Thomas von Kempen - Buch 3 - Kapitel 7
Von dem Verbergen der Gnade unter dem Schirme der Demuth.
1. Sohn, es ist nützlicher und sicherer für dich, die Gnade der Andacht zu verbergen, sich ihrer nicht zu überheben, auch nicht viel davon zu sprechen, noch viel Gewicht darauf zu legen, sondern vielmehr dich selbst zu verschmähen und zu fürchten, als sei sie einem Unwürdigen zu Theil geworden.
Du darfst auch an diesem Gefühle nicht zu fest hängen, da es gar bald in das Gegentheil umschlagen kann.
Im Besitz der Gnade bedenke, wie elend und arm du ohne dieselbe zu sein pflegst. Auch liegt darin nicht so viel Wachsthum des geistlichen Lebens, wenn du die Gnade der Tröstung hast, sondern wenn du ihre Entziehung mit Demuth und Entsagung geduldig erträgst, so daß du alsdann im Eifer zum Gebet nicht erkaltest, noch deine übrigen Werke, die du sonst zu thun pflegest, gänzlich unterlässest; sondern, nach bestem Wissen und Vermögen, gerne thust, was dir obliegt; auch wegen Dürre und Aengstlichkeit der Seele, die du fühlst, dich nicht gänzlich vernachlässigest.
2. Es gibt Viele, die alsbald ungeduldig und träg werden, wenn es ihnen nicht nach Wunsch von Statten gehe.
Denn nicht immer steht es in der Macht des Menschen, wie er wandle oder seinen Gang richte: sondern Gottes Sache ist es, zu geben und zu trösten, wenn er will und wie viel er will und wem er will, so wie es ihm gefällt und nicht mehr.
Einige haben in ihrem religiösen Eifer sich selbst zu Grunde gerichtet, weil sie mehr thun wollten, als sie vermochten und weil sie das Maaß ihrer geringen Kraft nicht in Anschlag brachten, sondern mehr dem Triebe des Herzens, als dem Urtheile der Vernunft folgten.
Und weil sie sich größerer Dinge vermaßen, als Gott wohlgefällig war, so sind sie der Gnade alsbald verlustig geworden. Hilflos wurden und in Niedrigkeit blieben die, so bis in den Himmel steigen wollten, damit sie, gedemüthigt und verarmt, lernen möchten, nicht mit eigenen Flügeln zu fliegen, sondern unter meinen Fittigen zu harren.
Welche in den Wegen des Herrn noch Neulinge und unerfahren sind, können leicht betrogen und irre geführt werden, wenn sie sic nicht nach dem Rathe der Erfahrenen richten.
3. Wollen sie aber ihrem Sinne mehr folgen, als andern Geübteren glauben, so steht ihnen ein geringer Ausgang bevor, sofern sie sich anders von ihrer Meinung nicht abbringen lassen.
Selten besitzen die, welche sich selbst für weise halten, Demuth genug, um sich von Andern zurechtweisen zu lassen.
Besser ist mäßiges Wissen mit Demuth und geringer Einsicht, als große Schätze von Kenntnissen mit eitler Selbstgefälligkeit. Besser ist es für dich, weniger zu haben, als viel, worauf du stolz werden könntest.
Nicht vorsichtig genug handelt, wer sich ganz der Freude überläßt, uneingedenk seiner vorigen Dürftigkeit und der lauteren Furcht des Herrn, welche die empfangene Gnade zu verlieren fürchtet.
Auch dem fehlt noch an Meisterschaft, der zur Zeit der Trübsal und bei jeder Bedrängniß sich zu verzagt benimmt und nicht die Zuversicht zu mir bewahrt, die er haben sollte.
4. Wer zur Zeit des Friedens allzu sicher sein will, den findet man zur Zeit des Kampfes oft gar zu kleinmüthig und furchtsam.
Vermöchtest du immer demüthig und bescheiden in dir zu bleiben und deinen Geist gehörig zu mäßigen und zu regieren: so würdest du nicht so leicht in Gefahr gerathen und Aergerniß nehmen.
Das ist ein guter Rath; daß du, wenn dich der Geist der Inbrunst ergriffen hat, erwägest, wie es mit dir stehen werde, wenn das Licht dich verläßt?
Und wenn dieser Fall wirklich eingetreten ist, so bedenke, daß das Licht wiederkehren könne, ddas ich dir zur Warnung, mir aber zur Verherrlichung auf eine Weile entzogen habe.
5. Eine solche Prüfung ist dir oft heilsamer, als wenn dir Alles stets nach Wunsch und Willen geschähe.
Denn die Verdienste sind nicht darnach zu schätzen: ob Eienr viele Offenbarungen oder Tröstungen habe oder ob er bewandert sei in der heiligen Schrift oder auf eine höhere Stufe gestellt; sondern darnach, ob er in der wahren Demuth gegründet und von göttlicher Liebe erfüllt sei; ob er die Liebe Gottes allzeit lauter und redlich suche; ob er sich selbst für nichts achte und in Wahrheit verschmähe, ja sich mehr freue, auch von Andern verachtet und gedemüthigt, als geehrt zu werden.