Murray, Andrew - Nach Jesu Bild - In seiner Abhängigkeit von dem Vater

Murray, Andrew - Nach Jesu Bild - In seiner Abhängigkeit von dem Vater

„Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Der Sohn kann nichts von sich selbst tun, denn was er sieht den Vater tun; denn was derselbige tut, das tut gleicherweise auch der Sohn. Der Vater aber hat den Sohn lieb und zeigt ihm alles was er tut und wird ihm noch größere Werke zeigen, dass ihr euch verwundern werdet“
(Joh. 5, 19. 20).

„Ich kenne die Meinen, und die Meinen kennen mich, gleichwie mich mein Vater kennt, und ich kenne den Vater„ (Joh. 10, 14. 15). Unser Verhältnis zu Jesus ist das genaue Abbild seiner Stellung zum Vater; wenn er daher seinen Umgang mit dem Vater schildert, so bewahrheitet sich derselbe gleichermaßen auch in uns. Die Worte Jesu im 5. Kapitel des Evangeliums Johannes beschreiben das natürliche Verhältnis zwischen jedem Vater und Sohn, sei es auf Erden oder im Himmel, und finden deshalb ihre Anwendung nicht nur bei dem Eingeborenen, sondern bei einem jeden, der durch Jesus ein Kind Gottes genannt werden kann.

Wir können uns die in dem Gleichnis enthaltene einfache Wahrheit nicht leichter vergegenwärtigen, als wenn wir uns Jesus vorstellen, wie er in des Zimmermanns Werkstatt von seinem irdischen Pflegevater das Handwerk erlernte. Was wir dabei zuerst beachten, ist eine völlige Abhängigkeit: „Der Sohn kann nichts von ihm selbst tun, denn was er sieht den Vater tun.“ Dann fällt uns der unbedingte Gehorsam auf, der nur danach trachtet, des Vaters Vorbild nachzukommen: „denn was der Vater tut, das tut gleicherweise auch der Sohn“. Ferner sehen wir, welche Innigkeit der Liebe zwischen Vater und Sohn besteht, da der Vater ihn völlig in sein Vertrauen zieht und keins seiner Geheimnisse ihm vorenthält: „Der Vater hat den Sohn lieb und zeigt ihm alles, was er tut.“ In diesem abhängigen Gehorsam von Seiten des Sohnes und diesem liebevollen Unterricht von Seiten des Vaters haben wir das Pfand stets zunehmenden Fortschritts; Schritt für Schritt wird der Sohn weitergeführt, bis er alles tun kann, was der Vater tut: „Er wird ihm noch größere Werke zeigen, dass ihr euch verwundern werdet.“

In diesem Bilde haben wir den Widerschein des Verhältnisses zwischen Gott dem Vater und dem Sohne während dessen menschlichem Leben. Wenn er wahrhaftig unsere menschliche Natur an sich genommen hat und wenn wir wirklich verstehen sollen, wie Jesus in der Tat unser Vorbild ist, so müssen wir auch allem vollen Glauben schenken, was uns der Herr hier von den Geheimnissen seines inneren Lebens offenbart. Die Worte, die er redet, sind buchstäblich wahr. Es war unbedingte, tiefe Wahrheit, dass er in jedem Augenblick seines Lebens von dem Vater abhängig war: „Der Sohn kann nichts von sich selbst tun, denn was er sieht den Vater tun.“ Er betrachtete es nicht als eine Demütigung, auf des Vaters Befehle warten zu müssen; im Gegenteil, es war seine höchste Seligkeit, sich vom Vater leiten und führen zu lassen wie ein kleines Kind. Demgemäß hielt er sich auch im pünktlichsten Gehorsam dazu verpflichtet, nur das zu sagen oder zu tun, was der Vater ihm zeigte: „Was der Vater tut, das tut gleicherweise auch der Sohn.“

Den Beweis dafür haben wir in der sorgfältigen Genauigkeit, mit der Jesus stets die Heilige Schrift zu erfüllen suchte. In seinem Leiden wollte er alles erdulden, „auf dass die Schrift erfüllet würde“. Deshalb verharrte er ganze Nächte im Gebet; denn in solcher Gebetsgemeinschaft brachte er seine Gedanken vor den Vater und wartete auf dessen Antwort, damit er seinen Willen erkennen könne. Keinem unwissenden Kinde, keinem geknechteten Sklaven ist wohl je so viel daran gelegen gewesen, sich genau an das zu halten, was der Vater oder der Herr geboten hatte, als es dem Herrn Jesus darum zu tun war, der Unterweisung und Leitung seines himmlischen Vaters zu folgen. Das war der Grund, warum ihm der Vater nichts vorenthielt, die vollkommene Abhängigkeit und stete Bereitwilligkeit zu lernen, wurde damit belohnt, dass der Vater ihm all seine Geheimnisse anvertraute. „Der Vater hat den Sohn lieb und zeigt ihm alles, was er tut, und er wird ihm noch größere Werke zeigen, dass ihr euch verwundern werdet.“ Der Vater hatte einen herrlichen Lebensplan für den Sohn gemacht: in ihm sollte göttliches Leben unter den Bedingungen unseres menschlichen Wesens zutage treten: dieser Plan wurde dem Sohne Stück für Stück gezeigt, bis er zuletzt vollständig vollbracht war.

Nicht nur für den eingeborenen Sohn ist ein Lebensplan gemacht worden, sondern für ein jedes seiner Kinder. Je nach dem Grade unserer Abhängigkeit von dem Vater wird dieser Plan mehr oder weniger vollkommen in unserem Leben zustandekommen. Je näher der Gläubige die vollkommene Abhängigkeit des Sohnes kennt, „der da nichts tut, denn was er sieht den Vater tun“, je mehr auch er in pünktlichem Gehorsam „was der Vater tut, gleicherweise auch tut“, desto mehr wird auch an ihm die Verheißung erfüllt werden: „Der Vater zeigt ihm alles, was er tut, und wird ihm noch größere Werke zeigen.“ Nach Jesu Bild! Dies Wort ermutigt uns zu einem Leben der Ähnlichkeit mit Jesus in seiner völligen Abhängigkeit von dem Vater; ein jeder von uns ist hierzu berufen und eingeladen.

Bei einem solchen Leben der Abhängigkeit von dem Vater ist es vor allen Dingen nötig, fest daran zu glauben, dass er uns seinen Willen klarmachen wird. Ich denke, viele lassen sich abschrecken, weil es ihnen hieran fehlt; sie können es nicht glauben, dass sich der Herr die Mühe geben werde, ihnen jeden Tag seinen Willen kundzutun, wie er ihn Jesus kund tat. Lieber Christ, du bist viel wertvoller in des Vaters Augen, als du es dir vorstellst. Du bist ihm gerade so wertvoll wie das Lösegeld, mit dem er dich erkauft hat, welches ist das Blut seines Sohnes. Deshalb ist ihm auch alles, was dich angeht, von größter Wichtigkeit, und der wird dich bei jedem, auch dem unbedeutendsten Ereignis, mit seinen Augen leiten. Ihn verlangt weit mehr, als du denken kannst, nach innigem, beständigem Umgang mit dir. Er kann dich gebrauchen zu seiner Verherrlichung und etwas aus dir machen, was dein Verständnis weit übertrifft. Der Vater liebt sein Kind und zeigt ihm, was er tut; dies hat er an Jesus bewiesen, und er wird es auch an uns beweisen. Von unserer Seite ist bloß die Übergabe nötig, die sich der Unterweisung aufschließt, welche sein Heiliger Geist uns auf die zarteste Weise gibt. Ohne uns aus unserem angewiesenen Kreise zu entfernen, kann uns der Vater dermaßen nach Jesu Bild umgestalten, dass wir allen zur Freude und zum Segen werden. Wir wollen uns doch nicht dadurch, dass wir an der barmherzigen Liebe Gottes zweifeln, daran hindern lassen, des Vaters Leitung in allen Dingen zu erwarten.

Aber ebenso wenig soll ein Widerstreben gegen die völlige Unterwürfigkeit uns zurückhalten. Dies ist nämlich das zweite große Hindernis. Das Verlangen der Unabhängigkeit war die Versuchung im Paradies und ist es heute noch für jedes Menschenherz. Es scheint so schwer, nichts zu sein, nichts zu wissen, nichts zu wollen, und doch ist es so selig. Diese Abhängigkeit führt uns zu einer überaus herrlichen Gemeinschaft mit Gott: da kann es von uns heißen wie von Jesus: „Der Vater hat den Sohn lieb und zeigt ihm alles, was er tut.“ Diese Abhängigkeit befreit uns von aller Last der Verantwortlichkeit; wir brauchen bloß zu gehorchen. Wir erhalten tatsächlich dadurch neue Kraft, weil wir wissen, dass er in uns beides, das Wollen und das Vollbringen schafft; und es wird uns zur seligen Gewissheit, dass unser Werk gelingen muss, weil wir es ganz Gott übertragen haben.

Hast du vielleicht bis jetzt noch wenig erfahren von diesem Leben freiwilliger Abhängigkeit und einfachen Gehorsams, so fange heute damit an. Nimm dir auch hierin den Heiland zum Vorbild. Es ist sein heiliger Wille, in dir zu leben und in dir das zustande zu bringen, was er auf Erden war. Ihn verlangt bloß nach deiner Zustimmung; für die Ausführung wird er schon sorgen. Biete dich heute dem Vater dar nach dem Vorbild des Erstgeborenen und sage ihm, du wollest nichts von dir selbst tun, sondern nur das, was er dir zeigt. Schaue auf Jesus, der auch hierin nicht nur dein Vorbild, sondern auch die Verheißung dessen ist, was in dir zustande kommen soll. Bete ihn an, der sich um deinetwillen erniedrigt und dir gezeigt hat, wie selig ein von Gott abhängiges Leben ist!

Ja, selige Abhängigkeit! Darin besteht in der Tat unsere r richtige Stellung Gott gegenüber. Hier ruht die Seele in vollkommenem Frieden, weil sie alle Sorge Gott überlässt. Hier wird sie still und bereit, des Vaters Unterweisung anzunehmen und auszuüben. Und welch herrlicher Lohn wird ihr zuteil durch stets tiefere Erfahrung heiligen Verkehrs mit Gott, durch beständig fortschreitende Erkenntnis seines Wollens, womit sie gekrönt wird.

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