Thiersch, Heinrich Wilhelm Josias - Die siebte Bitte - "Sondern erlöse uns von dem Bösen."

Thiersch, Heinrich Wilhelm Josias - Die siebte Bitte - "Sondern erlöse uns von dem Bösen."

„Ich bitte meinen Herrn und Gott, unsern himmlischen Vater, den Geber alles Guten - Er wolle uns aus allen Gefahren, geistlichen und leiblichen, retten, und uns behüten vor aller Sünde und Gottlosigkeit, vor unserem Widersacher, dem Teufel, und vor dem ewigen Tode.“

Wir beten um Hilfe gegen das Böse; wir können unsere Augen nicht verschließen gegen das Reich der Finsternis, gegen den Abgrund der Sünde und Verdammnis, noch gegen den Bösen, durch welchen Sünde und Tod in die Welt gekommen ist, wir fühlen uns von Gefahren umgeben und flüchten uns unter den Schutz unseres himmlischen Vaters. Dazu hat uns der Herr, der diese Gefahren kennt und sie bestanden hat, der mit uns in solcher Lage Mitleid hat, ermächtigt; diese Bitte ist Seine Mitgabe für den Kampf, der uns verordnet ist, und auch diese wie alle Bitten, die Er uns gelehrt hat, nimmt Er auf, Er eignet sie sich an, heiligt sie und bringt sie vor den Vater. Er ist unser Fürbitter auch in diesen Stücken.

In der Bitte um Erlösung von dem Übel sind die moralischen und die physischen (natürlichen) Übel zusammengefasst. Die moralischen Übel sind es (mit einem Worte: die Sünde), gegen die wir vor allem bitten, und die Bitte um Erlösung von derselben ist unbedingt. Im Blick auf diese Übel flehen wir nicht nur um Minderung, sondern um völlige Abwendung und Fernhaltung derselben.

Wir sind aber nicht nur von diesen Feinden bedroht, sondern auch von dem Heer der physischen Übel umgeben. Das sind die Schäden an Leib und Gut, es sind die Plagen des irdischen Daseins, die seit Adams Fall über uns gekommen, es ist allerlei Not, in welche die einzelnen und die Völker geraten, allerlei gemeine Not. Wir dürfen und sollen auch gegen diese Übel beten, doch nicht unbedingt, und nicht an erster, sondern an zweiter Stelle. Denn das ganze Vaterunser lehrt uns, dass wir zuerst nach dem Reiche Gottes und nach den wahren himmlischen Gütern trachten sollen. So ist denn auch diese siebente Bitte zu verstehen, dass wir vor allem um Erlösung von den Dingen bitten, die uns vom Reiche Gottes ausschließen, und dann erst der zeitlichen Übel gedenken. Um Erlösung von diesen, als Krankheit, Todesgefahr, Armut, Hungersnot, Schmach und Verfolgung bitten wir mit dem Vorbehalt: sofern die göttliche Weisheit und Liebe dafür erkennt, dass solche Erlösung uns gut sei.

Auch die Weltmenschen und die Heiden rufen in der Stunde der Not um Rettung aus derselben, wie jene heidnischen Schiffsleute, die den Jona mit sich hatten, als das Meer gegen sie wütete, ein jeder seinen Gott anriefen. Auch wir Christen dürfen in aller zeitlichen Bedrängnis und Gefahr uns an unseren Vater im Himmel wenden. Es ist Gott wohlgefällig, dass wir um Verschonung bitten, insbesondere im Blick auf die mit uns und neben uns Leidenden. Die christliche Kirche tut dies in ihren Litaneien. Da machen wir mit allen Unglücklichen und Elenden gemeinsame Sache und bringen ihr Leid wie unser Leid vor Gott. Wenn gemeinsame Not eintritt, so hält die christliche Gemeinde ihre Tage der Demütigung und fleht um Wegnahme der Plagen, um Abwendung der wohlverdienten Gerichte Gottes. Aber sie tut dies in einem anderen Sinne als die Unerleuchteten, welche den Segen der Leiden und Züchtigungen nicht kennen. Dieser Segen war der Heidenwelt verborgen; die Kinder Gottes kennen ihn aus Gottes Wort und aus der Erfahrung. Sie suchen diesen Segen. Unser Anliegen ist nicht, dass uns die Leiden dieser Zeit erspart werden, sondern dass sie uns eine Frucht der Gerechtigkeit bringen, und dass unser Erdulden derselben zu Gottes Ehre gereiche. Sie sind uns bittere, aber heilsame Arzneien; nur ein Tor weist die Arznei, durch die ihm geholfen werden soll, zurück.

„Warum lässt Gott zu, dass wir uns noch mit so vielerlei Übel hier in der Welt schleppen müssen, da Er uns ja, sobald wir Seine Kinder werden, davon auf einmal erlösen könnte?“ -
„Gott hat solches zuzulassen, viel heilige und nützliche Absichten:
1. Damit unser alter Adam und Fleisch, dessen größte Kraft in dem eigenen Willen besteht, wo es uns wider unsern fleischlichen Willen ergeht, gekreuzigt und mehr und mehr mürbe gemacht und die Lust zu sündigen durch solche Züchtigung gedämpft werde; da das Fleisch hingegen bei guten Tagen sicher und allzu stark wird und den Geist unterdrückt.
2. Damit die Liebe der Welt so viel mehr bei uns getilgt, und, was das Verlangen des Ewigen hindern möchte, weggeräumt werde.
3. Damit Gott die Gelegenheit habe, Seine Güte und Allmacht an uns zu erweisen, da Er uns in dem Leiden stärkt und erhält und herausreißt.
4. Damit unser Glaube und dessen Früchte, Gebet, Liebe zu Gottes Wort, Hoffnung und dergleichen, geübt, geprüft und gestärkt werden.
5. Damit nach mehreren Leiden dort die Herrlichkeit auch so viel größer sei.
6. Damit wir dem Ebenbild Seines Sohnes gleichförmig werden. Daher bleibt's dabei, dass wir müssen in viel Leiden unser Leben zubringen.“ (Spener Frage 933).

Die armen Menschen, die keine Erleuchtung und keinen Glauben haben, erfahren auch wenig Gewinn von den Leiden dieser Zeit. Sie werden zwar im allgemeinen dadurch in Schranken gehalten und vor größerer Ausartung bewahrt. Aber man findet auch bei manchen von denen, die innerlich Gott entfremdet sind, dass sie in den Leiden noch härter und bösartiger werden. Wo kein Gold vorhanden ist, da kann auch durch das Feuer keines geläutert und zu Tage gefördert werden. Der Glaube der Kinder Gottes ist das Gold, das durch das Feuer der Trübsal bewährt und köstlich erfunden wird. 1. Pet. 1, 6. 7. Darum sagten die Apostel den Jüngern zum Trost, dass wir durch viel Trübsal müssen in das Reich Gottes gehen. Apg 14, 22.

Die Leiden der Kinder Gottes haben einen heiligen Namen: das Kreuz. Wie der Herr spricht: „Wer Mir folgen will, der verleugne sich selbst und nehme sein Kreuz auf sich täglich und folge Mir nach.“ Luk 9, 23.

Schön sagt auch der hl. Bernhard: „Schmählich wäre es, wenn unter einem mit Dornen gekrönten Haupte die Glieder zärtlich sein wollten.“ (Catech. Röm IV. 16, 12).

Der Herr mutet uns nicht zu, dass wir uns (wie die Philosophen der Stoa) gewaltsam überreden, Schmerz und Tod seien keine Übel und sie mit Unempfindlichkeit (Apathie) über uns ergehen lassen. Er gestattet uns, um Erlösung von diesen Übeln zu bitten. Wir sollen sie empfinden, denn sonst können sie uns nicht zum Besten dienen. Aber indem wir sie fühlen, will Er uns tragen helfen, sie mildern und endlich einen glücklichen Ausgang aller unserer Anfechtungen herbeiführen.

Die Liebe zu dem Herrn, der uns zuerst geliebt hat, ist in einigen Kindern Gottes so stark und so süß, der kindliche Gehorsam so mächtig, dass sie das Kreuz, welches Gott auferlegt, willkommen heißen, ja mit Freude begrüßen, und die Hand des Herrn, der sie züchtigt, küssen. Diese hohe Gnade schenkt Gott insbesondere denen, welche um Jesu Christi willen Verfolgung leiden.

„Selig seid ihr, wenn euch die Menschen um meinetwillen schmähen und verfolgen, und reden allerlei Übles wider euch, so sie daran lügen. Seid fröhlich und getrost, es wird euch im Himmel wohl belohnt werden.“ Mat 5, 11. 12.

Als die erste harte Verfolgung über die Apostel gekommen war, da gingen sie fröhlich von des hohen Rates Angesicht, darum, dass sie gewürdigt worden waren, um Seines (Jesu) Namens willen Schmach zu leiden. Apg 5, 41.

So ermahnt Jakobus: „Liebe Brüder, achtet es eitel Freude, wenn ihr in mancherlei Anfechtungen fallt.“ Jak 1, 2.

Er spricht von den Verfolgungen, die uns um des Herrn willen zustoßen.

Neben diesen Zeugnissen steht aber auch das andere Wort fest: „Alle Züchtigung, wenn sie da ist, dünkt sie uns nicht Freude, sondern Traurigkeit zu sein. Danach aber wird sie geben eine friedsame Frucht der Gerechtigkeit denen, die dadurch geübt sind.“ Heb 12, 11.

So wird denn in des Christen Herz, wenn ihm solche Prüfung auferlegt wird, ein zweifaches Empfinden vereinigt sein: Freude und Traurigkeit.

Es ist eine wunderbare Mischung von Weh und von fröhlicher Hoffnung, von Leid und Trost in dem Herzenszustand der Kinder Gottes, wie ihn Paulus an die Römer im achten Kapitel beschreibt (Röm 8. 18-39). Nur wer etwas davon erfahren hat, wird verstehen, wie beides zusammen sein kann. In der Trübsal geduldig und dabei fröhlich in Hoffnung sein, das ist die Stimmung des leidenden Christen, dies in uns zu wirken, vermag die Gnade Gottes.

Ohne Schmerz würde der Ernst aus dem menschlichen Leben verschwinden. Auch bei den mancherlei Leiden, die nicht im eigentlichen Sinne zu dem Kreuze Christi gehören, dürfen wir nicht vergessen des Trostes, der zu uns redet als zu Kindern: „Mein Sohn, weigere dich der Züchtigung des Herrn nicht, und verzage nicht, wenn du von Ihm gestraft wirst, denn welchen Er liebt, den züchtigt Er; Er stäupt aber einen jeglichen Sohn, den Er aufnimmt. Seid ihr aber ohne Züchtigung, deren sie alle sind teilhaftig geworden, so seid ihr Bastarde und nicht Kinder.“ Heb 12, 5-8.

Wenn das gewöhnlichste der Übel, Krankheit und leiblicher Schmerz, uns zustößt, in welchem Sinn sollen wir dann die siebente Bitte sprechen? Es kann sein, dass uns der Herr dadurch auf eine noch unerkannte Sünde aufmerksam machen will; darum wollen wir Ihn anflehen, dass Er uns solche Sünde aufdecke und uns Gnade gebe, sie zu bereuen und abzulegen, damit wir dann Seiner Züchtigung nicht mehr bedürfen. Oft erfolgt auf ein demütiges Sündenbekenntnis leibliche Heilung. Es kann sein, dass keine begangene Sünde zugrunde liegt, aber der Herr sieht eine Gefahr für unsere Seele und will uns vor einer möglichen und naheliegenden Sünde durch Leiden bewahren. So tat Er an Seinem Knechte Paulus. Ihm war ein Pfahl ins Fleisch gegeben und dieser wurde ihm nicht abgenommen, damit er sich der hohen Offenbarung nicht überhebe, d. h. um ihn vor geistlichem Hochmut zu bewahren. Da muss, wie allezeit, das Heil der Seele, nicht die Gesundheit und Schmerzensfreiheit des Leibes unser Anliegen sein. Auch kann es sein, dass der Herr uns an längst vergebene Sünden durch Leiden erinnern will, um uns vor Rückfall zu warnen und zu bewahren.

In allen Leidensfällen bedeutet diese Bitte, dass der Herr uns die Prüfung nicht zu schwer werden und nicht zu lange währen lasse.

Wir suchen die Hilfe, die Linderung, die Kraft zum Ertragen bei Gott und im Hinblick auf Jesus, der im Leiden überwunden hat. Wir geben Gott die Ehre, dass die Hilfe von Ihm kommt, dem treuen Schöpfer und Erlöser. Wenn wir natürliche Mittel, den Arzt und die Arznei gebrauchen, so geschehe es nicht gleichsam hinterrücks, mit Umgehung des Herrn, sondern im Aufblick zu Gott, mit dem Bekenntnis, dass Er allein, der diese natürlichen Mittel geschaffen hat, sie auch segnen und wirksam machen kann, und dass im Falle der Heilung Ihm die Ehre und der Dank gebührt. Wir nehmen das Leiden und wir nehmen das Heilmittel an aus Seiner Hand. Wir beten zu Ihm und entsagen damit allen unrechten Mitteln, die Er verboten hat. Alle Arten der Zaubermittel, gesetzt, dass sie dem Leibe etwas nützen könnten, schaden der Seele; sie widerstreiten dem Taufbund, sie beleidigen die Ehre Gottes, sie vereiteln die Absichten Seiner Gnade. Besser ist es den leiblichen Tod erleiden, als durch Anwendung vorwitziger Kunst die Seele beflecken.

Es sind übertriebene Behauptungen und überspannte Ansichten, der Christ solle jede Krankheit wegbeten, und wenn es nicht gelinge, seinem Unglauben die Schuld geben. Wir wissen nicht, was wir bitten sollen, wie sich's gebührt; eben darum dürfen wir um Abnahme der zeitlichen Leiden nur bedingungsweise bitten, wenn uns solches gut sei, und mit kindlicher Ergebung in Gottes Willen, wenn Er für gut findet, dass wir das Kreuz noch länger tragen. Dreimal hatte Paulus den Herrn gebeten, dass ihm der Pfahl im Fleisch abgenommen würde. Er empfing die Antwort: „Meine Gnade genügt dir (es sei dir genug, dass Ich dich liebe). Denn Meine Kraft wird in der Schwachheit vollendet.“ 2 Kor 12,8.9.

Von da an betete er nicht mehr um Befreiung von jenen Schmerzen.

Wir wissen, dass Gott nicht von Herzen die Menschenkinder plagt und betrübt. Klgl 3,33.

Ist Sein heiliger Zweck erreicht, so nimmt Er gern die Plage uns ab. Wir sehen aus den Evangelien, dass man um wunderbare, übernatürliche Heilung bitten darf, und solche kann auch heute noch geschehen, denn der Herr ist noch derselbe wie damals; die erste christliche Gemeinde betete zu Gott: „Strecke Deine Hand aus, dass Gesundheit, Wunder und Zeichen geschehen in dem Namen Deines heiligen Knechtes Jesus.“ Apg 4, 30.

So bete die christliche Gemeinde, die des Herrn Sinn hat, auch jetzt. Dabei müssen wir darauf sehen, dass es uns wirklich um die Ehre Gottes, mehr als um unsere Erleichterung, zu tun sei. Wir wollen bereit sein, noch länger zu dulden, wenn solches der Wille Gottes ist; aber wir sehnen uns danach, dass Sein heiliger Name durch Heilung der Kranken verherrlicht werde.

Dürfen wir denn um den Tod bitten? Gewiss nicht aus Missmut, aus Ungeduld, aus Widerwillen gegen das Kreuz. Der kindliche Sinn, die Ergebung in Gottes Willen muss bleiben. Wenn das Leiden aufs höchste gekommen ist, wenn man, wie bei einer absolut tödlichen Verwundung deutlich zu sehen glaubt, das Sterben sei Gottes Wille, darf dann der Leidende, dürfen andere für den Leidenden nicht um Verkürzung seiner Schmerzen bitten?

Die richtige Antwort auf diese schwere Frage kann kein Mensch geben; man darf erwarten, dass sie im einzelnen Falle durch Offenbarung des Heiligen Geistes gefunden werde.

So betete Elias, als seine Arbeit für den Herrn zunichte geworden war und das Reich der Finsternis zu triumphieren schien: „Es ist genug, so nimm nun Herr meine Seele!“

Er betete um den Tod, und ging darin vielleicht zu weit. Der Herr in Seiner Güte gab ihm Leben, stärkte ihn durch den Engel für die Wanderung durch die Wüste, und nahm ihn endlich zu sich ohne Tod. (1 Kön 19,4. )

In diesen schwersten Anfechtungen trifft es zu, was der Apostel sagt: „Wir wissen nicht, was wir bitten sollen, wie sich's gebührt“, und Er fügt tröstend hinzu: „aber der Geist selbst vertritt uns aufs Beste mit unaussprechlichem Seufzen. Der aber die Herzen erforscht, weiß, was des Geistes Sinn sei, denn Er vertritt die Heiligen nach dem, das Gott gefällt.“ Röm 8, 26. 27.

„Erlöse uns von dem Bösen.“

Indem wir also beten, harren wir auf eine vorläufige und auf eine vollkommene, auf eine zeitliche und eine ewige Erlösung. Die vorläufige tritt ein, indem der Herr die Leiden dieser Zeit ermäßigt, lindert und tragen hilft. Die vollkommene erfolgt, wenn der Herr kommt, den wir als Heiland vom Himmel erwarten, „welcher unseren nichtigen Leib verklären wird, auf dass er ähnlich werde Seinem verklärten Leibe, nach der Wirkung, damit Er kann auch alle Dinge Ihm untertänig machen.“ Phil 3, 21.

Indem wir manche vorläufige Erhörung und Rettung erfahren, ist sie uns ein Unterpfand der vollkommenen Erlösung, die Gott Seinen Kindern noch auf behalten hat.

Diese wird uns noch nicht in der Stunde des Todes. Wohl ist ein Entschlafen in dem Herrn Befreiung von den Übeln dieser argen Welt und ein Eingang zur Ruhe. Aber man gelangt damit noch nicht zu dem vollkommenen Anschauen Gottes im Angesicht Jesu Christi, man tritt noch nicht in den Besitz des unvergänglichen und herrlichen Erbes. Den Kindern Gottes, die den Lauf vollendet und Glauben gehalten haben, ist die Krone der Gerechtigkeit beigelegt, d. h. zugesichert und sicher aufbewahrt, welche ihnen der Herr geben wird „an jenem Tage“, das heißt: wenn Er wiederkommen wird. 2 Tim 4, 8.

Durch diese Bitte, die Er uns in den Mund legt, will der Herr unsern Blick erweitern und unsere Liebe umfassend machen. Wir haben um uns her das unermessliche leibliche und geistliche Elend der Menschheit, die Finsternisse der Heidenwelt, Abfall und Verführung inmitten der Christenheit, die anhebenden Plagen der letzten Zeit, die Gefahren ewiger Verdammnis für alle, die den einzigen Heiland verwerfen. Dies alles und das Seufzen der Kreatur, die ohne ihren Willen dem Dienst des Verderbens und der Tyrannei der Gottlosen unterworfen ist, sollen wir zu Herzen nehmen. Wer soll einstehen für alles Weh des menschlichen Geschlechts? Die, welche beten können, die Kinder Gottes, die Christi Sinn haben, die den Zugang zum Vater haben, sie sollen im Namen aller Erlösungsbedürftigen Tag und Nacht flehen: Erlöse uns von dem Übel.

Nicht nur einen weiten, auch einen tiefen Blick eröffnet uns hier der Herr, eine prophetische Aussicht auf die vollkommene Erlösung bei Seiner Zukunft und auf Sein himmlisches Reich. Dieses wird die Antwort auf das Gebet des Herrn und insbesondere auf die siebente und umfassendste Bitte sein. Danach sehnen wir uns, und diese Sehnsucht ist rechter Art, wenn wir dabei nicht so sehr auf das Ende unserer Leiden zielen, als auf die Ehre des Herrn, das Aufhören der Sünde, die Wegnahme des Fluches und die vollkommene Reinheit, in der wir alsdann werden dem Herrn dienen dürfen.

Wir befinden uns in der letzten Zeit, und da gewinnen diese beiden Bitten, die sechste und siebente, eine besondere Bedeutung für die Kirche Gottes. Denn es kommt am Abend dieser Weltzeit eine große Stunde der Versuchung über den ganzen Weltkreis, zu versuchen, die da wohnen auf Erden (Offb 3, 10), und es kommt die große Trübsal, von der der Herr gesagt hat, dass ihr keine gleich gewesen ist und keine gleich sein wird. Mat 24, 21. Dies also bitten wir, wenn wir anders recht erleuchtet sind, dass der Herr uns vor dieser Versuchung bewahren und aus dieser Trübsal retten wolle. Er wird es tun. Aber Er will darum gebeten sein, wie Er selbst sagt: „So seid nun wachend allezeit und betet, dass ihr gewürdigt werden möget zu entfliehen diesem allen, das geschehen soll, und gestellt zu werden vor des Menschen Sohn.“ Luk 21, 36.

Mit dem Blick in die zukünftige Herrlichkeit schließen wir das Gebet des Herrn: „Denn Dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit.“

Wir bekennen damit, dass der Vater im Himmel alle diese Bitten erhören wolle, erhören könne und erhören werde. Weil es nicht unsere Bitten allein, sondern Jesu Bitten sind, so sprechen wir mit freudiger Zuversicht: Amen, ja so sei es. Denn alle Bitten, die der Herr uns lehrt, sind ebensoviel Verheißungen, und es steht geschrieben: „Alle Gottesverheißungen sind Ja in Ihm und sind Amen in Ihm, Gott zu Lob durch uns.“ 2 Kor 1, 20.

Das ist das Gebet des Herrn, uns mitgeteilt zur vollkommenen und ewig gültigen Anweisung, wie wir Gott anbeten, Seine Hilfe suchen und die Liebespflicht der Fürbitte erfüllen sollen. Es ist Gebot und Verheißung zugleich, unser Lied im Hause unserer Wallfahrt und das Unterpfand unserer Aufnahme in die ewige Heimat.

Dies Gebet ist allumfassend. Es entspricht dem kindlichen Gemüt der Unmündigen, und auch der gereifteste Christ hat noch daran zu lernen. Es enthält die Summe aller Anliegen, welche die Kinder Gottes, die ein verborgenes Leben mit Christus in Gott führen, vor ihren Vater zu bringen haben.

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