue, 5 dieweil aber mir diese Witwe so viel Mühe macht, will ich sie retten, auf daß sie nicht zuletzt komme und betäube mich. 6 Da sprach der HERR: Höret hier, was der ungerechte Richter sagt! 7 Sollte aber Gott nicht auch retten seine Auserwählten, die zu ihm Tag und Nacht rufen, und sollte er’s mit ihnen verziehen? 8 Ich sage euch: Er wird sie erretten in einer Kürze. Doch wenn des Menschen Sohn kommen wird, meinst du, daß er auch werde Glauben finden auf Erden?

Einer von den Jüngern des HErrn hatte im Namen aller die Bitte gestellt: „HErr, lehre Uns beten, wie auch Johannes seine Jünger beten lehrte.“

Der HErr ging darauf ein, und einen Teil Seiner Antwort bildet dieses Gleichnis von dem ungestümen Nachbar, der um Mitternacht vor die Haustür seines Freundes kam und von ihm drei Brote verlangte, um sie dem Gast, der spät und müde von der Reise bei ihm eingekehrt war, vorzusehen.

Der Freund weist ihn Anfangs zurück, weil es ihm unangenehm ist, wenn durch das Klopfen, Rufen, Lichtanzünden und Herumgehen die Kinder im Schlafzimmer aufwachen, die nachher nicht so leicht wieder einschlafen.

Aber weil der da unten nicht aufhört zu klopfen und zu rufen, gibt jener endlich nach. Wenn er ihm auch nicht wegen dessen, dass er sein Freund ist, die Bitte erfüllt, so tut er es doch wegen der Unverschämtheit und Zudringlichkeit des Bittenden, um· ihn los zu werden und Ruhe zu bekommen.

Ähnlich ist das andere Gleichnis beschaffen, durch welches der HErr ebenfalls lehren will, dass man allezeit beten und nicht ermatten soll.

Eine Witwe wurde von einem Wucherer bedrängt, der ihr durch Künste der Ungerechtigkeit alles rauben wollte. Niemand konnte ihr helfen, außer der Richter, dieser aber war ein Mensch, der sich um nichts kümmerte, ohne Gottesfurcht und rücksichtslos gegen die Menschen. Endlich aber, weil die Witwe nicht nachließ, sondern ihn Tag für Tag mit Bitten und Wehklagen bestürmte, gab er aus Ungeduld und Verdrießlichkeit nach und sprach in ihrer Sache Recht, um nur Ruhe vor ihr zu bekommen.

Gewiss zwei seltsame Gleichnisse, die befremdend klingen, wie das vom ungerechten Haushalter. Aber der HErr redet mit uns als mit solchen, die Seinen Sinn haben, und Er erwartet, dass wir Seine Worte auf eine verständige und Gottes würdige Weise auffassen.

Welche Ähnlichkeit hat Gott der HErr mit einem ungefälligen Freund und einem ungerechten Richter?

Antwort: keine. Denn Er ist der wahre Freund, Er ist der gerechte Richter.

Wenn wir nun sogar von einem ungefälligen Freund und von einem ungerechten Richter durch anhaltendes Bitten Hilfe bekommen können, wie vielmehr von Ihm, der die Liebe und Gerechtigkeit selber ist. Durch diese Gleichnisse lässt sich der HErr zu unserer Schwachheit herab, denn Er kennt diese Schwachheit. Er weiß, wie träge unser Herz zum Gebet ist und wie bald es müde wird zu bitten, und düsteren und misstrauischen Gedanken gegen Gott Raum gibt. Wenn die Hilfe verzieht, so lässt der Mensch sich abschrecken, er wirft sein Vertrauen zu Gott weg und versinkt in Gleichgültigkeit. Wie oft findet man Leidende, welche aufhören zu beten, sie sagen: „wir haben gebetet, und es hat nichts geholfen.“

Der HErr Jesus Christus aber kennt die Wege Gottes, der mit Seiner Hilfe verzieht und Seine Kinder warten lässt, damit sie recht in sich gehen, mit allem Ernst beten lernen, dadurch geübt, gedemütigt und geläutert werden und endlich Seine Hilfe desto herrlicher erfahren, und Ihm dafür desto inniger danken.

Durch solche Prüfungen sollen wir nicht irre werden; an die Weisheit und Güte Gottes sollen wir glauben, auch wenn unsere Erfahrung und unser Gefühl diesem Glauben widerspricht.

Wir sollen nicht irre werden, wenn Er eine Zeitlang schweigt und sich hart gegen uns hält. So hat ja Christus der HErr selbst gegen das kanaanäische Weib Sich gestellt, als wollte Er sie nicht hören, und ihr abweisende Antworten gegeben, während doch Sein Herz von Mitleid gegen sie erfüllt war und Er nur auf den rechten Zeitpunkt wartete, um Seine Macht und Liebe an der kranken Tochter, für welche sie bat, zu beweisen.

„Werfet euer Vertrauen nicht weg, welches eine große Belohnung hat“.

I. In dem ersten Gleichnisse bittet der Anklopfende nicht für sich selbst, sondern für den Gastfreund, der gekommen ist, um bei ihm Herberge und Erquickung zu finden.

Dadurch lehrt uns der HErr, dass unser Gebet rechtmäßig und Gott wohlgefällig ist, wenn es aus Liebe hervorgeht, und wenn uns darum zu tun ist, die Pflichten der Liebe zu erfüllen. Beten wir nicht sowohl für uns selbst, als für den Nächsten, so dürfen wir um so gewisser auf Erhörung hoffen. Suchen wir bei Ihm Hilfe und Trost für den Nächsten, so bitten wir im Sinne Jesu. Dies gilt von zeitlicher Not, in der wir unsere Mitbrüder sehen, und der wir aus eigner Kraft nicht abhelfen können. Dies gilt ganz besonders von geistlicher Not, wenn es denen, die uns ans Herz gelegt sind, an Erleuchtung und Gnade mangelt.

Diese Not fühlen Eltern, wenn sie bei der Erziehung ihrer Kinder auf Schwierigkeiten stoßen. Diese Not fühlen christliche Lehrer, welche die schwere Ausgabe haben, eine Gemeinde mit geistlicher Nahrung zu versorgen und in den Wegen des HErrn zu erhalten und zu fördern. Woher sollen wir nehmen, was wir hierzu bedürfen?

Aus uns selbst können wir die Weisheit und Gnade, welche zur Erziehung der Unsrigen oder zur Leitung einer Gemeinde nötig ist, nicht schöpfen. Wir müssen vor der Thür unseres himmlischen Vaters stehen, rufen und anklopfen. Bei Ihm ist die Fülle der Gnade, Er wird hören, antworten und aus Seinen Schätzen geben was wir bedürfen, um unsere Pflicht gegen die uns Anbefohlenen zu erfüllen.

Der Mann kam um Mitternacht vor die Haustür, zu einer Stunde, wo er sonst nirgends als bei seinem Freunde etwas bekommen konnte. Diese dunkle Stunde ist uns ein Bild der Lagen, in die wir mitunter geführt werden, wo uns kein anderes Licht leuchtet, als das, welches Gott den Glaubenden gewährt, wo rings um uns her kein Trost und keine Hilfe zu finden ist, sondern unsere Hilfe stehet allein im Namen des HErrn, der Himmel und Erde gemacht hat.

In solche Mitternachtsstunden muss jeder Einzelne geführt werden; solche Stunden kommen aber auch für die Gemeinde Christi. Die schwerste Prüfung dieser Art wird eintreten für die, welche die letzte Zeit erleben, aber dann wird auch die Hilfe vom Himmel auf das Herrlichste erfolgen.

II. Das andere Gleichnis steht in Verbindung mit den unmittelbar vorher gesprochenen Worten des HErrn von Seiner Wiederkunft (Lk 17, 20-37).

In den Tagen, die dieser vorangehen, wird die Lage der Kirche aus Erden ähnlich sein wie die jener hartbedrängten Witwe. Wie diese ohne den Schutz ihres Mannes, ohne einen Beistand und Vertreter hilflos dastand, so wird auch die Kirche auf Erden keinen Beschützer mehr haben. Wie die Witwe von einem herzlosen Gläubiger bedrängt wird, der ihr alles wegnehmen, und auch ihre Kinder fortführen und als Sklaven verkaufen will (vergleiche 2 Könige 4, 1), so hat auch die Kirche in der letzten Zeit die heftigsten Anläufe ihres großen Widersachers, des Teufels, auszuhalten.

Und wie eine Wittfrau in solcher Lage, wo alles über sie herfällt, zu schwach ist, so befindet sich auch die Gemeinde Christi, diesem Widersacher gegenüber, wehrlos und nur der Richter im Himmel kann ihr Recht schaffen und ihrer Sache den Sieg verleihen. Dies wird geschehen.

„Höret, was sogar der ungerechte Richter sagt: ich will ihr zum Rechte verhelfen. Sollte aber Gott das Recht Seiner Auserwählten, welche Tag und Nacht zu Ihm rufen, nicht ausführen, ob Er gleich lange mit ihnen verzieht?

Ich sage euch, Er wird es tun in einer Kürze. Doch wird wohl der Menschensohn, wenn Er kommt, den Glauben auf der Erde finden?“

Das also wird der Ausgang sein: Gott, der Richter über alle, wird Seinen Sohn vom Himmel senden, und dieser wird die vollkommene Rettung mitbringen. Er wird Seine Gemeinde aus ihrem Trauerstande in die himmlische Freude versetzen, Er wird die Erniedrigte und Verachtete auf Seinen Thron erheben.

Er wird Sich zu der Sache, die sie auf Erden vertreten hat, bekennen und ihr zum Siege verhelfen. Er wird den Gottlosen töten mit dem Hauch Seiner Lippen und ihn zunichte machen durch die Erscheinung Seiner Zukunft.

Das Urteil vom Himmel wird ausgehen gegen den großen Widersacher, er wird verstoßen, gefesselt, in den Abgrund geworfen und darin Verschlossen, damit er die Völker nicht mehr irreführe.

Es wird Raum gemacht auf Erden für die segensreiche Herrschaft Jesu und Seiner Heiligen, und die Kirche des HErrn wird in den Vollbesitz des himmlischen Erbteils gesetzt. Das wird die Antwort des himmlischen Richters auf das anhaltende Gebet der Kinder Gottes sein, dann wird man sehen, dass ihre Bitten, ihre Leiden und Tränen, ihre Geduld und ihr Ausharren nicht vergeblich waren.

Dies also ist das Ziel, worauf wir hingewiesen werden und um deswillen wir nicht ermüden sollen. Weil dies Ziel so köstlich ist, so braucht es auch Zeit, bis es erreicht wird. Die Jünger begriffen dies Anfangs nicht, und doch sagt es der HErr hier so deutlich voraus. Eine lange und harte Prüfung der Geduld muss erst durchgemacht sein, und warum sollten wir uns dadurch befremden lassen, da ja nachher keine Geduldsprüfung mehr kommt, sondern überreiche Entschädigung?

Das lange Warten des HErrn kommt daher, weil Er nicht will, dass jemand verloren gehe, und weil noch Unzählige, von denen die Jünger anfangs nichts wussten, herbeigeführt und zur Herrlichkeit bereitet werden sollten.

So deutlich hat der HErr das Ziel unserer Hoffnung und den großen Gegenstand für unsere Wünsche und Gebete, nämlich Seine Wiederkunft bezeichnet. In solcher Hoffnung und in dem Gebete: „Komm HErr Jesus“ hätte die Kirche unermüdlich beharren sollen. Als die rechte Witwe, sollte sie die rechte Hilfe von dem rechten Helfer erwarten.

Aber wie ist es mit ihr ergangen? Die Zeiten des Verzuges sind eingetreten, und der Aufblick auf den, der da kommen soll, hat nachgelassen. Andere Hoffnungen und falsche Vorstellungen sind herrschend geworden, und wenn auch einzelne Seelen noch auf den HErrn warteten, so ist doch der Ruf der Kirche nach dem Kommen Jesu verstummt. Sie hat nicht mehr als Kirche in ihren gemeinsamen, feierlichen und öffentlichen Gebeten und Gottesdiensten diese Bitte hören lassen, noch auch das Zeugnis von der wahren Hoffnung abgelegt.

Der HErr hat mit dem Blick, der Herzen Und Nieren erforscht, auch dieses vorausgesehen, Er hat es mit Betrübnis wahrgenommen und deshalb die zweifelnde Frage ausgesprochen: „Jedoch wird wohl des Menschensohn, wenn Er kommt, auf Erden den Glauben finden?“ — diesen Glauben, den Glauben an Ihn, der da kommt, das vertrauensvolle Warten auf Seine Erscheinung Christliche Lehren und Überzeugungen mögen sich wohl noch finden, aber wie steht es mit diesem Glauben, mit dieser Hoffnung?

Der HErr antwortet auf die von Ihm gestellte Frage nicht. Er sagt nicht Ja und nicht Nein dazu. Er entscheidet nicht im Voraus, ob dieser Glaube noch da sein wird, oder nicht. Er sieht mit Besorgnis die große Gefahr, dass derselbe auf Erden erlösche. Ob er wirklich erlöschen werde, das lässt Er dahingestellt.

Es bleibt also noch übrig, zu hoffen, dass dieser Glaube nicht verschwinde, der HErr, wenn Er kommt, ihn finden, sich daran erfreuen und die, welche den Glauben festgehalten haben, krönen werde.

Wie Großes hat Er an uns getan! Er hat durch Seine zuvorkommende Gnade diesen Glauben neu belebt. Nun liegt für uns alles daran, dass wir dies heilige Feuer in uns nicht ersticken, sondern anfachen, dass unsere Erwartung dessen, der da kommt, keine Heuchelei, kein leeres Wort, sondern Wahrheit und Kraft sei, und dass wir im Hinblick auf die Zukunft des Menschensohnes allezeit beten und nicht müde werden.

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