Riggenbach, Christoph Johannes - Matth. 11, 20-24, 5. Predigt

Riggenbach, Christoph Johannes - Matth. 11, 20-24, 5. Predigt

Da fieng er an die Städte zu schelten, in welchen am meisten seiner Thaten geschehen waren, und hatten sich doch nicht gebessert: Wehe dir, Chorazin, wehe dir, Bethsaida! wären solche Thaten zu Tyrus und Sidon geschehen, als bei euch geschehen sind, sie hätten vor Zeiten im Sack und in der Asche Buße gethan. Doch ich sage euch: Es wird Tyrus und Sidon erträglicher ergehen am jüngsten Gericht, denn euch. Und du, Kapernaum, die du bist erhoben bis an den Himmel, du wirst bis in die Hülle hinunter gestoßen werden. Denn so zu Sodom die Thaten geschehen wären, die bei dir geschehen sind, sie stände noch heutiges Tages. Doch ich sage euch: Es wird der Sodomer Lande erträglicher ergehen am jüngsten Gericht, denn dir.

Der Herr Jesus, der nach der Wahrheit urtheilte, hatte müssen in den Worten gerade vor unserm Texte die große Mehrzahl seines Volkes als Leute bezeichnen, denen es keiner der Boten Gottes recht machen könne, die jedem das Gesetz vorschreiben wollen, wie er predigen müsse, der Täufer fröhlicher, hochzeitlicher, der Herr Jesus strenger, gesetzlicher. Solche Leute seien sie, hatte er ihnen damit vorgehalten, welche die Prediger richten, aber sich selbst nicht richten; welche trefflich zu sagen wissen, wie die Predigt nach ihrer Meinung lauten sollte, aber nie begehren nach der Predigt zu leben, die Gott ihnen sende. Es ist wahrlich nicht zum Verwundern, daß er nun endlich anfangen mußte, die Städte zu schelten, worin sein Wirken so wenig Frucht des Lebens gebracht.

Aber wenn sein Schelten damals in Chorazin, Bethsaida, Kapernaum durchaus an der Stelle war, so könntet ihr vielleicht denken, es passe nicht ebensogut unter uns, und besonders nicht in diesen herzerfreuenden Tagen des Advents, wo uns ja vielmehr von neuem verkündiget wird, wie uns die heilsame Gnade Gottes erschienen sei, uns froh und selig zu machen.

Dennoch, meine Geliebten, wenn ihr es reiflicher bedenket, so werdet ihr gestehen, daß gerade in dieser Adventszeit auch das Schelten des Herrn Jesu nothwendig seine Stelle findet. Hat denn nicht der große Adventsprediger, Johannes der Täufer, gerade um das Volk auf das Kommen des Heilandes vorzubereiten, es ernstlich gescholten und ihm die Axt gezeigt, die schon dem Baum an die Wurzel gelegt sei, oder die Worfschaufel, durch welche die Spreu vom Waizen werde gesondert werden? So schalt Johannes das Volk Israel. Wir aber in der Christenheit, die wir nicht zum ersten Mal die Adventszeit feiern, mir gleichen insonderheit jenen Städten Chorazin, Bethsaida, Kapernaum, die schon längere Zeit das Wirken Christi unter sich erlebt hatten; und nun fragt es sich, ob er nicht auch an uns zu strafen finde, daß seine Arbeit so wenig Frucht geschafft habe. Dieser Frage laßt uns stille halten; es ist eine rechte Adventsfrage: ob und wie das Schelten des Herrn Jesu auch uns angehe? wir achten darauf, wen er schilt und warum er es thut, endlich was er in seinem Schelten droht?

O Herr Jesu, gib uns, deinem Schelten nicht auszuweichen. Wissen wir doch, daß du wahrhaftig bist und heilig, und in Deiner Heiligkeit unausdenklich barmherzig; und von uns müssen wir bekennen, daß wir's nöthig haben, uns in Deinem Lichte zu schauen und die Stimme Deines Geistes über uns zu hören. So gib uns Augen zu sehen, Ohren zu hören, Herzen zu gehorchen; prüfe und zeige uns, ob wir ans bösem Wege seien, und leite uns auf ewigem Wege! Amen.

I.

Wen schilt der Herr Jesus in unserm Texte? die Städte schilt er, in welchen am meisten seiner Thaten geschehen waren. Wem viel gegeben ist, bei dem wird man viel suchen. Der Knecht, der seines Herrn Willen weiß und hat sich nicht bereitet, auch nicht nach seinem Willen gethan, der wird viele Streiche leiden müssen. Je mehr ein Ort, je mehr ein Mensch von Gottes Gnade empfangen hat, desto größere Verantwortung liegt auch darin, desto weniger hat er eine Entschuldigung, wenn er gleichwohl ohne Gott in der Welt lebt.

Aber der Herr Jesus redet noch von mehr als nur von den Worten seiner Lehre, er redet von den Thaten, die sie von ihm gesehen hatten. Diesmal legt er also selber Gewicht auf seine wunderbaren Thaten: sie sollten etwas bei den Leuten ausgerichtet haben. Ein andermal kann er die Leute strafen, die nur um der Wunder willen zu ihm kommen: wenn ihr nicht Zeichen und Wunder sehet, so glaubet ihr nicht; ja noch mehr, er kann ihnen sogar, was sie fordern, ganz und gar abschlagen: diese böse und ehebrecherische Art sucht ein Zeichen, und soll ihr kein Zeichen gegeben werden. Ja, wenn sie nur kommen und Zeichen begehren zu leiblicher Heilung, was hilft ihnen das, auch wenn sie's empfangen und im Herzen ist nichts bleibendes neues geworden und der Herr Jesus hat nur der Helfer ihres sterblichen Leibes fein müssen? und wenn sie gar Zeichen und Wunder begehren nach ihrem Gutdünken, Zeichen vom Himmel, Zeichen an Sonne oder Mond, Zeichen zum Staunen, aber immer andere als diejenigen, die der Herr Jesus wirklich thut und die ihnen niemals gut genug sind - solche Zeichen nach der Laune ihrer Begehrlichkeit sollen sie gar nicht empfangen. So weist er sie ab.

Diesmal aber redet der Herr Jesus von den Thaten, die er unter ihnen wirklich gethan, was diese hätten wirken sollen, und klagt sie an, daß sie darauf so wenig geachtet. Was sie daraus hätten lernen sollen, das liegt schon in dem Namen, den er diesen Thaten gibt: Kräfte seien unter ihnen geschehen, so heißt es in wörtlicher Uebersetzung. Kräfte nennt er seine Heilandsthaten, weil sie strömten aus dem Quell seiner göttlichen Kraft. Kräfte der Heilung, Kräfte des wirksamen Erbarmens, Kräfte des Lebens, das in unsre Todeswelt getreten, hätten sie unter sich gehabt und nicht beachtet.

Wissen wir nichts von solchen Kräften, sei's auch, daß sie in andrer Gestalt als jene Heilungen sich kund geben? Ferne sei es von mir, den Zustand unsrer Schwachheit mit leeren Worten auszuschmücken, daß er wie eine Kraft erscheine. Aber ebenso ferne soll es von uns sein, was Gott uns gibt, was der Herr unter uns wirkt mehr als an vielen andern Orten, zu verkleinern. Thäten wir das, so wäre es wie eine Ausflucht, daß wir nicht so schuldig wie Chorazin, Bethsaida und Kapernaum erscheinen möchten.

Aber so dürfen wir uns nicht ausreden. Es handelt sich nicht um menschliche Prediger: der Herr Jesus selber hat sein Werk unter uns. Er läßt sein Evangelium rein, lauter und mit lebendiger Ueberzeugung unter uns verkündigen, wie nicht an vielen andern Orten. Wer hier aufwächst, kann sich viel weniger als andere entschuldigen, er habe die Wahrheit nicht kennen lernen. Und es ist auch hier nicht bloß die reine Lehre: es fehlt auch unter uns nicht an Kräften, die uns der Herr Jesus sehen läßt. Tausende spüren nichts davon; Tausende merken nicht darauf; aber sie sind doch vorhanden^ Wie es damals Geheilte gab, die ein Thatzeugnis von seiner Wunderkraft waren, so gibt es auch heute unter uns Geheilte. Es ist mit ihnen anders geworden. Sie waren auf bösem Wege und sind nun auf gutem Wege. Es ist ihnen geholfen worden, zuerst innerlich, und dann auch nach außen. Sie haben den Feind ihrer Seele überwunden. Sie sind aus der Sünde, die ihr Verderben war, herausgerissen worden. Sie hatten keine wahre Freude mitten in den Genüssen dieser Welt; setzt haben sie Freude, weil sie Frieden haben. Jetzt können sie selbst ihr Kreuz tragen und dafür danken. Fragt ihr sie: woher das alles? so werden sie nicht die eigene Kraft, sondern die Kraft Christi rühmen.

Und nicht nur vereinzelt hier und da kommt solches vor, sondern unser ganzer Zustand gibt in aller Schwachheit doch die Kräfte Christi, die uns noch nicht entzogen sind, zu erkennen. Wenn mir im Stande wären, es recht aus Erfahrung zu vergleichen,- wie es aussieht, wie es zugeht, wo das Evangelium gar nicht erschallt, wo man Jesum Christum gar nicht kennt und hat, wir würden's mit Händen greifen, für welcherlei Kräfte wir noch zu danken haben: Kräfte der Zucht selbst mitten in vieler Zuchtlosigkeit, Kräfte des Erbarmens mit den Elenden, Kräfte der Versöhnung mitten unter vieler Feindschaft, Kräfte der Liebe, der Geduld, der Selbstverleugnung, Kräfte der Tröstung bis in den Tod hinein. Und woher das alles? ist's unser Ruhm? das sei ferne, sondern der Ruhm unseres Herrn Jesu Christi. Er hat sein Werk unter uns, und wir wie Chorazin, Bethsaida, Kapernaum sehen mehr davon als manche andere Orte.

II.

Gerade diese Städte schilt er. Warum muß er sie schelten? weil sie so viele seiner Thaten gesehen und hatten sich doch nicht gebessert. Gar nicht darauf geachtet? das kann man doch nicht sagen, das sagt er auch nicht. Lesen wir doch oft genug, wie große Schaaren von allen Seiten um seiner Wunder willen zusammenströmten. Wer weiß aber, ob nicht gerade die Städte, die am meisten davon sahen, am meisten stumpf dagegen wurden? Man läßt die Fremden herzuströmen; selber fragt man kaum mehr darnach. Man wird's gewohnt, man nimmt es hin als gehörte sich's. So giengen von den geheilten zehn Aussätzigen neune dahin, ohne auch nur zu danken; sie eilten wieder in's alte Geleise zu kommen. Andere lästerten gar, er treibe die Teufel aus durch den Obersten der Teufel. Aber mochte es auch Kapernaum schmeicheln, wenn es seine, des Herrn Jesu, Stadt genannt wurde, mochte es ihm vorkommen, als sei es dadurch bis an den Himmel erhoben: es war gleichwohl nichts als ein eitler Selbstruhm, wenn die Thaten Christi nicht ihren Hauptzweck, eine innere Aenderung bewirkten.

In der That, es kann das Verhalten gegen Jesum ein mannigfach verschiedenes sein: ein völliges Nichtachten seiner Werke, ein feindliches gehässiges Lästern derselben, ein Staunen und Laufen aus eitler Neugier, ein Suchen des eigenen Vortheils durch seine Hilfe, eine oberflächliche Rührung, ein Rühmen Christi sogar, das aber vielmehr ein Selbstruhm ist: wir gehören auch zu den Seinen; vor ihm ist alles gleich, vor ihm gilt alles nichts, so lange er uns vorhalten muß: ihr habt euch aber nicht gebessert.

Besserung, was will das heißen? von welcher Besserung redet er? Wenn wir den Ausdruck brauchen, so bleiben wir oft an der Oberfläche haften; verstehen's, wie man ein Gewand ausbessert, hier einen Riß zunäht, dort ein Stück einsetzt. Das geht bei einem Kleide, und auch da nur bis zu einer Grenze, wo kein Flicken mehr hilft. Aber ein Menschenherz kann man nicht mit einem solchen Stück- und Flickwerk bessern. Die äußerliche Sitte und Lebensart, was in der Menschen Augen fällt, was nicht zu verachten, aber noch viel weniger für die Hauptsache zu schätzen ist, die kann man etwa bessern, indem man sich diese und jene üble Angewöhnung abgewöhnt, diese und jene nützliche oder anständige Gewöhnung annimmt; aber was ist damit für die Hauptsache, was ist damit für das Leben in Gott gewonnen? Sie muß auch sein, diese Besserung im Aeußern, wie man ein Haus, das fertig gebaut ist, am Ende auch tüncht und malt. Aber die Risse lassen, die das Mauerwerk zerklüften, und sie nur mit frischer Tünche zudecken, das ist ein Lügen - und Heuchelwerk; was kann darauf folgen als ein schwerer Fall? Der Herr Jesus meint eine andere Besserung. Es ist im Grundtext das gleiche Wort, das nachher mit Bußethun übersetzt wird, und dessen genauste Uebersetzung Sinnesänderung ist. Das ist also die Grundbesserung, von der der Herr Jesus redet: nicht ein bloß äußeres An- und Abgewöhnen, sondern eine Aenderung des Sinnes von Grund aus. Wo Christi Kräfte recht aufgenommen werden, da muß, da wird von der Wurzel aus ein anderer Sinn zu Stande kommen. Das Denken wird anders, das Dichten und Trachten wird anders, das Wollen wird anders, das Lieben wird anders. Vorher war alles abwärts gerichtet, auf die Welt und ihre vergänglichen Güter, auf das Fleisch und seine unreinen Lüste, auf das Ich, seinen Stolz, sein Selbstgefallen. Darin meinte der Mensch seine Waide zu finden, und fand doch im tiefsten Grunde nur Bitterkeit und Ueberdruß. Jetzt sind die Kräfte Christi in dieses Todeswesen hinein getreten, haben in ein Menschenherz eingegriffen, haben ihm ein Licht aufgehen lassen - denn das Leben ist das Licht der Menschen: da erkennt er nun: was bin ich doch für ein Thor gewesen! blind über Gott und Ewigkeit; ohne Frieden mit Gott, und fragte doch nicht nach seinem Frieden; liebte was mein Tod war und haßte was mein Leben ist. O, das muß anders werden! ja Gottlob, das ist schon anders geworden. Wohl gibt mir noch viel altes zu schaffen; die alte Gewöhnung übt noch ihre Tyrannei. Aber mein Sinn ist doch ein andrer geworden; mein Denken und Trachten und Wollen steht hinauf zu Gott, zum lebendigen Gott. Der erste Anfang dieser Aenderung kann und muß ein tiefer Schmerz sein über das verlorene Leben, die vergeudeten Jahre, das Verderben auf den bisherigen Wegen. Darum redet der Herr Jesus von einer Sinnesänderung, die sich im Sack und in der Asche kund gibt. Dennoch ist's einem auch im Sack und in der Asche wohler als mitten unter dem Freudentaumel oder dem eitlen Selbstgefallen des alten Wesens. O meine Freunde, versucht's damit! oder die ihr es schon versucht habt, bezeugt es mit mir, daß einem dann erst wohl ist, wenn die große Grundbesserung, die Aenderung des Sinnes durch die Kraft Jesu Christi gewirkt ist; wenn man Frieden hat mit Gott durch Jesum Christum.

III.

Weil's daran fehlte, mußte der Herr Jesus jene Städte schelten. Was drohte er ihnen in seinem Schelten? Was kann er drohen als das verdiente Gericht? es werde ihnen schlimmer gehen als Tyrus und Sidon, als Sodom selbst, muß er ihnen sagen. Tyrus und Sidon, die stolzen reichen Handelsstädte, sie waren ja noch nicht völlig zerstört, aber Jesaja, Jeremia, Hesekiel hatten doch nicht vergeblich wider sie geweissagt; sie waren von ihrer alten Blüte jämmerlich herabgekommen. Sodom aber war vorlängst vom himmlischen Feuer verwüstet, von den Wassern des todten Meeres bedeckt.

Und nun Chorazin, Bethsaida, Kapernaum? sie sind dahin, sie sind spurlos dahin. Ueber die Heimath Israels im Ganzen ist ein furchtbares Gericht der Verwüstung ergangen, aber die genannten Städte insonderheit, sie sind so völlig zerstört, daß nicht einmal Ruinen dem Reisenden mit Sicherheit zeigen, wo sie ehemals gestanden haben. Schon dieses äußere Gericht muß ernste Gedanken erwecken. Es waren Städte, die blühten, wie unsere Stadt blüht. Wer dachte, daß es möglich wäre, daß sie so völlig ausgerottet würden? Dies Ausrotten kann auf verschiedene Weise geschehen. Ueber Sodom kam plötzlich ein furchtbares Naturereignis. Die Städte hingegen, welche der Herr Jesus schilt, sind unstreitig durch Krieg verwüstet worden. Da trägt augenscheinlich die Menschenbosheit ihre Frucht. Und die Versunkenheit in den Fluch der Sünde zeigt sich dann vorzüglich auch darin, daß kein Aufbauen mehr möglich wird. Das Volk ist so heruntergedrückt, der Muth, die Zucht, der Gemeingeist sind so dahingeschwunden, daß kein Segen mehr haftet, daß keine Ordnung mehr gedeiht, daß kein Aufkommen mehr ist: der Fluch des Volkes drückt auf das Land; der Fluch des Landes lahmt das Volk, So geht es früher oder später; so geht es langsamer oder rascher; so geht es unter mehr Scheinblüte oder in schneller Verwesung: die Sünde ist der Leute Verderben; und zwar noch mehr als die Laster Sodoms diejenige Sünde, die da steht in der Verachtung der göttlichen Gnade, in der Verschmähung der Kräfte, die uns helfen könnten, in der Geringachtung Jesu Christi.

Darum eben kündiget der Herr Jesus Chorazin, Bethsaida, Kapernaum an, es werde Tyrus und Sidon, es werde selbst der Sodomer Land erträglicher ergehen am jüngsten Gericht, denn diesen Städten. Der Herr Jesus selber also unterscheidet zwischen Gericht und Gericht. Es gibt ein äußeres, augenscheinliches, vorläufiges Gericht, und gibt ein künftiges, letztes, ewiglich entscheidendes. Es gibt ein Gericht über eine Stadt, ein Volk, ein Land im Ganzen und Großen, unangesehen die mannigfachen Unterschiede unter seinen Gliedern, und gibt ein Gericht im Einzelnen, das ganz persönlich einen jeden trifft, nach dem, was er gethan hat, nach dem, was er gewesen ist. Wir alle stehen unter einem Gericht, unter das wir geboren sind, das auf dem ganzen Geschlechte der Adamskinder lastet als eine vererbte Sünden- und Todesherrschaft, welcher sich keiner entziehen kann. Aber ein anderes ist die letzte Verdammnis: die kommt über keinen nur aus Adams Erbschaft; die kommt über jeden nur, wenn er die Gelegenheit zur Sinnesänderung, die ihm Christus gebracht hat, von sich stößt. Da heißt es erst: bis in die Hölle hinunter gestoßen!

Die Worte Christi in unserm Texte sind voll durchdringenden Ernstes. Aber mitten im Ernste ist ein Balsam des Erbarmens darin, der unvergleichlich wohlthut. Wie freundlich anerkennt er: wären solche Thaten zu Tyrus und Sidon geschehen, sie hätten vor Zeiten im Sack und in der Asche Buße gethan. Ja noch freundlicher: so zu Sodom diese Thaten geschehen wären, sie stünde noch heutiges Tages; nämlich sie hätte Buße gethan, und das Gericht wäre nicht auf sie gefallen.

Aber wenn es so steht: wenn sie darum nicht Buße thaten, weil Gottes Thaten, mächtig eine Sinnesänderung zu wirken, nicht unter ihnen geschehen sind: ist dann nicht dieser Mangel Schuld an ihrem Elend? ist es nicht als ob Gott sie versäumt hätte? Nicht also, meine Theuren. Was Gott thut, das ist wohlgethan, es bleibt gerecht sein Wille. Wie wollten wir Staub und Asche uns unterwinden, gegen das wunderbare Geheimnis seines Regiments zu reden? Was er uns davon offenbart, ist herrlich und heilig, barmherzig und gerecht, gerecht und barmherzig. Wir sehen's aus den Worten unseres Textes. Gottes Gericht hat Tyrus und Sidon klein gemacht, Sodom hat er ganz und gar hinweggerafft; Sodom und alle Sodomiter ohne Unterschied. Es war ein arg Verderbtes Geschlecht. Aber die Thaten der Erlösung waren doch noch nicht unter ihnen geschehen. Was diese unter ihnen hätten wirken können, welche heilsame Sinnesänderung bei vielen, diese Probe war noch nicht gemacht. Der Herzenskundiger aber weiß es, und es ist bei ihm unvergessen. Das ganze Volk zu Sodom war durch den Strom der Gottlosigkeit dahingerissen. Aber wer weiß, wie manche darunter waren, die hatten eben nie etwas besseres gekannt. Hätten sie's gekannt, so hätten sie's angenommen. Hätte der Wind der erlösenden Gnade darein geweht, er hätte unter Schutt und Asche - den verborgenen Gottesfunken angeblasen und sie wären gerettet worden. Sie werden gerettet meiden. Das äußere Gericht hat sie mit ihrem ganzen Volke dahingerissen. Das jüngste Gericht wird sie nicht ebenso unterschiedslos dahinreißen. Es können in Sodom gewesen sein - der Herzenskündiger einzig kennt sie - die hatten sich zu Christo bekehrt; die werden ihn als ihren Retter ergreifen. Es wird der Sodomer Land erträglicher ergehen am jüngsten Gericht als einem Kapernaum, das Jesum kannte, hatte und verschmähte.

O wem geht der Ernst dieses Wortes, wie er sollte, durch's innerste Herz? O wer läßt sich, wie er sollte, durch dieses Schelten des Herrn Jesu zur Sinnesänderung mahnen? Das will ja der Heiland mit seinem Schelten. Auch sein Schelten ist ein Schelten der Liebe für alle, die ihm nur still halten wollen.

Wir weichliche Leute, weichlich gegen uns selber, möchten immer nur sanft behandelt sein. Aber er kann das nicht, aus Liebe kann er es nicht, wo er uns so hart zu wecken findet. Da muß seine Liebe uns schelten: wachet auf zur Sinnesänderung! Versäumet nicht eure letzte Zeit! Wachet auf! die ewige Liebe liebt euch! merket ihr Thun, ehe es zu spät ist.

Ja, laßt uns merken in diesen Tagen das Thun der ewigen Liebe, die unser Leben ist.

Der Herr sei mit uns und gebe uns Herzen, die an ihm bleiben. Amen.

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