Spurgeon, Charles Haddon - Worte der Weisheit für das tägliche Leben - Todesstrafe.
Das stellvertretende Opfer.
Mit rührendem Eifer versuchte vor einiger Zeit eine angesehene Dame mein Interesse für Abschaffung der Todesstrafe anzuregen. Ich vernahm aus ihrem Munde ihre vermeintlich trefflichen Gründe gegen das Hängen eines Menschen, der einen Mord begangen hat, und obwohl ich nicht überzeugt wurde, so ließ ich sie doch zuerst ausreden und hörte den Vorschlag, wie man die Mörder nur für Lebenszeit gefangen setzen solle, worauf ich dann entgegnen musste, wie oft ich schon Leute gesehen hätte, die ihr halbes Leben im Gefängnis verbrachten, ohne auch nur im geringsten dadurch gebessert worden zu sein. Der Annahme, dass diese Armen durchaus zur Buße geleitet werden müssten, konnte ich nur entgegenhalten, dass das ein schöner Traum sei; und so rief sie in wohlmeinender Erregung aus: „O, das kommt nur daher, weil die Strafe auf ganz verkehrte Weise angewendet wird. Man bestraft die Menschen, als ob sie es verdienten bestraft zu werden, und es ist Zeit, ihnen zu zeigen, dass wir sie lieben und dass wir sie nur strafen, um sie zu bessern.“ „Diese Theorie habe ich sehr oft vernommen, Madame, und viele schöne Schriften las ich darüber, allein ich glaube darum doch nicht daran. Zweck der Strafe sollte stets die Besserung sein, allein der Grund derselben liegt stets in der Schuld des Missetäters. Ich glaube, wenn jemand Unrecht begeht, so soll er bestraft werden, und in der Sünde ist die Schuld einbegriffen, welche um der Gerechtigkeit willen Strafe verlangt.“ Ach nein, das konnte die gute Seele nicht einsehen; nach ihrer Auffassung war Sünde ein großes Unrecht, allein die Strafe war trotzdem eine unrichtige Idee. Die Leute würden im Gefängnis viel zu grausam behandelt, meinte sie, während man ihnen beibringen müsse, dass man sie eben liebe, und wenn man ihnen im Gefängnis freundlich begegne, so würden sie sich auch hübsch bessern, davon war sie überzeugt.
Nachdem ich allem diesem genug zugehört hatte, fragte ich sie, ob sie denn etwa einen Vagabunden, der dutzendmal eingebrochen habe, in einen bequemen Lehnstuhl setzen wolle, um ihn gut zu wärmen, ihm Punsch zu reichen und es ihm mit der langen Pfeife recht behaglich zu machen, was sie im ganzen für sehr fördernd hielt, wiewohl sie den Punsch verwarf. Ich fand ihre Ideen natürlich sehr wunderbar, und wenn ich mir ein Bild von jener Behandlung machte, so reizte es mich unwillkürlich zum Lachen. Auf diesem Wege könnte man sich gewiss die Diebe und Strolche aller Art erziehen, und wenn man die Verkommenheit und das Laster so behandeln wollte, als ob es nur wie Unart oder Übereilung unmündiger Kinder zu betrachten sei, so würde man das Schwert der Obrigkeit damit in einen Kochlöffel verwandeln, um alsbald zu sehen, welche Resultate durch solche Hätschel-Theorien erzielt werden würden. Als ich damals jene Unterredung mit der sentimentalen Dame führte, dachte ich nicht daran, dass derartige Anschauungen, wie sie mir solche ausgesprochen, noch einmal von der Kanzel herab verkündigt werden würden, und dass man eine Gottheit hinstellen würde, die gleichsam jeder männlichen Kraft und Energie entbehren sollte. Allein wir wissen heute nicht, was morgen geschieht, und so haben wir es heute schon erlebt, dass eine Art Leute, die zu meiner Freude nicht zu den Baptisten gehören, die Lehre zu verbreiten suchen, als ob Gott der Herr im allgemeinen nur so der Vater aller sei, dass auch die Unbußfertigen Ihn nicht als Richter zu fürchten brauchten, und dass die Lehre von seiner Heiligkeit nur eine veraltete Ansicht bliebe. Sie haben Gott in seiner ganzen Fülle nie erkannt, und das Wort „Liebe“ ist das einzige, was sie von Ihm festhalten möchten.
Der Weg dieser Leute führt in den Sumpf, und mit ihrer falschen Weisheit möchten sie auch uns dazu verführen, die Wahrheit von einer ewigen Strafe wie Träumerei zu betrachten. Auch erscheinen heutzutage Bücher genug, die das stellvertretende Opfer Jesu hinweg demonstrieren sollen und in denen das Wort „Versöhnung“ zwar zum Scheine gebraucht wird, jedoch immer nur so, dass dabei alle Grundwahrheiten abgeschwächt und ganz an ihre verkehrte Stelle gesetzt werden.
Es gibt leider auch Baptisten, die sich von diesen Irrlehrern berücken lassen, obwohl dieselben, wie gesagt, nicht von Baptisten ausgedacht sind. Da sollen Sünde und Hölle nichts andres mehr sein, als altmodische Fabel, und wir armen Seelen, die wir fortfahren, von Erwählung und von zugerechneter Gerechtigkeit zu reden, wir sind hinter unserer Zeit zurückgeblieben. Manchmal habe ich gedacht, die beste Antwort auf all diese neuen Künste liege darin, dass den Armen das Evangelium gepredigt werde, und dass die Armen auch gewiss nicht leicht für die neuen Ideen zu gewinnen sein möchten, weil sie z. B. die großen Bände des Unglaubens in ihrer einfachen Auffassung gar nicht verständen, wie die Reichen und Gebildeten es ebenso wenig tun. Allein es ist doch notwendig, dass einige von uns den Angriffen auf die Wahrheit männlich entgegentreten und wir es laut bezeugen, dass derjenige, der sie antastet, unsren Augapfel antastet. Gern lassen wir jedem seine freie Überzeugung und wehren es niemandem, derselben Ausdruck zu geben, aber solange wir den Atem in uns tragen, wollen wir mit aller Kraft und Energie gegen solche Lehren protestieren, die die Erlösung der Sünder, mit der durch Jesum Christum geschaffenen Gerechtigkeit, hinwegklügeln möchten. Wo würden wir hingeraten, teure Brüder, wenn diese Schätze uns verloren gingen?
Könnten sie uns geraubt werden, so bliebe nichts übrig, das des Lebens wert wäre. Und wenn wir diese Lehren in Wirklichkeit als irrig erkennen müssten, so wären wir in der Tat für ewig in das Tal der Todesschatten gelangt; ohne Christi Wahrheit gibt es unter Gottes Sonne keinen Trost für irgend einen Armen und Betrübten. Wenn diese Wahrheit nicht besteht, so wären wir besser niemals geboren. Jonathan Edwards sagt am Schluss seines Buches: „Wenn einer es beweisen könnte, dass die Lehre des Evangeliums unwahr sei, so sollte er über solcher Entdeckung doch wohl in Ströme von Tränen ausbrechen, denn jene Entdeckung würde für die ganze Welt das größte Elend bedeuten!“ Ja, es wäre zu entsetzlich, wenn wir diese herrliche Wahrheit nur darum. hätten glänzen sehen, damit sie uns alsbald wie ein Irrlicht wieder entschwinden sollte, das keinen Bestand hat. O, steht auf für Gottes Wahrheit! Ich möchte euch nicht zu Fanatikern machen, aber ich möchte euch zu entschiedenen Bekennern und Streitern Jesu Christi werden sehen! Hütet euch vor all dem wirren Gerede und vor den Klügeleien, die in der Luft schweben. Lasst euch nicht durch falsche Kunst und lose Philosophie beirren, sondern haltet fest an dem Glauben, den die Heiligen Väter überkommen haben; steht fest auf dem Grunde des Wortes, das ihr von uns gehöret habt und darinnen ihr gelehrt seid nach dem Buche, das der Weg des Lebens ist.