Spurgeon, Charles Haddon - Worte der Weisheit für das tägliche Leben - Ein Drama in fünf Akten.
(1. Kor. 7,29-31)
Mit einer Hochzeit beginnt das Stück, und im ersten Akt treten diejenigen auf, welche Weiber haben. Braut und Bräutigam gehen im Hochzeitsschmuck zum Altar, während die Glocken läuten und Menschen in frohem Gedränge folgen. Das Fest nimmt seinen heiteren Verlauf und die neue Laufbahn ist begonnen. Dann kommt die andre Szene des häuslichen Glücks: Das Ehepaar ist von rosigen Kindern umgeben, die dem liebevollen Vater auf die Knie klettern und den Namen der Mutter plaudernd immer von neuem wiederholen. „Ja, das ist etwas Wirkliches! Ein Stück von wahrem, bleibendem Glück, das wird auch mich befriedigen, und ich will nach nichts andrem mehr streben! Heim! Eignes Heim! Das ist das süßeste Wort, und wenn die fröhliche Kinderschar das Heim belebt, so wird es zu einem Besitz, den auch die Engel sich nicht schöner wünschen können. Auf diesen Felsen will ich meine Hoffnungen gründen. Wenn ich ihn erklommen habe, so verzichte ich auf alle traumhaften Freuden der Religion.“ So redet der Zuschauer an unserer Seite, nachdem er der Aufführung mit Spannung gefolgt ist. Doch wir flüstern ihm leise ins Ohr: „Das Bild wird sich verwischen, die Szene geht vorüber, denn die Zeit ist kurz und die Frau und Kinder sind sterbliche Wesen.“ Diese Behauptung weist der Mann mit Lachen zurück, indem er entgegnet: „Hinweg, ihr fanatischen Enthusiasten, sucht meinethalben ewige Freuden! Ich begnüge mich mit diesen!“ Er denkt, wenn irgend etwas in dem Universum dauernd sei, so müsse es das eheliche und häusliche Leben sein, wo man die Kinder erzieht, um sie dann wiederum im Kreise der Familie glücklich heranwachsen und in guten Stellungen untergebracht zu sehen. Der Mann hat ganz recht, wenn er dies alles als einen Segen betrachtet, nur hat er nicht recht, wenn er es für sein alles erklärt. Ob er seinen Irrtum wohl einsehen wird, bevor der Vorhang fällt? Oder ob er fortfahren wird, die Hoffnungen für die unsterbliche Seele auf sterbliche Freuden zu gründen? Möchte er doch einmal die grünen Hügel des Kirchhofs dort ansehen, auf deren Steinen die Worte zu lesen sind: „Hier ruht -.“ Ach, die armen, hingegangenen Weltlinge! Wo ist nun ihre Seele? Ist das ein Trost, wenn Staub und Asche sich vereinen? Wo haben sie denn nun ihre Wohnungen? Wo blieb die Familie, für die sie zu sorgen hatten? Der erste Akt ist aus. Atme auf und sprich: „Auch dies ist eitel!“
Nun ist die Situation eine andre, und nur zu bald sind häusliche Freuden zu häuslichen Sorgen geworden. Wir haben im zweiten Akt die Personen vor uns, welche weinen, weil die dunklen Tage gekommen sind. Eltern ringen die Hände, denn ihr liebes Kind wurde vom Tode ereilt und man trägt es zum Grabe. Und während dies hier vorgeht, stützt dort der Kaufmann die heiße Stirn, weil seine Verluste so groß sind, dass er nicht weiß, wie er hindurch kommen soll. Seine Gattin liegt blass und leichenhaft auf ihrem Lager, von Schmerzen abgezehrt. Der geschlagene Mann setzt sich an ihre Seite, und wir sehen ein Leichenbegängnis, dem in der Entfernung wieder und wieder die schwarzbehangenen Rosse folgen. Der Trübsale sind viele, und sie begegnen den Menschen öfter als die Engel, die nur in großen Zwischenräumen erscheinen. Mit tiefem Ernst ergreift unser Weltmann unsre Hand, da er in der Aufführung sein eignes Leid erkennt, und ruft voll Mitgefühl: „Wahrlich, dies ist entsetzliche Wirklichkeit! Es ist kein vorübergehendes Leid, kein Schmerz, der zu überwinden wäre! Wer sollte da nicht hoffnungslos die Hände ringen? Dem Mann ist seiner Augen Wonne dahin, seine Freude ist geschwunden, sein Teuerstes ist ihm verwelkt, wie das Blatt des Herbstes. Das ist Verzweiflung, und niemals wird er wieder empor blicken!“
Und jener Kaufmann dort auf der Lebensbühne spricht in demselben Ton: „Ich verlor mein ganzes Vermögen, darum überwältigt mich die Last des Unglücks. Die Welt bleibt mir nur noch eine Wüste, in der alle Blumen für mich verwelkten. Das Leben gilt mir gar nichts mehr, denn alles, was des Lebens wert ist, ging dahin!“ Tiefes Mitleid bewegt uns, aber wir können ihm doch sagen, dass alles Leid, so schwer es sein mag, nur kurze Zeit währt und dass es kein tötendes vernichtendes Unglück sein kann, weil es ein bleibendes Heil bewirkt. Aber solche Worte schlagen nicht an, er mag sie nicht hören und ruft abwehrend: „Das mögt ihr Glaubensleute wohl sagen aber das ist nichts für mich. Was ich erlebte, das ist Wirklichkeit!“
Ein englischer Matrose, der in einem Schauspiel eine der aufführenden Damen in Not sah, sprang, von dem Spiel hingerissen, auf die Bühne, um die Bedrohte zu retten. Ihm schien der Augenblick so wichtig, dass er alles daran setzte, um der scheinbar endlosen Not abzuhelfen, und so weint der Weltmann über zeitliches Leid, als ob es ein ewiges wäre, während ihm doch nur ein zeitlicher Besitz verloren ging. Ach, dass sie es doch nur bedächten, wie noch kein Sterblicher die ganze Tiefe der Leiden ergründet hat, und dass sie es zu ihrer Sorge machten, wie sie jenen Tiefen des Elends entrinnen könnten, in denen unsterbliche Geister unter furchtbaren Qualen ewig weinen und wehklagen! Die Leiden dieser Zeit sind nur Kleinigkeiten, wenn wir sie den Schmerzen ewiger Strafe gegenüber stellen, und wenn wir die andre Seite in Anschlag bringen, so sind sie nicht wert der Herrlichkeit, die an uns soll geoffenbart werden. Es ist nur eine Trübsal, die zeitlich und leicht ist. Für den Mann des Glaubens sind Unglücksschläge nur wie Nadelstiche. Glücklich ist der Mann, dessen Augen genug geöffnet sind, um einsehen zu können, dass Erben des Himmels nicht trauern wie solche, die keine Hoffnung haben. Eine wahre Freude von himmlischem Ursprung bleibt den Gläubigen immer, während Kummer und Sorge wie ein Schatten auf sie fällt. Allein wir wollen hier den Vorhang fallen lassen, um zu andern Bildern überzugehen. Was sind denn auch alle diese zeitlichen Kümmernisse?
Folgt mir zu dem dritten Akt, der uns einen Blick auf diejenigen werfen lässt, die sich freuen. Vielleicht treffen wir gerade den Tag, an welchem der älteste Sohn sein Mündigwerden feiert. In dem Festsaal der Herrschaft, wie in den Räumen der Dienerschaft, wird gegessen und getrunken bei Freude und Gesang. Man überbietet sich in Freundlichkeit und gegenseitigen Artigkeiten, und der Hausherr ist der glücklichste Mensch, den es geben kann. Oder wir sehen in ein Haus, in welchem die Tochter des Hauses ihr Hochzeitsfest feiert, wobei ihre Freunde sie mit Segenswünschen überschütten, während der Vater das alles mit glücklichem Lächeln beobachtet.
Oder wir erblicken den Mann, der eben eine glückliche Spekulation gemacht hat; oder der langsam, aber sicher seine Arbeit glücken sah, und der den Gewinn nun in seine Hand gelangen sieht, so dass er sich froh die Hände reiben kann. Nun besitzt er Haus und Hof, eine glückliche Familie, und ist geachtet und geehrt von allen, die ihn kennen! Wer ihn nicht näher kennt, hält ihn für einen, der gar keine Sorgen hat und dessen Leben einem fortgesetzten Fest gleicht. Seine Sonne scheint sich nie zu verdunkeln, sein Jahr keinen Winter zu haben, seine Flut mag keiner Ebbe weichen. Unser Begleiter lächelt bei dem Anblick dieses Bildes und fragt mit befriedigtem Ausdruck: „Ist dieses nicht etwas Wahres? Dies ist doch wahrlich etwas, das Bestand hat, und wenn ich solches Los nur erlange, so überlasse ich euch gern eure Freuden, die ihr in eurem Glauben besitzen wollt. Behaltet nur euren Himmel und eure Ewigkeit für euch. Für mich sind diese Dinge! Wenn ich lustig lachen und fröhlich sein kann, so mögt ihr beten, so viel ihr wollt! Lasst die Gläser klingen, besetzt den Tisch mit Braten und andren guten Sachen, damit ich essen und trinken kann, denn morgen bin ich tot!“ Auf unsren bescheidenen Einwand, dass auch alle diese seine Freuden gar bald entschwinden wie eine Vision zur Nachtzeit und dass wir sie darum als nichts zu betrachten pflegen, antwortet er uns mit Lautem Hohn und hält uns für wahnsinnig, weil er selbst ein Tor ist. Allein, so wenig wir auch auf Rosen gebettet sein mögen hier in diesem Erdenleben, so achten wir die eitlen Freuden desselben doch gering.
Der vierte Akt beginnt, und seine Szenen lenken unsre Aufmerksamkeit auf diejenigen, die da kaufen. Der jetzt auftretende Kaufmann ist weder ein schwermütiger noch ein heiterer Mann. Gewisse Mammonsdiener sehen ihn als einen solchen an, der für das eine sorgt, was not tut, was das Wesentlichste ausmacht. Hier könnt ihr harten, praktischen und irdisch gesinnten Leute eure Augen weiden. Da sind die Geldrollen; hört, wie sie auf dem Tisch klingen und klappern! Da liegen die Pakete und Wertpapiere, die großen Kontobücher, die Hypotheken die Aktien der besten Gesellschaften des Vaterlandes. Er hat es in seinem Leben zu etwas gebracht, und doch fährt er noch fort zu wirken und vergrößert täglich das Vermögen mit rastlosem Fleiß. Seine Besitzungen dehnen sich je mehr und mehr aus, und es mag noch dahin kommen, dass er eine ganze Grafschaft zusammen bringt. Vor kurzem hat er eine große, schöne Villa gekauft, in der er seine letzten Tage zu verbringen denkt, wenn er sich von den Geschäften zurückgezogen haben wird. Der Kaufkontrakt für die herrliche Besitzung ist schon von einem Rechtsanwalt aufgesetzt, die Summen liegen bereit, um ausgezahlt zu werden und alles ist also schon so gut wie abgemacht! „Das muss ich sagen,“ ruft unser Herr Erdenbürger mit Entzücken, „dies ist doch der Mühe wert, und nun wollt ihr mir doch nicht etwa einreden, auch dieses sei nur ein nichtssagendes Spiel, ein Schatten? Dies ist doch sicher etwas Greifbares, etwas Bestehendes, und so viel ist sicher, es wird mich völlig zufrieden stellen, wenn ich es erlange!“ Wir entgegnen ihm, dass wir dies nicht bezweifeln, dass unsre Wünsche jedoch viel weiter gehen, und dass uns nichts genügen kann, als Ewiges. Wehe dem Menschen, der seine Befriedigung in den Dingen dieser Erde sucht! Sie halten nur eine Zeitlang aus, und wenn du auf dem Sterbebett liegst, so wirst du einsehen, dass all dein Kaufen und Verkaufen nicht dazu taugt, um nur dein kleines Sterbekissen weich zu polstern. Der Gewinn von Geld und Gut nützt nichts, wenn es sich darum handelt, ein angstvolles Gewissen zu stillen, um die Schrecken vor dem zukünftigen Zorn zu vertreiben. Aber wir erhalten auf all diese Wahrheiten wiederum nur bitteren Spott als Antwort, und indem uns der bestrickte Zuschauer zur Seite schiebt, als wolle er uns zum Irrenhause treiben, spricht er verächtlich: „Ich mache gute Geschäfte und erwerbe Vermögen, mehr will ich nicht!“ O, armer Tor! Deine Mammonsfreude wird dir verwehen, wie das Gras auf dem Felde, wie der Schnee zerschmilzt, so wird deine Wonne dir schwinden. Ist doch der Rauch, der aus deinem Kamin aufsteigt, ebenso solide, wie der Trost, den Reichtum gewährt.
Jetzt aber dürfen wir auch den fünften Akt nicht versäumen, und so sehen wir denn unsern Bekannten vom Beginn der Aufführung, dessen Hochzeit wir beiwohnten und der dann in Trauer geriet, noch einmal auftreten. Nach dem Trauerfall war ihm das Glück günstig; er führte blühende Geschäfte und im höheren Alter zog er sich zurück, um dieser Welt Güter zu gebrauchen. Alle Welt wird dich loben, lieber Leser, wenn du es verstehst, gut für dich selbst zu sorgen, und so wird denn auch hier unser Freund als ein weiser Mann gerühmt, findet man bei ihm doch stets einen gastlichen Tisch und gute Aufnahme. Seine Gärten, seine Pferde, seine Dienerschaft, alles ist prächtig. Alle Annehmlichkeiten, die Reichtum zu bieten vermag, sind sein, und wenn ihr seinen herrlichen Park durchschreitet, dessen mächtige Bäume über den Gängen ein dichtes Laubdach bilden, wenn ihr in dem schönen Herrenhause weilt und all den Luxus dort bewundert, dann wird der glückliche Besitzer euch nochmals versichern, dass sein Besitz das Wahre sei, und herausfordernd wird er fragen: „Was sagt ihr denn nun hierzu?“ Und wir versuchen es noch einmal, den armen Verblendeten von der Unbeständigkeit seiner Spielereien zu überzeugen. Wir deuten auf die grauen Haare, die es bezeugen, dass die Zeit so schnell verfliegt, und dass der reiche Mann, sofern er keinen andren Besitz hat, als den genannten, dann doch ein gar armer Mann ist, weil er ja bald seinen ganzen Besitz abgeben muss, und ihn dies Abgeben dann elender machen muss, als sonst ein noch so armer Mensch nur sein kann. Jedoch auch dieser Hinweis bleibt erfolglos und wir müssen nochmals die Erwiderung hören: „Bleibt mir fort mit eurem Gerede, das ihr stets wiederholt ihr sollt mir niemals weismachen, dass diese Dinge nicht zuverlässig, nicht von Bestand seien.“ Welt, du spielst deine Rollen gut; deine Schauspieler wissen gut zu trügen und die Menschen lassen sich willig ins Nez ziehen. So nichtig die Dinge sind, die Menschen geben ihre Seele hin, um sie zu erhaschen. Warum seid ihr so unsinnig? „Warum zählt ihr Geld dar, da kein Brot ist, und eure Arbeit, davon ihr nicht satt werdet?“