Hofacker, Wilhelm - Am Feste der Erscheinung Christi - Zweite Predigt.

Hofacker, Wilhelm - Am Feste der Erscheinung Christi - Zweite Predigt.

Text: Jes. 60, 1-6.
**Mache dich auf, werde Licht; denn dein Licht kommt, und die Herrlichkeit des HErrn gehet auf über dir. Denn siehe, Finsterniß bedeckt das Erdreich, und Dunkel die Völker; aber über dir gehet auf der HErr, und seine Herrlichkeit erscheinet über dir. Und die Heiden werden in deinem Lichte wandeln, und die Könige im Glanz, der über dir aufgehet. Hebe deine Augen auf, und siehe umher: diese alle versammelt kommen zu dir. Deine Söhne werden von ferne kommen, und deine Töchter zur Seite erzogen werden. Dann wirft du deine Lust sehen und ausbrechen, und dein Herz wird sich wundern und ausbreiten, wenn sich die Menge am Meer zu dir bekehret, und die Macht der Heiden zu dir kommt. Denn die Menge der Kameele wird dich bedecken, die Läufer aus Midian und Epha. Sie werden aus Saba alle kommen, Gold und Weihrauch bringen, und des HErrn Lob verkündigen.

Wer da weiß, was er an seiner Bibel hat, der weiß auch, daß zu den kostbarsten Kleinodien der Bibel die theuren und großen Verheißungen Gottes gehören, die den Gläubigen sowohl im Alten- als im Neuen Testament gegeben sind, und auf deren festem und unverbrüchlichem Fundamente der Kinder Gottes Muth und Zuversicht, Friede und Freude, Trost' und Kraft allein gegründet ist in guten und bösen Tagen, in Krankheit und Gesundheit, im Leben und im Sterben. Unter diesen Verheißungen aber versteht man nicht nur diejenigen göttlichen Zusagen, die sich auf das Jenseits, auf das ewige Leben und unfern Antheil an dem unbefleckten, unverwelklichen und unvergänglichen Erbe beziehen, das aufbehalten wird im Himmel, sondern auch diejenigen, die sich auf das Diesseits, - auf die kurze Spanne unsers Pilgerns und Wallens nach der himmlischen Heimath und auf alle die leichteren und schwereren Stande beziehen, die uns auf dem Pfade unserer Pilgrimschaft treffen können. Wenn z. B., um aus der Masse ein Paar zu nehmen, der Heiland seinen Schafen die Versicherung gibt: sie hören meine Stimme, und ich kenne sie und sie folgen mir, und ich gebe ihnen das ewige Leben, und sie werden nimmermehr umkommen, und Niemand wird sie mir aus meiner Hand reißen (Joh. 10, 27. 28); wenn der Prophet die Angefochtenen tröstet (Jes. 49, 15): ob auch ein Weib ihres Kindleins vergösse, /o will ich doch Dein nicht vergessen; wenn David im 37. Psalm den unschuldig Verkannten und Unterdrückten Muth einspricht: er wird deine Gerechtigkeit hervorbringen wie das Licht, und dein Recht wie den Mittag; wenn er im nämlichen Psalm für die vom Mangel und von der Armuth Bedrängten die Erfahrung hinzufügt: ich bin jung gewesen und alt worden, und habe noch nie gesehen den Gerechten verlassen, oder seinen Samen nach Brod gehen; wenn der Apostel (Phil. 1, 6) die Schwachen im Glauben ermuthigt: der in euch angefangen hat das gute Werk, der wird's auch vollführen, er wird euch vollbereiten, stärken, kräftigen und gründen und euch stellen vor das Angesicht seiner Herrlichkeit unsträflich mit Freuden: - so sind das Alles göttlich verbriefte und versiegelte Zusagen, die wir nicht als falsche Assignaten, sondern als ebenso viele vollwichtige Kreditbriefe anzusehen haben, ausgestellt auf die Macht und Treue unseres Gottes, der sein Wort beständig hält, und der durch sie unsern Glauben stärken, unsre Sorgen verscheuchen, Furcht und Zagen ferne von uns treiben und die dunklen Nächte unsrer Anfechtung morgenröthlich lichten will. Wie der-Himmel über unsern Häuptern ohne Sterne nichts Anderes wäre, denn ein dumpfer Sargdeckel, wie er aber durch die Sterne für das ahnende und forschende Auge das göttlich erleuchtete Gewölbe eines herrlichen Domes ist, dessen Riesenschrift unser Herz mit wonnesamen Ahnungen und Hoffnungen erfüllt, so wäre unser irdisches Glaubensleben ohne Gottes Verheißungen nur ein dumpfer, schwerer, licht- und hoffnungsloser Todestraum, durch sie aber wird unser Leben erst licht und hell und selig in Hoffnung, ja eine Vorhalle des himmlischen Tempels, zu dem wir auf den Stufen so großer und theurer Verheißungen in getrostem und zuversichtlichem Glauben emporsteigen dürfen. - Eine besondere und zwar nicht die unbedeutendste Geltung und Art unter den Verheißungen Gottes bilden nun die Verheißungen an die Kirche Christi im Großen und Ganzen. Zu diesem gehört auch unser heutiger verheißungsreicher Text. Was der Prophet sagt, geht ursprünglich nicht einen einzelnen Christen oder eine einzelne Zeit oder einen einzelnen Stand an, sondern im Allgemeinen das Zion Gottes, die Gemeinde des HErrn, die Braut Christi, deren Grundstock die Gläubigen aus Israel bilden, zu der aber auch aus den Heiden hinzugefügt werden die Schößlinge vom wilden Oelbaum, die am zahmen auch Früchte bringen sollen. Diese Gemeinde allein ist die Auserkorene, an welche das bedeutsame „Du“ im Text gerichtet ist, wenn der Prophet anhebt: mache dich auf und werde Licht, denn dein Licht kommt und die Herrlichkeit des HErrn geht auf über dir. Wie unscheinbar sah es mit der Erfüllung dieser Verheißungen für das geistliche Zion in der Welt aus, als der Prophet 700 Jahre vor Christus getrieben vom h. Geist sie schrieb: wie ganz anders sieht es jetzt schon aus, da wir diese Weissagung theilweise schon in preiswürdige Erfüllung gegangen sehen, also daß wir gestützt auf den seitherigen Erfolg getrost darauf harren können, bis sie zur vollständigen Wahrheit geworden sein wird. Deßwegen wollen wir zur Stärkung unsres Glaubens diesen großen Verheißungen länger nachgehen und betrachten die großen und theuren Verheißungen, die Gott seinem neutestamentlichen Zion gegeben hat.

I.

1) Unter den Verheißungen, die hier gegeben und die bereits erfüllt sind, betrifft die erste die hohe Auszeichnung, welche Zion zu Theil werden soll, daß ihm nämlich das Licht der Gnade und Wahrheit, die in Jesu Christo ist, in wunderbarem Glanze aufgehen, und die Herrlichkeit des HErrn ihm scheinen solle. „Siehe. Finsterniß bedeckt das Erdreich und Dunkel die Völker, ruft der Prophet aus, aber über dir gehet auf der HErr und seine Herrlichkeit erscheint über dir.“

Schon oft hat die Welt den Gläubigen zum Vorwurf gemacht, daß sie einem starren rücksichtslosen Exklusivismus oder Ausschließungstrieb huldigen, und neben dem Evangelium eben schlechterdings gar nichts zu seinem Recht, zu irgend einer Anerkennung kommen lassen; was nicht steif evangelisch, steif biblisch sei, das finde, auch wenn es, menschlich betrachtet, noch so schöne Seiten darbiete, keine Gnade vor ihrem Angesicht. Es ist klar, daß es sich mit dem Evangelium nicht vertragen würde, wenn, was auf menschlichem Boden keusch, lieblich, wohllautend, eine Tugend, ein Lob ist, verringert oder verdunkelt würde. Jener Vorwurf ist aber in gewissem Sinn begründet, und zwar zum Vortheil der Gläubigen. Auch ist er nicht neu, sondern schon in den ersten Jahrhunderten christlicher Zeitrechnung von den Gegnern des Christenthums auf vielfache Weise wiederholt worden. Ja der HErr selbst und die Apostel können nicht von ihm freigesprochen werden, sofern sie doch eben alle Höhen menschlicher Weisheit, alle menschliche Gerechtigkeit, alle menschliche Tugend, alle menschliche Kraft neben der einen Weisheit, Gerechtigkeit, Kraft und Tugend, die vor Gott gilt, zu nichte machen; und wenn-Christus und die Apostel zu unserer Zeit leben würden, so würde sicherlich derselbe Vorwurf oft genug gegen sie erhoben werden. Christus redet ja nur von einem Weg des Lebens; ganz exklusiv hat er gesprochen: ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben, Niemand kommt zum Vater, denn durch mich! Das ist wahrer Exklusivismus oder Ausschließungstrieb, biblisch begründet! Eine Bestätigung finden wir auch in unsrer Abendlektion 700 Jahre vor Christus. Vor Jesajas prophetischem Geistesblick war das ganze Erdreich ausgebreitet, Völker und Nationen sah er aus den verschiedenen Länder- und Weltgebieten in bunter Mischung hingelagert, und er hatte auch so viele Kenntniß von den Zuständen andrer Nationen, daß er ihre Vorzüge wohl schätzte. Er sah hochgebildete, durch menschliche Kunst und Weisheit und Wissenschaft und Kenntnisse aller Art ausgezeichnete Völker unter ihnen. Da lag vor ihm das sinnende Aegypten, von dessen Weisheit man bei allen Völkern der alten Welt sprach; der Geist der Weissagung zeigte ihm das gebildete Volk der Griechen, deren Dichter, Redner und Künstler noch heute die Lehrer der klassischen Studien sind; im Hintergrund lag das staatskluge, mächtige Rom, das durch seine Sprache und seine Rechtsbegriffe eine geistige Herrschaft bis auf unsre Tage herab ausgeübt hat: - und trotz' all dem ruft der Prophet aus: „siehe, Finsterniß bedecket das Erdreich und Dunkel die Völker; aber über dir gehet auf der HErr, und seine Herrlichkeit erscheinet über dir.“ Welch' ein gewaltiger Exklusivismus! Das arme Israel, das menschlich die Sache betrachtet, sich mit all jenen Völkern auf keinem Gebiet des Lebens auch nur einigermaßen messen konnte, das ein Spielball der Völker war, als Auskehricht der Welt behandelt wurde, und das zu unbedeutend war, um irgend einmal auf dem großen Welttheater eine Rolle zu spielen: das arme, verachtete Israel trägt dennoch nach dem Urtheil des Propheten die Palme davon unter den andern Völkern, welche Finsterniß bedeckt! denn der HErr gehet auf über ihm und die Herrlichkeit scheint über ihm. Werden wir den Propheten tadeln können? Nein! denn das steht jedem Christen fest, daß weder dem Einzelnen noch einem Volk im Großen auch bei der schönsten Ausbildung aller Seiten und Kräfte des irdischen Lebens wahres Heil und dauernder Segen erblühen kann ohne den, der das alleinige Licht und Leben der Welt ist, der Lehrer, der aller wahren Weisheit, der Priester, der aller wahren Gerechtigkeit, der König, der alles wahren Friedens unerschöpflichen Quell in sich selber trägt. Mögen Künste und Wissenschaften blühen, mögen Heere und Flotten einen Sieg um den andern erfechten: all dieser Glanz ist vergänglich, denn das Leben, die wahre Blüthe des Volkes kommt nur, wenn Christus eine Gestalt gewinnt, und wo aus solcher Wurzel alle menschlichen Verhältnisse sich gestalten nach dem Gesetz dessen, durch den wir geschaffen sind. Darum bleibt der Ruhm jedes Christen: mir und meinem Volk ist Christus aufgegangen, das wahrhaftige Licht! Darum freue sich im HErrn allewege, wer zum Zion Gottes gehört:

Ihr Freund kam ja vom Himmel prächtig,
Von Gnaden stark, von Wahrheit mächtig,
Ihr Licht brach an, ihr Stern ging auf!

2) Eine zweite Verheißung, die bereits in erfreuliche Erfüllung gegangen ist, ist die Aussicht, daß Zion eine reich gesegnete, fruchtbare Mutter vieler ebenbürtigen Kinder sein werde, die sie dem HErrn in Zion darzubringen berufen ist. Wie es heißt, daß Gott einst in einer sternhellen Nacht den kinderlosen Abraham aus seiner Hütte treten ließ unter das funkelnde Himmelsgewölbe und zu ihm sprach: „siehe gen Himmel und zähle die Sterne, kannst du sie zählen? also soll dein Same werden:“ so heißt der Prophet in unsrem heutigen Text Zion auch auf eine Höhe treten und spricht zu ihm: „hebe deine Augen auf und siehe umher: diese Alle versammelt kommen zu dir, deine Söhne werden von ferne kommen und deine Töchter dir zur Seite erzogen werden.“ Was heißt das Anders, als: Du Zion sollst eine reichgesegnete, fruchtbare Mutter vieler gläubiger und geheiligter Gotteskinder werden, wenn sie auch aus ferner Gottentfremdung herumgeholt und mit vielen Schmerzen geboren werden müssen; dein Same wird den Himmel bevölkern und deine Nachkommenschaft das Reich und die Herrlichkeit erben. Und wer will leugnen, daß das neutestamentliche Zion diesem seinem Beruf nachgekommen ist vom ersten Pfingsten an, wo aus seinem Schooß auf einmal dreitausend Kinder zur Welt geboren wurden, bis auf diesen Tag? Die Zahl der wahren Gläubigen ist den Ungläubigen gegenüber Nein, und Christus selbst sagt, Wenige finden den schmalen Weg; und dennoch wird, wie der Prophet des Neuen Bundes sagt, einst am Tage der Garben eine große Schaar vor Gottes Throne stehen mit weißen Kleidern angethan, die Niemand zählen kann, und die Niemand anders zur Mutter haben, als, wie Paulus sagt, das Jerusalem, das droben ist, die Freie, die unser aller Mutter ist. O eine herrliche und preiswürdige Mutter! Ist's ja doch ihre Aufgabe, die durch das Wort der Wahrheit gezeugten und durch das Wasserbad im Wort gereinigten Kinder zu stillen und zu nähren, zu segnen und zu pflegen, zu bilden und zu erziehen, sie den Vater und Jesum Christum seinen Sohn kennen zu lehren, sie reden und beten, hören und lesen, Sitte und Zucht zu lehren, und sie aus den Jahren der Kindheit und Unerfahrenheit heraus zu vollkommener Einsicht und Kraft, ja zum Mannesalter in Christo emporzubilden, damit sie die Lasten der Zionsbürger selber tragen und die Kriege des Reiches Gottes selber führen können.

Die äußere Kirche hat leider ihren heiligen Mutterberuf oft und lang aus den Augen gesetzt, ja M äußere Kirche ist da und dort, wie man nicht leugnen kann, zu einer eigentlichen Rabenmutter herabgesunken; denn sie hat oft gegen ihre besten Kinder gewüthet mit Feuer und Schwert, und nach der Reformationszeit hat die evangelische Kirche es sich zu Schulden kommen lassen, statt Lebensbrodes in Lied, Gebet und Wort den Stein herzloser Gesänge und Gebete und Moralpredigten ihren Kindern zu bieten; und doch das wahre innere Zion, die eigentliche Kirche des HErrn, ist nie weder ausgestorben noch gealtert, auch in den dunkelsten und dürftigsten Zeiten sind aus dem Schooß dieses Zions dem HErrn Kinder geboren worden wie der Thau aus der Morgenröthe, und auch jetzt noch besitzt es, wie neben allen traurigen Zeiterscheinungen aus unwiderleglichen Thatsachen dennoch siegreich hervorgeht, immer noch die Kraft, selbst die todtesten Glieder des Leibes Christi zu wecken und zu beleben, selbst die verirrtesten Schafe seiner Heerde wieder zu bringen und einen Sieg der Muttertreue und der Muttergeduld nach dem andern davonzutragen. Der HErr hat Zion heimgesucht, und überall sieht man die Flamme eines neuen Geistes aufsteigen: So freue dich denn, wenn du zu diesem Zion gehörst und aus dem Geist geboren bist! Ihr aber, die ihr noch ferne steht, wisset: ihr sollt aus der Ferne geholt werden; o so lasse doch kein einziger den Zug des Vaters zum Sohn, im heiligen Geist und die Arbeit der Mutter durch Wort und Sacramente an seiner Seele vergeblich und verloren sein. Sträube sich doch kein einziger, wenn diese Mutter ihn bei der Hand nehmen und herzuführen und dem vor das Angesicht stellen will, der heute noch spricht: bringe sie alle her zu mir, daß Ich sie segne; wen aber Ich, der HErr, segne, der ist gesegnet immer und ewiglich.

3) Eine dritte bereits erfüllte Verheißung betrifft die großartige Hoffnung, die gesteckt ist, daß ganze Völker, Könige an ihrer Spitze, dem geistigen Einfluß Zions sich unterwerfen und Zions Könige huldigen werden. „Und die Heiden werden in deinem Lichte wandeln, und die Könige im Glanz, der über dir aufgeht.“ Als Jesajas dieß schrieb, sah es nicht aus, als ob diese Verheißung-einmal sich erfüllen könnte, ja selbst als Christus der HErr der Herrlichkeit im Fleische erschienen war und in Niedrigkeit und Knechtsgestalt umherwandelte, wer hätte damals unerleuchtet daran denken können, daß dieser arme Jesus von Nazareth der angebetete König der Heiden werden sollte? Welche Widersinnigkeit gegen die natürliche Vernunft! Und doch ist es geschehen! ein Wunder, dem man nicht widersprechen kann. Von Zion ist das Gesetz ausgegangen und des HErrn Wort von Jerusalem! Der Prophet hat keine Nebelgebilde seiner dichtenden Phantasie, er hat Thatsachen und Erfolge im Geiste geschaut, die durch den unaufhaltsamen Gang der Weltgeschichte sich verwirklicht haben. Nachdem durch den Tod Christi der Zaun abgebrochen worden war, der Juden und Heiden geschieden hatte, begannen, je tiefer Israel in's Gericht der Verstockung fiel, um so zahlreicher die Heiden in's Reich Gottes einzugehen, und das stolze und übermüthige Rom, das das helllodernde Geistesfeuer, das Christus entzündet, mit Strömen von Blut zu ersticken sich bemühte, und tausende und aber tausende der edelsten Christenherzen hingeschlachtet hatte, dieses stolze, übermüthige, weltherrschende Rom, wo ist's am Ende geblieben? In der Person seines Kaisers Constantinus beugte es sich vor dem immer heller strahlenden Kreuze, und in seine Tempel und Paläste zog das siegesgewisse Evangelium ein. Das ist vom HErrn geschehen, ein Wunder vor unsern Augen! Ja alle jene wilden Völker und Könige, die wie vom Sturmwind getrieben in der Völkerwanderung über Europa sich hinausgossen, um in die erstorbenen Adern der abendländischen Menschheit neues gesundes Blut einzuströmen, die Ostgothen und die Westgothen, die Langobarden und die Franken, die Angeln und Normannen, auf sie alle läßt sich das große Wort anwenden: Heiden werden in deinem Licht wandeln und Könige in dem Glanz, der über dir aufgeht. Und ist es nicht bis auf den heutigen Tag das Christenthum allein, was die europäischen Völker stark und mächtig, gesittet und gebildet, menschlich und gerecht und eben dadurch tüchtig macht, den Scepter der Herrschaft nach Morgen und Abend, nach Mittag und Mitternacht auszurecken und sein Gewicht in die Wagschaale der Völker und Weltgeschicke zu legen? Wir staunen, wir beten an, die Weissagungen Gottes sind Ja und Amen in Christo; die Weissagung, die der HErr vor 2500 Jahren seinem Knecht Jesaias in den Mund gelegt hat, ist in eine Erfüllung gegangen, die alle Berechnung der Klugen und Weisen dieser Welt zu Schanden macht, ja selbst das gesteigertste Bitten und Verstehen aller seiner Knechte weit hinter sich zurück läßt, also daß wir frohlocken müssen:

Gott ist kein Mensch, Er kann nicht lügen,
Sein Wort der Wahrheit kann nicht trügen,
Gott ist getreu.

II.

Sehet, an diesen drei schon erfüllten Verheißungen 700 Jahre vor Christus kann man sehen, daß Gottes Wort wahr ist: was Er zusagt, hält Er gewiß! Aber es wäre ein ungeheurer Irrthum, wenn wir meinten, die ganze Verheißung unsrer Abendlektion sei schon erfüllt. O nein, es ist noch ein Rest zurück; beinahe konnte man meinen, der Rest sei größer, als der bereits erfüllte Theil. Aber wenn der HErr das Unwahrscheinlichste wahr gemacht hat, so werden wir auch nicht straucheln dürfen, wenn noch Manches zurück ist, und wenn der Prophet Manches vorausgesagt hat, dem uns erst der Geist der Geduld entgegenbringt.

1) Die erste noch nicht erfüllte Verheißung betrifft Völker, die noch nicht zum Evangelium herzugeführt sind: „sie werden aus Midian und Epha, sie werden aus Saba Alle kommen.“ Das sind arabische Völker, die nur zum kleinsten Theil dem Evangelium sich zugewendet und zu Christi Kreuz sich bekehrt haben. In den ersten fünf Jahrhunderten hatte nur an den äußersten Grenzen Arabiens das Wort vom Kreuz sich der Aufnahme erfreut; im sechsten und siebenten Jahrhundert wurden diese Völker vom falschen Propheten geangelt, und sind 1200 Jahre hindurch die erklärtesten und erbittertsten Feinde des Christennamens gewesen, haben die schönsten Länderstriche erobert, das Christenthum ausgerottet. Diese türkischen, muhamedanischen Völker sind aufgeführt als solche, die kommen werden und Christi Lob verkündigen. Unter allen Missionsgebieten versprechen die unter Türken und Muhamedanern am wenigsten, und es ist in Gottes Rath verborgen, mit welchen Mitteln noch diese eisernen Riegel gesprengt werden müssen, wer kann's glauben, daß die Stunde einmal schlage? Aber es muß geschehen! Denn auch hier gilt:

Gott ist kein Mensch, Er kann nicht lügen,
Sein Wort der Wahrheit kann nicht trügen,
Gott ist getreu!

2) Die zweite noch nicht erfüllte Verheißung betrifft die großartige Völkerbewegung, von der Jesajas sagt: „Die Macht der Heiden kommt zu Dir, denn die Menge der Kameele wird Dich bedecken.“ Bisher hat das missionirende Zion den Heiden das Evangelium gebracht, wie noch heute die Missionare zu ihnen gehen, hier aber sagt der Prophet, sie werden kommen aus allen Enden, sie werden nach Zion kommen; denn Gott werde in diese Länder einen Hunger senden nach dem Brod des Lebens, und wie einst Alles in der Hungersnoth nach Aegypten zog, so werde Alles nach Zion ziehen nach der wahren Speise zum ewigen Leben. Freilich man muß vorerst zufrieden sein, daß in unsern Tagen unter den Heiden dieser Hunger noch nicht ist, daß sie noch nicht kommen. Denn was würden sie finden? würden sie an der alten Christenheit sich erbauen, aufrichten, fördern? nein gerade das Gegentheil, Aergernisse aller Art würden sie finden; sie würden sagen: wir sind heidnische Heiden, aber wir sehen hier christliche Heiden! O das ist eine große Demüthigung für uns! Ach wann wird die Zeit kommen, daß die Christenheit eine Stadt auf dem Berge ist, ein Licht in dem HErrn!

3) Die dritte noch nicht erfüllte Verheißung bezieht sich darauf, daß das unsichtbare Zion einmal sichtbar und zum Centralort, zum Sammelplatz werde, wohin in jener Zeit die Heiden sich wenden. Wo wird Zion blühen und grünen? Wird's etwa Rom sein, das sich geberdet als die Stadt auf den sieben Hügeln? Gewiß nicht! Oder wird's London sein, das weltherrschende, das seine Flotten überall hinsendet?

Gewiß nicht! oder Herrenhut, oder Basel, oder Berlin? Nein! „Es wird zur letzten Zeit der Berg, da des HErrn Haus ist, gewiß sein höher denn alle Berge, und über alle Hügel erhaben werden; und werden alle Heiden dazu laufen“ (Jes. 2, 2). Jerusalem, das zertretene, muß wieder aufgebaut werden! Auch das muß noch erfüllt werden. Ja Canaan wird noch ein Schauplatz der Herrlichkeit Gottes werden, Jerusalem wird den HErrn sehen in seiner Herrlichkeit: dort wird der Centralort des tausendjährigen Reiches sein, dort wo die größte That Gottes geschehen ist, dort wo man Christum in seiner tiefsten Schmach gesehen, dort wo man die Kirche des HErrn zertreten und zerfleischt hat. Und Israel wird zusammengebracht aus allen vier Enden der Welt, wird sehen, in wen es gestochen hat, Israel wird wiederhergestellt, zum Volk des HErrn feierlich wiederhergestellt werden! Dann wird sich erfüllen: „Sie werden Gold und Weihrauch bringen, und des HErrn Lob verkündigen.“ Gold, Weihrauch und Myrrhen haben die Weisen dem Heiland gebracht: so ist jeder Einzelne berufen, das, was ihm gegeben ist, darzubringen Dem, dessen Lob wir verkündigen sollen mit Thun und Lassen. O große, herrliche Zeit, wenn der HErr in Zion erscheint, und in aller Welt nur der Name Jesu Christi, unsers HErrn, ist!

Es kann nicht Ruhe werden,
Bis seine Liebe siegt,
Bis dieser Kreis der Erden
Zu seinen Füßen liegt;
Bis Er im neuen Leben
Die ausgesöhnte Welt,
Dem, der sie ihm gegeben,
Vor's Angesicht gestellt.

Amen.

Cookies helfen bei der Bereitstellung von Inhalten. Diese Website verwendet Cookies. Mit der Nutzung der Website erklären Sie sich damit einverstanden, dass Cookies auf Ihrem Computer gespeichert werden. Außerdem bestätigen Sie, dass Sie unsere Datenschutzerklärung gelesen und verstanden haben. Wenn Sie nicht einverstanden sind, verlassen Sie die Website.Weitere Information
autoren/h/hofacker_w/hofacker_w_epiphanias_2.txt · Zuletzt geändert: von 127.0.0.1
Public Domain Falls nicht anders bezeichnet, ist der Inhalt dieses Wikis unter der folgenden Lizenz veröffentlicht: Public Domain