Schopf, Otto - Die allgemeine christliche Kirche, der eine Leib, dessen Haupt Christus ist
Wir gedenken der ganzen Gemeinde Christi in der weiten Welt (nach Psalm 145).
Von ihrer Stirne strahlt Gottes und Christi königliches Wesen. Ihr täglicher und ewiger Beruf und ihr Lebensprogramm ist: Gott zu loben. Sie ist sozusagen ein Museum von Werken und Wundern der Macht und Güte, Gerechtigkeit und Gnade Gottes, der die Ehre seines Königreiches dareinlegt, von im Blute seines Sohnes gewaschenen, durch seinen Geist wiedergeborenen Sündern gepriesen zu werden. Sie sollen es lernen, „allezeit für alles“ und „für alle“ Miterlösten zu danken und den Menschenkindern in Werk und Wesen die Macht der Liebe des Gottes kundzutun, der Gefallene und Niedergeschlagene aufrichtet, alle unsere Bedürfnisse stillt, ja will, daß sein Volk der Gaben die Fülle habe. Die Gemeinde soll ein lebendiges Zeugnis von der Gerechtigkeit und Heiligkeit Gottes sein, aber auch davon, wie nahe er uns ist und auf das geistgewirkte, laute Schreien oder stille und verborgene Wünschen und Begehren unserer Herzen mit Erhörung antwortet. Wir dürfen ihn preisen, daß er uns im Sonnenschein so vielen Segens und im Wetter der Trübsal gerne behütet und daß er schließlich den Unterschied zwischen seinen Liebhabern und den Gottlosen offenbar macht, wo dann auch die auf die herrliche Freiheit der Kinder Gottes wartende jetzt noch seufzende Kreatur mit einstimmen wird in das ewige Lob dessen, der in seiner Liebe die Gemeinde schuf, damit sie mit Christo als Haupt ewig die Herrlichkeit dieser heiligen Liebe wiederstrahle.
Gottes Volk bedarf in unsrer versuchungsreichen Zeit einer gründlichen Schrifterkenntnis und eines geistgewirkten Schriftgehorsams.
Die Gemeinde ist das menschliche Echo des in die Welt hineingerufenen Gotteswortes. Satan sucht uns durch List und Macht, durch Arbeit und Vergnügen, weltliche und christliche Lektüre, den Weg zum Worte Gottes, dieser Brunnenstube, dieser Rüst- und Schatzkammer zu verbauen und uns Lust und Zeit zum Bibellesen zu nehmen. Man frage seine Zuhörer nach sechs bekannten Sprüchen, wo sie stehen, nach sechs Bibelstellen, was dort steht, und man wird erfahren, wie es um die bloße Schriftkenntnis in gläubigen Kreisen steht. Die Schrift liefert Grenzpfähle, Wegweiser und Schranken; wer sie nicht beachtet, leidet Schaden. Aber Schrifterkenntnis ist noch mehr als Kenntnis. Nur wenn man den Willen des tun will, der Jesum sandte, wird man erkennen, d.h. nur auf dem Wege des Schriftgehorsams. Das ist nicht Gehorsam wie der der Pharisäer, der das Schwerste am Gesetz dahinten läßt und durch all sein in der Schrift suchen doch nicht zu Jesu selbst kommt, keine Schriftgemäßheit der Form und des Ausdrucks ohne Jesu Gesinnung. Nur wo man in der Schrift den Herrn sucht, der dort zu finden ist, und ihn dabei anruft, wo man durstig wie ein trockenes Land, gebeugt und dankbar darüber, daß man Gottes hohe Gedanken in sich aufnehmen darf, das Wort trinkt, und von den eigenen gottlosen und sündigen Gedanken läßt, da wird man auf Gottes Weg gestellt, und Friede ist die Frucht davon (Jes. 55). Hätten wir auf diese Weise mehr die Schrift gelesen, wären wir vor Irrlehren, Irrungen und Irrgeistern und viel Herzeleid und Kraftlosigkeit bewahrt geblieben.
Rückkehr zu der ersten Liebe und den ersten Werken ist uns not, damit die Bruderliebe wachse und das Bewußtsein der Einheit kräftig werde.
Wir erbitten neue Geistesmacht zum Zeugendienst.
Wenn unsere erste Lieber schwächer und unsere ersten Werke mangelhafter waren als die heutigen, sollen wir natürlich nicht zu ihnen zurückkehren. Aber wenn wir auf Irrwegen waren, erkaltet und ermattet sind, wenn der Herr, als unsere erste Liebe, uns früher mehr beherrschte, und unsere ersten Werke früher mehr den ersten Werken der Epheser glichen (Apg. 19) als heute, dann ruft und führt uns die Schrift zurück wie einst die Epheser durch Warnungen und durch Verheißungen, die uns der Jesum verklärende Geist zuflüstert. Der Geist Gottes bahnt, indem er Buße wirkt, der Liebe und „den ersten Werken“ den Weg und damit auch einem geistesmächtigen Zeugnis. Das Öl des Geistes läßt unseren Leuchter brennen, so daß still und warm das Licht unseres Zeugnisses Sünde aufdeckt, Suchenden den Weg zeigt und Christum verklärt (Off. 2,1-8). Dann darf der Einzelne und die Gemeinschaft eine kleine Kraft haben. Von dem Wort, an dem wir festhalten, geht das geistesmächtige Zeugnis aus, und niemand vermag diese Macht zu vernichten, hinter welcher der steht, der aufschließt, und niemand kann zuschließen (Off. 3,7-13).
Wir müssen lernen, regelmäßig und planmäßig nach unserem Vermögen zu geben für Gottes Reich und wissen, daß es Gnade ist, unser Hab und Gut in den Dienst des Herrn stellen zu dürfen.
Dieselbe Geistesmacht, die das Höchste erschließt, überwindet auch das Niedrigste, so auch den Geiz, diese Wurzel allen Übels, und die Verschwendung, das andere Widerspiel der Haushältertreue. Wer ohne Geld und umsonst das Ewige bekam, gibt gerne das Zeitliche her; wer auf die Krone der Gerechtigkeit wartet, kann auf Geringeres leicht verzichten und lernt aus der Schrift, daß das Geben seliger ist als das Nehmen, und daß Lieben und Geben zusammengehört. Dieselbe Geistesmacht, die uns selbst für Gott in Beschlag nimmt, nimmt auch das Unsrige in Besitz. Sie ordnet unser ganzes Leben und führt zu regelmäßigem, fortgesetztem, freudigem und reichlichem Geben, lehrt Zeit, Körperkraft, Begabung, Beruf und gesellschaftliche Stellung, ob sie hoch oder nieder sei, in den Dienst des Herrn stellen und selbst bei Krankheit und Unglück fragen: Wie kann ich sie zur Ehre Gottes und zum Heil meiner Mitmenschen verwerten? Dann gibt man womöglich nicht mehr neunmal soviel für sich als für den Herrn, was man den „Zehnten“ geben heißt, wie die Juden taten, die Jesum nicht kannten. Leckereien und Lektüren, Putz und Vergnügungen und Ehrgeiz werden dann nicht unseres Herrn Geld verzehren. Man spart dann nicht 10 Mark an Reichsgotteszwecken, um 100 Mark für Doktor und Apotheker, Mietsausfall und Geschäftsverlust, für verlorenes Vieh und sonstige Schäden auszugeben, ohne zu merken, was der Herr damit sagen will. Wie herrlich erleben es die, die den Herrn aus Liebe, und damit zum geheimen Teilhaber, ja Inhaber ihres Geschäfts oder Grundbesitzes gemacht haben!
Wir tun Fürbitte für die Diener am Wort, daß sie mit dem Heiligen Geiste erfüllt werden und ihren Meister verherrlichen.
Die ganze Gemeinde des Herrn muß Geistesmacht haben zum Zeugnisdienst. Geistesmacht und Zeugendienst sind nicht reserviert für die am Wort dienenden Brüder! Wie verkehrt wäre das! So wie die Gemeinden sind, so sind die Prediger, die sie hervorbringen. Je höher und geisteskräftiger der Stand der Gemeinden, desto größere Nötigung für die Verkündiger des Wortes, nach mehr Geist und Gnade zu dürsten und darum zu flehen. Eine geistlichere Gemeinde wird allerdings auch höhere Ansprüche an ihren Prediger stellen müssen, aber wie köstlich, wenn sie diese Ansprüche an den Herrn in aller Demut richtet. Er kann es den Predigern schenken, nicht die berühmten Knechte des Herrn, nicht sich selbst, nicht ihre theologischen Systeme oder die eigene Denomination, sondern treu alle Zeit in allen Tonarten und unter Hingabe ihrer ganzen Persönlichkeit, opferwillig den Herrn zu verherrlichen. Ach daß der jammervolle Ehrgeiz vernichtet würde, den so viele gläubige Zuhörer selbst bei den Predigern züchten und nähren, so daß für Popularität oder für den Beifall maßgeblicher Brüder gepredigt wird. Ach daß die ganze Gemeinde mehr Geschmack, ja Hunger bekäme für das Lebensmanna des Wortes Gottes, in welchem der Geist Jesum verklären kann, und für sonst nichts! 1.Tim. 3,14
Wir flehen den Segen Gottes herab auf alle Bestrebungen, die darauf gerichtet sind, die zerstreuten Kinder Gottes zusammenzubringen.
Gemeint sind hier natürlich und mit Recht zunächst alle Allianzveranstaltungen, wie Konferenzen, geeignet geschriebene Blätter, unsere Gebetswoche selbst und alles, was an Liebesfäden und -brücken von Herz zu Herz, von Geschwisterkreis zu Geschwisterkreis gespannt wird. Es gibt eine knochenlose Allianz und eine verknöcherte Allianzgegnerschaft, die die Allianz in Mißkredit bringt. Es gibt eine hochgehende Allianzbegeisterung, die nicht tief genug geht, weil sie vielen Sündern und Schwachheiten nicht den Krieg erklärt, die die Einheit des Volkes Gottes hemmen. Es gibt eine oberflächliche Gleichmacherei, die nicht eine Einheit schafft, sondern eine katholisierende und tötende Einförmigkeit, wo ängstlich jede originelle und individuelle Lebensäußerung und Lebensgestaltung unterdrückt wird. Davor behüte uns, lieber Herr und Gott! Nicht Einheitsformeln und Formeleinheit brauchen wir, sondern, daß wir immer mehr Leute werden, deren Herzen durchdrungen sind von dem Heilandswort: Eins ist not! Aber der Herr wolle auch alle Hunde segnen, die die Herde Christi zusammenhetzen, alle Trübsale und Feindschaften, alle Kritik und allen Spott, die uns beschämen und demütigen. Er wolle uns unter allen Erfolgen und Gnadenerfahrungen bewahren und auch sie dazu segnen, daß sie uns demütigen. Denn unter Demütigen ist es leicht, die Einheit zu beweisen, und wenn nur die Demütigen die Oberhand bekommen, dann vermögen sie auch eine Anzahl minder Demütiger zu tragen und herumzulieben.
Quelle: Gärtner - Eine Wochenschrift für Gemeinde und Haus 1913