Tholuck, August - Die Festigkeit des Herzens.

Tholuck, August - Die Festigkeit des Herzens.

Wir haben in einer unserer letzten Betrachtungen der Klage gedacht, dass es unserer Zeit an starken Menschen, an unerschütterlicher Gesinnung fehle. Ich habe gesagt, dass der erschütterte Glaube an das Gotteswort der Grund ist, warum unerschütterliche Gesinnungen fehlen. Lasst diese Wahrheit in unserer heutigen Andacht uns noch tiefer und gründlicher in Erwägung ziehen. Dass Festigkeit des Glaubens uns fehle, ist eine Tatsache, die Niemand leugnen kann. In Betreff des Glaubens ist ja eine Zeit angebrochen, wie noch keine frühere. Einst gab es einen gewissen Abschnitt des Lebens, wo der Mensch in Zweifel geriet: es war die Jünglingszeit. Jetzt siehst du im Knabenalter die Zweifel erwachen, du siehst den Greis, der da stirbt, ohne einen Fürsprecher bei Gott zu haben, und vor dessen Blicken die Ewigkeit, nach welcher vordem Greise hinüberschauten, als in einen sichern Hafen, wie ein unsicher flutendes Meer liegt. Einst war der Zweifel auf das männliche Geschlecht beschränkt: jetzt siehst du jenes zartere Geschlecht, dem gerade nur der Glaube an eine unsichtbare Welt den rechten Adel und die rechte Zartheit mitteilt, auf denselben stürmischen Wogen umhergetrieben, wo sonst nur Männer kämpften. Einst kehrte der Zweifel wohl in das Herz derjenigen ein, welchen die tiefere Kenntnis der heiligen Urkunde verschlossen war: jetzt, o wehe der Zeit! sind die Haushälter der Geheimnisse Gottes zweifelhaft geworden, ob sie Geheimnisse Gottes zu verwalten haben! Und es kommt wohl der Fall vor, dass der vom Zweifel gequälte Laie, wenn er am Herzen seines geistlichen Hirten die Ruhe sucht, mit zerrissener Brust von dannen gehen muss. Einst ergriff der Zweifel und Unglaube in Zeiten göttlicher Heimsuchung einzelne Länder: jetzt ist er durch alle Lande des Christentums gezogen. Gibt es von solchem Falle noch ein Aufstehen? Brüder, es gibt eines. Eine heilige Stimme sagt: „Jesus Christus, gestern und heute und derselbe auch in Ewigkeit“. Das ist das Wunderbare unserer Religion. Wie das Samenkorn in der Erde für immer verwest scheint, und doch nur mit neuer Hülle sich erhebt, so war sie untergegangen in der Zeit des Aberglaubens, und ist wieder auferstanden im sechszehnten Jahrhundert; so war sie untergegangen in der Zeit der sogenannten Aufklärung, die bis in die unsrige hineinreicht, aber schon ist ein Frühlingshauch durch die Völker hingegangen, und manche Blumen blühen, und Mancher, Mancher unter euch, das weiß ich, ist von diesem Frühlingshauche berührt. Dass ein festes Herz ein köstliches Gut sei, fühlt ihr Alle tief. Eurer keiner ist hierher gekommen mit dem Ausrufe des Pilatus: „Was ist Wahrheit!“, als ob es ihm zweifelhaft wäre, dass es ein Reich der Wahrheit gibt. Wenn einer unter euch noch fragen muss, so fragt er: Was ist Wahrheit? Nur danach verlangt er, dass unter den mancherlei Gestalten, in denen sie sich darbietet, er die rechte erkennen möge. Als zu solchen also, in denen der Same keimt einer schöneren Zeit der Kirche, lasst mich zu euch sprechen über den Text Hebr. 13,9.: „Es ist ein köstliches Ding, dass das Herz fest werde, welches geschieht durch Gnade, nicht durch mancherlei Speisen, davon die keinen Nutzen haben, so damit umgehen“.

Von der Festigkeit des Herzens wollen wir mit einander reden, und zwar 1) wie köstlich sie ist, und 2) wodurch sie gewonnen wird.

Wie köstlich die Festigkeit des Herzens ist, wollen wir also zuerst erwägen. - Worin liegt jener stille Zauber, mit welchem die Natur uns an sich kettet? Es ist der stille, gleichmäßige Gang, die innere Einheit und Ruhe, mit welcher ihre Erscheinungen vor unserem Blicke sich entfalten. Wohl ist es auch ein schönes Schauspiel, wenn der Sturm die Wolke und die Woge peitscht, und unter seinem Flügel die Bäume des Waldes sich beugen und brechen; aber denkt euch, meine Brüder, es herrsche in der Natur ein ewiger Sturm - wer kann auch nur den Gedanken ertragen! So gibt es denn auch in dem Reiche des Geistes einen Zauber, der dem der Natur gleicht, und das ist der Zauber eines festen, in Gott ruhig und still gewordenen Herzens. Ich will nicht bei niedrigeren Abbildern euch aufhalten, in denen ihr diesen Zauber in geringerem Grade erblicken könntet, lasst sofort uns hinblicken auf den König der Geisterwelt! Was anders ist's, das der Erscheinung des Heilandes diesen Adel, diese Alles vor sich niederbeugende Größe mitteilt, als jene unerschütterliche Festigkeit des in Gott ruhenden Geistes, von welchem Worte und Taten ausgehen, rein, ruhig, ewig sich selbst gleich, wie die Strahlen, welche die Sonne sendet? Es ist ein köstliches Ding um die Festigkeit des Herzens, von welcher unser Text redet; denn diese Festigkeit des Herzens ist die Einheit göttlicher Freiheit, und göttlicher Kraft. Diese Festigkeit des Herzens ist göttliche Freiheit. Wen nennen wir frei? Frei nennen wir denjenigen, der von nichts abhängig ist außer ihm. Seid ihr frei in diesem Sinne, meine Lieben? Wenn irgend ein anderes Geschlecht, so ist dasjenige, was jetzt seine Stimme so laut für die Freiheit erhebt, ein unfreies Geschlecht.

Zwei Tyrannen sind es, unter denen ihr seufzt, und habt ihr deren Joch nicht gebrochen, hilft es euch nichts, dass ihr aller anderen Dränger Joch von euren Schultern werft. Der erste Tyrann, unter dem ihr seufzt, das ist das Urteil der Leute. Wohl hat es zu allen Zeiten einen starken Einfluss ausgeübt, aber eine so despotische Herrschaft, wie zu unserer Zeit, nimmer. Wie viele Menschen werden wohl jetzt gefunden, die über den Gang ihres Lebens nur Gottes Urteil und das ihres eigenen Innern entscheiden lassen? Demütig beugt ihr euch, große Opfer könntet ihr bringen, eure heiligsten Überzeugungen könnt ihr verschweigen, dass nur das Urteil der Leute euch nicht richte! „Was wird die Welt davon sagen?“, ist das nicht die erste eurer Fragen? Warum ist euer Christentum noch schlaff oder lau, warum fehlt euch die Entschiedenheit? O vor allem anderen nur darum, dass ihr vor dem Urteile der Leute euch fürchtet! Nichts seid ihr aus euch selbst, und um eurer selbst willen, Alles seid ihr durch Andere, und um Anderer willen, und ihr wärt frei? -

Der zweite Tyrann ist das sinnliche Leben. Was würden wir Alle sein, - fragt euch aufrichtig, meine Freunde - wenn aus eurem eigenen Geiste heraus ihr euch bestimmtet, ohne abhängig zu sein von der Rücksicht auf gute und auf böse Tage nach dem Fleische? Unsterblicher Menschengeist, unter welcher Knechtschaft stehst du von Sonnenschein und regnerischen Tagen, von deiner eigenen Hülle, und allen ihren Gebrechlichkeiten! Du bist in den Tempel des Herrn getreten, der Orgel hehre Töne, die betende Gemeinde, das Wort des Allmächtigen haben dein Herz himmelan gezogen. „Die Ewigkeit ist mein Vaterland“, hat es in deiner Brust gerufen - du trittst heraus, ein Mahl der Freude winkt, und - du bist gefangen! Unsterblicher Menschengeist! unter welcher schnöden Herrschaft stehest du von dem, was tief unter dir ist! Und du wärst frei? Werden wir aber die Freiheit in ihrem innersten Grunde erkennen lernen, wenn wir sie nur erkennen als die Unabhängigkeit von dem, was außer uns ist? Und wie nun, wenn dieses Selbst, von dem alle Bestimmungen ausgehen, und welches alles Äußerliche unterwirft, wenn eben dieses in der Knechtschaft steht einer fremden Gewalt? Es gibt einen Zustand der Unabhängigkeit von Allem, was außer uns ist, wo der Mensch sich allein bestimmt aus sich selbst, und der dennoch keine Freiheit ist. Sind sie euch wohl jemals vor Augen getreten jene Charaktere, für welche das eigene Ich der einzige Grund, und das einzige Ziel ihrer Bestimmung ist? Sitzen sie auf Thronen, so sind die Leichname von Tausenden das Fundament, auf denen ihr Thron sich höher erhebt, als die übrigen der Erde; sind sie Väter von Familien, so ist Alles, was sie umgibt, nur da, um auf die ersprießlichste Weise zu ihrem eigenen Vorteil verwendet zu werden. Wohl bestimmen sie sich aus sich selbst, aber sind sie frei? Nur derjenige ist frei, der auch von seinem eigenen Selbst frei geworden ist in Gott, der als sein wahres innerstes Selbst das göttliche Ebenbild erkannt hat, das uns Allen bei unserer Schöpfung gegeben worden. So lange das nicht dich bestimmt und in dir herrscht, so dienst du einer fremden Macht. Du wärst ein Knecht, auch wenn alles Geschaffene um dich her zu deinen Füßen läge. Wollt ihr sie sehen, jene göttliche Freiheit, die in einem festgewordenen Herzen sich offenbart, schauet sie an in dem König des Geisterreiches, der da sagen kann: „Ich tue allezeit den Willen meines Vaters“, und dennoch ein König ist, wie kein anderer - der wahrhaft frei ist, indem er ruft: „Nicht mein, sondern dein Wille geschehe!“ - der frei ist, während er vor seinen Jüngern niederkniet, die Füße ihnen zu waschen, und während sein Haupt am Stamme des Kreuzes sich senkt.

Wo diese Freiheit ist, da ist auch die göttliche Kraft. Kraft ist das Vermögen, das, wozu wir uns bestimmt haben, ins Werk zu setzen. Sie ist die natürliche Folge der Freiheit. Bin ich frei, so dass nichts, was von außen kommt, mich binden kann, so habe ich auch die Kraft, ins Werk zu setzen, wozu ich mich bestimme. Lasse ich von nichts außer mir mich bestimmen, so ist alles mein Tun einem einzigen Ziele untergeordnet, und dieses Ziel steht unverrückt vor meinen Augen. Das aber gerade ist es, was allem Tun den Nachdruck gibt. Nach einer solchen Kraft sehnen wir uns, wir möchten gerne herrschen - über die Natur, über unseren Körper, über Alles, was außer uns ist. Und das Verlangen ist wohlbegründet, denn zum Ebenbilde Gottes gehört auch die Macht, und vorzugsweise in der Schrift wird der Mann das Ebenbild Gottes genannt (1 Kor. 11,7.) um der Kraft willen, die vor dem weiblichen Geschlecht ihn auszeichnet. Auch geschieht es überall, wo eine solche sich stets gleich bleibende, über jeden Widerstand erhabene Kraft erscheint, dass wir uns als vor etwas Übermenschlichem vor ihr beugen. Aber, o meine Freunde! welch' ein Unterschied, ob nun diese Kraft die Kraft eines an das Ich geketteten, oder eines in Gott frei gewordenen Herzens ist! Die an das Ich gekettete, und aus dem Ich ihre Nahrung ziehende Kraft, ihr habt sie in der Weltgeschichte in einem Manne auftreten sehen, vor dessen Willen sich alles beugen musste; ihr habt sie über Millionen Leichen hinschreiten sehen, so dass unter ihrem Fuß drei Weltteile erbebten, und von den Häuptern der Könige der Erde die Kronen sielen. O wie einem so schauerlich ist neben solchen Menschen der Kraft! O wie so schauerlich die Kraft ist ohne die Liebe! Ihr ahnet an der Seite solcher Wesen das über das Menschliche Hinausreichende, aber es ist das Reich der Unterwelt, das seine Tiefen aufgetan hat! Und doch ist solche Kraft nicht einmal eine ausdauernde. Sie ist stark, so lange sie im Siege vorwärts schreitet, aber lass einmal das Glück anfangen von ihrer Seite zu weichen, und du siehst die Verzagung. Und das ist kein Wunder, denn sie wissen ja von keinem Siege, der, von Gott gegeben, am Ende liegt. Freunde, es gibt in dem Leben jedes auch noch so kräftigen Menschen, der ohne Gott ist, Augenblicke eines inneren Kleinmutes, wo es ist, als ob der Boden unter ihm wankte, Augenblicke einer inneren Unsicherheit, wo auf einmal es ihm zu Mute wird, als würde jeder Stein unter seinen Füßen eine Wasserwelle. O wie anders die Kraft eines in Gott frei und fest gewordenen Herzens! Wie man zuerst an der Seite solcher Kraft sich so wohl und selig fühlt! Wäre es dir nicht grauenhaft, an der Seite eines Sterblichen zu wandeln, von dem du wüsstest, dass er des Himmels Blitze unter seinem Gewande trägt, und dass Sturm und Welle als seine Knechte dienen müssen, wenn er sie ruft? - aber wie so sorglos und selig hat Johannes an der Brust jenes Einzigen geruht, dessen Kraft der Allmacht eine Kraft der lauteren Liebe war! An göttliche Menschen, deren Liebe so groß ist, wie ihre Kraft, da klammert der schwächere Mensch sich so gerne an, wie das Kind im Ungewitter an die Brust des Vaters, o und ich weiß es, in eurer aller Herzen wohnt die Sehnsucht, dass sie euch nur begegnen möchten im Leben, jene aus der Liebe geborenen starken Seelen, ihr wolltet euch ihnen gerne an die Brust werfen! Und Gott sei gepriesen - sie sind noch nicht ausgestorben in der Kirche Christi. Müsstest du auch in der Bettlerhütte und an der Pflugschar sie suchen, ausgestorben sind sie noch nicht. - Wollt ihr die Kraft göttlicher Freiheit anschauen, seht sie an in dem Könige des Geisterreichs. „Die Stunde des Vaters“, sie ist das Maß aller seiner Schritte. Auf der göttlichen Weltuhr ruht sein Auge; er wird nimmer unsicher. Von der ersten Stunde bis zu der letzten, wo das Auge bricht, ist er seines Sieges sich gleich bewusst. Im Dunkeln des Gartens vor seinen drei Freunden trägt er der Schwachheit der menschlichen Natur seine Schuld ab ohne Sünde, und wie der Mond, der einen Augenblick hinter den nächtlichen Wolken stand, tritt er sofort wieder hervor, und seine Klarheit geht nimmer unter.

Die Einheit nun, meine Geliebten, von solcher göttlichen Kraft und solcher göttlichen Freiheit, sie ist es, welche die Festigkeit des Herzens so köstlich macht. Verlangt ihr danach? O ich weiß es, ihr verlangt danach, die ihr in langen Leidensnächten euer Herz habt zerfließen sehen unter der Hitze der Anfechtung - o ich weiß es, ihr verlangt danach, die ihr ein Leben vor euch seht, wo Versucher zur Rechten und Versucher zur Linken euch werden zu Falle bringen wollen - o ich weiß es, ihr verlangt danach, die ihr gestehen müsst, dass an eurem inneren Himmel Sonnenschein und Regen eben so oft wechseln, als an dem Himmel außer und über euch.

Nun wohlan, so vernehmt, wie solche Festigkeit zu Stande kommt - „welches geschieht, sagt der Apostel, durch Gnade“. Er setzt noch dazu: „und nicht durch Speise“, womit er sagen will, nicht durch das Vertrauen auf irgend ein äußerliches Werk, wie wenn man bestimmte Speisen genießt, oder nicht genießt. Wenn er demnach hier sagt: „welches geschieht durch Gnade“, so ist es so viel als: „durch das Vertrauen, durch den Glauben an die Gnade, die in Christo dargeboten wird“. Und so lasst uns denn betrachten, wie die Festigkeit des Herzens gewonnen wird durch Glauben und insbesondere durch Glauben an die Gnade.

Ist nichts im Himmel fest, dann kann auch nimmer etwas fest sein hier auf der Erde. Gleichwie der Wanderer in dunkler Nacht, wenn von oben herab Mond und Sterne nicht mehr ihren Schein werfen, strauchelt und fällt, also der Mensch, wenn auf seinem Erdenpfade kein Licht aus einer höheren Welt schimmert. Denket sie euch hinweg, die großen Träger und Hebel des menschlichen Lebens, den Glauben an einen Urquell der Dinge, welcher das Maß in seiner Hand hält, von dem alle Worte und Werke aller Wesen im Himmel und auf Erden gemessen werden, und den Glauben, dass eine Zeit kommt, wo dieses Maß wird angelegt werden: wo ist das Maß und das Richtscheit für aller Menschen Tun und Handeln? Denkt sie euch entfesselt von dem Bande des Glaubens an einen heiligen Gott und an eine Ewigkeit, und sie brechen hervor die tausend Leidenschaften und Triebe, die jetzt wie brandende Wellen am Innern der Brust sich brechen, sie brechen hervor, und die Welt wird eine Hölle. Wollt ihr die Hölle selbst euch vorstellen, welch' anderes Bild habt ihr dafür, als die entfesselte Natur im Sturm und Ungewitter, wo das Feuer des Himmels gegen die zitternde Erde kämpft, das Wasser gegen den Sturm, und Woge sich gegen Woge türmt, und das himmlische Gesetz zerrissen scheint, das sie alle gebunden hatte. O lasst uns Lob und Anbetung bringen der ewig erbarmenden Liebe, die niemals und zu keinen Zeiten zugelassen hat, dass der letzte Schimmer des Lichts verlösche, das vom Himmel her in jedes Menschen Herz leuchtet, der in die Welt kommt. Geht hin in die umnachtetsten Jahrhunderte zu den ärmsten Geschlechtern der Erde, und wäre es auch nur ein schwaches Wetterleuchten, das durch dunkle Wolkenmassen zuckt, etwas von jenem Lichte findet ihr allenthalben. Aber eben, da diese überirdischen Gestirne die Gewalten sind, die von oben herab in das Wogen des empörten Meeres rufen sollen: „schweige!“, so fühlt ihr wohl, dass das Menschenherz etwas mehr braucht, als bloß ein ungewisses Wetterleuchten. Ihr glaubt an Gott -warum regiert er nicht euer Leben? Ihr glaubt an die Ewigkeit - warum habt ihr keinen Anker nach jenem Gestade ausgeworfen, der euer Fahrzeug festhielte? Darum, weil jene Wahrheiten nur wie ein flüchtiges Wetterleuchten durch euer Inneres zucken, weil sie nicht wie Sonnen über eurem Haupte stehen. Und warum dies nicht? Weil ihr dem Zeugnisse dessen nicht zweifellos glaubt, der in des Vaters Schoß gelegen, und der es uns verkündigt hat. Wo ihr aber dessen Zeugnis glaubt von Gott und von der Ewigkeit, da kehren die zerstreuten Sinne aus ihrer Zerstreuung wie in einen heiligen Tempel ein, da sammeln sich alle zerstreuten Kräfte wie um einen heiligen Herd, da wird der Mensch eins mit sich selbst, er weiß, was er soll, und darum weiß er, was er will.

Doch wie nun, wenn er weiß, was er soll, aber wenn er es nicht kann? Wie nun, wenn er menschlich gestritten hat und menschlich unterlegen ist? Wie nun, wenn er in die Vergangenheit blickt, und da die Schuld sieht, wenn er in die Zukunft blickt, und da keinen sichern Sieg sieht? Siehe da eine neue Zerstreuung der vereinten Kräfte! Habt ihr in eurem Leben eine solche Zeit erfahren, wo ihr zweifelhaft geworden, ob ihr auch könntet, was ihr solltet? Mancher von euch hat es vielleicht nicht. Aber nur deshalb, weil das, was ihr solltet, euch nicht zum Bewusstsein gekommen ist. Ihr habt euch an einem Maße gemessen, das ihr euch selbst gesetzt habt, und nicht Gott. Wer aber an göttlichem Maße gemessen hat, was er soll, und ohne Christus gestritten, für den muss auch eine Zeit gekommen sein, wo kein Wort aus heiliger Schrift ihm wahrer dünkt, als das des Apostels: „Wohl habe ich Lust an Gottes Gesetz nach dem inwendigen Menschen, ich sehe aber ein anderes Gesetz in meinen Gliedern, das da widerstreitet dem Gesetz in meinem Gemüte, und nimmt mich gefangen in der Sünde Gesetz, welches ist in meinen Gliedern“. Kommen die Zeiten, wo auch der fromme, der christlich fromme Mensch erst recht in die Tiefen dieses Sprüchleins hineingeführt wird, da gibt es eine neue Auflösung aller Einheit des Innern. Du verlierst den Mut und die Freudigkeit, zu deinem Gott aufzublicken, du verlierst das, was die Schrift „den Zugang zum Vater“ nennt, und hast du erst den verloren, o arme Seele! dann gehst du irre umher, wie ein verlorenes Schaf, das keinen Hirten hat, und des Psalmisten Wort musst du im Mund fuhren: „Ich bin ausgeschüttet wie Wasser, alle meine Gebeine haben sich getrennt, mein Herz ist in meinem Leibe wie zerschmolzenes Wachs; meine Kräfte sind vertrocknet wie eine Scherbe - du legest mich in des Todes Staub „. - Da wird es denn offenbar, dass, soll das Herz fest werden, zu dem Glauben an die unsichtbare Welt, zu dem Glauben an Gott und Ewigkeit, noch ein anderer Glaube hinzukommen muss, der Glaube an die Gnade, von welchem der Apostel an unserer Stelle redet. Dieser feste unerschütterliche Glaube an die Gnade ist eine unumgängliche wesentliche Eigenschaft der Jünger des Herrn. Ohne ihn ist durchaus keine Festigkeit des Herzens möglich. Meine lieben Brüder! wo nicht stets dem inneren Auge der Blick durch den Himmel hindurch offen ist, wo nicht die Scheidewand zwischen dem sündigen Herzen und dem Vater im Himmel völlig hinweggetan ist, wo das nicht im vollkommenen Maße da ist, was der Apostel „den Zugang zum Vater“ nennt, wenn er sagt; „Nun wir denn sind gerecht worden durch den Glauben, so haben wir Friede mit Gott durch unseren Herrn Jesum Christum, durch welchen wir auch einen Zugang haben im Glauben zu dieser Gnade, darinnen wir stehen“ - wo das nicht ist, da ist die Festigkeit des Herzens unmöglich. Das Bewusstsein der Versöhnung, das ist das geistige Bad der Seele, darin sie allein erstarkt. Wo das nicht da ist, da hat der Ankläger der Menschenseelen unsere Herzen in seiner Hand, und wirft sie hin und her. Da kommen die traurigen Gedanken wie Schatten der Nacht, da kommen wie Stürme die Zweifel, da leuchten die ernsten Aussprüche heiliger Schrift wie zornige Blitze, Summa, wie Luther sagt: „Also steht und muss stehen das Menschenherz, so es ohne Christum ist, dass es immerdar hanget und pampelt in solchem ewigen Zweifel, Schrecken und Zagen, dass es nicht weiß, wo aus“. Mit dem Glauben an die Gnade aber, glaubt mir, kann auch der Schwächste und Ärmste unter euch jene Festigkeit des Herzens erlangen, von der ich euch gepredigt habe. Suchet sie denn, ihr glimmenden Dochte, suche sie, du schwankendes Rohr - o dass Mancher aus der Mitte dieser Versammlung hervorginge, auf den man in dieser kraft- und marklosen Zeit hinweisen könnte und sagen: „Seht da, welche Kraft den Menschen der Glaube an die Gnade gibt!“ - Das walte Gott!

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autoren/t/tholuck/hauptstuecke/tholuck_hauptstuecke_28_neu.txt · Zuletzt geändert: von aj
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