Kierkegaard, Sören Aabye - „Siehe wir haben Alles verlassen und sind Dir nachgefolgt - was wird uns dafür?“ (Math. 19,27) und was wird uns!

Kierkegaard, Sören Aabye - „Siehe wir haben Alles verlassen und sind Dir nachgefolgt - was wird uns dafür?“ (Math. 19,27) und was wird uns!

Die angeführten Worte sind vom Apostel Petrus gesprochen, in Veranlassung der Versicherung Christi, wie schwierig es ist in das Reich Gottes einzugehen. Und der Schluss der Frage geht ja uns Alle an: was wird uns, was verheißt uns das Christentum? Aber nun der Anfang der Frage: „wir haben Alles verlassen und sind Dir nachgefolgt,“ geht der uns auch an? Ganz gewiss. Passt er auf uns? Vielleicht. Es ist ja möglich, dass er in verschiedener Weise auf die Verschiedenen passt. Selig der, auf welchen diese Worte ganz passen; selig der, der auch sagen darf: ich habe alles verlassen, um Christo nachzufolgen. Doch können die Worte auch auf eine andere Weise ganz passen als ein Spott über den, der sagt und meint ein Christ zu sein, also Christo nachzufolgen, und doch mit seiner ganzen Seele am Weltlichen hängt. Man könnte in einer ausführlicheren Darstellung zu zeigen suchen, dass das Christentum solcher Leute eine Einbildung, ein Betrug ist; aber man kann das Ganze auch kürzer abmachen, und doch auf eine Weise, welche schwieriger ihre Wirkung verfehlt, indem man bloß diese Worte von Petrus anführt: „Sieh wir haben alles verlassen und sind Dir nachgefolgt“ die passen ganz!

Es wird oft davon geredet, wie herrlich es ist ein Christ zu sein, von dem großen Gut, ein Christ zu sein, von dem was der Christ besitzt und dereinst völliger empfangen soll, von dem Guten das dem Menschen in Christo dargeboten wird, und dieses Gut wird da in den höchsten und stärksten Ausdrücken angepriesen. Das ist ja auch ganz in seiner Ordnung, richtig und verantwortlich, es ist direkt Pflicht, dass es so geschieht. Aber man kann dasselbe sagen, ganz dasselbe auf eine andere, vielleicht mehr erweckende Weise. O, und wer von Beiden redet doch eigentlich am wahrsten von der Herrlichkeit dieses Gutes, der, welcher sie in den herrlichsten Ausdrücken beschreibt, oder der, welcher sagt: „Sieh, um dieses Gutes Willen habe ich Alles verlassen?“ Er sagt also weiter nichts davon wie herrlich dieses Gut sei, er braucht, er verschwendet nicht ein einziges Wort darauf, er meint dies spreche besser: sieh, ich habe Alles verlassen, sieh nach, prüfe mein Leben, seine äußere Weise, den innerlichen Zustand meiner Seele, ihr Wünschen und Sehnen und Begehren, und Du sollst sehen, ich habe Alles verlassen. Oder ist es denn nicht eine sehr bedenkliche Art des Selbstwidersprechens, dass ein Mensch von der Herrlichkeit des Gutes vollkommen überzeugt sein sollte, und dieses doch nicht die Macht über ihn hätte, dass er um dessen willen das Mindeste von dem verließe, was in Streit damit ist und nicht zugleich mit diesem Gut besessen werden kann? Und ist dies nicht eine vortreffliche Weise, eine Probe anzustellen, wie herrlich ein Gut für einen ist, nämlich: wie viel man um seinetwillen verlassen hat. Wenn da ein Verliebter wäre, der in den schönsten und glühendsten Ausdrücken die Vollkommenheiten und Vorzüge der Geliebten priese; und wenn dann ein anderer Verliebter wäre, der nicht ein Wort davon sagte, sondern bloß, „sieh, ich habe um ihretwillen alles verlassen,“ welcher von diesen Beiden redete am herrlichsten zu ihrem Preis! Denn nichts läuft doch so leicht wie der Mund, und nichts ist so leicht, wie den Mund laufen zu lassen, und nur das ist eben so leicht, mit Hilfe des Mundes sich selbst zu entlaufen, während man den Worten nach viel tausend Meilen sich selbst voraus ist.

Willst Du daher das Christentum preisen - O, wünsche Dir nicht Engelzungen, nicht aller Dichter Kunst, nicht aller Redner Beredsamkeit: in demselben Grad wie Dein Leben zeigt, wie viel Du um seinetwillen verlassen hast, in demselben Grad preist Du das Christentum. Und wenn wir unsre christliche Überzeugung prüfen wollen, ob wir nun wirklich von der Herrlichkeit des Gutes, welches das Christentum verheißt, vergewissert und überzeugt sind: da lass uns nicht bei dem einen oder dem anderen Redner eine wohlgeglückte Darstellung suchen, der wir ganz zustimmen und die wir ganz zu der unsrigen machen, lass uns auch nicht, wenn wir selbst Redner sind, versuchen, in Wort und Rede die Herrlichkeit dieses Gutes zu preisen. Aber lass uns den Blick in uns selbst wenden, und indem wir aufrichtig unser Leben prüfen, diese Worte des Petrus hören, als von uns gesagt: „sieh, wir haben Alles verlassen“ - und darauf selbst die letzten Worte sagen: was wird uns?

„Sieh, wir haben alles verlassen und sind Dir nachgefolgt.“ Der Apostel stellt sich also hier nicht als einen Mann hin, der großen Verlust in der Welt gehabt hat, einen Mann, welchem Gott vielleicht Alles weggenommen hat - er ist nicht ein Hiob, der sagt: „der Herr hats genommen.“ Nein, der Apostel braucht einen andern Ausdruck, er sagt, wir haben alles „verlassen.“

Das hatte Hiob nicht getan, Hiob hatte nicht das Mindeste verlassen, dagegen nahm der Herr Alles bis zum Mindesten von ihm. Hiobs Frömmigkeit ist, dass er, da der Herr alles genommen hatte, sagte: „Der Name des Herrn sei gelobt,“ also dass er demütig und gläubig, ja Gott preisend, dankend zustimmte, indem er sich in den Verlust schickte, oder den Verlust ansah als das Beste für sich. Anders mit dem Apostel. Er hat alles verlassen, also freiwillig aufgegeben; es wurde nicht Gewalt gegen ihn angewendet, um ihm auch nur das Mindeste zu nehmen, nein, aber er gab das alles freiwillig auf. Dies ist das Christliche. Denn dass sich ein Mann in den unvermeidlichen Verlust findet, ist auch im Heidentum dagewesen. Dass ein Mensch sich so in den unvermeidlichen Verlust findet, dass er nicht bloß den Glauben an Gott nicht verliert, sondern gläubig seine Liebe anbetet und preist, das ist jüdische Frömmigkeit. Aber freiwillig alles aufgeben, das ist Christentum.

O, man hört oft eine falsche Rede, welche den Menschen einbilden will, dass freiwillig die irdischen Güter aufgeben ein Versuchen Gottes sei, dass freiwillig sich in die Gefahr wagen, welcher man doch entgehen könnte, ein Versuchen Gottes sei. Man meint, dies sei Gott versuchen, und sagt dann verurteilend von dem, der so in Gefahr kommt: „er ist selbst Schuld daran.“ Ja ganz gewiss er ist selbst Schuld daran, und grade dies ist eine Lobrede auf ihn.

Hätte er sich klug zurückgehalten, und aus Furcht, Gott zu versuchen, sich erlaubt Gott zum Narren zu haben, dann wäre er vermutlich außer Gefahr geblieben, im sichern Besitz alles dessen, was er besaß. Aber der Apostel sagt: „Sieh, wir haben alles verlassen,“ und so wenig fällt ihm ein, sich darüber einen Vorwurf zu machen, dass er es sich offenbar zum Gewinn anrechnet als etwas, das Gott gefallen müsse. Doch das versteht sich, er fügt hinzu „und sind Dir (Christo) nachgefolgt;“ denn das folgt von selbst, dass wenn Einer alles aufgibt und verlässt, um seinem eigenen Kopf zu folgen, dann versucht er Gott.

Dagegen ist es wirklich so, dass Christus von dem Christen fordert, dass er freiwillig alles aufgeben und verlassen soll. Dies wurde in den Tagen des alten Testaments nicht gefordert; Gott forderte nicht von Hiob, dass er selbst etwas aufgeben sollte, und forderte, prüfend, von Abraham nur ausdrücklich Isaak. Aber das Christentum ist ja auch die Religion der Freiheit, grade das freiwillige ist das Christliche. Freiwillig alles aufgeben um Christo nachzufolgen, das heißt von der Herrlichkeit des Gutes überzeugt sein, welches das Christentum verheißt. Feige und furchtsam - das nicht wagen dürfen aus Furcht Gott zu versuchen, ist ein Sklavensinn; hinterlistig sich stellen, als ließe man es aus Furcht Gott zu versuchen, ist Gott zum Narren haben. Was Gott einen Menschen nicht nehmen kann, das ist das Freiwillige - und das ist grade das, was das Christentum fordert. Gott kann einem Menschen alles nehmen; aber er hat es dem Menschen überlassen, freiwillig alles aufzugeben, und dies ist grade, was das Christentum fordert. Von allen jenen Herrlichen, die freiwillig alles verließen, um Christo nachzufolgen, gilt menschlich, dass es ihre eigene Schuld war, dass sie in alle diese Mühseligkeiten und Beschwerden kamen, es war ihre eigene Schuld, dass sie den Tod litten. Es hat (ja, das soll gesagt werden, in den Augen der Welt zu ihrer Verkleinerung, in den Augen Gottes zu ihrer Ehre) einmal in ihrer Macht gestanden, sich zurückzuhalten, allen diesen Gefahren zu entgehen; aber freiwillig verließen sie alles. Dies ist das Christliche und deshalb grade zum Ärgernis. Denn das kann die Welt noch begreifen, dass man etwas Trost für die findet, welche einen unvermeidlichen Verlust erlitten. Aber dass man sich selbst freiwillig Verlust und Gefahren aussetzen sollte, das ist in den Augen der Welt Torheit und ist ganz richtig das Christliche.

Dies, freiwillig alles verlassen um Christo nachzufolgen, was die Welt weder hören kann noch hören will ohne sich zu ärgern, dies ist auch das was die sogenannte Christenheit am liebsten verschwiegen haben will, oder wenn es doch gesagt wird, gern überhören will, in jedem Fall so hören, dass man etwas anderes herausbekommt. Deshalb wäre es nicht unmöglich, dass selbst eine Rede, deren Absicht wäre zu erschrecken, vielleicht einschläfernd wirken könnte. Man könnte es da als fürchterlich, wie es ja auch ist, darstellen, wenn in jenen längst verschwundenen Zeiten der Christenheit, in den Zeiten der Verfolgung, einer sich vielleicht hinauswagte und Märtyrer werden wollte, und nun, nachdem er wohl bereits mancherlei und in längerer Zeit gelitten hatte, in dem letzten, dem peinvollen Augenblick der Lebensgefahr, des Todes den Mut verlor, dem Christentum absagte - abschwor. Das sollte dann das Fürchterliche sein, was es ja auch ist. Aber wo ist dann die Möglichkeit der Einschläferung? Das Einschläfernde ist oder würde die verkehrte Anwendung sein, wenn hinzugefügt würde, oder wenn den Zuhörern gestattet würde, stillschweigend hinzuzufügen: wir haben das Christentum nicht so verleugnet wir, wir, die vielleicht in feiger Klugheit Bescheid wissen, uns von jeder Gefahr fernzuhalten, in welcher unser Christentum erprobt werden könnte. Ach, und welche Art Verleugnung ist denn die schlimmste? Doch wohl grade diese letzte, die feige, schlau berechnende, von Jahr zu Jahr fortgesetzte, durch ein ganzes Leben sich hinziehende, beständige, tägliche (O, fürchterlich, so dem Befehl Christi einer täglichen Verleugnung nachzukommen!) die tägliche Verleugnung Christi. Das versteht sich, dies Verleugnen wird nicht so in die Augen fallend (mindestens nicht im theatralischen Sinn: für den Herzenskenner und Allgegenwärtigen wird es doch wohl eben so in die Augen fallen) wie wenn ein solcher Unglücklicher in dem entscheidenden peinvollen Augenblick des Todes Christum verleugnet. Aber was das Schlimmste ist, darüber kann kein Zweifel sein. Es ist doch und allzeit Rettung und Hoffnung für jeden, dessen Sünde recht offenkundig wird, die Rettung ist näher in je fürchterlicherer Gestalt seine Sünde sich vor ihm zeigen muss. Aber für dieses hinterlistige Spiel der Klugheit ist keine Rettung, das Geheimnis besteht grade darin, dass man den Schein aufrecht erhält, man habe Christum nicht verleugnet. Dass ein Unterschied ist zwischen Sünde und Sünde, das weiß Jeder; aber es ist ein Unterschied, auf den man nicht immer hinlänglich aufmerksam zu sein scheint, der, zwischen der Sünde des Augenblicks oder der Sünde im Augenblick und der beständigen, täglichen Sünde oder einem Leben, das mit Bewusstsein und Überblick über die Verhältnisse sich in der Sünde eingerichtet und sich dabei mit der nötigen Heuchelei versehen hat, um den Schein des Guten zu bewahren. Das Sprichwort sagt: „sündigen ist menschlich, aber in der Sünde beharren ist teuflisch,“ und doch ist dies, wovon wir reden, noch fürchterlicher, mit Bewusstsein sich schlau in der Sünde einrichten, oder wenn nicht ganz mit Bewusstsein, so doch mit dem Bewusstsein, dass man in der Seele eine Unklarheit über das bewahrt, worüber man aus guten Gründen keine Klarheit wünscht. Dass ein Unterschied ist zwischen Sünde und Sünde, das weiß Jeder; aber es ist ein Unterschied, auf welchen man vielleicht nicht immer hinlänglich aufmerksam ist: zwischen der Sünde, welche die Welt für abscheulich ansieht, und der, welche die Welt für das Gute ansieht, oder für welche sie doch mildernde und beschönigende Namen hat. Die letzte Sünde ist offenbar die schlimmste; denn es ist unmöglich, dass die Sünde, welche die Welt für Sünde ansieht, die schlimmste sein kann - dann müsste ja die Welt selbst gut sein. Alle Sünde ist vom Bösen, aber die Sünde, für welche die Welt den mildernden Namen in Bereitschaft hat, die ist in noch strengerem Sinn, die ist zum zweiten Mal von dem Bösen, sie hat ja Anhalt und Wiederhalt in der Bosheit, welche die Sünde der Welt ist. Es ist deshalb in Gottes Augen keine Sünde so abscheulich wie die Sünde der Klugheit, grade weil diese den Beifall der Welt hat. Oder um bei dem angeführten Beispiel zu bleiben, was ist es, wenn die Welt aufrichtig sein sollte, was ist es eigentlich, das sie bei einem solchen Unglückseligen verdammt, der im entscheidenden Augenblick den Glauben verleugnet, was ist es eigentlich Anderes als grade dies, dass er unklug genug war, sich so weit hinauszuwagen, dass seine Verleugnung auf eine so entscheidende Weise offenkundig werden konnte. Was sie verurteilt ist also das Erste, der Beginn, aber der Beginn war grade gut; der, der nicht so beginnt, er kommt auch niemals zu dem Herrlichen, im peinvollen Tod seiner Überzeugung treu zu bleiben. Die Sünde der Klugheit ist, so zu sündigen, dass man geschickt der Strafe zu entgehen weiß, ja sich geschickt den Schein des Guten zu geben weiß. Die Sünde der Klugheit ist geschickt, jeder Entscheidung zu entgehen, und dadurch die Auszeichnung zu gewinnen, niemals verleugnet zu haben: dies sieht die Welt für etwas Außerordentliches an. Denn die Welt hasst wahrlich nicht das Böse, dagegen verabscheut und hasst sie das Unkluge, das heißt, sie liebt das Böse. „Sieh wir haben alles verlassen und sind Dir nachgefolgt“ und wir, was wird uns?

„Sieh wir haben alles verlassen und sind Dir nachgefolgt.“ Der Apostel Petrus ist kein Jüngling, der beim Beginn des Lebens so schwärmerisch davon redet, alles zu verlassen. Er wusste selbst recht gut, was er dabei verstand, und wir wissen, wie wahr es war, als er es sagte, wie wahr es durch sein späteres Leben wurde, wie wahr es ist, dass die Apostel Alles verlassen hatten.

Er verließ seine gewohnte Beschäftigung, ein stilles bürgerliches Leben, das mit bescheidenem Auskommen zufrieden, in Sicherheit hinging; er verließ das beruhigende Vertrauen zu dem Wahrscheinlichen, in welchem der Mensch am öftesten sein Leben hat, unversucht in Anderem, als was so meist zu geschehen pflegt: er verließ das Gewisse und wählte das Ungewisse. Denn Christus, um dessen Nachfolge er Alles verließ, war kein vermögender Mann, der seinen Jüngern jährlich etwas Gewisses hätte geben, oder ihnen eine feste Stellung und ein Lebensbrot hätte sichern können Er, der Ärmste von Allen, er der in Bezug auf sein eigen Leben nur Eins sicher hatte: dass Er sollte geopfert werden. Aber so wie ihn Christus rief, verließ er all dies, wie Mat. 4,20 geschrieben steht. Dies war ein hochherziger Entschluss, und wir dürfen uns Petrus, einen Menschen wie wir, nicht anders denken, als dass vielleicht auch einen Augenblick das Niedere in ihm zur Stelle war mit Bedenklichkeiten und Bekümmerungen; denn so ist das wahre Große nicht, es ist nicht ohne Bekümmerungen und Bedenklichkeiten, sondern es ist grade was es ist dadurch, dass es diese überwindet. Er fasste inzwischen den Entschluss, all dies zu verlassen. Aber die Schwierigkeiten sind für den Hochherzigen allzeit doppelt; zuerst die, in sich selbst über das Niedrige und Irdische zu siegen. Wenn dies getan ist, dann kommt die nächste Schwierigkeit, dass die Zeitgenossen zu jeder Zeit das Hochherzige so einfältig und töricht finden. Denn dass einer ein Leben wählt, womit er manche Vorteile gewinnt (was keineswegs hochherzig ist), das bewundert die Welt; aber dass einer alle Vorteile aufgibt, sogar den, von der Welt geehrt zu sein (was grade das Hochherzige ist), das findet die Welt so lächerlich. Petrus verließ also das Gewisse und wählte das Ungewisse, Christi Jünger zu sein, dessen Jünger, der selbst nicht hatte, wohin er sein Haupt lege. Petrus wählte das Ungewisse, und doch nein, er wählte nicht das Ungewisse. Der, an welchen er sich knüpfte, war kein Abenteurer, dem beide Möglichkeiten gleich offen gelegen hätten, die Möglichkeit etwas Großes in der Welt zu werden, und die Möglichkeit alles zu verlieren. Christus ließ die Jünger nicht ungewiss darüber, was sie und Ihn erwarte - der gewisse Untergang. Petrus wählte also den gewissen Untergang.

Er verließ Verwandtschaft und Freunde und Genossen, die Begriffe und Vorstellungen, in denen sein Umgangskreis sein Leben gehabt hatte, er wurde ihnen fremder als einer, der in fremder Sprache redet. Denn das ist eine noch höhere, eine unendlichere Verschiedenheit als die Sprachverschiedenheit, wenn der Eine von Zweien nur an das Himmlische denkt und davon redet, von Gottes Reich und seiner Gerechtigkeit, der Andere nur von Auskommen und Lebensbrot und Frau und Kindern, und was es Neues in der Stadt gibt und wie man es zu etwas in der Welt bringt. Er verließ dies alles, ob auch Verwandte und Freunde es beim Beginn in ihrer Sprache sonderbar und überspannt fanden, und deshalb sich in Gegner verwandelten, die ihn verspotteten, und später, da sie sahen, wie gefahrvoll sein Leben wurde, waren sie eifrig zu sagen: es ist seine eigene Schuld.

Er verließ den Glauben seiner Väter, so dass er Vater und Mutter hassen musste. Denn dies ist ja der Sinn von Christi Wort: dass wer nicht Vater und Mutter um Seinetwillen hasst, Seiner nicht wert ist - und Petrus war ihm wert. Wenn ein Religionsunterschied, also ein ewig entscheidender Unterschied zwischen Vater und Sohn ist, und der Sohn lebendig, von ganzem Herzen, aus allen Kräften, mit ganzer Seele glaubt, dass nur in dieser Religion die Seligkeit ist, so hasst er ja den Vater, das heißt, er liebt etwas Anderes so hoch, dass seine Liebe zum Vater wie Hass ist. Wenn einer rechtmäßig einen heiligen Anspruch, den ersten Anspruch auf Deine Liebe hat, da einen Andern lieben, selbst wenn dies gegen jenen Ersten nur gleichgültig macht, das ist ja wie ihn hassen, grade weil er Anspruch auf Deine Liebe hat. Aber etwas so hoch lieben, dass man glaubt, darin allein seine Rettung zu finden und Seligkeit, ohne dies Verlorenheit wenn dann der Vater, an den Du durch das innerlichste Band der Liebe geknüpft bist, nicht dasselbe glaubt, wenn also der Gläubige, je innerlicher er selbst sich liebend an das Einzige hält, worin Seligkeit ist, genötigt wird (o Schrecken, so Hand an seinen Vater zu legen), genötigt wird anzunehmen, es über sein Herz bringen muss (o Schrecken, gleichsam dem Vater die Bedürfnisse des Lebens versagen können!) anzunehmen, dass der Vater also verloren ist: das ist ja den Vater hassen. Ist das nicht einen andern Menschen hassen, dass man ihn verloren glaubt - ist es dies weniger, wie unbegreiflich schwer es einem auch fällt! Also das heißt den Vater hassen, oder richtiger, das ist den Vater hassen und doch ihn lieben! O, Abscheulichkeit ohne Gleichen, den Geliebten zu hassen, so dass die Liebe zu Hass wird; O, schwerstes, qualvollstes aller Seelenleiden, den Geliebten hassen und doch ihn lieben. Alles für ihn tun wollen, das Leben für ihn opfern wollen - aber gebunden zu sein, gebunden ja oder genagelt, gekreuzigt zu sein an die Bedingung, welche nicht in der eigenen Macht steht, an die Bedingung, welche die Seligkeit an eine Weise knüpft, dass auf andre Weise nicht Seligkeit ist, dass die Wahl also sein müsste, entweder die eigene Seligkeit aufgeben, um mit dem Geliebten unselig zu werden, oder selbst glauben zur Seligkeit - ach, und so hassend den Geliebten aufzugeben!

Er verließ der Väter Glauben, damit das Volk, dem er zugehörte, das Vaterland, dessen Liebe mit den stärksten Banden bindet. Denn er gehörte nun nicht mehr einem Volk, er gehörte nur dem Herrn Jesus. Gläubig musste er verstehen, dass dieses auserwählte Volk Gottes, welchem er durch die Geburt angehörte, verstoßen war, dass kein auserwähltes Volk mehr da war; er musste gläubig verstehen, dass was wohl auch einmal sein stolzester Gedanke gewesen war, Gottes auserwähltem Volk anzugehören, dass dieser Gedanke von nun an Verhärtung und Verlorenheit in Jedem war, der weiterhin diesen Gedanken festhielt.

So verließ der Apostel alles, brach mit allem, was einen Menschen an die Erde bindet, und mit allem, was an die Erde fesselt. Er verließ in Liebe zu Christus, oder in Hass der Welt verließ er alles, seine Lebensstellung, sein Brot, Verwandte, Freunde, die menschliche Sprache, die Liebe zu Vater und Mutter, zum Vaterland, den Glauben der Väter, er verließ den Gott, dem er bisher gedient hatte. Er verließ es anders als der, der durch das Weltmeer vom Vaterland geschieden ist; innerlicher als der Mann, der Vater und Mutter verlässt, um an seinem Weib festzuhalten; heftiger als die Frau, die ihr väterliches Haus verlässt - er wendete sich auch nicht, um rückwärts zu sehen, noch weniger verlangte er Zeit, um die Toten zu begraben. Er verließ das alles - ja, und auf die entscheidendste Weise, denn er blieb auf der Stelle, von all dem umgeben, was er verließ: die täglichen Beschwerden seines Lebens bezeugten nachdrücklich, dass er es verließ. Er blieb unter denen, die er verließ: dass diese ihn hassten und verfolgten war der Ausdruck dafür, dass er sie verließ. Er reiste ja nicht fort von dem Allen, nein er blieb um zu bezeugen, dass er es verlassen hatte, er setzte sich allen Folgen aus, welche wiederum das Zeugnis waren, dass er alles verlassen hatte.

„Sieh, wir haben Alles verlassen und sind Dir nachgefolgt, was wird uns dafür?“ Der Apostel hatte Alles verlassen - und es war im strengsten Sinn, wie gezeigt wurde, Ernst damit, dass er Alles verlassen hatte, es war nicht mit ihm wie mit uns, die wir ohne das Mindeste im Äußeren zu verändern, versichern, wir seien willig alles zu verlassen, wenn es von uns verlangt würde. Nun fragt der Apostel: „was wird uns dafür?“ und ich frage oder besser, Du fragst Dich, mein Zuhörer (denn so ist es beides, das wichtigste und das dienlichste), Du fragst Dich: was wird uns?

O, es ist doch nichts so trugvoll und hinterlistig wie des Menschen Herz, erfindsam im Suchen von Ausflüchten und im Finden von Entschuldigungen; und es ist wohl nichts so schwierig und so selten wie wahre Aufrichtigkeit vor Gott. Wahrlich, wir sollen uns wohl hüten, hier eine Strafpredigt zu halten, besonders uns davor hüten, Andern gegenüber der sein zu wollen, der Gottes Guthaben einzufordern hätte. Denn wohl wahr, Gott kann von jedem Menschen Aufrichtigkeit fordern - also von „mir“, aber darin liegt ja doch keineswegs, dass ich sollte aufgefordert sein, sie im Namen Gottes von Andern zu fordern. Wenn ich vorgäbe einen solchen Auftrag zu haben, so verschuldete ich selbst eine Unaufrichtigkeit gegen Gott. Nein auf diese Weise wollen wir nicht erschrecken. Aber das Erschreckende, die Unaufrichtigkeit gegen Gott, hat eine andere Seite. Es ist doch für jeden Menschen, mag alle andre Hilfe für ihn bereit liegen oder brechen, nur eine Hilfe im Himmel und auf Erden, die, dass Gott ihm hilft. Aber wie sollte Gott einem Menschen helfen können, wenn er nicht aufrichtig gegen Gott ist? Man meint vielleicht oft, Gott sei langsam zu helfen, oder die unendlich mannigfach verwickelten Verhältnisse in der Weltregierung bewirkten, dass einem die Hilfe so langsam zu Gute komme. O, weit entfernt, Gott ist schnell zu helfen, schneller als der Gedanke, und für Gott gibt es keine Verwicklung. Aber der Mensch ist unaufrichtig gegen Gott im Begehren der Hilfe, und in jedem Fall sehr langsam dazu, aufrichtig zu werden.

Wenn ein Mensch versichert, dass er willig sei, Alles um Christi willen zu verlassen, wenn es von ihm verlangt würde, ja, wer dürfte sagen, dass es unwahr wäre. Aber sieh, in jenen Zeiten, da es wirklich Ernst wurde, dass man Alles verlassen sollte, damals fanden sich nicht so Viele, die willig waren, und die Wenigen, die sich fanden, fanden die sich nicht grade unter den Armen und Geringen? Aber nun, nun es da nicht so leicht wirklich Ernst damit wird, dass man buchstäblich alles verlassen soll, nun sind wir Alle willig - wenn es verlangt würde. Lass uns nicht uns selbst betrügen und nicht Gott betrügen. Es geht ja doch nicht an, so hoch von sich selbst zu denken: im Besitz von allem bleiben und dann obendrein vermeintlich ein solcher Mann sein. Fordert Gott nicht von uns, dass wir alles verlassen sollen, so fordert er ja doch Aufrichtigkeit von uns.

Weit entfernt ungeduldig und hitzig Jemanden anzutreiben, ungeduldig und hitzig sich im Verlassen aller Dinge zu versuchen, was Gott vielleicht nicht fordert, nicht von ihm fordert, wollen wir dagegen die Aufrichtigkeit anpreisen, welche Gott von Allen fordert; aber es ist doch zu töricht, das zu einer Redensart zu machen, oder in Form einer Redensart das von uns allen auszusagen, was, wenn es wirklich Ernst wird, nur von Einem unter Tausenden und abermals Tausenden vollbracht wird. Vielleicht fordert es Gott nicht von ihm, das will sagen, es ist von Jedem gefordert, aber es ist nicht unbedingt von jedem gefordert, d. h. es ist der Freiheit überlassen. Der, der gläubig und also demütig es tut, handelt christlich; wer demütig sich selbst darin versteht, dass er es nicht tut, demütig gering von sich denkt, handelt auch christlich. Vielleicht fordert es Gott nicht, das will sagen, vielleicht fordert es Gott nicht so von uns, die wir in der Christenheit leben. Und das Freiwillige, freiwillig alles verlassen, ist in jedem Fall nur dann das Christliche, wenn es, wie gezeigt wurde, geschieht, um Christo nachzufolgen, also in Übereinstimmung mit Gottes Forderung ist; und dies Freiwillige ist in der Christenheit nur da anzupreisen, wenn es vor Gott sich selbst in dem wesentlichen Unterschied versteht, dass die Apostel und die ersten Christen von Juden und Heiden, das ist von Nicht-Christen umgeben taten, was sie taten. Für den, der in der Christenheit lebt: Eins soll er in jedem Fall nicht verlassen, was die Apostel verließen: den Glauben der Väter; und eine eigene Schwierigkeit ist und bleibt es doch, verfolgt, hingerichtet zu werden, nicht von Juden, nicht von Heiden, sondern von Christen um des Christentums willen.

Es war eine Zeit in der Christenheit, wo man meinen konnte, man könne so Buße tun, dass man wirklich Alles verließe, hinaus in die Einsamkeit der Wüste flüchtete, oder strebte, im Gewimmel der Städte verfolgt zu werden. Es gibt eine andere Weise, Buße zu tun, die, dass man recht aufrichtig gegen Gott ist. Ich weiß nicht, und wenn ich anders wüsste, hoffe ich zu Gott, dass ich auch wagen würde anders zu reden, ich weiß nicht, dass da irgendwo unbedingt von dem Menschen in der Christenheit gefordert würde, dass er, um Christ zu sein und um selig zu werden, in buchstäblichem Sinn alles verlassen soll, oder wohl gar sein Leben opfern, um des Christentums willen hingerichtet werden soll. Aber das weiß ich, dass sich Gott mit einem unaufrichtigen Menschen nicht einlassen kann. Es ist daher nach meinen Begriffen ein Thema zu einer Bußpredigt, das wir gewählt haben, diese Worte von Petrus: „Sieh, wir haben Alles verlassen und sind Dir nachgefolgt, was wird uns dafür?“ es ist das Thema, wenn Du in Anlass davon Dich selbst fragst: was wird uns? Kein Mensch wird doch selig außer aus Gnade, auch der Apostel wurde doch nur zu Gnaden angenommen. Aber es gibt eine Sünde, welche die Gnade unmöglich macht, das ist die Unaufrichtigkeit, und es gibt Eines, was Gott unbedingt fordern muss, das ist Aufrichtigkeit. Hält dagegen ein Mensch Gott in Unaufrichtigkeit hin, so kann ein solcher Mensch weder zum Verständnis kommen, ob Gott von ihm fordern sollte, dass er in strengerem Sinn Alles verließe, noch kann er sich selbst verstehen im demütigen Eingeständnis, dass er zwar nicht im buchstäblichen Sinn alles verlässt, aber doch sich der Gnade Gottes tröstet.

O, denn wie verschieden es auch, menschlich verstanden, ist, wenn der Apostel sagt: „Sieh, wir haben Alles verlassen und sind Dir nachgefolgt, was wird uns dafür?“ und wenn ein Mensch, der demütig bekennt, dass er nicht so versucht wurde, aufrichtig vor Gott eingesteht, dass er sich das nicht zutrauen darf, sagt: was wird uns - durch Gottes Gnade bekommen doch Beide ein und dasselbe.

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