Thomasius, Gottfried - Am Sonntage Lätare Die Sterbestunde des Christen.
O Lamm Gottes, unschuldig,
Am Stamm des Kreuzes geschlachtet,
Allzeit erfunden geduldig,
Wie sehr du wurdest verachtet!
All Sünd hast du getragen,
Sonst müssten wir verzagen.
Erbarm dich unser, o Jesu!
Luk. 23, V. 32-43.
„Es wurden aber auch hingeführt zwei andere Übeltäter, dass sie mit ihm abgetan würden. Und als sie kamen an die Stätte, die da heißt Schädelstätte, kreuzigten sie ihn daselbst, und die Übeltäter mit ihm, einen zur Rechten und einen zur Linken. Und das Volk stand und sah zu. Und die Obersten samt ihnen spotteten seiner und sprachen: Er hat anderen geholfen, er helfe ihm selber, ist er Christ, der Auserwählte Gottes. Es verspotteten ihn auch die Kriegsknechte, traten zu ihm und brachten ihm Essig und sprachen: Bist du der Juden König, so hilf dir selber. Es war auch oben über ihm geschrieben die Überschrift, mit griechischen und lateinischen und hebräischen Buchstaben: Dies ist der Juden König. Aber der Übeltäter einer, die da gehenkt waren, lästerte ihn und sprach: Bist du Christus, so hilf dir selbst und uns. Da antwortete der andere, strafte ihn und sprach: Und du fürchtest dich auch nicht vor Gott, der du doch in gleicher Verdammnis bist? Und zwar wir sind billig darinnen, denn wir empfangen, was unsere Taten wert sind: dieser aber hat nichts Ungeschicktes gehandelt. Und sprach zu Jesu: Herr, gedenke an mich, wenn du in dein Reich kommst. Und Jesus sprach zu ihm: Wahrlich, ich sage dir, heute wirst du mit mir im Paradies sein.“
Wir haben in unserer vorigen Passionsbetrachtung den Herrn auf seinem letzten Weg begleitet, heute führt uns die Geschichte an das Ziel dieses Weges, nach Golgatha, ans Kreuz. War der Weg schon schwer und sauer genug, so ist es das Ende noch viel mehr. Denn der Kreuzestod - um jetzt noch gar nicht von der äußeren und inneren Qual desselben zu reden, worauf uns die nächste Predigt führen wird - der Kreuzestod ist jedenfalls die schmachvollste der Todesstrafen gewesen, die man nur an gemeinen Verbrechern, an Mördern, Räubern, Auswürflingen der menschlichen Gesellschaft zu vollziehen pflegte, und um das Maß dieser Schmach voll zu machen, wird der Herr zwischen zwei Missetätern gekreuzigt. In der Gesellschaft dieser Menschen soll er sterben, auf dass erfüllt würde, was geschrieben steht: „Er ist unter die Übeltäter gerechnet.“ Wahrscheinlich hat ein Teil des Volkes bisher noch immer erwartet, er werde durch irgend ein Wunder seine Befreiung bewirken, jetzt, da nichts dergleichen geschieht, da der Herr zwischen den beiden Schächern blutend am Kreuz hängt, jetzt glaubt sich Jeder berechtigt, ihn für einen Schwärmer, für einen hochmütigen Toren halten zu dürfen; und so bricht denn der Hass der Menge, bisher noch mit heimlicher Furcht gemischt, in Spott und Hohn heraus. „Er hat anderen geholfen, und kann sich selber nicht helfen; ist er Christus, der Sohn Gottes, so steige er herab vom Kreuz; bist du der König Israels, so hilf dir selber, so wollen wir dir glauben.“ Und es ist wahr, was sie sagen. An seinem Kreuz ist es zu lesen, in den drei Hauptsprachen der Erde ists zu lesen, dass es der König Israels, ja der König der Ehren ist, den sie lästern. Wer kann das erwägen, ohne zu erschrecken über die tiefe Verblendung und über die teuflische Bosheit, deren das Menschenherz fähig ist? Mit Trauern wendet man den Blick hinweg. Aber da mitten in diesen dunklen und erschütternden Umgebungen, die unser Text beschreibt, steht eine kleine Geschichte, wie ein liebliches, leuchtendes Bild in der Nacht, auf welches vom Kreuz herab ein Strahl der Herrlichkeit fällt: die Bekehrung und Begnadigung des Einen der mitgekreuzigten Übeltäter. Auf das lasst uns heute unsere Blicke richten. Man könnte darüber Vieles reden, man könnte daraus Allen denen, die es noch nicht glauben, beweisen, dass Jesus Christus in die Welt gekommen sei, die Sünder selig zu machen; man könnte diesen Schächer, den er zum Unterpfand dieser Wahrheit mit in sein Reich genommen hat, hinstellen als ein Zeugnis für die Kraft des Kreuzes aber wir wollen diese Wahrheiten auf denselben Fall anwenden, der uns hier vorliegt, wir wollen
unsere eigene Sterbestunde
im Licht dieser Geschichte betrachten zur Lehre, zum Trost und zur Warnung.
Auf unsere eigene Sterbestunde will ich heut eure Andacht richten; und dass das ein Gegenstand sei, der unsere Erwägung wohl verdient, dass es heilsam sei, den Tod, der uns Alle erwartet, zu bedenken, bevor er kommt, das gesteht ihr gewiss zu. Auch hoffe ich, es werde euch dieser Gedanke kein fremder sein. Denn der Christ ist ein Gast auf Erden, ein Fremdling, der einem fernen Ziel entgegengeht; was kann da näher liegen, als von dem Weg aus, den man wandelt, auf das Ende hinzusehen, auf den Ausgang aus dieser Welt, der über ein Kleines denn was sind die fünfzig, sechzig oder siebzig Jahre unserer Wallfahrt gegen die lange Ewigkeit über ein Kleines uns bevorsteht. Hat doch Gott selbst das Leben so eingerichtet, dass es eine stete Mahnung an den Tod ist; die Vergänglichkeit der irdischen Dinge, die uns von allen Seiten umgibt, der Weg, der mit jedem Schritt vorwärts einsamer wird, die Freunde, die von uns scheiden, ja, jeder Abend, der nach des Tages Arbeit hereinbricht, ist ein Wahrzeichen des letzten Abends, der das ganze mühevolle Tagewerk beschließt. Unsere Väter haben in diesem Gedanken gelebt; so oft des Abends die Betglocke läutete, hoben sie ihre Hände auf und sprachen:
Lieber Mensch, was mag bedeuten
Dieses Abendglocken-Läuten?
Es bedeutet abermal
Deines Lebens Ziel und Zahl.
Dieser Tag hat abgenommen,
Bald wird auch der Tod herkommen;
Derowegen schicke dich,
Dass du sterbest seliglich.
Freilich ist dieser Ernst dem Geschlecht unserer Lage fremd geworden; es lebt so tief in der Welt, dass es dem Gedanken an den Tod, so weit wie möglich, aus dem Weg geht; um so notwendiger ist es, ihn uns vor Augen zu führen, um so wichtiger, die Sterbestunde uns lebendig zu vergegenwärtigen und in dem Licht zu betrachten, was von der Geschichte unseres Textes auf sie fällt. Denn es ist eine ernste Stunde; schon deshalb, weil sie die letzte ist, da sich das irdische Leben schließt und der Mensch das Haus seiner Wallfahrt verlassen muss, samt Allem, was ihm darinnen wert und lieb gewesen ist; noch mehr aber deshalb, weil sie die Tür ist, durch die man in eine andere Welt hinübertritt, der Augenblick, mit dem sich unser Geschick für die Ewigkeit entscheidet.
Denn welches Los auch in jener künftigen Welt uns fallen werde, ob ewiges Leben oder ewiges Wehe, das hängt zunächst von dem Zustand ab, in welchem der Tod uns findet. Ist Ist aber dem also, dann tut uns sicher nichts dringender not, als ein Licht von Oben, in dessen Schein man selig sterben lerne. Was aber dazu gehöre, das sehen wir an dem Unglücklichen, der mit Christo gekreuzigt worden ist. Und eben daran, fürchte ich, werden sich eurer Etliche ärgern; denn wer ist dieser Mensch? Ein Übeltäter, der die Strafe für seine Sünden leidet, ein Verbrecher, den jedenfalls um eines schweren, todeswürdigen Verbrechens willen der Arm der weltlichen Obrigkeit erreicht hat, um das gerechte Gericht an ihm zu vollziehen; und mit einem solchen Menschen, sagt ihr, willst du uns ehrliche und rechtschaffene Leute vergleichen, in die Gemeinschaft eines solchen Todes willst du unsere eigene Sterbestunde gleichsam hineinstellen? Von einem Missetäter, wie dieser, sollen wir lernen, und mit dem Trost, der ihm widerfuhr, sollen fromme Christen getröstet werden? Nein, Andächtige, ich will euch, die ihr also redet, gar nicht trösten; denn ich weiß, dass ihr des Trostes so wenig bedürftig seid, als jener Pharisäer mit seinem Gebet: „Ich danke dir, Gott, dass ich nicht bin wie andere Leute, Mörder, Räuber, Ehebrecher, oder auch wie dieser Zöllner.“ Ich will euch nicht mit diesem Sünder zusammenstellen, ob ich wohl etliche Sprüche der Schrift euch zu bedenken geben möchte; etwa die: „Wer seinem Bruder zürnt, ist des Gerichts schuldig, wer seinen Bruder hasst, der ist ein Totschläger und ihr wisst, dass ein Totschläger das ewige Leben nicht hat bei ihm bleibend“ oder: „Wer ein Weib ansieht ihrer zu begehren, der hat schon die Ehe mit ihr gebrochen in seinem Herzen“: ich will annehmen, eure Hand sei, wie ihr sagt, von allen den Übeltaten rein geblieben, um derentwillen ihr ihn verachtet; dennoch erblicke ich zweierlei an ihm, was ich euch Allen für eure Todesstunde wünschen möchte, die zwei Dinge, ohne welche Niemand selig sterben kann: Buße und Glauben. Denn wie weit auch dieser Unglückliche vordem sein Gewissen betäubt haben mag, dass es mit dem Menschen gar aus sei im Tod, dass der Geist des Menschen, wenn der Leib gestorben ist, gleich einem Nebel vor der Sonne vergehe, wie ihrer heute noch Viele inmitten der Christenheit wähnen bis zu diesem gottesleugnerischen Wahn hat er. es noch nicht gebracht. Darin kann er in der Tat die Weisheit unserer Tage beschämen. Er glaubt noch an eine Ewigkeit und an ein Gericht. In dem furchtbaren Geschick, das ihn traf, erkannte er die rächende Hand des lebendigen Gottes und an der Größe der Strafe die Größe seiner Sünde. Er entschuldigt oder verkleinert sie nicht, er bekennt sie vielmehr vor Gott und Menschen, murrt auch nicht gegen die Hand, die so schwer auf ihm lastet, als geschähe ihm zu viel, sondern gibt dem göttlichen und menschlichen Gericht recht. Und zwar, sagt er, „sind wir billig darin, denn wir leiden, was unsere Taten wert sind.“ Aber auch das meint er nicht so, als ob diese zeitliche Strafe eine Abbüßung oder eine Bezahlung für die ewige wäre, sondern er sieht in ihr nur das Wahrzeichen eines anderen, künftigen Gerichtes, und fürchtet sich darum jetzt erst recht vor Gott. In dieser Furcht kehrt er sich voll Abscheu von seinem früheren Leben weg und seine Sünden werden ihm bitterer, als der bittere Tod, den er leidet. Es regt sich etwas in seiner Seele von der Klage des Psalms: Ach, Herr, strafe mich nicht in deinem Zorn und züchtige mich nicht in deinem Grimm, denn deine Pfeile stecken in mir und deine Hand drückt mich; es ist nichts Gesundes an meinem Leib vor deinem Dräuen, es ist kein Friede in meinen Gebeinen vor meinen Sünden, meine Missetat geht über mein Haupt, wie eine schwere Last ist sie mir zu schwer geworden. So hängt er hier am Kreuze; die Welt hat ihn ausgestoßen und der Himmel über ihm ist wie verschlossen.
Aber siehe, da trifft sein Blick auf den Heiland, der neben ihm am Holze still und geduldig leidet. „Dieser aber, sagt er, hat nichts Unrechtes getan.“ Wir wissen nicht, wie er zu diesem Glauben gekommen ist. Er wird ohne Zweifel schon früher von ihm gehört, er muss jedenfalls auf dem Hinausweg, da er neben ihm herging, einen tiefen Eindruck von seiner Unschuld empfangen haben. Aber das erklärt uns dieses wunderbare Zeugnis noch lange nicht; denn er sieht in diesem Gekreuzigten nicht etwa bloß einen schuldlos verurteilten Menschen, er erkennt in ihm den Heiligen Gottes, den König Israels, den Herrn. Dass er neben ihm wie ein Missetäter am Holze hängt, das irrt ihn nicht; er hat eine Ahnung davon, dass der Tod für den der Eingang zum Leben, der Übergang in das Reich der Herrlichkeit drüben sei, und trauts ihm zu, er könne auch ihn in dieses Reich mithinübernehmen; ja noch mehr, er muss einen Blick in sein erbarmungsvolles Herz getan, er muss etwas vernommen haben von dem: „Wer zu mir kommt, den will ich nicht hinausstoßen,“ etwas wissen von dem, was der Apostel sagt: „Wir haben nicht einen Hohenpriester, der nicht Mitleid haben könnte mit unserer Schwachheit, sondern der versucht ist allenthalben gleich wie wir, doch ohne Sünde; denn darinnen er versucht ist und gelitten hat kann er auch helfen denen, die versucht werden“; und so wendet er sich denn voll großen Glaubens an ihn: Herr, gedenke an mich, wenn du in dein Reich kommst. Wahrlich, Freunde, auch hier gilt das Wort: solchen Glauben habe ich in Israel nicht gefunden; die Jünger sind allesamt an dem Meister irre geworden, Petrus hat ihn verleugnet, selbst Johannes steht zaghaft von ferne, sein Volk hat ihn verworfen und gelästert und dieser Schächer bekennt ihn hier als den Herrn und Heiland der Welt, der traut ihm zu, dass Er, welcher selber den Tod eines Missetäters stirbt, über die Pforten des Himmels und der Hölle gebieten könne. Das ist die Kraft des Kreuzes Christi, das ist Erfüllung seines Wortes: „Wenn ich erhöht sein werde von der Erde, will ich sie Alle zu mir ziehen;“ an diesem Schächer hat sichs zum ersten Mal erfüllt, er durfte zuerst erfahren, was seitdem der Trost aller Christen in ihrer letzten Stunde geworden ist.
Und was hast denn du für einen Trost, mein Christ, wenn du dich einst auf dein Lager hinlegst und die Todesnacht heraufziehen siehst? Du sprichst - denn so hab ichs wenigstens oft genug aus dem Mund Gesunder und Kranker, so hab ichs an vielen Sterbebetten gehört - du sprichst: ich habe nichts Böses verbrochen, kein Kind beleidigt, keinem Menschen Unrecht getan, warum soll ich mich fürchten vor dem Tod. Nichts Böses getan! und gesetzt, das sei wahr, meinst du denn, damit vor dem Richterstuhl dessen bestehen zu können, welcher ein Licht ist und ist keine Finsternis in ihm; damit, dass du kein Mörder, kein Dieb, kein Ehebrecher oder auch nicht wie dieser Übeltäter bist, bestehen zu können vor dem, der gesagt hat: ihr sollt heilig sein, denn ich bin heilig? Nichts Böses getan! und ist denn das nichts Böses, dass du Gott nicht von Herzen geliebt und nicht ihm, sondern dir gelebt hast? die vielfachen Versäumnisse seiner Gnade, der Undank, die Untreue, die Unlust zum Guten, das arge verkehrte Herz, das du in dir trägst, dazu die bösen Lüste und Begierden, der Neid, die Unreinigkeit, die Lieblosigkeit, die Bitterkeit, das soll nichts Arges, nichts Gottwidriges, nichts Verdammungswertes sein? Wo denkst du hin? Hat jener Missetäter schwere Sünden begangen, so hast du desto mehr Aufforderung und Unterstützung zum Guten von Oben empfangen, hat er öffentlich vor der Welt gesündigt, so wachsen deine Früchte im Verborgenen; und lass erst das Licht der nahen Ewigkeit in diese Verborgenheit hineinfallen und aufdecken, was keines Menschen Auge gesehen und kein menschliches Ohr gehört hat; offenbar werden, was hinter dem Schleier verborgen liegt, der dein inwendiges Leben bedeckt o Freunde, wenn es einst dahin mit uns kommt, dann wird uns der eitle Hochmut und das törichte Rühmen wohl vergehen, wir werden dann nicht mehr auf den Schächer, überhaupt nicht mehr auf anderer Leute Sünden sehen, sondern in unser eigenes Innere werden wir hineinsehen und erkennen, dass wir so wenig als er eine eigene Gerechtigkeit besitzen, mit der wir vor Gott bestehen können. Gebe aber Gott, dass wir das bei Zeiten erkennen; denn nichts hindert so sehr an dem Eingang in das Reich der Herrlichkeit, als die Selbstgerechtigkeit; nicht die Sünde, der Mangel an Buße, an rechtschaffener, gründlicher Buße schließt von der erbarmenden Gnade aus. Wo hingegen solche Buße ist und Abkehr von dem alten argen Wesen, da kommt es auch zum Verlangen nach dem Heil, und im Heilsverlangen zum Glauben an den Heiland, und solcher Glaube lässt nicht zu Schanden werden.
„Wahrlich ich sage dir, spricht der Herr zu dem mitgekreuzigten Übeltäter, heute wirst du mit mir im Paradies sein.“ Ich kann heute die ganze Tiefe dieses Wortes nicht auslegen, brauche auch die Anwendung davon kaum erst zu machen. Denn ihr ermesst selbst, wer so reden, wer vom Kreuz herab so reden kann, der muss die Schlüssel zum ewigen Leben haben und aufschließen und zuschließen können, welchem er will. Er schließt aber Jedem auf, der bußfertig seine Gnade sucht, er weist Keinen hinweg, der im Glauben seine Hand ergreift, auch in der letzten Stunde, in der Sterbestunde nicht. Das ist der Trost, der in der Geschichte unseres Textes liegt. Auf den hin kann man getrost das müde Haupt zur Ruhe legen, und wenns zum Sterben geht den Geist in die Hände des Vaters befehlen und mit den Vätern beten:
Nun, so will ich dieses Leben,
Weil es meinem Gott beliebt,
Auch ganz willig von mir geben,
Bin darüber nicht betrübt;
Denn in meines Jesu Wunden
Hab ich schon Erlösung funden
Und mein Trost in Todesnot
Ist des Herren Jesu Tod.
Aber ich weiß, Andächtige! dass Viele diesen Trost zur Stärkung ihres gottlosen Sinnes missbrauchen. Sie sehen den Schächer an, der sich so spät bekehrt hat und sprechen in ihren Herzen: Nun so will ich auch noch eine Weile hingehen auf meinen Wegen, zur Bekehrung ists am Ende noch immer Zeit. Darum füge ich noch ein Wort der Warnung hinzu. Es ist möglich, dass ein Mensch aus seinen Sünden heraus noch in der letzten Stunde sich zum Herrn wende und wie ein Brand aus dem Feuer errettet werde; man hat Exempel davon - zum Preis seiner Gnade sei es gesagt. Aber es ist ungewiss, ob du, der du dich darauf verlässt, den morgenden Tag erleben wirst; deine Seele kann in dieser Nacht von dir gefordert werden, also dass dir keine Zeit zur Buße und zum Glauben mehr übrig bleibt. Und wenn auch das nicht, so ist es doch gewiss, dass du mit jedem Schritt, den du auf diesem Weg vorwärts gehst, dir den Rückweg schwerer und zuletzt ganz unmöglich machst. Denn erstlich ist das der Fluch des mutwilligen Beharrens in der Sünde, dass sie das Herz verhärtet und ihm die Empfänglichkeit für die Gnade nimmt; die Sünde, die man festhalten will, wird dem Menschen zu einer Macht, die ihn knechtet und in solche Fesseln schlägt, die er nicht mehr zerreißen kann. Zweitens entzieht der Herr dem Menschen, der also tut, seinen heiligen Geist und gibt ihn zum gerechten Gericht in seine eigene Wege hin. Von wem aber der Geist des Herrn gewichen ist, für den gibt es keinen Raum mehr zur Buße, selbst wenn er sie, wie Kain, mit Tränen suchte; er muss sterben in seinen Sünden. Und endlich nimmt der Satan von einem solchen Menschen eilends Besitz und ruht nicht, bis er ihn nach Leib und Seele in die Hölle gebracht hat. Ich weiß nicht, ob unter den Wenigen, die sich noch auf dem Sterbebette bekehrt haben, einer in seinen guten Jahren gefrevelt habe: „Lasst uns in der Sünde beharren, auf dass die Gnade desto mächtiger werde;“ aber das weiß ich, dass der Apostel sagt: „So wir mutwillig sündigen, nachdem wir die Erkenntnis der Wahrheit empfangen haben, haben wir weiter kein Opfer mehr für unsere Sünden, sondern ein schreckliches Warten des Gerichtes und des Feuereifers, der die Widerwärtigen verzehren wird.“ (Hebr. 10,26 und 27). So viel zur Warnung für die, so etwa Lust hätten, unseren Passions-Text auf Mutwillen zu ziehen.
Uns aber schenke der Herr den Geist seiner Gnade, und lehre uns durch ihn bedenken, was zum Frieden dient in dieser unserer Zeit. Er erleuchte und züchtige selber unseren Geist, dass wir die Buße nicht bis dorthin verschieben, wo wir nicht mehr sündigen können, sondern, so lange es heute heißt, uns zu dem Gekreuzigten kehren, damit unser Ende in ihm, es mag früh oder spät erscheinen, ein seliges sei! Amen.