Spieker, Christian Wilhelm - Christliche Morgenandachten auf alle Tage des Jahres - März

Spieker, Christian Wilhelm - Christliche Morgenandachten auf alle Tage des Jahres - März

Am 1. März.

„Ein Jeglicher prüfe sein Selbstwerk, dann wird er an ihm selber Ruhm haben und nicht an einem Andern; denn ein Jeglicher wird seine Last tragen.“ Gal. 6, 4.

Selten überfällt uns eine Krankheit, selten widerfährt uns ein Unglück oder erleiden wir einen Verlust, wo wir uns nicht eine Menge Möglichkeiten vorstellen, wie bei anders genommenen Maßregeln oder verändertem Betragen dem Uebel hätte vorgebeugt, der Verlust hätte vermieden werden können. Dies ist oft Täuschung. Es kann sehr unrecht sein, sich Vorwürfe zu machen, daß man nicht nach Einsichten gehandelt, die man erst nach dem Erfolge und durch denselben erlangt hat. Aber man sieht doch daraus, daß es dem menschlichen Geiste natürlich ist, bei Empfindungen der Unlust an seine Schuld zu denken, seine Gesinnungen zu prüfen, das Vernünftige und Pflichtmäßige seiner Handlungen zu untersuchen und in der Mißbilligung seines Verhaltens Unruhe und Reue zu empfinden. Darin liegt auch das Bekenntniß, daß wir verantwortlich sind für unsere Handlungen, und daß unsere Einsicht und Gesinnung einen bedeutenden Einfluß auf unser Schicksal hat.

Welch ein Trost, wenn uns das Gewissen bei unseren Handlungen weder über Zweck noch Mittel Vorwürfe macht! Darum will ich allezeit vorsichtig wandeln und gewissenhaft Alles prüfen nach dem Gebote Gottes und das Bewährte und Beste wählen und behalten. Das Ungemach drückt doppelt, wenn wir es selbst verschuldet haben und wenn wir uns sagen müssen: „es ist deiner Bosheit Schuld, daß du so gestäupet wirst, und deines Ungehorsams, daß du so gestraft wirst. Also mußt du inne werden und erfahren, was für Jammer und Herzeleid bringet, den Herrn deinen Gott verlassen.“ Jerem. 2, 19. Ich will mich bei all meinem Thun und Lassen mit Gott berathen, denn der Herr giebt Weisheit und aus seinem Munde kommt Erkenntniß und Verstand. Er behütet die, so recht thun, und bewahret den Weg seiner Heiligen. Dann werde ich auch verstehen Recht und Gerechtigkeit, Frömmigkeit und den Weg des Heils. Spr. 2, 6 u. f. So laß mich auch heute, o Herr, weise und vorsichtig wandeln. Amen!

Am 2. März.

„Ringet darnach, daß ihr durch die enge Pforte eingehet, denn Viele werden (das sage ich euch) darnach trachten, daß sie hinein kommen, und werden es nicht thun können.“ Luc. 13, 24. So antwortet der Herr auf die Frage, ob Viele selig werden? Er giebt nicht die Zahl an, er spricht keinem die Möglichkeit ab, er mahnt nur: ringet darnach. Ohne Ringen erreichen wir nichts. Kämpfen, allen Eifer, alle Kraft daran setzen, das ist die Aufgabe unseres Lebens. Das ewige Leben ist nicht ein Erbe, das uns im Schlafe zufällt, sondern eine Perle, die man suchen und kaufen, ein Kleinod, nach dem man laufen, eine Krone für die man streiten, eine Ernte, für die man Saamen streuen muß. –Es jubelt die Mutter hoch auf, wenn sie das neugeborene Kindlein an die Brust drückt, hat sie es doch im heißen, schmerzensreichen Kampfe errungen. Es ist der Sieges-Lorbeer der köstlichste Schmuck des Hauptes, ist er doch errungen im glühenden Kampfe der mörderischen Schlacht. Es ist der Friede ein herrliches Gut, grünen seine Palmen doch auf der blutgetränkten Wahlstatt des Streites. Wie wir aber die lieblichsten und erhabensten Güter der Erde nur erringen im Kampf und Streit, so wird auch die Pforte des ewigen Lebens nur Denen aufgeschlossen, welche darnach ringen. Wonach ringen doch die Menschen alle und mit welchem Eifer jagen sie nach ihren selbstgewählten Zielen? Es giebt achtbare fleißige Leute, welche Tag für Tag vom frühen Morgen bis zum späten Abend in das Joch der Arbeit sich spannen, um sich und den Ihrigen ein ruhiges Leben und eine sorgenfreie Lage zu bereiten, aber an den ewigen Frieden denken sie nicht, und wie man da? erreichen möge, getrost und freudig den letzten Schritt aus diesem Leben in die ewige Zukunft hinüber zu thun, dafür wird kein Auge und kein Finger aufgehoben. Ja, es giebt Menschen mit grauem Haupte, welche bis in ihre spätesten Tage hinein mit Sorgen der Nahrung sich beschweren, und denen die Sorge um die Seligkeit kaum vorübergehend durch die Seele zieht. Allen diesen verblendeten Seelen, die in Gottentfremdung und in dem traurigen Wahn dahin leben, als dürfe man hier unten nur die Augen zuschließen zum Todesschlaf, um droben als ein lichter Engel wieder zu erwachen, diesen allen ruft der Herr mit allem Eifer seiner Sünderliebe zu: ringet, daß ihr eingehet durch die enge Pforte! O sollten wir diese Stimme gleichgültig und trotzig überhören? Es gilt ja nicht vergängliche Erdengüter, sondern ewige Himmelsschätze, es gilt ja nicht die armselige Ehre eines verweilenden Siegeskranzes, sondern eine ewige Krone zu erkämpfen, es gilt die Eine große Sorge zu überwinden, die der Herr auf uns selbst gelegt hat, die Sorge um unsrer Seelen Seligkeit.

O Herr, stärke mein Herz mit deiner Kraft, daß ich mich im Ringen nach der Seligkeit fest an dich halte und durch nichts von dir abwenden lasse, denn du bist der Herzog unsrer Seligkeit. Amen!

Am 3. März.

„Gutes zu thun und darin nicht müde zu werden,“ das verlangst du von mir, mein Herr und Meister. Wie könnte ich dies sicherer erreichen, als wenn ich auf dich sehe, in dem die heilige Liebe wohnt, wo ich tiefe Demuth bei aller Hoheit, Knechtsgestalt und Armuth bei aller Fülle göttlicher Herrlichkeit, fleckenlose Reinheit der Seele bei aller Anfechtung und Versuchung finde. Dir stand das große Werk immerdar vor Augen, das dein Vater im Himmel, dir aufgetragen hatte. Unter tausend Hindernissen und Gefahren vollbrachtest du seinen heiligen Willen, suchtest und erstrebtest nichts Anderes, als das Wohlgefallen deines Vaters und die Erlösung der verlornen Menschheit. „Ich muß wirken die Werke deß, der mich gesandt hat, so lange es Tag ist: es kommt die Nacht, da Niemand wirken kann.“ Joh. 9, 4. Ja, des Vaters Wille ist dein Wille, des Vaters Herz schlägt in deinem Herzen. Deine Seele lebt davon, den Willen Gottes zu thun und nimmt daraus Kraft, den ewigen Liebesrathschluß hinauszuführen. Es genügt dir nichts, als der Heiligkeit Gottes genug zu thun und die sündige Menschheit mit ihm zu versöhnen; das treibt dich nach Golgatha und hält dich am Kreuze fest bis zu dem: „Vater, in deine Hände befehle ich meinen Geist.“ Dank sei dir, Herr Jesu, für deinen Gehorsam, deine Treue. O daß ich dich doch immer vor Augen und im Herzen hätte, und das Werk, das du mir ausgetragen, willig und treu zu deiner Ehre und zu meinem Heile vollbringen möchte! Lehre mich, o Herr, jeden Tag, jede Stunde, jeden Augenblick weislich benutzen zur treuen Ausrichtung meines Berufes, zur Beglückung meiner Brüder, zur Heiligung des eigenen Herzens. Ohne dich kann und vermag ich ja doch nichts; bei dir ist Wollen und Vollbringen. Schaffe in mir, Gott, ein reines Herz und gieb mir einen neuen gewissen Geist. Verwirf mich nicht von deinem Angesicht und nimm deinen heiligen Geist nicht von mir. Amen!

Am 4. März.

„Um deines Namens willen wollest du mich leiten und führen.“ Ps. 31, 4.

Du, liebster Vater, führest mich,
Und wirst mich fürder führen,
Bis vor dem müden Pilger sich
Aufthun die Himmelsthüren.

Reicht deine Hand nicht weit und breit
Von einem Meer zum andern?
Wer sollte da voll Traurigkeit,
Wer da voll Aengsten wandern?

Und ob der Weg noch steil und weit
Eh' ich das Ziel erreiche,
Wie wenig oder viele Zeit
Bis dahin noch verstreiche?

Ich frage nicht danach, ich geh'
Und gehe immer weiter -
Und wenn ich deine Hand nur seh',
So bin ich froh und heiter.

Und hast du mich zum Ziel geführt,
Du liebender Begleiter,
Und hab' ich Müdigkeit verspürt
Und kann ich nicht mehr weiter:

Du guter Gott! so führe mich,
O führe mich zur Ruhe!
Damit ich dann auch ohne dich
Den letzten Gang nicht thue!

Am 5. März.

„Denn ihr habt nicht einen knechtischen Geist empfangen, daß ihr euch abermals fürchten müßtet, sondern ihr habt einen kindlichen Geist empfangen, durch welchen wir rufen: Abba, lieber Vater!“ Röm. 8, 15. Der Geist Jesu ist kein Geist der Furcht, noch der ängstlichen Sorge, sondern der Geist der Freiheit und Freude. Wer sich fürchtet, der ist nicht völlig in der Liebe; denn Furcht ist nicht in der Liebe; die Liebe treibet die Furcht aus. Sie schafft Gehorsam, Demuth, Selbstverleugnung und Ergebung. Diese kommen aus einer wahrhaft christlichen Gesinnung, die jeden Kampf leicht macht, jeden Schmerz mildert, jeden Verlust tragen hilft. Je klarer und wahrhafter das Bild Jesu in uns lebt, desto weiter treten die irdischen Gestalten in den Hintergrund, und wir sehen und suchen in uns und außer uns die ewig waltende Güte und Weisheit, die wie das Sonnenlicht das ganze Weltall durchleuchtet. Dadurch kommt unsere Seele in eine immer innigere Gemeinschaft mit Gott. Mit jeder von der Erde abgezogenen und Gott zugewandten Gesinnung wird es ihr immer klarer, daß wir göttlichen Geschlechts und Erben des ewigen Lebens sind.

Der Geist Gottes schreibt die Wahrheit in's Herz und giebt uns in Christi Leben das ewige Leben. Was nicht zu diesem Leben gebildet ist, kann dort so wenig eingehen, als daß ein Stein zur Sonne fliege. Mit allen Kräften fortgetrieben, macht er doch zuletzt einen Bogen und fällt wieder zur Erde zurück. Aber Licht und Wahrheit, Erkenntniß Gottes durch Uebung der Liebe, Freude am Himmlischen und der Andacht Flamme steigen aufwärts und sammeln und bilden sich zur Herrlichkeit Jesu. Das aber ist das ewige Leben, daß sie dich, o Ewiger, und den du gesandt hast, Jesum Christum, erkennen, daß sie Ihn lieben, Ihn bei sich aufnehmen, nach Seinem Geiste sich bilden, in Ihm ein reiches und volles Genüge haben. O daß ich mit jedem Tage Christo immer näher käme! Daß er in mir eine immer schönere Gestalt gewönne! So weichet die Furcht und der knechtische Geist, und wir können zu Gott bitten und beten, wie Kinder zu ihrem Vater.

Am 6. März.

„Ich bin gekommen, die Sünder zur Buße zu rufen, und nicht die Frommen,“ Matth. 9, 13. O der unaussprechlich erquickenden Wahrheit, wenn der Herr sagt, er sei gekommen, die Sünder zur Buße zu rufen! Wie der Thau das Land zur Sommerszeit, so befruchtet dies liebliche Wort alle trost- und hülfesuchenden Herzen. Wie der Hirt das verirrte Schäflein, so sucht der treue Heiland uns Menschenkinder. Er sucht uns mit der Stimme seines Wortes in Lehre und Mahnung, mit den Zügen seiner Gnade, die in den Tiefen des Herzens sich regen und uns aufschrecken aus der Lust dieser Welt; er sucht uns durch ein unaussprechliches Sehnen nach einem besseren Heil, welches weder die Genüsse noch die Schätze dieser Erde befriedigen können. Er giebt Freudenstunden, um unser kaltes Herz zu erwärmen, er schickt Trübsalstage, um unsern Hochmuth zu brechen, er lenkt die Schritte unseres Lebens so wunderbar und heilsam, daß es uns vorkommt, als wären wir der Mittelpunkt seiner gnädigen Führung und seines allmächtigen Regimentes. Das aber ist die Herrlichkeit seiner göttlichen Liebe, daß er jedem einzelnen Sünder ohne Ermüden nachgeht, als wären die Hunderte von Gerechten gar nicht da, und daß es der begnadigten Seele erscheint, als wäre die ganze Erlösung für sie allein geschehen. Und doch gehen so viele Menschen dahin und wissen nichts von der Gnade, die ihnen in Christo Jesu angeboten wird. Sie gehören zu denen, die da sagen: „Ich bin reich und habe gar satt und bedarf nichts und die doch nicht wissen, daß sie sind elend, jämmerlich, arm, blind und bloß“ sie sind die Frommen, .zu denen der Herr nicht gekommen ist, die Gesunden und Starken, die des Arztes nicht bedürfen, die Gerechten, für die kein Sündentilger und Heiland da ist, denn der Herr sprach: Ich bin gekommen, die Sünder zur Buße zu rufen und nicht die Gerechten. Darum also giebt es so viele taube Ohren und todte Herzen, die die Stimme des Evangeliums nicht hören und das Heil nicht annehmen, weil es so viel eingebildete Fromme, so viel vermeintliche Gesunde und Gerechte giebt. Wer an Christo Theil haben will, der muß freilich von seiner stolzen Tugendhöhe herabsteigen und bei Jesu Heil und Vergebung suchen. Das aber lernen wir, wenn wir zwei Bücher vor uns aufschlagen und sorgfältig mit einander vergleichen, das Buch der Schrift und das Buch des eigenen Lebens. In unserem Lebensbuche ist kein Blatt rein, keines ohne Tadel und auf nicht wenigen Blättern stehen gar arge Sünden wider Gottes Gebot verzeichnet. Nur einige seltene Blätter sehen klarer aus: das Blatt, worauf unsere Taufe geschrieben steht, wo wir unser Confirmationsgelübde abgelegt, oder das heilige Sacrament des Leibes und Blutes Christi empfangen haben. Doch ob auch Blatt für Blatt befleckt und voller Makel ist, Christus reinigt es und zeichnet darauf seine Gerechtigkeit. Ist das geschehen, dann sind wir Gottes Kinder, dann können wir fröhlich sagen:

Ich habe nun den Grund gefunden,
Der meinen Anker ewig hält:
Wo anders, als in Jesu Wunden?
Da lag er vor der Zeit der Welt.
Den Grund, der unbeweglich steht,
Wenn Erd' und Himmel untergeht.

Am 7. März.

„Meine Seele ist stille zu Gott, der mir hilft.“ Ps. 62, 2.

Meine Seele senket sich
Hin in Gottes Herz und Hände
Und erwartet ruhiglich
Seiner Wege Ziel und Ende,
Lieget still und willenlos
In des liebsten Vaters Schooß.
Meine Seele murret nicht,
Ist mit Allem wohl zufrieden;
Was der eigne Wille spricht,
Ist zum Tode schon beschieden;
Was die Ungeduld erregt,
Ist in Christi Grab gelegt.

Meine Seele, sorget nicht
Will vielmehr an nichts gedenken
Was gleich spitzen Dornen sticht
Und den Frieden nur kann kränken.
Sorgen kommt dem Schöpfer zu:
Meine Seele sucht nur Ruh.
Meine Seele grämt sich nicht,
Liebt hingegen Gott im Leiden;
Kummer, der das Herze bricht,
Trifft und ängstet nur die Heiden.
Wer Gott in dem Schooße liegt,
Bleibt in aller Noth vergnügt.

Meine Seele klaget nicht,
Denn sie weiß von keinen Nöthen,
Hängt an Gottes Angesicht
Auch alsdann, wann er will tödten.
Wo sich Fleisch und Blut beklagt,
Wird der Freudengeist verjagt.
Meine Seel' ist still zu Gott,
Und die Zunge bleibt gebunden!
Also hab' ich allen Spott,
Alle Schmerzen überwunden,
Bin, gleich wie ein stilles Meer,
Voll von Gottes Preis und Ehr'.

Am 8. März.

Zu dir, himmlischer Vater, wende ich meine ersten Gedanken in dieser Frühe und erhebe mein Herz dazu, daß ich dir nunmehr allein leben, stehen und gehen möge. Sei ferner meine Burg und Zuversicht, wie du es diese Nacht so treulich warst, dafür dich mein Gebet preisen und anbeten müsse. Wache ferner über mich, über meine Sinnen und Glieder, vornehmlich aber über mein Herz.

Gieb mir einen allzeit bußfertigen Sinn. Laß mich in dir reden und wirken dein Wohlgefallen, in dir thun und lassen, essen und trinken, weben und bewegen. An dich als ein festes Schloß übergebe ich mich und alle meine Angehörigen, auf daß wir dein Eigenthum bleiben und dir zusammen wie Ein Herz von ganzer Seele dienen mögen. Laß deinen Geist den Tag über an uns arbeiten, damit wir in den Schranken deiner Gebote fortlaufen und Niemand uns aus deiner Hand reißen könne. - Segne uns mit Allem, was dir gefällt, und gieb Kraft und Weisheit zu dem Stand und Beruf, in den du uns gesetzet hast. Zeige uns das Vorbild deines Sohnes, um in seinen Fußstapfen ihm nachzufolgen. Bewahre uns vor allen böswilligen Leuten, daß sie uns weder beschuldigen noch verführen. Dein guter Engel führe uns auf Weg und Steg, und helfe uns wandeln nach dem Ziele der Ewigkeit durch Christum in dem heiligen Geist. Amen!

Am 9. März.

Herr! auch ich bin ganz erstorben,
Mein Herz und Wille ist verdorben,
Und all mein Wesen todt und schlecht.
Doch du lenkst in Lieb' und Gnade'
Zu meinem Grabe deine Pfade,
Und weinst um den verlornen Knecht.
Du, der so Großes thut,
Der selbst mit Tod und Blut
Mich erlöste,
Verlaß mich nicht!
Ruf mich zum Licht -
Des neuen Lebens wieder auf.

Ja, die Sünde ist der wahre Tod, und der Tod ist der Sünde Sold. Ist nicht erstorben, wer sich von Gott abwendet, der bösen Lust folgt, am Staube klebt, dem Vergänglichen sich hingiebt mit heißer, unersättlicher Begier und so das Grab seines zeitlichen und ewigen Verderbens sich selbst gräbt? Ach, des Menschen Dichten und Trachten ist böse von Jugend auf und immerdar. Nur auf die eitle Lust, auf den ungewissen Besitz, auf des Fleisches Ergötzen ist das Denken und Sinnen gerichtet. Sie sind Alle abgewichen und allesammt untüchtig worden; da ist nicht, der Gutes thue, auch nicht Einer. Röm. 3, 12. Ich erkenne es wohl in tiefer Demuth und Betrübniß, indem ich in dieser Morgenstunde vor dein Angesicht komme, heiliger Vater, und mein Leben und meine Gesinnung im hellen Spiegel deiner Worte betrachte, daß ich nicht werth bin aller Barmherzigkeit, die du täglich an mir thust, daß mein Herz und Wille verdorben ist, daß die böse Lust noch eine so große Macht über mich hat, daß ich am Abend so Manches bereuen muß, was ich am Tage gethan habe. Ach, wer erlöset mich von dieser Knechtschaft der Sünde, von dieser elenden Dienstbarkeit, von diesem schmählichen, entsetzlichen Tode? Bist du es nicht, mein Herr und Heiland, der aus Erbarmen mit dem armen versunkenen Menschengeschlecht zur Erde herabkam, der zu den Sündern sich neigte und sie in seine heilige Arme zog, damit sie der Sünde absterben und der Gerechtigkeit leben sollten? Hast du nicht all' unsere Schuld auf dich genommen und am Kreuz eine ewige Erlösung durch dein Blut gestiftet? Auch für mich bist du erhöhet am Kreuzesstamm, auch mir kommt dein bitteres Leiden und Sterben zu gute, auch mich willst du retten Kraft deiner Angst und Pein vom ewigen Tode; auch mich, dein Glied, nach dir ziehen und mich führen zu den himmlischen Auen, wo die ewige Liebe wohnt im heiligen Lichte.

„Gott war in Christo und versöhnete die Welt mit ihm selber und rechnete ihnen ihre Sünde nicht zu, und hat unter uns aufgerichtet das Wort von der Versöhnung.“ 2. Cor. 5, 19. Dies Wort bringt Trost und Hoffnung des ewigen Lebens in meine Seele. Damit, mein Herr und Heiland, weckest du in meinem Herzen die Freudigkeit zum Leben in der Wahrheit, stärkest dein schwaches und strauchelndes Kind und erhebest den gesunkenen Muth. Du zeigst mir deine Herrlichkeit, auf daß ich, von ihr ergriffen, die Welt und ihre Lust verschmähe und in demüthigem Glauben und willigem Gehorsam dir lebe und diene. Herr, führe mich und die Meinigen mit deiner zu und hilf, daß ich diesen Tag über mit größerem Fleiße jage nach dem vorgestreckten Ziel, nach dem Kleinod, welches vorhält die himmlische Berufung Gottes in Christo Jesu. Amen.

Am 10. März.

„Wer sich lässet dünken, er stehe, mag wohl zusehen, daß er nicht falle.“ 1. Cor. 10, 12. Dieser warnende Zuruf des Apostels ergehet an uns Alle. Unser Herz ist nicht nur ein verzagtes, sondern auch ein trotziges Ding. Es rühmet sich am liebsten seiner Weisheit, seiner Kraft, seiner Tugend und bauet auf sich selbst. Statt uns, wie Paulus that, unsrer Schwachheit zu rühmen, auf daß die Kraft Christi bei uns wohne, nehmen wir den Mund voll, sind für uns eingenommen und sehen in Eitelkeit, Hoffarth und Selbstvertrauen geringschätzig auf die Anderen herab. Die Siege, die wir über die Sünde und über unser eigenes Fleisch und Blut' errungen, die Fortschritte, die wir auf dem schmalen Wege zum ewigen Leben gemacht, sie blähen uns auf, und wiegen uns in fleischliche Sicherheit ein, also daß wir meinen stark zu sein und fest im Glauben zu stehen. Aber, ehe wir es uns versehen, wird das Wort an uns wahr: Hochmuth kommt vor dem Fall! Die heilige Schrift stellt uns mehr denn ein Beispiel von solchem tiefen Fall vor Augen: das Volk Israel meinte als Gottes Volk zu stehen, und doch siel es in Abgötterei und andere große Schande und Laster; König Saul stürzte sich in sein eigen Schwert; David, der Mann nach dem Herzen Gottes, ward ein Ehebrecher und Mörder; Petrus, der mit dem Herrn in den Tod zu gehen bereit war, verleugnete ihn dreimal; Demas, zuerst ein treuer Gehülfe des Apostels, verließ denselben und gewann die Welt wieder lieb.

Sind wir aufgestanden vom Tode der Sünde, haben wir unser natürliches Elend erkannt, Gottes Gnade gesucht und gefunden, so dürfen wir zu keiner Stunde vergessen, daß des Herrn Gnade, nicht unsere Kraft, der Fels ist, auf dem wir stehen. So lange wir Fleisch und Blut an uns haben, auch die Welt und den bösen Feind wider uns, dürfen wir uns nie dünken lassen, fest zu stehen. Zieht Gott nur ein wenig die Hand von uns ab, so thun wir einen tiefen Fall. Oder wäre Jemand unter uns so wohlverwahrt, daß die Versuchung nicht irgendwo eine schwache Seite fände? Sind nicht unsere Lüste und Begierden oft so stark, daß man ihnen nur von ferne den ersehnten Genuß, die längst gewünschten Güter zeigen darf, um die Stimme des Gewissens zum Schweigen zu bringen, und den Geist Gottes zu betrüben? Der Eine wird durch den Glanz des Goldes geblendet, der Andere durch die lockende Stimme der Wollust verführt; Dieser wird durch die Zunge der Schmeichler gewonnen, und Jener liebt seine Freiheit und sein Leben so sehr, daß man ihn durch Drohungen und Gewalt zu Allem bringen kann. Wer ehrlich mit sich zu Werke geht und sich aufrichtig prüft, der wird mit tiefer Wehmuth die Ohnmacht und Verderbniß seiner Natur erblicken. Darum will ich wachen und beten, daß ich nicht in Anfechtung falle. Beim Kampfe mit der Sünde will ich sehen auf den, der mich mächtig macht, auf Christum, den Anfänger und Vollender meines Glaubens. In seinem Fußtapfen und in seiner Kraft sind Edle genug über die Erde hingegangen, die stark waren, die Lust der Welt, den Glanz der Ehre und den Reiz des Mammons für Schaden zu achten und selbst Marter und Tod um des Evangeliums willen nicht zu scheuen. Treu im Glauben an den Herzog unsrer Seligkeit, haben diese Jünger und Jüngerinnen des Herrn in den Stunden innerer und äußerer Anfechtung niemals ihrer eignen Macht vertraut, sondern haben wie arme, wehrlose Kinder die Hände nach Dem ausgestreckt, der in den Schwachen mächtig ist. O Herr, geselle mich diesen glaubenstreuen, beständigen und demüthigen Seelen bei. Hilf, daß mein Herz fest werde durch deine Gnade. Lehre mich wachen und beten. Amen!

Am 11. März.

„Daß ist je gewißlich wahr und ein theuer werthes Wort, daß Jesus Christus kommen ist in die Welt, die Sünder selig zu machen“ 1 Tim. 1, 15. Es liegt wohl etwas Rührendes und Trostreiches darin, daß Christus mit den Sündern umgehet und sich in freundlicher Güte zu ihnen herabläßt. Was ihm die stolzen Pharisäer zum Vorwurf machen: „dieser nimmt die Sünder an und isset mit ihnen“ (Luc. 15, 2) - gerade das macht ihn bei den Gläubigen so groß und anbetungswürdig.

Mitten unter ihnen stehet er da, heilig, unschuldig, unbefleckt, von den Sündern abgesondert und höher denn der Himmel. Hebr. 7, 26. Eine innige Liebe, ein herzliches Erbarmen treibt ihn in die Mitte der Unglücklichen. Zu den Verlorenen aus dem Hause Israel, zu den Kranken und Elenden kommt er. Sie will er gewinnen für den Dienst seines himmlischen Vaters, sie will er erlösen von dem Jammer und Fluch der Sünde, sie will er erquicken mit dem Troste der göttlichen Gnade. Zu den Kranken, Siechen und Gichtbrüchigen kommt der Helfer aus aller Noth. Sie sollen schmecken und fühlen, wie freundlich der Herr ist (Ps. 34, 9) sich dann zu ihm bekehren und ihm dienen in dankbarer Liebe. Man hört kein scheltendes Wort, keine strafenden Vorwürfe. „Sei getrost! Deine Sünden sind dir vergeben! - Stehe auf und wandele! - Hat dich Niemand verdammt, so will ich dich auch nicht verdammen. Gehe hin und sündige fort nicht mehr.“ So spricht der Herr milde und freundlich, trostreich und ermunternd.

Wie sind die Menschen oft so hart und lieblos, wenn sie Andere richten! Sie verdammen, wo sie schonend urtheilen, sie verwunden, wo sie den Schmerz heilen, sie treten nieder, wo sie liebreich aufrichten, sie erheben sich in Stolz, wo sie demüthig an ihre Brust schlagen sollten. „Einem betrübten Herzen muß man nicht mehr Leids machen,“ sagt Sirach (4, 3), und so will ich ein Gemüth, das von eigenen Vorwürfen schon schwer genug belastet ist, nicht noch vollends niederdrücken, sondern wie der Herr sanft, theilnehmend, herzlich und zur Besserung behülflich sein. Wer bin ich doch auch, daß ich einen fremden Knecht richte? Den Splitter sehe ich in des Bruders Auge und den Balken im eigenen Auge werde ich nicht gewahr. „Ach Herr,“ sollten wir alle mit Petrus sprechen, „weiche von mir, ich bin ein sündiger Mensch.“ Luc. 5, 8.

Am 12. März.

„Die Worte, die ich rede, die sind Geist und sind Leben.“ Joh. 6, 63. Es ist etwas Wunderbares um die Worte, die der Herr Christus geredet. Sie sind so einfach und kunstlos, so sanft und milde, daß man meinen sollte, so könne wohl jeder Mensch reden, sie entbehrten wohl aller Kraft. Es ist nicht der Schwung des Dichters, welcher entzückt, nicht der Schmuck des Redners, welcher blendet, nicht die Gedankentiefe des Weltweisen, welcher unsere Bewunderung hervorruft, - nichts von alle dem.

Und doch, wer sorgfältiger zugehört, genauer betrachtet, und den Geist wägen lernt, der fühlt das Gewicht dieser Worte, den ergreift ihre Gewalt. Christi Worte sind Geist und Leben. Sie waren es, als der Herr auf Erden wandelte und mit heiligen Lippen sie in die Herzen hineinsprach. Die Todten erstanden, die Kranken genasen, die Teufel fuhren aus, die Sünder schlugen in sich, und durch die Macht des Unglaubens brach der Glanz des himmlischen Lichts. Sie waren Geist und Leben auch da, als der Mund der Wahrheit geschlossen war, und die Apostel sein Wort hinaustrugen in alle Welt, denn wohin sie zogen mit dem Worte ihres Herrn, da beugten sich vor ihm die Mächte der Finsterniß, da geschahen Wunder und Zeichen, da sanken die Altäre und Tempel der stummen Götzen in Trümmern, und der Frühling eines neuen göttlichen Lebens brach aus dem Schutte der versunkenen alten Welt hervor.

Und wie seine Worte Geist und Leben waren, so sind sie's noch bis auf diese Stunde, - sie sind noch immer der Hammer, der Felsen zerschmeißt, und das Feuer, welches nicht erlischt, noch immer lebendig und kräftig. Leichtsinnige abzuhalten, Gleichgültige zu erschüttern, Trotzige zu beugen und die Herzen der Sünder zu durchbohren wie ein zweischneidiges Schwert und sie zur Buße zu führen, ja seine Worte bewähren sich in ihrer die Jahrhunderte überdauernden Kraft, in ihrer immer grünenden Lebendigkeit und Frische als Worte des allmächtigen Gottes.

Mehr denn zwei Jahrtausende lang haben die Künste und Wissenschaften schon auf Erden geblühet und sich fortschreitend entwickelt, aber noch immer wissen wir nichts Besseres und Tröstlicheres von Gott und seinem Wesen, Willen und Wegen, als was das Wort des Herrn uns von ihm verkündigt, nämlich, daß er ein Geist sei, vollkommen und herrlich, barmherzig und gnädig, ein Vater für Alle, mit einem Herzen, das heißer glüht für Alle, als ein Mutterherz für das eigene Kind, ja das Feinde und Widersacher umfaßt und selbst für sie das Leben läßt.

Viele Jahrtausende hat sich das Menschengeschlecht entwickelt, aber noch immer ist nichts Erhabeneres über die Bestimmung desselben ersonnen worden, als was das Wort des Herrn fordert, nämlich, daß wir wieder zurückkehren sollen zur Aehnlichkeit und Gemeinschaft Gottes. Alles Forschen und Fragen des Menschengeistes beschäftigt sich von jeher mit der Zukunft der unsterblichen Seele nach dieser Zeitlichkeit, aber etwas Herrlicheres kann kein Mensch erdenken, als was im Worte des Herrn geschrieben steht, nämlich, daß uns zu Theil werden soll der stille Frieden und die heilige Ruhe in der zukünftigen Stadt. Darum ist des Herrn Wort nicht menschlich Werk, sondern Gottes That.

Rede, Herr, denn dein Knecht höret,
Herz und Ohr ist aufgethan.
Was mich deine Stimme lehret,
Nimmt mein Geist voll Freuden an,
Gieb mir deinen Willen ein,
Ich will gern dein Schüler sein.
Rühre mich in deiner Lehre,
Daß ich wie dein Jünger höre.

Am 13. März.

Du, o Herr, hast mich geschaffen, da ich noch nicht war, hast mich erlöst, da ich verloren war. Verloren war ich, todt war ich. Da bist du zu dem Todten herabgestiegen, hast die Sterblichkeit angenommen. Du, der König, bist zu dem Knechte gekommen, und um ihn frei zu machen, hast du dich selbst dahingegeben. Also hast du mich geliebt, daß du dein Blut für mich vergossen; mehr als dich selber hast du mich geliebt, da du für mich sterben wolltest. Für einen so theuern Preis hast du mich aus der Verbannung zurückgeführt, von der Todesstrafe errettet, und nach deinem Namen genannt. Siehe, in deine Hände hast du mich geschrieben, damit du immerdar meiner gedenken möchtest. Deine Gnade und dein Erbarmen sind mir allezeit zuvorgekommen; aus vielen und großen Gefahren hast du mich befreiet, mein Erretter. Wenn ich irrte, brachtest du mich auf den Weg zurück, wenn ich thöricht war, belehrtest du mich, wenn ich sündigte, warntest du mich. In der Traurigkeit hast du mich getröstet, wenn ich verzweifelte, mich mit Kraft gerüstet. Fiel ich, so richtetest du mich auf, stand ich, so hieltest du mich, ging ich, so leitetest du mich, kam ich, so empfingest du mich, schlief ich, so bewachtest du mich, rief ich, so hörtest du mich. Der Versucher war von mir fern, und daß er fern war, war dein Werk; Zeit und Ort fehlten zur Sünde, daß sie fehlten, war dein Werk. Alles dieß war wiederum da, aber du hieltest mich zurück, daß ich nicht beistimmte. Der Versucher kam finster, wie er ist, du gabst mir Kraft, ihn zu verachten; er kam stark und gewappnet, du tratest ihm entgegen, daß er mich nicht überwand; er kam verkleidet in einen Engel des Lichts, du bedrohtest ihn, daß er mich nicht betrog, und öffnetest mir die Augen, ihn zu erkennen. Gelobt seist du, o Herr, daß du mich nicht gabest zum Raube; durch dich ist meine Seele entronnen, wie ein Vogel dem Stricke des Voglers; der Strick ist zerrissen, und ich bin los. Gelobt seist du, o Herr! Amen.

Am 14. März.

(An einem Sonntagsmorgen.)

Halleluja! schöner Morgen,
Schöner, als man denken mag!
Heute fühl' ich keine Sorgen.
Denn das ist des Herren Tag,
Der durch seine Lieblichkeit
Recht mein Innerstes erfreut.

Süßer Ruhetag der Seelen!
Sonntag, der voll Lichtes ist!
Heller Tag in dunklen Höhlen!
Zeit, in der der Segen fließt!
Stunden voller Seligkeit,
Ihr vertreibet alles Leid.

Ach, wie schmeck' ich Gottes Güte,
Recht als einen Morgenthau!
Sie führt mich aus meiner Hütte
Auf des Himmels grüne Au.
Da beut wohl die Morgenzeit
Ströme voller Seligkeit.

Ruhet nur, ihr' Weltgeschäfte!
Bess'res hab' ich heut' zu thun;
Denn ich brauch' all' meine Kräfte,
In dem höchsten Gott zu ruh'n;
Heut' schickt keine Arbeit sich,
Als nur Gottes Werk für mich.

Wie soll ich mich heute schmücken,
Daß ich Gott gefallen mag?
Jesus wird dem Herzen schicken
Schmuck für diesen Ehrentag.
Sein Blut und Gerechtigkeit
Sind das schönste Sonntagskleid.

Ich will in der Zionsstille
Heute voller Arbeit sein,
Denn da sammle ich die Fülle
Höchster Lebensgüter ein,
Wenn mein Jesus meinen Geist
Mit dem Wort des Lebens speist.

Herr, mach' munter meine Sinne,
Ziehe ein in meine Brust,
Daß ich Licht und Trost gewinne
Und an deinem Worte Lust.
Da hat wohl die Morgenstund'
Großen Schatz und Gold im Mund.

Segne deiner Knechte Lehren,
Oeffne selber ihren Mund.
Mach' mit Allen, die dich hören,
Heute deinen Gnadenbund;
Wenn wir singen, wenn wir flehen,
Laß dein Amen zu uns gehen.

Gieb, daß ich den Tag beschließe,
Wie er angefangen ist.
Segne, pflanze und begieße,
Der du Herr des Sabbaths bist,
Bis ich einst auf jenen Tag
Ewig Sabbath halten mag.

Am 15. März.

„Des Menschen Herz schlaget seinen Weg an, aber der Herr allein giebt, daß er fortgehe. Befiehl dem Herrn deine Werke, so werden deine Anschläge fortgehen.“ Spr. 16, 3 und 9. Wie viele Zeugnisse der gnädig waltenden Weisheit Gottes finde ich bei einem ernsten Nachdenken über die Schicksale meines Lebens! Vieles gereichte mir zum Segen, was ich anfangs als mein größtes Unglück beklagte. Wunderbare Fügungen Gottes traten ein, wenn ich rath- und hülflos am Wege des Lebens stand. Unerwartete Veränderungen gaben dem Lauf der Dinge eine neue Richtung, wenn der bedenkliche Ausgang der Sache das Herz mit Sorgen füllte. Vielfache Vortheile erwuchsen mir aus Mühe, Anstrengung und Sorge, wenn ich glaubte, es nahe sich Mißgeschick und Verderben. Und das Alles ohne mein Zuthun, ja oft wider Erwarten und gegen meine Wünsche. Und ein blindes Ungefähr sollte nach der Meinung gedankenloser Thoren so große Güte mit so vieler Weisheit verbinden! Ein günstiges Geschick sollte die Fäden des Lebens zu einem so weise durchdachten Kunstwerke zusammenweben! Oder Menschen, die ihr eigenes Schicksal nicht bestimmen können, sollten das unserige leiten und lenken!

Nein, Wohlthaten, Segnungen Gottes sind die glücklichen Ereignisse unsers Leben. Ueber uns waltet die höchste Weisheit und erziehet uns durch allen Wechsel der Zeit, durch alle Veränderungen unseres Lebens zu einem höheren, vollkommneren, seligeren Zustand. Wohl kommen Tage und Stunden, Wo wir uns einsam und verlassen fühlen, wo uns die Menschen verkennen, gering achten, verstoßen, wo uns die sichtbare Welt wie ein übelgeordnetes Ganzes erscheint, in welchem blinde Kräfte walten. Ach, es ist um unsere Ruhe und Zufriedenheit geschehen, wenn uns Gott aus diesem Gewirre verschwunden, seine leitende Vaterhand unsichtbar geworden und der Glaube an seine allwaltende Liebe und Weisheit erschüttert ist. Was kann trauriger und entsetzlicher sein, als der Gedanke, daß ein eisernes Verhältniß, ein dunkles Geschick, ein blindes Ungefähr über uns gebietet! Unser ganzes Leben erscheint dann ohne Sinn und Bedeutung, ohne Zweck und Plan, als ein verworrenes Gewebe von Zufällen, als ein Dienst des vergänglichen Wesens.

O, Dank dir, mein Gott, daß du dich mir so herrlich offenbaret hast in meinem Herrn Jesu Christo, daß ich deine ewige Liebe erkennen, deine tiefe Weisheit verehren, deine heiligen Wege anbeten kann. Hilf mir, daß mein Vertrauen zu dir fest steht inmitten der Wogen wie ein Fels, auch unter den Schrecknissen der Zeit und unter der Trübsal meines Lebens. Wenn mir auch gleich Leib und Seele verschmachtet, so bleibst du doch meines Herzens Trost und mein Theil. Du hast gesagt, es sollen wohl Berge weichen und Hügel hinfallen; aber meine Gnade soll nicht von dir weichen und der Bund meines Friedens soll nicht hinfallen. Jes. 54, 10. So kommt denn Alles von dir, Glück und Unglück, Armuth und Reichthum, Leben und Tod. Sir. 11, 14.

Am 16. März.

„Wer kann merken, wie oft er fehlet? Verzeihe mir, Herr, auch die verborgenen Fehler.“ Ps. 19, 13. Des Evangeliums ganze Seligkeit hat nur Der empfunden, der mit dem Bekenntnisse des Zöllners an seine Brust schlug und sprach: „Gott sei mir Sünder gnädig!“ Die Sünde widerstreitet der göttlichen Natur und Ordnung, entfremdet uns dem Leben aus Gott, bringt Streit und Zwiespalt in unser ganzes Wesen, verfinstert den Verstand, vergiftet das Herz, empört das Gewissen, untergräbt das Glück Anderer wie das eigene, zerrüttet die Erde, verschließt den Himmel und öffnet die Hölle. Ach, wohl ist die Sünde der Leute Verderben. Sie übt eine furchtbare Macht über das Menschengeschlecht, und ohne die in Christo erschienene Gnade Gottes wäre es längst schon untergegangen in selbst bereitetem Verderben. Aber obgleich der Ewige uns nach seiner Barmherzigkeit nahe getreten in seinem Sohne, obgleich wir in Ihm die Herrlichkeit des Vaters gesehen voller Gnade und Wahrheit, obgleich uns in Ihm das Vorbild der Herrlichkeit und Gerechtigkeit gegeben, so fühlen wir doch immer noch die Gewalt des Bösen über unsere Neigungen und Bestrebungen, und sündigen in Gedanken, Worten und Werken gegen Gott und seine heiligen Gebote.

Der Höchste kann kein Wohlgefallen haben an dem Sünder, der die ewige Liebe zurückstößt und, unabhängig von der väterlichen Macht und Weisheit, dem eigenen Willen und Gelüste nachgeht. Darum ist eine große Kluft beseitigt zwischen dem heiligen Gott und dem sündigen Menschen. Diese Kluft ist durch Christum überbrückt, und durch die Versöhnung das reuige Kind dem gnadenvollen Vater ans Herz gelegt. Darum muß immer erneuete Reue und Buße unser Herz füllen und „Gott sei mir Sünder gnädig!“ unser. tägliches Morgen- und Abendgebet sein. Denn so wir sagen, wir haben keine Sünde, so verführen wir uns selbst und die Wahrheit ist nicht in uns. So wir aber unsere Sünde bekennen, so ist er treu und gerecht, daß er uns die Sünde vergiebt und reinigt uns von aller Untugend. 1. Joh. 1, 8 und 9.

Am 17. März.

„Einen andern Grund kann zwar Niemand legen, außer dem, der gelegt ist, welcher ist Jesus Christus.“ 1. Cor. 3, 11.

Ich weiß von keinem andern Grunde,
Als den der Glaub' in Christo hat;
Ich weiß von keinem andern Bunde,
Von keinem andern Weg und Rath:
Als daß man elend, arm und bloß
Sich legt in seines Vaters Schooß.

Ich bin zu meinem Heiland kommen
Und eil' ihm immer besser zu;
Ich bin auch von ihm aufgenommen
Und finde bei ihm wahre Ruh;
Er ist mein Kleinod und mein Theil,
Und außer ihm weiß ich kein Heil.

Ich bleib' in Christo nun erfunden
Und bin in ihm gerecht und rein;
Bleib ich mit ihm nur stets verbunden,
So kann ich immer sicher sein;
Gott sieht auch mich in Christo an, -
Wer ist's, der mich verdammen kann?

Ich fühle noch in mir die Sünde;
Doch schaden kann sie mir nicht mehr,.
Weil ich in Christo mich befinde;
Wohl aber beuget sie mich sehr.
Ich halte nichts gering und Nein,
Sonst dringt ein sichres Wesen ein.

Ich kämpfe gegen mein Verderben
In Glauben und in Christi Kraft;
Der alte Mensch muß täglich sterben,
Der noch nicht todt am Kreuze haft't;
Dieß aber macht mich rein und klein
Und lehrt zu Jesu ernstlich schrei'n.

Und da ich so in Christo bleibe,
Stets vor ihm wandelnd auf ihn seh',
Das Wort des Friedens fröhlich treibe
Und unablässig zu ihm fleh',
So bleib' ich stets im Grunde stehn;
Da kann mein Wachsthum vor sich gehn.

Ich bleib' im tiefsten Demuthsgrunde
Und will von Christo nimmer gehn;
Ich bleib' im allgemeinen Bunde,
In allgemeiner Liebe stehn
Und hang' an Christo ganz allein;
Dieß soll mein Grund auf ewig sein!

O Jesu! laß mich in dir bleiben;
O Jesu! bleibe du in mir!
Laß deinen guten Geist mich treiben,
Daß ich im Glauben folge dir;
Laß mich stets fromm und wachsam sein,
So reißet nichts den Grund mir ein.

Am 18. März.

„Nicht, daß ich es schon ergriffen hätte oder schon vollkommen sei: ich jage ihm aber nach, ob ich es auch ergreifen möchte, nachdem ich von Christo Jesu ergriffen bin.“ Philipp. 3, 12.

In dies Bekenntniß des Apostels müssen wohl Alle mit einstimmen, die von der Herrlichkeit Christi durchdrungen sind und ihm ähnlich zu werden streben. Wir sollen wachsen an Gnade und Weisheit bei Gott und den Menschen. Das können wir aber nur bei dem lebhaften, allezeit regen Eifer, unser ganzes Verhalten dem Willen Gottes und dem Vorbild Jesu gemäß einzurichten. Es ist nicht genug, wenn wir zu gewissen Zeiten, an heiligen Tagen und Orten unser Herz zu Gott erheben, wenn wir uns bei besonderen Veranlassungen die Gebote Gottes vergegenwärtigen. Wir müssen vielmehr davon reden, wie Moses sagt (5. Buch, 6, 7), wenn wir im Hause sitzen, oder auf dem Wege wandeln, wenn wir uns niederlegen oder aufstehen. Wir müssen den Herrn immer vor Augen und im Herzen tragen, alle seine Rechte und Gebote halten, Alles thun in steter Beziehung auf Ihn. Wohl empören sich oft unsere Neigungen wider Gottes Gebote; leicht bethören uns die unordentlichen Lüste unseres Herzens; bald berücket uns der Glanz der Welt und die lockende Stimme der Verführung. Wie wollen wir dem Allen widerstehen, uns gegen den Betrug der Sinne verwahren, vor der Gewalt der Leidenschaft uns schützen, wenn uns nicht allezeit des Höchsten Wille vor Augen sieht, wenn das Gefühl unseres christlichen Berufs nicht immer rege in uns ist?

Wenn wir in die Sünde willigten und vom Wege der Gottseligkeit wichen, so ging allezeit ein leichtsinniges Vergessen der Gebote Gottes oder ein absichtliches Wegwenden von Christo, dem Herzog unserer Seligkeit, vorher. „Wer mich liebet,“ spricht Christus, „der wird mein Wort halten, und mein Vater wird ihn lieben und wir werden zu ihm kommen und Wohnung bei ihm machen.“ Joh. 14, 23. Es ist unmöglich, daß wir Uebels thun, wenn wir uns in der Nähe des Ewigen, von seiner Heiligkeit umleuchtet, von seinem Auge durchforscht wissen. Es ist unmöglich, daß wir uns zum Bösen herabwürdigen und mit den Gottlosen in Gemeinschaft treten, wenn wir unseres erhabenen Christenberufes eingedenk sind und nie vergessen, wie theuer wir erkauft sind. Unauflöslich ist das Band, welches Gott zwischen Gerechtigkeit und Frieden, zwischen Frömmigkeit und Freude in dem heiligen Geist geknüpft hat. So sichert uns denn auch der Aufblick zum Herrn vor Unmäßigkeit und Völlerei, vor Mißbrauch unserer Kräfte, vor Vergeudung der Zeit, vor dem Taumel der Leidenschaft. Er macht uns ernst, besonnen, vorsichtig und bedachtsam. Jeder Genuß verknüpft sich mit dem dankbaren Andenken an Gott, und wird dadurch erhöhet, veredelt und geheiligt. So lehre mich auch heute das Gute genießen, was du verleihen wirst, mein Gott, und laß mich stets deiner Gebote und meiner ewigen Bestimmung eingedenk sein. Amen.

Am 19. März.

Selig ist das Gnadenzeichen
Derer, die nur arm an Geist
Willig allen Reichen weichen,
Welcher Gut vergänglich heißt,
Die bei ihren vollen Garben
Oft an Leib und Seel' verdarben,
Wenn der Armen Lohn dafür
Heißt, das Himmelreich ist ihr.

„Selig sind, die geistlich arm sind, denn das Himmelreich ist ihr.“ Matth. 5, 3. Der holdselige Prediger auf dem Berge ist in den Tagen seines Fleisches ein Armer gewesen. Ob er wohl reich war, ward er doch arm um unsertwillen. Die Füchse haben Gruben, die Vögel unter dem Himmel haben Nester; aber des Menschen Sohn hatte nicht, da er sein Haupt hinlegte, hatte als Kind keine Wiege, als Mann kein Haus, als Sterbender kein Sterbebette. Das Gleiche zieht das Gleiche an. Die Armen und Geringen im Volke, die nicht in Purpur und köstlicher Leinwand, sondern nur in Fischerkleidern und Arbeiterröcken einhergehen, haben sich in den Tagen seines Erdenwandels um ihn geschaart. Preiset nun der Herr solche Dürftige und Nothleidende selig? Ist's der Mangel an irdischem Besitz, ist's die äußerliche Armuth, die der Herr hinstellt als Bedingung für den Eintritt ins Himmelreich? Mit nichten! Es soll allen Menschen geholfen werden, den Armen, wie den Reichen. Es ist die geistliche Armuth, über die der Herr das „Selig“ ausruft. Nicht an den auswendigen, sondern an den inwendigen Menschen wendet er sich mit seinem Wort.

Die recht seligen Armen, das sind diejenigen, welche weder in sich selber, in ihrer Tugend, Weisheit und Erkenntniß, noch in der Welt, mit all' ihrer Lust, Ehre und Herrlichkeit gefunden haben, was die Seele wahrhaft trösten und erfreuen kann. Sie haben's mit Scham und Schmerz erfahren, daß ihre Gerechtigkeit befleckt, daß ihr Wissen Stückwerk, ihre Vernunft blind, ihr Wille ohnmächtig ist. Ihre tägliche Sünde und Uebertretung steht ihnen vor Augen, sie sind darüber bekümmert und niedergeschlagen, sehen für sich allein kein Durchkommen, stehen als Bettler vor der Thüre des Himmelreiches und strecken darum ihre Hände nach einem Seligmacher, Trost und Heiland, nach Kraft und Frieden aus. Vor ihren bethränten Augen breitet der Herr Christus den unerforschlichen Reichthum seiner Gnadenschätze aus, in ihre bittenden Hände legt er das Brod des Lebens und ihre verlangenden und beladenen Herzen stillt und erquickt er. In ihm finden sie den reichen Freund, der zu ihren Bitten sich neigt, den guten Hirten, der ihnen einen Tisch bereitet und ihnen voll einschenket. Sie sprechen dann mit den Jüngern: „Herr, wohin sollen wir gehen? Du hast Worte des ewigen Lebens, und wir haben erkannt, daß du bist Christus, der Sohn des lebendigen Gottes.“ Joh. 6, 68. In der Armuth meines Geistes komme ich auch zu dir, mein göttlicher Erlöser, und bitte dich, daß du mich reich machest aus der Fülle deiner Herrlichkeit. Amen!

Am 20. März.

Zu dir komme ich in früher Morgenstunde, du göttlicher Erlöser und ewiger Hohepriester! Wie treulich hast du die verlorenen Schafe gesucht, die Sünder zur Buße gerufen, am Kreuz für die Uebelthäter gebeten! Du vertrittst auch jetzt noch alle bußfertigen Sünder und bittest für sie bei deinem himmlischen Vater. Ach, ohne dich wäre auch ich verloren, suchte Frieden und fände ihn nicht. Das Dichten und Trachten meines Herzens ist böse immerdar. Ich weiß, daß in mir nichts Gutes wohnet. Den Willen zum Guten habe ich wohl, aber das Vollbringen finde ich nicht. Ich kann wohl mit dem Apostel sagen: „Das Gute, so ich will, thue ich nicht, sondern das Böse, so ich nicht will, thue ich.“ Röm. 7, 19. Ich weiß es nicht, wie oft ich fehle; meine Sünden gehen über mein Haupt; wie eine schwere Last beugen sie mich nieder. Ach du, mein Heiland und Erlöser, hast sie von mir genommen und getragen, und hast meine Seele erquicket mit deinem Troste. Du kennest mein Herz und siehest es niedergebeugt von Reue und Traurigkeit. Erfülle an mir deine Verheißung: daß Alle, die an dich glauben, nicht verloren gehen, sondern das ewige Leben haben sollen. Ach, Herr, ich glaube deinem Worte und umfasse dein Kreuz mit fester Zuversicht. Laß mich nicht verderben in meinen Sünden und gieb mich nicht hin dem Zorne der Gerechtigkeit. Die Strafe liegt auf dir; du hast sie erlitten, auf daß wir Frieden hätten, und durch deine Wunden sind wir geheilet, Das erhebt das gebeugte Haupt und tröstet das bange Herz; das giebt mir Muth zum neuen Tagewerke und stärket den Glauben mit hoher Kraft, Ach, schaffe in mir durch deinen Beistand wahrhaft gute Werke, die Früchte des durch Buße in Glauben und Liebe erneueten Lebens sind. So darf ich von des Glaubens Ende die ewige Seligkeit hoffen. Amen.

Am 21. März.

„Der natürliche Mensch vernimmt nichts vom Geiste Gottes,“ sagt Paulus, 1. Cor. 2,14; und so verhält sich's in der That. Der natürliche Mensch lebt nur in der Sinnenwelt und für dieselbe; er glaubt nur, was er mit seinen Augen sehen, mit seinen Händen betasten, mit seiner Vernunft begreifen kann. Die übersinnliche Welt ist für ihn nicht vorhanden. In seinem Leben waltet die Willkür, der Zufall oder das Gesetz der Nothwendigkeit. Von der Berufung des Menschen zur ewigen Seligkeit ahnet er nichts. Freuden des Geistes und Herzens, die aus der Hingabe des Herzens an Gott quellen, kennt und liebt er nicht. Sein vereitelter Sinn ergötzt sich an dem Irdischen, Naheliegenden und Nichtigen. Seine Losung und Lebensweisheit ist: „lasset uns essen und trinken, denn morgen sind wir todt.“ Wie will ein solches Weltkind den Geist der Religion fassen, die ihren Freunden ein unablässiges Ringen nach Heiligung, ein ernstes Trachten nach dem Höhern und Ew'gen gebietet, die uns über Zeit und Raum hinaus in das Reich des himmlischen Vaters führt, die ein demüthiges, bußfertiges, heilsbegieriges Herz verlangt, die uns das Kreuz der Trübsal und des Kampfes mit der Welt auflegt, damit wir für das Himmelreich erzogen, gestärkt und tüchtig gemacht werden!

Wie will der natürliche Mensch das große Wort verstehen: „und das Wort ward Fleisch und wohnete unter uns.“ I. Joh. 1, 1. 2 u. 14. Wie will er in Christo den armen, verachteten, an's Kreuz geschlagenen Menschensohn, den Abglanz der ewigen Herrlichkeit, das Ebenbild des lebendigen Gottes sehen? Ihm muß das Evangelium von der Erlösung eine Thorheit und ein Aergerniß sein. Kennt er doch keinen andern Maßstab für den Werth einer Sache, als den ihm das sinnliche Gefühl darreicht. Das Angenehme ist ihm allein das Gute; das sucht und schätzt und genießt er, und er glaubt das Höchste erreicht zu haben, wenn er alle Tage herrlich und in Freuden leben kann. Ach, halte mich fest, o Herr, in deiner Gnade, daß ich zu dieser unwürdigen und niedrigen Ansicht des Lebens, zu dieser unseligen Verblendung des Geistes, zu dieser jammervollen Selbstvernichtung in keinem Augenblicke meines Lebens herabsinke, Erhalte mich in der Wachsamkeit und im Gebet; der Geist ist willig, aber das Fleisch ist schwach. Ich vermag alles durch Den, der mich mächtig macht, Christus. Philipp. 4, 13. Amen.

Am 22. März.

O, wenn du es wüßtest, wie Vieles und wie Vielen du schuldig bist, wie klein, ja wie nichtig würde dir erscheinen, was du bisher gethan! Zuerst verdankest du Jesu Christo all' dein Leben, weil Er sein Leben für dein Leben gelassen und bittre Qualen erduldet hat, daß du nicht ewig leiden müßtest. O welch unverdientes Erbarmen, welche treue Liebe, welche staunenswerthe Freundlichkeit, daß der König der Herrlichkeit sich für den verachtetsten Knecht kreuzigen läßt! Kaum stirbt Jemand für einen Gerechten, Er ist für Gottlose und Feinde gestorben. Wer hat jemals solches gehört oder gesehen? Wie willst du dem Herrn vergelten Alles, was er dir gethan hat? Gieb ihm, was du bist, was du kannst; was ist es anders, als ein Stern gegen die Sonne, ein Tropfen neben dem Strome, ein Stein vor dem Berge, ein Körnlein in dem Haufen? Gedenke zweitens an deine begangenen Sünden und merke darauf, wie sie von dir für die Zukunft rechtschaffene Früchte der Buße fordern. Und wer ist dazu geschickt? Deiner Sünden sind so viel als des Sandes am Meere; wie willst du zählen, was unzählbar ist? Verwendest du alle deine Kraft und all' dein Sinnen auf Erneuerung in der Buße, wird es auch etwas zu rechnen sein gegen das, was die Sünden von dir fordern? Wie, wenn ich dir nun ein Drittes zeige, das dein ganzes Leben für sich verlangt! Auch du wünschest doch wohl an den Ort zu kommen, davon geschrieben steht: Herrliches ist von dir verheißen, Stadt Gottes; auch du willst doch wohl den Engeln gleich, ein Erbe Gottes und Miterbe Christi sein, um zu sehen, was es ist, wenn der Sohn dem Vater das Reich übergiebt und Gott Alles in Allen wird; auch du wünschest doch wohl zu schauen, wie nach entflogenen Schatten und zerstreuten Wolken jener festliche Tag aufleuchtet, ein ewiger Mittag voll Wärme und Licht! Um solches aber zu erkaufen, mußt du dich da nicht ganz und Alles, was du gewinnen kannst, daran geben?

Am 23. März.

„Ich elender Mensch, wer wird mich erlösen von dem Leibe dieses Todes?“ Röm. 7, 24. Dieser Seufzer des Apostels Paulus tönt durch alle Welt, er wird gehört, so weit Christen wohnen. Welch lieblichen Schmuck die Erde auch trägt, wie schön und herrlich sie auch von der Liebeshand Gottes zubereitet ist, und welche Freudenblumen uns auch darauf erblühen, - sie ist und bleibt ein Thränenthal. Wer will darum der Sehnsucht heraus aus der vielgestaltigen Noth dieses Erdenlebens wehren? Wer möchte immer da bleiben, wo so vieles Halbe und Vergängliche, so vieles Schmerzensreiche und Sündige uns umgiebt?

Da hat ein Paulus Lust zu scheiden;
Ein Abraham ist lebenssatt;
Da wird ein Hiob müd und matt
Vor langem Sehnen in dem Leiden;
Elias wünscht bei seinem Wandern
Zu schließen den betrübten Lauf;
Von einem Morgen bis zum andern
Sieht David nach der Hülfe auf.

Wer so natürlich eine Sehnsucht ist nach einer bessern Welt, und so gewiß auch der Herr will, daß uns nach der ewigen Heimath verlangen soll, so leicht kann, doch diese Sehnsucht zur Sünde werden, wenn sie aus Lebensüberdruß hervorgeht, mit Ungeduld im Herzen sich regt und nicht mit einem heilig ernsten Streben nach dem himmlischen Ziel verbunden ist. Wie das rechte Heimweh eines Christen beschaffen ist, das lernen wir von Paulus, wenn er ausruft: Ich elender Mensch, wer wird mich erlösen von dem Leibe dieses Todes! Sein Schmerz ist der Leib dieses Todes, das Erdenleben, die Zeitlichkeit mit ihrem Mangel an wahrem Leben. Wahres Leben ist der Sieg über Fleisch und Sünde, ist herzliche Buße und ungefärbter Glaube, ist völlige Gemeinschaft mit Gott, Friede mit Gott und Erlösung von allen Sünden. Das ist des Apostels Schmerz, daß er noch nicht völlig den Nöthen dieses armen sündigen Lebens entronnen ist. Aber er kennt den Herrn, der ihn erlösen wird von allem Uebel und ihn aushelfen zu seinem himmlischen Reiche. Herz, Seele und Gedanken des treuen Jüngers sind längst droben bei dem lieben Meister und ruhen im Schooße dessen, der ihn je und je geliebet und darum zu sich gezogen hat. O des seligen Herzensstandes, in ihm ist Friede und Freude und der Himmel auf Erden! Hilf mir dazu, mein Herr und mein Gott! Amen.

Am 24. März.

„Halte im Gedächtnis, Jesum Christum.“ 2. Tim. 2, 8. Die Zeit ist wieder herbeigekommen, die dem Andenken an das bittere Leiden und Sterben unseres Herrn Jesu gewidmet ist, und all die unaussprechlichen Segnungen, die wir Ihm, dem unschuldigen Gotteslamm, zu danken haben, treten uns vor die Seele. Wer kann ihn hinaufgehen sehen nach Jerusalem, ohne im tiefsten Grunde des Herzens bewegt zu werden? Der Herr kennet die Leidenstaufe, die er dort empfangen soll. In immer deutlicheren Worten hatte er von seinem Ausgange zu den Jüngern geredet. „Sehet, wir gehen hinauf gen Jerusalem, und es wird Alles vollendet werden, das geschrieben ist durch die Propheten von des Menschen Sohn. Er wird den Hohenpriestern und Schriftgelehrten überantwortet werden, und sie werden ihn verdammen zum Tode und werden ihn überantworten den Heiden, und er wird verspottet, geschmähet und verspeiet werden, und sie werden ihn geißeln und kreuzigen und am dritten Tage wird er wieder auferstehen.“ Jerusalem ist seines Erdenlaufes Ziel. Dort muß er sterben nach Gottes Rath. Dort war das Heiligthum, wo Gottes Name wohnte; dort war der Feuerheerd alles Hasses wider Gottes Boten und seiner Wahrheit Zeugen; dort war so vieler Propheten Blut geflossen; dort gingen die greulichsten Sünden im Schwange; dort saßen die Bauleute, die den Stein verwarfen, der zum Eckstein geworden ist; dort versammelte sich der hohe Rath über Gottes heiliges Kind, und beschloß, den wahren Messias und einzigen Arzt auszustoßen und an's Kreuz zu heften.

Mit stillen Thränen, mit Bangen und Zagen geht der Heiland den entscheidenden Tagen und Stunden entgegen, da er als Lamm Gottes die Sünde der Welt tragen, und uns erlösen sollte von allem Uebel in Zeit und Ewigkeit. Aber hinter den dunkeln Schatten, die in seine Seele fallen, strahlt das Licht der unendlichen Liebe des Vaters und die Siegesgewißheit, daß der Hingang zum Kreuz Heimgang ist zum Vater, daß aus seinem Tode, neues Leben erblüht für alle armen Sünder. Ungeschreckt von den Drohungen des blinden Hasses, unbeirrt von den Mahnungen kurzsichtiger Liebe (Matth. 16, 22) wandelt der Heilige Israels den Weg, den der Vater ihm vorgezeichnet. O wie herrlich leuchtet in Allem der Sohn Gottes uns vor! So würdevoll geht kaum die Sonne ihre Bahn durch finstere Wolken und trübe Nebel. Kein Uebel findet ihn rathlos, kein Schrecken verwirrt sein Gemüth. Ueberall trägt er heilige Ruhe, unerschütterlichen Frieden mit sich. Mit Wohlthun vergilt er den Haß der Feinde und Verleumder, duldet alle Pein, leert den Leidenskelch bis auf den letzten Tropfen, wird der Allverachtetste und Unwertheste, um uns vom Staube zu erheben, uns aus dem Elend herauszureißen und uns zu Ehren zu bringen.

Treuer Jesu, sei gepriesen
Für dein Leiden, deine Qual,
Für die Wohlthat ohne Zahl,
Die dein Tod uns hat erwiesen.
Laß dafür in Kreuz und Pein
Uns, o Herr, dir dankbar sein.

Am 25. März.

Welch ein rührendes Zeugniß dankbarer Liebe gab Maria, die stille, fromme Magd, ihrem Herrn und Heiland, als er auf dem Wege zum Kreuze im Freundeshause zu Bethanien einkehrte! Sie hatte einst zu seinen Füßen gesessen, dem Worte des ewigen Lebens gelauscht und das gute Theil erwählt. Sie hatte in Christo das Licht der Welt, den gnadenreichen Erretter des sündigen Menschengeschlechts erkannt. Sein Geschick erfüllt ihr Herz mit trüben Ahnungen, und ihre ganze Seele glüht in Andacht und Jesusliebe. Sie hat ein Kleinod, ein Glas mit köstlicher Narde. Das nimmt sie und, wie getrieben vom heiligen Geiste, eilet sie auf Jesum zu, fällt vor ihm nieder, gießt das Oel auf seine Füße, und salbt und trocknet sie mit ihrem Haare; darnach zerbricht sie das Glas über seinem Haupte und läßt den Rest auf ihn niederträufeln, und das ganze Haus ward voll vom Geruche der Salbe.

In himmlischer Einfalt, ohne Wissen und Willen, hat sie das auserwählte Opfer zum Tode geweiht, zu seinem Begräbniß gesalbt. Aber dieser Erweis überfließender Liebe wird von den Jüngern als etwas Ueberflüssiges verurtheilt, und in dem Herzen des geizigen und unlauteren Judas regt sich tiefer Ingrimm über diesen „Unrath“. Er berechnet eben, wenn dies theure Nardenöl verkauft worden und das Geld in die gemeinschaftliche Kasse gelegt wäre, wie viel er unbemerkt davon nehmen könne; er liebt nicht die Armen, aber er haßt Den, an welchem die Seele der frommen Jüngerin hängt. Der Herzenskündiger schauet mit tiefer Betrübniß auf dies finstere Treiben, aber nicht um seinetwillen, sondern um der liebenden Seele willen, die ihm Alles gab, und der dieser Widerspruch bitterer Schmerz bereitete. Sie vertheidigt sich nicht, aber ihr Auge ruht fragend und bittend auf ihm. Er nimmt das Wort für sie: „Was bekümmert ihr das Weib? Sie hat ein gutes Werk an mir gethan. Arme habt ihr allezeit bei euch, mich aber habt ihr nicht allezeit.“ Und, wie er die schöne That rühmt und preist, so verspricht er ihr zugleich ein unvergängliches Gedächtniß. - O Jesu, gieb mir ein erkenntliches Herz, daß ich Alles, was ich habe, dankbar dir zu Füßen lege, ja mich selbst mit Leib und Seele dir zu eigen gebe.

Ich will dir ein Opfer geben,
Seel' und Leib sei meine Gab'!
Jesu, nimm dies arme Leben,
Weil ich ja nichts Bess'res hab',
Tödt' in mir, was dir mißfällt,
Leb' in mir auf dieser Welt,
Laß mich mit dir leben, sterben,
Und dein Reich im Himmel erben.
Amen!

Am 26. März.

Von der Höhe des Oelbergs sah der Herr auf die schöne, herrliche Stadt Jerusalem hernieder. Rings mit Gärten und Palmenwäldern umgeben, lag sie vor seinen Augen im Glanz der Sonne, mit festen Mauern eingeschlossen, mit vielen Thürmen und Zinnen geschmückt und großen Palästen, in denen Reichthum und irdisches Glück wohnte. In ihr stand der Tempel Jehova's, der einzige, in dem bisher dem lebendigen Gott Anbetung und Opfer war dargebracht worden. In ihren Mauern waren viele Grabstätten der Propheten und heiligen Männer, viele Wunder Gottes waren daselbst geschehen; ja Gott der Herr hatte dieser Stadt seine größte Gnade bewiesen, indem er ihr seinen Sohn sendet, damit das Maaß des Segens voll werde.

Wie aber kommt der hochgelobte Gottessohn, der verheißene Zionskönig zu Jerusalem? In der fröhlichen Zuversicht, daß diese Stadt ihn aufnehmen werde, wie sich's gebührt, daß sie das Heil erkennen werde, das ihr widerfahren soll? Nein, er kommt mit Thränen! Er freut sich nicht an der Anmuth der Gegend, nicht an der Pracht der Stadt, nicht an der Herrlichkeit des Tempels. Er denkt an die Bewohner und an ihre Sünden, an die Gottlosigkeit und an das Wort: die Sünde ist der Leute Verderben.

Vor dem prophetischen Auge des Heilands stehen all die furchtbaren Greuel, die vierzig Jahre hernach über Jerusalem hereinbrachen. Er erkennt unter der glänzenden Hülle schon den verborgenen Jammer; er sieht die Adler über dem Aase schweben, sieht die Mauern zertrümmert, die Straßen mit Blut beströmt, den Tempel in Flammen stehend. Er hört von Ferne den Kampfesruf der Streitenden, das Wehklagen der Verzweifelnden, den Todesschrei der Sterbenden. „Wenn du es wüßtest,“ ruft der mitleidige Hohepriester aus, „so würdest du auch bedenken, zu dieser deiner Zeit, was zu deinem Frieden dienet! Aber nun ist es vor deinen Augen verborgen. Denn es wird die Zeit über dich kommen, daß deine Feinde werden um dich und deine Kinder mit dir eine Wagenburg schlagen, dich belagern und an allen Orten ängstigen, und werden dich schleifen und keinen Stein auf dem andern lassen, darum, daß du nicht erkannt hast die Zeit, darinnen du heimgesucht bist.“

O Jerusalem! an dich hat Jesus so lange die zärtlichste Liebe, so heiße Thränen gewendet. Wie eine Henne ihre Küchlein sammelt unter ihre Flügel, sie warnt, wo Gefahr droht, sie birget vor den lüsternen Blicken des Räubers, vertheidigt wider die Feinde, decket vor dem rauhen Sturme, schützet vor dem schädlichen Regen, wärmet, wo sie erkältet sind, führet, wo sie Speise und Trank finden, für sie sich ängstiget, für sie arbeitet, sie ruft und locket, warnet und lehret, aus lauter Liebe sich selber vergißt so, aber nicht in natürlicher und sterblicher, sondern in göttlicher Liebesgluth hat er dich gesuchet, das Herz deines Volkes. - Aber Jerusalem, die große Sünderstadt, hat nicht gewollt, und so ist über ihr der Zorn Gottes offenbar geworden. O Herr! ein wie großer Ernst ist es dir mit der Erlösung der Menschen! Gieb, daß mein Hell mir auch rechter Ernst werde und daß ich nicht durch Muthwillen und Trägheit verderbe, was du mir durch deine Thränen und durch dein bitteres Leiden und Sterben erworben hast. Amen.

Am 27. März.

Als der Herr einzog zu Jerusalem, da rief ihm das jubelnde Volk zu: „Hosianna dem Sohne Davids! Gelobt sei, der da kommt im Namen des Herrn! Hosianna in der Höhe!“ Matth. 21, 3 und 9. Es waren thörichte Hoffnungen, welche das Volk hegte von dem längst verheißenen und sehnlich erwarteten Messias. Einen mächtigen, gewaltig gebietenden Herrscher der Welt erblickten sie in ihm, der das jüdische Volk über alle Nationen der Erde erheben und mit Macht und Reichthum schmücken werde. Wohl hatte der Herr Alles gethan, um diesen Wahn zu zerstören und reinere, edlere, erhabnere Begriffe von seiner Würde und Bestimmung zu verbreiten. Aber es wird dem sinnlichen Menschen unglaublich schwer, sich von irdischen Gedanken loszureißen, tiefgewurzelte Vorurtheile auszurotten, langgenährte Wünsche aufzugeben und eitle Hoffnungen in ihrer Nichtigkeit zu erkennen. Es gilt auch hier das Wort des Herrn: „Wenn ihr nicht von neuem geboren werdet, könnet ihr nicht in das Reich Gottes kommen.“

Ach, ich nähre wohl auch mein Herz mit eitlen Hoffnungen, und scheue die eigene Anstrengung und Mühe, will nicht ringen um meiner Seele Seligkeit, suche und verlange ein Leben ohne Schmerz und Kampf, stütze mich auf die Gnade Gottes, erschienen in unserm Herrn Jesus Christus, ohne mein Herz durch Reue und Buße dafür empfänglich zu machen. Nein, ich will die Verheißungen des Evangeliums nicht zur Beschönigung der eigenen Trägheit mißdeuten; ich will nicht in gefährlicher Sicherheit fortwandeln unter dem Schein trüglicher Hoffnungen; ich will nicht trotzen auf Verzeihung und Gnade, auf Hülfe und Rettung bei dem Bewußtsein meiner Sündhaftigkeit und bei der Anhänglichkeit an alte Begierden und Lüste. Ich will dem Herrn eine Stätte bereiten, auf daß er zu mir kommen und Wohnung bei mir machen könne. „Wahrlich, wahrlich, ich sage euch, spricht der Herr; wer mein Wort höret und meine Gebote hält, der ist's, der mich liebet. Wer mich aber liebet, der wird von meinem Vater geliebt werden, und ich werde ihn lieben und mich ihm offenbaren.“ Joh. 14, 21. Welch hohes Glück, welche unaussprechliche Seligkeit, von Christo geliebt zu werden! Amen.

Am 28. März.

„Fürwahr er trug unsere Krankheit und lud auf sich unsere Schmerzen.“ Jes. 53, 4.

Held Gottes, ach, um unsertwillen
Gehst du den schweren Leidensgang;
Nimmst, unsers Herzens Pein zu stillen,
Auf dich das Kreuz so schwer und bang.
Ach, tief gerührt schau'n unsre Herzen
Auf dich, der unser Heil versicht,
Und blutend unter Todesschmerzen
Den Weg zum ew'gen Leben bricht.

Ach! muß es sein? Der Held erlieget?
Mein Heiland sinkt in Todesnacht?
Nein, weder Tod noch Grab besieget
Der heil'gen Liebe Licht und Macht.
Du bindest sie, o Tod, vergebens:
Die starke bricht dein finst'res Thor,
Und schwebt als Fürstin ew'gen Lebens
Zu Gottes Majestät empor.

Gekreuzigte, verklärte Liebe,
Du höchster Schatz der ganzen Welt! .
Und wenn mir nichts von Allem bliebe,
Du bist's, die mich im Tod' erhält.
Und wandle ich auf dunklen Wegen,
Sollst du mir Licht und Leben sein;
Du bringst des Himmels reichen Segen
In's tiefbetrübte Herz hinein.

Die Liebe soll dir, Heiland, lohnen,
Sie sei dein Siegs- und Ehrenkranz!
O nimm mich hin, nimm Millionen,
Nimm die erlöste Erde ganz!
Du trugst ihr Weh und ihre Qualen,
Du trugst der Sünde schwere Schuld;
Vom dunklen Kreuze leuchten Strahlen
Der ew'gen Gnad' und Gotteshuld.

Am 29. März.

Willkommen, o Kreuz, Zeichen des lebendigen Gottes, Zeichen des höchsten Triumphes; willkommen, o herrliches und köstliches Holz, dem Ceder und Cypresse, Lorbeer und Palme, Oelbaum und Weinstock weichen müssen! Heller als die Sonne, klarer als alle Sterne der Welt leuchtest du Denen, die dich mit Augen des Glaubens und der Liebe betrachten.

Einstmals warest du verflucht und dein Name war schmachvoll, jetzt bist du von der tiefsten Niedrigkeit in wunderbarem Schwunge bis zur Himmelshöhe emporgestiegen und selbst auf Königskronen prangest du. Wer hat doch deine Schmach vertilgt? wer dich zu solcher Ehre erhoben? Kein Anderer, als der, welcher allein Wunder thut, Jesus Christus, der Sohn des lebendigen Gottes, Herr Himmels und der Erden.

Da ihn die sündige Erde von sich stieß, stieg er an dich hinan; du nahmst ihn auf und trugest die köstliche Bürde seines Leibes. Da wardst du geheiligt, indem dich sein Fleisch berührte, indem dich sein Blut benetzte. Siehe, so salbe dich dein Gott mit Freudenöl vor deinen Genossen, vor allen andern Bäumen der Wälder, daß du ein heiliger Altar würdest. Ja, du bist wahrhaftig ein heiliger Altar, denn auf dir ist dargebracht das unbefleckte Lamm, welches allein die Erde mit dem Himmel versöhnen konnte.

Am 30. März.

„Jesus ward betrübt im Geiste, zeugete und sprach: Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Einer unter euch wird mich verrathen!“ Joh. 13, 21.

Wie, in der Nähe Jesu, unter den Jüngern, unter den steten Zeugen seiner Macht, seiner Liebe, seines Lebens - ein Verräther? Ist's möglich, daß wer sein Wort gehört, seine Thaten gesehen, seine Liebe empfunden, seinen Segen empfangen, daß der ihn in die Hände seiner Feinde liefert, daß der für schnödes Geld ihn verrathen konnte? Ach, es ist so! Und auch hier, wie erscheint der Heiland so milde, so groß und voll unendlicher Erbarmung! Der Herzenskündiger wußte, was in der Seele des geldgierigen Jüngers vorging, aber er wies ihn nicht hinweg aus seiner heiligen Nähe, sondern streckt die Arme nach dem verlornen Sohne aus. Er trägt ihn in schonender Langmuth und Geduld, und wird nicht müde, auf ihn zu wirken, um ihn zu werben, damit er den bösen Hang überwältige, die argen Gedanken verscheuche und aus der Gewalt des Satans sich loswinde. Er läßt ihn mit den andern Jüngern verkehren und an ihren gemeinschaftlichen Unterhaltungen Theil nehmen, seinem Grundsatze gemäß: „Lasset beides, Unkraut und Weizen, mit einander wachsen bis zur Ernte.“ Matth. 13, 30. Ja, er gestattet ihm sogar, als er schon schwarzen Verrath in der Seele brütet, am gemeinschaftlichen Tisch seinen alten Platz. Gleiche Rechte mit den übrigen Gliedern der Familie genießt das verlorne Kind, wird gleicher Wohlthaten theilhaftig. Er sitzt dem Meister gegenüber, so nahe, daß dieser einen Bissen eintauchen und ihm darreichen kann. So ging buchstäblich die Schrift in Erfüllung: „Der mein Brod isset, tritt mich mit Füßen.“ Joh. 13, 18. Ach, der Sohn Gottes reicht sogar dem Verräther das gesegnete Brod und den gesegneten Kelch, ob nicht vielleicht dieser Beweis seiner unendlichen Liebe ihn erschüttern und den höllischen Gedanken vernichten möchte. Sieht man da nicht recht hinein in das erbarmende Herz unseres Heilandes!

Und mit derselben Erbarmung und Geduld trägt er auch uns in unseren Sünden; dieselbe treue Hirtenliebe beweiset er unserer Seele. Wir gehen wohl auch falschen Göttern nach, geblendet vom eitlen Glanz, getrieben von böser Begier, irre geleitet durch arge Gedanken. Der sinnlichen Lust, dem Besitze des Mammons, dem täuschenden Ehrgeiz opfern wir Zeit, Kräfte, den Frieden des Herzens. Wir hören die Stimme des Herrn und achten nicht darauf; wir empfangen die Merkzeichen seiner Liebe, und werden davon nicht zur Buße geleitet; wir sehen die Herrlichkeit des Eingebornen, und sie läßt uns gleichgültig. Wie leicht wäre es dem Allmächtigen, seinen Odem hinweg zu nehmen und das frevelnde Geschöpf zu vernichten. Aber er fristet ihm das Leben, tritt näher zum verhärteten Herzen, bittet und erinnert, warnt und straft, ob sich der Sünder bekehre und ablasse von seinem gottlosen Wesen.

Bewahre mich, Herr, daß ich nüchtern und beständig bleibe und für deine Liebe und Gnade allzeit ein offenes Herz und Auge behalte. Hilf, daß ich mich selbst richte, im Lichte deines Angesichts wandle und zum ewigen Leben eingehen möge. Amen.

Am 31. März.

Der letzte Lebenstag Jesu war nahe herbei gekommen. Ein Tod unter vielen Schmerzen, Martern und Qualen, der entsetzliche Kreuzestod, erwartete das heilige Gotteslamm. Wer hätte, wem das Alles lebendig vor der Seele steht, noch Raum für einen anderen Gedanken im Herzen? Aber Jesus, wie er hatte geliebet die Seinen, so liebte er sie bis an's Ende. Und nehmen wir dazu, daß der Herzenskündiger in dieser Stunde auch in den Herzen der Jünger jede Woge ihrer Gedanken sah, daß er in dem Einen seinen Verräther, in dem Anderen seinen Verleugner und in Allen die verzagten Flüchtlinge erkannte, so muß uns sein treues, unverwandtes Lieben tief erschüttern.

Und wie seine Liebe, so ist gleicherweise seine Demuth anbetungswürdig. Der hochgelobte Gottessohn, der Herr der Herrlichkeit, dem alle Gewalt gegeben war im Himmel und auf Erden, dessen Wort: „Es ist vollbracht!“ bald über die ganze Welt hinauf in den Himmel und hinab in die Hölle dringen sollte er erhebt sich von der Tafel, legt seine Oberkleider ab, umgürtet sich mit einem Schurz, gießt Wasser in ein Becken und wäscht seinen Jüngern die Füße, um sie durch sein Beispiel zu lehren, Demuth zu üben, um sein früheres Wort zu bestätigen: „Lernet von mir, denn ich bin sanftmüthig und von Herzen demüthig!“ Denn nachdem er seine Kleider wieder genommen und sich gesetzt hatte, sprach er zu seinen Jüngern: „Wisset ihr, was ich euch gethan habe? Ihr heißet mich Meister und Herr und saget recht daran, denn ich bin es auch. So nun ich, euer Herr und Meister, euch die Füße gewaschen habe, so sollt ihr auch euch unter einander die Füße waschen. Ein Beispiel habe ich euch gegeben, daß ihr thut, wie ich euch gethan habe. Nenn die weltlichen Könige herrschen und die Gewaltigen heißet man gnädige Herren: ihr aber nicht also, sondern der Größeste unter euch soll sein wie der Jüngste, und der Vornehmste wie der Diener.

Welche Ermahnung, unsern Stolz und Hochmuth zu brechen! Ach, wir armen Thoren stehen so oft auf der Lauer, ob uns Jedermann auch unsern vollen Ehrentitel giebt, ob man uns für jedes unsrer Werke die gebührenden Kränze überreicht, uns überall den Vorrang und Vortritt läßt und unsere Thorheit wie Salomo's Weisheit achtet. Welch einen beschämenden Spiegel hält der Herr unserem Ehrgeize vor! Herr, hilf mir, daß ich gering, arm und klein werde, dagegen dich gern in allen deinen Brüdern ehre, indem ich ihnen thue, wie du den Deinen gethan hast. Amen.

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