Thomas von Kempen - Buch 1 - Kapitel 2

Thomas von Kempen - Buch 1 - Kapitel 2

Von der Geringschätzung seiner selbst.

1. Jeder Mensch hat von Natur ein Verlangen nach Wissen: aber Wissenschaft ohne Gottesfurcht, was trägt sie ein?

Besser ist in der That ein demüthiger Landmann, der Gott dienet, als ein stolzer Weltweiser, der den Lauf der Sterne betrachtet und dabei sich selber vernachlässiget.

Wer sich selbst recht erkennt, der denkt gering von sich und findet kein Wohlgefallen an menschlichen Lobsprüchen.

Wenn ich alles in der Welt wüßte, und hätte die Liebe nicht: was hälfe es mir vor Gott, der mich nach meinem Thun richten wird?

2. Laß ab von allzugroßer Wißbegierde, denn es ist viel Zerstreuung und Betrug dabei.

Die viel wissen, wollen gern glänzen und für Weise gehalten werden.

Es gibt viele Dinge, deren Kenntniß der Seele wenig oder nichts frommt.

Und sehr thöricht ist derjenige, welcher nach andern Dingen trachtet, als denen, die zu seinem Heile dienen.

Viele Worte sättigen die Seele nicht, aber ein gottseliges Leben erquicket das Gemüth und ein reines Gewissen verleiht große Zuversicht auf Gott.

3. Je größer und gründlicher dein Wissen ist, desto strenger wirst du darnach gerichtet werden, wenn du nicht um so heiliger gelebt hast.

Darum erhebe dich nicht wegen irgend einer Kunst oder Wissenschaft, sondern fürchte dich vielmehr der dir verliehenen Einsicht wegen.

Wenn es dir scheint, du wissest viel und verstehest es gut genug; so sollst du doch wissen, daß es noch viel mehr Dinge gibt, die du nicht weißt.

Thue nicht groß mit dem Wissen, sondern bekenne lieber deine Unwissenheit. - Was willst du dich über einen Andern erheben, da es so Viele gibt, die gelehrter und im Gesetz erfahrener sind, als du?

Wenn du aber etwas Nützliches wissen und lernen willst, so lerne, gern unbekannt bleiben und für nichts gehalten werden.

4. Das ist die höchste und nützlichste Lebensaufgabe, sich selbst wahrhaft kennen und gering achten.

Von sich selbst nichts halten und von Andern immer eine gute hohe Meinung haben, ist große Weisheit und Vollkommenheit.

Wenn du auch einen Andern offenbar sündigen oder etwas Schweres verbrechen sähest; so dürftest du dich doch nicht für besser halten, dieweil du nicht weißt, wie lange du selbst im Guten beharren magst.

Wir sind allzumal gebrechlich; du aber sollst Niemanden für gebrechlicher halten, als dich selbst.

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