Hofacker, Wilhelm - Am Gründonnerstag. (Zweite Predigt.)

Hofacker, Wilhelm - Am Gründonnerstag. (Zweite Predigt.)

Text: Leidensgeschichte.

Da verließen ihn alle Jünger und flohen. Und es war ein Jüngling, der folgte ihm nach, der war mit Leinwand bekleidet auf der bloßen Haut, und die Jünglinge griffen ihn. Er aber ließ die Leinwand fahren und floh bloß von ihnen. (Matth. 26,55.56. Mark. 14,48-52. Luk. 22,52.53.)

Die Schar aber und der Oberhauptmann und die Diener der Juden nahmen Jesum und banden ihn. Und führten ihn aufs erste zu Hannas, der war Kaiphas Schwäher, welcher des Jahrs Hoherpriester war. Es war aber Kaiphas, der den Juden riet, es wäre gut, dass ein Mensch würde umgebracht für das Volk. Und Hannas sandte ihn gebunden zu dem Hohenpriester Kaiphas, dahin zusammengekommen waren alle Hohenpriester und Ältesten und Schriftgelehrten. Simon Petrus aber folgte Jesu nach und ein anderer Jünger. Derselbige Jünger war dem Hohenpriester bekannt, und ging mit Jesu hinein in des Hohenpriesters Palast. Petrus aber stund draußen vor der Türe. Da ging der andere Jünger, der dem Hohenpriester bekannt war, hinaus, und redete mit der Türhüterin, und führte Petrum hinein. Und er ging, hinein und setzte sich bei den Knechten, auf dass er sähe, wo es hinaus wollte. Da sprach die Magd, die Türhüterin, zu Petro: bist du nicht auch dieses Menschen Jünger einer? Er aber leugnete und sprach: ich bin es nicht, ich kenne ihn nicht: weiß auch nicht, was du sagest! Und er ging hinaus in den Vorhof, und der Hahn krähte. Es stunden aber die Knechte und Diener, und hatten ein Kohlfeuer gemacht mitten im Palast, denn es war kalt, und wärmeten sich. Petrus aber stund bei ihnen und wärmete sich. (Joh. 18.12-14. 24,15-18. Matth. 26,57.58.69.70. Mark. 14,53.54.68. Luk. 22,54-56.)

Aber der Hohepriester fragte Jesum um seine Jünger und um seine Lehre. Jesus antwortete ihm: ich habe frei öffentlich geredet vor der Welt. Ich habe allezeit gelehrt in der Schule und in dem Tempel, da alle Juden zusammen kommen, und habe nichts im Verborgenen geredet. Was fraget du mich darum? Frage die darum, die gehört haben, was ich zu ihnen geredet habe: siehe, dieselbigen wissen, was ich gesagt habe. Als er aber solches redete, gab der Diener einer, die dabei stunden, Jesu einen Backenstreich, und sprach: sollst du dem Hohenpriester also antworten? Jesus antwortete: habe ich übel geredet, so beweise es, dass es böse sei; habe ich aber recht geredet, was schlägest du mich? (Joh. 18,19-23.)

Erhebe meinen Geist zum Himmel,
Und zieh ihn ganz von dieser Welt;
Gib, dass mir in dem Weltgetümmel
Die Ewigkeit sei vorgestellt!

So flehen wir in jenem bekannten heiligen Kirchenlied, das mit erschütternden Trauerschlägen die Totenglocke über uns läutet und uns zur wachsamen Sterbensbereitschaft erwecken, und die alleinige probehaltige Sterbenstüchtigkeit uns näher legen will. Ein Haupterfordernis zu dieser aber ist, wie wir alle wissen, und wie auch hier eingeschärft wird, dass unser Geist jetzt schon zum Himmel erhoben und von dieser Welt aufwärts gezogen werden soll. Denn wenn im Sterben unser Geist aufwärts steigen, wenn er den Eingang erlangen soll zu den Toren der ewigen Gottesstadt, so darf ihm die Straße dorthin während dieses Lebens nicht ungebahnt und unbekannt bleiben. Wir müssen diese Reise, so lange wir hienieden wallen, oftmals hin und her machen; die von hier aus himmelwärts gesendeten Gebete und Seufzer, die von der Tiefe zur Höhe gerichteten Züge der Sehnsucht und des Verlangens, - müssen die treuen Wegweiser sein, dass wir nicht verirren, sondern an der treuen Hand Jesu Christi geführt werden zum Ruheport der Seelen in die ewige Friedensstadt. Denn es bleibt dabei, das sicherste Geleite zum Himmel ist ein verborgener Wandel im Himmel in unsern jetzigen Lebensstunden, und der beste Reisepass zum Eingang in das ewige Reich ist das himmlische Bürgerdiplom, das der Herr denen bereits hienieden ausstellt, die seine Liebe, sein Leben, und eine stille Himmels-Sehnsucht in ihrem Herzen tragen. Aber wie oft fehlt nicht diese Himmels-Sehnsucht! Wie oft will die Liebe erkalten, und der himmlische Wandel erlahmen! es treten Fälle ein, welche das verborgene Himmelsheimweh in uns erliegen machen. Und deswegen haben wir allemal hinzuzusetzen: Gib, dass mir in dem Weltgetümmel die Ewigkeit sei vorgestellt! Ja, das Weltgetümmel, der große Markt des Lebens, die Sorgen und die Wollust, die Reichtümer der Erde, das Treiben und Jagen, das Rennen und Laufen und das bunte Gewühl der Welt - das macht gar zu oft, dass der Geist zu keiner Ruhe, das Herz zu keinem stillen Nachdenken, das Gemüt zu keiner friedsamen Einkehr kommt, und der arme Mensch statt aufwärts abwärts, statt himmelwärts höllenwärts gezogen wird, und sich so, weil er sich von dem Weltgeist bezaubern lässt, selbst enterbt von den ewigen Gnadengütern und seinen Antheil verliert am himmlischen Kleinod. Nur Eins kann ihn bewahren, wenn in dem Weltgetümmel ihm die Ewigkeit bleibt vorgestellt. Ja, die Ewigkeit muss der Kompass sein, den wir fort und fort auf unsrem Lebensschiffe zu beobachten haben, die Ewigkeit muss der Polarstern sein, auf den zu wir unsere Segel vom Winde des Geistes Gottes schwellen lassen, die Ewigkeit muss der Friedenshafen bleiben, den wir unter den Stürmen dieser Zeit zu gewinnen trachten. Und so wollen wir denn unsern heutigen Passionsabschnitt dazu benutzen um aus demselben:

Einige heilsame Ratschläge für diejenigen zu entnehmen, denen es Ernst ist mit der Bitte: „Gib, dass mir in dem Weltgetümmel die Ewigkeit sei vorgestellt.“

Gott! ewiger unveränderlicher Gott! wir sind Staub und Asche, Du aber hast in uns einen unsterblichen Geist gepflanzt, der reifen soll für eine unendliche Herrlichkeit. Ach! gib doch, dass wir im Gewühle der Welt uns durch deinen Geist heiligen und züchtigen, und Ihn in uns wirken lassen; gib, dass uns mitten im Weltgetümmel die Ewigkeit sei vorgestellt, damit wir uns durch nichts aufhalten lassen, nicht rasten und ruhen, bis wir an Deiner Hand das selige Ziel errungen haben. Sei auch in dieser Stunde an unsern Seelen geschäftig, und erweise Dich kräftig und lebendig an uns um Deines Namens willen. Amen.

I.

Gleich der Anfang unseres heutigen Passionsabschnitts stellt uns mitten ins Weltgetümmel hinein, er versetzt uns an den Eingang des Gartens Gethsemane, wo ein großes Gewirre und Gewimmel und Getümmel von Menschen ist; da sind Hauptleute und Soldaten, Schergen und Häscher, Knechte und Diener, und von diesen umzingelt und umringt unter sie hineingestreut: Jesus und seine Apostel. Alles ist in bunter und wilder Unordnung untereinander, und es geht nicht friedlich zu unter diesem gemischten Haufen. Da sind zu Boden gestürzte und wieder auftaumelnde Feinde, da sind gezückte Schwerter, ausgestreckte Speere und Stangen, - ja selbst Blut fließt, denn des Hohepriesters Knecht wird am Haupt verletzt, und es ist ein Tumult und ein Gedränge, das durch die Dunkelheit der Nacht und durch den trüglichen Lampen- und Fackelschein unheimlich vergrößert wird. Aber der Knäuel entwirrt sich, der Herr spricht: „Suchet ihr mich, so lasset diese gehen.“ Sie legen die Hände an Jesum, und nun fliehen die Jünger in die schaurige Nacht hinein, hinweg von diesem Schauplatz des Schreckens und des Entsetzens. Nur ein Jüngling, der mit einer weißen Leinwand bekleidet, und eben dadurch auch in der Dunkelheit der Nacht kenntlich und sichtbar war, folgte dem räuberischen Zuge, der seinen geliebten Meister und Herrn in rohem Frohlocken von dannen führt, nach; denn er konnte sich nicht so bald von der Person des Meisters trennen, er wollte sehen, wo es hinaus wollte. Aber siehe da! Dies erregte die Aufmerksamkeit derer, die Christum gefangen davon führten, und in der Meinung, er könne Böses im Schilde führen wie Petrus, der mit dem Schwert darein geschlagen hatte, kehrten sie um, und suchten auch ihn zu ergreifen und zu haschen. Aber er entwand sich ihnen, ließ das Gewand in ihren Händen und ergriff die Flucht. So sehr nun auch dies Betragen das Gepräge der Furchtsamkeit und, Feigheit an sich tragen mag, war dennoch diese Flucht ganz dem Sinne Christi gemäß, der es zu wiederholtenmalen den Jüngern vorausgesetzt hatte, dass keiner mit ihm gehen könne, sondern Er allein den Kampf durchkämpfen müsse. Und so war es denn auch hier zugleich Folgsamkeit in den Willen des Herrn, dass dieser Jüngling dem Getümmel der Welt sich entzog, und einer Gefahr auswich, in die sich zu stürzen, es ihm an Beruf und Mut gemangelt und gefehlt hat.

Was wollen wir aus dieser Handlungsweise lernen? Meine Lieben! hier können wir einen heilsamen Rat für diejenigen entnehmen, denen ist mit der Bitte Ernst ist: Gib, dass mir in dem Weltgetümmel die Ewigkeit sei vorgestellt. Er lautet also:

Fliehe das Weltgetümmel, wenn Du keinen Beruf hast1) dich in dasselbe einzumischen.

Zwar soll den Christen, wenn ihn der Herr auch in das bunteste Gewimmel der Welt hineinführt, nicht Furcht und Verzagtheit übermannen, er soll nicht erschrocken zurück beben, denn unverzagt und ohne Grauen soll ein Christ, wo er ist, stets sich lassen schauen. Er hat ja Den an der Seite, der gesprochen hat: Seid getrost, ich habe die Welt überwunden. Aber auf der anderen Seite ist es auch heilige Pflicht des Christen, sich nicht mutwillig und unvorsichtig einer Gefahr auszusetzen, wodurch er Schaden an seiner Seele und an seinem ewigen Heil nehmen kann. Denn es bleibt dabei: Fliehe das Weltgetümmel, wenn du keinen Beruf dazu hast.

Es gibt weltliche Erholungsplätze, wo es wirklich manchmal zu einem Getümmel kommt, erhitzende Getränke, Würfel und Karten und dergleichen Dinge, machen, dass es zum Wortwechsel kommt, zum Streit, von diesem zum Hader, zum Zank, zu Händel, endlich gar zum Getümmel und zu blutigen Köpfen. Wer hat es dich denn geheißen, auf solchen Plätzen deine Erholung zu suchen, und in solche Kameradschaften und Gelage dich einzulassen, wo man den Frieden des Gewissens verletzt, den Frieden des Hauses aufs Spiel setzt, ja Seele und Seligkeit einbüßt? Fleuch vor dem Weltgetümmel und dem Gelage der Welt! Es gibt weltliche Vergnügungsorte, wo ein Getümmel und Gewimmel der Menschen, wie auf einem Jahrmarkt ist; da sieht man die Welt in Parade, was Putzsucht und Eitelkeit, Genusssucht und Vergnügungssucht, ihren armseligen Kram ausbreitend, aufzubieten vermag, das sieht man hier in bunter Mischung durch einander wogen, und wenn du nun dein Auge mit einem unreinen weltlichen Bild erfüllst, wenn deine Phantasie mit sinnlichen Begierden erhitzt, und dein Geist aus der sonntäglichen, ja sogar festtäglichen Stimmung heraus in das fade und nutzlose Getreibe der Welt versetzt wird, und du so Schaden nimmst an deiner unsterblichen Seele, die du ja doch nur einmal verlieren kannst; wer hat dich dann beauftragt, solchen Gefahren dich bloß zu stellen, und deine Brust solchen Pfeilen des Bösewichts darzubieten?

Fleuch und errette deine Seele.

Es gibt andere weltliche Gesellschaften, wo nichts weniger als äußerliches Getümmel ist, wo alles zwar ordentlich, fein, zierlich, höflich und gebildet zugeht, wo aber desto größer das innere Getümmel ist, das Getümmel der unreifen und unzeitigen Urteile, die gefällt werden, das Getümmel der Klatschereien, die auf die Bahn gebracht werden, das Getümmel der faden Witzeleien, die hier ihre Rolle spielen, und der Verunglimpfungen, indem man andere durch eine grobe oder feine Hechel zieht, und du gehst dann mit einem leeren, öden, unbefriedigten Herzen von dannen, das dich schilt statt lobt, das dich richtet statt segnet. Wer hat dich denn geheißen, deine Zeit auf eine so nutzlose Weise zu vergeuden, und dein Leben zuzubringen wie ein Geschwätz? Lerne Bedenken, dass du sterben musst, und davon musst, auf dass du klug wirst. Ja, es wäre wohl der Mühe wert, dass wir, wie jener Jüngling, der sich nicht fangen noch haschen ließ, gerade einmal alle die Faden, Bande und Stricke, die uns in das Weltgetümmel hineinziehen und daran anjochen wollen, durchrissen und durchbrächen zu einer entschiedenen Freiheit, zu der uns Christus berufen hat. Ihr seid teuer erkauft, darum werdet nicht der Menschen Knechte, und heiligt Gott an eurem Leib und an eurem Geist, welche sind Gottes. Muss man auch gleich etwas in den Händen der Welt zurücklassen, das Gewand ihrer Gunst und ihrer Liebe, den Mantel des Ansehens und der Ehre bei den Menschen, lass doch fahren dahin, sie habens kein Gewinn, das Reich muss uns doch bleiben. Besser ists, man verliert solche Dinge, als dass man sich durch die Welt das Kleinod des Friedens rauben lässt, den Leibrock der Gerechtigkeit Christi, mit dem du allein vor Gott am Tage des Gerichts bestehen kannst. Der Heiland sagt ja selber: wer verlässt Vater oder Mutter, oder Weib;. oder Kinder, oder Acker um meines Namens willen, der wird es hundertfältig wieder erhalten. Alle Verluste können dir wieder ersetzt werden, aber wenn du an deiner unsterblichen Seele Schaden leidest, dieser Verlust ist unersetzlich. Darum gilt noch bis auf den heutigen Tag für Alle, die ihre Seele erretten, und ihr himmlisches Erbteil nicht verscherzen wollen, der heilsame Rat:

Fleuch vor dem Welt-Getümmel, wenn du keinen Beruf hast, dich in dasselbe einzumischen.

II.

Einen zweiten Rat können wir auf dem zweiten Schauplatz entnehmen, auf den unser heutiger Passions-Abschnitt uns stellt. Es ist dies der Hof des Hohepriesters Kaiphas.

Auch hier ist ein buntes und unruhvolles Getümmel und Gewimmel von Menschen. Hier sind die Soldaten, die frohlockend über die gelungene Verhaftung, welche sie vorzunehmen hatten, ihrer vollbrachten Heldentat sich freuten, und über die Ereignisse, die dieses nächtliche Abenteuer begleiteten, sich unterhielten; hier waren die Diener und Knechte der Hohepriester, die Befehle einzuholen und auszurichten hatten, die in stürmischer Eile und in augendienerischem Amts-Eifer bald dahin bald dorthin liefen, um die Glieder des hohen Rats in der dunklen Mitternachts-Stunde zu ungewohnter Rats-Versammlung zusammenzuberufen; da waren auch die Mägde des Hauses, die von nächtlichem Lärmen herbeigelockt waren, denn es gab etwas ungewohntes zu sehen, zu hören und gar viel zu schwatzen; kurz, die nächtliche Stille, die sonst hier herrschte, hatte einen bunten und unruhigen Getümmel Platz gemacht. Und siehe nun! unter diese unheimlichen Gruppen trat nun der unvorsichtige Petrus hinein.

Scheu und verlegen hält er sich anfangs im Hintergrund auf, verschüchtert und furchtsam durch die vorhergegangenen Auftritte; dann aber, um allen Verdacht abzuwenden, nähert er sich ganz unbefangen dem Kohlenfeuer, das in der Mitte des Hofes flackerte, und um so nicht entdeckt zu werden, seht er sich mitten unter jenes Gesinde hinein. Ach! hier möchte man fragen: wie hat sich doch dieser Jünger in diese Gesellschaft hinein verirrt? hat er den Schritt, den er getan, auch gehörig überlegt? hat er wohl auch zuvor sein Gemüt im Gebet gesammelt? Hat er wohl in brünstigem Flehen die Waffe der guten Ritterschaft, Wachsamkeit, Nüchternheit, umgürtet, um am bösen Tage Widerstand zu tun und das Feld behaupten zu können? hat er sich auch, ehe er auf das Glatteis des Hof-Raumes sich begab, mit dem nötigen Stab versehen, der ihn allein aufrecht erhalten konnte - mit dem Stab eines in Gott gesammelten, in seiner Gnade wurzelnden Glaubens? Der Erfolg war, dass nichts von dem Allem der Fall war; unberufen, ungesammelt, unbewaffnet trat er in den Hof-Raum ein, und wohin das führen musste, zeigte der Ausgang.

Meine Lieben! soll Petrus umsonst diese Straße gewandelt sein? wollen wir nicht an seinem Schaden klug werden? Wollen wir nicht aus seiner Handlungsweise den Ratschlag entnehmen: waffne dich im Geiste durch Gebet und Wachsamkeit, wenn du in das Getümmel der Welt einzutreten im Begriff bist.

Es ist eine Erfahrung, die wir häufig zu machen Gelegenheit haben: nicht immer können wir dem Gewühle des Lebens, und seinen bunten, manchmal zerstreuenden Anforderungen uns entziehen. Schon unser natürlicher Beruf stellt uns zuweilen in den Markt des Lebens hinein, auf welchem wir mit den verschiedensten Menschen verkehren und umgehen müssen. Ja, auch unsere Stellung in unserer Familie legt uns Rücksichten und Verbindlichkeiten auf, von welchen wir ohne Verlegung heiliger und teurer Pflichten uns nicht losmachen können. Es gibt Veranlassungen, wo wir aus dem kleinen Kreis unseres Hauses heraus, auf etliche Stunden in erweiterte und gemischte hineintreten müssen; wir dürfen nicht, um dem Getümmel zu entgehen, wie die Einsiedler des dritten und vierten Jahrhunderts in die Wüste hinauseilen, um da uns Hütten zu bauen, und dort unser Leben zu beschließen. Aber wehe uns, wenn wir bei sonstigen Veranlassungen, zu welchen Pflicht und Beruf uns führt mit leichtsinnigem ungesammelten, mit ungewaffnetem Herzen gleichsam aus unseren gewöhnlichen Verschanzungen heraustreten, wehe uns, wenn wir da nicht vor allen Dingen den Harnisch Gottes anziehen, damit wir auslöschen können alle feurige Pfeile des Bösewichts, den Panzer des Glaubens, das Schwert des Geistes, den Helm der Nüchternheit und Wachsamkeit. Wie bald ist es geschehen, dass die Heiterkeit der Unterhaltung in Leichtsinn, und der Leichtsinn in Ausgelassenheit übergeht, wie bald ist es geschehen, dass der listige Feind unseres Herzens, der gewöhnlich im Ernst des Lebens und des Berufs sich versteckt und verkriecht, durch die Lockstimmen Anderer aus seinem Schlupf-Winkel hervortritt, und in unbewachten Augenblicken seine Herrschaft geltend macht, wie bald ist es geschehen, dass in unserem Gesellschafts-Leben die Unterhaltung eine solche Wendung nimmt, wo alsbaldiges Abbrechen oder ein kräftiges Zeugnis nötig ist! Wo gelangt man aber hin, wenn man schon zum Voraus sorglos die Waffe des Glaubens ablegt, und sich, (ich kann mich nicht besser ausdrücken), in ein geistliches Negligé;, in ein leichtes, lockeres Hauskleid geworfen hat? wo gelangt man hin, wenn man sein schwankendes Boot dem Strom und dem Fahr-Wind überlässt, wohin dieser es nun auch treiben mag? Dahin, dass man endlich Schiffbruch leidet, und die Woge der Gefahr auf allen Seiten hineindringt, und uns vielleicht gar, wie einen Petrus, zu verschlingen droht.

Von einem großen Kirchenlehrer unseres Vaterlandes, dessen Andenken unter uns im Segen ist und dessen Geist in der Gemeinde Christi durch viele Schriften fortlebt, (von dem seligen Bengel), weiß uns die Geschichte zu erzählen, dass er zwar den weltlichen Gelegenheits-Festen, wozu sein Beruf ihn geführt, sich nicht entzogen, aber dazu ein solch volles Maß des Geistes, der Salbung und des Ernstes mitgenommen habe, dass diejenigen, die ihn anschauten das Wort: „Ewigkeit“ mit heiliger Scheu gleichsam in desselben Zügen gelesen haben. War dieses Gottes-Siegel wohl von sich selbst an seine Stirn geflogen? oder hat er diese Miene einer menschlichen Berufs-Wissenschaft abgelernt? Nein! es war göttliches Gepräge, von innen stammend, und durch Gebet und Flehen angeeignet, dieweil er sich zu solchen Gängen gerichtet und gewappnet hat mit der Kraft des Gottes, der mitten in dem Weltgetümmel die Einfältigen behütet, und das Siegel ihrer ewigen Erwählung an die Stirne drückt. Und darum gilt auch uns der zweite Rat:

Waffne dich im Geist mit Gebet und Wachsamkeit, wenn du in das Getümmel der Welt einzutreten im Begriff bist.

III.

Jedoch noch auf einen dritten Schauplatz stellt uns unser heutiger Passions-Abschnitt, nämlich in den Ratssaal selbst hinein; wohin Jesus nun gebracht worden war.

Auch hier finden wir ein wildes und unruhvolles Getümmel. Hier war der Hohepriester Kaiphas, der voll Arglist und voll Mord-Plänen die Pfeile der Bosheit schmiedet, die er nun auf den Heiligen in Israel abdrücken will, hier sind die Mitglieder des hohen Rats, die in stürmischer Eile trotz der ungewohnten Mitternachts-Stunde zusammenberufen worden sind, hier sind die falschen Zeugen, die heimlich aufgestellt wurden, um die Beschuldigung der Gottes-Lästerung auf Ihn zu bringen, hier waren die Knechte, die den gefesselten Meister hielten. Und auch hier in diesem bunten Haufen ging es feindlich zu, wie der Backenstreich bewies, welchen der Diener Jesu in schändlicher Augendienerei und Vermessenheit gab; auch hier glühten stechende Blicke, die Ihn zu durchbohren drohten; endlich brachte der affektierte Gesetzeseifer des Kaiphas, der seinen hohepriesterlichen Talar zerriss von oben an bis unten aus, stürmische Szenen hervor, indem nun alle, wie auf ein gegebenes Zeichen, in die verdammenden Worte ausbrachen: Er ist des Todes schuldig, wir haben alle seine Gottes-Lästerung gehört. So auch hier ein buntes und unruhvolles Welt-Getümmel.

Aber, wo bleibt denn der HErr selber? Wie steht Er denn da in dem stürmischen brausenden Meer satanischer Leidenschaften? - Ruhig, unbeweglich, wie ein Fels, klar und besonnen. Durch alle tumultuarische Auftritte, die auf Ihn einstürmten, sehen wir Ihn mit derselbigen Fassung und festen Haltung hindurchschreiten; - kein Missgriff, keine Leidenschaftlichkeit, kein Unmut, keine Verzagtheit kommt hier zum Vorschein, Er war kein Anderer geworden in dieser Umgebung, als Er es gewesen war unter den Seinigen; wie Er gestanden war unter dem Volk lehrend und segnend, so stand Er unter den Obersten des Volkes zeugend und duldend; Friede, Ruhe, Sanftmut und Ernst, war auch jetzt noch der Gurt seiner Lenden. Und woher kam dies? Weil Er seinen Blick stets nach oben richtete zu seinem Vater, Er blieb immer Ein und Ebenderselbe; während Er hier in dem hohen Ratssaal in der tiefsten Verachtung dastand, sprach Er mit seinem Vater in seinem Innern unaussprechliche Worte, und blieb unverrückt in kindlichem Umgang mit Ihm. Von Ihm können wir deswegen den dritten Rat abnehmen, der uns durch diese Welt begleiten soll: Bewahre in dem Getümmel der Welt den stillen Blick nach oben und eine feste Haltung nach außen.

Es ist nur zu gewöhnlich, dass die Außenwelt uns den Stempel unserer jedesmaligen Stimmung und Handlungsweise aufdrückt, und wir durch die Eindrücke, die sich uns aufdringen, auch unsern Willen und unser Betragen bestimmt werden lassen. Daher kommt es denn, dass das Lob der Welt uns meistens aufgeblasen und hochmütig, ihr Tadel und ihre Feindschaft zornig und erbost macht, dass ihre Gunst uns eigenliebig und verwöhnt, ihre Geringschätzung trotzig und verzagt macht, dass unser Inneres wie ein Schilf-Rohr von jeglichem Wind der Außenwelt hin und her geworfen wird. Ach! wie zieht in der einen Waagschale das Urteil der Welt so schwer, während wir oft das Urteil Gottes leichten Kaufs dahin geben möchten. Ach! wie schlägt der missbilligende Blick der Welt uns nieder, und ihr Beifall, wie besticht er das so leicht verführbare Herz; und warum das Alles? Weil es fehlt an dem stillen klaren Blick nach oben; weil es daran fehlt, dass uns in dem Welt-Getümmel nicht die Ewigkeit vorgestellt ist. Wenn dies der Fall wäre, wenn wir dahin gingen, hienieden die Hand am Pflug, das Herz aber dort oben, wie klein würde uns dann die Welt erscheinen, wie gering ihr Urteil, wie schal ihr Lob, wie unbedeutend ihre Wort-Kriege, wie erbärmlich ihr ganzes Getreibe, und nur der eine Wunsch würde unsre Seelen beleben, unser Angesicht stracks zu richten nach Jerusalem, und im Zeitlichen das Ewige, im Irdischen das Himmlische zu ergreifen, und so zum Ziel der Herrlichkeit hindurchzuschreiten.

So ist Jesus auch hindurchgeschritten, und so sollen auch wir an seiner Hand hindurchschreiten. Denn das, was Er gelebt und erstritten hat, hat Er nicht für sich gelebt und erstritten, sondern für uns, für die Er zum Opfer sich dargestellt hat. So möge denn der Segen seines heiligen, unbefleckten Wandels durch diese Welt auch uns zu Gute kommen, der Balsam von seinem hohenpriesterlichen Haupte träufle segnend auf uns herab, denn auch uns gilt der ewige Gottesspruch: Alles, was aus Gott geboren ist überwindet die Welt, und unser Glaube ist der Sieg, der die Welt überwunden hat (1 Joh. 5,4.).

Amen.

1)
wenn Du nicht berufen bist
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