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Monod, Adolphe - Maria Magdalena.

Monod, Adolphe - Maria Magdalena.

Jesus aber, da Er auferstanden war frühe am ersten Tag der Sabbater, erschien Er am ersten der Maria Magdalena, von welcher Er sieben Teufel ausgetrieben hatte.
Mark. 16,9.

Wenn man euch hätte erraten lassen, welchen von all Seinen Jüngern der auferstandene Jesus zuerst mit Seinem Anblick begnadigen würde, wen hättet ihr dann wohl genannt? Wärt ihr dem Ruf der Natur gefolgt, so würde vor allen Andern das Bild jener zärtlichen Mutter, durch deren Seele ein Schwert gedrungen, vor eure Seele getreten sein. Hättet ihr ferner die geheiligten Rechte des Apostolats erwogen, so würdet ihr geschwankt haben zwischen den beiden bevorzugten Jüngern, Petrus, dem Erben der großen Verheißung: „Du bist Petrus, und auf diesen Felsen will ich bauen meine Gemeinde,“ oder Johannes, dem vertrauten Jünger, der unter den beiden der eifrigste war, die Auferstehung Seines Herrn festzustellen, und auch der erste, der an sie glaubte. Aber gesteht es nur, zuletzt erst hättet ihr an eine arme Fremde gedacht, die anfangs die schreckliche Beute von sieben Teufeln gewesen war. Und doch ist diese arme Fremde, ist Maria Magdalena die auserkorene. „Jesus aber, da Er auferstanden war frühe am ersten Tage der Sabbater, erschien Er am ersten der Maria Magdalena, von welcher Er sieben Teufel ausgetrieben hatte.“

Indem der Evangelist in einer der kurzen Mitteilungen, die bei ihm so oft vorkommen, den ersten und den letzten Zug, durch welchen der Heilige Geist uns mit Maria Magdalena bekannt macht, zusammenstellt, beabsichtigt er etwas Ernsteres, als uns einen seltsamen oder verwirrenden Gegensatz vorzuführen. Ihm bedeutet dieser Gegensatz eine tiefe Übereinstimmung: Maria Magdalena ist nur darum so hoch erhoben, weil sie so tiefem Verderben entrissen worden war. Lasst uns den belehrenden Übergang erforschen, welcher sie von dem einen dieser Zustände zu dem anderen geleitet hat. Indem die heilige Geschichte den Gedanken des Markus entwickelt, lässt sie uns diesen Übergang von Periode zu Periode verfolgen, und zwar nicht also, dass sie uns in das Innere der Maria Magdalena blicken lässt, sondern indem sie uns dieselbe tätig zeigt bei einer jener großen Gelegenheiten, wo das Herz sich durch Handlungen offenbart. Denn, wunderbar, Gott, der allein die Herzen kennt, schildert den Menschen immer nur durch seine Werke, während der Mensch, der bloß die Werke sieht, das Geheimnis der Herzen zu ergründen sich bemüht.

Irre ich mich, wenn ich behaupte, dass dies Bestreben einem Bedürfnisse unserer Seele entspricht? Auch wir wünschen, dass Jesus sich in uns der heiligen Herrlichkeit seiner Auferstehung offenbarte. Aber ach, wie wir für das ganze Evangelium kalt sind, so sind wir es vielleicht ganz besonders für das große Ereignis des Ostertages, welches die jetzige religiöse Erweckung wenig beachtet, wenig versteht und wenig empfindet, worin sie mehr einen Beweis sieht, den sie gelegentlich geltend machen. kann, als dass sie neues Leben daraus schöpft. Wohlan denn, die allmählige Entwicklung, die Maria Magdalena dazu führte, ihren erstandenen Heiland mit so vielem Eifer zu suchen, dass sie zuerst Ihn fand, soll uns lehren, wie auch wir dazu gelangen können, das Osterfest mit mehr Liebe und Freude zu feiern, ja, es so zu feiern, wie Maria Magdalena es feiern würde, wenn sie heute noch unter uns wäre, wenn sie heute nicht an einer anderen Stätte als in unsern Kirchen eine geistigere Gedächtnisfeier beginge.

Das Einzige, was wir von Maria Magdalenas Bekehrung wissen, ist das Austreiben der sieben Teufel durch Jesum. Es ist dies die hervortretende Tatsache, welche den Evangelisten, sowohl dem Lukas wie dem Markus, aufgefallen ist; es ist ohne Zweifel auch die, welche auf das gläubige Volk, dessen erleuchtete Organe die Evangelisten sind, einen so tiefen Eindruck gemacht hat; der ersten christlichen Kirche war Maria Magdalena jenes wohlbekannte Weib, aus der Jesus sieben Teufel ausgetrieben hatte. Die Überlieferung, welche uns dieselbe so darstellt, als ob sie den schmählichsten Verirrungen des Fleisches ergeben gewesen, ist dagegen neueren Ursprungs und entbehrt aller festen Stütze. Ohne genügenden Grund hatte man angenommen, dass böse Geister sich nur bei einem ungeregelten Leben vorfinden könnten, oder man hatte mit noch weniger Grund Maria Magdalena mit jener Sünderin verwechselt, die des Herrn Füße mit wohlriechendem Öle salbte, mit ihren Tränen benetzte, und mit ihrem Haar trocknete. Suchen wir doch keine Verbrechen in Maria Magdalena, um das Wunder ihrer Bekehrung zu vergrößern; seien wir wie die Schrift vor allen Dingen wahr. Genügt denn nicht dieser einzige Zug, dass sie von sieben Teufeln besessen war, um auf ihren ersten Zustand ein geheimnisvolles, aber erschreckendes Licht zu werfen? Wir haben die Beschaffenheit jener bösen Geister hier nicht zu erörtern, da sie im Neuen Testament nur deshalb erscheinen, um dem Sohn Gottes Gelegenheit zu geben, Seine ganze göttliche Kraft in einem seltsamen und furchtbaren Kampf mit den Mächten der Finsternis zu entfalten. Eins ist gewiss: diese Elenden gehörten sowohl durch ihren körperlichen als moralischen Zustand zu den unglücklichsten und gesunkensten Wesen, denn sie waren einem verborgenen und verderblichen Einfluss unterworfen, durch den hindurch hie und da Lichtblicke von Einsicht, selbst von Glauben drangen, die das Gefühl ihres Elendes nur vermehrten, sofern dieselben sie nicht zu ihrem Retter führten. Dem Wirken der bösen Geister preisgegeben zu sein, hieß nichts anderes als den Keim aller Sünden und aller Schmerzen, hieß den Vorgeschmack der Hölle mit ihren Leiden ohne Trost, mit ihrer verspäteten und unfruchtbaren Einsicht in sich tragen; deshalb wird auch das Austreiben der Teufel in der Erzählung der Evangelisten zu den herrlichsten Wundern und bemerkenswertesten Wohltaten Jesu gerechnet. Sieben Teufel! Das ist das Kennzeichen des höchsten Grades moralischer Erniedrigung in einem Gleichnis, in welchem das jüdische Volk, das der groben Sünde des Götzendienstes nur entsagt hatte, um dafür andere noch verderblichere, wenn auch anscheinend leichtere Sünden an die Stelle zu setzen, unter dem Bild eines vom Teufel Besessenen geschildert wird, den der böse Geist nur deshalb eine Zeitlang verlassen hat, um mit sieben anderen noch ärgeren Teufeln in seine Wohnstätte zurückzukehren und durch diese verstärkt die Lage seines Opfers noch schlimmer zu machen, als sie vor seinem Ausfahren gewesen war. Sieben Teufel! Und doch genügte schon einer, um ein armes Kind in einen Zustand der Geistesverwirrung und Wut zu versetzen, der allen Bemühungen der Apostel trotzte und nur den Worten des durch Fasten und Gebet vorbereiteten Heilandes inmitten eines so entsetzlichen Kampfes wich, dass der Geheilte in den Augen der erschreckten Menge für tot galt (Mark. 9,17-27). Sieben Teufel! Man kann den früheren Zustand der Magdalena nach dem jenes anderen Besessenen beurteilen, in welchem der unsaubere Geist auf die Frage des Herrn: „Wie heißt du?“ antwortete: „Ich heiße Legion, denn unser sind viel,“ und den Markus uns schildert, wie er seine Fesseln zerreißt und seine Ketten zerbricht, wie er Tag und Nacht auf den Bergen und in den Gräbern umherläuft, sich mit Steinen zerschlägt und ein klägliches Geschrei ausstößt (Mark. 5,1-20). So ungefähr hat Maria Magdalenas Zustand sein müssen bis zu dem Tag der Gnade, wo sie dem Sohn Gottes begegnete, den alle Engel anbeten und die Teufel wider Willen fluchend bekennen. Er spricht, und sie ist befreit; Er spricht: „Unsauberer Geist, ich gebiete dir, dass du ausfährst und nicht wiederkehrst“, und Maria Magdalena ist, ich hätte beinahe gesagt, der menschlichen Gesellschaft und ihrer Familie, ich will aber noch richtiger sagen, sich selbst und Gott wiedergegeben. Stellen wir uns einmal das Vertrauen und die Dankbarkeit vor, die sie künftighin an Den fesseln, der sie von der Gewalt des Satans zu Gott und von der Finsternis zum Licht bekehrte. Die Tiefe des Abgrundes, aus welchem Er sie gezogen, ist nun der Grund und das Maß der Liebe, die sie fernerhin für Jesus empfindet; und diese Liebe ist der Schlüssel zu Allem, was sie für den lebenden, den sterbenden und den auferstandenen Jesus tut. Dem Lebenden folgt sie, weil sie Ihn liebt; den Sterbenden beweint sie, weil sie Ihn liebt, den Auferstandenen sucht sie, weil sie Ihn liebt: und sie liebt Ihn, weil sie nur einen Blick auf Ihn zu werfen braucht, um sich daran zu erinnern, dass Er allein sie befreite, sie, dies unwürdige und elende Weib, die früher von sieben Teufeln auf einmal besessen war.

Die erste Wirkung, wodurch sich Maria Magdalenas Liebe zu Dem, der sie heilte, offenbart, äußert sich in dem Wunsch, Ihm im Laufe Seines heiligen und wohltätigen Lebens zu folgen. Dieser Ausdruck der Dankbarkeit findet sich indes nicht bloß bei ihr. Als Jesus den unglücklichen Gadarener von der Legion der Dämonen befreite, bittet der genesene Kranke um die Gunst, bei Ihm bleiben zu dürfen. Aber Jesus, der diesen Menschen zur Lösung einer anderen Aufgabe bestimmt hatte, antwortet: „Geh wieder heim und sage, wie große Dinge Gott dir getan hat“ (Luk. 8,39); aber der Beruf eines Mannes ist von dem eines Weibes, die Mission des einen Jüngers von der des anderen verschieden. Maria Magdalena wünscht bei dem Herrn zu bleiben, und Jesus verbietet es ihr nicht. Und nun haftet sie gleich den Aposteln an Seinen Schritten, sie begleitet Ihn sogar zu den Festen, wo das Gesetz nur die Gegenwart der Männer forderte (Matth. 27,55 u. 56). „Und Er reiste durch Städte und Märkte, und predigte und verkündete das Evangelium vom Reiche Gottes und die Zwölfe mit Ihm. Dazu etliche Weiber, die Er gesund gemacht hatte von den bösen Geistern und Krankheiten, nämlich Maria, die da Magdalena heißt, von welcher waren sieben Teufel ausgefahren, und Johanna, das Weib Chusas, des Pflegers Herodis, und Susanna und viele andere, die Ihm Handreichung taten von ihrer Gabe“ (Luk. 8,1-3). Maria Magdalena wird immer zuerst genannt; Lukas schildert sie zu Anfang gerade so wie Markus am Schluss, sie steht an der Spitze des Gefolges frommer Weiber, die den Herrn von Ort zu Ort begleiten und zugleich für Seine Bedürfnisse sorgen. Jesus hatte Nichts auf dieser Welt, nicht einmal einen Ort, wo Er Sein Haupt niederlegen konnte. In Jericho musste Er sich von einem Freund ein Unterkommen erbitten; von einem anderen borgt Er sich ein Füllen, um Seinen Einzug in Jerusalem zu halten; von einem dritten erhält er einen großen Saal, um darin das Osterfest zu feiern. Na denn, die mit Gütern dieser Welt gesegnete Maria Magdalena beeifert sich, sie Dem zur Verfügung zu stellen, dem sie Alles, sogar sich selbst verdankt; glücklich, etwas tun zu können, um Ihm die Last des menschlichen Lebens weniger drückend zu machen, die Last, die Er auf sich genommen, um ihr zu helfen. Übrigens ist es nicht das edelmütige Opfer, was mich am meisten bei der den Schritten des Herrn folgenden Maria Magdalena anspricht: vor allem ergreift mich der liebevolle Eifer, den sie an den Tag legt, immer bei Ihm zu bleiben, damit ihr keins Seiner Worte, keins Seiner Wunder, keine Seiner Heilungen, namentlich keine, die der ihrigen ähnlich war, entgehe.

Euch scheint das Alles vielleicht sehr natürlich und ihr wundert euch darüber, dass ich in einem durchaus einfachen Betragen einen großen Liebesbeweis der Maria Magdalena für ihren Heiland erblicke, ihr würdet euch in ihrer Stelle ebenso verhalten haben. Aber habt ihr auch reiflich darüber nachgedacht? Seht euch wohl vor! Nichts ist anziehender als Liebesdienste und Opfer in der Idee; aber die Wirklichkeit ist eine harte und zugleich die einzig sichere Probe der Aufopferung. Urteilen wir lieber über das, was wir in Verhältnissen, die wir nur in der Ferne schauen, getan haben würden, nach dem, was wir jetzt in unserer Lage tun, wo Gott uns selbst die Mittel an die Hand gibt, unser Herz kennen zu lernen. Wenn ihr zu Christi Zeit gelebt hättet, so würdet ihr euch eurer Meinung nach beeilt haben, alle eure irdischen Güter Seinem Dienst zu weihen; ihr würdet Maria Magdalena nachgeahmt haben, die ihre Schätze hingibt, und nicht dem jungen Reichen, der sie Ihm verweigert. Warum folgt ihr denn aber jetzt dem Beispiel des jungen Reichen und nicht dem der Maria Magdalena? Wandelt auch Christus nicht selbst mehr auf Erden, so hat Er doch Seine Jünger hier gelassen, die Seine Brüder, Glieder Seines Leibes sind und unter denen es nicht an Armen fehlt; Er hat euch gesagt, dass Alles, was ihr für sie tut, ihr Ihm getan habt, und was ihr ihnen verweigert, ihr Ihm verweigert. Da bietet sich euch nun ein ganz geeignetes, praktisches Mittel, durch das ihr ohne Gefahr der Täuschung und der Schwärmerei beweisen könnt, ob ihr geneigt seid, für Jesum Christum Opfer zu bringen. Und wie wendet ihr dies Mittel an? Sieht man euch die Gelegenheiten aufsuchen, Jesu Christo in der Person des Armen, der an Ihn glaubt, zu helfen? Sieht man euch reichlich von eurem Überfluss für Ihn opfern, ich wage gar nicht einmal zu fragen, ob ihr von eurem Notwendigen für Ihn dahingebt? Ach, Maria Magdalena würde heute für Seine Brüder ebenso handeln, wie sie für den Heiland selbst gehandelt hat; sie würde glauben, sich herabzuwürdigen, wenn sie es bei den kleinen Dienstleistungen bewenden ließe, zu denen sich die Meisten von euch, selbst die, welche sich laut als wahre Christen bekennen, nur mit vieler Mühe verstehen. Sie konnte auch ihrem Meister nicht folgen, ohne dass ihr auf jedem Schritt durch die Unglücklichen, welche dies Erbarmen Christi von allen Seiten herbeizog, Gelegenheit geboten wurde, ihre Opferfreudigkeit an den Tag zu legen. Ihr beklagt euch über die Menge der Anforderungen an eure Wohltätigkeit; ihr war das ganze Leben eine fortwährende Anforderung, die sie selbst herbeiführte. Gott sei Dank, es gibt zu allen Zeiten einige Witwen, die von ihrem Notwendigen mitteilen, einige Dorkas, die ihre Arbeit, einige Barnabas, dir ihren Besitz hingeben, nachdem sie sich alle selbst geopfert haben; Manche unter ihnen kennen wir, Andern ist es gelungen, verborgen zu bleiben; aber ach, sind sie denn so zahlreich, dass das Opfer Maria Magdalenas weder Bewunderung noch Erstaunen erregen müsste?

Das Leben dieser Jünger und Weiber, der beständigen Gefährten des Heilandes, der Zuhörer Seiner Reden, der Zeugen Seiner Werke, der Augenzeugen Seiner Wunder, musste ferner eurer Meinung nach ein anziehendes und bewegtes Leben sein. Das doch wohl nur, wenn sie Ihm in dem Geist jener flatterhaften Menge gefolgt wären, die sich zuweilen an Ihn hinandrängte, um nur an dem Teil zu nehmen, was ihnen gefiel, die einen Tag der Bergpredigt zuhörten, an einem anderen sich die Vermehrung der Brote zu Nutze machten; die hier der Auferweckung des Lazarus beiwohnten, dort abwarteten, wie die Bitte der Kanaanäerin oder die Frage der mit den Anhängern des Herodes verbündeten Pharisäer aufgenommen wurden. Aber Jesu folgen, wie Maria Magdalena, Tag für Tag, in allen Verhältnissen, in allen Anstrengungen, allen Schmerzen, allen Demütigungen, kurz, in allen Erlebnissen des Gottmenschen auf der Erde; Ihm folgen, wenn Seinen Jüngern nicht einmal die Zeit zum Ruhen und Essen blieb; Ihm folgen, wenn Seine Reden alle Diejenigen von Ihm entfernten, die nicht unbesiegbarer Glaube an Seine Person fesselte; Ihm folgen, wenn die Nazarethaner Ihn auf den Gipfel ihres Berges führten, um Ihn von da hinabzustürzen, oder wenn die Juden schon die Steine bereit hielten, Ihn zu steinigen; Ihm folgen, wenn man Ihm nur mit Gefahr des eigenen Lebens folgen konnte; war das Alles eurer Meinung nach so merkwürdig, so neu, so anziehend? O, wie schlecht kennt ihr euch selbst, wie schlecht kennt ihr des Menschen Sohn? Ihr wisst so wenig, wie ihr Sklaven eurer Gewohnheiten, eurer Bequemlichkeit und eures Wohllebens seid; ihr wisst so wenig, wie Sein Leben und das Leben derer, die Ihn umgaben, reich war an Entbehrungen, Bitterkeiten und Gefahren! Hättet ihr zu Ihm gesagt: „Meister, ich will Dir folgen, wohin Du gehst,“ so würde Er euch wie jenem neuen Jünger geantwortet haben: „Die Füchse haben Gruben und die Vögel unter dem Himmel haben Nester; aber des Menschen Sohn hat nicht, da Er Sein Haupt hinlege.“ Was hättet ihr dann wohl getan, ihr, die ihr nicht den Mut habt, der geringsten Mühe, dem geringsten Vorwurf und der geringsten Verlegenheit um Jesu willen die Stirn zu bieten?

Übrigens verband sich mit diesem doppelten Opfer an Geld und Gut und mit dem der eigenen Person noch ein drittes, das vielleicht noch schwerer ist; ich will es nur andeuten, das Opfer der Heiligkeit. Allein schon die Heiligkeit Jesu musste ausreichen, um eine gewöhnliche Seele, wenn sie nicht, wie Judas, durch Eigennutz und Heuchelei fest gehalten wurde, von Ihm zu entfernen. Habt ihr je daran gedacht, wie schwer es ist, beständig ein vollkommenes Muster von Frömmigkeit, Liebe, Demut und himmlischem Leben vor Augen zu haben, sei es, dass ein edler Eifer uns antreibt, diesem Vorbild nachzustreben, oder dass wir feige uns damit begnügen, den lästigen Tadel zu ertragen, den wir eben so gut darin finden müssen, wie Kain ihn in den guten Werken seines Bruders fand? Glaubt mir: lange kann man ihn nicht ertragen; wenn man auch nicht tötet wie Kain, so wird man wenigstens wie Demas fliehen; Jesu folgen, heißt sich stillschweigend verpflichten, Ihm nachzuahmen. Ich spreche hier nicht, um euch niederzudrücken; ich will euch nur durch einen für uns demütigenden Kontrast das würdigen lassen, was die Treue der Maria Magdalena in der Nachfolge des lebenden Jesus wert war. Was machte sie denn fähig, ein Leben zu führen, wozu wir allem Anschein nach nicht im Stande gewesen wären? Der Grund ist der: sie war das Weib gewesen, aus der Jesus sieben Teufel ausgetrieben hatte. Für eine solche Befreiung erschien ihr die Hingabe ihres Vermögens, ihrer Ruhe, ihres Willens, selbst ihres Lebens, wenn es von ihr wäre verlangt worden, nur ein Geschenk von geringem Wert. Und das eben fehlt uns; Jesus hat uns nicht von sieben Teufeln befreit.

Wünscht ihr jedoch für die Hingebung Maria Magdalenas eine noch entscheidendere Probe, so könnt ihr nur zu bald befriedigt werden. In der Tat, man musste Jesum lieben, wie Maria Magdalena Ihn liebte, um sich gleich ihr Seinem Leben anzuschließen; denn den Zeitgenossen war, wie ihr gleich sehen werdet, dieser wohltätige und heilige Wandel so lästig, dass sie danach trachteten, ihm ein Ende zu machen. Kaum hat die Welt begonnen, das schöne Leben zu schauen, als es ihr auch schon genommen wird. Des Menschen Sohn wird dem Land der Lebendigen entrissen; in wenigen Tagen, ja in wenigen Stunden wird Er verraten, gefangen genommen, gerichtet, verurteilt, zwischen zwei Räubern gekreuzigt; „Er ist unter die Übeltäter gerechnet.“ Was wird in dieser Zeit aus Maria Magdalena? Ach, es gibt einen Augenblick des betäubenden Schreckens, wo es ringsum leer wird „um den Mann der Schmerzen“ und die ganze Welt Ihn verlässt - eine ewig demütigende Erinnerung für das Menschengeschlecht! Nachdem der erste Schreck jedoch vorüber ist, sammeln sich die Treusten oder vielmehr die am wenigsten Untreuen wieder, aber mit welcher Furchtsamkeit? Von den beiden einzigen Aposteln, die Jesu folgen, verleugnet ihn der eine, und der andere entgeht der Verleugnung nur durch Schweigen; nicht eine Stimme erhebt sich für den, den Händen der Bösen überlieferten Menschensohn. Indessen folgt ein Häuflein Seiner Anhänger, das hauptsächlich aus Weibern besteht, weinend Jesu zur Schädelstätte, sie beneiden vielleicht im Geheimen den Simeon aus Cyrene um die schwere Last, die seinen Schultern aufgebürdet wird, und betrachten, wahrscheinlich von Furcht gehalten, die Szene höchsten Schmerzes aus der Ferne. Maria Magdalena befindet sich unter ihnen. Aber siehe, vier der Treusten unter den Treuen werden nach und nach mutiger und brechen sich endlich mit vieler Mühe durch die neugierige Menge der erbitterten Pharisäer, der grausam-eifrigen römischen Soldaten Bahn trotz aller Hindernisse, die Menschen von gewöhnlichem Mut, sagen wir richtiger, von gewöhnlicher Liebe zurückgeschreckt haben würden, und sie ruhen nicht eher, als bis sie am Fuß des Kreuzes angelangt sind. Maria Magdalena ist unter den Vieren, die Jesu den größten Beweis der Liebe geben, den Er, in den Tagen Seines Fleisches empfangen hat. Ich glaube nicht über die Wahrheit hinauszugehen, wenn ich hinzufüge, dass selbst unter diesen Vieren in gewisser Beziehung die Liebe der Maria Magdalena, welche recht eigentlich die der Kirche sein soll, den Sieg davon trägt; ich meine die vollkommen reine Liebe, die ohne Stütze und ohne Beimischung irgendeiner besonderen Liebe dasteht. Die Liebe der Maria von Nazareth ist die Liebe einer Mutter; die Liebe des Johannes ist die Liebe eines Lieblingsjüngers; die Liebe der Maria von Cleophas ist die Liebe einer Muhme, die obendrein die Mutter eines Apostels war; aber die durch keine Verwandtschaft und keine Jüngerschaft getragene Liebe Maria Magdalenas ist nicht etwa die Liebe dieses oder jenes Jüngers, auch nicht die Liebe dieser oder jener Jüngerklasse, sondern die Liebe der ganzen Kirche für ihren gekreuzigten Heiland. Und diese Liebe bezeugt Maria Magdalena nicht wie ein Apostel durch öffentliches Bekenntnis, wie früher Simon Petrus, sondern als Weib durch ihre Anwesenheit, ihre Tränen, ihre Teilnahme: leidet Jesus für Maria Magdalena, so leidet Maria Magdalena für Jesum. Wer will aber diese Teilnahme schildern? So eben noch beklagte ich es, dass der Mensch sich anmaßt, das Herz eines Menschen ergründen zu wollen, und ich kann, selbst auf die Gefahr hin mir zu widersprechen, dieser Versuchung nicht widerstehen; ja, ich glaube in dem Herzen der Maria Magdalena wie in einem offenen Buch lesen zu können. Seht, wie sie den Tod Jesu stirbt und Schmerzen duldet bei Seinen Schmerzen, wie sie bei dem Klang des bald gehobenen und bald niederfallenden Hammers, dessen Schläge in ihrer tiefsten Seele wiederhallen, und beim Anblick der Nägel, die, wie sie meint, weniger zerreißen würden, wenn sie in ihre, und nicht in ihres Meisters Hände eingeschlagen würden, zusammenschaudert? Seht, wie sie die sieben Worte am Kreuz eines nach dem anderen aufsammelt, jene Worte, die achtzehn Jahrhunderte lang der christlichen Kirche ein Gegenstand der Forschung und der Bewunderung waren, und die wir an jedem Abend der stillen Woche zum Gegenstand unserer Betrachtung machen. Seht, wie sie horcht auf die Beleidigungen der Priester, die Spöttereien der Henker, die Bitte des reumütigen Schächers, das Bekenntnis des Hauptmanns - und endlich auf den letzten Seufzer des Gekreuzigten, den sie abwartet, um nach Gefallen aufatmen und ohne Zwang weinen zu können. Nie hat sie Ihn bei Seinen Lebzeiten so geliebt, wie sie jetzt den Sterbenden liebt! Und warum das? Weil sie den Lebenden als ihren Befreier und den Sterbenden als ihren Heiland betrachtet, der sie nur dadurch errettet, dass Er für sie leidet, der ihr nur deshalb Leben und Glück gibt, weil Er sich entzieht, der gleich dem in die Erde gelegten Samen nur dann seine köstliche Frucht trägt, wenn er zuvor stirbt. So hat nun auch die Liebe der Maria Magdalena, wie die Liebe Jesu ihren Charakter verändert; in demselben Maß, wie die eine schmerzlicher wurde, ist die andere an Zärtlichkeit gewachsen. Christus leidet für die Sünder und durch die Sünder, ganz besonders aber für sie und durch sie, in ihren Augen die elendeste unter allen, der ihr Elend durch das Kreuz lebendiger vor die Seele getreten ist als jemals in Galiläa. Sie ist ohne Zweifel empört über die unwürdigen Urheber und die rohen Vollzieher des verabscheuungswürdigsten aller Urteile, aber am meisten ist sie gegen sich selbst aufgebracht: ihre eigenen Sünden, sie möchte gern sagen, ihre Sünden allein haben Jesu Liebe dies schreckliche Opfer auferlegt; ihre Hand, ihre eigene Hand hat die Hände geleitet, die jenen Hammer geschwungen, jene Nägel eingeschlagen, jenes Kreuz aufgerichtet haben. Ihr ist, als ob die ganze Welt zu ihr spräche: Für dich und durch dich geschieht dies Alles, und wenn die Welt es ihr nicht sagt, so möchte sie der Welt zurufen: Ich habe das Alles getan, ich, die Unwürdigste unter den Unwürdigen, die ich die undankbarste unter allen Kreaturen wäre, wenn ich mich nicht als die erkenntlichste zeigte und meine Liebe nicht mit Seinen Schmerzen wüchse.

Welch ein wohlverdientes und zugleich natürliches Mitgefühl! Ja, und doch wie selten! So selten, wie das tiefe Gefühl vergebener Sünde, ausgetilgter Schuld, aufgehobener Strafe, welches Maria an den Fuß des Kreuzes getrieben hat und ihr das Kreuz zehn, ja hundertfach schwerer macht. Wie steht es mit euch, kennt ihr dieses Mitgefühl? Betrachtet ihr mit ähnlichen Gedanken wie Maria euren sterbenden Heiland? Fühlt ihr etwas, das mit dem Übermaß Seines bitteren Leidens oder mit dem Gegenstand Seines Opfers in Verbindung steht? Fühlt ihr etwas von dem, was ihr Ihm an Schmerzen bereitet habt und an Erlösung verdankt? Doch was sage ich? Fühlt ihr nur etwas von dem, was ihr bei dem Leiden eines Gleichgültigen oder bei der Strafe eines Verbrechers, oder bei den Unglücksfällen in einem Roman oder im Theater empfunden habt? O ihr verirrten Herzen, in denen das falsche Gefühl das wahre getötet hat, die ihr bis zum Übermaß für alles Übrige zärtlich, aber für Ihn mitleidslos seid! Was ich da sage, klingt hart, ist Schrecken erregend, - aber ist es nicht wahr? Ach, ihr seid euch nie, wie Maria Magdalena, eines entsetzlichen Unglücks, aus welchem Jesus euch erlöst hat, klar bewusst gewesen: Er hat euch nicht von sieben Teufeln befreit!

Mit welchem Eifer ferner sucht Maria Magdalena ihren auferstandenen Heiland! Das ist das letzte Stadium und der Triumph ihrer Liebe; er veranlasste den Evangelisten Markus zu der in meinem Text angedeuteten Zusammenstellung: „Er erschien am ersten der Maria Magdalena, von welcher Er sieben Teufel ausgetrieben hatte.“ Jesus, den sie liebt, ohne den sie nicht leben kann, ist tot. Sie ist dem Lebenden gefolgt, sie hat den Toten beweint; was soll sie nun beginnen, da Er tot ist? Tot; aber ist Er ganz gestorben, für immer, auf lange gestorben? Ihr Herz sagt ihr darüber seltsame Dinge, und Jesu Worte kommen ihren Ahnungen zu Hilfe. Er hat vorhergesagt, dass Er sterben und am dritten Tag auferstehen würde; das ist so gut bekannt, dass Seine Feinde Vorsichtsmaßregeln ergreifen, um die Wegnahme Seines Leibes zu verhindern. Die Jünger haben freilich diesem Wort nicht geglaubt, oder vielmehr, sie haben es nicht verstanden, und Maria Magdalena wahrscheinlich nicht besser als die Übrigen; die Spezereien, welche sie mitbringt, um den Leichnam Jesu einzubalsamieren, und ihre wiederholte Klage: „Sie haben meinen Herrn weggenommen, und ich weiß nicht, wo sie ihn hingelegt haben“, lässt uns vermuten, dass sie eher den toten als den lebenden Jesus sucht. Und doch verbirgt sich im Hintergrund ihrer Gedanken etwas, das sie nicht ausspricht, nicht aussprechen kann; so wie sie sucht man keinen Toten. Ich gebe zu, in dem auferstandenen Jesus Christus hat Maria Magdalena mehr gefunden, als sie zu suchen wagte; aber in seinem Leichnam allein hätte sie sicherlich weniger gefunden als sie suchte; und obwohl sie darauf vorbereitet ist, ihn einzubalsamieren, so hofft sie doch, wenn auch dunkel, dass sie etwas Besseres zu tun haben wird. Nach einem solchen Leben und einem solchen Tod rechnet sie auf etwas Außerordentliches, was sie Niemand gesteht, worüber sie sich selbst nicht klar ist; dunkel ahnt sie die Auferstehung ihres Herrn, ungefähr wie Martha die ihres Bruders, ihr Verständnis wächst mehr und mehr bis zu dem Augenblick, wo die Tatsache selbst ihre Hoffnungen verwirklicht, ja übertrifft. Wenn ich mir deutlich machen will, was in ihrem Herzen vorgeht, so stelle ich mir eine Mutter vor, die ihren teuren Sohn verloren hat, der aber ein hochverehrtes Wort wie das Elisas an die Sunamitin, eine unbestimmte Hoffnung eingeflößt hat, dass er ihr wird wiedergegeben werden. Ich sehe sie, wie sie nach dem Grab eilt, dasselbe leer findet und nur noch zwischen einer Auferstehung und einer Wegnahme des Körpers wählen kann; wie sie dann nur von der letzteren redet, aber doch auf die Auferstehung hofft und darum bis zuletzt am Grabe bleibt, wohin sie auch zuerst geeilt war; wie sie weint, sucht, fragt, wartet und endlich ihren Sohn findet, ihren lebenden Sohn, wie sie ihn anfangs nicht zu erkennen wagt, weil sie fürchtet, aus einer entzückenden Täuschung in eine bittere Wirklichkeit übergehen zu müssen. Und doch ist das nur ein schwaches Bild der Geschichte Maria Magdalenas, wie sie vor allen Andern schon vor Tagesanbruch nach dem Grab eilt; wie sie den Stein hinweggerollt und das Grab leer findet, wie sie zu den Aposteln eilt, die sich erst auf ihr Wort in Bewegung zu setzen scheinen; wie sie diese zu Zeugen dessen macht, was sie gesehen, nach dem Fortgang derselben jedoch noch dort verweilt, um noch mehr zu sehen, sie, das schwache Weib, allein bei einem offenen Grab; wie sie weint und von Allem, was sie umgibt, Den fordert, der allein ihr Herz erfüllt; wie sie Ihn von den Engeln fordert, für die sie weiter kein Interesse bezeigt, als dass sie ihr Zeugnis geben sollen von dem, was sie wünscht; wie sie dann Ihn selbst, den sie für einen Andern hält, fragt bis sie endlich Seine liebe Stimme an dem Ausdruck, mit dem Er sie ruft, erkennt und sich durch die aus zwei Worten bestehende Unterhaltung: „Maria! Rabbuni!“ beruhigt fühlt. Es sind freilich nur zwei Namen, aber der eine sagt Alles, was Maria ihrem auferstandenen Heiland, und der andere Alles, was der auferstandene Jesus der Maria ist, seiner Magd, aus der Er sieben Teufel ausgetrieben. Auf diese sieben Teufel müssen wir immer wieder zurückkommen, denn aus diesen sieben Teufeln lässt sich Alles erklären; das hat der Heilige Geist dem Markus begreiflich gemacht und Markus macht es wiederum uns begreiflich. Maria Magdalena, die erste Zeugin der Auferstehung, die dazu auserwählt worden, dies Ereignis denen kund zu tun, die dazu bestimmt worden, es der ganzen Welt zu verkündigen, dies einfache Weib, die nichts weiter als ihr Herz hat, aber durch dieses Herz der Apostel aller Apostel wird; Maria Magdalena, die große Gestalt des bewundernswürdigen zwanzigsten Kapitels im Evangelium Johannis, wo sie am ersten Tage des Himmelreichs den ersten Platz einnimmt, den die Apostel selbst ihr ohne Zögern einräumen; Maria Magdalena, dieser Erstling der getrösteten Kirche, die erste irdische Stimme, die das Ohr des auferstandenen Jesus berührte, und das erste menschliche Ohr, welches die Stimme des Auferstandenen vernahm; Maria Magdalena, der jeder, selbst der kälteste Jünger wenigstens einmal in seinem Leben eine Regung der Teilnahme und eine Träne der Rührung gezollt hat: - wohlan, wer ist denn nun diese Maria Magdalena und woher kommt sie? Ist sie vielleicht eine vollendete Heilige, die sich eines fleckenlosen Lebens, einer sonst von keinem Menschen erreichten Vollkommenheit rühmen kann? O nein und abermals nein, sie ist eine arme, unwürdige Sünderin; sie ist der Gegenstand einer bösen, höllischen Besessenheit; ein Weib, das ihr nicht ohne Erröten zur Tochter oder Schwester gehabt haben würdet, nicht ohne Zittern an eurer Seite hättet sitzen lassen; ein Weib, das ihr in irgendein Irrenhaus hättet einsperren und mit der Zwangsjacke hättet bekleiden lassen; kurz, ein Weib, aus der Jesus sieben Teufel ausgetrieben hatte. Und das ist der Grund ihres Lebenswandels in Galiläa, ihres Schmerzes unter dem Kreuze, ihrer Freude am Grab, kurz all ihrer Größe, einer Größe, von der sie selbst nichts weiß, indem sie einfach wie ein Kind der Regung eines Herzens folgt, das sie dazu antreibt, Den zu suchen, welchen sie verloren hat, ohne dass sie daran denkt, das Zeugnis zu verdienen, welches ich ihr heute gebe, welches der Heilige Geist ihr schon vor mir gegeben, früher gegeben hat, als ihr daran denkt, die Achtung und die Bewunderung der künftigen Geschlechter durch die Erregung zu erwerben, die in diesem Augenblick euer Herz erfüllt und die ihr mitnehmen werdet zu dem Tisch des für euch wie für Maria Magdalena gestorbenen, für euch wie für sie von den Toten auferstandenen Jesus. Aber ist euer Herz auch wirklich ergriffen? Versteht ihr das Zwiegespräch Maria Magdalenas und ihres auferstandenen Meisters? Hört ihr im Geist, wie Jesus zu euch spricht: „Maria“! und sich über euch freut, die Er schon vom Tod befreit, in den Himmel erhoben und mit Ihm zur Rechten Gottes gesetzt hat? Und vernimmt Jesus seinerseits euer „Rabbuni!“ sieht Er, wie ihr jubelt bei dem Gedanken, dass Er Alles vollbracht hat, dass Er nicht mehr leidet, dass Er von Ewigkeit zu Ewigkeit lebt und bei dem Vater den Lohn Seiner Erniedrigung und Seines Opfers empfängt? Mit einem Wort, feiert euer Herz Ostern wie ein wahres Osterfest des Herrn, den es geliebt, gesucht und gefunden hat? Oder feiert ihr Ostern, weil es gerade Ostertag ist, ohne Erregung, ohne Liebe, bereit, morgen wieder zu den irdischen Gedanken seiner Freuden, zu der Trostlosigkeit seiner Schmerzen oder zu seinen verlockenden Begierden zurückzukehren, als ob Jesus nicht auferstanden wäre? Aber warum das? Kommt es nicht daher, dass ihr bis jetzt nichts kanntet, was der Herzenswunde der Maria gleicht und Jesus euch nicht von sieben Teufeln befreit hat?

Das ist das Geheimnis der Maria Magdalena, um in der Gnade, die sie aus dem Abgrund des Verderbens errettet hat, zu wachsen: Liebe durch Demut. Ihre erste Weihe dem lebenden Jesus gegenüber empfängt sie beim ersten Schritt zur Liebe durch den ersten Schritt in der Demut; ihre zweite Weihe angesichts des sterbenden Jesus bei dem zweiten Schritt in der Liebe durch den zweiten Schritt in der Demut; ihre dritte Weihe dem auferstandenen Jesus gegenüber besteht in einem Schritt in der Liebe durch einen neuen Schritt in der Demut, bis ihre letzte, gänzliche Hingabe dem verherrlichten Jesus gegenüber ein völliges Aufgehen der Liebe in Demut bewirken wird, wenn ihre auserwählte Seele von des Himmels Höhen herab sich in die tiefsten Tiefen der Hölle versenkt, der sie anfangs überliefert gewesen war. Aber wie? Wird denn so viel Gnade nur bei einem Opfer von sieben Teufeln erzeigt? Sollten wir deshalb nicht lieben können wie Maria Magdalena, weil wir von dem Übermaß des Elends, in welchem sie sich zuerst befand, verschont geblieben sind? Sollten wir wünschen müssen, noch strafbarer gewesen zu sein, um dankbarer sein zu können? Nein, liebe Brüder, nein, wir brauchen uns nur selbst besser kennen zu lernen, dann finden wir auch in uns die sieben Teufel, und vielleicht noch mehr, von denen sie befreit wurde, und zwar wird der, welcher die wenigsten in sich sieht, grade der sein, der die meisten beherbergt.

Die Sünderin bei Lukas ist nicht wie Maria Magdalena von sieben Teufeln befreit worden, und doch kann sie keine Beweise finden, die ihrer Dankbarkeit und Liebe demütig und liebevoll genug sind. „Ihr sind viele Sünden vergeben, denn sie hat viel geliebt; wem aber wenig vergeben wird, der liebt wenig“ (Luk. 7,47). Petrus braucht nicht wie jene Sünderin mit den unwürdigen Begierden des Fleisches zu brechen und doch kann er mit aufrichtigem Herzen sprechen: „Herr, Du weißt alle Dinge, Du weißt, dass ich Dich lieb habe.“ Paulus hat nicht wie Petrus seinen Herrn dreimal verleugnet und doch konnte er schreiben: „Jesus Christus ist in die Welt gekommen, die Sünder selig zu machen, unter welchen ich der vornehmste bin“ (1 Tim. 1,15). Für sich selbst, wie für Petrus, für die Sünderin, für Maria Magdalena, für uns Alle hat Paulus auch geschrieben: „Wir waren weiland unweise, ungehorsam, irrig, dienend den Lüsten und mancherlei Wollüsten, und wandelten in Bosheit und Neid und hassten uns unter einander“ (Tit. 3, 3). Bedürfen wir aber, um in die Gesinnung Maria Magdalenas einzugehen, mehr, als dass wir uns selbst erkennen?

Wenn Jesus jene Sünderin, die viel geliebt hat, weil ihr viel vergeben worden, dem Pharisäer Simon gegenüberstellt, der weniger liebt, weil ihm weniger vergeben ist, seht ihr dann nicht, dass dies einfach deshalb geschieht, weil Simon nur in seinen eigenen Augen weniger strafbar ist als die Sünderin, und seine stolze Härte, sein argwöhnischer Unglaube und besonders seine pharisäische Selbstgefälligkeit, die mehr in die Augen fallenden Sünden jener Sünderin reichlich aufwiegen? Ja in Gottes Augen wohl gar überwiegen? Und ihr, die ihr euch so hoch über Maria Magdalena mit ihren sieben Teufeln erhaben glaubt, fragt euch doch: sind nicht eure Teufel, die jetzigen oder früheren, euer Unglaube, eure Habsucht, eure Selbstsucht, eure Sinnenlust, eure Eitelkeit, eure Unlauterkeit - das sind schon sechs - sind die nicht eben so schrecklich als ihre Teufel? Den schlimmsten aller Teufel habe ich noch nicht genannt, das ist euer Tugendstolz, der euch glauben macht, dass ihr besser seid als sie. Und ist das so gewiss? Seht ihr nicht ein, dass Gottes Gerechtigkeit, im Gegensatz zu der menschlichen Gerechtigkeit, die verborgenen Gesinnungen des Herzens neben der sichtbaren Tat abwägt und bei Jedem nach den Hilfsquellen, dem Beispiel, der Einsicht, den wenn auch nur innerlichen Warnungen, die er erhalten oder entbehrt hat, richtet? Wer seid ihr, dass ihr eure Last gegen die der Maria Magdalena in die Waagschale legt? Und worin anders kann eure Sicherheit bestehen, als darin, dass ihr euch unter einander - Maria Magdalena mit inbegriffen - durch Demut Einer den Andern höher achtet denn euch selbst? Für Paulus ist der größte Sünder Paulus selbst, für Petrus Petrus, für die Sünderin die Sünderin, für Maria Magdalena Maria Magdalena, und für euch müsst ihr es selber sein.

Nein, nein, wir können den verwegenen Wunsch nicht hegen, den Wundern Deiner Gnade, o mein Gott, ein reicheres Feld zu bieten! Um diese völlig unverdiente Gnade zu würdigen, brauchen wir uns nicht schlechter zu finden als wir sind, und Dich nicht besser als Du bist! Zeige uns nur uns selbst, so wie wir sind, wenn wir anders diesen Anblick ertragen können und wenn wir nicht fürchten müssen, dass uns, indem wir in diesen Abgrund blicken, der Kopf schwindelt! Du bist weise, o Herr, denn Du lässt uns in demselben Maße in dem Bewusstsein Deiner Barmherzigkeit wachsen, als in uns das Bewusstsein unserer Ungerechtigkeit zunimmt, dieser Ungerechtigkeit, die wir von Jahr zu Jahr, fast von Tag zu Tag mehr ergründen lernen und die wir damals, als wir noch im Beginn Deiner Gnade standen, nicht so wie heute hätten verstehen können, ohne dass wir Gefahr liefen, durch das zu große Verständnis in Verzweiflung zu geraten! Ach, wenn Du die Wunden eines Jeden unter uns so vor der Welt aufdecken wolltest, wie Du die Wunden der Maria Magdalena offen gelegt hast; wenn Du vor dieser Versammlung mir das nennen wolltest, was sich zwischen Dir und einem Jeden unter uns zugetragen hat, die Handlungen unsers Lebens, die Worte unserer Lippen, die Gedanken unserer Herzen; so würde die Beschämung, die uns erfassen müsste, die Furcht, die uns ergreifen würde, eine ganz andere sein, als die, dass in uns weniger zu verzeihen, weniger auszutilgen, weniger in dem Blut des Kreuzes abzuwaschen sei als in Maria Magdalena! Komm darum, o Herr Jesu, und schaffe in einem Jeden von uns ein reuiges und demütiges Herz, auf dass Jeder, indem er wie Maria Magdalena in sich den strafbarsten, unwürdigsten und verächtlichsten unter Allen sieht, von nun an durch die Liebe für Den, der sie aus ihrem sündigen Zustand errettet hat und auch uns aus unserem Verderben erlöst, ihr nachahmt in der Gemeinschaft Deines Lebens, in der Teilnahme für Deinen Tod, in der Freude Deiner Auferstehung, bis wir Alle ihr gleich werden in dem unaussprechlichen Besitz Deiner Herrlichkeit und Deines Glückes!

Und ihr Abendmahlsgenossen! Naht euch heute an dem Fest eures auferweckten Heilandes Seinem Tisch in Maria Magdalenas Geist und Gesinnung, sucht Ihn im Herzen, sucht Ihn im Wort, sucht Ihn im Sakrament, sucht Ihn im Brot und Wein, sucht Ihn im Gebet, sucht, bis ihr Ihn findet und gegen sein, „Maria“ euer „Rabbuni“ austauscht. Dann werdet ihr nicht mit Betrübnis in eure Häuser heimkehren, nicht heimkehren, ohne mehr zu empfangen als ihr hierher brachtet; nicht auf halbem Weg stehen bleiben zwischen Unglauben und Glauben, zwischen Tod und Leben, zwischen Karfreitag und Ostersonntag mit dem schmerzlichen, noch unsicheren und zitternden Ausruf der Maria Magdalena: „Sie haben meinen Herrn weggenommen, und ich weiß nicht, wo sie ihn hingelegt haben.“

Und ihr Katechumenen! Ihr seid zwar noch jung, aber nicht so jung, dass ihr des Gottes der Maria Magdalena nicht bedürftet. Ach, ihr wisst, wie es mit der vorgeblichen Unschuld, welche die Welt eurem Alter andichtet, bestellt ist, mit dieser Unschuld, inmitten welcher sich mit den Jahren ein Haufen von Sünde und Ungehorsam angesammelt hat, der euch schon jetzt ohne Hoffnung ließe, wenn ihr nicht auch in eurem Gott-Heiland einen Schatz der Gnade und Verzeihung erblicktet. O möchtet ihr deshalb nicht mehr von euch halten, als Maria an dem Tag von sich hielt, wo sie Jesus ihr Herz gab und aus den Tiefen ihres natürlichen Elends den göttlichen Reichtum ihrer Hingabe und ihrer Liebe schöpfte!

Und ihr Alle, die ihr hier versammelt seid, ihr, die ihr euch heute vielleicht zum ersten Mal von dem Elend in euch und der freien Gnade in Jesu getroffen fühlt, wünschet von Herzen wie Maria Magdalena endigen zu können, nachdem ihr wie sie begonnen habt. Du, mein Bruder, und du, meine Schwester, die ihr bis jetzt für die Sünde, oder für den Unglauben, oder für die Selbstsucht, oder für die Welt gelebt habt, zu denen aber der Geist Gottes im Inneren ihres Herzens mahnend spricht: „Und warum willst du nicht wie Maria Magdalena von der Finsternis zu dem Licht und von der Gewalt des Satans dich zu Gott bekehren?“ Ich sage noch einmal mit Ihm und eurem Gewissen: Warum nicht, und ich füge noch hinzu: Warum nicht heute? Warum nicht von diesem Augenblick an? Warum wollt ihr nicht dies Mahl der Gemeinschaft eine Schranke sein lassen zwischen eurem alten Leben, das ihr so gern verlassen möchtet, und dem neuen Leben, das ihr mit Ungeduld anzutreten wünscht? Ist euer Herz aufrichtig vor Gott, so kommt, das ist die beste und allein notwendige Vorbereitung; kommt, so wie ihr seid, ich lade euch dazu im Namen des Herrn ein; kommt, wenn auch eure Sünden rot wären wie Blut, so sollen sie doch weiß werden wie Schnee, kommt und sucht von nun an nach dem Maßstab eurer früheren Ungerechtigkeit den Maßstab eurer künftigen Heiligkeit im Dienste Dessen, der auf unsere sündige Welt gekommen ist, um für unser Heil zu leben, für unsere Erlösung zu sterben und für unsere Befreiung von den Sünden aufzuerstehen!

Wenn Der, welcher an dem Tag, dessen Gedächtnisfeier wir heute begehen, zum ersten Zeugen Seiner neuen Herrlichkeit Maria Magdalena, aus der Er sieben Teufel ausgetrieben hatte, auserkor, in diesem Augenblick unter uns erschiene und aus den hier Versammelten den auswählte, den Er heute mit Seinen vertrautesten Mitteilungen und Seinen köstlichsten Segnungen bereichern möchte, auf wen meint ihr wohl, würde Seine Wahl fallen? Es würde unter Allen jedenfalls der sein, der am besten in den Geist und Sinn der Maria Magdalena eingeht; der vielleicht, für den wir am wenigsten die Auszeichnung des Herrn erwarten; sicherlich aber derjenige, der am wenigsten für sich selber darauf gerechnet hätte.

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autoren/m/monod/monod-maria_magdalena.txt · Zuletzt geändert: von aj
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