Molenaar, Isaak - Predigt über Luk. 9,51-56

Molenaar, Isaak - Predigt über Luk. 9,51-56

(Gehalten nach Trinitatis.)

Hilf, Herr, die Heiligen haben abgenommen, und der Gläubigen ist wenig unter den Menschenkindern. Einer redet mit dem andern unnütze Dinge, und heucheln, und lehren aus uneinigem Herzen. Der Herr wolle ausrotten alle Heuchelei und die Zunge, die da stolz redet, die da sagen: unsre Zunge soll überhand haben, uns gebühret zu reden, wer ist unser Herr? Weil denn die Elenden verstöret werden und die Armen seufzen, will Ich ans, spricht der Herr. Ich will eine Hülfe schaffen, daß man getrost lehren soll. Die Rede des Herrn ist lauter, wie durchläutert Silber im irdenen Tiegel, durchläutert siebenmal. Du, Herr, wollest sie bewahren und uns behüten vor diesem Geschlechte ewiglich. Denn es wird allenthalben voll Gottloser, wo solche Leute unter den Menschen herrschen.„ So spricht, klagt und betet David im 12. Ps. und im 9. ruft er aus: „Herr, stehe auf, daß Menschen nicht überhand kriegen - gib ihnen, Herr, einen Meister, daß sie erkennen, daß sie Menschen sind.“

Ist es nicht als wenn er von unsern Tagen redete? Da sehen wir, daß nichts Neues unter der Sonne ist und das Wort Gottes auf alle Zeiten paßt. Wenn wir also gegen diesen bösen aufrührerischen Geist aus allen Kräften eifern, so folgen wir darin dem Wort und dem Geist Gottes. Aber auch dabei haben wir uns vor einer Gefahr zu hüten, Geliebte, der wir in unserer Schwachheit nur gar zu leicht unterliegen, nämlich, daß sich unserm gerechten und wie wir glauben, heiligem Eifer nichts Fleischliches, Menschliches, Unreines beimische; sondern er stets von sanftmüthiger Weisheit geleitet werde und aus wahrer Liebe fließe. Hierüber, meine Theuern, möchte ich in dieser Morgenstunde ein Wort der christlichen Ermahnung reden. Möge der Herr es segnen!

Ja, Herr, du segnest gerne was du segnen kannst, aber nur das kannst du segnen; was du selbst in uns wirkest und zu dem heiligen Ziel fuhrt, nämlich unserer Seligkeit und deiner Verherrlichung zur Förderung und Ausbreitung deines Reiches. O laß es gefördert und ausgebreitet werden in uns und durch uns. Lenke dahin alle Dinge, segne dazu auch diese Zusammenkunft. Lehre uns deinen Sinn, gib uns deinen Geist, heilige unsere Andacht und unser Gebet. Amen.

Text: Luk. 9,51-56.
Es begab sich aber, da die Zeit erfüllet war, daß er sollte von hinnen genommen werden, wandte er sein Angesicht stracks gen Jerusalem zu wandeln. Und er sandte Boten vor ihm Hin; die gingen hin und kamen in einen Markt der Samariter, daß sie ihm, Herberge bestellten. Und sie nahmen ihn nicht an, darum, daß er sein Angesicht gewandt hatte zu wandeln gen Jerusalem. Da aber das seine Jünger, Jakobus und Johannes, sahen, sprachen sie: Herr, willst du, so wollen wir sagen, daß Feuer vom Himmel falle, und verzehre sie, wie Elias that? Jesus, aber wandte sich, und bedrohte sie, und sprach: Wisset ihr nicht, welches Geistes Kinder ihr seid? Des Menschen Sohn ist nicht gekommen, der Menschen Seelen zu verderben, sondern zu erhalten.

In den beiden Jüngern sehen wir das Bild des falschen Religionseifers, in dem Herrn das rechte Gegenbild, das Vorbild der demüthigen und sanftmüthigen Liebe. Laßt uns beides betrachten, jenes zu unserer Warnung, dieses zu unserer Erbauung. Er gebe es!

I.

Wenn wir das Betragen der Jünger richtig beurtheilen wollen: so müssen wir uns erst in ihre Lage versetzen; sonst wölben wir sogleich Gefahr laufen, ungerecht gegen sie zu sein und in ihren eignen Fehler zu verfallen; und sie strenger richten, als sie es verdienen und als der Herr selbst es thut.

„Es begab sich - sagt der Evangelist - da die Zeit erfüllet war, daß Er sollte von hinnen genommen werden - also kurz vor Seinem Heimgang - wandte Er Sein Angesicht stracks gen Jerusalem zu wandeln.“ Es war Seine letzte Reise dahin. Gewöhnlich umging Er Samaria, wenn Er von Galiläa dorthin reiste, entweder jenseits des Jordans oder längst der Seeküste. Dieses letzte mal wollte Er noch einen Versuch machen, auch bei den Samaritern Eingang zu finden. Darum wählte Er nun den geraden und kürzesten, wenn auch nicht den ruhigsten Weg. Um sie vorzubereiten, sandte Er zween Boten, wahrscheinlich Jünger, voraus, daß sie ihm Herberge bestellten. Er konnte erwarten, daß sie diesen Beweis Seines Zutrauens dankbar ehren, wohl gar wie die Landesleute des Samaritischen Weibes, die Sichariten, Ihn bitten würden, bei ihnen zu bleiben. Das erwarteten auch die Jünger, sie meinten wohl gar, es als eine natürliche Erwiderung fordern zu können. Aber sie betrogen sich. Die Samariter nahmen Ihn nicht an; sie wiesen Ihn mit Seinen Begleitern ab. Warum? Darum, daß Er Sein Angesicht gewendet hatte zu wandeln gen Jerusalem. Dieß reizte nämlich ihren Volks- und Religionshaß. Denn eben das war der Punkt ihres Streites mit den Juden. Sie behaupteten, nicht in Jerusalem, sondern auf ihrem Berge, Garazim, müsse man Jehovah anbeten, weil hier auch Abraham und die Erzväter angebetet hätten, und die Juden später ihren Vätern keinen Antheil an dem Aufbau des Tempels gestatten wollten. Da das Seine Jünger, Jakobus und Johannes, sahen, diese beiden Brüder, die den Herrn so besonders liebten, als sie diesen harten, unerweichlichen, verstockten Sinn sahen, da geriethen sie in einen sehr begreiflichen, sehr natürlichen, wie sie meinten, heiligen Eifer und riefen aus: „Herr, willst du, so wollen wir sagen, daß Feuer, d. h. Blitz, vom Himmel falle und verzehre sie, wie Elias that?“ Sie meinten, es könne ihnen nicht fehlen, denn hier sei ja mehr wie Elias. Darum nannte der Herr sie auch später Blitzes- oder Donnersöhne.

Geliebte, wenn wir das Urtheil des Herrn nicht wüßten, würden wir dann das Betragen der Jünger nicht vielleicht ganz verschieden beurtheilen? Manche würden es vielleicht schlechthin verdammen, weil sie ihre Liebe zu Jesu nicht verstehen; Andre es beinah gänzlich billigen, wenn sie, wie jene, die Person mit der Sache verwechseln.

Und, wenn wir unsern Blick auf uns selbst wenden, was sehen wir dann?

Auch wir lieben vielleicht den Herrn mit der ganzen, vollen Liebe unseres Herzens. Wir haben Ihn von Kindheit an als den Gegenstand der höchsten Verehrung nennen hören. Später wurden wir näher mit Ihm bekannt, wir sahen Seine Größe, Seine Güte, Seine Macht, Seine Weisheit, Seine Liebe, Seine Demuth, Seine Heiligkeit; und Sein Bild stieg immer höher in unserer Seele, wir erkannten in Ihm das Urbild aller menschlichen Vollkommenheit, ja die Offenbarung göttlicher Herrlichkeit in menschlicher Gestalt, eine unaussprechliche Ehrfurcht, ja eine unbedingte Liebe, wie wir sie gegen kein anderes Wesen noch je empfanden, oder empfinden können, bemächtigte sich unwiderstehlich unserer Seele, endlich lernten wir Ihn auch als den Heiland kennen, d. h. Er ward uns dargestellt als der Sein Leben für uns gegeben, Sein Blut vergossen habe zur Vergebung unserer' Sünden, durch dessen Tod wir das Leben, die Seligkeit haben, als der Herr und das Haupt der Gemeine; auch wir wurden zu Seiner Gemeine hinzugethan, mit dem Siegel der Taufe Ihm geweiht, empfingen das Sakrament Seiner Gnade und nannten Ihn auch unsern Herrn und unser Haupt. So wurden wir allmählich durch Bande der Ehrfurcht, der Liebe, der Dankbarkeit, des Gehorsams an Ihn gebunden, wie die Jünger, als sie noch mit Ihm wandelten. Es entstand in uns, wie in ihnen, eine Gewohnheit der Verehrung und Ergebung, die gleichsam mit unserer innersten Natur, mit unserm sittlichen Gefühl zusammenwuchs und immer zunehmen mußte, je mehr wir Ihn, als den Einzigen, in dem das Heil wie die Ehre der Menschheit ruhte, kennen lernten. Und immer mußte diese Verehrung und Liebe steigen, je mehr wir einsehen lernten, wie klein und nichtig dagegen Alles ist, was die Menschen groß und erhaben nennen und bewundern, wie alle Herrlichkeit vor der Seinen dahin sinkt. Nun meinen wir, wie die Jünger, es sei unmöglich, daß Andere nicht eben so denken, eben so fühlen sollten wie wir, und wenn wir verschiedenen Urtheilen, abweichenden Ansichten und Meinungen begegnen: so ist uns dieses unbegreiflich, unerträglich. Wir schreiben sie nicht sowohl einem Irrthum des Verstandes, als einer schlechten Gesinnung, einem Fehler des Herzens zu; wir sagen, es fehle ihnen an Liebe und Verehrung für das Gute, Rechte und Wahre, wie könnten sie sonst in Ihm das Urbild desselben verkennen? Aber wir bedenken nicht, daß jene eine ganz andere Bildung empfangen haben, unter ganz verschiedenen Einflüssen erwachsen sein können und ihnen das Gute und Heilige in einer verschiedenen Form und Gestalt erscheine, daß ihnen der Herr und Sein Reich vielleicht nie anders als in einem falschen, getrübten Licht könne dargestellt sein, wie den Samaritern als ein Gegenstand des Hasses und der Verachtung, ja das Christenthum selbst als ein veralteter Wahn, eine Beschränkung und ein Hinderniß, welches aller freien Entwickelung der menschlichen Kräfte und Verhältnisse, worin sie das Heil der Welt zu finden wähnen, überall im Wege steht und dessen die mündig gewordene Menschheit nicht bald genug sich entledigen könne. So denken unsere Zeitgenossen, in diesen Ansichten sind die meisten erzogen, wenigstens diejenigen, die einigen Einfluß haben, während die Menge, die überall nur den nächsten Genuß und Gewinn im Auge hat, und in zügelloser Gier Alles an sich reißen will, ohne die Folgen zu bedenken, wie die freche leichtsinnige Jugend, sich ihnen blindlings nachstürzt und alle Bande der Zucht und Ordnung, als tyrannische Fesseln zerreißt. Daß ein solcher Geist der Zeit uns empört, daß wir ihn tief verabscheuen, ja mit ganzem Ernst hassen und ihm aus allen Kräften entgegenzuarbeiten streben, ist natürlich, ist gut und Recht und heilige Pflicht, besonders wenn er sich an dem Heiligen vergreift, die Wahrheit in ihren Grundfesten erschüttert, die heiligsten Bande zu lösen strebt, woran Gott Selbst unser zeitliches Glück und ewiges Heil geknüpft hat, und wer wollte es so unnatürlich, so tadelhaft finden, wenn uns dieser Eifer auch einmal über die Schranken der Mäßigung hinausreißen sollte.

Nur sollen wir, und darauf kommt es an, nie die Personen mit der Sache verwechseln, d. h. wir sollen den bösen Geist unbedingt verwerfen und verdammen, aber die Menschen, die von ihm beherrscht und verführt sind, dennoch lieben, aber eben aus Liebe sie davon zu befreien suchen, und das ist es was der Herr selbst in Seiner Antwort will. Diese müssen wir nun noch kürzlich im 2ten Theil erwägen.

II.

Wisset Ihr nicht, welches Geistes Kinder Ihr seid? Des Menschen Sohn ist nicht gekommen, der Menschen Seelen zu verderben-, sondern zu erhalten. Welch ein Wort! Welch ein anderes Licht strahlt daraus in unsere Finsterniß hinein! Ja, der Christ ist ein Kind der Gnade. Sie hat ihn geboren, sie will ihn erziehen, sie soll ihn durchdringen und erfüllen und ihn in Allem leiten.

Aber fühlt Ihr es nun nicht auch, meine Geliebten, daß ein solcher Christ ein ganz anderes Wesen ist, als der, von dem wir bisher redeten, so wie die Jünger ganz andere Menschen wurden, da sie Apostel waren und den heiligen Geist empfingen. Sie waren wirklich wiedergeboren, wahre, lebendige Kinder des Geistes, nämlich desselben Geistes, der auch den Herrn trieb, daß Er kam, um der Menschen Seelen nicht zu verderben, sondern zu erhalten, sie vom Tode, von, ewigen Tode zu erretten und ihnen Sein eigenes ewiges Leben zu geben. Ja, welche der Geist Gottes treibet, nur die sind Kinder Gottes. Sie können mit Paulus sagen: ich lebe, doch nun nicht mehr ich, sondern Christus lebet in mir. Ein neues Leben und also ein neuer Lebenstrieb ist in ihnen erweckt, der Herr, der sich aus Gnade und Barmherzigkeit für sie dahin gegeben, hat ihnen auch diese Seine Erbarmung und Gnade ins Herz gesandt. Seine Liebe ist ausgegossen in ihre Herzen durch den heiligen Geist. Und darum sind sie auch gesinnt, wie Jesus Christus auch war und wandeln, wie Er gewandelt hat. Wie war Er gesinnt, wie wandelte Er? - Wir sehen es hier und sehen es überall, wenn wir Augen haben, um zu sehen, Augen, die durch Seinen Geist, Seine Gnade geöffnet sind, zu schauen, was das Fleisch nicht sehen kann, wovon der natürliche Mensch nichts vernimmt, was dem Weisen und Klugen dieser Welt verborgen ist, die göttliche Majestät Seiner herzlichen Demuth und Sanftmuth, Seiner still sich opfernden Liebe, den Sinn des Gotteslammes, das der Welt Sünde trug und Seinen Mund nicht aufthat, da er gestraft und gemartert ward an unserer Statt, das stumm sich zur Schlachtbank führen ließ und Seinen Mund nicht aufthat, als um für seine Mörder zu beten: Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie thun.

Derselbe Sinn war auch jetzt in ihm, darum wies Er die Jünger so sanft und demüthig zurecht, und ging ruhig mit ihnen in einen andern Marktflecken. Darum sagte Er: wer etwas reden wird gegen des Menschen Sohn, dem wird es vergeben werden. Nie hatte Er sich, Seine Person im Auge, wie wir; sondern diese vergaß, verläugnete, opferte Er, um Herzen zu gewinnen, Seelen zu erretten und zu erhalten. Das allein war Seine Speise, der Hunger und Durst Seines Herzens. Und diesen Sinn hat Er auch Seinen Aposteln eingegossen. So handelten auch sie in ihrer Weise, nachdem sie dieses Geistes Kinder geworden waren. Da gingen sie zu den Juden, die ihren Herrn gekreuzigt hatten und auch sie geißelten, und boten ihnen, noch einmal Seine Gnade und Vergebung in Seinem Namen, da gingen sie zu denselben Samaritern, und predigten ihnen das Evangelium, zu den Heiden, die sie verfolgten und für die sie beteten. Ja ein Paulus, der zuvor wie ein wildes Thier gegen Seine Gemeine gewüthet hatte, ward ein Lamm, das sich für feine Feinde schlachten ließ und wünschte verbannt zu sein von Christo für seine Brüder nach dem Fleisch, die nun ihn verfolgten.

Seht, Geliebte, das ist der Geist, dessen Kinder wir auch sein sollen. Ich will nicht fragen, ob wir es sind. Fragt Euer eigenes Gewissen, welch ein Zeugniß das Euch gibt. Aber glaubt ihr nicht, daß es anders wäre in der Welt, wenn dieser Geist in ihr wohnte und herrschte, wenn er Königen und Völkern beseelte, glaubt ihr nicht, daß dieser Geist allein sie wahrhaft erneuern und verbessern kann? O so laßt uns an uns selbst anfangen, für uns und für Alle darum beten, daß der Herr ihn mächtig ausgießen wolle über die Erde - dann wird Sein Name wahrhaft geheiligt werden. Sein Reich kommen und Sein Wille geschehen auf Erden wie im Himmel. Amen.

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