Gerok, Karl von – Andachten zum Psalter - Psalm 61.

Gerok, Karl von – Andachten zum Psalter - Psalm 61.

**(1) Ein Psalm Davids, vorzusingen auf einem Saitenspiel. (2) Höre, Gott, mein Geschrei, und merke auf mein Gebet. (3) Hienieden auf Erden rufe ich zu dir, wenn mein Herz in Angst ist, du wollest mich führen auf einen hohen Felsen. (4) Denn du bist meine Zuversicht, ein starker Turm vor meinen Feinden. (5) Ich will wohnen in deiner Hütte ewiglich, und trauen unter deinen Fittigen, Sela. (6) Denn du, Gott, hörst meine Gelübde; du belohnst die wohl, die deinen Namen fürchten. (7) Du gibst einem Könige langes Leben, dass seine Jahre währen immer für und für, (8) Dass er immer sitzen bleibt vor Gott. Erzeige ihm Güte und Treue, die ihn behüten. (9) So will ich deinem Namen lobsingen ewiglich, dass ich meine Gelübde bezahle täglich.

Es ist ein alter schöner Brauch in unsern Betstunden, dass wir da insbesondere beten auch für unsern König und unsere Obrigkeit nach der Ermahnung des Apostels 1. Tim. 2,1 ff.: „So ermahne ich nun, dass man vor allen Dingen zuerst tue Bitte, Gebet, Fürbitte und Danksagung für alle Menschen, für die Könige und für alle Obrigkeit, auf dass wir ein ruhiges und stilles Leben führen mögen in aller Gottseligkeit und Ehrbarkeit.“ Eben in diesen Worten ist auch der Grund angegeben, warum wir beten sollen für Fürst und Obrigkeit. Nämlich damit wir selbst ein ruhig und stilles Leben führen können. Wenn's oben gut steht, dann wird's auch unten gut gehen. Wenn auf dem Fürsten Gottes Geist und Gottes Gnade ruht, dann wird vom Throne herab auch Heil und Segen fließen auf Land und Volk. Darum haben wir auch heute gesungen:

Du wollst uns hoch beglücken, mit hellen Gnadenblicken
Auf unsern König sehn,
Ihn schützen auf dem Throne, auf seinem Haupt die Krone
In hellem Glanze lassen stehn.

Die Gebete seines Volkes sind eine edle Thronwache und Leibgarde für einen König. Doppelt geschirmt aber und doppelt gesegnet ist ein König, der nicht nur für sich beten lässt, sondern auch selber betet, im Glück betet und sich vor Gott beugt in frommer Demut, im Unglück betet und sich zu Gott erhebt in getrostem Glauben, in Glück und Unglück betet und Gott dient in christlichem Gehorsam als ein Statthalter und Vasall des Königs aller Könige und des Herrn aller Herren. Ein solcher frommer König, der nicht nur für sich hat beten lassen, sondern der auch selber gebetet, seinem Volk und uns allen vorgebetet hat in guten und in bösen Tagen, ein solch betender König und königlicher Beter ist unser David gewesen, und das ist's, was ihm so wohl ansteht, was ihn mehr schmückt in unsern Augen als sein königlicher Purpur und als sein siegreiches Schwert und als sein kunstreiches Saitenspiel selbst; das ist's, was ihn ehrwürdig und liebenswürdig macht in unsern Augen auch bei großen Schwachheiten und vielen Fehlern dieser edle Gebetsgeist, der allezeit aus Leid und Freud, aus Sünde und Sündenschmerz den Weg findet zu Gott.

Auch in unserem 61. Psalm haben wir diesen schönen und doch so seltenen Anblick, den man heutzutage nicht oft finden würde, wenn man auch an vieler Herren Höfen umherreiste: einen königlichen Beter oder einen betenden König. Wir wollen näher betrachten:

Den betenden König.

  1. Seine königliche Bitte, V. 2. 3;
  2. seine königliche Hoffnung, V. 4-8;
  3. sein königliches Gelübde, V. 9.

1)

Seine königliche Bitte, V. 2. 3. Da klingt's denn freilich nicht königlich auf den ersten Anschein:

V. 2: „Höre, Gott, mein Geschrei, und merke auf mein Gebet.“ Diesen Worten merkt man's nicht gerade an, dass sie aus eines Königs Munde kommen. Gerade so kann jeder Untertan, kann der ärmste Taglöhner im Lande beten. Ja jedem seiner Untertanen, dem ärmsten Taglöhner stellt David sich gleich, indem er zu Gott ruft: „Höre, Gott, mein Geschrei!“ Wenn ein König von Menschen etwas begehrt, da braucht er nicht laut zu schreien, da bedarf's nur ein Wort, einen Wink und sein Wunsch ist erfüllt; aber vor Gott muss auch er seufzen, rufen, schreien, so gut als jeder andere Mann. „Und merke auf mein Gebet.“ Wenn ein Gewaltiger dieser Erde umgeben ist von seinen Dienern, da braucht er nicht erst zu bitten, dass man auf seine Wünsche merke; von selbst merkt man auf jedes Wort, das er spricht, und horcht auf seine leisesten Winke; aber gegenüber von dem alleingewaltigen Gott muss der König sich auch erst Audienz erflehen, und steht ihm wohl die Bitte an: „Herr, merke auf mein Gebet.“ In weltlichen Dingen Ehre, dem Ehre gebührt; aber in göttlichen gelten die Großen der Erde so viel und so wenig als ein anderer Mann; ein König im Gebet, in der Predigt, in der Beichte, im heiligen Abendmahl, auf dem Sterbebett, in der Gruft und in der Ewigkeit hat nichts voraus vor dem geringsten Untertan. Wohl ihm, wenn er das erkennt, wie David hier in seinem Gebete. Ja diese Bitte ist ebendarum echt königlich, weil sie so unköniglich lautet, weil man ihr nichts anmerkt von königlichem Hochmut. In demselben Ton klingt

V. 3: „Hienieden auf Erden rufe ich zu dir, wenn mein Herz in Angst ist, du wollest mich führen auf einen hohen Felsen.“ „Hienieden auf Erden“ soll eigentlich heißen: „Vom Ende des Landes“. Der Psalm ist gesungen auf der Flucht vor Absalom, als David entwichen war bis jenseits des Jordans, an die äußerste Grenze des Landes, nach Mahanaim, wie zu lesen steht 2. Sam. 17. Also ferne von seiner Königsburg Zion, von seiner Königsstadt Jerusalem, ja von seinem Königreich Juda vertrieben, ruft er in seines Herzens Angst zu seinem Herrn und König, zu dem König, der mit seiner majestätischen Gegenwart Himmel und Erde erfüllt und dessen Macht kein Absalom erschüttern kann, denn sein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit. Und wie David von der äußersten Grenze seines Reiches rief zu seinem Herrn und Gott und wusste: Meine Stimme reicht auch von hier aus zu ihm und sein Arm reicht auch bis hierher zu mir, so, Geliebte, wollen auch wir nicht vergessen, dass kein Ort in der weiten Welt ist, wo wir nicht zu Gott rufen könnten, wo er uns nicht hören würde. Obwohl diese arme Erde, auf der wir leben und leiden, seufzen und kämpfen, weit weg ist vom Throne seiner Herrlichkeit, gleichsam nur ein armes Grenzstädtchen Mahanaim, dennoch wollen wir getrost mit unserem Psalm sprechen: „Hienieden auf Erden rufe ich zu dir, wenn mein Herz in Angst ist.“

„Du wollest mich führen auf einen hohen Felsen.“ Das Wasser ging unserem David bis an die Seele, die Fluten der Trübsal reichten fast über sein Haupt; da bittet er, sein Gott wolle ihn stellen auf einen hohen Felsen, auf einen sicheren Grund, daran die Wogen des Unglücks sich brechen, auf einen trockenen Boden, wo er wieder festen Fuß fassen könne, auf eine sonnige Höhe, von wo er mit hohem Haupte, wie es einem König geziemt, herniederschauen könne auf seine Widersacher. „Du wollest mich führen auf einen hohen Felsen.“ So wollen auch wir beten, wenn uns das Wasser an die Seele und die Trübsal über das Haupt gehen will. Er, der große, gewaltige Gott kann uns mit seinem starken Arm herausreißen und aufs Trockene stellen, dass die Fluten unmächtig zu unsern Füßen verlaufen. Und kennest du, Seele, den hohen Felsen, auf den du mitten in der Anfechtung dich emporschwingen, von dem du hohen Haupts wie ein König herniederschauen kannst auf Sturm und Wellen dieses Lebens: Siehe dieser Fels, das ist das unerschütterliche Wort Gottes, das sind die ewigen Gottesverheißungen. Wenn du auf sie dich gründest, auf sie dich im Glauben stellest, auf solche Felsenworte, als da sind: Ist Gott für uns, wer mag wider uns sein? und: Denen, die Gott lieben, müssen alle Dinge zum Besten dienen! und: Dieser Zeit Leiden sind nicht wert der Herrlichkeit, die an uns soll offenbar werden, dann hast du festen Grund und Boden auch mitten in der Trübsal; ja dann kannst du hohen Hauptes wie ein König herniederblicken auf die Welt zu deinen Füßen.

Auf diesen Felsen wollen auch wir uns im Glauben stellen und in diesem Sinn wollen auch wir einstimmen in die königliche Bitte Davids: „Herr, du wollest mich stellen auf einen hohen Felsen.“ - An diese königliche Bitte schließt sich denn auch:

2)

Davids königliche Hoffnung. Die spricht er aus gleich im folgenden

V. 4: „Denn du bist meine Zuversicht, ein starker Turm vor meinen Feinden.“ Ist das nicht eine königliche Hoffnung? Ist das nicht ein königlicher Geist, der mitten in der Not und im Gedränge dennoch unverzagt zum Herrn spricht: Du bist meine Zuversicht, meine feste Burg, mein starker Turm, mein sicheres Schloss? Nur ein rechtes Heldenherz, nur ein königlicher Geist kann das nachfühlen und nachsprechen; wie ein Salomo, wenn er in den Sprüchen sagt: Der Name des Herrn ist ein festes Schloss, dahin der Gerechte fliehe und erhalten werde. (Spr. 18.) Und Nahum, der Prophet, wenn er spricht (1,7): Der Herr ist eine Feste zur Zeit der Not und kennt die, so auf ihn hoffen. Und Luther, der Gottesmann, wenn er singt: Eine feste Burg ist unser Gott. Ja den Seinen, die ihn kennen, ist der Herr alles: in der Finsternis ein Licht, in der Schwachheit ein Stab, in der Trübsal ein Trost, in der Armut ein Schah, im Sturme ein Fels, im Kampfe ein Turm und auf der Wanderschaft ein Zelt. Darum fährt unser König David fort in königlicher Hoffnung:

V. 5: „Ich will wohnen in deiner Hütte ewiglich und trauen unter deinen Fittigen, Sela.“ Obwohl landflüchtig jetzt und fern vom heiligen Zionsberg, wo die Hütte des Herrn stand, dennoch ist David der getrosten Zuversicht, er werde wieder einziehen in die Hütte des Herrn und lebenslang bleiben unter den Fittigen seiner Allmacht und Treue, wie ein Küchlein unter den Flügeln der mütterlichen Henne. Auch für uns, Geliebte, ist's ein schönes Wort frommer Zuversicht: „Ich will wohnen in deiner Hütte ewiglich und trauen unter deinen Fittigen.“ Hier im irdischen Gotteshaus wollen wir fleißige Gäste, ja treue Hausgenossen sein; hier wollen wir uns gern erholen von den Widerwärtigkeiten dieses Lebens und uns sammeln unter den Fittigen unseres treuen Gottes, damit nicht auch über uns die Klage gelte: Wie oft habe ich euch versammeln wollen, wie eine Henne ihre Küchlein sammelt unter ihre Flügel, und ihr habt nicht gewollt! Und auch draußen im Sturm des Lebens wollen wir nicht vergessen, dass wir unter dem Schirme des Höchsten wohl behütet sind und wollen uns im Glauben unter seine Flügel stellen, bis dass das Unglück vorübergehe. Und wenn uns hienieden zu bange wird, dann wollen wir aufwärts zur ewigen Heimat blicken mit der seligen Hoffnung: Dort will ich wohnen in deiner himmlischen Hütte und bleiben unter deinen Fittigen, im Schatten deines Thrones ewiglich. Nun besagt auch David, worauf er seine kühne Hoffnung gründe:

V. 6: „Denn du, Gott, hörst meine Gelübde, du belohnst die wohl, die deinen Namen fürchten.“ Auf einen allwissenden Gott setzt er sein Vertrauen, der die Gebete und Gelübde höre, die sein Gesalbter zu ihm sendet, kommen sie auch vom fernen Mahanaim über den Jordan herüber. Und auf einen gerechten Gott setzt er sein Vertrauen, der die Seinen nicht lasse zu Schanden werden, sondern belohne die wohl, die seinen Namen fürchten. Ja verlass dich darauf, Seele, da droben ist ein Ohr, das die Gebete und Gelübde hört, die aus frommem Herzen aufsteigen gen Himmel, und ein Herz ist da droben, das derer nicht vergisst, die den Herrn fürchten und in seinen Wegen wandeln. Der mag im Unglück zittern und zagen, der den Herrn nicht fürchtet, noch an ihn glaubt; aber ein frommes Herz spricht mit David: „Du, Gott, hörst meine Gelübde, du belohnst die wohl, die deinen Namen fürchten.“ Immer kühner und fröhlicher wird nun Davids Hoffnung:

V. 7: Du gibst einem Könige langes Leben, dass seine Jahre währen für und für.“ Seine Feinde glaubten, ihm bald das Grablied singen zu dürfen; aber David ist der getrosten Zuversicht: Gott werde seinem Gesalbten langes Leben schenken und ihn noch manches Jahr auf dem Throne erhalten zu Gottes Ehre und zum Heile seines Volks. Dass es eine große Gnade von Gott ist, dass es auch einem Volke zum Heil dient, wenn der Herr einem guten Könige langes Leben schenkt und sein Regiment verlängert, das dürfen ja gottlob auch wir in unserem Lande erfahren, und darum sollen mit jedem neuen Jahr und jedem neuen Bettag immer brünstiger unsere Gebete emporsteigen gen Himmel, dass der Herr auch unserem Könige die Jahre verlängern und unter seinem milden Zepter das Land noch lange wolle blühen und gedeihen lassen. Wohl gedenkt David, indem er diese getroste Hoffnung ausspricht, der schönen Verheißungen, die er durch Natan, den Propheten, empfangen (2. Sam. 7): Aber dein Haus und dein Königreich sollen beständig sein ewiglich vor dir und dein Stuhl soll ewiglich bestehen vor dir. In solcher Zuversicht fährt er dann auch fort:

V. 8: „Dass er der König und sein Geschlecht immer sitzen bleibt vor Gott. Erzeige ihm Güte und Treue, die ihn behüten.“ Seines Gottes Güte und seines Gottes Treue, die sollen wie himmlische Leibwächter stehen zur Rechten und zur Linken seines Throns und ihn behüten von Geschlecht zu Geschlecht. Erzeige ihm Güte und Treue, die ihn behüten!“ Ja so wollen auch wir zu Gott beten für unsern König, seinen Knecht; so wollen wir bitten für unser ganzes Volk und Land, dass Güte und Treue sich darin begegnen, Gerechtigkeit und Friede sich küssen, wie wir gesungen haben:

Lass alle, die regieren, ihr Amt getreulich führen!
Schaff jedermann sein Recht;
Dass Fried und Treu sich müssen in unsrem Lande küssen;
Ja segne Mann, Weib, Herrn und Knecht.

Und nun, nachdem David seine königliche Bitte vorgebracht, seine königliche Hoffnung ausgesprochen, vernehmen wir auch noch:

3)

Sein königliches Gelübde.

V. 9: „So will ich deinem Namen lobsingen ewiglich, dass ich meine Gelübde bezahle täglich.“ Dem Herrn, der ihm geholfen in der Not, dem will er auch die Ehre geben nach überstandener Not; und die Gelübde, die am Tage der Trübsal aufgestiegen zu Gott, die will er auch bezahlen täglich, durch einen täglichen frommen Gehorsam. Ein schönes Versprechen, doppelt schön aus eines Königs Mund. Auch wir, Geliebte, wollen dem Herrn lobsingen, der schon soviel Barmherzigkeit und Treue an uns allen getan hat; auch wir wollen die Gelübde, die wir am Tage der Not und in der Stunde der Andacht dem Herrn dargebracht, bezahlen, Tag für Tag bezahlen durch einen frommen Gehorsam und Wandel in Gottes Geboten. Und dass wir das auch heute desto freudiger tun, wollen wir von dem König David aufsehen zu dem großen Davidssohn, zu Christo, dem ewigen König der Gemeinde, der nun am Advent wieder seinen Einzug hält bei seinem Volk; ihm wollen wir aufs neue huldigen und sprechen:

Sei willkommen, o mein Heil, dir Hosianna, o mein Teil!
Richte dir auch eine Bahn, Herr, in meinem Herzen an.
Zeuch, du Ehrenkönig, ein, es gehört dir allein,
Mach es, wie du gerne tust, rein von aller Sündenluft.
Dass ich, wenn du, Lebensfürst, herrlich wiederkommen wirst,
Froh dir mög entgegensehn und gerecht vor dir bestehn.

Amen.

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