Chrysologus, Petrus - Auf den Sonntag nach Neujahr.

Chrysologus, Petrus - Auf den Sonntag nach Neujahr.

Reden von Petrus Chrysologus

Matth. 2, 13-23.

Keine Rede erklärt, kein Sinn begreift, kein Verstand erfaßt es, was es sei um das Geheimniß: Empfangen vom heiligen Geiste, geboren von der Jungfrau Maria.

Was sollen wir nun dazu sagen, daß Gott wie ein Mensch geflohen ist? „Es erschien der Engel des Herrn dem Joseph im Traume und sprach: Stehe auf und nimm das Kindlein und seine Mutter zu dir und fliehe in Egyptenland.“ Das Wort ward Fleisch, um unser Fleisch zu erneuern; Christus ist geflohen, um uns, die wir vor Gott geflohen waren, zurückzurufen. Und wenn er die Berge durchwandert, um das Schäflein, das in der Irre geht, zurückzubringen, wie sollte er nicht fliehen, um die Flüchtigen heimzuführen? „Nimm das Kindlein und seine Mutter zu dir und fliehe in Egyptenland.“ David floh vor dem verfolgenden Saul nach Judäa und fand also Schutz in der Nähe; Elias konnte sich verbergen in dem Hause einer Wittwe; da aber Christus floh, da war kein Ort, keine Provinz, kein Vaterland vorhanden, das ihn aufnahm. Egyptenland, das ihm fremd ist nach Brauch, Sprache und Sitte, muß ihm als Zufluchtsstätte dienen. „Fliehe in Egyptenland.“ Aus deinem Eigenthum in die Fremde, vom Volke Gottes zu dem gottlosen, von dem Heiligthum Gottes zu den Tempeln der bösen Geister, aus dem Lande der Heiligen in die Heimath der Götzendiener. Judäa's Größe reicht nicht aus, Judäa's Grenzen sind zu eng; der Tempel bietet keinen heimlichen Ort der Bergung, die Schaar der Priester nimmt das h. Kind nicht auf, und die Menge der Gefreundten und Bekannten birgt es nicht, also daß Gottes Sohn in das unheilige Land geführt wird. Die Noth ist so groß, daß keine Zeit bleibt, die Züchtigkeit der Jungfrau, die Mühsal der Mutter, die Schamhaftigkeit ihres Geschlechts, die Ermüdung auf der langen Wanderung, die Gefahr für Joseph und den Verfall des ganzen Hauses zu erwägen; und was härter ist als dies, daß die vom Hause Juda unter den Heiden leben sollen, mit denen sie keine Gemeinschaft haben, bei denen sie leicht Schiffbruch erleiden können durch Uebertretung des Gesetzes. O meine Brüder, wie hart ist schon eine Wanderung unter Volksgenoffen; was es sei um den heimischen Heerd, das erkennt der, welcher den fremden suchen muß. Und wo bleibt jenes Wort des Propheten: „Herr Gott, du bist unsere Zuflucht für und für“ - „Gott ist unsere Zuversicht und Stärke?“ Wenn die Zuflucht flieht, wenn die Stärke sich fürchtet, wenn die Hülfe weicht, wo ist dann Leben und Hoffnung, wo Sicherheit und Schutz? Warum wird es dem Petrus zur Sünde gerechnet, daß er verleugnet, und dem Johannes, daß er aus Furcht flieht, und den Jüngern allen, daß sie den Herrn verlassen? Und warum werden diese Geschichten in der Schrift aufgezeichnet, der Welt verkündigt, den Geschlechtern ausgelegt, also daß es jeder Zunge und an jedem Ort, jedem Alter und zu jeder Zeit bekannt ist, wie den Herrn Furcht angekommen sei? Was bedeutet es, daß der Evangelist dies zum immerwährenden Gedächtniß berichtet? Es gebührt wackern Kriegsleuten, die Flucht ihres Königs zu verschweigen, seine Beständigkeit aber zu erzählen, von seinen Tugenden zu reden, seine Furcht aber geheim zu halten, seine Tapferkeit zu verkünden, seine Schwäche zu verdecken, seine Niederlagen auszulöschen, seine Siege zu rühmen, auf daß dadurch der Trotz der Feinde gebrochen, und der Muth der Kampfgenossen belebt werde. So scheint es denn, als habe der Evangelist die ketzerischen Menschen zu ihren Schmähreden ermuntert und den Gläubigen die Vertheidigung entzogen. Wenn ein streitbarer Held im Kriege flieht, so ist das ein Zeichen feiner Kunst, nicht feiger Furcht. Wenn Gott vor einem Menschen flieht, so wird damit auf ein Geheimniß hingedeutet, nicht auf Furcht; wenn der Mächtige dem Schwachen sich entzieht, vor dem Verfolger sich nicht fürchtet, sondern denselbigen hervorlocket, so will er den Feind auf offenem Plane überwinden und vor Aller Augen den Sieg davontragen; im Verborgenen läßt der in keinen Kampf sich ein, der der Welt seinen Triumph will überkommen. Sieg im Geheimen, Tapferkeit im Verborgenen hinterläßt für die kommenden Geschlechter kein Beispiel. Christus flieht, um der Zeit, nicht um Herodes willen. Er flieht nicht vor dem Tode, er, der gekommen war, den Sieg über den Feind davonzutragen. Der gekommen war, die listigen Anläufe des Teufels aufzudecken, er erschrickt nicht vor den Nachstellungen der Menschen. Meine Brüder! Wäre Christus unter jener Schaar von Kindern und Säuglingen mit getödtet worden, so hätte er den Tod erlitten aus Zufall, nicht aus freiem Willen, aus Schwäche, nicht aus Kraft, aus Zwang, nicht aus. Hingebung; der Tod wäre ihm der Lohn der Unschuld, nicht die Krone der Herrlichkeit geworden. Und es muß erfüllt werden, was geschrieben steht: „Du sollst das Böcklein nicht kochen, dieweil es an seiner Mutter Milch ist.“ (2. Mos. 23, 19). „Es ist vorhanden, daß Herodes das Kindlein suche, das selbige umzubringen.“ Herodes suchte, aber durch Herodes suchte der Satan. Wenn schon das Kindlein, das in Windeln gewickelt, an seiner Mutter Brust ruhend, keiner Sprache kundig, keines Wortes noch Schrittes fähig, die Weisen zu treuen Führern gemacht hat, was wird Christus vermögen, wenn er ein vollkommener Mann geworden? Das siehet der Satan, und darum erregt er, der verschlagene Anstifter, die Juden und treibt den Herodes, dem Kinde, das ihm verdächtig ist, zuvorzukommen, die zukünftigen Zeichen der Macht Christi vorher wegzunehmen und das ihm tödtliche, uns aber siegverkündende Panier des Kreuzes aus dem Wege zu räumen. Der Satan merkt, daß Christus gar bald durch sein Heilswort und seine Wunderkraft das Leben erneuern, daß Er, obwohl noch ein zartes Kind, die ganze Welt selbst einnehmen werde, nach jenem Worte des Propheten (Jes. 8, 4): „Ehe der Knabe rufen kann: Lieber Vater, liebe Mutter, soll er die Macht von Damaskus und die Beute von Samarien erhalten.“1) Und wie selbst die Juden bezeugen: „Ihr sehet, daß ihr nichts ausrichtet; siehe, alle Welt läuft ihm nach.“ (Joh. 12, 19). Christus hatte im Gesetz und in den Propheten verheißen, er werde im Fleische erscheinen, an Alter zunehmen, die Herrlichkeit des Himmelreichs verkündigen, das Wort vom Glauben predigen, durch die Macht eines Wortes die bösen Geister austreiben; er werde die Blinden sehend machen, die Lahmen gehend, die Tauben hörend, den Sündern. Vergebung und den Todten Leben bringen; und weil er dies als Mann erfüllen sollte, darum hat er als Kind den Tod verschoben, nicht geflohen. Endlich berichtet der Evangelist, daß die Flucht des Herrn nicht aus Furcht vor der Gefahr, sondern zur Erfüllung der göttlichen Weissagung geschehen sei. „Nimm das Kindlein und seine Mutter zu dir und fliehe in Egyptenland - - auf daß erfüllet würde, das der Herr durch den Propheten gesagt hat, der da spricht: Aus Egypten habe ich meinen Sohn gerufen.“ Christus floh also, damit die Wahrheit des Gesetzes, die Verheißung der Propheten und das Zeugniß des Psalmisten bestände, wie denn der Herr selbst spricht: „Es muß Alles erfüllet werden, was von mir geschrieben ist im Gesetz Mosis, in den Propheten und in den Psalmen.“ (Luc. 24, 44.) Christus floh um unsertwillen, nicht um seinetwillen. Und in Zeiten der Verfolgung ist es besser zu fliehen, als zu verleugnen. Petrus verleugnete, weil er nicht fliehen wollte; Johannes floh, weil er nicht verleugnen wollte. „Da Herodes nun sahe, daß er von den Weisen betrogen war, ward er sehr zornig, und schickte aus, und ließ alle Kinder zu Bethlehem tödten und an ihren Grenzen.“ Da er nun sahe, daß er von den Weisen betrogen war: die Gottlosigkeit ist betrübt, weil sie zu Spott geworden, die Grausamkeit wüthet, weil sie ihr Werk verzögert sieht, die Arglist tobet, weil sie getäuscht worden, und die Falschheit wird mit sich selbst uneins, weil die Strafe auf das eigene Haupt zurückgefallen ist. Herodes knirscht mit den Zähnen, denn er ist in die Stricke gefallen, die er Andern gelegt. Und nun werden seine boshaften Anschläge offenbar. Aus den Händen der Treue nimmt er die Waffen der Untreue. Er trachtet mit irdischem Grimm nach dem Kinde, von dem er nicht glaubt, daß es vom Himmel gekommen sei. Er schickt Söldner aus, die zarten Kindlein, die das Licht dieser Welt kaum gesehen, in die Finsterniß des Todes zu stürzen.

So denkt er, der Lehrer der Bosheit, der Knecht des Truges, der Meister des Zornes, der Erfinder des Verbrechens, der Urheber der Gottlosigkeit, der Räuber der Frömmigkeit, der Feind der Unschuld, der Widersacher der Natur, ein Bösewicht gegen Alle, ein größerer Bösewicht gegen die Seinen, der größte Bösewicht gegen sich selbst. Er fährt hoch her und stürzt aus der Höhe; er stürmt auf den Himmel ein und wird verstoßen in die Hölle. Wer wider Gott streiten will, streitet wider sich selbst. Wer das Leben tödten will, tödtet sich selbst, denn das Heil erlangt man nicht auf dem Wege des Unheils, das Leben nicht durch Morden, die Seligkeit nicht nach einem Ende voll Schrecken. O wie blind ist doch immer der Ehrgeiz, wie verworfen die Gewaltthätigkeit! Wer die Hand ausstreckt nach dem Verbotenen, verliert, was er hat. Herodes besitzt ein irdisches Reich, und kämpft wider das Himmelreich; er ist verstrickt in den Gütern dieser Welt, und erhebt sich in verwegener Weise wider die Gnadengaben Gottes und verfolgt mit aller Gottlosigkeit die Gottseligkeit. Er hatte gehört von dem neugeborenen König der Juden, er hatte gefragt nach dem Ort und der Zeit, nach der Abstammung und Bestimmung, aber was für ein König das sei, darnach hat er nicht gefragt, denn die Liebe zur Sünde, nicht die Liebe zur Gerechtigkeit wohnte in seinem Herzen. Wer unter die Sünde verkauft ist, zur Uebertretung geneigt und zum Verbrechen bereit, der achtet keines Rechten der Unschuld, sondern hebt das Gesetz auf, verdammet den Gerechten und spricht dem Gottlosen Recht. Wer sich zur Bosheit gesellet, Aufrichtigkeit hasset und Freundschaft machet mit der Ungerechtigkeit, der lebt von Frevelthaten, gehet den Weg Kains und hält es nur mit der Furcht, nicht mit der Liebe. So verblendet forscht Herodes mit dem Schwert nach Christo, geht ihm nach auf blutigem Wege und sucht ihn auf mit grausamer Hand; er fürchtet den Nachfolger und verfolgt den Urheber, er tödtet die Unschuldigen, um die Unschuld zu verderben. Der dazu gesetzet ist, das Volk zu regieren, über gute Sitte zu wachen, Zucht und Ordnung aufrecht zu erhalten, auf Gerechtigkeit zu sehen, die rechtschaffenen Herzen zu beschirmen, die Unschuldigen zu befreien - sein Wort ist's, daß die Erscheinung des Schuldlosen den Unschuldigen zum Verderben gereicht, daß sich die Gnadengabe, die uns in dem neugeborenen Christus dargeboten wird, in eine Strafe für die Kindlein verkehret, daß der Aufgang aus der Höhe ihnen zum Untergang wird, daß das Kommen des Erlösers die, so erlöst werden sollen, in die größte Gefahr stürzet. Sonst pflegt der Richter die Verklagten vor sich zu fordern, die Redenden zu fragen, die Leugner zu überführen, in die Schuldigen zu dringen, die Ueberführten zu verurtheilen, die Mitwissenden greifen zu lassen, die Theilnehmer zu verdammen und die Missehäter zur Strafe zu ziehen. Was ist's nun um die Kindlein? Ihre Zunge hat geschwiegen, ihre Augen haben nichts gesehen, ihre Ohren nichts gehört, ihre Hände nichts gethan, woher nun ihre Schuld? Die das Leben noch nicht kannten, wurden am Leben gestraft; die Welt stand ihnen nicht bei; ihr zartes Alter entschuldigt sie nicht, ihr Schweigen schützt sie nicht; daß sie geboren sind, das allein gereicht ihnen bei Herodes zum Verbrechen. Warum aber hat Christus, vor dessen Augen alles bloß und entdecket ist, warum hat der Herzenskündiger die verlassen, von denen er wußte, daß man nach ihnen forschen, daß man sie tödten würde um seinetwillen? Warum hat der neugeborene König, der Herr vom Himmel, sich nicht bekümmert um die Streiter für seine Unschuld, um das Heer, das gleichen Alters mit ihm war? Warum hat er die Wächter seiner Kindheit also verlassen, daß der Feind, der nur nach dem König forschen sollte, gegen jeden Unterthan wüthen durfte? Meine Brüder! Christus hat seine Streiter nicht gering geachtet, sondern zu Ehren gebracht. Wem hat er je die Siegespalme vor dem Lebenskampfe gereicht? Wann hat er einen gekrönt, der nicht zuvor ein Glied war an einem Leibe? Wen hat er überhoben der Versuchungen dieser Zeit, wem den Himmel früher eingeräumt als die Erde? So ließ denn Christus seine Streiter vorangehen, nicht verloren gehen; er verließ nicht seine Schaaren, sondern nahm sie auf Selig die Kindlein, da sie für das Märtyrerthum, nicht für die Welt geboren sind. Selig sie, welche die Arbeit mit der Ruhe, den Schmerz mit der Erquickung, die Trauer mit der Freude vertauscht haben. Die leben, welche wahrhaft leben und für Christus sterben dürfen. Selig die Leiber, die solche Kindlein getragen, und die Brüste, die sie gesäuget haben. Selig die Thränen, die um solcher Kindlein willen sind vergossen worden: Sie haben den Weinenden gleichsam die Gnadengabe der Taufe dargereicht. Die Mütter empfangen die Thränentaufe, die Kindlein die Bluttaufe.

Gleichwie die Mütter des Leidens viel gehabt, also sind sie auch reichlich getröstet worden. Aber dabei soll Jedermann erkennen, daß das Märtyrerthum nicht als ein Verdienst gilt, sondern eine Gnade Gottes ist. Denn wo ist bei diesen Kindern die Bereitwilligkeit und der freie Entschluß zu finden? Nicht uns, sondern dem Herrn gebührt die Ehre des Märtyrerthums. Den Satan unter unsere Füße treten, den Leib dahin geben, sich nicht mit Fleisch und Blut besprechen, Marter zu erleiden, die Peiniger zu ermüden, die Herrlichkeit für die Schmach, das Leben für den Tod zu erwählen - das ist nicht ein Werk menschlicher Kraft, sondern vielmehr eine Gnade Gottes. Wer sich zum Märtyrerthume drängt, der empfängt nicht die Krone von der Hand des Herrn. Er selbst, der nicht verschmähet hat, im Stalle zu liegen, führe uns zu der Himmelsweide. Er unser Herr Jesus Christus, der da lebet und regieret von Ewigkeit zu Ewigkeit. Amen.

Quellen: Kessler, Hermann/ Senf, Friedrich - Fromme Betrachtungen aus alten Tagen. Nach der Ordnung des Kirchenjahres

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Nach der Vulgata
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