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Schrenk, Elias - Die Sünderin in Simons Haus.
Es bat Ihn aber der Pharisäer einer, dass Er mit ihm äße. Und Er ging hinein in des Pharisäers Haus und setzte Sich zu Tische. Und siehe ein Weib war in der Stadt, die war eine Sünderin. Da die vernahm, dass Er zu Tische saß in des Pharisäers Hause, brachte sie ein Glas mit Salbe. Und trat hinten zu Seinen Füßen, und weinte, und fing an Seine Füße zu netzen mit Tränen, und mit den Haaren ihres Hauptes zu trocknen, und küsste Seine Füße, und salbte sie mit Salbe. Da aber das der Pharisäer sah, der Ihn geladen hatte, sprach er bei sich selbst, und sagte: wenn dieser ein Prophet wäre, so wüsste Er, wer und welch ein Weib das ist, die Ihn anrührt; denn sie ist eine Sünderin. Jesus antwortete und sprach zu ihm: Simon, Ich habe dir etwas zu sagen. Er aber sprach: Meister, sage an. Es hatte ein Wucherer zwei Schuldner. Einer war schuldig fünfhundert Groschen, der andere fünfzig. Da sie es aber nicht hatten zu bezahlen, schenkte er es beiden. Sage an, welcher unter denen wird ihn am meisten lieben? Simon antwortete und sprach: ich achte, dem er am meisten geschenkt hat. Er aber sprach zu ihm: Du hast recht gerichtet. Und Er wandte Sich zu dem Weibe und sprach zu Simon: Siehst du dies Weib? Ich bin gekommen in dein Haus, du hast Mir nicht Wasser gegeben zu Meinen Füßen; diese aber hat Meine Füße mit Tränen genetzt, und mit den Haaren ihres Hauptes getrocknet. Du hast Mir keinen Kuss gegeben; diese aber, nachdem sie herein gekommen ist, hat sie nicht abgelassen, Meine Füße zu küssen. Du hast Mein Haupt nicht mit Öl gesalbt; sie aber hat Meine Füße mit Salbe gesalbt. Derhalben sage Ich dir: ihr sind viele Sünden vergeben, denn sie hat viel geliebt; welchem aber wenig vergeben wird, der liebt wenig. Und Er sprach zu ihr: dir sind deine Sünden vergeben. Da fingen an, die mit zu Tische saßen, und sprachen bei sich selbst: wer ist dieser, der auch die Sünden vergibt? Er aber sprach zu dem Weibe: dein Glaube hat dir geholfen; gehe hin mit Frieden.
Luk. 7,36-50.
Es ist für uns ein großer Segen, den Heiland an so verschiedenen Orten zu sehen. Heute treffen wir Ihn als Gast bei dem Pharisäer Simon. Es kann uns überraschen, dass ein Pharisäer Ihn einlud. Der Hass der Pharisäer war damals noch nicht aufs Höchste gestiegen, und darum war es auch noch keine Schmach, Ihn einzuladen. Es ist aber möglich, dass Simon den Herrn nur einlud, um auf Ihn zu lauern. Aus Liebe, aus Bedürfnis von Ihm zu lernen, hat er Ihn nicht eingeladen, das sehen wir aus seinem ganzen Benehmen gegen den Heiland. In Simons Augen sollte der Herr es jedenfalls für eine Gunst halten, dass er sich herabließ, Ihn einzuladen. Insofern kann es uns wundern, dass der Herr die Einladung annahm. Als diese an Ihn kam, machte Er es jedenfalls nicht, wie es die meisten Leute machen; Er fragte nicht: will Ich gehen? gibt es nicht eine anständige Ausrede wegzubleiben? Er fragte Seinen Vater: soll Ich gehen? Und fühlte darauf inneren Geistestrieb, die Einladung anzunehmen. Das ist in ähnlichen Fällen auch für uns der einzig richtige Weg zur Entscheidung, dass wir den Herrn fragen, ob wir gehen sollen. Wie viel Sünde kommt bei solch einfachen Dingen vor! Da gibt es eine Menge unwahre Ausreden, eine Menge unwahre Komplimente, viel Menschenfurcht, Ehrsucht und wie die Sünden alle heißen, die sich an den Verkehr der Menschen hängen, die nicht vor Gott wandeln. Diese tausend sogenannten „kleinen Sünden“ sind wie ein Aussatz, der allem geistlichen Leben den Weg versperrt. Halten wir uns fern, und lassen wir uns reinigen davon.
Wie groß steht unser Heiland auch als Gast da! Er ist eben immer derselbe: in Simons Haus, wie in Bethanien; im Tempel, wie auf der Hochzeit. Er blieb in dem, was Seines Vaters war; Ihm allein wollte Er gefallen. So ist Er der Heiland, geworden auch für alle Leute, die den Mantel nach dem Wind drehen, die sich überall anbequemen, für die Wetterfahnen; wenn sie sich nur bekehren und zu Ihm kommen wollen. Lasst uns vom Herrn lernen.
Er war nicht lange in Simons Hause, so wurde es offenbar, warum Er die Einladung anzunehmen hatte. Es war ein Weib in der Stadt, die als Sünderin öffentlich bekannt war, auf die man mit Fingern deutete. Als diese hörte, dass der Herr bei Simon eingeladen war, kam sie, trat ohne Weiteres in den Speisesaal, machte sich von hinten zu den Füßen des Herrn, weinte, und fing an Seine Füße mit Tränen zu netzen; dann trocknete sie dieselben mit den Haaren ihres Hauptes, küsste Seine Füße, und salbte sie mit Salbe. Das war eine auffallende Handlungsweise, und das um so mehr, als in damaliger Zeit die Frau noch eine andere Stellung hatte als jetzt, und darum nicht so hervortrat, wie die Frau es heute tun darf. Was macht denn dieses verachtete Weib so kühn? Ohne Anfrage, ohne Erlaubnis, ohne auf irgend Jemand Rücksicht zu nehmen tritt sie herein; sie fragt gar nicht, was wird Simon und seine Gesellschaft sagen, obschon sie ohne Zweifel wusste, dass das ganze Haus mit Verachtung und Ärger sie anschauen werde. Die Antwort ist nicht schwer zu geben: das arme Weib lässt einfach dem Drang ihres Herzens den Lauf, und dieses trieb sie mit Macht zu Jesu hin, von dem sie jedenfalls schon vorher, sei es durch Hören von Andern, sei es durch persönliche Begegnung den Eindruck bekommen hatte, dass Er der Mann sei, der ihr helfen könne.
Die ganze Art ihres Kommens war eine Tat, durch die sie offen aussprach, dass sie innerlich mit ihrem Sündenleben gebrochen habe. Zugleich liegt in ihrem ganzen Benehmen ein entschiedenes Bekenntnis zu Jesu; wenn ihr Herz auch noch keinen vollen Trost und Frieden gefunden hatte, so hing es doch schon mit großer Liebe am Herrn, was ihre Tränen, ihr Küssen, und das Salben Seiner Füße bezeugt. Auch der Heiland selbst zeugt nachher von ihrer Liebe, wenn Er zu Simon spricht: sie hat viel geliebt. Ach, wie Viele könnten von diesem Weibe lernen, wie man zu Jesu kommen soll. Freilich brauchte man dem Sünder keine Belehrung mehr zu geben, wie er zu Jesu kommen soll, wenn er innerlich so zerbrochen, so weich und bußfertig wäre, wie dieses Weib. Warum wollen so Viele der Einladung zum Heiland nicht folgen? Sie hängen noch mit verborgener oder offenbarer Liebe an der Sünde. Ihr Herz ist noch hart, ihr Sinn noch hochmütig; darum haben sie keine Lust zu kommen. Soll man zu Jesu kommen, so muss man erst die Sünde satt bekommen und erkannt haben, dass sie uns nichts als Jammer und Elend bringt; die Sehnsucht nach Gnade, nach Frieden und nach einem neuen Leben muss im Herzen sein. Dann kann und darf man zu Jesu kommen.
Aber auch dann fällt manchem Sünder das Kommen noch schwer. Er hat allerlei Bedenken: was werden die Leute sagen? Wird es mir nicht schaden im Ansehen, im Erwerb, wenn ich mich zu Christo bekenne? Wird Er mich auch annehmen? Ich bin Ihm vielleicht viel zu schlecht. Ja, mein lieber Freund! Wenn du deine neunundneunzig Bedenken hast, die dich hindern zu deinem Heiland zu kommen, so weiß ich bestimmt, dass dir der Teufel noch eines hinzufügt, damit du hundert hast. Der Feind will, dass du dich so lange besinnst, bis zuletzt nichts aus deiner Umkehr wird, und du verloren gehst durch lauter Bedenken. Es muss bei dir soweit kommen, wie bei diesem Weib, dass du deinem armen, unruhigen, gnadebedürftigen Herzen den Lauf lässt, allen Bedenken den Abschied gibst, und kommst, wie du bist. So hat es das Weib gemacht. Und da will ich dir etwas zum Trost und zur Ermunterung sagen: weißt du, was mir bei all meiner Arbeit das Lieblichste und Köstlichste ist? Ein armer Sünder, der aufrichtig Leid trägt über seine Sünden, und von Herzen nach Jesu verlangt; wenn so Einer zu mir kommt, so freue ich mich immer von ganzem Herzen. Und weißt du auch, von wem ich diese Freude gelernt habe? Ich habe sie von meinem und deinem Heiland gelernt. Als ich selber arm, elend, und unrein zu Jesu kam, da durfte ich erfahren, wie sehr Er Sich über mein Kommen freute. Und wenn ich in den Evangelien lese, so finde ich, dass es Jesu höchste Freude war, Sünder zu suchen und selig zu machen. Er sagt auch Selbst, dass Freude sei vor den Engeln Gottes, über Einen Sünder, der Buße tue Luk. 15,10. Der liebe Gott sendet Seine Engel aus, zum Dienste um derer willen, die ererben sollen die Seligkeit. Die Engel helfen mit, dass wir zu Jesu kommen. Wenn du nicht mehr weiter gehen konntest auf deinem Sündenwege, so stellte dir Gott einen Seiner unsichtbaren Boten in den Weg, um dich still zu stellen. Und wenn du innerlich unruhig wurdest, und ein Zug und ein Drängen in deinem Herzen entstand, zu Jesu zu kommen, da haben die Engel auch mit geholfen, an dir zu schieben. Und wenn sie dann sehen bei einem armen Sünder: jetzt kommt er, so freuen sie sich und erstatten schnell Bericht beim Vater im Himmel, und es ist dann Freude im Himmel, wie der Heiland ausdrücklich sagt in Lukas 15,7. Ja, es ist ein wunderbares Ding, dass im Himmel Freude ist über ein armes, verachtetes, um und um sündiges, aber von Herzen reumütiges Menschenkind. Also, du darfst auch kommen.
O, sagst du: ich kann noch nicht weinen, wie das Weib in Simons Haus; ich darf noch nicht kommen, weil ich nicht bußfertig genug bin. Lieber Freund! die Tränen entscheiden nicht beim Kommen zu Jesu. Es ist ja wahr: aufrichtige Bußtränen sind köstliche Perlen vor Seinen Augen; aber wir Menschen haben sehr verschiedene Gemütsart: die Einen können bald weinen, Andere können überhaupt fast nicht weinen, und wenn ihnen das Herz brechen will vor Schmerz. Stiller Schmerz geht oft viel tiefer, als lauter Schmerz. Und abgesehen von den Tränen, habe ich Gott schon oft gedankt, dass Er nirgends in Seinem Worte sagt: so und so viel Buße muss der Mensch haben, und wenn er diese nicht hat, so nehme Ich ihn nicht an. Der Heiland sagt einfach: selig sind, die da Leid tragen, denn sie sollen getröstet werden Math. 5,4. Trägst du Leid, so darfst du kommen, und ich versichere dich, dass wenn du wirklich noch tiefere Buße haben solltest, du sie viel bälder bekommst in der Nähe Jesu und Seiner Jünger, als wenn du ferne von Ihm bleibst. Komme nur wie du bist. Es macht dir vielleicht noch mehr Mut, wenn ich dir sage, dass das Wörtlein Buße im neuen Testament immer Sinnesänderung heißt, womit der Herr uns sagen will: wenn Einer seinen Sinn ändert, so dass er seine Freude nicht mehr an der Sünde haben, sondern es mit Mir halten will, dann ist er Mir angenehm, und er darf zu Mir kommen.
Simon hatte keine Freude als das Weib kam. Ich meine, ich sehe den Mann, wie er das Weib fast durchbohrt mit seinen Augen, und mit Spannung wartet, ob ihr der Heiland nicht einen Fußtritt gebe, und sie zum Haus hinausjage um ihrer Unverschämtheit willen; denn vor Simons Augen war es „unter aller Kritik“, unanständig, dass sie sich so in die Gesellschaft eindrängte. Als der Heiland nicht aufbegehrte, wurde Simon auch über Ihn ärgerlich, und sagte flüsternd zu seinem Tischnachbar: wenn dieser ein Prophet wäre, so wüsste er, wer und welch ein Weib das ist, die Ihn anrührt; denn sie ist eine Sünderin. Das beweist uns klar, dass wenn das Weib den Simon erst hätte fragen, und auf seine gnädige Erlaubnis warten wollen, sie nie zu Jesu hätte kommen dürfen. Sein Benehmen gegen das Weib zeigt uns klar, dass er ein selbstgerechter Mann war; die Selbstgerechten haben nie Erbarmen gegen Sünder; sie sind hart, hochmütig, und sehen auf einen offenbaren Sünder mit Verachtung herab. Die Gesinnung eines selbstgerechten Menschen gegenüber einem Sünder ist mehr entfernt von der Gesinnung Gottes gegen die Sünder, als der Himmel von Erde. Darum ist ein selbstgerechter Mensch dem Reich Gottes sehr fern. An dem Erbarmen gegen die Sünder lernt man überhaupt die Menschen kennen. Es gibt auch Fromme, die in diesem Punkt noch ein Stockwerk zu hoch wohnen. Als ich einst eine vornehme Dame zu einer andern vornehmen Dame senden wollte, die tief gefallen war, sich aber nachher bekehrte, so gab sie mir zur Antwort: „es ist unter meiner Würde.“ Sie besuchte sie aber nachher doch, und wurde so erfreut, dass sie die Besuche wiederholte. Wäre mehr Erbarmen vorhanden für Sünder, auch für tief gefallene Sünder, so könnten Viele gerettet werden; aber Simon hat zu viele Brüder und Schwestern, die kein Herz, oder nicht genug Herz haben für einen armen Sünder.
Es ist etwas Majestätisches, wenn man das Verhalten des Heilandes gegen die Sünderin mit dem des Simon vergleicht. Der Herr war ja nur Gast im Haus. Was soll Er tun? Soll Er es mit dem Gastgeber halten? Er ist ihm doch Rücksicht schuldig. Die ganze Tischgesellschaft scheint gleich zu denken wie Simon. Soll der Herr eine Ausnahme machen, Anstoß geben? Heute wären die meisten Leute kurz besonnen: sie würden ohne Weiteres sagen: es ist unanständig, wenn man auf seinen Gastgeber und eine ganze Tischgesellschaft nicht so viel Rücksicht nimmt, dass man ein so gemeines Weib nicht einfach von sich weist. O, wie viele Menschen gehen aus Anstand, aus weltlichem Anstand verloren! Aus Anstand darf man in mancher feinen Gesellschaft kein Wörtlein vom Heiland reden. Aus Anstand darf man das Wort Sünde nicht nennen. Aber mancher feine Herr hält es dann im Verborgenen nicht unter seiner Würde, mit einer „Sünderin“ in die engste Beziehung zu treten; nur darf man es nicht sehen, damit er seinen feinen Anstrich zur Schau stellen kann. Man kennt die Feinheit der Welt: nicht immer, aber sehr, sehr oft ist unter der feinen Außenseite nichts als Gemeinheit und Unrat. Ist dann keine grobe Gemeinheit da, so ist doch das alte, sündige Herz da, in dem der Geist Gottes keinen Raum hat, wohl aber der Hochmut und die Selbstgerechtigkeit. Solche selbstgerechte Leute haben keine Ahnung davon, was sie unter andern Verhältnissen auch hätten werden können, und was sie Gott an Bewahrung zu verdanken haben, weil Er ihnen Schranken gab, die das sündige Wesen ihres Herzens weniger zum Ausbruch kommen ließen, als es in andern Verhältnissen der Fall gewesen wäre. Statt demütig und dankbar zu sein, sind sie dann hochmütig, sehen Gottes Hand nicht in ihrem Leben, schreiben alle Ehrbarkeit sich selbst zu, und ihr unreines Herz sehen sie nicht, weil sie blind sind. Wie sollen solche Leute ein Herz für die Sünderin haben?
Gott sei Dank! der Heiland hatte ein Herz für sie. Weder Simon, noch seine Gesellschaft ist Ihm maßgebend; Er wird kein Kriecher um eines Essens willen. Auch ist es Ihm gleichgültig, welche Anstandsregeln der Sünder hat. Er hat nur Einen Kompass für Sein Schifflein: der Wille Seines Vaters. Er kennt nur Eine Passion: Sünder zu retten, und darum ist Ihm heute das arme, verachtete Weib die wichtigste Person im Haus. Mit Wohlgefallen schaut Er auf ihre Tränen; sie kommen aus tiefer Reue, und darum nimmt Er frank und frei ihre Partei vor der ganzen Gesellschaft, zur Ermunterung und zum Trost aller Elenden, aller armen, gebeugten, gnadebedürftigen Sünder. Ja, wer sollte da nicht Mut bekommen, einem solchen sanftmütigen, demütigen und barmherzigen Heiland sich zu nahen! Flüsternd hat Simon gegen Ihn und das Weib geredet; laut und vernehmlich redet der Herr nun für das Weib, und leitet das Gespräch direkt auf die Sache hin, nach der des Weibes Herz verlangt: auf die Vergebung der Sünden.
Gewiss, mit Anspielung auf Simons Geiz, der bei selbstgerechten Menschen so oft zu finden ist, redet der Herr mit ihm von den zwei Schuldnern eines Wucherers, denen letzterer die Schulden erlässt. Der in Geldsachen gewandte Gastgeber antwortet richtig, dass der Schuldner, dem am meisten geschenkt worden sei, feinen früheren Schuldherrn am meisten geliebt haben werde. Diese Antwort wendet der Herr nun auf den Simon und das Weib an. Er zeigt dem Simon, dass das Weib Ihm viel mehr Ehre und Liebe erwiesen habe als er, der Gastgeber. Wenn nun nach Simons eigenen Worten viel Liebe der Beweis von viel Vergebung sei, so sei es klar, dass dem Weibe viel vergeben sei, dass aber dem, der wenig liebe, wenig vergeben sein müsse.
Damit bekam Simon eine beschämende, feine Strafpredigt. Er hatte mit Verachtung auf den Herrn und das Weib gesehen; auf den Herrn, weil Er das Weib nicht als Sünderin durchschaut habe, und auf das Weib, weil sie verrufen war. Nun steht auf einmal nach Simons eigenen Worten das Weib als eine Person da, die viel Vergebung hat, also vor Gottes Augen gar keine schlechte Person mehr ist; und der Herr war gerechtfertigt als der, welcher die Herzen durchschaut, und darum das Weib ganz anders behandelte, als der kurzsichtige Simon. Zudem erscheint Simon noch als Mann, dem wenig vergeben war. Freilich wusste er nicht, dass er viel Vergebung brauche; denn kein Selbstgerechter weiß das.
Wie mancher Sünder, der noch keine Heilsgewissheit hat, steht bei Gott schon in Gnaden, weil er aufrichtig und bußfertig ist. So war es auch bei dem Weib. Ohne Zweifel war sie der Vergebung ihrer Sünden noch nicht ganz gewiss, aber sie sollte es jetzt werden. Der Herr sprach zu ihr: Dir sind deine Sünden vergeben. Durch diese königlichen Worte bewies der Herr, dass Er mehr ist als ein Prophet; Er ist der, der Sünden vergeben, das Gewissen stillen und das Herz mit Freude erfüllen kann. Es war ein seliger Augenblick, ein Wendepunkt für Zeit und Ewigkeit im Leben der Frau, als sie aus Jesu Munde die Gewissheit der Vergebung der Sünden empfing. Wie viele Tausende haben seither aus demselben heiligen und barmherzigen Munde dasselbe Wort hören dürfen: Dir sind deine Sünden vergeben! Auch uns ist die Stunde unvergesslich, in der wir diese selige Erfahrung machten und ich wünschte, dass wir Alle sie gemacht hätten, damit wir gemeinsam den 103. Psalm singen könnten: Lobe den Herrn meine Seele, und vergiss nicht, was Er dir Gutes getan hat. Der dir alle deine Sünden vergibt, und heilt alle deine Gebrechen; der dein Leben vom Verderben erlöst, der dich krönt mit Gnade und Barmherzigkeit. Aber ich weiß gewiss, dass mehr als einer unter euch nicht so singen kann.
Wenn nun Manche unter uns noch nicht Vergebung der Sünden haben, so ist die große Frage, ob sie innerlich zubereitet sind, dieselbe zu empfangen. Für diese Zubereitung ist die Hauptsache, dass wir wirklich wissen, wir sind Sünder, die Gnade brauchen. Weißt du das nicht, so suchst du keine Vergebung. Bist du aber in deinen eigenen Augen ein armer Sünder, der gerne durch Jesum Christum selig werden möchte, so darfst du des Heilandes Wort, zur Sünderin gesprochen: dir sind deine Sünden vergeben, auch für dich nehmen, gerade wie wenn Er heute vor dir stünde und es zu dir spräche. Nimm es im Glauben für dich an, und zweifle nicht. Möge der heilige Geist diesen Trost in manchem Herzen versiegeln, so dass Viele unter uns im Frieden Gottes ihre Straße ziehen können, wie der Herr dem Weibe zum Abschied zurief: dein Glaube hat dir geholfen; gehe hin in Frieden. Amen.