Sengelmann, Heinrich Matthias - Verstehst Du auch, was Du liest - Ein Jeder wird seines Glaubens selig.

Sengelmann, Heinrich Matthias - Verstehst Du auch, was Du liest - Ein Jeder wird seines Glaubens selig.

Bei diesem Worte kann nicht wie bei den vorhergehenden der Ort angegeben werden, wo es in der Schrift sich findet; - denn es steht gar nicht in ihr. Zwar ist es schon oft als Schriftwort angeführt worden und wird auch im gewöhnlichen Leben durchgängig in dem Wahn angewendet, als ob es ein solches sei; allein der Ausspruch der Schrift, der damit gemeint ist, lautet ein wenig anders - und sagt gerade das Gegenteil, Hab. 2,4: „Der Gerechte lebt seines Glaubens.“ Der Spruch in seiner Entstellung bildet gewöhnlich einen Vorwand der vielgepriesenen Duldsamkeit; man sagt dann: „Freilich ist es ohne Glauben unmöglich Gott zu gefallen; aber ein Jeglicher lebt seines Glaubens; man kann in sehr verschiedenen Ansichten und Meinungen Antrieb und Stärkung zum heiligen und gottgefälligen Leben suchen und finden, - und was die seligmachende Kraft anbetrifft -: die liegt doch am Ende in den Werken; an diese ist Gottes Urteil ja geknüpft.“ Die Lüge liegt bei solcher Anwendung des Schriftwortes darin, dass man an die Stelle des Gerechten „ein jeglicher“ setzt und dem: gemäß das Wort sein, das vor Glauben steht, betont haben will. Was die ganze Lehre betrifft, zu deren Begründung man in dieser Weise die Schrift auslegt, so ist sie im Vorhergehenden schon oftmals hervorgezogen und in ihrer Schriftwidrigkeit nachgewiesen worden. Hier kommt es uns allein darauf an, den Sinn des vorliegenden Ausspruchs nach seinem Zusammenhange anzuzeigen. Wir brauchen hier nur auf seine Anwendung im neuen Testamente, Röm. 1,17 und Gal. 3,11, zurückzugehen. Un beiden Stellen kommt es dem Apostel darauf an, nachzuweisen, dass die Rechtfertigung des Menschen vor Gott nur an den Glauben geknüpft sei. Er bedient sich dazu verschiedener Wege. Bald weist er nach, dass das Gesetz weiter nichts als den Menschen zu Christo hin führen, das Bewusstsein der Sündhaftigkeit und Schuld in ihm erwecken wolle, bald erinnert er seine Leser an den Zustand unter dem Gesetze, als sie vom Evangelio noch nichts wussten, ob sie denn damals die seligen Früchte der Rechtfertigung genossen hatten. Besonders aber bedient er sich des Nachweises, dass die Lehre von der Rechtfertigung durch den Glauben keineswegs eine neue Lehre sei, sondern schon durch die Schrift alten Testamentes ihre Bestätigung erhalte, wie es z. B. von Abraham heiße: „Abraham glaubte dem Herrn, und das rechnete er ihm zur Gerechtigkeit.“ (1 Mos. 15,6). In dieser Weise wendet er auch die Stelle aus dem Propheten Habakuk an. Mit dem Worte leben wird der Genuss der Seligkeit gemeint, der aus dem Bewusstsein der Versöhnung und Gemeinschaft mit Gott hervorgeht; was nun aber die Verbindung der noch übrigen Ausdrücke anlangt, so kann diese nach dem Grundtext eine verschiedene sein. Nach dem alttestamentlichen, also hebräischen, Ausdruck könnte es wohl nur heißen: der Gerechte wird durch seinen Glauben, in Folge desselben, leben; nach dem neuen Testamente aber kann sowohl dies gesagt sein sollen, als auch: der durch den Glauben Gerechte wird leben; hiervon aber ist die letztere Verbindung der Wörter diejenige, welche am Meisten in den Zusammenhang der paulinischen Auseinandersetzung passt. „Seligkeit“, will also der Apostel sagen, „ist nur da, wo man durch den Glauben gerecht wird; durch die Werke ist sie nicht zu erlangen, denn durchs Gesetz wird Niemand gerecht vor Gott.“ Was nun aber von der ganzen Beweisführung des Apostels aus dem alten Testamente zu halten ist, ist klar; eine bloße Unbequemung an seine jüdischen Leser ist sie keineswegs. Wir müssen einen solchen inneren Zusammenhang zwischen dem alten und neuen Bunde jedenfalls annehmen; weil wenn Gott Israel gerechtfertigt hätte nach den Werken, ein Wandel in seinem Wesen eingetreten wäre, was bei dem über allem Wechsel Erhabenen nicht angenommen werden darf. Doch dem ganzen Wesen und der Bestimmung des Gesetzes (Gal. 3,24) zufolge konnte diese Lehre nur eine im Keim vorhandene sein; nichtsdestoweniger musste sie aber an einigen Stellen wieder stärker hervortreten, damit so der alte Bund seine Bestimmung, eine Vorbereitung des neuen zu sein, auch wirklich erreichen könnte.

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