Zwingli, Huldrych - Von der göttlichen und menschlichen Gerechtigkeit.
Da sich zu unserer Zeit die göttliche Gerechtigkeit durch das Gotteswort mehr als seit vielen hundert Jahren offenbaret, wollen doch einige Menschen sie nicht so annehmen, wie man sie annehmen soll; denn obgleich sie auf sie horchen, wollen sie dieselbe ihren Anfechtungen und Begierden dienstbar machen. Die Vorgesetzten sehen in ihr eine solche Schönheit, daß kein Mensch zu ihr hinzugelangen vermag. Wenn Gott z. B. will, daß man weder bei ihm, noch beim Himmel, noch bei der Erde, noch bei unserem Haupte schwöre: sehen sie wohl, daß wir diesem Gebote nicht nachzukommen vermögen. Hier meinen sie nun, man solle inne halten mit dem Gebote über den Eid, bis es ihnen gefalle; denn es seien Etliche, welche, wenn sie gleich einen aufrichtigen, redlichen Eid geschworen, dennoch vermeinen, nicht schuldig zu sein, denselben zu halten; denn man solle, nach dem Worte Christi, keinen Eid schwören, Matth. V. 34. Dagegen gibt es auch Einzelne unter der gemeinen Menge des Volkes, welche, sobald sie hören, daß Christus uns heiße: wenn man uns den Rock nehme, sollen wir den Mantel auch lassen, nur nehmen lernen wollen, und nicht bedenken, daß solche Gebote sie eben so wohl berühren, als alle übrigen Christenmenschen; daß auch sie eher Rock und Mantel lassen sollen, als sich zu wehren, geschweige denn Andern das Ihrige zu nehmen. Darum hat es mir nöthig geschienen, diese folgende Predigt, die ich von der göttlichen und menschlichen Gerechtigkeit am Sanct. Johannis des Täufers Tage gehalten habe, wie folgt, in Schrift zu fassen und sie heraus zu geben; damit diejenigen, welche gegenwärtig zehnmal mehr Muße haben, als ich, veranlaßt werden, genauer diese Angelegenheit zu erforschen. Und damit man sehe, wie die göttliche Gerechtigkeit und die arme menschliche Gerechtigkeit sich zu einander verhalten, will ich zuerst von der göttlichen reden.
Gott ist nicht allein insofern gerecht, als er einem Jeden das Seine gibt, wie die Menschen die Gerechtigkeit beschrieben haben. Denn wenn wir ihn mit diesem Maßstabe messen wollten, so kämen wir dahin, als ob wir ohne ihn Etwas wären. Was ist aber unser? Nichts: Alles, was wir sind und haben, ist sein. Er ist aber in einer anderen Weise gerecht; sonst würde er Niemandem Etwas geben; denn er ist Niemandem Etwas schuldig. Er ist aber dergestalt gerecht, daß er der unversiegbare Quell ist aller Unschuld, Frömmigkeit und Gerechtigkeit und alles Guten; denn er ist selbst wahrhaft die Gerechtigkeit, Frömmigkeit und alles Gute selbst, so daß Nichts fromm und gerecht, noch gut ist, als was aus ihm kommt. Gleichwie er nicht allein wahrhaft ist, sondern die Wahrheit selbst, Joh. XIV, 6: also ist er nicht allein gerecht, sondern die unbefleckte Gerechtigkeit selbst, die so lauter und durchaus rein ist, daß in ihr keinerlei Trübung durch irgend welche Unlauterkeit der Anfechtungen stattfindet. Denn Alles, was irgend gemischt oder zusammengesetzt ist, kann nicht ewig sein; nun ist aber Gott das ewig Gute: darum muß er, der die Gerechtigkeit ist, unvermischt sein, fremd von allen Anfechtungen und eigennützigen Begierden.
Diese also lautere, reine, unvermischte Gerechtigkeit Gottes sehen wir an seinem eigenen Worte. Denn gleichwie ein böser Mensch aus dem bösen Schatz seines Herzens Böses hervorbringt, Luc. VI. 45, also bringt Gott, der allein gut ist, Mark. X. „8, aus seinem Herzen nichts als Gutes, aus welchem Ausflusse des Gerechten und Guten wir den ursprünglichen Brunnen, wie den Baum aus der Frucht, erkennen. So erkennt man Gottes Gerechtigkeit an seinem Worte. Wenn nun sein Wort - wie David, Psalm XII, 7 spricht: „Des Herrn Reden sind rein, sie sind wie Silber, geläutert in der Werkstatt, von Erde gereiniget sieben Mal“ - so gut gereiniget ist von der Erde, so muß nun folgen, daß sich darin Nichts findet, was nach irdischen Anfechtungen riecht. Daher können wir wohl ermessen, daß die göttliche Gerechtigkeit so hoch über die menschliche ist, so hoch Gott über den Menschen. Daraus folgt, daß wir seine Gerechtigkeit nicht erreichen, das ist, daß wir die Vollkommenheit seiner Schönheit, Unschuld und Reinheit nicht erlangen können.
Dennoch fordert Gott, daß wir seien wie er, wenn wir anders bei ihm zu wohnen wünschen. Denn wie ein Hausvater keinen Diener unter seinem Gesinde duldet, der nicht gleich gesittet ist, wie er, also duldet Gott noch viel weniger Jemanden in seinem Reiche, der nicht nach seiner Schönheit und Unschuld gestaltet, der nicht so rein ist, wie er den ersten Menschen erschaffen hat. Dieses deutet uns Christus an, Matth. XXII, 11, im Gleichnisse von dem zur Hochzeit Geladenen, der aber, weil er kein Hochzeitkleid anhatte, hinausgeworfen wurde. Nun hat doch der Herr, der zur Hochzeit laden ließ, geheißen die Armen, Kranken, Blinden und Lahmen berufen, Luc. XIV, 21. Demnach müssen sie der Gestalt rein sein, wie er es fordert. Denn Gott ist ein ewig verzehrendes Feuer, bei dem Niemand wohnen kann, der irgend Etwas an sich hat, was der Natur des Feuers fremd oder zuwider ist; sondern was bei ihm wohnen will, muß heilig, fromm, lauter und rein sein, wie auch er es ist. Das zeigt Jesajas an, XXXIII, 14-17. „Wer mag wohnen bei dem fressenden Feuer, wer wohnen bei diesen ewigen Gluthen? Wer in Gerechtigkeit wandelt und Redlichkeit spricht, wer ungerechten Gewinn verschmäht, wer seine Hand schüttelt, nicht Bestechungen zu nehmen, wer sein Ohr verstopft, nicht Blutrache zu hören, und seine Augen, nicht Unrecht zu schauen: der wohnet auf Höhen; Felsenburgen sind sein Schutz; sein Brod wird ihm gegeben; sein Wasser versiegt nie. Den König in seiner Herrlichkeit schauen deine Augen; sie schauen fernes Land.“ Mit diesen Worten will Jesaias anzeigen, wie die beschaffen sein müssen, die bei Gott wohnen wollen. Und der Inhalt der Antwort ist: daß sie in jeder Beziehung unschuldig sein müssen. So redet auch David im XV. Psalmen: „Herr, wer darf weilen bei deinem Zelte, wer wohnen auf deinem heiligen Berge? Wer untadelig wandelt, und Gerechtigkeit übt, und Wahrheit redet von Herzen.“ Hier spricht David beinah in den gleichen Worten, wie Jesaias, wiewohl David älter ist, so daß man aus den Worten sehen kann, daß es aus einem Geiste fließt. Dieses Alles hat Christus in wenige Worte zusammengefaßt: Selig, die reines Herzens sind; denn sie werden Gott schauen.“ Was ist nun ein reines Herz, oder welches Herz ist rein? Kein Herz auf Erden; denn welches ist ganz frei von Eigennutz, Einbildung, oder allenthalben unverstellt? was doch Gott durchaus fordert, wie bald folgen soll.
Hier müssen wir im Vorbeigehen das Evangelium kund thun. Wir haben hier klar vernommen, daß Niemand zu Gott komme, er sei denn fromm, rein, gerecht und unschuldig, wie Gott es fordert; denn er spricht, Levit. XX, 7: „Seid fromm, rein oder gerecht; denn ich bin rein.“ Gleich als würde er sprechen: Ich bin gerecht, rein, fromm; darum müsset ihr, wofern ihr meine Kinder sein wollet (oder zu meiner Familie gehören), auch so sein (rein bedeutet hier nicht enthaltsam von ehelicher Beiwohnung, sondern überhaupt lauter). An dieser Gerechtigkeit müssen alle Menschen erliegen; denn wer ist so heilig, deß Herz ohne Anfechtung und Begierde wäre? Also mag auch Niemand bei Gott wohnen; denn wer bei ihm wohnen will, muß ohne Flecken sein. Diesen unsern Jammer und unsere Ohnmacht hat Gott gesehen und aus Erbarmen darüber ein Mittel gefunden, durch welches seine Gerechtigkeit durch uns versöhnet werde, damit wir bei ihm wohnen mögen: er hat seinen Sohn Mensch werden lassen, indem derselbe von der reinen Jungfrau Maria durch den heiligen Geist ohne Sünde empfangen war, damit sein Herz, welches ohne alle Sünde und Anfechtung war (denn er wurde nicht wie wir in Sünden empfangen, Psalm 51, 7), allenthalben rein wäre; und da er, der unschuldig war, für uns schuldige Sünder den Tod erlitt, that er für uns der so schönen Gerechtigkeit Gottes genug, da ihr sonst kein Mensch genug thun kann; und so hat er für uns verdient, daß wir zu Gott kommen können aus seiner freien Gnade und Gabe. Wer solches höret und daran fest glaubet, der wird selig. Dennoch bleibt aber für und für die Forderung Gottes fest, nämlich daß wir zu aller Zeit schuldig sind, so rein, lauter, unbefleckt und gerecht zu leben, als Gott es haben will. Denn Christus spricht, Matth. V. 48: „Ihr sollt vollkommen sein, gleichwie euer himmlischer Vater vollkommen ist.“ Nun sind wir aber in der That nicht also; ja es ist uns nicht möglich, daß wir, derweil wir leben, so rein seien. Darum müssen wir jeder Zeit durch den alleinigen, gerechten und unschuldigen Jesum Christum zu Gott kommen. Denn dieser allein ist der Fürsprecher und Bezahler für unsere Sünden in Ewigkeit, l. Joh. 2, 1. So verhält sich in Kurzem das Evangelium zu unserer Schuld. Willst Du ausführlicher die Gründe der Schrift dafür besehen, so lies die ersten Schlußreden mit ihren Auslegungen, die wir neulich herausgegeben haben.
Daß aber Gott eine so große Unschuld von uns fordre, die von keiner Anfechtung und Begierde befleckt sei, lernen wir aus seinem eigenen Worte, und doch hat er uns darneben das Heil und die Gnade durch Jesum Christum gegeben. Dieser ist aber nicht aus unserem Verdienste, sondern aus lauter Gnade Gottes uns zum Heile gegeben, damit wir, nachdem wir unsere Ohnmacht kennen gelernt, so daß wir an uns selbst verzweifeln müssen, weil wir die göttliche Gerechtigkeit nicht zu erfüllen vermögen, nichts desto weniger Heil und Erlösung finden in Christo Jesu. So müssen wir uns allerwegen aufgeben, dagegen aber Gottes Gnade und Erbarmung in uns groß und lieb werden lassen. Auf diese sieh' du alle Zeit, o Gläubiger! und laß dich nimmer davon bringen; sie ist gewiß; denn der Sohn Gottes ist ein Pfand derselben. Und ob du verzweifeln mußt an dem, was Gott von dir fordert, daß du demselben nicht nachkommen mögest: so sollst du doch nicht an dem verzweifeln, der alle unsere Mühseligkeiten und Gebrechen bezahlt, getragen und gebüßt hat; sondern du erlernst aus dem Worte des göttlichen Gesetzes, welch' ein hohes Gut Gott sei; denn er ist selbst die Frömmigkeit, die er uns vorschreibt, und hält sich stets nach seinem Gebote. Er ist nicht den Tyrannen gleich, die wohl viel Gesetze vorschreiben, aber selbst dies nicht halten, was Christus auch von den Pharisäern und Schriftgelehrten der Juden schalt, Luc. XI, 46. Und so wirst du demnach fort und fort streben, dich dem göttlichen Willen immer gleichförmiger, zu gestalten, bis du zum vollkommenen Manne herangewachsen bist, nach dem Vollmaße Christi, Eph. IV, 13, und wirst nie wähnen, genug gethan zu haben; dagegen wirst du deine Zuversicht unverwandt auf Gott setzen und was du auch Gutes wirkest, nicht dir, sondern Gott zuschreiben.
Du wirst auch erkennen, daß dein Werk Nichts ist und Nichts vor Gott bedeutet, und daß Alles, was dir Gott erweiset, nicht aus deinem Verdienst, sondern aus seiner freien Gnade geschehe.
Hier folgen einige Grundzüge von der göttlichen Gerechtigkeit, die allein mit Recht Gerechtigkeit genannt zu werden verdienen.
Die göttliche Gerechtigkeit ist an sich so lauter und schön, wie sie von uns fordert, daß wir sein sollen.
I. Sie heißet uns verzeihen, gleich wie wir auch wollen, daß uns Gott verzeihe, und erfüllet das so vollkommen, daß sie uns nicht nur so verzeiht, wie sie will, daß ihr verziehen werde; denn sie hat nichts, das der Verzeihung bedürfte; sondern, indem wir allein ihrer Gnade bedürfen, verzeiht sie darüber hinaus, ohne irgend unser Verdienst, Ja da wir in aller Ungnade uns befinden und ihrer gerechten Rache würdig wären, verzeiht sie uns dennoch, Röm. V. 6-10. Christus ist für uns gestorben, dieweil wir noch Sünder waren.
II. Gott heißt uns nicht allein nicht tödten, sondern gar nicht zornig werden, Matth. V, 22. Er wird auch nicht zornig, und wo ihm Zorn in der Schrift zugeschrieben wird, bedeutet es nichts Anderes, als seine gerechte Strafe.
III. Gott heißt uns„ nicht rechten, noch streiten, sondern wenn uns der Rock genommen werde, sollen wir auch den Mantel lassen, Matth. V, 42, Luc. VI. 29, und das hat er auch gethan. Denn er hat sich von seinen Feinden, ohne alles Recht anzurufen, gefangen nehmen und tödten lassen, wie der Prophet vorher gesagt, Jes. Uli. 7. Er ist gleich wie ein Lamm zum Tod geführt und hat seinen Mund nicht aufgethan. Und Jesaias XLI, 1: Er wird nicht schreien, noch streiten; Matth. XII, 19.
IV. Gott verbietet uns nicht allein, die Ehe zu brechen, sondern auch Jemandes Ehegemahlin zu begehren, Matth. V, 28. Er hat solches auch erfüllt; denn er ist ohne alle Anfechtung; ja selbst die Menschheit Jesu Christi ist ohne alle sündliche Anfechtung. Nun heißt er Vater und Mutter eher verlassen, als Gemahl, und sagt: Niemand solle die, welche Gott zusammengefüget hat, trennen. Genesis II, 24. Matth. XIX, 6
V. Gott verbietet alles Schwören und heißt uns so fest und getreu sein, daß ja! ja! und nein! nein! ohne alles Schwören unter uns gelte, Matth. V, 37. Er ist es auch so. Denn Himmel und Erde müssen eher vergehen, als daß nur eins von seinen Worten nicht erfüllt werde. Das erfahren wir täglich.
VI. Gott heißt uns unsere Habe hingeben an diejenigen, von denen wir Nichts zu hoffen haben und die uns Nichts vergelten können, Luc. VI, 35; er thut es auch so. Denn er nähret nicht allein den Menschen, sondern auch die Vögel der Luft, Matth. VI. 26, ohne alles wiedervergelten.
VII. Gott heißt uns nicht allein den Frommen und Unschuldigen Gutes thun, sondern auch den Feinden, Matth. V, 44. „Ich sage euch, liebet euere Feinde; segnet, die euch fluchen; thut wohl denen, die euch hassen, und betet für die, so euch verleumden und verfolgen.“ Er thut es auch so. Er läßt seine Sonne scheinen über Gute und Böse und läßt regnen über Gerechte und Ungerechte; er gibt den Ungläubigen und Feinden ebensowohl Früchte und Nahrung, als den Gläubigen.
VIII. Gott verbietet nicht allein zu stehlen, sondern auch eines andern Gut zu begehren, Exodus XX, 17; denn er thut es auch so. Es ist so fern von ihm, daß er irgend Etwas von uns forderte, oder zu unserm Nachtheile begehren würde, daß er will, wir sollen von ihm alle Dinge begehren, er werde es uns gewähren und uns unsern Mangel ersetzen.
IX. Gott will, daß wir nicht nur nicht Uebles reden oder verläumden, sondern daß wir gar kein unnützes Wort reden sollen. Matth. XII. 36: „Ich sage euch aber, daß von jeder unnützen Rede, welche irgend die Menschen reden, sie Rechenschaft ablegen müssen am Tage des Gerichtes.“ Er thut es auch so. „In seinem Munde wurde kein Trug erfunden,“ 1 Petri II, 22.
Er hat nicht in vielen unnützen und eitlen Worten gelehret, wie die Schriftgelehrten und Pharisäer, sondern mit Kraft, also, daß seine Reden kräftig waren und Wurzel schlugen in den Herzen der Hörenden. Matth. VII. 29.
X. Gott begnügt sich nicht damit, daß wir dem Nächsten nicht schaden, oder daß wir ihm erst dann zu Hülfe kommen, wenn wir für uns zuerst wohl gesorgt haben, sondern er will, daß wir den Nächsten so lieb haben, als uns selbst, Matth. XXII, 39. Denn er hat es auch also gethan. Er hat sich für uns hingegeben und uns zu seinen Freunden, Brüdern und Erben angenommen, Joh. XV. 13, Matth. XXIII, 8. Galater IV, 5.
Wir hätten noch viele Stücke aufzählen können, die Gott von uns in seinem Worte fordert und durch sein Beispiel selbst uns vorgebildet hat: daß wir z. B. für sein Wort und auch für jeden Bruder in Christo Tod und Verachtung erdulden sollen; doch sind alle andern Gebote schon in den aufgezählten mit einbegriffen. Nun sind diese Geheiße Gottes nicht Rathschläge, wie die Päpstler es behaupten, sondern eigentliche Gebote Gottes, deren Erfüllung er von uns fordert, so daß er uns nicht zu sich kommen läßt, wir seien denn so unschuldig, rein und fromm, wie sein Wille von uns fordert. Dieser sein Wille aber ist uns nirgends anderswo kund gethan worden, als in seinen Geboten; denn seine Gebote sind nichts Anderes als eine Offenbarung seines Willens. Sei aber allerwegen bei den Geboten Gottes eingedenk des Evangeliums, welches nichts Anderes ist, als die trostvolle Botschaft, daß, nachdem wir an dem, was Gott von uns fordert, so weit die Erfüllung von uns abhängt, verzweifeln müssen, - Gott seinen Sohn für uns hingegeben habe zum Vollbringer seines heiligen Willens, und daß dieser für uns die Gebote Gottes zu erfüllen und für unsere Sünden genug zu thun vermocht habe, und das Pfand geworden sei, durch welches wir zu Gott kommen. Dieser Trost läßt uns nicht an Gott verzweifeln; an uns selbst müssen wir verzweifeln. Denn Gott fordert von uns: wir sollen nicht begehren, noch uns anfechten lassen; was uns aber unmöglich ist, und demnach ist es uns unmöglich, durch uns selbst zu Gott zu kommen; denn Gott fordert von uns vollkommene Reinheit und Unschuld. Weil aber Christus unseren Mangel ersetzt und unser Stellvertreter geworden ist, so verzweifeln wir nicht nur nicht an Gott, sondern wir sehen, daß all unser Heil von seinem Erbarmen abhänget, und wir erlernen an seinem Wort, welch ein vollkommenes Gut, wie rein, wie geweiht und fromm er sei. Und wie sehr wir uns auch anstrengen, seinem Worte genug zu thun und dasselbe zu erfüllen, so finden wir doch immerhin unsere Ohnmacht, und wie nichtsdestoweniger die größte Lust der gläubigen Seele sei Ich nach dem Worte Gottes und seinen Geboten zu üben,; wiewohl sie niemals das Vollmaß göttlicher Gerechtigkeit erlangen kann. Sie will fort und fort dem gefallen, der ihr Schatz, ihr Trost und ihre Zuversicht ist.
Daß aber die voraufgezählten Stücke und ähnliche Gebote Gottes nicht nur Rathschlage seien, beweist das eigene Wort Christi selbst, indem er sie Matth. V, 19, „Gebote“ nennt: „Wer eins der kleinsten dieser Gebote nicht hält rc.“ Sieh', dieses bezieht er auf die Gebote, die gleich folgen, und nennt sie ausdrücklich „Gebote“. Dazu trägt er den Jüngern auf, daß sie die Menschen lehren sollen. Alles halten, was er ihnen geboten habe, Matth. XXVIII, 20. Auch sind alle oben aufgezählten Gebote in dem vornehmsten Gebote enthalten: „Du sollst deinen Herrn und Gott lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele und von ganzem Gemüthe und aus allen deinen Kräften, und du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst!“ Daß wir kein unnützes, eitles Wort reden sollen, entnehmen wir aus dem ersten Theile. Denn sofern wir Gott lieben ob allen Dingen, aus allen Kräften, so kann keine Eitelkeit Etwas über uns gewinnen. Ja wenn wir nur dieses einzige Gebot hielten (dieses müssen sie doch als Gebot gelten lassen, denn Christus hat es uns vorgeschrieben, Matth. XXII, 37) so würden wir nie Etwas wider Gott thun. Denn keine Kreatur vermöchte je Etwas über unser Herz, wenn wir Gott darin aus allen unsern Kräften lieben würden. Keine Kraft, keine Neigung könnte irgend der Kreatur geweiht sein, oder die Kräfte wären nicht alle auf die Liebe zu Gott gerichtet, was leider auch der Fall ist. Darum sind wir nimmermehr ohne Sünde. Sodann ist das Gebot, daß wir nicht schwören sollen, unter dem andern Theile des Gebotes begriffen. Denn würde ein jeder dieses Gebot halten, so daß er seinen Nächsten lieben würde wie sich selbst, so bedürfte man keiner Eide; denn, wie jedermann nicht von Andern betrogen sein will, so würde er auch Niemanden betrügen, und unsere Rede würde nur in Ja, Ja und Nein, Nein bestehen. So sind auch alle andern Gebote in diesen beiden Geboten schon enthalten, wie es jeder leicht selbst ermessen kann, der sie genauer besieht. Denn Christus lügt nicht, wenn er spricht, Matth. XXII, 40: In diesen beiden Geboten sind Gesetz und Propheten enthalten. Und endlich sind die Worte Christi in den aufgezählten Geboten nicht Rathschläge, sondern sie heißen und gebieten. So hoffe ich, daß es offenbar sei, wie jeder, der durch seine Werke zu Gott kommen will, irre gehe. Denn er sieht gleich am ersten Gebote, daß er Solches nicht erfüllen kann. Gott gebietet uns demnach Solches, was seiner Gerechtigkeit in Wahrheit geziemt; aber es ist uns nicht möglich, seine Gebote zu halten. Dieser unserer Ohnmacht vermag aber Niemand zu Hülfe zu kommen, als Gott selbst; der hat es gethan durch, Jesum Christum. Demnach gibt es aber so viele gottlose Menschen, die nicht allein das gemeine Gebrechen an sich haben, daß sie Gott nicht ob allen Dingen lieben, sondern, die nicht glauben, daß ein Gott sei, der alles Recht und Unrecht richte und wiedervergelte. Solche fallen dann in große, unmenschliche Laster, und wenn man ihnen ihre frevelhaften Anschläge gewähren ließe, so würden sie das ganze Volk zu Grunde richten durch ihren Muthwillen und ihre Frevelthaten. Denn sintemal sie Gott nicht fürchten (sie glauben ja nicht, daß ein Gott sei): so würden sie Jedem das Seine nehmen; und wenn er sich Solches nicht gefallen lassen wollte, würden sie ihn todt schlagen. Dieses hat Gott vorhergesehen und hat das Gesetz gegeben, damit man den Gottlosen einschränken und zur Ordnung zwingen möge; so daß er, wenn er sich gleich um Gott nicht kümmert, er doch die Menschen in Frieden lasse und Niemanden seiner Willkür zu dienen zwänge. Hier wird sich die arme menschliche Gerechtigkeit offenbaren. Diese Gesetze sind der Bösen wegen gegeben, wie Paulus, 1. Tim. I. 9, redet: „Das Gesetz ist nicht für den Gerechten gegeben, sondern für Gottlose und Sünder, Verruchte und Heillose, Vater- und Muttermörder, Todtschläger, Hurer, Meineidige und was sonst der gesunden Lehre zuwider ist, nach dem herrlichen Evangelium des seligen Gottes, das mir anvertraut worden.“ Hier siehst an dem Lastersack wohl, daß Gott etliche Gesetze nur wegen der Bösen und Gottlosen gegeben hat. Daraus folgt, daß, wenn Einer schon nicht in diesen häßlichen Lastern steckt, er darum noch nicht gerecht ist; denn diese Gesetze sollen nur die größten Ausschweifungen verhüten. Wer nun diese Gesetze hält, ist darum noch nicht gerecht vor Gott, sondern er erlangt dadurch nur, daß er nicht bestraft wird. So spricht Paulus, Gal. III, 12: „Wer die Gebote thut, der wird durch sie leben. Das ist, wer dasjenige thut, was ihn das Gesetz heißt, oder unterläßt, was das Gesetz verbietet, der fristet dadurch sein Leben, so daß er nicht nach dem Inhalte des Gesetzes verurtheilt oder bestraft wird. Deut. IV, 40.
Darum gibt es zweierlei Gesetze, gleichwie es auch zweierlei Gerechtigkeiten gibt, nämlich eine göttliche und eine menschliche. Ein Theil der Gesetze bezieht sich allein auf den innern Menschen, wie man Gott und die Menschen lieben solle. Diese Gesetze vermag Niemand zu erfüllen; also ist auch Niemand gerecht als Gott allein, und der gerecht gemacht wird durch den Glauben aus Gnade, deren Pfand Christus ist. Der andere Theil des Gesetzes bezieht sich nur auf den äußeren Menschen, und in Bezug auf diese kann Einer äußerlich rechtschaffen und gerecht sein, und doch ist er innerlich nichts desto weniger unfromm und von Gott verdammt. Beispiel: Du sollst nicht stehlen, ist ein Gebot, welches sich auf das äußere Leben und auf die äußere Rechtschaffenheit bezieht. Du sollst Niemandes Gut begehren, ist ein Gebot, welches sich auf die innerliche, göttliche Gerechtigkeit bezieht; nun zielen aber beide auf ein Ding, nämlich, wider die Entwendung. Wenn nun Einer nicht stiehlt, ist er fromm vor den Menschen (solches gilt aber von allen Lastern, die man öffentlich vor den Menschen verurtheilt); vor Gott aber ist er ein Schelm; denn er hat vielleicht die Begierde und Anfechtung nach fremdem Gute in größerm Maße, als wenn er gestohlen hätte. Dennoch wird der Dieb gehenkt, weil er ein offenbarer Dieb ist. Der Gottesschelm aber, der weit begieriger ist nach zeitlichem Gute, wird als fromm gerühmt, weil seine Begierde sich nicht in verbotener That geoffenbaret hat; dennoch ist er nicht fromm vor Gott. Darum ist es ein sehr bezeichnender Ausdruck, wenn man spricht: Dieser ist ein offenbarer Schelm, sofern man den rechten Sinn damit verbindet. Denn es will dieser Ausdruck andeuten, wir seien vor Gott alle Schelme; denn nährt Einer nicht die Begierde nach zeitlichem Gute in sich, so begehrt er eines Andern Gemahlin oder nährt Ehrbegierde oder andere Anfechtungen in sich. Daher ist er vor Gott ein Schelm, vor den Menschen aber wird er für fromm gehalten; denn sein Herz ist zu tief, die Menschen können nicht drein sehen. Gott allein erkennt das Herz; der Mensch urtheilt nur nach der äußern That. Offenbare Schelme sind aber allein diejenigen, welche so gottlos und frech sind, die inneren Begierden in Thaten zu offenbaren, so daß sie an den Früchten erkannt werden. Also findet man, welche Gesetze sich auf die göttliche Gerechtigkeit beziehen, und welche nur auf die menschliche Gerechtigkeit. In Bezug auf die göttliche Gerechtigkeit sind wir Alle Schelme, und wie unsere Schelmerei nur Gott allein bekannt ist, so urtheilet auch darüber nur Gott allein oder begnadigt uns durch seinen Sohn, wenn wir festiglich glauben, daß er aus Erbarmen für uns gestorben sei und genug gethan habe. Der menschlichen Gerechtigkeit nach werden wir oft als fromm erfunden, wiewohl wir in der That Gottesschelme sind. Wer aber zu dem, daß er ein Gottesschelm ist, auch in Bezug auf die menschliche Gerechtigkeit als ein offenbarer Schelm erfunden wird, - ein Solcher wird der Obrigkeit oder dem Richter zur Verurtheilung übergeben.
Siehe, diese menschliche Gerechtigkeit nenne ich eine arme, mangelhafte Gerechtigkeit, weil Einer wohl vor den Menschen als gerecht erscheinen kann, der doch vor Gott nicht gerecht ist; denn vor Gott ist Keiner gerecht. Siehe auch hier im Vorbeigehen, was das für eine Gerechtigkeit sein mag, die sich mit Kutten, Zeichen und Kleidern unter den Menschen dafür ausgibt, so findest du, daß es nichts Anderes ist, als eine ausgemachte Heuchelei; denn es ist nicht möglich, daß ein Mensch inwendig nach der göttlichen Gerechtigkeit fromm, rein und lauter sei. Und da er nun trotz aller seiner Ohnmacht, Häßlichkeit und Mangelhaftigkeit sich unter einem äußern Schein als gut ausgibt muß doch Solches eine große Gottesschelmerei sein. Darum spricht Christus mit Recht: Sie haben ihren Lohn dahin. Denn der Mensch urtheilt nach dem, was er sieht und schätzt sie nach dem Schein. Scheinen sie demnach gut, so werden sie auch für gut gehalten und ernten so den Lohn ihres Strebens. Gibt es aber wirklich unter ihnen solche, welche ihre Heuchelei nicht erkennen, so muß man sich sehr über sie erbarmen, weil sie das gemeinsame Gebrechen noch nicht kennen gelernt haben. Denn es hilft hier auch nicht zu sprechen: Darum tragen wir Kutten, weil wir unsere Sünden bereuen. Ursache: Empfändet ihr wirklich Reue, so thätet ihr solches inwendig im Herzen mit einem betrübten Geiste und prahltet nicht mit euerer Reue vor den Menschen. Darum ist kurzweg Alles, was sich äußerlich vor den Menschen beschöniget, eine Heuchelei, und es gehört auch nicht unter die menschliche Gerechtigkeit; denn es ist ein Betrug und eine Sünde.
Wiewohl die menschliche Gerechtigkeit nicht würdig ist, daß man sie eine Gerechtigkeit nenne wenn man sie im Lichte der göttlichen Gerechtigkeit beschaut, so hat sie Gott doch auch geboten, aber erst auf unsern Ungehorsam, den er zum Voraus kommen sah. Beispiel: Wer seinen Sohn dem Schulmeister empfiehlt, spricht auch: Lehret ihn dieses und jenes, und schlaget den Buben, und schonet ihn nicht! Hiebet ist auch nicht die Meinung des Vaters, daß er ihn schlage, wenn er recht lerne; sondern der Vater kennt des Knaben Art wohl, daß er von sich aus nicht recht lerne, man schlage ihn denn. So muthet uns auch der himmlische Vater zu, daß wir keine Begierde nach fremden Dingen in uns tragen, sondern nur nach ihm allein; er weiß aber wohl, daß wir nicht diese Gerechtigkeit, und Frömmigkeit erlangen. Daher gibt er uns Gesetze, die uns nützlich und gut sind, fröhlich und freundlich mit einander zu leben. So spricht er: Du sollst nicht stehlen, du sollst nicht ehebrechen, du sollst nicht lügen, tödten, falsches Zeugniß geben. Aller dieser Gebote bedürften wir nichts wenn wir jenes Gebot hielten: Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst. Weil dieses aber nicht der Fall ist, hat Gott diese Gebote geben müssen. Und nicht genug, er hat auch anempfehlen müssen, den Uebertreter zu züchtigen. Der Dieb soll Vierfältiges oder Fünffältiges wiedererstatten, der Ehebrecher soll gesteiniget werden; solches ist dem Schulmeister, das ist, der Obrigkeit anempfohlen. Inwiefern aber diese strafen soll, oder Gesetze machen, soll bald folgen. Nun wollen wir die zehn oben aufgezählten Punkte der menschlichen Gerechtigkeit gegenüber halten und sie genau besehen, wie sie sich gegenseitig vertragen können, und wie Gott die menschliche Gerechtigkeit auch geboten, aber erst dann, als er angesehen, daß wir jene höhern nicht erfüllen würden.
I und II. Gott heißt uns unbedingt verzeihen, oder er werde uns auch nicht verzeihen. Wenn wir nun Solches nicht thun wollen, so soll Niemand von sich aus einen Andern dafür strafen; denn Solches würde Unruhe und Zwietracht erzeugen; ja es würde den Frieden und die ganze menschliche Gesellschaft zerstören. Darum hat er Obere und Richter verordnet, welche die Streithändel untersuchen und sie dadurch beilegen, daß sie Jedem das geben, was ihm gehört. Exod. XVIII, 21, 22: „Du aber ersiehe dir aus dem ganzen Volke tüchtige Männer, die Gott fürchten, Männer von Treue, die Gewinnsucht hassen, (strecke hier deine Ohren und horch auf, o Richter und Oberer!) und setze sie über sie, als Oberste über tausend, als Oberste über hundert, als Oberste über fünfzig und als Oberste über Zehen. Und sie mögen das Volk richten zu jeder Zeit, und alle großen Händel mögen sie an dich bringen; aber alle kleinen Händel mögen sie selbst richten.“ Daraus sehen wir, daß Gott richten geheißen hat, weil Viele nicht verzeihen wollen, wie sie wünschen, daß ihnen verziehen werde. Damit nun nicht aus der menschlichen Gesellschaft eine Mörderbande werde, soll jede Eigenmacht verboten sein, und es soll Keiner von sich aus, ohne Rechtsspruch, sich an Jemandem rächen, sondern jeder Streit soll dem Rechte gemäß entschieden werden. Denn sollte uns auch diese menschliche Gerechtigkeit entschwinden, wie uns die göttliche entschwunden ist, so gliche die menschliche Gesellschaft den unvernünftigen Thieren. Darum sind die Richter und Oberen Diener Gottes; sie sind der Schulmeister, und wer ihrer Gerechtigkeit sich nicht füget, der thut auch wider Gott, er sei geistlich oder fleischlich, wie hernach folgen wird. Wenn einer aber äußerlich unsträflich lebt, ist er dennoch nicht gerecht vor Gott; aber er schützt sich dadurch vor Gericht und Strafe.
II. Gott verbietet nicht nur zu tödten, sondern sogar zornig zu werden. Hüten wir uns sehr vor dem Zorne, so folgt kein Todschlag. Wenn wir aber in dieser Beziehung die göttliche Gerechtigkeit übertreten, muß Gott gebieten, daß wir nicht todtschlagen; damit wir aber auch nicht dieses Gebot übertreten, muß der Schulmeister Tod um Tod, Leben um Leben, Aug um Aug, Brand um Brand, Wunde um Wunde, Streich um Streich wiedervergelten. Wer nun schon so lebt, daß er diese Gebote nicht übertritt, ist dennoch nicht gerecht vor Gott, sondern er schützt sich allein vor der Strafe von Seite der Obrigkeit. Dieses bedeutet, „er wird durch das Gesetz leben“,
IV. Gott verbietet uns, eines Andern Gemahlin zu begehren. Wenn wir dieses nicht halten (denn wir sind durchaus ohne nicht Anfechtungen), so heißt es, wir brechen die Ehe; und wenn wir sie gleich mit der That nicht brechen, die Begierde aber dazu haben, so sind wir wohl vor den Menschen gerecht, aber vor Gott sind wir Ehebrecher. Damit wir aber nicht in dieses Laster fallen und dem Viehe gleich werden, so empfiehlt er uns dem Schulmeister; der soll uns steinigen. Daß aber die Christen diese Strafe haben abgehen lassen, rührt entweder daher, daß der Ehebruch Anfangs so selten war, daß man nicht daran Aergerniß nahm; oder aber, weil die Oberen meistens Ehebrecher und die Laster, mit welchen sie selbst behaftet sind, nicht so hart bestrafen, als sie es sollten. Wenn man nun sieht, daß der Ehebruch so allgemein geworden und so schamlos geübt wird, sollte billigerweise die Strafe wieder verschärft, damit wir nicht selbst von der armen menschlichen Gerechtigkeit entfernt werden. Gleich wie man den Dieb härter bestraft, als ihn Gott strafen geheißen hat, Exod. XXII. l-12, weil ohne Zweifel die Diebe sich durch jene Strafe nicht abschrecken ließen, so muß auch die Strafe des Ehebruchs wiederum verschärft und erhöht werden.
V. Gott heißt uns so wahr und getreu werden und handeln, daß wir Nichts als “ Ja“ und „Nein“ brauchen. Wenn wir aber dieses nicht thun, sondern einander betrügen, heißt er uns bei dem Eid zwingen, Exod. XXII, 11; und wenn wir diesen verfälschen, ist der Schulmeister da mit der Ruthe und läßt uns, wie jene falschen Zeugen, welche Susannen zum Tode zu bringen unternahmen, steinigen; denn der Meineid ist nichts Anderes als eine Gottverläugnung, und die Abgötterei bestraft Gott mit Steinigung, Dem. XVII, 5.
VI. Gott heißt uns unsere Habe den Armen geben ohne auf Wiedervergeltung zu sehen. Wenn wir aber dieses nicht thun, so heißt er uns doch ohne Zins leihen, Exod. XXII, 25 und Levit. XXV. 36. Wenn wir solches nicht thun, so ist der Schulmeister da und lehrt uns Zins geben und nehmen. Und wenn schon keine Strafe für den Wucher ausdrücklich bestimmt ist, so ist solche darin dem Richter zugestanden, indem dieser darum gesetzt ist, damit er die aufkommenden Mißbrauche und Streitfragen richte, Exod. XVIII. Wer nun nicht Wucher treibt, ist in dieser Beziehung vor den Menschen gerecht; denn die Gewalt kann ihm wegen Wucher nicht beikommen; aber vor Gott ist er dennoch nicht gerecht, er verkaufe denn all' seine Habe und gebe sie den Armen, Luc. XII, 33. Thut Solches Keiner, so ist auch Niemand nach göttlicher Gerechtigkeit fromm. So wollen wir schon von dir als etwas Gutes ansehen, wenn du dich als Sünder erkennst.
VII. Gott heißt den Feinden Gutes thun. Wenn wir nun dieses nicht thun, so heißt er uns doch ihm nicht schaden, auch seinen Schaden, der ihm unbekannt ist, abwenden. Exod. XXIII. 4, 5: „So du den Ochsen deines Feindes oder seinen Esel irren siehst, so sollst du ihm denselben zurückführen. So du den Esel deines Hassers stehest unter seiner Last liegen, so sollst du nicht vorübergehen, sondern ihn aufrichten.“ So du dieses übersiehst, soll dich der Schulmeister strafen, denn du hast das niedere Gebot Gottes, das wir kaum erretten können, das aber dennoch aufrecht gehalten werden muß, oder es würde Alles zu Grunde gehen, übertreten. Wenn du dieses auch nicht übertrittst, so bist du dennoch nicht gerecht vor Gott, du verzeihest denn deinem Feinde, gleich wie du willst, daß dir Gott verzeihe.
VIII. Gott heißt des Anderen Gut nicht begehren. Hielten wir dieses Gebot, so geschähe weder Raub noch Diebstahl. Wenn dieses aber nicht der Fall ist, so gibt Gott das niedrigste Gebot, welches die menschliche Gesellschaft zu ertragen vermag: Du sollst nicht stehlen!„ An diesem Gebote sehen wir auch (gleich wie an dem: „Du sollst Niemandes Gemahlin begehren!“ und darneben: „Du sollst nicht ehebrechen!“ von denen das nachfolgende auch das niedere ist), daß Gott einige Gebote gegeben hat, durch deren Erfüllung wir vor Gott doch nicht gerecht sind, sondern nur der Strafe entrinnen. Dennoch hat er sie gegeben, damit die menschliche Gesellschaft und der menschliche Verband nicht aufgelöst werde. Wer demnach einem Andern das Seinige heimlich oder mit Gewalt nimmt, ist ein Dieb oder ein Räuber, über den muß der Schulmeister die Ruthe schwingen. Es ist wahr, wie uns Gott die Erde und ihre Früchte frei und ohne Bezahlen gewährt, also sollte es frei sein. Ja, wenn wir dieses nicht thun, so versündigen wir uns immerhin gegen Gott und fahren übel an ihm, indem wir das zu unserem Eigenthum machen, was Gottes ist. Dennoch weiß Gott, daß wir solches nicht halten, indem wir von Adam her eigensüchtig sind, und jeder nach Vermögen an sich zieht. Damit aber die menschliche Gesellschaft nicht durch unsern Geiz zerrüttet werde, beschränkt er denselben und gebietet uns, daß wir nicht stehlen noch rauben sollen. Nun ist aber derjenige, der sich vor Raub und Diebstahl hütet, darum noch nicht fromm, es sei denn, daß er gar keine Begierde nach fremdem Gute trage. Hier ersieht man, daß diejenigen nichts als Buben und Diebe sind, die einem biederen Manne, von dem sie ein Kapital empfangen haben, für das Seinige Nichts geben und sich dabei mit der Lehre Gottes beschirmen wollen: Ja, der Reiche ist schuldig, das Seinige den Armen zu geben, denn so hat es Gott befohlen. Er heißt aber nicht, daß du ihm es nehmen sollst, wenn er solches nicht thut. Wohl aber hat er der Obrigkeit befohlen, dich, wenn du solches unternimmst, zu bestrafen und zu verhüten, daß Niemandem Unbill geschehe. So lange daher die Obrigkeit Juden oder andere Wucherer duldet, bist du ein Dieb oder Räuber, wenn du einem Andern seine Schuld, seinen Zins oder Wucher, nachdem du von ihm mit wohlbedachtem Willen ein Kapital empfangen, diebisch oder mit Gewalt zu entziehen unternimmst; denn Gott hat das eigenmächtige Nehmen verboten. Wiewohl die Obrigkeit auch dabei darauf sehen muß, die Gebräuche zu entfernen, die weder mit Gott noch mit der armen Gerechtigkeit, welche Gott uns nur zur Bequemlichkeit des Lebens bestimmt hat, sich vertragen; davon wird später folgen. Wer daher solches unterfinge, würde sich zwiefach versündigen; erstens, weil er nach dem allgemeinen Gebrechen des Andern Gut begehrt und zweitens, weil er seine Begierde in Missethaten äußert und Unruhe und Verachtung derjenigen Gewalt, die Gott verordnet hat, hervorruft. Denn wir arme Gerechte müssen uns fest am Zipfel der Gerechtigkeit halten, sonst wäre unser Leben eine Mörderei, Räuberei und Dieberei.
IX. Gott will, daß wir kein eitles Wort reden. Also ist der noch nicht gerecht, der nicht flucht, noch verläumdet oder lügt; denn er kann dessenungeachtet eitle Worte reden. Demnach muß sich die arme menschliche Gerechtigkeit damit begnügen, wenn man nicht flucht, noch verläumdet oder lügt. Wenn aber Jemand sich weiter vergehet und in seiner Rede schmäht, lügt und falsches Zeugniß gibt“ so heißt Gott mit dem Verläumder oder Lügner das vornehmen, was er dem zufügen wollte, über den er gelogen oder falsches Zeugniß abgelegt hat, Deut. XIX, 19. Wenn aber unsere Rede „Ja! Ja! Nein! Nein!“ wäre, so hätte Gott dieses Gebot nicht zu geben bedurft. Demnach folgt, daß Gott einige Gebote gegeben hat, damit wir sie halten müssen und dabei doch weder wahrhaft fromm noch gerecht sind. Siehe, welch' ein armes Ding es um die ist, welche sprechen: Ich bin ein frommer Mann! die ihre Frömmigkeit nur darnach schätzen, daß sie nicht Dinge begangen haben, um deren willen sie von der Obrigkeit bestraft worden wären. Siehe auch dabei, daß alle menschliche Weisheit nicht wahrhaft einen frommen Mann zu erkennen vermag; denn der Glaube, der allein gerecht macht, der auch sowohl das Gebrechen, als das Heil, allein erkennt, dieser ist nur Gott allein bekannt; demnach muß man die arme, niedere Gerechtigkeit festhalten.
X. Daß wir das einzige Gebot: „Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst“, nicht halten, daraus entspringen alle andern Gebote, die den Nächsten betreffen; denn dieses ist das Gebot der Natur, nur hat es Christus durch die Liebe versüßet; denn so ziemt es ihm. weil er die Liebe ist, 1. Joh. IV, 11. Das Gesetz der Natur lautet: „Was du willst, daß dir geschehe, das thu' einem Andern auch!“ und wiederum: „Was du nicht willst, das dir geschehe, das thu' auch Niemandem.“ Dieses Gesetz versüßet uns Christus mit der Liebe; denn haben wir Gott lieb, so ist Gott in uns. Ist Gott in uns, so ist auch die Liebe gegen den Nächsten in uns; denn Gott hat uns also geliebet, daß er sich selbst für uns hingegeben hat. Wo nun Gott ist, da ist auch diese Gesinnung. Darum ziert Christus das Gesetz der Natur mit diesen Worten: „Du sollst den Nächsten lieben, wie dich selbst.“ Hier fehlen alle Menschen, wie wir es wohl wissen. Hier ist auch die menschliche Gerechtigkeit mangelhaft und zwar allenthalben; denn sie ist in dieser Beziehung so zerrüttet, daß sie mit diesem Gebote in keine Verbindung gebracht werden kann; sie ist im Paradiese schon angebrannt. Darum bestraft sie auch Niemanden, der dieses Gebot übertritt, und doch sind alle Menschen schuldig, es zu halten. Wohl bestraft sie einige Vergehungen, die gegen dieses Gebot gehen; aber die Gesinnung, die gegen dieses Gebot geht, richtet sie nicht. Daraus ersieht man wieder, daß es um die menschliche Gerechtigkeit gleich steht, wie um die Schminke bei eitlen Frauen. Und wenn wir demnach auch vor der Welt fromm scheinen, sind wir dennoch vor Gott nur Schelme. Dennoch bedürfen wir der Aufsicht der Obrigkeit. Gleich wie ein Vater seiner verführten Tochter wehrt, daß sie nicht gar eine gemeine Hure werde, so wehrt auch die Obrigkeit an Gottes Statt, daß unser Leben nicht ganz in viehische Unvernunft ausarte.
Nun haben wir, wie ich hoffe, hinlänglich eingesehen, wie weit die göttliche Gerechtigkeit vor der menschlichen verschieden sei. Wiewohl die menschliche auch von Gott geboten ist, erlangt sie dennoch nicht die Vollkommenheit, die Gott fordert, sondern sie ist nur für unsere zerrüttete Natur gegeben, nachdem Gott gesehen, daß unsere Anfechtung und Begierde seinem Willen folgen und demselben nachkommen würde. Daher ist sie nichts Anderes, als eine Strafe; und wenn wir demnach auch diese Gerechtigkeit erfüllen, werden wir deßwegen doch nicht selig noch gottgefällig. Ezech. XX, 25. Ich habe ihnen Gesetze gegeben, die nicht gut sind, und Gerichte, durch die sie nicht leben, das ist, selig werden. Wiewohl diese Worte sich vorzüglich auf die Außenwerke beziehen, zeigt doch das Wort „Gericht“ an, daß sie auch von der menschlichen Gerechtigkeit oder Obrigkeit verstanden werden sollen. Zwischen diesen Worten: „Wir werden durch die Gerichte nicht leben“, und, Gal. III, 12, „Wer die Vorschriften des Gesetzes erfüllt, der wird leben“, ist aber folgender Unterschied-. Wenn wir schon die menschliche Gerechtigkeit erfüllen, werden wir doch dadurch nicht die ewige Seligkeit erwerben; dieses bedeutet bei Ezechiel „nicht leben“, Paulus aber meint: Wenn wir die Gesetze, die für die zerrüttete Natur der Menschen gegeben sind, halten, so bewahren wir das leibliche Leben, daß uns die Obrigkeit nicht tödte. Deut. IV. 40: „Tödten wir nicht, so werden wir auch nicht getödtet“.
Wie man sich in Bezug auf die göttliche und menschliche Gerechtigkeit verhalten solle.
Die göttliche Gerechtigkeit soll man ohne Unterlaß allen Menschen offenbaren und predigen, und eher das Leben daran setzen als sich von dieser Verkündung und Predigt abschrecken lassen; wie Christus oft geboten hat. Matth. VI. 33 spricht er: „ Trachtet vor Allem nach dem Reiche Gottes und nach seiner Gerechtigkeit, so wird alles, was ihr bedürfet, euch von selbst zufallen.“ Hier vernehmen wir, daß alle Menschen aufgefordert werden, die göttliche Gerechtigkeit zu suchen, das ist, nach seinem Willen sich fort und fort der Unschuld zu befleißigen, bis daß sie das Vollmaß Christi erreicht haben, Eph. IV, 13, und sie sollen sich nicht damit zufrieden geben, daß sie nach menschlicher Gerechtigkeit fromm seien. Nun darf man aber niemals vergessen, daß unser Fleiß die göttliche Gerechtigkeit nicht zu erreichen vermag. Diese unsere Ohnmacht aber ersetzt reichlich der alleinige Christus; das Wort, in welchem seine Gerechtigkeit erscheint, ist ein Licht, das jeden Menschen erleuchtet; darum soll das Licht nicht unter dem Scheffel verborgen werden. Gleich wie auch Niemand das äußere Licht verbirgt, sondern man es zu dem Ende anzündet, damit man dabei sehen und sein Tagewerk vollbringen könne: so soll auch das lautere Wort Gottes ohne Unterlaß gepredigt werden. Denn aus demselben erlernt man, was Gott von uns fordert, und mit welcher Gnade er uns zu Hülfe kommt. Es soll auch Nichts verschwiegen bleiben, was darin enthalten ist; denn es ist anders beschaffen, als des Menschen Weisheit und Wort, welches sich anders gestaltet, als es an sich selbst ist. Dieses Wort zeigt klar an, was Gott von uns haben will, offenbart uns auch dabei, wie Gott an sich selbst ist, und so erfreut es uns auch billig über Alles nach dem Ausspruche Davids. Psalm. XIX, 9: „Die Befehle des Herrn sind richtig und erfreuen das Herz. Die Gebote des Herrn sind lauter und erleuchten die Augen.“ Darum will es geoffenbaret sein; es will leuchten und lehren, damit man nicht in der Finsterniß wandle; denn es enthält Nichts, das nicht geoffenbaret werden soll, sondern wie Gott ein allgemeines Gut ist, so wirket auch sein Wort dem gemeinen menschlichen Geschlechte zum Guten. Darum sind diejenigen nicht rechtgläubig, welche glauben, man soll das Wort Gottes nicht weiter predigen, als innen die menschliche Gerechtigkeit oder Obrigkeit zulasse. Denn auf diese Weise würde die göttliche Gerechtigkeit verborgen bleiben, und alle Menschen würden sich mit der lahmen menschlichen Gerechtigkeit begnügen, und aus der ganzen Gerechtigkeit würde nichts Anderes als eine Heuchelei; denn Keiner würde in seinem Innern auf Gott achten, sondern jeder würde nur darauf sehen, wie er sich vor den Menschen vor Strafe schütze, wie leider eine Zeit lang von Vielen geschehen ist. Darum soll der Verkündiger des Wortes Gottes, wie Christus, Matth. X, Luc. VIII, gesprochen hat, Nichts verschweigen; denn es würde das Blut der Schafe Gottes von der Hand desjenigen gefordert werden, der durch sein Verschweigen Schuld wäre, daß sie sich verirrten und umkämen, Ezech. V, 5, 6 ff.
Christus spricht wiederum, Luc. IX, 16: „Wer sich irgend meiner schämt und meiner Worte, dessen wird auch der Menschensohn sich schämen, wenn er kommen wird in seiner Herrlichkeit und der Herrlichkeit des Vaters und der heiligen Engel.“ Darum sollen die Boten Gottes, was sie im Finstern gehört, im Lichte, und was ihnen in das Ohr gesagt worden, auf den Dächern predigen, Luc. XII, 3. Denn das Wort Gottes will durchaus offenbar werden. Wie Schnee und Regen vom Himmel herabfällt, die Erde tränkt und fruchtbar macht, daß sie sprosset: so verhält es sich mit dem Worte Gottes, Jesaj. 1, 10. Es bleibt nicht ohne Wirkung. Darum soll keine Obrigkeit sich unterfangen, wider das Wort Gottes zu kämpfen, wenn gleich daraus offenbar wird, wie arm und elend ihre Gerechtigkeit sei; sie sind Menschen und haben das Gebrechen der menschlichen Ohnmacht mit allen Menschen gemein; darum sollen sie hören, was Gott von ihnen und allen Menschen fordert, damit sich Niemand mit der menschlichen Gerechtigkeit begnüge und dadurch vor Gott verdammt werde. Kurz, wir sind schuldig, die Gebote Gottes, die wir zum Theil angeführt haben, zu halten; denn es sind nicht bloß Rathschläge, sondern wirklich Befehle; solches entnimmt man aus den Worten Christi, Matth. V. 17, wenn er spricht: „Ihr sollt nicht meinen, daß ich gekommen sei, das Gesetz aufzulösen, sondern ich bin gekommen, es zu erfüllen.“ Diese Stelle hat folgenden Sinn: Ich bin nicht dazu gekommen, daß ich das Gesetz, welches nichts Anderes ist, als eine Offenbarung des göttlichen Willens und seiner Anforderung an uns, aufhebe, also, daß man sich des Willens Gottes nicht mehr befleißigen sollte; sondern ich bin gekommen, dasjenige, was früher im Gesetze noch nicht geoffenbaret war, zu offenbaren. Ihr habet wohl gehört, daß früher im Gesetze geboten worden, man solle nicht stehlen und auch nicht eines Andern Gut begehren. Wer nun nicht eines Anderen Gut begehrt, der hat in Bezug auf das zeitliche Gut viel Unschuld erlangt. Sofern er aber zeitliches Gut hat, so ist es nicht genug, daß er nicht eines Anderen Gut begehrt, sondern er soll auch das Seinige den Armen austheilen. Luc. XII, 33: „Verkaufet eure Habe und gebet Almosen“! Siehe, wie die Vollkommenheit, die Gott fordert, sich hier noch deutlicher offenbaret! Dazu (damit Niemandem hier irgend Etwas mangle) hat Christus das Gesetz so erfüllt, daß er den Willen seines himmlischen Vaters für uns Ohnmächtige erfüllt hat, indem demselben Niemand genug thun kann, der in Sünden empfangen ist; denn ein Solcher vermag nicht das Maß der göttlichen Gerechtigkeit zu erfüllen; aber Christus, der keiner Sünde noch irgend eines Gebrechens kann beklagt werden, vermag allein das Vollmaß, welches Gott fordert, zu leisten. Darum hat er einerseits das Gesetz erfüllt, indem er uns klar gesagt, was Gott von uns fordere, woran wir unsere Ohnmacht kennen lernen, und anderseits hat er daneben sich selbst für uns hingegeben und hat dasjenige erfüllt, was wir nicht zu erfüllen vermochten (denn wir vermögen von uns selbst Nichts) und damit hat er die göttliche Gerechtigkeit erfüllt und ihr genug gethan. So vernimmt man hier wieder, daß alles dasjenige, was Gott von uns fordert, weil es Christus erfüllt hat, ein Gesetz oder Gebot sei. Die Scheinwerke (Ceremonien) haben keinen Bezug weder auf die göttliche, noch auf die menschliche Gerechtigkeit. Darum sind dieselben aufgehoben, wie Christus, Luc. XVI, 16, es anzeigt; darum kümmere dich nicht um sie. Willst du aber Gründliches darüber vernehmen, so lies die Begründung unserer Schlußreden. So ist das Gesetz durch Christum zugleich erneuert und aufgehoben. Erneuert, weil Christus dasjenige, was Gott von uns fordert, wohl bestimmter ausgesprochen und geheißen hat, als es vormals geschehen ist; aufgehoben ist es, weil uns die Uebertretung des Gesetzes nimmer verdammen kann, wenn wir festiglich glauben, daß Christus es erfüllt und uns in Ewigkeit durch sein Pfand den Zugang zu Gott erworben habe. Diese seine Barmherzigkeit hat uns zu neuen Menschen umgeschaffen, und Gott verleiht uns, indem wir unsere Ohnmacht und seine Gnade erkennen und uns nimmer mit uns selbst begnügen, daß wir dasjenige thun, was Gott von uns fordert. Diese große Gnade Gottes, die sich so liebevoll gegen uns geoffenbaret hat, können wir nimmermehr genugsam erkennen und preisen. Dieses dient Alles zu dem Zwecke, daß man erlerne, man solle die göttliche Gnade fest und unwandelbar predigen und darum keinen Menschen ansehen, wenn gleich Einer besorgt, seine Ohnmacht werde dadurch offenbar; denn es muß der Mensch durchaus erfahren, was Gott von ihm fordert. Nun wird der Gläubige immerhin in Bezug auf seine Werke darniederliegen, aber dabei wird er allerwegen fest und ohne Wanken Gott anhangen und so heil und aufrecht bleiben. wiederum muß man daran erkennen, daß man die göttliche Gerechtigkeit und Gnade ungehindert lehren müsse, weil Gott uns verdammt, sofern wir ihr nicht Genüge thun; denn Christus spricht, Matth. XXV. 41-45, daß diejenigen, welche ihn nicht in den Armen gespeist, getränkt, beherberget, bekleidet, in Krankheit und Gefängniß heimgesucht und getröstet haben, in das ewige Feuer verdammt werden. Obgleich diese Dinge nicht von der menschlichen Gerechtigkeit geboten werden (denn keine Obrigkeit zwingt irgend Jemanden zu Almosen, zu beherbergen, zu bekleiden, u. dgl.), werden wir dennoch, wenn wir es nicht thun, mit den Böcken in die ewige Pein geworfen. Noch viel mehr wird derjenige, dem Solches zu verkündigen aufgetragen worden, wenn er es nicht thut, unter die Verdammten gezählt werden. So ist nun hinlänglich von der göttlichen Gerechtigkeit gesagt und dargethan worden, daß man bei der Verdammniß schuldig ist, sie zu lehren, und daß keine Obrigkeit Solches verbieten kann, wenn sie anders christlich sein will; denn den Gläubigen genügt es nicht, die menschliche Gerechtigkeit allein zu befolgen, indem sie erkennen, wie sie ein so unvollkommenes Ding sei, sondern sie empfinden ein besonderes Verlangen, je mehr und mehr sich nach der göttlichen Gerechtigkeit zu gestalten. Und wiewohl sie wissen, daß ihnen die Erfüllung derselben nicht möglich ist, so ist nichtsdestoweniger die Begierde darnach in dem Einen größer als im Andern, je nachdem Gott sein Feuer in unsern Herzen anzündet. Denn Gott ist es, der alle Dinge in uns wirket, l. Kor. XII, 6.
Der menschlichen Gerechtigkeit muß man auch nach dem Gebote Gottes unterthänig und gehorsam sein, wiewohl sie eine so arme Gerechtigkeit ist, daß sie nichts Anderes thut, als die größten Uebel verhütet. Der Mensch ist aber nicht vor Gott gerecht, wenn er gleich Nichts gegen die menschliche Gerechtigkeit thut; wenn er aber wider dieselbe sich vergeht, so versündigt er sich gegen Gott und gegen die Menschen. Die menschliche Gerechtigkeit oder die Obrigkeit ist nichts Anderes als die ordentliche Gewalt, die wir auch die weltliche Gewalt nennen; denn die sogenannte geistliche Gewalt findet in der heiligen Schrift keine Begründung. Die geistlichen Obern soll Niemand für etwas Anderes halten, als für Diener und Boten Gottes und Haushalter über die Geheimnisse Gottes, das ist, für Verkündiger des heilsamen Wortes Gottes, welches von den Zeiten Christi an erst begonnen hat, allen Menschen verkündiget zu werden, zuvor aber den Heiden verborgen war; darum ist ihr Wesen nicht eine Gewalt oder Obrigkeit, sondern ein Amt des Zudienens des Evangelii, wie wir Solches in den Schlußreden hinlänglich dargethan haben. Dieser menschlichen Gerechtigkeit heißt uns Christus gehorsam sein, Matth. XXII, 17: „Gebet dem Kaiser, was ihr dem Kaiser schuldig seid, und Gott, was ihr Gott schuldig seid!“ Hier will Christus nicht gebieten. daß die ganze Welt dem Kaiser Gehorsam schuldig sei, sondern den Theil der Menschen, der damals von dem Kaiser beherrscht ward, heißt er dem Kaiser gehorsam sein. Hätte er das jüdische Volk unter dem babylonischen König gefunden, würde er gesprochen haben: Gebet dem babylonischen König, was ihr ihm schuldig seid. So soll man von jeglicher Obrigkeit verstehn. Lebst du unter dem König von Frankreich, so gib ihm, was du ihm schuldig bist! Und so durchweg; denn Christus befreit Niemanden von der Obrigkeit, weil man an ihn glaubt; er weiß wohl, wie geneigt wir zu Fehlern sind, so daß wir stets einen Schulmeister haben müssen. Darum hat er auch den Steuerpfenning gegeben, Matth, XVII, 27, obgleich er es selbst nicht schuldig war, nur damit er keinen Anlaß zu Unruhen oder Aergerniß gebe. Petrus spricht in seinem l. Briefe, 2, 13: „So seid nun unterthan allen menschlichen Geschöpfen, um des Herrn willen, sei es dem Kaiser, der die höchste Gewalt hat, sei es dem Statthalter, als welche von ihm ausgesandt sind zur Bestrafung der Uebelthäter und zur Belohnung der Rechtthuenden.“ Hier vernimmt man klar, wie Petrus alle Gläubigen ihren Königen oder Oberen gehorsam sein heißt und Nichts von seiner Gewalt, sondern nur von der weltlichen Macht spricht, welche allein von Gott verordnet ist. Es sprechen hier wieder die Päpstler: Darum soll man uns auch gehorsam sein, weil Petrus spricht: „Ihr sollet allen menschlichen Geschöpfen unterthan sein um des Herrn willen?“ Wir fordern nicht für uns Gehorsam, sondern für Gott; denn man soll uns an Gottes Statt gehorsam sein.
Antwort: Besehet etwas besser die Weidtasche Petri; sie enthält etwas Anderes als ihr wähnet: „Ihr sollet allen menschlichen Geschöpfen gehorsam sein, das ist: Ihr Gläubige sollet aller Menschen sein, allen Menschen dienen; oder ihr sollet aller menschlichen Ordnung gehorsam sein, die euch irgend vorgesetzt wird, es seien Könige oder andere Obere! Dieses Wort geht alle Gläubigen an; darum kann jeder ebensowohl zu dir sprechen: o Papst oder Bischof! du sollst mir gehorsam sein, statt wie du sprichst: Er soll dir gehorsam sein. Denn sofern diese Worte Petri die gegenseitige Dienstbarkeit und Freundschaft der Christen anbetrifft, so bist du ebensowohl schuldig, mein zu sein als ich der Deinige. Sofern sie aber sich auf den Gehorsam beziehen, den man den Oberen schuldig ist, so ist dir ebensowohl das Gebot geworden, dich unter dieses Joch zu fügen als mir selbst, und du findest durchaus keinen Grund in der heiligen Schrift, dich irgend mir zum Führer in Bezug auf weltliche Herrschaft aufzudringen, ebensowenig als ich dir. Denn gleich, wie du sprichst: man soll mir, Bischof und Papst, gehorsam sein, denn ich bin ein menschliches Geschöpf; und Petrus heißt solches. So kann auch ich sprechen: du mußt mir gehorsam sein, denn ich bin ein menschliches Geschöpf; und Petrus heißt solches. Dieses sage ich nicht, als würde ich ihnen das Regieren, welches ich weder begehre noch wünsche, mißgönnen; sondern ich will nur sagen: wollen sie als Fürsten dieser Welt regieren, so sollen sie nicht den Namen Apostel, Bischöfe, das ist Wächter, tragen. Wollen sie dagegen Verkündiger des Evangeliums, Boten und Wächter Christi sein, so sollen sie nicht herrschen, Luc. XXII. 26. Es lehrt aber diese Ansicht nicht Ungehorsam, wie jene Prahlhanse es behaupten; aber ihre angemaßte Gewalt und Herrschaft bringt allenthalben Verwirrung im weltlichen Regimente. Und Niemand ist der von Gott verordneten weltlichen Obrigkeit weniger gehorsam als die sogenannten Geistlichen. Bei ihnen hat jede Rotte, jeder Orden, jede Sekte eine besondere Regel. Leben sie nun schändlich, so daß jedermann daran Aergerniß nimmt, so darf sie eine gesetzmäßige Obrigkeit nicht angreifen, sie haben ihre eigenen Obern; diese züchtigen sie bald mit Kappenzipfeln, bald binden sie die Strafbaren an eine Bratwurst, wie jener seinen Hund, und das Aergerniß wird nicht gehoben. Wer aber christliche Lehre verkündiget, lehret, daß man der weltlichen Obrigkeit gehorsam sein solle, weil diese von Gott verordnet ist. Wenn nun alle sogenannten Geistlichen der weltlichen Obrigkeit, unter der sie stehen, gehorsam wären, würde wohl viel mehr Ruhe und Einigkeit herrschen, als wenn jeder der Wächter und Amtmann Gottes sein will, auch damit fürstliche Pracht und Herrschaft zu verbinden wünscht.
Paulus spricht, Röm. XIII, l-7: Ein jeder lebende Mensch soll den Obrigkeiten, die Gewalt über ihn haben, unterthan sein. Denn es ist keine Obrigkeit ohne von Gott, und die bestehenden Obrigkeiten sind von Gott verordnet. Daher, wer sich wider die Obrigkeit setzet, der widerstrebet Gottes Anordnung; die aber widerstreben, werden ihr Strafurtheil empfangen. Denn die Gewaltigen sind nicht furchtbar den guten Werken, sondern den bösen. Willst du nun die Obrigkeit nicht fürchten, so thue das Gute, so wirst du Lob von derselben haben. Denn sie ist Gottes Dienerin, dir zu gut. Thust du aber das Böse, so fürchte dich; denn sie trägt das Schwert nicht umsonst; weil sie ist Gottes Dienerin, eine Rächerin zur Strafe für den, der das Böse thut. Darum ist es nothwendig, unterthan zu sein, nicht allein um der Strafe willen, sondern auch um des Gewissens willen. Denn deßwegen bezahlt ihr auch Steuern; denn sie sind Gottes Beamte, die dieses ihres Berufs warten. So gebet nun jedermann, was ihr schuldig seid; dem, der die Steuer ( einfordert), die Steuer; dem, der den Zoll, den Zoll; dem, der die Frucht, die Frucht; dem, der die Ehre, die Ehre!
Erstens befiehlt hier Gott durch den Mund Pauli, daß alle Menschen der Obrigkeit gehorsam sein sollen; denn alle Obrigkeit sei von Gott. Daraus merken wir, daß auch die bösen, gottlosen Obern von Gott eingesetzt seien; doch gibt Gott solche Obern, damit er durch sie unsere Sünde bestrafe. Jes. III, 4: „Und ich setze Knaben zu ihren Obersten, und Kinder sollen über sie herrschen.“ Was will uns zu unsern Zeiten bedünken? Sehen wir nicht, daß die Christenheit voll von jungen, unerfahrnen Fürsten, Obern und Statthaltern ist? Woher sollten sonst so viele Unruhen. Kriege und Empörungen anders entstehen, als von diesen jungen hitzigen Gemüthern, denen Nichts zu gewagt ist anzufangen und die dabei das Ende nie bedenken? So mögen wir auch sehen, daß die Hand Gottes mit der Ruthe nahe ist, um uns für unsere Sünden zu bestrafen; denn die Fürsten und Obern, die so früh in Bezug auf Jahre reif werden, sind doch meistentheils noch so unreif an Verstand, und ihrer Viele gleichen aufgeputzten Mädchen. Wer alle ihre Zierde, Kleidung und Hofpracht ansieht, glaubt eine Schaar Putzfrauen zu erblicken. Ich schweige von den Prassereien, vom Spielen und Fluchen und andern unmenschlichen Unthaten. Diese Ausgelassenen sind eine Strafe Gottes; denn Salomon spricht auch, Pred. X, 16: „Wehe dir, Land, dessen König ein Knabe ist, und dessen Fürsten am Morgen schmausen!“ So sehn wir vor uns unser Weh; denn Kinder stellen allenthalben auf das Regiment, und diejenigen, welche in Bezug auf Jahre der Kindheit entwachsen sind, leben zum größten Theil Tag und Nacht in Völlerei, so daß sie ärger sind, als wenn sie Kinder wären. Läßt man sie dazu kommen, so wird man auch von ihnen die Früchte ernten. Dennoch heißt uns Gott auch ihnen, wenn sie zu dieser Würde erhoben sind, gehorsam sein, denn er will durch sie unsere Sünden strafen, 1. Petri I, und 18: „Ihr Knechte, seid mit aller Furcht euern Herrn unterthan, nicht allein den gütigen und gelinden, sondern auch den wunderlichen.“
Hier werden aber die gewaltthätigen Obern stolz und bessern sich kein Haar in irgend einer Tugend, weil die Prediger lehren müssen, man soll ihnen gehorsam sein, wie arg sie auch seien, Sie beginnen vielmehr ihre gewaltthätige Hand an das Wort Gottes und an die christliche Freiheit zu legen und verbieten das Wort Gottes anders zu predigen, als es dem Papste gefalle; und so wollen sie die armen Gewissen, die so lange Zeit jämmerlich gefangen genommen und gemartert worden sind, jetzt, da sie durch das Wort Gottes befreit werden, nicht zur Freiheit gelangen lassen. Dem Priester, der eingesehen hat, die Messe sei kein Opfer und daher nicht mehr den Leib und das Blut Christi verkaufen will, zwingen sie zu Gunsten des Papstes, daß er gegen die Schrift behaupten muß, die Messe sei ein Opfer. Den Mönch, der belehrt worden, sein Orden sei eine Heuchelei und gehe wider Gott und sich daher der Arbeit und einem christlichen Leben zuwendet, und wie die Nonne, die solches einsehen gelernt, zwingen sie wieder in ihre Klöster, in die Gefängnisse der Gewissen. Solches steht aber nicht in ihrem Eide oder in ihrer Herrschaft, daß sie über die Seelen der Menschen und über die Gewissen herrschen sollen, denn sie vermögen es nicht. Eben so wenig sie wissen, was in dem Gemüthe des Menschen sei, eben so wenig vermögen sie das menschliche Gemüth zu beherrschen, es fromm oder bös, gläubig oder ungläubig zu machen. Nun ist aber die Lehre Christi nichts Anderes als eine Befreiung des Gewissens. Joh. 8, 38: .Wenn euch die Wahrheit frei macht, so werdet ihr wahrhaft frei.'' Das menschliche Gemüth wird von Niemandem erkannt als von Gott allein, also vermag auch Niemand dasselbe zu leiten und zu regieren, als der alleinige Gott. So lange Gott den Menschen nicht frei macht im Gemüthe, so lange ist er nicht frei; so bald aber Gott ihn frei gemacht, so vermag ihn Niemand mehr gefangen zu nehmen; und wenn man ihn gleich zwingen will, anders zu glauben, so geschieht es dennoch nicht. Daher müssen die wüthenden Beschützer des Papstes an ihnen Tyrannen werden, wie Nero und Domitian gewesen sind, ehe sie die Gemüther zu verändern vermögen. Wenn sie aber dieses thun werden, soll man ihnen dennoch nicht folgsam sein; denn wir Christen haben eine Vorschrift, daß wir eher den Tod erleiden sollen, als von der erkannten Wahrheit abzuweichen oder sie zu verschweigen, Luc. XII, 4. Darum hat kein Fürst Macht zu gebieten, was wider das Wort Gottes geht, oder daß man das Wort Gottes nach Menschengefallen predigen solle; denn so bald sie dieses thun, sollen die Boten Gottes sprechen: Man muß Gott mehr gehorchen als den Menschen, Actor. IV, 19 und V, 29. Wer aber solches nicht thut, wie wir es von Etlichen sehen, die aus Furcht Christum und den Belial verbünden wollen, sind Fälscher des Wortes Gottes, welches lauter gepredigt und nicht mit dem Wasser des Menschentandes vermischt sein will, Jesaj. I, 22. Sobald nun die Fürsten solches gebieten, was wider die göttliche Wahrheit streitet, oder gar dieselbe unterdrücken wollen, so sollen diejenigen, welche an das Wort Gottes glauben, eher den Tod erleiden, als daß sie davon weichen; denn thun sie das nicht, so sind sie keine Nachfolger Christi. Aber dies sei fern von euch, fromme Obern, daß ihr irgend wider Gott zu kämpfen unterstehet, denn das wäre gar vermessen und würde doch zu keinem Ende führen. Es wäre dem Menschen eher möglich, den Himmel herunterzureißen, als das trostvolle Wort Gottes auszureuten: „Himmel und Erde vergehn, aber das Wort Gottes nicht.“ Darum soll sich keine Obrigkeit dawider auflassen, sonst wird dieses Wort sie zermalmen. Also finden wir hier ein Stück, darin man der Obrigkeit nicht gehorsam zu sein schuldig ist. Von andern Geboten wird hernach folgen.
Zweitens folgt in den Worten Pauli: Die Obern sind nicht gesetzt zum Schrecken für die guten Werke, sondern für die Bösen. Daraus ersehen wir wieder, daß die menschliche Gerechtigkeit nur eine arme Gerechtigkeit ist, wiewohl wir ihr so nothwendig bedürfen wie des Essens; denn sie kommen erst und strafen, nachdem das Uebel in einer Missethat ausgebrochen ist, da es doch schon längst vorher im Gemüthe war, was aber Gott allein erkennt. Wer Mord, Verrätherei und andere dergleichen Nachstellungen unternimmt, es aber nicht vollbringt, wird doch als Thäter angesehen; denn hat Einer mit Andern so Etwas beginnen dürfen, so ist es auch schon ausgebrochen, und der Anfang zur That ist geschehen. Dieses habe ich wegen der Streitsüchtigen hingesetzt. Weil aber die Oberen nicht zum Schrecken für die guten Werke gesetzt sind, so müssen sie wohl wissen, was gute und was schlechte Werke seien. Wo wollen sie dieses aber anders kennen lernen, als m dem Worte Gottes? Darin finden sie die unverfälschte Wahrheit. Darum dient keine Lehre besser dem Staate und der Obrigkeit, als die Lehre Christi; denn diese lehrt uns, was gut und was böse sei und leitet uns nicht allein zu einer äußern Frömmigkeit an, sondern sie führt den Obern mit dem Untergebenen zu der inwendigen Frömmigkeit und zu einer höhern Vollkommenheit, als was die menschliche Gerechtigkeit erfordert, stellt ihnen beiden ( den Obern und Untergebenen) vor, was gut und was böse sei und vereinigt sie auch Beide, so daß nicht der Eine das für gut hält, der Andre ein Andres. Nun sieht man wieder daraus, wie viel Streit allein daraus entspringt, daß wir nicht Alle dem Worte Gottes allein glauben und nicht aus demselben allein erlernen, was gut und was böse sei. Beispiel: Daß eine Nonne, ein Mönch oder Pfaff sich in die Ehe begibt, ist vor Gott und den Menschen anständig und recht; denn Gott spricht durch Paulum, l. Cor. VII, 2: „Wer nicht keusch leben könne, solle sich in die Ehe begeben; und bei allen Ungläubigen ist die Ehe eine ehrbare Sache. Die Päpstler geben aber solches nicht zu. Hier entsteht Streit,
Der Papst hat seine Mastbäuche, die ihm beistehen: die rühmen so herrlich die Keuschheit (dabei sind sie oft einer so unmenschlichen Unzucht ergeben, daß wir uns schämen, nur daran zu denken) und verirren so die Obrigkeit und verfolgen durch dieselbe die armen und fehlerhaften Menschen, weil diese lieber göttlich und ehelich als in Schande leben wollen. Was soll man hier nun thun? Man soll nicht auf Menschen horchen, sondern auf das Wort Gottes allein. Und wenn wir finden, daß die Ehe von Gott Niemandem verboten ist, so sollen wir nicht die unschuldigen Menschen mit unserer Gewalt zu sehr beschweren. Levit. XIX 13: „Du sollst deinen Nächsten nicht bedrücken!“ Was ist aber das Verbieten der Ehen anders, als eine gewaltthätige Bedrückung des Nächsten? Denn die Ehe ist vor Gott und den Menschen ehrbar; aber die Bischöfe können sie nicht zugeben, denn damit geht ihnen der Hurensold ab. So ist Solches nichts Anderes als eine Gewaltthat, da es weder von Gott noch durch menschliche Rechte verboten worden; denn geh' nur über dein Stadt- oder Landbuch, und du wirst Nichts davon finden; nur der Papst allein verbietet es. Darum versündigen sich alle Obern, die dasjenige bestrafen, was von Gott nicht verboten ist; denn sie sollen sich nicht unterstehen, gerechte Werke zu bestrafen. Nach diesem Beispiel soll man es mit allen andern Streitfragen halten, über die heutzutage der Streit waltet; findet Etwas sich im Worte Gottes begründet, so soll dasselbe allein den Streit entscheiden! spricht aber dasselbe Nichts darüber, so soll sich Niemand um das kümmern, worüber man streitet; denn wir sollen zu dem Worte Gottes Nichts thun und Nichts davon nehmen. Deut. IV, 2 und XII. 32.
Hier sprechen die Päpstler wieder: Paulus spricht, l. Cor. 7, 27: „Ein Jeglicher verbleibe in dem Zustande, in dem er berufen worden.“ Also sollen auch die Ordensleute bei ihrem Orden und Gelübde verbleiben. Sie haben Keuschheit verheißen, darum sollen sie auch billig diese bewahren. Antwort: Ihr thut der Schrift hier Gewalt an, wie ihr Solches auch an andern Orten thut, indem ihr sie zu euern Gunsten deutet, Paulus redet daselbst nicht von der Berufung des Gewissens oder von der Berufung zum christlichen Glauben, sondern er redet von dem leiblichen Zustande und von der leiblichen Verpflichtung, wie die vorangehenden und nachfolgenden Worte es deutlich anzeigen. Dieser leibliche Zustand ist also zu nehmen: Wer ein Jude war, der hatte an seinem Leibe die Beschneidung. Als nun die Heiden zum christlichen Glauben kamen, vermeinten die Juden auch, dieselben müssen am Leibe beschnitten werden. Darnach redet Paulus: Ist Jemand unbeschnitten zum Glauben gekommen, so bedarf er es nicht, erst beschnitten zu werden, sondern in welchem Zustande er sich nur in Bezug auf den Leib befand, da er zum Glauben kam, in dem soll er verbleiben. Die leibliche Verpflichtung ist so zu verstehn: War Jemand eines Herrn eigen, so wurde er durch den Glauben nicht von der Leibeigenschaft frei. So sprechen diese Worte, liebe Päpstler, mehr wider euch als für euch. Denn Paulus spricht: Der Unbeschnittene soll nicht beschnitten werden. Also sollen auch ihr die Menschen immerhin in dem Zustande verbleiben lassen, in welchem sie zum Glauben kommen; denn was ist ein Orden oder eine Kutte anderes, als die Beschneidung an den Juden war, wie Paulus hier davon spricht. Diesen Anzug habe ich darum hieher gesetzt, weil ich ihn bei der Erörterung der Gegeneinwendung vergessen hatte. Andere Einwendungen findest du dort beantwortet.
Zum Dritten folgt, daß die Obrigkeit denjenigen, der recht thut, loben soll, gleich wie sie den Uebelthäter bestraft. Man hält zu unsern Zeiten für gut, daß die Obrigkeit Niemanden preise, wie es auch geschieht, sondern daß sie nur die Rechtthuenden beschirme. So bedeutet hier nach meiner Ansicht lobe“ so viel als unterstützen, fördern und beschirmen. Denn dieses kommt der Obrigkeit zu, daß sie die Unschuldigen beschirme und der schwachen Schaar der Witwen, Waisen und Unterdrückten beistehe, Jes. I, 17.
Viertens folgt daraus, daß die Obrigkeit eine Dienerin Gottes sei, dir zu gut; denn Gott will, daß wir ein friedsames Leben führen, wenn wir gleich nicht seiner Gerechtigkeit gemäß leben können. Wie Paulus, “. Tim. II, 2, auch lehrt: Wir sollen ernstlich für die Obrigkeit bitten, damit uns Gott verleihe, ein stilles und friedsames Leben zu führen in aller Frömmigkeit und Ehrbarkeit. Also dient die Obrigkeit Gott, wenn sie die stößigen Widder zurückhält, neben welchen sonst die schwachen Schäflein nicht fortkommen könnten, das ist vor denen, die in ihren Anfechtungen und Begierden so unsinnig und frevelhaft sind, daß sie ihrem Nächsten Unbill anthun dürfen, nur damit ihren Anfechtungen Genüge geschehe. Also ist es ein Dienst Gottes, wenn man die Bösen bestraft.
Fünftens folgt daraus: Wirst du aber Böses thun, so fürchte dich! Es ist vorher genug gesagt, auf welche Weise die Obrigkeit zu erkennen vermöge, was gut oder böse sei. Nun hören sie wieder, wie die Bösen allein ihnen zur Strafe anempfohlen seien. Darum, fromme Obern, bewahret eure Hände vor Bestrafung der armen Schäflein Christi. Wenn diese nicht wider Gott handeln, so handelt auch ihr nicht wider Gott und tastet nicht seine unschuldigen Schäflein an und verkümmert sie, denn es wird in der ganzen heiligen Schrift allen Obern stark gedroht, wenn sie die Unschuldigen schlagen oder bestrafen. Lies Micha III und VII.
Sechstens: „Denn sie trägt das Schwert nicht umsonst; denn sie ist Gottes Dienerin, eine Rächerin zur Strafe für den, der das Böse thut.“ Hier bestimmt Paulus das Geschäft der Obern oder Richter und zeigt an, was ihr Amt sei, nämlich, das Schwert zu tragen, damit sie von den Bösen gefürchtet und von den Guten geliebt werde. Sie ist eine Rächerin zur Strafe des Bösen, nicht, daß sie härter bestrafen sollte, als die Schuld verdient, sondern „ sie ist eine Rächerin zu Strafe des Bösen“ will so viel sagen: Nachdem sich der Mensch erfrecht hat, in so großer äußerer Unbill seinen Nebenmenschen zu schädigen, so soll der Richter ihn auch mit äußerer Strafe bestrafen und nicht zu milde sein, indem man dadurch großes Uebel begeht, wie Eli solches auch that. Man sieht auch an dieser Stelle, das diese Ansicht von der Obrigkeit den Papst und seinen Anhang nicht berührt, denn dieser trägt kein Schwert und soll auch keins tragen; denn Christus hieß den Petrus sein Schwert einstecken, und seinen Jüngern gebot er, keinen Stab mitzunehmen, damit sie nicht schlagen können. Wohl hat er ihnen einen Stab erlaubt zur Hülfe des Weges, Mark. VI, 8; weil er aber das Schwert zückt und mit dem Schwerte kämpft, bedeutet dieß gewiß, daß er mit dem Schwerte umkommen soll, wann auch Gott nur solches fügen mag. Denn Christus lügt nicht.
Siebentes redet Gott weiter durch Paulus: „Darum ist es nothwendig, unterthan zu sein, nicht allein um der Strafe willen, sondern auch um des Gewissens willen“ Was vermögen nun gegen dieses kräftige Wort alle Päpstler? Gott spricht: ES ist nothwendig, daß ihr der Gewalt, die das Schwert trägt, gehorsam seid, versteht sich in den Dingen, die das leibliche ( äußere) Leben, die gesellschaftliches Beisammensein, ja überhaupt die menschliche Gerechtigkeit betreffen. Hörst du nicht, Papst und Päpstin? „Es ist nothwendig.“ So steige nun herab und sei gehorsam dem Worte Gottes! und höre, was dir der sage, der das Schwert trägt! und nimm dich der menschlichen Gerechtigkeit nicht an! Christus hat sich ihrer auch nicht annehmen wollen. Denn als Einer zu ihm sprach: „Meister, rede mit meinem Bruder, daß er das Erbe mit mir theile!“ gab er ihm zur Antwort: Wer hat mich zum Richter oder Verurtheiler über euch gesetzt, Luc, XII, 14. So sprach er auch zu Pilato: „Mein Reich ist nicht von dieser Welt. Wäre mein Reich von dieser Welt, s würden ohne Zweifel meine Diener für mich streite rc.“ Höre hier wieder, o Papst, wie Christus nicht will, daß für ihn gestritten werde. Was wollet ihr Päpstler nun dazu sagen, da Gott durch den Mund Pauli redet: „ Es ist nothwendig, unterthan zu sein, nicht allein um der Strafe willen, sondern auch um des Gewissens willen?“ Und was Gott geheißen, hat er auch selbst erfüllt. Christus wollte, daß der Name seiner Mutter eingeschrieben werde bei der Schätzung zu Bethlehem; er hat dem Kaiser den Steuerpfennig gegeben; er hat auch geheißen, dem Kaiser zu geben, was man dem Kaiser schuldig sei. Wer nun wider Gott handelt, der verletzt sein Gewissen; denn das Gewissen wird nur dann verletzt, wenn man sich bewußt ist, wider Gott gehandelt zu haben. Alsdann aber wissen wir, daß wir wider Gott handeln, wenn wir nicht seinem Worte folgen. Nun wissen wir aber Solches nicht, wir glauben denn zuerst an Gott, daß ein Gott sei, und daß er unser Gott sei: alsdann glauben wir auch an sein Wort. Daraus erfahrt ihr Päpstler, daß ihr ungläubig seid! Denn würdet ihr an Gott glauben, daß er euer Gott wäre, so glaubtet ihr auch an sein Wort. Würdet ihr seinem Worte glauben, so würde euer Gewissen verletzt, wenn ihr wider sein Wort handelt. Ihr zeiget, indem ihr menschlich herrschen wollet, daß ihr kein Gewissen habet und euch um Gott nicht kümmert. Denn würdet ihr ein Gewissen haben und Gott fürchten, so würdet ihr nicht eure äußere Pracht beschützen; denn ihr sehet wohl, daß Solches Gott zuwider ist, sondern ihr würdet euch demüthigen, wie es auch jeder Sünder thut; denn ein solcher sündigt wohl, aber er bekennt sich als Sünder und ist nicht gottlos. Da ihr aber gegen das klare Wort Gottes zu streiten waget, so zeiget ihr klar an, daß ihr gottlos seid. So spreche ich denn wieder: Seid gehorsam ihr Alle, die den Namen Christi traget, der menschlichen Obrigkeit, welche die menschliche Gerechtigkeit handhabet, damit wir ein friedsames und stilles Leben führen mögen! Seid auch ihr Obere so beflissen des Rechten und des Guten, daß ihr Nichts gebietet, was wider Gott ist, sonst würdet ihr selbst die Gewissen verletzen und richten, die auf der andern Seite verletzt würden, wenn sie euch nicht folgten, indem ihr das Rechte gebietet. Summa, du begehst eine Sünde, Papst und Bischof, Pfaff, Mönch, Nonne, wenn du nicht der Obrigkeit, die das Schwert trägt, gehorsam bist. Dieses Wort vermöge ihr mit allen euern Kräften nicht zu stürzen.
Achtens: „Denn deßwegen bezahlt ihr auch Steuern; sie sind Gottes Beamte, die dieses ihres Berufes warten.“ Hier vernehmen wir, daß wir denen, welche die menschliche Gerechtigkeit handhaben, Steuern zu ihrem Unterhalt schuldig sind. Daran läßt sich freilich die Obrigkeit nicht fehlen. Denn in aller Welt fütterten sie sich aus diesen Worten so sehr, daß man mehr besorgen muß, daß Etliche eher zu viel als zu wenig einfordern. Ja, es finden sich viele Oberen, denen man mit Recht darin ein Maß und Fiel setzen sollte, so unmäßig und ungezügelt betragen sie sich gegen ihre Unterthanen. Solche sind aber, wie die Päpstler, gottlos; dennoch soll man sie dulden, bis daß Gott sein Wohlgefallen an uns hat, alsdann wird er es wohl zu ändern vermögen.
„Sie sind Gottes Beamte, die dieses ihres Berufes warten.“ Das ist, sie sind darum vorgesetzt, damit sie die Bösen bestrafen und die Frommen beschirmen; dieses ihres Berufes sollen sie ernstlich warten! Seht ihr Obere nicht ernstlich darauf, daß die Bösen bestraft, die Gerechten beschirmt werden, und wollet ihr dennoch die Steuer und Schoß und Unterhalt einziehen, so läßt sich das Seil wohl dehnen, bis daß es nicht mehr zu tragen vermag. Alsdann ist zu besorgen, daß die Katze im Hause walten werde. Es sind unter vielen Obern Mißbräuche, die der Besserung ebensowohl bedürfen, als bei etlichen Geistlichen. Nenn sie sich aber durchaus nicht bessern wollen, sondern ihr Vertrauen auf ihre Macht setzen, so wird Gott sich wohl einen Rächer seines Volkes ausersehn, wenn er diesen selbst aus fernen Landen herbeirufen sollte; er hat über die Kinder Israels allerwegen einen hergeführt, der ihnen den Lohn gegeben hat.
Neuntens redet Gott durch Paulus: So gebet denn jedermann, was ihr schuldig seid„! Hier lernet man wieder den Muthwillen der Feinde Christi kennen, die allenthalben schreien, man lerne aus dem Evangelio, daß man Niemandem das Schuldige bezahlen solle. Nun heißt aber Gott, man solle jedermann bezahlen, was man schuldig sei. Solches rührt aber daher, daß wir das Gebot Gottes nicht halten: Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst“. Denn wenn wir dieses halten würden, so unterstützte der, welcher Etwas übrig bat, von selbst den Notdürftigen; da wir aber dieses nicht halten, so sind die Früchte und die Güter dieser Welt zum Eigenthum der Menschen gemacht worden, und es wird dasjenige, was Gott frei und unbezahlt verliehen, als Eigenthum besessen. Denn was geben wir Gott für die Früchte, die er uns täglich verleiht? Sintemal nun alle Dinge zum Eigenthum gemacht worden, so erlernen wir daraus, daß wir Alle Sünder sind; und wenn wir schon von Natur nicht so häßlich wären, so wäre doch diese Selbstsucht eine große Sünde genug, daß Gott uns um dieselbe verdammen würde; denn was er uns frei gibt, das machen wir zu unserm Eigenthum, Vor dieser Sünde ist der Bettler nicht frei, denn es ist Jeder auf seine Weise eigennützig. Damit nun nicht ans dieser Eigensucht Unruhe oder ein anderes Uebel komme, gibt Gott für Unsere zerrüttete Natur Rat: „ Du sollst Niemandes Gut begehren“. Hier sehen wir wohl, daß dieses Gebot erst dann gegeben worden, nachdem die Menschen Gottes Gut zu ihrem Eigenthum gemacht haben. Nun ist auch dieses Gebot für unser Fleisch zu schwer, wir vermögen es nicht zu halten, darum gibt uns Gott das äußerste Gebot in Bezug auf das zeitliche Gut: „Du sollst nicht stehlen“! Hielten wir jenes Gebot: „Du sollst Niemandes Gut begehren“! so bedürften wir nicht dieses Gebotes: „Du sollst nicht stehlen!“ Wer aber diese Gebote übertritt, der verletzt zugleich die arme menschliche Gerechtigkeit, so wie auch die göttliche! darum fällt er in die Hände der Menschen wie in die Hände Gottes. Damit er aber der Hand der Menschen entkomme und ein freundschaftliches Zusammenleben der Menschen bewahrt werde, so heißt uns Gott allen Menschen geben, was wir schuldig sind. Ich will hier von viererlei Schulden reden: von der Schuld, die aus Kauf und Verkauf herrührt, von der Schuld der Zehnten, von der Schuld der Zinsen, von der Schuld des Wuchers.
Es gibt wohl hoffentlich keinen Christenmenschen, der da meinte, man solle die Schuld, die aus einem aufrichtigen Kaufen und Verkaufen herrührt, nicht leisten und bezahlen, nachdem man Solches verheißen und Gegenwerth dafür genommen hat; denn wer Solches vermeinte, wollte mit Gewalt ein Räuber oder Dieb sein und fiele billig in die Hände der Obrigkeit, zudem, daß er vor Gott ein Dieb wäre. Wenn aber Betrug beim Kauf statt gefunden, weiß jede Obrigkeit wohl, wie sie Entschädigung zu gebieten hat. Es führte auch hier zu weit, von den Verträgen im Handel, vom Bestellen und Ausleihen zu reden. Solche Schuld ist man vor Gott und den Menschen zu leisten verpflichtet.
Von den Zehnten, die den Laien zukommen in der Weise, daß der Boden früher ihr Eigenthum war, und sie denselben ausgeliehen um den achten, neunten und zehnten, ja auch Etliche um den fünften Theil des Ertrags, unternehme ich jetzt nicht zu reden. Von den Zehnten aber, die den Geistlichen zukommen oder von ihnen an die Laien verkauft worden ( die falschen Päpste haben dieses gegen ihr eigen Recht gethan, indem sie ihre Zehnten an Privatleute und Laien verkauft. Doch haben die biedern Laien ihr Grundeigenthum dafür gegeben, indem sie glaubten, was der Papst erlaube, sei Recht. Diesen Laien, die auf solche Weise Zehnten angekauft, ist man den Zehnten, als eine richtige Schuld, zu leisten verpflichtet, denn sie haben ihn rechtmäßig gekauft. Was aber eine Obrigkeit dazu vermöchte, wird bald folgen) - von diesen Zehnten behaupte ich, daß Jedermann sie zu leisten schuldig sei, so lange die Obrigkeit solches allgemein gebietet. Es kann die Obrigkeit den Ungehorsamen, der ihn nicht geben wollte, bestrafen, denn es ist ein solcher Zehnte unter allgemeiner Gestattung der Oberherrn aufgekommen und geleistet worden, und es sind unter dieser Bedingung alle Käufe geschehen, also daß die Güter, je nachdem sie zehntfrei gewesen sind oder nicht, auch darnach wohl, feil oder theuer verkauft worden sind. Wer nun wider diese allgemeine Uebung der Obrigkeit von sich ans den Zehnten nicht geben wollte, der suchte mehr, als was ihm im aufrichtigen und redlichen Kaufe, der von der Obrigkeit gebilligt und bekräftigt worden, gegeben wäre. Demnach widersteht ein Solcher der Obrigkeit, und wer der Obrigkeit widersteht, der widersteht Gott. Sofern aber eine Regierung, die solches zu beschirmen vermöchte, gestattete, daß man die Zehnten nicht mehr zu geben verpflichtet sei, so müßte diese Regierung auch vorher verordnen, daß diejenigen, welche Zehnten besitzen, dafür entschädigt werden, ansonst diejenigen, welche jetzt solche zehntpflichtige Güter besitzen, Etwas genießen würden, was sie nicht erkauft haben. Solange aber solches nicht geschieht, soll jeder den Zehnten bezahlen, wie die Obrigkeit es heißet, und Keiner soll von sich aus darin Etwas gewaltthätig unternehmen, sonst würde er in die Strafe der Diebe und Räuber verfallen. Die Obrigkeit soll dabei wohl darauf achten, daß mit dem Zehnten kein Mißbrauch getrieben werde; wo aber dieses geschähe, soll sie einschreiten und dem Mißbrauche wehren. Denn bestraft sie die Missethat nicht, so ist sie eine unredliche Obrigkeit; darum soll sie sich durch Niemanden irreführen lassen. Es kann auch jeder ermessen, daß, wenn man sieht, wie mit einem Dinge fort und fort Mißbrauch getrieben werde, man endlich wohl Mittel findet, diesen Mißbrauch abzustellen, nur geschieht aber solches eher mit Ungestüm als mit reifer Ueberlegung. Diese Ansicht, die ich hier im Kurzen dargethan, entbiete ich mich, mit der Schrift zu behaupten. Wenn aber hier ein Hitzkopf behaupten wollte: Weil du Solches hier von der Obrigkeit abhängig machst, daß sie es durch ihr obrigkeitliches Ansehen zu behaupten vermöge, so muß man auch die Messe für ein Opfer Kalten: man muß auch zu den Pfaffen um Nachlassung der Sünde laufen, das Evangelium nach des Papstes Willkür predigen und dergleichen mehr üben, bis daß die Obrigkeit ein Anderes verordnet. Hierauf antworte ich mit: Nein! Hierin hat die Obrigkeit Nichts zu befehlen, denn sie ist nicht über das Wort Gottes und über die christliche Freiheit gesetzt, sondern über das zeitliche Gut; wie vordem genug dargethan worden. Und wenn die Obrigkeit, wie die Juden zu den Aposteln Christi, Act. V. 28, sprechen würde: Wir haben euch streng verboten, von dieser Angelegenheit zu lehren, so sollen die Prediger des Wortes Gottes sprechen: Unser Herr Christus Jesus hat uns vorhergesagt, daß wir um seinetwillen vor Könige, Fürsten, Statthalter und Obere geführt werden; aber er hat uns auch gesagt, wir sollen uns nicht fürchten, wenn sie gleich den Leib tödten, denn der Seele vermögen sie nicht zu schaden. Darum stehen wir hier und sagen: Wir müssen Gott mehr gehorchen als den Menschen. Gott heißt uns, sein Wort klar und unverhohlen predigen, doch zur reckten Zeit. Wollet ihr Obere demnach Christen sein, so müsset ihr uns das klare Wort Gottes predigen und uns demnach wirken lassen; denn ihr seid nicht Herren über die Seelen und Gewissen der Menschen. Könnet ihr das nicht zugeben, so werdet ihr den ungläubigen Juden und den heidnischen Tyrannen gleich werden „. So sehen wir wohl, daß die Gewalt, welche die Obrigkeit über unser zeitliches Gut und über unsern Leib hat, sich nicht über unsere Seelen erstreckt. Da nun der Zehnte das zeitliche Gut anbetrifft, so kommt der Obrigkeit das Recht zu, diesen geben zu heißen oder ihn sonst umzuändern, doch stets ohne Verletzung der menschlichen Gerechtigkeit und Ordnung. Ich will hier wieder nicht untersuchen, nach welchem Rechte man den Zehnten gebe; wenn's aber eine dazu ermächtigte ordentliche Obrigkeit fordert, will ich Solches gerne ergründen helfen und es aus der Schrift darthun.
Zinsen ist man ebenfalls schuldig zu bezahlen nach dem Gebote Gottes: Ihr sollet jedermann geben, was ihr schuldig seid. Denn sobald Eigenthum rechtlich anerkannt worden, so kann die Obrigkeit Niemanden zwingen, daß er sein Eigenthum ohne Widervergeltung oder Nutzen verleihe. Nun sind wir aber dieses nichtsdestoweniger nach dem Gebote Gottes schuldig; daher nennt Christus den Reichthum ungerecht, Lucä 16, 9. Ohne Zweifel geschieht dieses aus dem Grunde, weil die Früchte der Erde Gottes sind, Psalm. XXIV, l, und Gott uns diese ohne Bezahlung oder Zinse genießen läßt. Wir erklären aber dasjenige, was Gottes ist, zu unserm Eigenthum. Solches läßt uns zwar Gott zu, doch sind wir dessenungeachtet seine Schuldner, denn wir sind dabei verpflichtet, das Zeitliche nur seinem Worte und Gebote gemäß zu gebrauchen. Diese Schuld wird niemals aufgehoben. Darum ist jeder, der das Zeitliche nicht nach dem Willen Gottes gebraucht, vor Gott ungerecht, wenn er es gleich nicht gegen die menschliche Gerechtigkeit verwendet. So nennt Christus mit Recht den Reichthum ungerecht, erstens, weil wir das zu unserem Eigenthum erklären, was allein Gottes ist: sodann, weil wir dasjenige, was Gottes ist, und was uns nur zur Verwaltung anvertraut worden, nicht nach seinem Willen gebrauchen. So sind auch alle Zinse ungöttlich. Erstens, weil aller Reichthum ungerecht ist, woher wir ermessen können, warum Christus gesprochen habe: Es ist leichter, daß ein Kamel durch ein Nadelöhr gehe, als daß ein Reicher ins Himmelreich komme. Es möge aber hier Niemand verzagen! Die Gnade Gottes ist größer als unsere Missethat, Jedoch müssen wir durchaus anerkennen, daß der Reichthum Gottes sei, und immerhin bereit seien, denselben dem Willen und dem Dienste Gottes gemäß anzuwenden und ihn so besitzen, als besaßen wir ihn nicht. Sonst kann ich nicht begreifen, wie ein Reicher gläubig sein kann, wenn sein Herz stets bei seinem Schatze ist. Und sein Herz ist dabei, wenn er nicht alle Zeit bereit ist, ihn dem Willen Gottes gemäß hinzugeben und ihn nicht nach diesem Willen gebraucht; denn alsdann schätzt er den Reichthum höher als Gott. Wenn er nun nicht dergestalt gläubig ist, so kann er auch nicht selig werden. Zweitens sind die Zinse nicht göttlich, weil er leihen und borgen heißt, ohne auf Lohn zu hoffen, Luc. VI. 35, Exod. XXII, 25. Da nun die Menschen diejenigen Dinge, die sie zu ihrem Eigenthum erklärt, nicht ohne Vortheil und Entgelt, den Dürftigen überlassen wollen, so gestattete die arme menschliche Gerechtigkeit, daß der Entlehnende dem Ausleiher von dem, darauf er geliehen, Früchte gewähren müsse nach der Größe des Kapitals oder nach dem Masse der Früchte, die darauf gewachsen sind. Dieses ist so zu verstehen: Ist das Gut hundert Gulden werth, und der Schuldner entlehnt darauf fünfzig Gulden, so ist er schuldig, die Hälfte der Früchte dem Gläubiger zu überlassen; hat er fünfundzwanzig Gulden darauf entlehnt, so ist er den vierten Theil der Früchte zu überlassen schuldig. So müssen die Rechtsgelehrten diese Angelegenheit ansehen, wenn sie den Zins als einen Fruchtkauf vertheidigen wollen. Nun wären in der That die Zinse, wenn sie in dieser Weise bezogen würden, nach menschlicher Gerechtigkeit keine große Beschwerde, wiewohl sie dessenungeachtet vor Gott ungerecht sind, wie vorher dargethan worden. Aber daß Einer von einem Gute oder Acker oder Weingarten Zins geben müsse, den die Rechtsgelehrten einen Fruchtkauf nennen, mögen darauf Früchte wachsen oder nicht, das ist doch allzu arg. Es nimmt mich auch Wunder, wie diejenigen, welche auf den Koncilien zu Konstanz oder Basel gewesen, selbst nach menschlicher Gerechtigkeit so unbesonnen sein konnten, daß sie ein so unbilliges Ding festsetzen ließen, was selbst ungläubige Fürsten unter ihrem Volke nicht gestatten dürften. Warum haben sie nicht auf das Wort Christi geachtet: „Ihr sollt leihen ohne Etwas dafür zu erwarten“? Wie haben die falschen Pfaffen nur so davon reden und handeln dürfen, da sie doch billigerweise die Fürsten davon hätten abmahnen sollen, wenn diese für sich solches vorgebracht hätten? Aber weil sie sich nicht mit dem Zehnten begnügten, sondern sich selbst Zins zu nehmen eingeräumt haben, so wird mir daraus klar, daß sie die eigentlichen Urheber eines so unbilligen Zinses seien. Sieh', wo sind jetzt jene lügnerischen Schwätzer, die stets schreien: Ja die Koncilien sind im heiligen Geist versammelt!? Können die Eingebungen des heiligen Geistes wider Gott sein? Doch soll auch so Jeder, wenn der Zinskauf nach gemeiner Uebung besteht und von der Obrigkeit mit Brief und Siegel bestätigt wird, den Zins geben von seinem Grundstück, das er wohlbedacht unter dieser Bedingung an sich gebracht hat; sonst stört er den menschlichen Frieden. Solches rede ich allgemein von den Zinsen, die nach der menschlichen Gerechtigkeit (die aber hier beinahe anders genannt werden könnte; denn die den Zinskauf festgesetzt, haben weder das Wort Gottes noch das Gesetz der Natur berücksichtigt) je Eins von Zwanzig erkauft sind.
Aber die Obrigkeit soll mit allem Ernste dem Mißbrauche mit den Zinsen vorbauen. Hiebei möchte ich einen Rath ertheilen; und zwar rathe ich hier wie ein Mensch, wie auch Paulus solches den Korinthern that. Soll ich das Wort Gottes lehren. so spreche ich, ihr sollt leihen ohne Etwas dafür zu hoffen. Da ich aber hier sehe, daß wir die Vollkommenheit der göttlichen Gerechtigkeit nicht kosten wollen, so rathe ich, daß Alle, welche Zins besitzen, die Summen des Gutes, darauf der Zins haftet, schätzen ließen und alsdann nach dem Maßstabe des geliehenen Geldes einen Theil der Früchte nehmen. Sonst besorge ich sehr, daß sich viele Menschen mit der Zinsnahme mehr versündigen, als was mit der menschlichen Schwachheit entschuldigt werden könnte. Ja ich fürchte, daß sie mit vorbedachter Bosheit ihres Herzens sich dabei so habsüchtig benehmen, daß sie mit vollem Rechte vor Gott Schelme gescholten werden. Darum (nun rede ich Gottes Wort) sorge Niemand zu sehr, wie er sein Leben fortbringen wolle. Gott speist die Raben und andere Vögel, die nichts sammeln oder Vorräthe machen; er bekleidet die Blumen, des Feldes. Wie viel mehr sind wir in den Augen des Herrn werth? Getrost, er wird auch uns und unsere Kinder speisen. Die großen Mißbräuche stammen alle aus dem Unglauben und aus der Unkenntniß Gottes. Dieser wolle alle Menschen erleuchten, daß sie ihn erkennen und ihn über Alles lieben; alsdann wird dieses Gebrechen aus der menschlichen Gesellschaft ohne irgend eine Störung verschwinden. Amen!
Die Zinse aber, die nicht nach Festsetzung und unter Zustimmung der Obrigkeit erkauft worden, soll man nach der Größe der Schuldsumme bezahlen. Verstehe dieses also: Man findet Geizwürmer, die von Fünfzehn so viel fordern als von Zwanzig. Und daneben findet man Obere, die solchen Zinskauf mit Brief und Siegel bestätigen. Hiebei handeln die Obern wider ihre eigene Gerechtigkeit und mißbrauchen ihre Gewalt, darum sind sie schuldig, dem damit Beschwerten daraus zu helfen, so daß ihm nicht mehr abgenommen werde, als was ihre arme Gerechtigkeit festsetzt; denn Untreue und Betrug soll den Betrüger selbst strafen. Und wenn sie schon Solches thun, so sind sie dennoch nicht gerecht; sondern sie entfernen nur den größten Unrath, und es bleibt noch Unrath genug zurück. So mag jeder, der mit unredlichem Zinskauf beladen ist seine Beschwerde und Klage anbringen.
Dieses ist meine Ansicht und Lehre über den unlauteren Handel der Zinse; nun streuen meine Feinde aus: ich lehre, man soll Niemandem Zinse geben. Und doch schrei' ich stets fort, wer Zinse übernommen, sei ein Dieb, wenn er nicht bezahle, was er versprochen habe, sofern der Zinskauf redlich nach menschlich bestimmten Maße geschehen ist. Ich muß auch oft wider meinen Willen davon reden, damit ich denen, die alle Laster beschirmen und alles Unrecht vertheidigen wollen, den Mund verstopfe. Nun zielt mein Streben allein dahin, daß die Zinskäufer sich nicht dreifach gegen Gott versündigen. Denn es soll derjenige, der auf die Seligkeit der Menschen zu achten berufen ist, allen Schaden der Seelen verhüten, oder die Umkommenden werden von ihm gefordert; und wenn er nicht allen Schaden verhüten kann, soll er doch nicht vom Wehren lassen, vielleicht gelingt es ihm, doch den größeren Schaden abzuwenden.
Vom Wucher rede ich so: Wo eine Obrigkeit Wucher zu treiben gestattet, ist der Aufnehmende schuldig, den Wucher zu bezahlen. Es soll aber keine Obrigkeit so unredlich gegen ihre Unterthanen sein, daß sie Juden oder andere Wucherer, die durch List und Trug die Menschen verstricken und aussaugen, dulde. Wo aber die Obrigkeit den Wucher nicht duldet und den Wucherern nicht Recht zuspricht, da ist man ihn auch nicht zu bezahlen schuldig. Ja die Obrigkeit soll die Gebenden und Nehmenden dafür bestrafen, wenn sie es inne wird, wiewohl Einer das Pfandgut wieder zu erstatten schuldig ist, es erkenne eine Obrigkeit ein Anderes. Diesen Tand findet man bei den menschlichen Rechtslehrern (wenn ich mich nicht irre), deren ich mich bei dem Unrathe des Wuchers bedienen mußte; denn dem göttlichen Rechte ist der Wucher so zuwider, daß er durchaus nirgends gestattet wird. Auch hierin hat die Obrigkeit die Pflicht, der göttlichen Gerechtigkeit so gemäß als möglich zu handeln. Sie ist dafür eingesetzt, alle ungöttliche Beschwerden zu entfernen, sofern es ohne größeren Schaden geschehen kann. Ueberhaupt soll der Mensch in allen Dingen nicht die menschliche Gesellschaft zerrütten um des zeitlichen Gutes willen; sondern wenn ihm Etwas am Herzen liegt, so daß er es nach dem göttlichen Worte nicht lassen kann, so soll er Solches allein durch die ordentliche Obrigkeit zu Rechte legen, und nicht Anlaß geben, daß die Lehre Christi bescholten werde, als würde sie Aufruhr erzeugen. Es soll dabei auch eine Obrigkeit wohl aufsehen, daß sie alle Mißbräuche, die so offenbar wider Gott sind, entferne, sonst wird endlich die lange Geduld, der Nichts gewährt wird, sich in Aufruhr verwandeln. Wie kann auch nur eine ehrbare Obrigkeit den Muthwillen der sogenannten Geistlichen ertragen? Wie kann sie ansehen, daß ihr armes Volk durch Wucherer und niedrige Geschäftsagenten (Gyselfresser) ausgesogen wird? Darum wolle Gott das Licht seines Wortes wieder aufgehen lassen, damit es diesen Unrath einmal entferne und wegtilge!
Zehntens spricht Paulus: „Wem ihr Steuer schuldig seid, dem gebet sie; wem Ehre, dem gebet sie!“ Diese Worte sind klar und beziehen sich auch auf alle Menschen. Ich kümmere mich auch wenig um die Freiheit der Geistlichen; man mag sie meinetwegen zoll- und steuerfrei halten oder nicht, nur soll dieses Alles ohne Nachtheil für einen andern Menschen geschehen, was kaum geschehen kann. Handle dabei jede Obrigkeit nach ihrem Gutfinden! Ich, meines Theils gestehe gerne, daß sie nach keinem göttlichen Rechte oder Gebote frei seien.
So soll nun denn das Wort Gottes über alle Menschen herrschen; dieses soll ihnen allen anbefohlen getreulich verkündet und geoffenbaret werden, denn wir sind schuldig, demselben nachzukommen. Unserer Ohnmacht aber kommt die alleinige Gnade Gottes, die in Christo geoffenbaret worden, zu Hülfe. Denn je mehr wir auf der einen Seite unsere Schuld und Ohnmacht kennen lernen, desto näher tritt uns auch die Lauterkeil und Allmacht Gottes, und in uns wächst immer mehr die Liebe und Zuversicht zu seiner Gnade, was mehr zur Frömmigkeit verhilft, als irgend ein anderes Mittel. Da aber daneben Etliche sich finden, die aus Gottlosigkeit und Unglauben dem Worte Gottes nicht gehorchen und nicht nach demselben leben, so bat uns Gott zum Aeußersten Gebote gegeben, nicht daß wir, wenn wir diese befolgen, fromm werden, sondern damit dennoch die menschliche gesellschaftliche Ordnung erhalten und beschützt werde, und hat dazu Wächter gesetzt, die ernstlich darauf achten, daß nicht auch der letzte Zipfel der menschlichen Gerechtigkeit uns entrissen werde. Diese Wächter sind die ordentliche Obrigkeit, die das Schwert trägt, und die wir die weltliche Obrigkeit nennen, deren Amt darin besteht, Alles nach dem göttlichen Willen, und da uns solches nicht möglich ist, nach dem göttlichen Gebote zu leiten und zu führen. Darum soll sie Alles, was nicht im göttlichen Worte oder Gebote oder in der menschlichen Gerechtigkeit sich begründet findet, entfernen und es auch nach der menschlichen Gerechtigkeit für falsch, unrecht und ungebührlich erklären. Nun will ich diese Ansichten noch einmal kurz zusammenfassen und die göttliche und menschliche Gerechtigkeit neben einander klar darstellen.
- Gott ist das höchste und vollkommenste Gut.
- Er will sich allen Geschöpfen offenbaren und mittheilen ohne Vergeltung.
- Er ist weder eigennützig noch irgend einer Begierde oder Leidenschaft zugänglich.
So fordert er auch, daß wir gesinnt und beschaffen seien, denn er spricht: „Ihr sollet vollkommen sein, wie euer himmlischer Vater vollkommen ist, Matth. V,
- Wollen wir nun vor sein Angesicht kommen, so müssen wir
- vollkommen, d. i., lauter, rein, schön, ohne alle Gebrechen sein,
- und uns nicht als unser eigen schätzen, sondern wissen, daß wir Gottes sind; und so wir Gottes, so sind wir auch des Nächsten.
- Seid in keiner Weise eigennützig! seid frei vom Geize und von jeglicher Begierde nach Ehre und Macht oder Wollust!
Wir sollen auch vor allen Dingen das Reich Gottes suchen und seine Gerechtigkeit, das ist, wir sollen trachten gerecht zu werden, wie er es ist. Solches ist uns aber unmöglich; darum versichert er uns seiner Gnade durch seinen Sohn, den er für uns in den Tod gegeben hat. Das ist das Evangelium.
Sintemal wir nun in dieser Weise das Maß der Frömmigkeit, das Gott von uns fordert, nicht erreichen mögen und dennoch aufgefordert werden, gerecht zu sein, so folgt, daß man uns den Willen und die Gebote Gottes ohne Unterlaß offenbaren soll, damit wir mit unermüdlichem Fleiße allerwegen in allem Guten wachsen und dabei nicht stolz werden auf unsere Tugenden, denn wir haben noch nicht das Maß der Vollkommenheit darin erreicht, welches Gott von uns fordert. Daraufhin hat Gott noch niedere Gesetze gegeben, bei deren Befolgung wir mit einander im Frieden leben können. Gleich wie Christus auch den Juden, Matth. XIX. 8, sagt, daß Moses wegen der Herzenshärtigkeit der Juden die Ehescheidung gegeben hätte, wiewohl es Anfangs nicht so gewesen sei. Besieh diese Stelle wohl! Nun sind wir nichtsdestoweniger schuldig, nach der göttlichen Gerechtigkeit zu leben; vermögen es aber nicht, denn wir sind
- von Natur bös und verfinstert,
- Wir wollen nicht andern Menschen dienen, sondern, daß alle Dinge uns dienen.
- Denn wir sind von Adam her eigennütz und voll fleischlicher Begierden.
Damit die Gebrechen nun nicht so groß werden, und wir nicht ganz verwildern und ärger werden, als die unvernünftigen Thiere, so hat uns Gott zwei Dinge gegeben, die uns leiten und führen sollen, „sein Wort und die Obrigkeit“, die unsere Leidenschaften durch die Strafe zügelt.
- Im Worte Gottes erlernt man, wie fromm wir sein sollen; und es offenbart sich darin die Erlösung durch die Gnade. Dieses Wort soll Niemand meistern, denn es ist über alle Menschen. Keiner, der in Sünden geboren, ist so gerecht oder unschuldig, der diesem Worte Genüge thäte; auch ist Niemand, der nicht der Gnade, die darin geoffenbaret wird, bedürfte.
- Damit nicht aus unserer Selbstsucht Gewaltthat erwachse, hat man die Obrigkeit, daß sie den Gewaltthätigen zähme, auf daß er nicht nach Eingebung seiner Begierden einem Andern das Seinige nehme.
- Damit wir nicht so schamlos werden, wie die Hunde, soll uns dieselbe züchtigen, denn dazu hat sie das Gesetz empfangen.
- damit wir nicht Gotteslästerer werden, sondern seinem Worte gehorchen.
- Damit wir nicht eines Andern Gut antasten, weder durch frevelhaften Raub noch Diebstahl.
- Damit wir nicht aus Zorn Jemanden tödten oder Jemandes Eheweib schwächen, uns nicht überfüllen und dergleichen.
- Wenn du aber Gott lästerst oder schmähst, bestraft dich die Obrigkeit.
- Ebenso henkt sie dich, wenn du stiehlst oder raubst.
- Tödtest du, so wirst du auch getödtet; ebenso wirst du, wenn du andere Missethaten begehst, bestraft.
- Uebrigens soll sich die Obrigkeit nicht über das Wort Gottes erheben. Denn sie bestraft nur die äußern Missethaten, macht uns inwendig weder gerecht noch ungerecht; denn Solches wirket Gott allein in den Herzen der Menschen.
- Daraus folgt, daß sie nur die bekannten und offenbaren Missethaten durch das Gebot und die Strafe verhüten soll.
- Was aber vor Gott recht, erlaubt und unverboten ist, das soll sie auch nicht verbieten.
- Denn sie kann dasjenige nicht zu Sünde machen, was nicht Sünde ist.
- Gottesfurcht und Frömmigkeit aber sollen sie zu verbreiten und zu vermehren trachten.
- Sie sollen aber nicht dasjenige für gut halten, was die Menschen erdichtet haben, sondern das allein, was Gott dafür erklärt.
- Bestraft sie diejenigen, welche nicht wider Gott handeln, so wird sie auch von Gott bestraft.
- Bestraft sie aber diejenigen nicht, die wider Gott handeln, so wird sie wieder selbst bestraft.
- Siehe, so will Gott allenthalben in seinem Worte und in seinen Geboten, daß man allein auf ihn sehe.
- Darum soll keine Obrigkeit, wie es gegenwärtig geschieht, Jemanden wegen jener erdachten Scheinwerke bestrafen, deren Abgang von vielen Menschen beklagt wird; auch Niemanden soll sie ferner bestrafen, der sich nicht durch den Papst vom Worte Gottes entfernen lassen will. Ferner unterliegt auch nicht dasjenige, was allein das Gewissen und den innern Menschen anbetrifft, der Strafe der Obrigkeit. Beispiel: Es finden die Mönche und Nonnen in den Klöstern, daß die Orden, Sekten und Rotten wider Gott seien, und daß sie verführt worden, ihre Seligkeit in den Klöstern zu suchen und begehren sodann alle Heuchelei abzulegen und von nun an ein ungeheucheltes, christliches Leben mit allen Christen zu führen. Welche Obrigkeit will sich unterfangen, solches zu wehren? Denn sie hat keine Macht über die Gewissen der Menschen. Wenn aber Jemand um solcher Dinge willen öffentlich wider die gesetzliche Ordnung mißhandelt würde, da mögen und sollen sie ihre Gewalt geltend machen; ja sie sollen Alles, was wider das göttliche Wort geht, abstellen. Dadurch wird Ruhe und eine friedliche Regierung geschaffen. Denn wenn man täglich unter dem Lichte des göttlichen Wortes die Mißbräuche kennen lernt, und diese nicht mit reifer Ueberlegung entfernt werden, so ist zu besorgen, daß der Unwille der Unterdrückten so groß werde, daß sie mit Gewalt sich Recht verschaffen. Kurz, das Wort Gottes kann nicht gefangen noch gebunden weiden. Wenn wir uns aber alle insgemein des Wortes Gottes befleißigen werden, so lasset demnach nur Gott walten! Er wird diese Angelegenheiten schon ordnen. Ihm sei Lob und Ehre in Ewigkeit! Amen!