Gerok, Carl von - Predigt am Adventfest.

Gerok, Carl von - Predigt am Adventfest.

(1851.)

Matth. 21, 1-9. Da sie nun nahe bei Jerusalem kamen gen Bethphage an den Ölberg, sandte Jesus seiner Jünger zwei, und sprach zu ihnen: Geht hin in den Flecken, der vor euch liegt, und bald werdet ihr eine Eselin finden angebunden, und ein Füllen bei ihr; löst sie auf und führt sie zu mir. Und so euch Jemand etwas wird sagen, so sprecht: der Herr bedarf ihrer; so bald wird er sie euch lassen. Das geschah aber Alles, auf dass erfüllt würde, das gesagt ist durch den Propheten, der da spricht: Sagt der Tochter Zion: Siehe, dein König kommt zu dir sanftmütig, und reitet auf einem Esel, und auf einem Füllen der lastbaren Eselin. Die Jünger gingen hin und taten, wie ihnen Jesus befohlen hatte; und brachten die Eselin, und das Füllen, und legten ihre Kleider darauf, und setzten ihn darauf. Aber viel Volks breitete die Kleider auf den Weg; die Andern hieben Zweige von den Bäumen, und streuten sie auf den Weg; das Volk aber, das vorging und nachfolgte, schrie und sprach; Hosianna dem Sohne Davids; gelobt sei, der da kommt in dem Namen des Herrn! Hosianna in der Höhe!

Hosianna dem Sohne Davids; gelobt sei, der da kommt in dem Namen des Herrn! Hosianna in der Höhe! Das ist der festliche Adventsgruß, der heute millionenstimmig von der Erde zum Himmel emporklingt. Seit er zum ersten Male erscholl dort unter den Toren Jerusalems beim Einzug des hochgelobten Königs, hat er von Geschlecht zu Geschlecht, von einem Kirchenjahr zum andern sich fortgepflanzt und in den Zungen aller Christenvölker sich eingebürgert, dieser festliche Adventsgruß: Hosianna!

Jedes unserer großen Kirchenfeste hat solch ein eigentümliches Losungswort, solch einen uralten Festgruß, in welchem die Bedeutung des Tages sich kurz und bündig zusammenfasst. Am lieblichen Christfest singen wir mit unseren Kindern ein fröhliches Halleluja, denn uns ist heut ein göttliches Kind geboren; in der ernsten Passionszeit soll die Sünderwelt sich niederwerfen vor dem blutigen Kreuzesstamm mit einem bußfertigen: Kyrie Eleison! Herr, erbarme Dich unser! Am frohen Osterfest ruft sich die Christenheit glückwünschend zu von Mund zu Mund, von Haus zu Haus, von Ort zu Ort: Christ ist erstanden! Am glorreichen Himmelfahrtsfest beugen wir anbetend unsere Kniee vor Dem, der sich gesetzt hat zur Rechten der Majestät in der Höhe, und lobsingen: der Herr ist König ewiglich! Aber heut am Adventfest bleibt's bei dem Losungsworte: Hosianna!

„Hosianna“ zu deutsch, „Herr hilf!“ das ist der uralte Huldigungsruf, mit welchem nach prophetischem Geheiß das Volk Israel seinen Davidssohn, seinen Messias, seinen Erlöser empfangen und den Segen Gottes, die Hilfe des Herrn herabflehen sollte auf Sein Haupt und zu Seinem Werk. „Hosianna, o Herr hilf!“ das ist der Festgruß, mit welchem auch heute noch das Volk Gottes alljährlich seinem himmlischen Könige huldigt, wenn er wieder einzieht in Seiner Gemeinde durch die Pforten eines neuen Kirchenjahrs. „Herr hilf!“ so fleht heute in böser Zeit das Volk Gottes doppelt brünstig gen Himmel empor. O Herr, hilf Deinem Gesalbten und gib Deinen Segen zu Seinem gnadenreichen Einzug in der Gemeinde, dass Sein Wort unter uns laufe und wirke, dass Sein Reich nah und ferne wachse und grüne, bis alle Seine Feinde gelegt werden zum Schemel Seiner Füße! O Herr, hilf Deinem Volk, das fürwahr bedürftig ist Deiner Hilfe und begierig Deiner Gnade in so viel Nöten Leibes und der Seelen, hilf ihm durch Deinen Gesalbten zu Heil und Frieden hier und zu Deinem ewigen Himmelreich dort! Gelobt sei, der da kommt in dem Namen des Herrn, Hosianna in der Höhe!

Ist aber das unser Festgruß heut an den Herrn, so hat nun der Herr auch Seinen Adventsgruß an uns. Auch der ist uralt und durch Prophetenmund schon Jahrhunderte vor der Ankunft des großen Ehrenkönigs Seinem Volk angesagt worden. Auch der wird immer wieder neu mit jedem Kirchenjahr und ergeht mahnend und ermunternd auch heut an uns Alle.

Die große Adventsbotschaft, die heut vom Himmel an uns ergeht, sie lautet: Zion, dein König kommt zu dir! - Ja, „Zion, dein König kommt zu dir!“

  1. Prüfe dich: musst du Sein Aug' nicht scheuen?
  2. Freue dich: Er kommt, dich zu erfreuen!
  3. Rüste dich: du sollst Ihm Palmen streuen!

Dein König kommt in niedern Hüllen,
Sanftmütig auf der Es'lin Füllen,
Empfang Ihn froh, Jerusalem!
Trag Ihm entgegen Friedenszweige,
Bestreu mit Maien Seine Steige,
So ist's dem Herren angenehm.

Herr von großer Huld und Treue,
So komm denn auch zu uns aufs Neue,
Zu uns, die wir sind schwer verstört.
Not ist es, dass Du selbst hienieden.
Kommst, zu erneuen Deinen Frieden,
Wogegen sich die Welt empört. Amen.

Zion, dein König kommt zu dir!

1) Prüfe dich: musst du Sein Aug' nicht scheuen?

Eine Freudenbotschaft soll's freilich sein schon beim Propheten Zacharia: „Du Tochter Zion, freue dich sehr, und du Tochter Jerusalem jauchze; siehe, dein König kommt zu dir!“ Aber die Freudenbotschaft kann auch eine Schreckenspost werden, je nachdem sie Ohren trifft und Herzen. Als einst durch die Weisen aus Morgenland die erste Freudenkunde nach Jerusalem kam vom neugebornen König der Juden, da erschrak Herodes und mit ihm das ganze Jerusalem; und als der Herr zum letzten mal einzog in die heilige Stadt, da war Sein Einzug auch nicht so fröhlich für Ihn und Sein Volk, wie er hätte sein sollen nach der freundlichen Botschaft des Propheten und nach dem liebreichen Ratschluss des Allerhöchsten. Da klang es vielmehr wie eine Ladung zum Gericht über Jerusalem hin: Zion, dein König kommt zu dir! Der König konnte sich über dieses Zion nicht freuen und Zion wollte sich über diesen König nicht freuen.

Der König konnte sich über dieses Zion nicht freuen. Wohl stand Jerusalem noch auf dem alten Fleck und trug noch seinen heiligen Namen; aber mehr hatte es auch nicht mehr vom echten Zion, da der Herr drin wohnen wollte, als den Ort und den Namen. Wohl stand noch eine Königsburg auf dem Zionsberg, aber die Adler der römischen Legionen horsteten da, wo einst Davids Harfe erklungen. Wohl stand ein herrlicher Tempel noch da, wo

einst Salomo dem Herrn ein Haus gebaut, aber eitler Zeremonienprunk hauste darin und schnöder Mammonsdienst, also, dass der Herr mit der Geißel kommen musste beim ersten Tempelbesuch. Wohl waren der Pharisäer und Schriftgelehrten viele in der Stadt, aber sie waren blinde Blindenleiter, über die der heilige Gottessohn Sein scharfes Wehe ausrufen musste. Wohl wimmelte ein zahlreiches Volk in den prächtigen Gassen, aber es war ein armer, verblendeter Haufe, von dem Wenige nur der gute Hirte zu Seinen Schafen zählen durfte, über den der Herr weinen musste: ach, dass du bedächtest zu dieser deiner Zeit, was zu deinem Frieden dient! Wohl standen noch stattlich in stundenweitem Umkreis die Mauern Jerusalems, aber das prophetische Auge des Herrn sah schon die Feinde ihre Wagenburg schlagen um diese Mauern und über Schutt und Trümmer die blutgierigen Legionen stürmend eindringen in die unglückselige Stadt. Der König konnte sich nicht freuen über dieses Zion. Und wenn derselbe König Jesus Christus heut am Adventsfest wieder unsichtbar einkehrt auf Erden, kann Er sich freuen über Sein Zion, über das Zion, an dem nun gebaut wird seit 1800 Jahren, in welchem wir allesamt Bürger sein sollen, über Seine Christenheit? Wohl findet Er eine zahlreiche Christenheit von dreihundert Millionen Seelen, aber keine, von der Er sagen könnte: Ihr seid das auserwählte Volk, das Volk des Eigentums, sondern eine Christenheit, in welcher Heidentum und Fleischesdienst seine Fahne aufgepflanzt hat und der Unglaube seine Bollwerke hat errichtet. Wohl findet Er Kirchen in der Christenheit, aber keine einige heilige christliche Kirche. Wohl findet Er Große und Gewaltige, Priester und Schriftgelehrte die Menge, aber Hirten nach Seinem Herzen wie wenige! Wohl findet er, zumal in unsern deutschen Landen, ein neuerwachtes Streben, der Kirche aufzuhelfen, Zions Mauern zu bauen, die Lücken zu verstopfen, die Risse zu heilen, die Straßen zu ebnen; aber während Seine Knechte Steine hauen zum Bau, ist's doch, als schwebte schon das Verderben über den Mauern, und von Osten und Westen sammeln sich die Adler, um sich in den Raub zu teilen. Fürwahr, es sieht nicht tröstlich aus in der Christenheit, der König kann sich Seines Zions nicht freuen!

Oder wenn's im Großen so misslich steht, sieht's vielleicht im Kleinen besser aus? findet der Herr hier zwischen unsern Bergen wenigstens ein Zion, dessen Er sich freuen kann? Ist unser Volk ein christliches Volk, ist unsere Stadt eine heilige Stadt? Ist sie's im verflossenen Kirchenjahr mehr geworden als zuvor? Wir wollen nicht verschweigen, was davon Erfreuliches zu rühmen ist. Wir haben ehrwürdige Kirchen in unserer Stadt und zahlreiche Schulen, sie stehen schön und stattlich da zum Beweis, dass im Rat und in der Gemeinde noch Liebe vorhanden ist und uneigennütziger Eifer für das Haus des Herrn. Wir haben viel Gottesdienste in unsern Kirchen, und man kann nicht behaupten, dass unsere Gottesdienste leer stehen, sei es am Abend oder am Morgen. - Wir haben neue Bauleute bekommen dies Jahr, an den zerfallenen Mauern Zions bauen zu helfen, unsere Kirchenältesten; und sie haben nicht vergeblich gearbeitet, hätten sie auch nichts bisher ausgerichtet, als die Schäden aufzudecken, an denen Zion leidet, und Baurisse zu machen für künftig. Wir haben Vereine und Anstalten, die Kranken zu besuchen, die Hungrigen zu speisen, die Nackten zu kleiden, die Gefangenen zu beraten, dem Bettel zu steuern, den Gewerben aufzuhelfen, der Kinder zu pflegen, die Jugend zu hüten. - Das Alles ist auch in diesem Jahr teils erhalten, teils erweitert, teils neu gegründet, teils versucht und angebahnt worden. Das Alles ist ein Beweis, dass man auch bei uns noch nach einem Zion Fragen und von einem Zion sagen darf, und dass Die ungerecht urteilen, die da lieblos eifernd oder mutlos verzweifelnd sagen, unsere Kirche von heut zu Tage sei ein pures Babel und kein Mauerstein von Zion mehr dran.

Aber das Alles ist noch kein Beweis, dass es unter uns steht, wie es stehen sollte. Bei dem Allem ist unsere Stadt doch noch kein Zion, darüber der Herr sich freuen kann. Ach, wenn unser Heiland in diesen trüben Tagen draußen stünde auf einem unserer Berge, und herniederblickte auf diese Stadt, wie Er einst vom Ölberg herniederblickte auf Jerusalem: Er würde vielleicht auch über uns weinen; Er würde nicht nur viel düstern Winternebel, nein, Er würde auch viel bösen Sündennebel liegen sehen über unserem Tal; Er würde nicht nur viel Not, sondern auch viel Schuld erblicken unter diesen Dächern allen; Er würde viel Außenwerk und Lippendienst, aber wenig lebendiges Christentum unter uns finden. Der König kann sich nicht über Sein Zion freuen.

Und über wenig Seelen in Zion! über wenige auch unter uns! Oder sind viele Seelen hier, die heut sagen können: ich wenigstens bin eine Tochter Zions, wie sie sein soll; mein Haus wenigstens ist eine Hütte Gottes, wo der Herr gern einkehren kann; ich wenigstens darf meines Heilands Auge nicht scheuen, darf vor Ihm nichts bedecken und verstecken, nichts bereuen und abbitten, wenn Er heute kommt und Musterung hält? Nein, Herr, ich bin nicht wert, dass Du unter mein Dach gehst, das ist gewiss heut unser Aller Bekenntnis, wenn uns angesagt wird: Zion, dein König kommt zu dir! Der König kann sich über Sein Zion nicht freuen.

Und Zion nicht über seinen König. Wenige dort in Jerusalem mochten es gerne hören: Zion, dein König kommt zu dir! Die Reichen und Mächtigen wollten keinen König, der ihnen die Gewalt aus den Händen nehme; sie ließen sich behagen, selber die Herren zu sein. Die Armen und Geringen wollten einen König, aber einen weltlichen, der ihnen helfe zu Wohlleben und guten Tagen. Wenig Augen waren zu Jerusalem, welche in dem Mann von Nazareth den Sohn Gottes erkannten und unter dem Knechtsgewand entdeckten den strahlenden Stern Seiner himmlischen Abkunft. Zion wollte seines Königs sich nicht freuen.

Auch heut am Adventfest, wenn wir Prediger in die Welt hineinrufen: Zion, dein König kommt zu dir! so wissen wir wohl, wir machen Wenigen damit eine Freude. Tausende schlagen uns diese Botschaft heim mit Hohn und Verachtung. Da sind Reiche und Gewaltige, die wollen Nichts wissen von einer Gewalt, darunter sie ihren trotzigen Nacken beugen sollen, von einem Gesetz, das sie störe in ihrem fleischlichen Treiben; da sind Arme und Gedrückte, die fühlen wohl die Not der Zeit und sehnen sich nach Heil und Hilfe, aber dass von Christo her und Seinem Wort und Seinem Reich die Hilfe komme, das können sie nicht glauben; sie stoßen sich an Seiner Knechtsgestalt; Er bringt ja weder Waffen mit, um die Feinde zu schlagen, noch Geld, um es auszuteilen unter die Armen. Er ist kein Heiland wie die Welt ihn will; die Schätze, die Er mitbringt, fallen weder in die Augen, noch ins Gewicht, darum, was kann aus Nazareth Gutes kommen? so sprechen Tausende noch heut und wenden zweifelnd und verzweifelnd sich ab vom König der Ehren. Und selbst wir, die wir Ihn anerkennen als unsern König, müssen wir Sein heiliges Auge nicht scheuen? können wir uns recht von Herzen freuen der Botschaft: dein König kommt zu dir; der König, der dich zu Seinem Eigentum erkauft, und dem du dich doch so oft entziehen willst; der König, dem du Treue geschworen, und hast Ihn doch so oft verlassen und vergessen; der König, unter dessen mildem Zepter du so glücklich sein könntest, und bist doch so oft andern Herren nachgelaufen; der König, der dich einst richten wird, und dessen Flammenauge dich durchschaut bis auf der Seele Grund, der kommt zu dir und will Augenschein nehmen von deinem Haus und Besitz nehmen von deinem Herzen; darf Er kommen? kennst du Ihn? ehrst du Ihn? dienst du Ihm wie sich's gebührt? Prüfe dich, musst du Sein Aug' nicht scheuen?

Mit Ernst, ihr Menschenkinder, Das Herz in Euch bestellt!
Damit das Heil der Sünder, Der große Wunderheld,
Den Gott aus Gnad allein Der Welt zum Licht und Leben
Gesendet und gegeben, Bei Allen kehre ein!

Und doch ob uns auch bange wird bei der ersten Botschaft, doch ist's eine Freudenpost: Zion, dein König kommt zu dir!

2) Freue dich, Er kommt, dich zu erfreuen!

Freue dich, denn dein König kommt zu dir und Er kommt sanftmütig.

Er kommt zu dir - nicht du zuerst zu Ihm. Sieh, schon das ist Freude. Ach, wenn die sündige Menschheit sich selbst müsste ihr Heil holen, aus eigener Kraft zu Gott kommen - sie bliebe ewig in ihren Sünden. Wenn ein armes Menschenherz sich selbst sollte seine Erlösung erfinden, seinen Frieden schaffen, seinen Himmel verdienen: in Ewigkeit käme unser Keines zum Frieden; aber getrost, Zion, dein König kommt zu dir, das predigt dir diese gnadenreiche Adventszeit. Sieh, sagt sie, vom hohen Himmel ist die ewige Liebe herabgestiegen auf die arme Erde, um dich von der Erde zum Himmel zu heben. Ehe du an einen Heiland dachtest, hat Er von Ewigkeit dein gedacht, hat auch für dich gelebt, gelehrt, geduldet und geblutet; das war Sein erster Advent in die Welt. Und Er kommt fort und fort zu Seinem Volk. Ohne dass wir etwas dazu tun, ohne dass wir auch nur die Hände nach Ihm ausstrecken, kommt Er alljährlich wieder in Seine Gemeinde mit allem Trost Seines Wortes, mit aller Fülle Seiner Gnade, mit allem Segen Seiner Sakramente; das ist Sein zweiter, fortwährender Advent in die Kirche. Ehe wir zu Ihm kommen, ist Er auch zu uns Allen gekommen; der Segen der Taufe, die Unterweisung des göttlichen Worts, die Mahnungen des heiligen Geistes, die Heimsuchungen der göttlichen Gnade - das Alles ist an uns gekommen, ehe wir's verdient, ja nur verlangt, ja nur verstanden haben; das ist Sein besonderer Advent zu dir und mir und uns Allen. Auch jetzt mit dem neuen Kirchenjahr kommt Er wieder aufs Neue. So oft Er schon gekommen und vergebens gekommen, Er kommt doch wieder, Sein Volk heimzusuchen. Wie Ihm auch der Unglaube die Tür verschließt, der Leichtsinn Seine Gaben heimschlägt, die Sünde Sein Reich verwüstet, Er kommt doch wieder, wie die Sonne wiederkommt am Morgen und der Frühling wiederkommt nach dem Winter. Freue dich, Gemeinde des Herrn, dein König kommt zu dir, kommt auch jetzt zu dir in aller deiner Not und Drangsal. Was auch über dich kommen mag in zukünftigen Tagen, dein Heiland ist dabei mit Seinem Schutz, mit Seinem Trost, mit Seinem Heil. Deine ganze Zukunft ist nichts als Seine Zukunft, ein unaufhaltsames Kommen Seines Reiches. Freue dich, Seele, dein König kommt zu dir! Was dir begegnen mag dein König ist bei dir. Sein Haus steht dir offen als eine Freistatt im Unfrieden der Welt. Sein Wort steht dir zu Dienst mit Rat und Trost in jeder Bedrängnis. Sein Altar steht dir gedeckt zur Stärkung deines Glaubens und zur Erleichterung deines Gewissens. Sein Herz steht dir offen, um dein Herz Ihm auszuleeren in kindlichem Gebet. Sein Himmel ist dir aufgetan, um dich zu trösten unter den Leiden dieser Zeit mit dem Hinblick aufs ewige Friedensreich.

Freue dich, Zion, dein König kommt zu dir! Und wie kommt Er? Er kommt sanftmütig. Der König der Ehren, der Herr aller Kreaturen, einreitend in Seiner Königsstadt auf einem Eselsfüllen arm und niedrig - o das ist ein tröstlich Adventsbild. Siehe, sagt dir dies Adventsbild, dein König kommt zu dir sanftmütig.

Das heißt vor Allem: Er kommt voll verzeihender Gnade trotz all deinen Sünden. Wo Er als Richter und Rächer einziehen könnte mit Feuer und Schwert, da klopft Er noch einmal an als Freund und Friedefürst. Auch zu uns kommt Er so. Das Erste, was Er uns heute wieder anbeut in Seinem Wort hier, wie dort auf dem Altar in Seinem Sakrament: Gnade ist's und Vergebung, Heil ist's und Friede. Was wir gesündigt im alten Kirchenjahr geben soll's und vergessen sein, wo wir heute nur reuig zum Ihm kehren. Zion, dein König kommt zu dir sanftmütig, das heißt voll verzeihender Gnade.

Und voll herzlichen Mitleids mit all deinen Schmerzen. Der so arm und niedrig Seinen Einzug hält in Knechtsgestalt - seht, der will eben damit zeigen, dass Er ein Herz habe für die Armen und Geringen, ein Herz für jede Not der Erde und für jeden Jammer der Menschheit. Voll milden Erbarmens ach ja, so haben wir Ihn noch immer gefunden, den König der Liebe, durch was für Not und Sorgen Er uns auch hindurchgeführt hat bis heute, ob's auch durch Tränentage und Sorgennächte, durch Wasserflut und Feuersglut, durch Hunger und teure Zeit ging - Seine Gnade ist doch mit uns und Sein Trost bei uns gewesen, wenn wir nur wollten. So oft wir unser tränenvolles Aug im Glauben emporwandten zu Ihm, ist uns .gewiss ein trostvolles Gotteswort, ein liebreicher Heilandsblick begegnet und hat Balsam gegeben auf unsere Wunden. Und was auch die Zukunft dir Schweres bringen mag: dein König ist bei dir voll herzlichen Mitleids und von Seinem Angesicht sollst du nie ungetröstet von dannen gehen.

Denn wie Er voll herzlichen Mitleids kommt, so kommt Er auch voll reichen Trostes für alle unsere Nöten. Man sieht's Ihm nicht an, dem schlichten Gast, wie Er dort einreitet durch die Tore von Jerusalem, welche Fülle von Trost und Segen Er mitbringt unter Seinem schlechten Mantel. Unter diesem Mantel trägt Er ein Herz, bereit, zum Heile der Menschheit zu bluten; unter diesem Mantel trägt Er die Palme des ewigen Friedens, die Er vom Himmel herabbringt auf die Erde, trägt Er unverwelkliche Kronen für dich und mich, trägt Er ein zukünftiges Himmelreich für Alle, die an Ihn glauben. Und so oft Er wieder einzieht in Sein Reich beim Beginn eines neuen Gnadenjahres, bringt Er wieder im Knechtsgewande verhüllt allen Reichtum Seiner Gnade, allen Trost Seiner Liebe, als ob Er zum Ersten mal käme. Sein Wort voll Geist und Leben, Sein Vorbild voll herzgewinnender Anmut, Sein Blut am Kreuze vergossen, die Siegespalmen Seiner Auferstehung, der Abschiedssegen, mit dem Er gen Himmel gefahren, die Pfingstgaben, die Er den Seinen gespendet - das Alles wird dir wieder angeboten, liebe Gemeinde, das Alles soll dir wieder zu Gute kommen, o Zion, im Laufe dieses Kirchenjahrs, denn dein König kommt zu dir sanftmütig, voll Gnade, voll Mitleid, voll Trost und Segen. Zion, dein König kommt zu dir; freue dich, Er kommt, dich zu erfreuen.

Das schreib dir in die Herzen, Du hochbetrübtes Heer,
Bei denen Gram und Schmerzen Sich häufen mehr und mehr!
Seid unverzagt, ihr habet Die Hilfe vor der Tür!
Der eure Herzen labet Und tröstet, steht allhier.

Aber dafür soll Ihm Sein Zion auch danken. Darum

3) Rüste dich: Du sollst Ihm Palmen streuen.

Was sind diese Palmen? Es ist ein frischer Eifer und eine nachhaltige Treue im Dienste des Herrn.

Ein frischer Eifer zuerst. Das weiß ich ganz gewiss, wenn heut Einem von uns angesagt würde: dein König kommt zu dir, dein irdischer König; es wäre Keines hier, das nicht Alles täte, sein Haus und sich selbst zu schmücken für solch hohen Besuch. Und wenn uns angesagt wird: dein himmlischer König will Wohnung machen bei dir, die höchste Majestät will bei dir einkehren, die ewige Liebe will dich heimsuchen: sollten wir da nicht auch Hand und Fuß rühren in fröhlichem Eifer?

Welch schöner Wetteifer im Dienste des Herrn hier im Evangelium! Wie schlimm's auch sonst in Jerusalem aussehen mochte, Hier wenigstens sammelt sich um Ihn eine liebende, dienstfertige Gemeinde. Die Jünger, die hingehen auf des Herrn Wort, der Hausherr, der sein Tier hergibt zu des Herrn Dienst, das Volk, das Ihm entgegengeht mit Hosiannaruf, mit Kleiderausbreiten und Palmenstreuen, die Kinder selbst, die Ihn bis in den Tempel begleiten mit Freudengeschrei - Eins tut's dem Andern zuvor, Eins reißt das Andere mit sich fort; Allen zuckt eine Ahnung durchs Herz, wenn auch nur dunkel: Zion, das ist dein König!

Und wir, die wir's nicht nur dunkel ahnen, sondern wissen aus Gottes Wort, aus tausend Herzenserfahrungen, aus einer achtzehnhundertjährigen Geschichte es wissen: Zion, das ist dein König! Seele, das ist dein Herr, dein Heiland, dein Lehrer, dein Tröster, dein Helfer, dein Richter in Zeit und Ewigkeit wir sollten nicht auch von Stund an uns aufmachen, Ihm zu dienen mit frischem Eifer?

Ja wahrlich, eine Botschaft wie die, welche wir heute vernehmen, sollte wohl eine Christenseele wieder eifriger machen im Annehmen und Ausüben des göttlichen Worts, im Dienste Gottes und der Brüder; sollte wohl in einer Christenstadt wieder etwas von christlichem Leben erwecken. Wahrlich, in dieser gnadenreichen Adventszeit sollte man's merken nicht nur im Hause Gottes merken, beim Besuch an volleren Bänken, beim Gesang an froheren Stimmen, auf der Kanzel an fröhlicherem Auftun des Mundes, um den Altar an zahlreicheren Abendmahlsgästen, in den Opferbecken an reicheren Gaben, nein, auf den Straßen selbst sollte man's merken an festlicherer Stille, in den Häusern sollte man's merken an freundlicheren Gesichtern, ja auf den Krankenbetten sollte man's merken an fröhlicherem Dulden: ein neues Gnadenjahr hat wieder begonnen, zu Zion ist wieder ihr König gekommen! Ja, Zion, rüste dich, deinen König zu empfangen; kommet, wir wollen uns wetteifernd anschließen an jene Scharen, die Ihn dienend begleiten nach Jerusalem. Von den Jüngern wollen wir lernen, Ihm freudig folgen aufs Wort, wohin Er uns sendet; vom Volke wollen wir lernen Ihm huldigen mit Herzen, Mund und Händen; von den Kindern wollen wir lernen: „selig sind, die früh sich gürten, aufzusteh'n, nachzugeh'n Ihm, dem guten Hirten.“ Ein freudig Bekenntnis mit dem Munde das sei unser Hosianna. Ein freudig Dienen mit der Tat, ein williges Hingeben von Hab und Gut für die Sache des Herrn, das sei unser Kleiderbreiten, und die Palmen, die wir Ihm streuen, das sei der frische Trieb der Herzen, die Ihn grünen in frommer Liebe und Treue, wie wir gesungen:

Dein Zion streut Dir Palmen Und grüne Zweige hin,
Und ich will Dir in Psalmen Ermuntern meinen Sinn;
Mein Herze soll Dir grünen In stetem Lob und Preis,
Und Deinem Namen dienen, So gut es kann und weiß.

„In stetem Lob und Preis.“ Nicht bloß zu frischem Eifer mahnt uns das heutige Fest, sondern auch zu nachhaltiger Treue im Dienste des Herrn. Der Palmbaum bleibt Winters wie Sommers grün. Jene Palmzweige, die dort das Volk dem Heiland in den Weg gestreut, sie grünten länger als die Liebe in jenen wetterwendischen Herzen. Wo waren diese Herzen ein paar Tage darauf? War das dasselbe Volk, das am Palmtag Hosianna rief und am Karfreitag: kreuzige, kreuzige Ihn? War das derselbe Mann, der heut als ein König zur Stadt eingeholt, und wenig Tage darauf als ein Missetäter zur Stadt hinausgeschleppt wird? Soll es bei uns auch so sein, Geliebte? Soll dieser Tag, dieses Abendmahl keine bleibende Frucht zurücklassen in unserem Leben; sollen unsere Herzen auch im neuen Kirchenjahr wieder zurücksinken in den alten Kaltsinn, und unser Leben fortgehen im vorigen Sündengeleis?

Zion, Zion, siehe, dein König kommt zu dir; nicht auf ein paar Stunden bloß, sondern auf ewig will Er Wohnung machen bei dir, und Seine Treue hat kein Ende; willst du Ihm nicht treu bleiben und halten, was du so oft schon versprochen, so oft schon gebrochen eine ewige kindliche Treue?

Zion, dein König kommt zu dir; zu dir kommt Er, weil Er in der Welt draußen so wenig Glauben und Gehorsam, so wenig Dank und Liebe findet; sollte Er auch zu dir vergeblich kommen, zu Seiner Gemeinde, die doch an Ihn glaubt und Ihn ihren Herrn nennt?

Zion, dein König kommt zu dir; in einer ernsten Zeit, in einer Zeit der Heimsuchung kommt Er zu dir; bald vielleicht kommt Er mit der Worfschaufel, um Seine Tenne zu fegen; o halte aus, fahre fort, sei getreu bis in den Tod, so will Er dir die Krone des Lebens geben, und für die Palmen, die du Ihm hienieden gestreut, die Siegespalme der Überwinder dir reichen.

Zion, dein König kommt zu dir! O so komme denn, Du König des Friedens und der Gerechtigkeit, in diese Welt voll Unfrieden und Ungerechtigkeit. Komm, Du Heiland Deines Volkes, und baue Deine Kirche und mache Wohnung in Zion. Komm aufs Neue auch in dieses Gotteshaus und in diese Gemeinde, komm in diese Herzen mit Deiner Gnade, komm auf diese Kanzel mit Deinem Geist, komm auf diesen Altar mit Deinem Versöhnungsblute, komm an diesen Taufstein mit Deinem Lebensodem, komm in unsere Schulen mit Deiner Zucht, in unsere Häuser mit Deinem Frieden, in unsere Ratsäle mit Deinem Lichte, zu unserer Arbeit mit Deinem Segen, an unsere Krankenbetten mit Deiner Hilfe, an unsere Sterbekissen mit Deinem Trost. Komm zu uns in dieser armen. Zeitlichkeit, bis du kommst zum großen Advent der Ewigkeit!

Du kommst zum Weltgerichte, Zum Fluch dem, der Dir flucht;
Mit Gnad und süßem Lichte Dem, der Dich liebt und sucht.
Ach komm, ach komm, o Sonne, Und hol uns allzumal
Zum ewigen Licht und Wonne, In Deinen Freudensaal! Amen.

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