Spurgeon, Charles Haddon - 27. Das Evangelium des Reiches - Kapitel 27
(Der König wird vor Pilatus geführt. V. 1.2.)
1. Des Morgens aber hielten alle Hohenpriester und die Ältesten des Volks einen Rat über Jesum, daß sie Ihn töteten.
Sie waren so voll Feindschaft gegen Jesum, daß sie begierig die erste Gelegenheit ergriffen, einen Rat zu halten, daß sie Ihn töteten. Sie hatten den letzten Teil der Nacht und die ersten Augenblicke des Morgens damit zugebracht, daß sie ihren erhabenen Gefangenen grüßten, verurteilten und schmähten. Jesus hatte vorhergesagt, daß Er den Heiden überantwortete werden würde, darum war der nächste Akt in dem furchtbaren Trauerspiele sein Erscheinen vor dem römischen Landpfleger.
2. Und banden Ihn, führten Ihn hin und überantworteten Ihn dem Landpfleger Pontius Pilatus.
Die, welche Jesum verhafteten, hatten Ihn gebunden, ehe sie Ihn zu Hannas brachten (Joh. 18,12.13.) Hannas sandte Ihn gebunden zu Kaiphas (Joh. 18,24). Nun band der Sanhedrin Ihn amtlich, und überantwortete Ihn dem Landpfleger Pontius Pilatus. Wie Isaak gebunden wurde, ehe er auf den Altar gelegt wurde, so ward das große Gegenbild gebunden, ehe es „wie ein Lamm zur Schlachtbank geführt und dem römischen Landpfleger überliefert ward.
(Des Verräters Reue und Selbstmord. V. 3-10.)
3. 4. Da das sah Judas, der Ihn verraten hatte, daß Er verdammt war zum Tode, gereute es ihn, und brachte herwieder die dreißig Silberlinge den Hohenpriestern und den Ältesten, und sprach: Ich habe übel gethan, daß ich unschuldig Blut verraten habe. Sie sprachen: Was geht uns das an? Da siehe du zu.
Vielleicht erwartete Judas, daß Jesus sich durch ein Wunder befreien werde, aber als er sah, daß Er zum Tode verdammt war, ergriff ihn Reue, und er brachte seinen Mitverbrechern den Lohn seiner Schändlichkeit zurück. Ein gutes Resultat entsprang aus seinem verzweifelnden Bekenntnis: “Ich habe übel gethan, daß ich unschuldig Blut verraten habe.“ Judas war mit unsrem Herrn in seinem öffentlichen und Privatleben gewesen, und wenn er einen Fehler an Christo gefunden hätte, so wäre jetzt die Zeit gewesen, es zu sagen, aber sogar der Verräter erklärte in seinen letzten Worten, daß Jesus „unschuldig“ sei. Die Hohenpriester und Ältesten hatten nicht mehr Mitleid mit Judas, als mit Jesus. Keine Gewissensbisse beunruhigten sie; sie hatten den Heiland in ihrer Gewalt und kümmerten sich um keine der Folgen ihrer Handlung. Der Verräter hatte seinen Handel gemacht und mußte dabei bleiben.
5. Und er warf die Silberlinge in den Tempel, hob sich davon, ging hin, und erhängte sich selbst.
Diese schrecklichen Worte: “ging hin, und erhängte sich selbst“ enthüllen das wirkliche Wesen der Reue des Judas. Seine Reue war eine, die „ihn hätte gereuen“ sollen, nicht jene göttliche Traurigkeit, die da wirkt zur Seligkeit eine Reue, die niemand gereut. In der Geschichte der Gemeinde Christi, sind ein paar Beispiele gewesen von einer Reue, gleich der des Judas, welche Menschen zur Verzweiflung, wenn nicht zu wirklichem Selbstmord trieb. Möge Gott in seiner Barmherzigkeit uns vor ähnlichen furchtbaren Erfahrungen schützen!
6-8. Aber die Hohenpriester nahmen die Silberlinge und sprachen: Es taugt nicht, daß wir sie in den Gotteskasten legen; denn es ist Blutgeld. Sie hielten aber einen Rat und kauften einen Töpfersacker darum zum Begräbnis der Pilger. Daher ist derselbige Acker genennet der Blutacker bis auf den heutigen Tag.
Ob Judas den Acker kaufte, auf dem er Selbstmord beging (Apg. 1,18), oder ob die Hohenpriester, als sie hörten, wozu er die Silberlinge anwenden wollte, seine Absicht ausführten, macht keinen wirklichen Unterschied in dem Ergebnis. Der Blutacker wurde das beständige Erinnerungszeichen an die Schändlichkeit des Judas. Als er seinen Herrn verkaufte, dachte er wenig daran, was mit dem Geld, das er als den Preis für seinen Verrat erhielt, gethan werden würde. In dem vollsten Sinne, der nur möglich ist, war er schuldig an dem Blute des Herrn. Das Blut war auf ihm, nicht, um seine Begnadigung zu besiegeln, sondern um seine Verdammung zu bestätigen.
9. 10. Da ist erfüllt, das gesagt ist durch den Propheten Jeremias, da er spricht: Sie haben genommen dreißig Silberlinge, damit bezahlt ward der Verkaufte, welchen sie kauften von den Kindern Israel; und haben sie gegeben um einen Töpfersacker, als mir der Herr befohlen hat.
Sogar die Anwendung der dreißig Silberlinge erfüllte eine alte Weissagung. Die dunkelen Aussprüche der Propheten sowohl wie ihre klareren Worte werden sich alle als wahr erwiesen, wenn sie, eins nach dem andren, zur Reife gelangen.
Das Schicksal des Judas sollte eine ernste Warnung für alle sein, die sich als Christen bekennen, und besonders für alle Prediger. Er war einer von den zwölf Aposteln, doch war er ein Kind des Verderbens, und ging zuletzt „an seinen Ort.“ Jeder von uns hat seinen Ort, Himmel oder Hölle; welcher ist es?
(Jesus. Pilatus. Barrabbas. V. 11-26.)
11. Jesus aber stand vor dem Landpfleger; und der Landpfleger fragte Ihn und sprach: Bist Du der Juden König? Jesus aber sprach zu ihm: Du sagst es.
Jesus sah nicht eben wie ein König aus, als Er vor Pilatus stand; es war wenig genug von königlichen Gewändern in seinem einfachen Anzuge. Doch muß selbst in seiner Erniedrigung so viel Majestät an Ihm gewesen sein, daß sogar der Landpfleger veranlaßt ward zu fragen: “Bist Du der Juden König?“ Es war kein Grund mehr vorhanden, weshalb der König seinen wahren Stand verhehlen sollte, darum antwortete Er: “Du sagst es.“ Es ist so, wie du sagst, ich bin der König er Juden.“ Die Juden verwarfen ihren König: „Er kam in sein Eigentum, und die Seinen nahmen Ihn nicht auf.“ Dennoch war Er ihr König, wenn sie sich auch weigerten, sich vor seinem Zepter der Gnade und Barmherzigkeit zu beugen.
12-14. Und da Er verklagt ward von den Hohenpriestern und Ältesten, antwortete Er nichts. Da sprach Pilatus zu Ihm: Hörest Du nicht, wie hart sie Dich verklagen? Und Er antwortete ihm nicht auf ein Wort, also, daß sich auch der Landpfleger sehr verwunderte.
Dies war die Zeit für Jesum, zu verstummen „wie ein Schaf vor seinen Scherern.“ Sein Schweigen setzte Pilatus in Staunen, wie sein Reden früher die, welche gesandt waren, Ihn zu verhaften, mit Ehrfurcht erfüllt hatte. (Joh. 7,45.46.) Jesus antwortete nichts, denn Er stand da als der Vertreter der Seinen, und wenn Er auch nicht gesündigt hatte, so waren sie doch alles dessen schuldig, das Ihm fälschlich zur Last gelegt wurde. Er hätte sich von jeder Anklage, die gegen Ihn vorgebracht wurde, reinigen können, aber das hätte die Last der Schuld auf denen gelassen, deren Stelle Er einnehmen wollte, und darum antwortete Er nicht ein Wort. Ein solches Schweigen war erhaben.
15-18. Auf das Fest aber hatte der Landpfleger die Gewohnheit, dem Volk einen Gefangenen loszugeben, welchen sie wollten. Er hatte aber zu der Zeit einen Gefangenen, einen sonderlichen vor andren, der hieß Barrabbas. Und da sie versammelt waren, sprach Pilatus zu ihnen: Welchen wollt ihr, daß ich euch losgebe? Barrabbas oder Jesum, von dem gesagt wird, Er sei Christus? Denn er wußte wohl, daß sie Ihn aus Neid überantwortet hatten.
Pilatus wollte Jesum wirklich gern von seinen grausamen Feinden befreien, aber wie die meisten gottlosen Menschen war er ein großer Feigling, darum versuchte er, seinen Zweck durch einen listigen Kunstgriff zu erreichen. Er wußte wohl, daß sie Ihn aus Neid überantwortet hatten, und er mag gehofft haben, daß Jesus bei dem Volk so beliebt sei, daß eine Berufung an die Masse einen Urteilsspruch zu gunsten Christi zur Folge haben werden, besonders da die Wahl des Freizulassenden zwischen dem „König der Juden“ und einem notorisch schlechten Menschen, Barrabbas, war. Gewiß würden sie bitten, daß ihr König freigegeben werde! Pilatus wußte wenig von der Herrschaft, welche die Hohenpriester über die Bevölkerung hatten, noch von dem Wankelmut der Menge, deren Jubelruf „Hosianna!“ sobald in das heisere Geschrei: „Hinweg mit Diesem! Kreuzige Ihn!“ verwandelt wurde.
19. Und da er auf dem Richtstuhl saß, schickte sein Weib zu ihm und ließ ihm sagen: Habe du nichts zu schaffen mit diesem Gerechten; ich habe heute viel erlitten im Traum von seinetwegen.
Hier war ein unerwartetes Zeugnis für die Unschuld Christi. Ob der Traum des Weibes des Pilatus eine göttliche Offenbarung der Herrlichkeit Christi war oder nicht, können wir nicht sagen, aber die Botschaft, welche sie an den Landpfleger sandte, muß ihn nur noch besorgter gemacht haben, Christum freizugeben.
20-22. Aber die Hohenpriester und die Ältesten überredeten das Volk, daß sie um Barrabbas bitten sollten, und Jesum umbrächten. Da antwortete nun der Landpfleger und sprach zu ihnen: Welchen wollt ihr unter diesen zweien, den ich euch soll losgeben? Sie sprachen: Barrabbas. Pilatus sprach zu ihnen: Was soll ich denn machen mit Jesu, von dem gesagt wird, Er sei Christus? Sie sprachen alle: Laß Ihn kreuzigen!
Nun ist der Würfel gefallen, die Wahl der Menge ist getroffen; Barrabbas wird Jesu vorgezogen. Der Herr der Herrlichkeit ist von Judas für den Preis eines Sklaven verkauft worden, und nun ist ein Räuber, ein Mörder, ein Aufruhrstifter, ein größerer Günstling des Volkes, als der Fürst des Lebens. Wurden keine Stimmen zu Christ gunsten erhoben? Waren keine da in der ganzen Menge, deren Kranke Er geheilt, deren Hunger Er gestillt, und die seiner an diesem Tage gedachten und um Schonung für Ihn baten? Nein, nicht einer; es waren keine in dem Gedränge, die in der Stille Teilnahme für den Heiland hatten; sie sprachen alle: „Laß Ihn kreuzigen.“
23. Der Landpfleger sagte: Was hat Er denn Übels gethan? Sie schrieen aber noch mehr und sprachen: Laß Ihn kreuzigen!
Ein blinder, unvernünftiger Haß hatte Besitz von dem Volk genommen. Sie gaben keine Antwort auf des Landpflegers verwunderte Frage: “Was hat Er denn Übels gethan?“ denn Er hatte nichts Unrechtes gethan; sie wiederholten nur die rohe Forderung: “Laß Ihn kreuzigen.“ Der Haß der Welt gegen Christum zeigt sich gegenwärtig in ähnlicher Art. Er hat nichts Übels gethan, niemand hat Schaden durch Ihn erlitten, alle vereinen sich, Ihn für unschuldig zu erklären, und doch schreien sie thatsächlich: „Hinweg mit diesem! Kreuzige Ihn!“
24. Da aber Pilatus sah, daß er nichts schaffte, sondern daß ein viel größer Getümmel ward, nahm er Wasser und wusch die Hände vor dem Volk und sprach: Ich bin unschuldig an dem Blut dieses Gerechten; sehet ihr zu!
Ach! Pilatus, du hast etwas Stärkeres als Wasser nötig, um das Blut dieses Gerechten von deinen Händen zu waschen. Du kannst dich nicht durch diese Posse von der Verantwortlichkeit befreien. Wer die Macht hat, eine ungerechte That zu hindern, ist ihrer schuldig, falls er andren erlaubt, sie zu thun, auch wenn er sie nicht wirklich selbst begeht.
Pilatus vereinte sich mit all den andren zeugen in der Erklärung, daß Jesus „gerecht“ sei. Er ging sogar so weit, zu erklären: „Ich finde keine Schuld an Ihm.“ (Joh. 18,38.)
25. Da antwortete das ganze Volk und sprach: Sein Blut komme über uns und über unsre Kinder!
Das ganze Volk nahm willig die Schuld des Mordes unsres teuren Herrn auf sich: “Sein Blut komme über uns und über unsre Kinder.“ Diese furchtbare Verwünschung muß vielen wieder in Erinnerung gekommen sein, als die Soldaten des Titus weder Alter noch Geschlecht schonten, und die jüdische Hauptstadt ein wahres Hakeldama, ein Blutacker, wurde. Dieser selbstauferlegte Fluch ruht noch immer auf dem ungläubigen Israel, und bis es den Messias annimmt, den es damals verwarf, wird das Brandmal auf de Stirn des bethörten Volkes bleiben.
26. Da gab er ihnen Barrabbas los; aber Jesum ließ er geißeln, und überantwortete Ihn, daß Er gekreuzigt würde.
Die römische Geißelung war eine der schrecklichsten Strafen, der jemand unterworfen werden konnte. Das jüdische Schlagen mit Ruten war eine wilde Züchtigung verglichen mit dem brutalen Geißeln der kaiserlichen Liktoren; doch selbst dieses erduldete unser Herr um unsretwillen. Dies waren die „Streiche, durch die wir heil geworden sind.“ (1 Petri 2,24). Doch war die Geißelung nur der Anfang des fürchterlichen Endes: “Aber Jesum ließ er geißeln, und überantwortete Ihn, daß Er gekreuzigt würde.“ Pilatus wußte, daß Er unschuldig sei, und doch ließ er Ihn erst geißeln und übergab ihn dann der Wut seiner fanatischen Feinde.
(Der König wird von den Kriegsknechten verspottet. V. 27-31.)
27-30. Da nahmen die Kriegsknechte des Landpflegers Jesum zu sich in das Richthaus und sammelten über Ihn die ganze Schar; und zogen Ihn aus, und legten Ihm einen Purpurmantel an; und flochten eine Dornenkrone, und setzten sie auf sein Haupt, und ein Rohr in seine rechte Hand, und beugten die Kniee vor Ihm, und spotteten Ihn und sprachen: Gegrüßet seiest Du, der Juden König! Und speieten Ihn an, und nahmen das Rohr, und schlugen damit sein Haupt.
Verspottung ist etwas sehr Schmerzliches. Hier war große Grausamkeit mit dem Hohn verbunden. Diese römischen Kriegsknechte waren Menschen, für die Blutvergießen ein Vergnügen war. Und jetzt, wo einer, der beschuldigt ward, sich selbst zum König zu machen, in ihre Hände gegeben war, da können wir uns vorstellen, welch ein Gegenstand des Scherzes der sanfte Jesus nach ihrem Dafürhalten war. Sie wurden nicht gerührt durch die Sanftmut seine Benehmens oder durch sein schmerzvolles Angesicht, sondern suchten alle Art von Verhöhnung zu erfinden, um sei auf sein Haupt auszuschütten. Sicherlich, die Welt sah nie ein staunenswerteres Schauspiel, als den König der Könige, der so als ein nachgeäffter Monarch verlacht wurde von den gemeinsten Menschen. Die ganze Schar der Kriegsknechte war um Ihn versammelt, denn selten war im Richthaus ein solches Spiel für sie bereitet. Jesus war ein König, deshalb muß Er das königliche Gewand tragen: “Sie zogen Ihn aus, und legten Ihm einen Purpurmantel an,“ den Scharlach- oder Purpurrock irgend eines alten Kriegsknechtes. Der König muß gekrönt werden: “Und flochten eine Dornenkrone, und setzen sie auf sein Haupt.“ Er muß ein Zepter schwingen: “Ein Rohr in seine rechte Hand.“ Ehrfurcht muß Ihm gezollt werden: “Und sie beugten die Kniee vor Ihm.“ Grausame Menschen! Doch wahrscheinlich wußten sie es nicht besser.
O, daß wir halb so erfinderisch in Ehrenbezeugungen für unsren König wären, wie diese Knechtsknechte im Schmach-Anthun. Laßt uns Christo die wahre Huldigung erweisen, die diese Menschen Ihm vorgeblich erzeigten. Laßt uns Ihn als Herrn über alles krönen und in aufrichtigster Treue das Knie beugen und Ihn als König begrüßen.
31. Und da sie Ihn verspottet hatten, zogen sie Ihm den Mantel aus, und zogen Ihm seine Kleider an, und führten Ihn hin, daß sie Ihn kreuzigten.
Es war von Gott so gelenkt, daß Jesus in seinen eignen Kleidern hinausgeführt werden sollte, damit niemand sagen könnte, daß ein andrer an die Stelle des Heilandes getreten sei. Als sie Ihn hinführten in dem wohlbekannten Rock, der „ungenäht war, von oben an gewirkt durch und durch,“ da haben wohl alle, die Ihn sahen, gesagt: „Es ist der Nazarener, der zur Hinrichtung geführt wird; wir erkennen seine Kleidung sowohl wie seine Person.“
(Der König wird gekreuzigt. V. 32-38.)
32. Und indem sie hinausgingen, fanden sie einen Menschen von Kyrene, mit Namen Simon; den zwangen sie, daß er Ihm sein Kreuz trug.
Vielleicht waren sie bange, daß Christus vor Erschöpfung sterben würde, darum zwangen sie Simon, daß er Ihm sein Kreuz trug. Jeder Nachfolger Christi möchte wünschen, dieser „Mensch von Kyrene“ gewesen zu sein, aber wir brauchen ihn nicht zu beneiden, denn es ist ein Kreuz zum Tragen für einen jeden von uns da. O, daß wir so willig wären, Christi Kreuz zu tragen, wie Christus es war, unsre Sünden an seinem Kreuz zu tragen. Wenn wir irgend welche Verfolgung oder Verspottung um unsres Herrn und um des Evangeliums willen zu tragen haben, so laßt uns dies freudig erdulden. Wie Menschen durch einen Schlag mit des Herrschers Schwert zu Rittern geschlagen werden, so sollen wir Fürsten in Christi Reich werden, wenn Er sein Kreuz auf unsre Schultern legt.
33.34. Und da sie an die Stätte kamen mit Namen Golgatha, das ist verdeutschet Schädelstätte, gaben sie Ihm Essig zu trinken, mit Galle vermischt; und da Er es schmeckte, wollte Er nicht trinken.
Golgatha war die gewöhnliche Stätte für die Hinrichtung der Übelthäter, außerhalb des Stadtthors. Es war ein besonderer, sinnbildlicher Grund da, weshalb Christus außerhalb des Thores leiden mußte, und seinen Nachfolgern wird gesagt: „So laßt uns nun zu Ihm hinausgehen, außer dem Lager, und seine Schmach tragen.“ (Hebr. 13,11-13.)
Ein betäubender Trank ward den Verurteilten gegeben, um die Qualen der Kreuzigung etwas zu lindern, aber unser Herr kam, um zu leiden, und Er wollte nichts nehmen, was seine Fähigkeiten irgendwie verringern konnte. Er verbot seinen Mitleidenden nicht, den Essig mit Galle vermischt („Myrrhen in Wein,“ Mk. 15,23.) zu nehmen, aber Er wollte ihn nicht trinken. Jesus weigerte sich nicht um der Bitterkeit des Trankes willen, denn Er war bereit, bis auf die letzten, schrecklichen Hefen den bitteren Kelch des Zornes zu trinken, den sein Volk hätte trinken sollen.
35. Da sie Ihn aber gekreuzigt hatten, teilten sie seine Kleider, und warfen das Los darum; auf daß erfüllt würde, das gesagt ist durch den Propheten: sie haben meine Kleider unter sich geteilt, und über mein Gewand haben sie das Los geworfen.
Es ist eine nicht auszudenkende Bedeutung in dem kurzen Wort: “Und sie kreuzigten Ihn.“ Sie trieben ihre eisernen Bolzen durch seine teuren Hände und Füße, hefteten Ihn an das Kreuz und richteten es auf, so daß Er an einem Galgen hing, der für seine Missethäter bestimmt war. Wir können uns kaum alles verwirklichen, was die Kreuzigung für unsren teuren Herrn bedeutete, aber wir können beten:
„Was Deine Liebe duldet,
Ist alles meine Last;
Ich habe das verschuldet,
Was Du getragen hast.“
Nun war alles erfüllt, was unser Herr (Kap. 20,17-19) vorhergesagt hatte, ausgenommen seine Auferstehung, für welche die Zeit noch nicht gekommen war.
Die Kleider der Verbrecher fielen denen zu, die das Urteil vollstreckten. Die römischen Kriegsknechte, welche Christum kreuzigten, dachten nicht daran, die Schrift zu erfüllen, als sie seine Kleider teilten und das Los darum warfen; doch thaten sie genau das, was Ps. 22,18 vorhergesagt war. Der ungenähte Rock wäre verdorben worden, wenn er zerrissen wäre, darum würfelten die Kriegsknechte über das Gewand, während sie die andren Kleider unsres Herrn teilten. Der Würfel wurde fast befleckt mit dem Blute Christi, dennoch setzten die Spieler unter dem Schatten des Kreuzes ihr Spiel fort. Spielen ist das am meisten verhärtende aller Laster. Hütet euch vor demselben in jeder Form. Keine Glücksspiele sollten von Christen gespielt werden, denn das blut Christi scheint sie alle bespritzt zu haben.
36. Uns sie saßen allda, und hüteten sein.
Einige beobachteten Ihn aus Neugierde, einige, um gewiß zu sein, daß Er wirklich stürbe; einige weideten ihre grausamen Augen an seinen Leiden. Es waren aber auch einige nahe beim Kreuze, welche weinten und klagten, da ein Schwert durch ihre eignen Seelen ging, während des Menschen Sohn gemartert ward selbst bis zum Tode.
37. Und oben zu seinen Häupten hefteten sie die Ursache seines Todes beschrieben, nämlich: Dies ist Jesus, der Juden König.
Wie wunderbar leitete die Vorsehung Gottes die Feder des Pilatus! Es war nicht eben wahrscheinlich, daß der Vertreter des römischen Kaisers das Königtum irgend einem einräumte, doch schrieb er überlegterweise: Dies ist Jesus, der Juden König, und nichts konnte ihn bewegen, zu ändern, was er geschrieben hatte. Sogar an seinem Kreuz wurde Jesus als König verkündigt in dem priesterlichen Hebräisch, dem klassischen Griechisch und dem gewöhnlichen Latein, so daß jeder in der Menge die Inschrift lesen konnte.
Wann werden die Juden Jesum als ihren König anerkennen? Sie werden es eines Tages thun und sehen, in welchen sie gestochen haben. Vielleicht werden sie höher von Christo denken, wenn Christen höher von ihnen denken; wenn unsre Herzenshärtigkeit gegen sie verschwunden ist, so wird möglicherweise ihre Herzenshärtigkeit gegen Christum auch verschwinden.
38. Und da wurden zwei Mörder mit Ihm gekreuzigt, einer zur Rechten und einer zur Linken.
Wie um zu zeigen, daß sie Christum als den schlimmsten der drei Verbrecher betrachteten, hingen sie Ihn zwischen die zwei Mörder und gaben Ihm den schmachvollsten Platz. So wird die Weissagung erfüllt: „Er ist unter die Übelthäter gerechnet.“ Die zwei Missethäter verdienten zu sterben, wie der eine von ihnen zugab (Lk. 18,40.41), aber eine größere Schuldenlast ruhte auf Christo, denn „Er trug die Sünde vieler,“ und deshalb ward Er mit Recht als der König der Leidenden bezeichnet, der mit Wahrheit fragen konnte: Schauet und sehet, ob irgend ein Schmerz ist wie der meine?
(Verspottung des gekreuzigten Königs. V. 39-49.)
39.40. Die aber vorübergingen, lästerten Ihn, und schüttelten ihre Köpfe, und sprachen: Der Du den Tempel Gottes zerbrichst, und bauest ihn in dreien Tagen, hilf Dir selber! Bist Du Gottes Sohn, so steig herab vom Kreuz!
Nichts quält einen Menschen, wenn er Schmerzen leidet, mehr als Spott. Als Jesus Christus am meisten der mitleidigen Worte und der freundlichen Blicke bedurfte, da lästerten Ihn, die vorübergingen und schüttelten ihre Köpfe. Vielleicht ist es der schmerzlichste Teil des Spottes, wenn unsre feierlichsten Worte zur Versöhnung gebraucht werden, wie unsres Herrn Worte von dem Tempel seines Leibes: “Der Du den Tempel Gottes zerbrichst, und bauest ihn in dreien Tagen, hilf Dir selber.“ Er hätte sich selber retten können; Er hätte vom Kreuz herabsteigen können; aber wenn Er das gethan, so hätten wir niemals Kinder Gottes werden können. Eben weil Er der Sohn Gottes war, stieg Er nicht herab vom Kreuz, sondern hing dort, bis Er das Opfer für seines Volkes Sünde vollendet hatte. Christi Kreuz ist die Jakobsleiter, auf der wir zum Himmel hinauf steigen.
Dies ist der Ruf der Vernünftler heutzutage: „Komm herab vom Kreuz. Gib das Versöhnungsopfer auf, so wollen wir Christen sein.“ Viele sind willig, an Christum zu glauben, aber nicht an den gekreuzigten Christum. Sie räumen ein, daß Er ein guter Mann und ein großer Lehrer gewesen sei; indem sie aber das stellvertretende Opfer verwerfen, verwerfen sie thatsächlich den Kern des Christentums, wie diese Spötter auf Golgatha es thaten.
41-43. Desgleichen auch die Hohenpriester spotteten sein, samt den Schriftgelehrten und Ältesten, und sprachen: andren hat Er geholfen, und kann sich selber nicht helfen. Ist Er der König Israels, so steige Er nun vom Kreuz, so wollen wir Ihm glauben. Er hat Gott vertraut, der erlöse Ihn nun, hat Er Lust zu Ihm; denn Er hat gesagt: Ich bin Gottes Sohn.
Die Hohenpriester mit den Schriftgelehrten und Ältesten vergaßen ihrer hohen Stellung und ihres Ranges und vereinten sich mit dem Pöbelhaufen in der Verspottung Jesu in seinen Todesschmerzen. Jedes Wort war voll Nachdruck; jede Silbe schnitt unsrem Herrn ins Herz und durchbohrte es. Sie verspotteten Ihn als einen Heiland: “Andren hat Er geholfen, und kann sich selber nicht helfen.“ Sie verspotteten Ihn als einen König. “Ist Er der König Israels, so steige Er nun vom Kreuz, so wollen wir Ihm glauben.“ Sie verspotteten Ihn als einen Gläubigen: “Er hat Gott vertraut, der erlöse Ihn nun, hat er Lust zu Ihm.“ Sie verspotteten Ihn als den Sohn Gottes: “Denn Er hat gesagt: Ich bin Gottes Sohn.“ Diejenigen, welche sagen, daß Christus ein guter Mensch gewesen sei, geben eigentlich damit seine Gottheit zu, denn Er beanspruchte, der Sohn Gottes zu sein. Wenn Er das nicht war, was Er behauptete, so war Er ein Betrüger. Beachtet das Zeugnis, das die bittersten Feinde Christi ablegten, selbst als sie Ihn schmähten: „Er hat andren geholfen; Er ist der König Israels; Er hat Gott vertraut.“
44. Desgleichen schmähten Ihn auch die Mörder, die mit Ihm gekreuzigt waren.
Die, welche sein Elend teilten, die Verworfenen, die mit Ihm gekreuzigt waren, schmähten Jesum auch. Nichts fehlte, um seinen Kelch des Leidens und der Schmach voll zu machen. Die Bekehrung des bußfertigen Schächers war um so merkwürdiger, weil er erst kurz zuvor unter denen gewesen war, welche den Heiland verhöhnten. Welches Siegeszeichen der göttlichen Gnade wurde er!
45. Und von der sechsten Stunde an ward eine Finsternis über das ganze land bis zu der neunten Stunde.
Einige haben gedacht, daß diese Finsternis die ganze Erde bedeckte und so selbst einen Heiden ausrufen ließ: „Entweder ist die Welt im Begriff, unterzugehen oder der Gott, der die Welt machte, ist in Todesschmerzen.“ diese Finsternis war übernatürlich; es war keine gewöhnliche Sonnenfinsternis. Die Sonne konnte nicht länge auf ihren von Spöttern umgebenen Schöpfer blicken. Sie bedeckte ihr Antlitz du setzte ihren Lauf fort in zehnfacher Nacht, aus Scham, daß die große Sonne der Gerechtigkeit selbst in solch furchtbarer Finsternis war.
46. Und um die neunte Stunde schrie Jesus laut und sprach: Eli, Eli, lama asabthani? das ist: Mein Gott, mein Gott, warum hast Du mich verlassen?
Damit das Opfer Christi vollständig sei, gefiel es dem Vater, seinen lieben Sohn zu verlassen. Die Sünde war auf Christum gelegt, darum mußte Gott sein Angesicht von dem Sündenträger hinweg wenden. Von seinem Gott verlassen zu sein, war der Gipfel des Leidens Christi, der höchste aller seiner Schmerzen. Seht hier den Unterschied zwischen den Märtyrern und ihrem Herrn; in ihren Todeskämpfen sind sie göttlich gekräftigt worden, aber Jesus, der als Stellvertreter für Sünder litt, ward von Gott verlassen. Diejenigen Heiligen, die gewußt haben, was es ist, wenn ihres Vaters Angesicht, auch nur auf kurze Zeit, vor ihnen verborgen war, können sich doch kaum das Leiden vorstellen, das unsrem Heiland den Angstschrei auspreßte: “Mein Gott, mein Gott, warum hast Du mich verlassen?“
47. Etliche aber, die da standen, da sie das hörten, sprachen sie: Der ruft den Elias.
Sie wußten es besser, doch scherzten sie über des Heilandes Gebet. Böswillig, absichtlich und höhnend zogen sie seinen Todesschrei ins Lächerliche.
48.49. Und bald lief einer unter ihnen, nahm einen Schwamm und füllte ihn mit Essig, und steckte ihn auf ein Rohr, und tränkte Ihn. Die andren aber sprachen: Halt, laß sehen, ob Elias komme, und Ihm helfe.
Einer, der in solchen Schmerzen war, wie die, welche Jesus litt, hätte viele Qualen nennen können, die Er erduldete; aber es war notwendig, daß ER sprach: „Mich dürstet,“ auf daß eine andre Schriftstelle erfüllt würde. Einer unter ihnen, mitleider als seine Gefährten, lief und nahm einen Schwamm und füllte ihn mit Essig, aus dem Gefäß, das wahrscheinlich von den Kriegsknechten zu ihrem eignen Gebrauch mitgenommen war, und steckte ihn auf ein Rohr, und tränkte Ihn. Es scheint mir immer sehr bemerkenswert, daß der Schwamm, die niedrigste Form des tierischen Lebens, in Berührung mit Christo, der auf dem höchsten Gipfel alles Lebens ist, gebracht wurde. In seinem Tode ward der ganze Kreis der Schöpfung vollendet. Wie der Schwamm den Lippen unsres sterbenden Herrn Erfrischung brachte, so mag das Kleinste von Gottes Lebendigen helfen, Ihn jetzt zu erfrischen, nun Er vom Kreuz auf den Thron gestiegen ist.
(Es ist vollbracht.“ V. 50-54.)
50. Aber Jesus schrie abermal laut und verschied.
Christi Kraft war nicht erschöpft; sein letztes Wort wurde mit lauter Stimme gesprochen gleich dem Ruf eines überwindenden Kriegers. Und welch ein Wort war es: „Es ist vollbracht!“ Tausende von Predigten sind über dies kleine Wort gehalten, aber wer kann die ganze Bedeutung aussprechen, die darin zusammen gedrängt ist? Es ist eine Art von unendlichem Ausdruck, an Breite und Tiefe und Länge und Höhe ganz unermeßlich. Nachdem Christi Leben vollendet, vollkommen und vollständig war, gab Er den Geist auf; Er starb willig und ließ sein Leben, wie Er gesagt hatte, daß Er es wolle: „Ich lasse mein Leben für die Schafe.“ „Ich lasse es von mir selber. Ich habe Macht, es zu lassen und habe Macht, es wieder zu nehmen.“
51-53. Und siehe da, der Vorhang im Tempel zerriß in zwei Stücke, von oben an bis unten aus. Und die Erde erbebte, und die Felsen zerrissen, und die Gräber thaten sich auf, und standen auf viele Leiber der Heiligen, die da schliefen. Und gingen aus den Gräbern nach seiner Auferstehung, und kamen in die heilige Stadt, und erschienen vielen.
Christi Tod war das Ende des Judaismus: “Der Vorhang im Tempel zerriß in zwei Stücke, von oben an bis unten aus.“ Wie erschreckt von der lästerlichen Ermordung seines Herrn, zerriß der Tempel seine Kleider gleich einem, der von Grausen ergriffen wird bei einem ungeheuren Verbrechen. Da der Leib Christi zerrissen war, ward der Vorhang im Tempel zerrissen von oben bis unten. Nun war durch das Blut Jesu ein Eingang gemacht in das Allerheiligste, und ein Zugang zu Gott war aufgethan für jeden Sünder, der auf Christi Versöhnungsopfer traute.
Seht, welche Wunder den Tod Christi begleiteten und ihm folgten: “Die Erde bebte, und die Felsen zerrissen, und die Gräber thaten sich auf.“ So huldigte die Natur Ihm, den die Menschen verworfen hatten, und verkündigte vorher, was geschehen wird, wenn Christi Stimme noch einmal, nicht nur die Erde, sondern auch den Himmel erschüttern wird.
Diese ersten Wunder, die im Zusammenhang mit dem Tode Christi geschahen, waren vorbildlich für die geistlichen Wunder, die fortdauern werden, bis ER wieder kommt, - felsichte Herzen werden zerrissen, Gräber der Sünde werden aufgethan, die, welche in Übertretungen und Sünden tot gewesen sind und begraben in Grüften der Lüste und des Bösen, werden lebendig gemacht, und kommen hervor aus den Toten und gehen in die heilige Stadt, das neue Jerusalem.
54. Aber der Hauptmann, und die bei ihm waren, und bewahrten Jesum, da sie sahen das Erdbeben, und was da geschah, erschraken sie sehr, und sprachen: „Wahrlich, dieser ist Gottes Sohn gewesen!“
Diese römischen Kriegsknechte hatten nie zuvor solche Auftritte bei einer Hinrichtung erlebt und konnten nur zu einem Schluß kommen in betreff des erhabenen Gefangenen, den sie getötet hatten: „Wahrlich, dieser ist Gottes Sohn gewesen.“ Es war seltsam, daß diese Männer bekannten, was die Hohenpriester, Schriftgelehrten und Ältesten leugneten; doch ist es seit ihren Tagen öfter geschehen, daß die Verworfenen und Ruhelosesten Jesum als den Sohn Gottes anerkannt haben, während ihre religiösen Führer seine Gottheit leugneten.
(Des Königs treue Freunde. V. 55-61.)
55-56. Und es waren viel Weiber da, die von ferne zusahen, die da Jesu waren nachgefolgt aus Galiläa, und hatten Ihm gedient; unter welchen war Maria Magdalena und Maria, die Mutter Jakobus und Joses, und die Mutter der Kinder Zebedäus.
Wir haben keinen Bericht über Unfreundlichkeit irgend eines Weibs gegen unsren Herrn, obgleich wir mehrere Erzählungen von liebevollem Dienst der Weiber in verschiedenen Perioden seines Lebens haben. Es war demnach angemessen, daß selbst auf Golgatha viele Weiber waren, die von ferne zusahen. Der Pöbelhaufe und die rohen Kriegsknechte wollten diesen schüchternen, doch tapferen Seelen nicht gestatten, nahe zu kommen, aber wir erfahren aus Joh. 19,25, daß ihrer einige sich Bahn durch das Gedränge machten, bis sie „bei dem Kreuz standen.“ Die Liebe wagt alles.
57-58. Am Abend aber kam ein reicher Mann von Arimathia, der hieß Joseph, welcher auch ein Jünger Jesu war. Der ging zu Pilatus und bat ihn um den Leib Jesu. Da befahl Pilatus, man sollte ihm ihn geben.
Dieser reiche Mann von Arimathia, Joseph mit Namen, ein Mitglied des jüdischen Sanhedrins, war ein Jünger Jesu, „doch heimlich aus Furcht vor den Juden“ (Joh. 19,38). Als sein Herr aber nun wirklich tot war, stählte außergewöhnlicher Mut seinen Geist, und kühn “ging er zu Pilatus und bat ihn um den Leib Jesu.“ Joseph und Nikodemus sind Vorbilder von vielen andren, die durch das Kreuz Christi kühn gemacht sind, zu thun, was sie ohne diesen mächtigen Magnet niemals versucht haben würden. Wenn die Nacht kommt, erscheinen die Sterne; so leuchteten in der Nacht des Todes Christi diese zwei Sterne mit gesegnetem Glanze. Einige Blumen blühen nur zur Nachtzeit. Eine solche Blume war der Mut Josephs und des Nikodemus.
59-60. Und Joseph nahm den Leib, und wickelte ihn in eine reine Leinwand; und legte ihn in sein eignes, neues Grab, welches er hatte lassen in einen Fels hauen und wälzte einen großen Stein vor die Thür des Grabes; und ging davon.
Unser König muß selbst in seinem Grabe das Allerbeste haben: sein Leib ward in reine Leinwand gewickelt, und in Josephs eignes, neues Grab gelegt, womit die Weissagung Jes. 53,9 erfüllt ward. Einige sehen in dieser Leinwand eine Anspielung auf die Gewänder, in welche die Priester gekleidet waren.
Josephs Grab war ein jungfräuliches, in dem noch niemand begraben worden war, so daß, als Jesus auferstand, keiner sagen konnte, ein andrer sei an seiner Stelle aus dem Grabe hervorgegangen.
Jene in den Felsen gehauene Zelle heiligte jeden Teil des Ackers Gottes, wo Heilige begraben liegen. Anstatt zu wünschen, daß wir leben möchten bis Christus kommt, wie manche es thun, könnten wir lieber beten, Gemeinschaft mit Christo in seinem Tod und Begräbnis zu haben.
61. Es war aber allda Maria Magdalena und die andre Maria, die setzten sich gegen das Grab.
Liebe und Glaube waren beide vorgebildet in diesen zwei Marien, die dem Grabe geben saßen. Sie sind die letzten, die ihres Herrn Ruhestätte verlassen, und die ersten, die zu ihr zurückkehren, sobald der Sabbat vorüber ist.
Können wir an Christo hängen, wenn seine Sache tot und begraben scheint? Wenn „die Wahrheit auf der Gasse fällt“ oder sogar in dem Grabe des Zweifels oder des Aberglaubens begraben ist, können wir dann auch noch an sie glauben und ihre Auferstehung erwarten? Das ist’s, was manche von uns in der gegenwärtigen Zeit thun. O Herr, erhalte uns treu!
(Des Königs Grab wird beacht. V. 62-66.)
62-64. Des andren Tags, der da folgt nach dem Rüsttage, kamen die Hohenpriester und Pharisäer sämtlich zu Pilatus, und sprachen: Herr, wir haben gedacht, daß dieser Verführer sprach, da Er noch lebte: Ich will nach drei Tagen auferstehen. Darum befiehl, daß man das Grab verwahre bis an den dritten Tag, auf daß nicht seine Jünger kommen, und stehlen Ihn, und sagen zum Volk: Er ist auferstanden von den Toten; und werde der letzte Betrug ärger denn der erste.
Diese spitzfindigen Priester und Pharisäer, die es so genau mit dem Sabbat nahmen, machten sich nichts daraus, den Ruhetag zu entweihen, indem sie eine Beratung mit dem römischen Landpfleger hielten. Sie wußten, daß Christus tot und begraben sei, aber sie fürchteten immer noch seine Macht. Sie nannten Ihn einen “Verführer,“ und sie gaben sogar vor, an das zu gedenken, was “Er sprach, da Er noch lebte.“ Bei seinem Verhör gaben ihre falschen Zeugen seinen Worten einen andren Sinn, aber sie wußten es schon damals, daß Er von seiner Auferstehung gesprochen hatte, nicht von dem Tempel auf dem Berge Zion. Nun sind sie bange, daß Er, selbst im Grabe, all ihre Pläne für seine Vernichtung vereiteln könne. Sie müssen gewußt haben, daß die Jünger Jesu Ihn nicht stehlen würden und zum Volk sagen: „Er ist auferstanden von den Toten;“ sie fürchteten also wahrscheinlich, daß Er wirklich aus dem Grabe hervorgehen würde. Was sie noch an Gewissen hatten, machte große Feiglinge aus ihnen, deshalb baten sie Pilatus, zu thun, was er vermöchte, die Auferstehung ihres Opfers zu hindern.
65.66. Pilatus sprach zu ihnen: Da habt ihr die Hüter; gehet hin, und verwahret, wie ihr wisset. Sie gingen hin, und verwahrten das Grab mit Hütern, und versiegelten den Stein.
Die Hohenpriester und Pharisäer wollten, daß Pilatus das Grab verwahren sollte, aber er überließ dies ihnen. Es scheint eine Art grimmiger Spott in des Landpflegers antwort zu sein: “Da habt ihr die Hüter, gehet hin und verwahret es, wie ihr wisset.“ Ob er es als Verhöhnung meinte oder als einen Befehl, das Grab zu verwahren, sie wurden jedenfalls unbewußterweise Zeugen dafür, daß Christi Auferstehung eine übernatürliche That war. In das Felsengrab konnte man nur durch Hinwegwälzen des Steins gelangen, und sie verwahrten diesen, indem sie ihn versiegelten und Hüter davor stellten.
Der abgeschmackten Lehre der Rabbiner zufolge, war das Reiben von Kornähren eine Art Dreschen und darum unerlaubt am Sabbat, dennoch thaten diese Männer, was durch eine ähnliche Schlußfolgerung Schmelzen und Gießen genannt werden konnte, und sie riefen eine Wache römischer Soldaten herbei, ihnen beim Sabbatbrechen zu helfen. Ohne ihre Absicht thaten sie dem schlummernden König Ehre an, als sie die Vertreter des römischen Kaisers hinstellten, seine Ruhestätte zu bewahren bis an den dritten Morgen, wo ER als Sieger über Sünde, Tod und Grab hervorging. So mußte noch einmal die „Wut der Menschen“ dienen, den König der Herrlichkeit zu preisen.