Bacon, Francis - Von der Verstellung und Heuchelei.

Bacon, Francis - Von der Verstellung und Heuchelei.

Die Heuchelei ist nur eine schwächliche Art der Staatsklugheit oder Weisheit, denn es erfordert einen gesunden Verstand und ein starkes Herz zu wissen, wann die Wahrheit gesagt und darnach gehandelt werden muss; deshalb ist es die zaghaftere Gattung von Staatsmännern, welcher die großen Heuchler angehören.

Tacitus sagt: „Livia schickte sich gut in die Verschlagenheit ihres Gatten und die Heuchelei ihres Sohnes, indem sie dem Augustus Verschlagenheit oder Klugheit, und dem Tiberius Heuchelei beimaß“; und ferner, da Mucianus den Vespasian anspornt, gegen Vitellius die Waffen zu ergreifen, sagt er: „Wir erheben uns nicht wider das durchdringende Urteil des Augustus, noch gegen die äußerste Vorsicht oder Verschlossenheit des Tiberius.“ Diese Eigenschaften der Verschlagenheit oder Klugheit, und der Heuchelei oder Verschlossenheit sind zwar verschiedenartige Gewohnheiten und Fähigkeiten, und wohl zu sondern; denn Wer ein so durchdringendes Urteil besitzt, dass er zu unterscheiden vermag, was bloßgelegt, was verschwiegen, und was im Halbdunkel gezeigt werden müsse, und Wem oder wann (dies ist in der Tat Staats- und Lebensklugheit, wie Tacitus es passend nennt), für einen Solchen ist die Heuchelei ein Hindernis und eine Nichtswürdigkeit. Wer dagegen mit einem solchen Scharfsinn nicht begabt ist, dem bleibt gewöhnlich Nichts übrig als verschlossen und ein Heuchler zu sein; denn wo man im Besondern nicht zu wählen und sich zu wenden versteht, da ist es gut, den sichersten und langsameren Weg im Allgemeinen einzuschlagen, gleichwie Derjenige gemach geht, welcher nicht gut sehen kann. Sicherlich, die fähigsten Männer, die es je gegeben, besaßen allesamt Offenheit und Freiheit im Verkehr, wie den Ruf der Zuverlässigkeit und Aufrichtigkeit: allein sie glichen wohlgezähmten Rossen, denn sie wussten sehr wohl, wo es nötig war zu halten oder umzuwenden; und wenn sie je zu einer Zeit, da sie glaubten, ein Fall bedürfe wirklich der Verstellung, von derselben Gebrauch machten, so geschah es, dass jene früher verbreitete Meinung von ihrer Redlichkeit und Geradheit im Handeln solche fast unbemerkbar machte.

Es gibt drei Grade dieses Sich-Verbergens und -Verhüllens: erstlich, Verschlossenheit, Zurückhaltung und Verschwiegenheit: wenn Jemand sich keinen Beobachtungen oder Blößen aussetzt, die ihn in seiner wahren Gestalt zeigen; zweitens, Verstellung in negativer Form, sofern Jemand Zeichen und Bemerkungen fallen lässt, auf dass er nicht scheine was er ist; und drittens, Heuchelei in positiver Form, wenn Jemand absichtlich und ausdrücklich fälscht und vorgibt, Etwas zu sein, was er nicht ist.

Hinsichtlich des ersten Grades, der Verschwiegenheit, so ist sie allerdings die Tugend eines Beichtigers; und sicherlich hört der Verschwiegene viele Geständnisse, denn wer wird sich einem Schwätzer oder Plauderer anvertrauen? Wenn aber Jemand für verschwiegen gehalten wird, so ladet er zur Mitteilung ein, gerade wie die spärlichere Luft die reichlichere aufsaugt; und wie bei einer Beichte die Enthüllung nicht weltlicher Zwecke wegen, sondern zur Erleichterung des Herzens gemacht wird, so gelangen die Verschwiegenen zur Kenntnis vieler Sachen dieser Art, so lange die Menschen ihr Gemüt lieber entladen, als einander mitteilen. Kurz, Geheimnisse sind die Folge der Verschwiegenheit. Übrigens (um die Wahrheit zu gestehen) ist die Nacktheit ebenso unziemlich für den Geist wie für den Leib; und die Sitten und Handlungen der Menschen gewinnen nicht wenig an Würde dadurch, dass sie nicht ganz und gar unbedeckt sind. Was Schwätzer und plauderhafte Menschen anbetrifft, so sind sie gemeiniglich eitel und leichtgläubig; denn wer ausplaudert, was er weiß, wird auch ausplaudern, was er nicht weiß. Daher sei man überzeugt, dass die Übung der Verschwiegenheit so klug wie sittlich ist. Und demgemäß ist es gut, dass Jemandes Antlitz seiner Zunge zu sprechen gestatte; denn die Bloßlegung des Innern eines Menschen durch den Ausdruck seines Gesichts ist eine um so größere Schwäche und Unvorsichtigkeit, als sie bei weitem leichter wahrgenommen und geglaubt wird als seine Worte.

Hinsichtlich des zweiten Grades, nämlich der Verstellung, so folgt sie der Verschwiegenheit oftmals gezwungener Weise, so dass Derjenige, welcher verschwiegen sein will, in gewissem Maße Heuchler sein muss; denn die Menschen sind zu gewandt, um zu dulden, dass Jemand zwischen Beidem eine gleichgültige Haltung bewahre und verschwiegen sei, ohne die Wage nach einer Seite hin sinken zu lassen. Sie werden ihn so mit Fragen bestürmen und fortreißen, und es aus ihm herausklauben, dass er, falls er nicht in albernem Schweigen verharrt, eine Neigung irgendwohin verraten muss; wo nicht, so werden sie aus seinem Schweigen ebenso viel ernten als aus seinen Reden. Was Zweideutigkeiten und geheimnisvolle Andeutungen angeht, so können sie sich nicht lange halten: so dass Niemand verschwiegen sein kann, der sich nicht ein wenig Spielraum zur Verstellung erlaubt, die gleichsam das Gewand oder die Schleppe der Verschwiegenheit ist.

In Betreff des dritten Grades aber, des der Heuchelei und Scheinheiligkeit, so halte ich dieselben für sträflicher und weniger klug, es sei denn in sehr wichtigen und ungewöhnlichen Angelegenheiten; und deswegen ist die Gewohnheit der Heuchelei (die den höchsten Grad ausmacht) ein Laster, welches entweder aus natürlicher Falschheit oder Feigheit, oder aus einem Gemüt entspringt, das mit einigen Hauptfehlern behaftet ist, durch welche Jemand, um sich zu verbergen, zur Übung der Heuchelei auch in andern Dingen veranlasst wird, damit seine Fertigkeit nicht außer Gebrauch komme.

Die großen Vorteile der Verstellung sind dreifach: erstens, Einschläferung des Widerstandes, und Überraschung; denn wo Jemandes Absichten offenkundig sind, da werden sie zum Waffenruf an Alle, die ihnen entgegen stehen; zweitens, dass man sich einen offenen Rückzug bewahre, denn wenn sich Jemand durch eine unverhüllte Erklärung verbindlich gemacht hat, so muss er sie durchführen oder zu Falle kommen; drittens, dass man das Vorhaben eines Andern leichter durchschaue, denn gegenüber Jemandem, der sich erschließt, werden wir uns kaum als Widersacher zeigen, sondern ihn - gemächlich - fortfahren, und unsere Redefreiheit in Denkfreiheit umwandeln lassen. Und deshalb ist es ein recht arglistiges Sprichwort der Spanier; „Sage eine Lüge und entdecke eine Wahrheit“, als ob es gar kein anderes Mittel zur Entdeckung gäbe als Heuchelei. Es gibt auch dreierlei Nachteile, um das Gleichgewicht herzustellen: erstlich, dass Verstellung und Heuchelei gewöhnlich eine Furchtsamkeit zur Schau tragen, welche bei jedem Geschäft die Federn verdirbt, die den Pfeil geradeswegs ins Schwarze führen; zweitens, dass sie Viele in ihren Meinungen verwirren und stutzig machen, die sich Einem sonst angeschlossen hätten, so dass man fast einsam seinem eigenen Ziele zuschreiten

Der dritte und größte ist der, dass sie dem Menschen seine vornehmsten Werkzeuge zum Handeln rauben, nämlich Treue und Glauben. Die beste Mischung und Beschaffenheit besteht darin, einen Ruf und Namen für Offenherzigkeit, die Gewohnheit der Verschwiegenheit, rechtzeitige Übung der Verstellung, und die Macht zur Heuchelei zu besitzen, wo es kein anderes Mittel gibt.

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