Spurgeon, Charles Haddon - Worte der Weisheit für das tägliche Leben - Ein Gespräch über den Tod
Keinem braven, tapferen Manne, und besonders keinem gläubigen Manne, geziemt es, den Tod zu fürchten oder bei seinem Herannahen zu klagen. Er soll weder vor dem Tod erschrecken, noch ihn herbeiwünschen, sondern wenn seine Seele in Geduld gefasst ist, so soll er auch nicht verzweifeln, wenn er in noch so großen Druck und in noch so große Not gerät. Stets sollte er mehr darauf bedacht sein, fest und sicher seinen Weg zu gehen, als denselben schnell beendet zu haben. Solche Menschen, die im Glauben gewurzelt sind, werden nicht bei jeder Gelegenheit ihren Tod voraus verkündigen, denn Leben und Tod steht ganz allein bei Gott. Wir wissen nicht, wie lange wir auf Erden leben werden, und wir wünschen auch nicht, dieses zu wissen, denn die Wahl, wie lange oder kurz wir leben möchten, liegt nicht in unserer Hand. Ja, wenn Gott uns diese Wahl freistellte, so würden wir dennoch wohl tun, Ihm die Freiheit solcher Entscheidung zurückzugeben, und das Gebet: Vater, in Deine Hände befehle ich meinen Geist“, ist für die Kinder Gottes gerade das geeignetste Gebet, welches sie im Leben oder im Sterben beten können. Der Wunsch, das geschlossene Buch des Geschickes öffnen und darin lesen zu können, fasst den Anspruch auf eine sehr besondere Bevorzugung in sich, und wir leben jedenfalls bedeutend ruhiger, weil wir den Augenblick nicht voraussehen können, in welchem der Lebensfaden abgeschnitten wird. Hiob irrte sich in Bezug auf den Tag, den er für seinen Todestag hielt, aber er irrte sich nicht in der Tatsache selber, und er sprach die Wahrheit, als er sagte: „Du wirst mich zu Tode bringen!“ Den einen oder andren Tag wird uns der Herr von der irdischen Heimat in die obere rufen, die für alle bereitet ist, welche Leben haben, und ich möchte euch heute dringend auffordern, diese unbestreitbare Wahrheit zu überdenken. Du schreckst hiervor zurück, als ob es nicht gut wäre, unsre letzten Lebensstunden in unsre Überlegung hineinzuziehen, du hältst das Thema für ein sehr unangenehmes? Freilich, es ist ernst, das gebe ich zu, aber es sollte dir trotzdem, wie ich denke, willkommen sein, und ich verstehe es nicht, warum du sagst, du könnest den Gedanken an den Tod nicht ertragen. Wenn dem aber so ist, so muss ich dir erklären, dass es gerade darum sehr notwendig ist, dich mit dieser Sache zu befassen. Deine Scheu liefert gerade den Beweis, dass du innerlich nicht in der rechten Verfassung stehst, denn, wenn dem so wäre, so würdest du ohne Bedenken und ohne Scheu an dieser Verhandlung teilnehmen. Ist es doch nur ein sehr elendes Glück, bei welchem die allerwichtigsten Tatsachen ganz in den Hintergrund gestellt werden müssen, und ist das doch nur ein sehr fraglicher Zustand des Friedens, welcher auf Gedankenlosigkeit beruht. Wenn du in solcher Gedankenlosigkeit lebst, der du doch ein Christ sein willst, so sage ich dir, du hast noch sehr viel zu lernen und du bist noch keineswegs zum Sterben bereit. Du musst noch ein höheres Maß von Gnade erringen und musst einen festeren, stärkeren Glaubensgrund unter die Füße bekommen, denn dass du nur ein Anfänger in dem Gnadenstande bist, das kannst du selbst daran sehen, dass es dir so wenig wünschenswert erscheint, bei Christo sein zu dürfen und dass du statt dessen noch viel lieber im Fleische bleiben möchtest.
Sollte es nicht das Hauptgeschäft dieses Lebens ausmachen, sich für das andre Leben zu bereiten und damit auch die Bereitschaft für den Tod zu erlangen? Wie kann aber ein Mensch sich auf etwas bereiten, an das er niemals denkt, oder meinst du vielleicht, du könntest deinen Lauf so ins Dunkle hinein machen? Glaubst du dieses, so befindest du dich damit in einer sehr unglücklichen Verfassung, und ich bitte dich inständig um deiner Seele willen und durch die Hilfe des Heiligen Geistes, solche Gefahr zu fliehen.
„Ich fühle mich gar nicht veranlasst, über diese Dinge nachzusinnen!“ spricht da einer, und doch erinnert ihn der Herbst des Jahres so deutlich daran. Jedes fallende Blatt mahnt dich, mein lieber Leser, daran, dass du ganz sicher sterben wirst, und warum willst du nicht an so etwas Unvermeidliches denken? Man erzählt sich vom Strauß, dass er seinen Kopf in seinen Federn versteckt und sich dann geborgen vor dem Jäger wähnt, der ihn verfolgt, den er auf diese Weise nicht mehr sehen kann, und ich muss gestehen, dass ich es kaum für möglich halte, dass selbst ein Vogel so töricht sein könnte. Jedenfalls bitte ich euch, eine solche Torheit nicht zu begehen, denn wenn wir nicht an den Tod denken wollen, so wird der Tod dennoch an uns denken, und wenn wir dem Tode nicht mit Nachdenken und mit bewusster Überlegung entgegengehen wollen, so wird er uns doch begegnen. Lasst mich ihm darum als ein Mann begegnen und lasst mich ihm ins Angesicht schauen. Der Tod kommt in unsre Häuser und führt unsre Liebsten hinweg, und selten besteige ich diese Kanzel, ohne da unten irgend ein bekanntes Gesicht zu vermissen. Keine Woche vergeht, wo nicht irgend ein teures Mitglied unserer Gemeinde aus unsrem Kreise hier in die bessere Heimat droben versetzt wäre. Mögen wir ihn nun hören wollen oder nicht, so predigt uns der Tod doch, so oft wir uns öffentlich versammeln. Wollen wir ihn nun so oft mit Gottes Botschaft kommen lassen, ohne ihm unser Ohr zu leihen? nein, das möchte fern von uns sein, und darum lasst uns willig sein zu hören, was Gott uns jederzeit zu sagen hat. Ihr Jungen, die ihr in der Blüte eurer Gesundheit und Kraft steht, ich bitte euch um der Liebe willen, die ich zu euch hege, setzt diesen Gegenstand der Betrachtung nicht beiseite, sondern erinnert euch daran, dass auch die Jüngsten hinweggerafft werden können. Ich habe meine Knaben in ihren ersten Lebensjahren wohl mit auf den Friedhof genommen, wo ich sie messen ließ, wie lang einige der kleinen Gräber dort wären, und wenn dieselben kürzer waren als sie, so suchte ich ihnen daran die Ungewissheit dieses Lebens klar zu machen. Ich wollte, ich könnte jedem Kinde einprägen, dass es nicht zu jung ist, um zu sterben, ich möchte den Gesunden und Starken es klar machen, dass sie nicht zu stark sind, um vom Tode überwunden werden zu können. Die dicksten Bäume im Walde müssen oft zuerst unter den Axthieben fallen.
Paracelsus, ein berühmter Arzt in alter Zeit, bereitete einst eine Medizin, von welcher er behauptete, derjenige würde nicht sterben, der sie regelmäßig nähme, und nur in außerordentlich hohem Alter könne der Tod ihn finden. Allein Paracelsus starb selbst als junger Mann, und diejenigen, welche denken, sie hätten das Geheimnis der Unsterblichkeit gefunden, werden doch lernen müssen, dass sie unter einem unerbittlichen Gesetze stehen. Keiner von uns wird das Fleckchen Erde finden, auf welchem ihn der Pfeil des Feindes nicht treffen könnte, und es bleibt darum ein närrischer Unverstand, wenn wir uns weigern wollen, die Tatsache zu bedenken. Ein gewisser törichter Herzog hatte seiner Umgebung auf das strengste verboten, vor seinen Ohren jemals vom Tode zu reden, und als sein Sekretär ihm eines Tages vorlas: „Der verstorbene König von Spanien“, da schrie er ihm entrüstet die Frage entgegen: „Was meinen Sie mit diesen Worten?“ und der erschrockene Sekretär stammelte zitternd: „Es ist ein Titel, den sie annehmen.“ Jawohl, es ist ein Titel, den wir alle an nehmen werden, und wir tun gut, uns darüber zu besinnen, wie er uns passen wird. Der König der Schrecken kommt zu den Königen, und er scheut sich nicht, den Armen seines gebrechlichen Leibes zu entkleiden. Er kommt zu dir, zu mir, er kommt zu allen, darum wollen wir uns bereit machen, seinem sicheren Herannahen zu begegnen.