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Besser, Friedrich Wilhelm - Predigt am ersten Adventssonntage 1873.
Römer 13, 11-14.
Text: Und weil wir solches wissen, nämlich die Zeit, dass die Stunde da ist, aufzustehen vom Schlaf, sintemal unser Heil jetzt näher ist, denn da wir es glaubten. Die Nacht ist vergangen, der Tag aber herbeigekommen; so lasst uns ablegen die Werke der Finsternis, und anlegen die Waffen des Lichts. Lasst uns ehrbarlich wandeln, als am Tage; nicht in Fressen und Saufen, nicht in Kammern und Unzucht, nicht in Hader und Neid; sondern zieht an den HErrn Jesum Christum, und wartet des Leibes, doch also, dass er nicht geil werde.
„Nach Dir, HErr, verlangt mich. Mein Gott, ich hoffe auf Dich. Lass mich nicht zu Schanden werden, dass sich meine Feinde nicht freuen über mich.“ Mit diesen Worten des 25. Psalms begrüßte sich die alte Christenheit an dem ersten Morgen eines neuen Kirchenjahres! Und was will ein Menschenherz mehr, was wünscht es sehnlicher, als dass sein Verlangen gestillt werde! Es hat zu diesem Zweck die alte Kirche die heilige Adventszeit ebenso fast wie die heilige Fastenzeit als Bußzeit aufgefasst und was sind es nun für Gedanken gewesen, die sie zu solcher Auffassung bewogen haben? Geliebte! Es geht der Weg zur Weihnacht nur durch das Tal der Demütigung und durch das Tor der Buße! Johannes der Täufer, der Vorläufer des HErrn, der Engel, der vor dem HErrn hergesandt wurde, rief in seine Zeit hinein: „Tut Buße, denn die Art ist den Bäumen schon an die Wurzel gelegt“. Wie oft wie oft hast du, liebe Seele, in deinem Leben schon die Stimme, die Stimme des ersten Adventsonntages „Siehe, dein König kommt zu dir sanftmütig“ vernommen? wie oft ist es dir angepriesen worden in dieser Zeit, dass das Vaterherz deines Gottes sich öffne wie oft schon? Heut ist nun wieder so ein Abschnitt in deinem Christenleben - heut wird wieder so ein Denkstein gesetzt und derselbe mahnt zu einem Rückblick und zu einem Vorblick - zu einem Überschlag der geistlichen Ernte, die wir in dem vergangnen Kirchenjahr gehalten. Ach Geliebte - da wird es sich finden, dass uns Buße, Buße sehr not ist, wenn wir in diese heilige Zeit eintreten! Der HErr wolle uns eine ernste Adventszeit dies Jahr schenken, in der wir uns wieder waschen lassen durch unsern hochgelobten Heiland, in der wir trinken aus dem Brunnen des Heils, der uns so nahe wahrhaftig so nahe herbeigerückt ist. Dazu lasst uns das Wort unsrer heutigen Epistel betrachten.
„Und weil wir solches wissen,“ schreibt St. Paulus an die Römer. Er schreibt ihnen eine heilige Wissenschaft zu: „ihr wisst, dass die Zeit und Stunde da ist, aufzustehen vom Schlafe, sintemal unser Heil jetzt näher ist, denn da wir es glaubten.“ Nun, auch wir wissen, dass eine neue Zeit für uns da ist, dass wir jener Stunde noch so viel näher gekommen sind, und darum ruft die heilige Schrift in diesem Text uns zu: Benützet eure Zeit für die Ewigkeit. Wir fragen: 1. Welches ist unsre Zeit? 2. Wie stellen wir es recht an, sie für die Ewigkeit zu benützen? St. Paulus beschreibt den Römern ihre Zeit. Da ihr solches alles wisst solches, wie euer Wandel sein soll in der Liebe, in gutem Werk wie es euch ziemt weil ihr solches alles wisst, um so wichtiger ist es, dass ihr aufsteht vom Schlaf, „denn das Heil ist näher, denn da wir es glaubten“. Was meint der Apostel damit? Nun er meint nichts anderes, als die Offenbarung des Heils in Christo, die sie angefangen hatten zu glauben, und was St. Johannes meint, wenn er schreibt: „Wir sind Gottes Kinder und ist noch nicht erschienen, was wir sein werden“. Dieses Heil, diese Erscheinung davon rückt immer näher! Unser Textwort erinnert oder bringt auch an dich, lieber Christ, eine Frage die Frage: Wie lange kennst du den HErrn Jesum als deinen Heiland. Ach dass z. B. alle Konfirmanden antworten könnten: „seit meiner Konfirmation“. Freilich Er hat dich je und je geliebt und gekannt, Sein erster Advent war, als er zu dir kam in der heiligen Taufe; jedoch, wie lange bist du zum Bewusstsein deiner Taufe gekommen und hast dir angeeignet das Heil in Christo? Nun wenn ihr erlebt habt die Geschichte vom verlornen Sohn, wenn ihr überdrüssig geworden seid der Träber, die die Welt euch gab, wenn ihr es erlebt habt, dass Er ein Hirte ist, der das verlorne Schäflein sucht und auf Seine Achseln nimmt näher seid ihr dann der Erscheinung des HErrn gekommen, und wenn ihr's erfahrt Er kann und will mich selig machen, Er macht mich wahrhaftig selig schon hier und schenkt mir auch dann und wann etwas zu schmecken von der Wollust Seiner allerseligsten Nähe näher seid ihr dann der Erscheinung des HErrn gekommen und damit auch eurem jüngsten Tag. Ach lasst uns doch einmal dies Jahr das neue Kirchenjahr recht nüchtern ansehen! es könnte doch das letzte Gnadenjahr sein. Fragen wir uns - sind wir wirklich unserm seligsten Ereignis, einem seligen Abschied näher gekommen? Oder ist das Wort „Abschied“ dir noch schrecklich, erfüllt es dich noch mit Furcht; ist dir der Spruch: „Nach Dir, HErr, verlangt mich, heim zu fahren in Dein Paradies,“ ist dir der noch nicht zur Wahrheit geworden? vernimmst du noch nichts davon, was das heißt? Ist der harte Stein in deiner Seele, der da heißt „Irdischer Sinn“, ist der noch nicht zerschlagen? Siehe, liebe Seele bei dieser Frage sprichst du wohl nein, das passt noch nicht auf mich ja, der Stein liegt noch da und ist unzerschlagen - nun, wenn es noch nicht passt - es soll doch auch auf dich passend werden, denn siehe, jetzt ist unsre Zeit, unsre Zeit, die Zeit der Geduld Gottes, dass Er noch solche Jünger und Jüngerinnen aushalten kann, wie wir sind. Es wendet in dieser Gnadenzeit der allmächtige Schöpfer, dem Sein Geschöpf unvergesslich bleibt, und der Heiland, dem Sein vergossenes Blut zu teuer, als dass Er es umsonst vergossen haben sollte, und der heilige Geist, den Seine am Pfingstfest reichlich ausgeströmten Gaben und Gnaden nicht gereuen, der heilige dreieinige Gott wendet wieder Sein Angesicht zu dir; benütze du doch Seine Zeit für die Ewigkeit. Aber was gehört denn nun zu solchem „Benützen“? Der Apostel mahnt die Römer an die vorgerückte Zeit, da die Nacht des Heidentums längst hinter ihnen lag da es Morgen geworden sei. Will ich die Zeit benützen, so soll ich bedenken, dass die Stunde wahrhaftig da ist, aufzustehen vom Schlafe - der Morgen weit vorgerückt in den Mittag hinein, ich soll ablegen die Nachtgewänder, in denen es unschicklich ist, auf die Straße zu gehen, soll „ehrbarlich“ wandeln, als am Tage. Nicht, dass wir aus uns selber hervorbringen könnten einen „ehrbaren“ Wandel, oder dass gute Vorsätze zu dem Ziele uns führen könnten, dass wir die heilige Keuschheit, die Liebe, den Frieden aus uns selber hervorbringen könnten, nein sondern „zieht an den HErrn Jesum Christum“ ermahnt Paulus.
Wie benütze ich meine Zeit recht für die Ewigkeit? Zuerst soll ich darauf achten, dass St. Paulus es für nötig gehalten hat, an die Römer die, so weit wir wissen, etwa seit zwanzig Jahren in dem Glauben an den HErrn standen, an Leute, von deren Glauben man in der ganzen Welt sagte - zu schreiben: „die Stunde ist da, aufzustehen vom Schlafe“. Ach ja nicht bloß die törichten Jungfrauen, die nicht mit dem Bräutigam ins Himmelreich hinein kommen, weil es für sie zu spät geworden, nicht bloß die entschliefen, sondern die klugen auch. Und wenn ich an den steinigen Boden denke, ja von dem rechten Laststein spreche, der unser Christenleben hemmt und beschwert, so müssen wir ihm den Namen „Trägheit“ geben und die Predigt an die richten, welche unter diesem Laststein täglich seufzen müssen. „Aufzustehen vom Schlafe“ ermahnt der Apostel hier; nicht tote in Sünden tote, ungläubige Leute, sondern dich - liebe Seele dich meint er mit diesem Worte, die du zu deinem tiefsten Schmerz erfährst, was die Erde noch für eine Macht über dich auszuüben vermag. „Meine Seele schreit und dürstet nach dem lebendigen Gott“ und doch, es ist das Geheimnis unsrer Schmach und Schande, dass wir uns hier in diesem Lande der Verbannung so fest bauen wollen wie lange hält die Adventsstimmung vor - wo in unsern besten Stunden wir nichts sehnlicher wünschen, als dass unser Verlangen nach dem lebendigen Gott gestillt werde wie lange hält sie an? O HErr, wir schämen uns und halten es für sehr nötig, dass uns mal wieder recht in die Ohren geschrien werde, dass die Stunde da ist, aufzustehen vom Schlafe. Aber auch wenn dich der Stein mal wieder recht drückt, dann halte es für Trost, dass solche Texte in der Bibel stehen, und zwar für Gläubige in der Schrift stehen. - Lass dich lieber Christ, durch die Erfahrung der jämmerlichen Trägheit, die dich oft erfüllt, nicht zur Verzweiflung bringen - es ist traurig - freilich sehr traurig, dass es so mit dir steht - aber dass dein angefangener Glaube deshalb Heuchelkram sei, das ist nicht der Fall. Aber nur, dass du dich darin nicht beruhigen magst, dir das vorgesteckte Ziel nicht aus den Augen schwinden lässt, sondern aufstehst aufs Neue und ablegst die Werke der Finsternis. Welche Werke sollen wir nun ablegen, wenn wir ehrbarlich wandeln wollen? Das weißt du, lieber Christ so gewiss und genau, dass es einer Überführung davon nicht bedarf. Es ist nicht möglich, dass du das Jesuskind solltest können auf den Arm nehmen und doch in allen diesen Sünden leben wollen, die hier der Apostel nennt. Aber die Römer wussten es auch, und doch war es ihnen nötig, dass sie ermahnt wurden abzulegen die Werke der Finsternis „Fressen und Saufen - Kammern und Unzucht - Hader und Neid“ - nicht bloß schwelgerische Gelage sind hier gemeint sondern was dazu dient, der Lust und nicht der Notdurft zu pflegen. Wir schlagen die Augen nieder bei dieser Mahnung des Apostels, denn der HErr kennt unser Herz aber weil Er größer ist, denn unser Herz, schlagen wir sie auch wieder auf zu dem, der uns auch wieder sagen und bitten lässt : o bitte, benützet die Zeit für die Ewigkeit. Wartet des Leibes dazu, dass eine Seele darin wohnen könne, die ein Jesus gewaschen hat von allen ihren Sünden; wartet des Leibes dazu, dass ihr Gott und euren Brüdern damit dienen könnt.
Ihr kennt ja wohl die Geschichte, wie einst der Kirchenvater Augustinus im innersten Seelenkampfe eine singende Stimme als eines Engels Stimme vernahm, die ihm zurief: Nimm und lies, und wie er alsbald im Römerbrief auf die Schlussstelle unserer Epistel traf. „Da drang,“ schreibt er in seinen „Erkenntnissen“, „ein klares Licht in meine Seele, das mich fest und sicher machte meines Weges, alle Finsternisse meines Schwankens flohen dahin.“ Und ich, als ein verordneter Engel, ein Diener an Gottes Wort, sage auch dir, mein Christ: nimm und lies, nimm und lies und ziehe an den HErrn Jesum Christum. Der heilige Augustinus hat es hernachmals nicht zur Regel gemacht, durch solch Schriftaufschlagen Gott zu einer Äußerung Seines Willens zwingen zu wollen, lasse auch du dir nur sagen: „nimm und lies“ und dein Heiland wird dir geben, was deine Seele bedarf und dein Herz stillt.