Hofacker, Wilhelm - Am ersten Sonntage des Advents - Zweite Predigt.

Hofacker, Wilhelm - Am ersten Sonntage des Advents - Zweite Predigt.

Text: Röm. 14, 17-19.

Denn das Reich Gottes ist nicht Essen und Trinken, sondern Gerechtigkeit, und Friede und Freude in dem Heiligen Geist. Wer darinnen Christo dienet, der ist Gott gefällig, und den Menschen werth. Darum lasset uns dem nachstreben, das zum Frieden dienet, und was zur Besserung unter einander dienet.

Der Schall der Adventsglocken ist heute zu unseren Ohren gedrungen, um ein neues Kirchenjahr über unseren Häuptern einzuläuten; die Hallen unserer Gotteshäuser haben sich aufgethan, um uns auf's Neue in ihre heiligen Räume aufzunehmen; der Altar des HErrn hat sich abermals mit den gnadenreichen Pfändern der Liebe Christi gedeckt; und das Predigtamt durfte seine heilige Zinne besteigen, um die Gemeinde des HErrn zu grüßen mit dem Gruß des Friedens, und die Einladung zum großen Abendmahl im Namen des lebendigen Gottes aufs Neue zu beginnen. Billig sollte unser Herz voll Dankes und voll Freude seyn nicht nur darüber, daß das Licht des Evangeliums uns bisher so freundlich bestrahlte, nicht nur darüber, daß der HErr sein Wort vielfach an unseren Herzen bekräftigt hat, als eine Gotteskraft, die da selig macht Alle, die daran glauben, nicht nur darüber, daß wir bisher so manchen erquickenden und kräftigen Zug thun durften aus dem Becher der göttlichen Gnade, sondern auch darüber, daß der HErr sich abermals aufgemacht hat, um uns zu segnen mit allerlei geistlichem Segen in himmlischen Gütern, darüber, daß Er auch fernerhin sein Wort reichlich unter uns wohnen lassen will in aller Erkenntniß und Weisheit, darüber, daß Er unsern Glaubensbaum auch ferner bedüngen und umgraben will, daß er noch mehr Frucht bringe und seine Lebenskrone in den Himmel seliger Vollendung emporhebe.

Wenn wir auf das zurückgelegte Kirchenjahr zurückblicken, so kann es nicht fehlen, daß bei besonnener Betrachtung unseres Inneren gar mancherlei Schulden und Versäumnisse sich unserem Auge darstellen. Ja, wir müssen den Stab über uns brechen, wir müssen uns anklagen und verdammen, daß der Reichthum des göttlichen Worts, das so vielfach uns verkündigt wurde, und daß die Fülle der göttlichen Gnade, welche so vielfach über uns ausgegossen wurde, im Grunde doch so wenig an uns wirklich gebessert, erneuert und verklärt hat; und wir müssen schamroth gestehen, daß es nur an Einem gefehlt und gemangelt hat, nämlich an uns selbst, an unserem Eifer, an unserer Treue, an unserem Fleiß in der Heiligung und Furcht Gottes. Aber wenn wir nun so schamroth hinsehen müssen auf eine längere oder kürzere Lebensbahn, auf einen kürzeren oder längeren Glaubenslauf, in welchem wir bei Weitem keine so kräftigen und raschen Schritte gethan haben, als wir selber erwartet haben, - ach, wenn wir so traurig dastehen müssen und nur Eines zu beklagen haben, unsern Wankelmuth und unsere Untreue, siehe! da tritt dann ein Fest wie das heutige wie ein milder Friedensengel daher, um lind und sanft die Thränen der Buße uns aus den Augen zu wischen und es uns durch eine göttliche Erklärung zu verbriefen und versiegeln, daß der HErr sein Werk noch nicht an uns aufzugeben, seine Hand noch nicht von uns abzuziehen, sein Gnadenangesicht noch nicht vor uns zu verbergen gedenkt, sondern auf's Neue uns Frist zur Buße und Erneuerung gönnen und uns mit neuen Zügen des göttlichen Geistes zu der Vollendung und Heiligung helfen will, ohne die Niemand wird den HErrn sehen. Und so dürfen wir denn mit getrostem Muth und neuer Zuversicht in das neue Kirchenjahr hineinsteuern und den Wimpel der Hoffnung aufpflanzen, auf welchem geschrieben steht das große Wort der Verheißung: siehe! ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende (Matth. 28, 20.), und das andere: ich bin dessen in guter Zuversicht, daß der, der in euch angefangen hat das gute Werk, es auch vollführen wird bis auf den Tag Jesu Christi (Phil. 1, 6.).

Und welche Wahrheit soll denn nun gleich beim Beginn des Kirchenjahrs unsere Seele erfüllen, und unser Gemüth zu neuem Glauben, zu neuer Liebe, zu neuer Hoffnung entzünden? Unser heutiges Fest und unser heutiger Text weisen uns nur auf Eine Wahrheit hin, in der aber wie in einem Brennpunkte alle Strahlen der göttlichen Wahrheit und Gnade zusammenlaufen, nämlich auf die Wahrheit, daß es über allem Wechsel und Wandel der menschlichen Dinge ein Reich Gottes gibt, dem anzugehören unser einziges Ziel und heißestes Verlangen, unser höchster Ruhm und unsere höchste Ehre seyn darf. Ja, Jesus Christus, der große König des Himmelreichs selber steht an der Pforte des neuen Kirchenjahrs, um mit uns, seinem Volk und seinen Unterthanen, den Bund der Gnade und des Friedens zu erneuern, und auch für unsere künftige Lebensfahrt als unfern König und Herrn sich anzubieten, - als Den, der da heißt: Wunderbar, Rath, Kraft, Held, Ewigvater, Friedefürst. Darum werden wir wohl sowohl den Sinn unseres heutigen Festes als auch den. Sinn unserer heutigen Epistel treffen, wenn wir unter dem göttlichen Gnadenbeistand uns vorhalten:

Christus, der König des Himmelreichs, und wir das Volk seiner Weide.

Wir richten unsere Aufmerksamkeit

  1. auf den heiligen Grund der Verbindung, in welcher Christus, der König, mit uns, seinem Volke, steht;
  2. auf die theuren Verpflichtungen, welche diese Verbindung seinem Volke auferlegt;
  3. auf die herrlichen Vorrechte und Segnungen, welche diese Verbindung für sein Volk mit sich führt.

Herr Jesu Christe! Du König des Himmelreichs! Du lebest und herrschest und regierst in der Höhe; wir aber sind noch im Staube, im Staube des Todes, von Sünde und Tod umfangen - und doch schämst Du Dich nicht, unser König, unser Friedefürst zu heißen. Ach gib, daß von Deiner heiligen Höhe herab die Strahlen Deiner Herrlichkeit in unsere Herzen fallen, damit sie aufwärts gezogen werden, dahin, wo Du selber bist, daß wir heute auf's Neue den Bund mit Dir erneuern und uns darüber freuen, daß Du der König bist und wir das Volk Deiner Weide. Ja, HErr, Du ewiger König, führe und leite uns als das Volk Deiner Weide, als die Genossen Deines Reichs und Deiner Herrlichkeit. Amen.

I.

Das Reich Gottes ist nicht Essen und Trinken, sondern Gerechtigkeit, Friede und Freude im Heiligen Geist; wer darinnen Christo dienet, der ist Gott gefällig und den Menschen werth - so spricht der Apostel Paulus in unserem heutigen Text. Christum preist er damit unzweideutig als den König des Himmelreichs; und wer Christo dienet, von dem sagt er: er sei ein Gott wohlgefälliger, ein beglückter Unterthan des Himmelreichs. Es ist ein heiliges Band, das Ihn und sein Volk umschlingt, und es ist der Mühe werth, daß wir dem Grund tiefer nachdenken, auf welchem diese Verbindung ruht.

1. Wie die Könige dieser Welt das, was sie sind, durch Gottes Gnade sind, und wie Gottes Gnade das sicherste und unumstößlichste Fundament ihrer Throne ist, so ist Christus das, was Er ist, durch den Willen des allmächtigen Gottes, Er ist von Gott selbst eingesetzt zum König auf dem heiligen Berge, Er ist der legitime, Er ist der rechtmäßige Herr des Himmelreichs. Christus hat es nicht für einen Raub angesehen, Gott gleich zu seyn; auch hat Er die Königskrone, die auf seinem Haupte glänzt, nicht als einen Raub an sich gerissen, sondern der Vater der Herrlichkeit hat Ihn „selber gekrönt mit Preis und Ehre.“ Es ist deßwegen nach der Wahrheit gesprochen, wenn schon im alten Bunde, im Psalmbuch, der Vater zum Sohne spricht: Setze Dich zu meiner Rechten, bis daß ich lege Deine Feinde zum Schemel Deiner Füße! (Psalm 110,1.) und wenn wir im neuen Bunde lesen: In seinem Namen sollen sich beugen aller derer Kniee, die im Himmel und auf Erden und unter der Erde sind und alle Zungen sollen bekennen, daß Er der HErr sei zur Ehre Gottes, des Paters (Phil. 2,10.11.)

Es ist also keine erdichtete Würde, die wir Christo beilegen, wenn wir Ihm die göttliche Würde des Königs im Himmelreich zuerkennen; es ist keine schwärmerische Anmaßung, wenn die Apostel alle Welt zum Gehorsam und zur Unterwürfigkeit gegen ihn aufforderten, es ist keine übertriebene Forderung, wenn man einem Jeden, der noch einen Funken von Gottesfurcht in der Seele hat, zumuthet, er solle dem von Gott selbst ihm gesetzten Könige den Gehorsam nicht verweigern. Ja, es ist nur Auflehnung gegen das göttliche Wort, es ist nur mehr oder minder wissentliche Verwerfung der göttlichen Zeugnisse, nur mehr oder weniger bewußter Trotz gegen die Befehle der göttlichen Majestät, wenn man Christo die Ehre nicht gibt, die Ihm der Vater gegeben hat, und die Ihm, dem Sohne', gebührt, da Er das Recht hat zum ewigen Throne. Aber eben deßwegen muß ein gerechtes Gericht alle diejenigen treffen, die sich seinem Herrscherstabe entziehen, und sein gerades und richtiges Scepter für einen Rohrstab halten, unter dem sie sich gefahr- und straflos hinwegschleichen können. Ich suche nicht meine Ehre, spricht zwar der Herr Christus, aber, setzt er hinzu, es ist Einer, der sie suchet (Joh. 8, 50.). Ja, dieser Eine wird sie suchen, die Ehre Christi, Er wird die Ehre des Sohnes retten auf augenfällige Weise; und wie Er Ihm bezeugnißt hat in den Tagen seines Fleisches durch Stimmen vom Himmel, bei welchen das Volk, das umherstand, nur sagen konnte: es donnert! (Joh. 12, 28. 29.) so wird Er mit der Donnerstimme seines Gerichts und mit den Feuerflammen seiner ewigen Gerechtigkeit es beurkunden: Du bist der Sohn meiner Rechten, und Dir gebührt die Macht und der Thron und das Reich in Ewigkeit.

Christus ist legitimer, gesetzmäßiger König des Himmelreichs. Aber nicht ohne Kampf und Streit hat Er seinen Königsstuhl bestiegen; nicht unthätig und unkräftig hat Er die Würde an sich genommen, die Ihm der Vater gegeben hat; nein, Er hat seine königlichen Rechte beurkundet, Er hat sein Recht an das Volk seiner Weide feierlich bewiesen durch thätige überschwängliche Liebe und Aufopferung. Wie etwa ein Thronerbe, dem schon durch die väterliche Geburt das Thronrecht zusteht, ehe er den Thron besteigt, durch Thaten der Großmuth und Aufopferung heilige Staffeln zu seinem Throne sich baut, wie er etwa in den Krieg zieht, und sich in den Riß stellt und dem Feinde des Vaterlandes in das Angesicht blickt und die Beschwerden und Leiden des Feldzugs übernimmt, und dadurch zum Voraus schon den unzweideutigsten Anspruch sich erwirbt auf seines Volkes Liebe und Anhänglichkeit, so, meine Lieben, ist der Herr der Herrlichkeit in die Schlacht gegen Sünde und Tod gezogen, so ist Er mit Wunden bedeckt und mit Dornen gekrönt zum Thron seiner Herrlichkeit aufgestiegen. Der HErr hat, wie die Schrift sagt, eben dadurch sein Thronrecht erkauft. Ja, noch mehr, Er hat sich selbst sein Volk zum Eigenthum geweiht, und uns erkauft, nicht mit Gold oder Silber, sondern mit seinem theuern, kostbaren Blut, als eines unschuldigen und unbefleckten Lammes, und hat die Verheißung empfangen: Drum will Ich Dir große Menge zur Beute geben und Du sollst die Starken zum Raube haben, darum, daß Du Dein Leben in den Tod gegeben hast und den Uebelthätern gleich gerechnet worden bist und Du Vieler Sünde getragen und für die Uebelthäter gebeten hast.

Christus hat nun dadurch ein heiliges, unverbrüchliches Recht an jede einzelne Seele; denn Er hat gearbeitet und gekämpft um sie; Er hat sie erkauft und erworben, Er hat sie errungen und erstritten. Du bist deßwegen sein Eigenthum, du magst's glauben oder nicht, Er hat Ansprüche an dich, du magst sie anerkennen oder nicht; und wenn auch kein Siegel der göttlichen Wahrheit es zu dir spricht, - die heiligen Nächte, die Christus als ewiger Hoherpriester durchwacht hat, die blutigen Schweißtropfen, die in Gethsemane von seiner Stirne auf die Erde herniederrollten, die Schauer des Todes, die auf Gabbatha und Golgatha durch seine Seele zogen, die heiligen Höhen, die Ihn verscheiden und erblassen sahen, diese sind Zeugnisse genug, daß Er dich erkauft, daß Er ein Recht an dich hat, das kein Engel und kein Teufel Ihm streitig machen, kein Feind der sichtbaren oder unsichtbaren Welt Ihm entreißen kann. - Frohlocke darüber, du bußfertige Seele, und freue dich, daß dein Glaube auf so ewigem, felsenfestem Fundamente ruht, welches auch die Pforten der Hölle nicht zu erschüttern vermögen. Freue dich darüber, daß du an Ihm einen himmlischen, barmherzigen König hast, und daß Er dich zählt zu dem Volk seiner Weide. Und du, der du noch in der Sünde und im Unglauben dahingehst, erzittere! wisse, daß du bisher als ein Dieb und Räuber an Christo gehandelt und Ihm das entzogen hast, was Ihm gehört, nämlich dich selbst, deine Seele, deine Person. Säume nicht länger, deinem König zu geben, was deines Königs ist, nämlich dich selbst, und dich Ihm darzustellen zu einem Opfer, das da lebendig, heilig und Gott wohlgefällig ist. Denn Er ist dein König, dein rechtmäßiger König.

2) Aber Christus ist nicht blos unser und wir sind nicht blos sein dadurch, daß Er dieses Recht an uns erworben hat, nein! es muß auch bei uns zu einem göttlichen Siegel kommen, daß wir sind das Volk seiner Weide, und das geschieht durch Huldigung. Dann erst wird das Band, das uns als Volk seiner Weide mit Christo, dem König der Herrlichkeit, verbindet, fest und unzerreißlich, daß wir in den Friedenshand, den Er mit uns zu schließen gedenkt, eingehen, und den Huldigungseid Ihm darbringen, den Er als unser rechtmäßiger König von uns fordern kann. Nach Deinem Sieg wird Dir Dein Volk williglich opfern im heiligen Schmuck, so lautet die Verheißung, die schon im 110. Psalm dem HErrn gegeben war, und was anders ist damit ausgesprochen, als daß nach dem großen Siege Christi die, denen seine Liebe, seine Barmherzigkeit, seine suchende Gnade zu Herzen geht, daß die, denen Er das Herz abgewinnt, daß die Ihm dienen und in freiwilliger und bereitwilliger Liebe Ihm ihre Herzen huldigend darbringen. Ja, wenn einer Seele einmal das Joch der Sünden zu schwer und zu lästig wird, wenn sie einmal aus der Sklaverei heraus in die Freiheit der Kinder Gottes sich hinübersehnt, wenn sie einmal an den Ketten der Sünde rüttelt und schüttelt, an die sie der Fürst der Finsterniß gebunden hat, und nun nach der Waffe des Gebets greift, um, aus dem Land und dem Gebiet der Finsterniß heraus in das Gebiet des Friedens hinüberzutreten, wenn ihr etwas klar wird von dem, was ihr König und HErr für sie gethan und erlitten, und sie nun den Wunsch hat, nicht mehr sich selber, sondern Dem zu leben, der für sie gestorben und auferstanden ist, - o dann wird durch eine solche freiwillige und dankbare Huldigung der Bund beschworen, der uns zu Bürgern seines Reichs und Ihn zum König unserer Herzen macht, und uns mit Ihm zu dem Band des Friedens zusammenschlingt, zu Einem Geist und zu Einer Seele. O selig deßwegen der Mensch, der auf diese Weise unter sein Scepter herübertritt, dessen Name eingeschrieben wird in die Bürgerliste des obern Jerusalems, und der das Siegel des göttlichen Geistes empfängt: du bist Jesu Christi Eigenthum, du gehörst zu seinem Erbe, zu seinem Volke, und du hast deßwegen Theil an den ewigen, himmlischen Hoheitsrechten, welche Jesus Christus seinen Erlösten zutheilt.

II.

So haben wir denn den heiligen Grund kennen gelernt, auf welchem die Verbindung des Königs mit uns, dem Volk seiner Weide, beruht. Und nun können wir fragen: welches sind nun die Verpflichtungen, welche das Volk seiner Weide durch die Huldigung, die es Ihm darbringt, übernimmt und auf sich ladet? Welches sind die Obliegenheiten, welche dasselbe zu halten und auszuführen hat. Es sind hauptsächlich drei: 1) die Gehorsamspflicht, 2) die Steuerpflicht, 3) die Waffenpflicht, Lasset mich von einem jeden dieser einzelnen Punkte reden.

1) Wie kein Staat dieser Welt bestehen kann ohne Gehorsam, wie Alles übereinanderfällt, sobald der Gehorsam der Bürger weicht, wie da kein Recht, keine Ordnung, keine Gerechtigkeit mehr besteht, sondern der Unordnung, dem Verfall Thür und Thor geöffnet ist, so ist es auch im Reiche Gottes. Auch das Reich Gottes hat seine Gesetze, hat seine Verfassung, hat seine Verordnungen, und es ist Pflicht der Bürger des Reichs Gottes, diesem Gesetze, dieser Verfassung Gehorsam zu leisten. Das Gesetzbuch im Reiche Gottes, die Verfassungsurkunde ist die heilige Schrift; sie redet sehr plan, sehr unzweideutig, sehr deutlich; sie spricht so plan, so unzweideutig, daß auch die Thoren auf dem Wege nicht irren können, den sie vorzeichnet. Wir haben auch im Reiche Gottes ein Landrecht, nach welchem sich die Bürger des Reichs zu halten haben. Im alten Bunde konnte man dieses Landrecht zusammenfassen in den Worten: es ist dir gesagt, Mensch, was gut ist, und was der HErr, dein Gott, von dir fordert; nämlich: Gottes Wort halten, Liebe üben und demüthig seyn vor deinem Gott (Micha 6, 8.); und im neuen Bunde heißt es: stellet euch nicht dieser Welt gleich, sondern erneuert euch im Geist eures Gemüths (Röm. 12,2.) Dieser Verfassung, diesem Gesetz, hat ein Bürger des Reichs Gottes Gehorsam zu leisten. Und wie ein Paulus, als der HErr ihn darniederwarf, nur Eine Frage machte, nämlich die Frage: HErr, was willst Du, daß ich thun soll? so macht ein Bürger des Reichs Gottes alle Tage nur Eine Frage an den HErrn: HErr, was willst Du jetzt, daß ich thun soll? Denn er will dem HErrn täglich mehr zur Freude und zum Wohlgefallen werden, er will Ihm täglich mehr in der Schule des Gehorsams und der Nachfolge nachwandeln. Deßwegen fürchtet er sich auch vor nichts mehr, als vor seinem Eigenwillen, vor des Fleisches Willen, weil er wohl weiß, daß Ungehorsam Zauberei-Sünde ist und Widerstreben der wahre Götzendienst (1 Sam. 15, 23.).

Meine Lieben! wie steht es mit der Ausübung der Bürgerpflicht im Reiche Gottes? Sind vielleicht solche unter uns, die zu denen gehören, welche sprechen: lasset uns von uns werfen seine Bande und zerreißen die Stricke seines Gesalbten? (Ps. 2, 3.) Oder sind solche unter uns, die da am Worte Gottes drehen und wenden, wie sie wollen, wenn es ihnen nicht ganz zusagt, und es deßwegen in den Model ihrer Ansichten schlagen, bis es mit ihrer Meinung übereinstimmt? Wisset, daß der Grund Gottes besteht und hat folgendes Siegel: der HErr kennet die Seinen, und es trete ab von der Ungerechtigkeit, der des HErrn Namen nennt. Die Verfassung des Reichs Gottes muß bestehen und Alle müssen sich ihr unterwerfen: das ist unsere Gehorsamspflicht.

2) Es kommt aber noch dazu unsere Steuerpflicht. In einem jeden weltlichen Staate sind Steuern und Umlagen eingeführt, welche auf die einzelnen Köpfe vertheilt werden. Es kann gar kein weltlicher Staat bestehen ohne solche Steuern. Auch im Reiche Gottes gibt es Steuern und Umlagen. Der HErr selber hat das Steuerrecht, und Er kann in dieser Beziehung austheilen nach seinem Wohlgefallen. Es sind Bürden, es sind Lasten, die Er einem jeden Einzelnen zutheilt, nämlich die Leidenslasten und Kreuzesbürden, die Er eines Jeden Seele in seinem Reiche auferlegt. Diese Steuern sind hier nicht gleich vertheilt; der Eine muß mehr tragen, der Andere hat's leichter, der Eine hat ein volles, ein gerütteltes Maaß, der Andere kommt leichter davon, der Eine trägt gleichsam den ganzen Kreuzesbalken Christi nach, der Andere vielleicht nur ein einziges Stück, einen einzelnen Splitter von diesem Kreuze; aber ein Jeder hat etwas zu tragen, es ist einem Jeden schon zugemessen nach der ewigen Weisheit und Güte. Hat der Eine nichts zu tragen von der Schmach Christi, so hat er vielleicht in seiner eigenen Familie etwas zu tragen, oder in seinem eigenen Berufe, oder an seinem eigenen Leibe. Kurz ein jeder Reichsbürger hat seine Steuerlast. Oftmals will da dem schwer gedrückten und geprüften Reichsbürger der Muth entsinken, oftmals will da die Frage kommen: warum aber, warum hat mir der HErr so viel auferlegt? warum soll ich denn, während Andere im Leichtsinn dahinleben, allein dazu bestimmt seyn, zu erstatten, was noch mangelt an Trübsalen in Christo? Aber nur getrost, mein lieber Kreuzträger! vergiß nicht, daß der König selbst die größte Last getragen hat, daß Er mit einer Dornenkrone ans dem Haupt und mit einem Kreuzesbalken auf dem Rücken die Bahn der ewigen Vollendung gefunden hat; bedenke und vergiß nicht das Wort der Wahrheit: sterben wir mit, so werden wir auch mit leben, dulden wir mit, so werden wir auch mit herrschen, verläugnen wir aber, so wird der HErr uns auch verläugnen (2 Tim. 2, 11. 12.). An der Geduld Christi und an seinem tragenden Duldersinn stärke du deine eigene Geduld; ja wenn der Faden deiner Geduld brechen will, o so spinne ihn nur wieder an an der Geduld deines ewigen Hohenpriesters; und sieh', wie viele Begleiter du hast in seiner Gemeinschaft:

Himmelan wallt neben dir
Alles Volk des HErrn.
Trägt im Himmelsvorschmack hier
Seine Lasten gern.

Hier schließ' dich an,
Kämpfe drauf, wie sich's gebührt.
Denke: auch durch Leiden führt
Die Himmelsbahn.

3) Das ist die Steuerpflicht, aber dazu kommt noch die dritte, die Waffenpflicht. Auch in einem bürgerlichen Staate kann es oft Zeiten geben, Zeiten der Gefahr, der Bedrängniß, wo die ganze Bevölkerung zu den Waffen berufen ist; wo die Landwehr zusammentritt, um den Einfall des Feindes von den Gränzen des Vaterlandes abzuwehren. In einer solchen Lage ist das Reich Gottes stets und ununterbrochen, es ist fort und fort in einem Kriegszustand; denn es liegt zu Felde gegen das Reich der Finsterniß, gegen das Reich des Argen, und die Kräfte des Bösen und der Fürst dieser Welt sind immerdar geschäftig, in die Gränzen der Gemeinde Christi einzufallen, die Mauern Zions niederzuwerfen, und das schwarze Panier des Todes, des geistlichen Todes, aufzupflanzen.

Deßwegen ziemt sich für den Bürger des Reichs Gottes die Waffenpflicht, daß er die Waffenrüstung anlegt, daß er die äußere oder innere, die nähere oder entferntere Kirchennoth auf sein Herz und Gewissen nimmt, daß er, wenn es auch um ihn her friedlich aussieht, um so mehr auf der Hut steht, daß nicht der Feind ihn selber berücke und daß er die Waffenrüstung nicht ablege, darin er allein den Kampf wohl ausrichten und das Feld behaupten kann. Ja, wie die Bauleute in Jerusalem, als sie die zerstörte und zertretene Stadt nach der babylonischen Gefangenschaft wieder aus dem Schutt und Staub aufrichten sollten, da in der einen Hand die Mauerkelle hatten und in der andern das Schwert, um die Ueberfälle der Feinde abzuwehren, so ziemt es sich für den, der am Bau des Reiches Gottes und am Bau seiner eigenen Seligkeit arbeitet, in der einen Hand zu halten das Evangelium des Friedens und in der andern das Schwert des Geistes, mit dem er allein den Sieg erfechten und den Triumph davontragen kann. Denn er weiß ja, er soll sich leiden als ein guter Streiter Jesu Christi, denn es wird Niemand gekrönt, er kämpfe denn recht.

Siehe da! in diesen drei Pflichten läßt sich die Bürgerpflicht derer, die im Reiche Gottes sind, zusammenfassen; es ist Gehorsamspflicht, es ist Steuerpflicht, es ist Waffenpflicht. Groß und schwer sind diese Pflichten, und sie nehmen den ganzen Menschen in Anspruch.

Aber eben deßwegen sind auch

III.

die Segnungen und Vorrechte so wohlthuend, so erquickend, welche einem Bürger des Reiches Gottes zuerkannt und zugetheilt sind. Davon laßt mich noch kurz reden.

1) Das Reich Gottes ist nicht Essen und Trinken, sondern Gerechtigkeit; so spricht der Apostel, und mit diesen Worten will er bezeichnen die Gerechtigkeit, die vor Gott gilt, die Gerechtigkeit, wodurch wir heilige Hände emporheben dürfen, die Gerechtigkeit, um derenwillen das ganze göttliche Wohlgefallen auf uns ruht.

Es versteht sich von selbst, daß das keine eigene Gerechtigkeit ist, die aus dem Gesetz kommt und die wir durch unser armseliges Wohlverhalten, das wir etwa aufweisen können, uns erarbeiten und erringen könnten; o nein! es ist eine Gerechtigkeit, die aus dem Glauben kommt und die jedem Gläubigen geschenkt wird; es ist kein bunter Rock der eigenen Verdienste, den wir etwa aus allerhand Lappen eigener Werke mühsam zusammenflicken könnten, sondern es ist der Leibrock Christi, ungenähet und durchwirket durch und durch von seinem heiligen Verdienste. Wer in diesem Schmuck vor Christo erscheint, wer Christum lebendig angezogen hat, wer in Ihm erfunden wird, der darf frei und offen vor den Thron der Gnade Gottes treten, er hat, wie Paulus sagt, einen offenen Zugang zu der Gnade, seine Gebete sind deßwegen auch Ja und Amen, und er wird nicht angesehen als der schwache, sündige Mensch, der er von Natur ist, sondern er wird von Gott angesehen in Christo Jesu als gereinigt, als geheiligt, als verklärt, und so steht er dann vor dem Vater da in der Vollenders-Schöne seines ewigen Bürgen und Erbarmers. - O wer kann die Seligkeit aussprechen, die schon hienieden dem Glauben in der Gerechtigkeit Christi Dargestellt und verliehen wird! Wer kann es würdig genug aussprechen, was es heißt: vor den Vater zu treten und mit allen Heiligen und Gerechten, mit allen Geistern und Engeln vor dem Thron der Gnade zu stehen und sein Herz in den Schooß der ewigen Liebe auszuschütten, in den Schooß der Liebe, die da versteht unseres Herzens Klopfen und unserer Augen Tropfen. Wahrlich, das wiegt Vieles auf, was in der Welt uns entzogen wird, dann findet eine Seele Wahrheit, Leben und Seligkeit, und es ist ein Vorschmack der ewigen Wonne, wo man vor dem himmlischen Throne stehen und als ein Priester wandeln darf in dem ewigen Heiligthum. Das sind die himmlischen Segnungen, welche denen zu Theil werden sollen, welche als Bürger im Reiche Gottes wandeln.

2) Aber es kommt dazu ein zweites Vorrecht, eine zweite Segnung: der Bürger des Reiches Gottes steht nicht für sich allein, sondern er ist ein Glied eines Volkes, er ist ein Glied des großen Leibes Christi. Das meint der Apostel, wenn er in unserer heutigen Epistel sagt: das Reich Gottes sei Friede. Er will damit das Friedensband bezeichnen, das alle Gläubigen umschließt. Nach außen, gegenüber von der Welt und ihrem Fürsten, hat das Reich Gottes immerdar Krieg, und es wäre nicht gut, wenn es nicht so wäre; nach innen aber herrscht Friede unter denen, die da lieb haben den Herrn Jesum Christum unverrückt. Zwar ist das Volk Gottes zusammengesetzt aus verschiedenen Nationen und Völkern; es sind verschiedene Sprachen und Zungen, verschiedene Bildungsstufen und Ausdrucksweisen, - am Reiche Gottes ist keine Einförmigkeit, kein tödtendes Einerlei. Aber sie sind Alle zusammengefaßt unter Ein Haupt, sie sind Ein Volk, wie der Apostel sagt: „Ein Leib und Ein Geist, Ein HErr, Ein Glaube, Eine Taufe, Ein Gott und Vater unser Aller, der da ist über uns Alle und durch uns Alle und in uns Allen“ (Ephes. 4,4-6).

O wie wohlthuend ist es einer Seele, namentlich in äußerer und innerer Bedrängniß, sich Eins zu wissen mit allen Gläubigen, die auf dem Grund der Hoffnung mit ihr stehen. Wie wohl thut es ihr, zu wissen, daß vom gerechten Abel an bis hinaus auf den Letzten, der an Jesum glaubt, eine ununterbrochene Streiterreihe sich hindurchzieht, welche ihm ihre Bruderhände entgegenstreckt, die hienieden streitet, aber droben triumphirt.

Ich glaube eine Gemeinschaft der Heiligen, so darf ein Bürger des Reiches Gottes sagen, und darin hat er einen wahrhaftigen, einen lebendigen Trost, wenn die Welt ihn von sich stößt; darin hat er einen verläßlichen Halt, wenn er in sich selber nichts als Elend und Armuth findet; ja darin hat er eine ewige Himmelshoffnung, wenn auch die Sterne des irdischen Glücks ihm erbleichen und untersinken wollen, er ist einverleibt, er ist eingebunden in den Bund der Lebendigen, in das Volk Jesu Christi, unseres HErrn.

3) Und an diese zweite Segnung schließt sich dann die dritte an, indem Paulus sagt: das Reich Gottes ist auch Freude im heiligen Geist.

In der Welt herrscht auch Freude, es gibt auch Freudenfeste und Belustigungszeiten, gewöhnlich aber, wenn man den stehenden Charakter dieser Freude sich vergegenwärtigt, besteht er im Essen und Trinken, und es geht gut, wenn es beim Essen und Trinken bleibt, wenn es nicht, um biblisch zu reden, zum Fressen und Saufen kommt. Der Apostel aber sagt: das Reich Gottes ist nicht Essen und Trinken, sondern Gerechtigkeit und Friede und Freude im heiligen Geist. Im Reich Gottes ist auch eine Tafel gedeckt, aber nicht eine Tafel mit Leckerbissen für den niedern, sinnlichen Menschen, sondern eine Tafel, da der Geist genährt und satt wird.

Im Reich Gottes ist auch ein Kelch eingeschenkt, aber nicht ein Kelch der Lust dieser Welt, nicht der Taumelkelch sinnlicher und fleischlicher Betäubung, sondern ein Kelch der Gnade und des Friedens Gottes.

Im Reiche Gottes wird auch die Gesundheit getrunken, aber nicht die Gesundheit des alten Menschen, der da abnehmen und sterben soll, sondern die Gesundheit des neuen Menschen, daß er wachse und zunehme und ewiglich lebe.

In dem Reiche Gottes geht man auch von den Freudenfesten vergnügt und munter, aber nicht mit Brandmalen im Gewissen, sondern mit dem Siegel der Gewißheit: du hast Frieden mit Gott durch Christum, - so, daß man sich neu gestärkt fühlt zum Glauben, zum Dulden, zum Hoffen, zum Tragen.

Ja, das Volk des neuen Bundes feiert auch seine Volksfeste, und Jesus Christus selber, der König des Himmelreichs, ist der Gegenstand dieser Volksfeste. Auf Ihn geht alle Freude zurück, und von Ihm geht alle Freude aus, denn Er ist das A und O, der Erste und der Letzte, der Anfang und das Ende.

Und wenn die Weltfreuden vergehen, wie ein Feuerwerk, das in der Luft zerplatzt, so scheint und schimmert und strahlt die Freude, die im Geist empfunden wird, wie ein Stern, der unfern dunkeln Pfad beleuchtet im Thränenthale. - Ja die Sterne der himmlischen Freude, sie flimmern und leuchten fort, bis die Sonne der himmlischen Freude über unfern Häuptern aufgehen soll. Denn freilich die Freude im heiligen Geist wird noch vielfach getrübt, und wir weinen im Thale der Thränen noch manche Thräne. Aber wir sprechen: es ist noch nicht erschienen, was wir seyn werden, wenn es aber erscheinen wird, werden wir Ihm gleich seyn, denn wir werden Ihn sehen, wie Er ist, und wir werden uns freuen mit unaussprechlicher Freude (1 Joh. 3,2.; 1 Petr. 1, 8.).

So möge denn der ewige, der große, unsterbliche König und Friedefürst unserer Seelen diese ewige, unaussprechliche Freude uns finden lassen, damit Er sich offenbaren kann als König, und uns darstellen kann als das Volk seiner Weide zum Preis seines herrlichen Namens. Amen.

Quelle: Hofacker, Wilhelm - Predigten für alle Sonn- und Festtage

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