Spurgeon, Charles Haddon - Worte der Weisheit für das tägliche Leben - Behüte deinen eigenen Garten.
Es steht einem Mann sehr wohl an, wenn er seine Herden so versorgt, dass sie wohl gedeihen und sein Gut sich dadurch mehren kann; aber es bleibt immerhin ratsam für ihn, bei dieser Sorgfalt doch auch keineswegs das kleine Stückchen Land zu vergessen, welches den Mittelpunkt seiner Besitzungen ausmacht, namentlich auch das Gebiet nicht, das den Kern seines eigensten, persönlichen Wesens betrifft. Es ist gut, wenn er seinen Kopf mit allerhand Wissenschaften anfüllt, die erreichbar für ihn sind; nur darf er dabei nicht vergessen, dass er auch etwas in sich trägt, was man das Herz nennt, und er muss bedenken, dass der Charakter die größte Wichtigkeit für den Menschen in sich fasst. Richtige Grundsätze stellen geistiges Gold dar, und der Mann, der diesen Reichtum besitzt, wird danach leben und seinen Weg richtig gehen. Wer ein unkultiviertes Herz hat, das nicht richtig gestellt und nicht gereinigt ist, der hat kein Leben, mag er sonst besitzen, was er will. Hast du schon jemals über dein Herz nachgedacht? Das heißt: ich meine nicht etwa, ob du Herzklopfen hast. Ich bin kein Arzt, sondern ich rede nur von dem Herzen, indem ich mich auf moralischen und geistigen Standpunkt stelle, und so frage ich dich denn auch: Wie ist dein Charakter und auf welche Weise suchst du ihn zu bilden? Gräbst du das Unkraut aus, das so reichlich bei uns. allen wächst? Begießest du die zarten Pflanzen des Guten, wenn sie in dir aufkeimen wollen, und behütest du sie, wenn die kleinen Füchse kommen, die sie zerstören wollen? Wie steht es mit deiner Hoffnung auf die Früchte, die in deinem Charakter reifen sollen und die Gott einst mit Wohlgefallen bei dir finden möchte? Ich bitte, es ist mein Gebet, dass Gott es uns gebe, auf unsre Herzen acht zu haben, und ich bitte dich, das deine mit allem Fleiß zu bewachen, denn daraus geht das Leben.
Lass es doch täglich dein Gebet sein: „Schaff' in mir, Gott, ein reines Herz, und gib mir einen neuen, gewissen Geist.“ Tust du das nicht, so wird es auf und nieder mit dir in der Welt gehen, und ob du vielleicht auch sehr viel vollbringen würdest, so würde es sich doch zuletzt zeigen, dass du den vornehmsten und edelsten Teil deines Wesens vernachlässigt hättest, was um so schrecklicher wäre, weil dieses den ewigen Tod nach sich zieht. Ach, wie furchtbar, wenn die Seele um der Nachlässigkeit willen sterben muss, wenn wir unsrem Körper alle mögliche Aufmerksamkeit widmen, und vergessen dabei die unsterbliche Seele ganz! Ach, womit wollen wir denn unsre Torheit rechtfertigen? Gott, bewahre uns vor diesem, durch Nachlässigkeit herbeigeführten, Selbstmord. Müssten wir da nicht ewiglich stöhnen: „Man hatte mich zum Hüter des Weinberges gesetzt; aber ich habe meinen Weinberg nicht bebaut und nicht bewacht!“
Nun lasst uns den Blick noch auf einen andren Weingarten richten, wobei wir die Frage aufwerfen müssen: Vernachlässigen nicht einige Leute ihre Familien sehr? Zuerst kommt unser Herz, und dann ist der Haushalt derjenige Weingarten, den zu pflegen wir schuldig sind. Niemals werde ich einen Mann vergessen, den ich in meiner Jugend gut kannte, welcher mich oft auf die Dörfer begleitete, in denen ich zu predigen hatte. Stets war er willig, mich zu begleiten, und ich brauchte ihn gar nicht erst zu fragen, denn er bot sich mir immer von selbst an. Dabei predigte er auch selbst sehr gern, und zwar viel lieber, als andre ihn predigen. hörten. Er war einer, der sich stets vornan zeigte, sofern es nur eben anging, und wo man ihn hinaus tat, da wusste er doch bald wieder hinein zu schlüpfen. Dabei war er sehr gutmütig, nahm nichts übel, und ich glaube, es war ihm wirklich Ernst damit, Gutes tun zu wollen. Aber er hatte zwei Knaben, die ich auch gut kannte, welche furchtbar fluchten und zu jedem schlechten Streich bereit waren, weil sie keine Zucht kannten. Einer von ihnen trank sich schon in ganz frühen Jahren zu Tode, und ich denke, sein Vater hatte nicht ein einziges Mal mit ihm über die Folgen der Trunksucht geredet, so nüchtern und tugendsam er auch selber lebte. Ich konnte dem Mann nichts andres vorwerfen, als dass er niemals zu Hause war, und dass er seine Kinder gar nicht beaufsichtigte. Weder Vater noch Mutter übten einen Einfluss in dem Hause aus, vielmehr waren sie die Sklaven ihrer Kinder, die alles Schlechte vollbrachten, ohne deshalb gestraft zu werden. Dieser Bruder betete in den Gebetstunden für seine Familie, ohne jemals in seiner Familie selbst Gebetsgemeinschaft zu haben. Dieses Beispiel zeigte mir, wie schrecklich es ist, wenn Männer und Frauen fließend über Religion reden, während ihre Häuser dem Christentum doch nur Schande machen. Ich hoffe sehr, dass niemand hier unter uns ist, der zu diesen Leuten gehört, doch, sollte jemand hier sein, so möchte ich ihn inständig bitten, unsren Text recht genau zu lesen und zu überdenken: „Sie hatten mich zum Hüter des Weinberges gesetzt; aber ich habe meinen Weingarten nicht gepflegt und behütet.“ Der allersorgfältigste Vater, der noch so viel für das Heil der Seinigen betet, kann nicht verantwortlich dafür gemacht werden, wenn er gottlose Söhne hat, sofern er alles getan hat, um sie gut zu erziehen, und die ängstlichste Mutter kann nicht verurteilt werden, wenn ihre Tochter Schmach über die Familie bringt, sofern sie ihr Bestes getan hat, die Tochter auf den schmalen Pfad zu führen. Allein, haben die Eltern ihre Schuldigkeit bei der Erziehung nicht getan, so tragen sie die schreckliche Verantwortung, wenn ihre Kinder verloren gehen.
Wenn Eltern nicht wissen, wo ihre Knaben und Mädchen sich befinden, ei, so lasst sie doch nachsehen, wo sie sein mögen, und wenn unter meinen Zuhörern und Lesern Leute sind, die ihre elterliche Gewalt nicht ausüben, und die nicht suchen, ihre Kinder zu Jesu zu führen, so möchte ich sie inständig anflehen, doch nichts so eifrig ins Auge zu fassen, als die Aufgabe im eignen Hause und in der eignen Familie. Und ist da vielleicht ein Prediger, der sich für einen Diener Gottes hält, der aber nicht strebt, seine Kinder zu Jesu zu bekehren, so sage ich ihm frei heraus, dass Gott ihn gewiss nicht zu seinem Diener gemacht hat. Wäre dieses der Fall, so würde er sich gewiss auch in seiner Familie als ein Diener Gottes bewiesen haben. Sie hatten mich zum Hüter des Weinberges gesetzt.“ Jawohl, sie würden es besser gewusst haben, und du hättest es auch besser wissen sollen, so dass du den Ruf nicht angenommen hättest. Wie kannst du denn in dem großen Haushalt Gottes ein Amt haben, wenn du in deinem eignen Hause deine Aufgabe nicht einmal erfüllen kannst. Eine Sonntagsschullehrerin zu sein und andrer Leute Kinder zu lehren, daheim aber mit den eignen Kindern nicht einmal beten zu können, fürwahr, ist das nicht ein jämmerliches Geschäft?! Da steht der Lehrer vor einer großen Klasse, der seine eignen Söhne und Töchter niemals zu einer Klasse vereinigen konnte, und was will er nun sagen, wenn seine eignen Kinder in Sünde und Laster versinken, weil er sie vollständig vernachlässigt hat? Ich weiß nicht, wo dieses Messer schneidet, aber ich bitte euch, stumpft es nicht ab, wenn es euch verwundet. Meint ihr vielleicht, dies sei zu persönlich? Nun wohl, es ist auch persönlich gemeint, und wenn meine Worte jemand beleidigen, wohlan, so lasst ihn über sich selbst beleidigt sein und dann möge er sich bessern. O, dass nicht länger das Wort seine Anwendung auf uns fände: „Sie hatten mich zum Hüter des Weinbergs gesetzt; aber meinen Weinberg habe ich nicht behütet und bewacht.“