Schlachter, Franz Eugen - Samuel und Saul - 15. Sauls Torheit und Jonathans Glaubenstat.

Schlachter, Franz Eugen - Samuel und Saul - 15. Sauls Torheit und Jonathans Glaubenstat.

1. Sam. 13 und 14.

Wir haben gesehen, wie Saul sein Königtum gefunden und wie er seine erste königliche Tat in wahrhaft königlichem Geist vollzogen hat. Seine ganze weitere Geschichte zeigt uns leider, wie er sein Königtum verloren hat. Dies geschah freilich nicht mit einem Mal, sondern ist ein trauriger Prozess, der sich durch Jahrzehnte hindurch zieht; aber Sauls Beispiel dient uns umso mehr zur Warnung, als es uns beweist, wie man ganz allmählig von einem hohen Gnadenstand herunterkommen und schließlich ein trauriges Ende nehmen kann. Man kann diese Geschichte nicht lesen, ohne von Besorgnis für sein eigenes Seelenheil ergriffen zu werden. Wenn ein Mann, der so hoher Gnadenerfahrung gewürdigt worden war, so tief gefallen ist, was soll es mit denen werden, die nicht einmal einen so guten Anfang gemacht haben wie er

Sauls Untergang beginnt damit, dass er eine Torheit begeht, die uns in Kap. 13 geschildert wird. Samuel sagt ihm dort ins Gesicht: „Du hast eine Torheit begangen, dass du nicht gehalten hast das Gebot des HErrn deines Gottes, das er dir geboten hat.“ Ungehorsam war also die Torheit, welche Saul beging und dieselbe Sünde führte ihn später zum gänzlichen Abfall von dem HErrn. Und sein Beispiel zeigt uns, dass der Ungehorsam gegen das Wort des HErrn auch dann eine Torheit ist, wenn es viel klüger scheint, dass man sich nicht so strenge hält an das Wort des HErrn. Saul hatte seinerzeit von Samuel die Weisung erhalten, dass er im Falle eines Kriegszuges auf ihn warten müsse und wenn es sieben Tage lang dauern sollte, bis dass der Prophet komme und die Brandopfer und Dankopfer darbringen würde (1. Sam. 10,8). Das war ja allerdings, menschlich betrachtet, eine heikle Bedingung. Im Krieg hängt oft das Glück von schleunigem Vorgehen ab; eine siebentägige Wartezeit kann da sehr verhängnisvoll sein. Aber das Volk Gottes sollte eben seine Kriege nicht nach den weltlichen Grundsätzen führen und nicht in eigener Kraft. Es sollte hier gehen nach der Direktion des HErrn und gestritten werden in Seiner Kraft. Daher durfte der König nicht in den Krieg ziehen, ohne zuvor die Weisung des HErrn erhalten zu haben. Deshalb musste er warten, bis der Prophet kam und ihm den göttlichen Befehl überbrachte. Jehova und nicht der König war ja der oberste Kriegsherr in Israel, und es galt, dass das Volk vor allem Seiner Gegenwart versichert sei, daher sollte es nicht in den Krieg ziehen, ohne dass es durch die Opfer mit Gott versöhnt worden war.

Nun trat aber schon im zweiten Regierungsjahr Sauls ein Fall ein, bei dem es sich zeigen sollte, ob Saul der göttlichen Verordnung gehorsam sei oder nicht. Ein mutiger Angriff Jonathans auf eine philistäische Besatzung brachte die Philister in den Harnisch und sie zogen mit großer Übermacht gegen Israel. Saul hatte nur 3000 Mann stehendes Heer, er ließ daher in ganz Israel die Kriegsposaune blasen und rief das Volk unter die Waffen nach Gilgal hinab. Während Saul dort auf Samuel wartete, näherte sich das Heer der Philister und die Kinder Israels gerieten in große Angst vor der feindlichen Übermacht. Der König, auf den sie so große Hoffnungen gesetzt hatten, beruhigte sie jetzt nicht. Der HErr ließ sie fühlen, dass Menschenhilfe eitel ist. Sie hatten nicht einmal den Mut, sich den Philistern entgegenzustellen, sondern versteckten sich, oder flohen über den Jordan. Auch das Heer, das mit Saul in Gilgal wartete, zitterte vor dem Feind, und da Samuel immer und immer nicht kam, sahen sie wohl Sauls Zögern als Feigheit an und zerstreuten sich von ihm, dass schließlich nur noch 600 Mann bei ihrem König blieben.

Da glaubt Saul nicht mehr länger warten zu sollen. Er fürchtete einen Angriff der Philister, und da Samuel auch am siebenten Tage noch nicht erschien, so entschloss er sich endlich, selbst die Opfer zu bringen, für deren Darbringung man so lange vergeblich auf Samuel gewartet hatte. Kaum aber ist die Opferflamme verraucht, da kommt auch Samuel und wirft Saul sein eigenmächtiges Einschreiten vor.

So sehr man nun auch auf den ersten Anblick Saul entschuldigen zu können meint, ist es doch klar, dass er eine Torheit begangen hat und seine Probe nicht bestand. Die Lage war allerdings kritisch, aber eben in solchen Lagen erprobt sich der Gehorsam erst. Der HErr ließ Saul in diese missliche Lage hineingeraten, um ihn zu prüfen, ob er auf die Dauer zum König Seines Volkes geeignet sei. Und da zeigte es sich, dass ER ihn nicht bestätigen könne für und für. Würde er die Probe bestanden haben, so hätte es der HErr getan; nun aber konnte Er nicht, sondern musste Sich einen andern Mann aussuchen, der nach Seinem Herzen war.

Es hatte sich eben gezeigt, dass Saul keinen Glauben besaß. Das geht aus seinen eigenen Worten hervor, womit er sein eigenmächtiges Vorgehen Samuel gegenüber entschuldigen will. Als er gesehen habe, dass das Volk sich von ihm zerstreue und Samuel nicht zur bestimmten Zeit gekommen sei und die Philister sich zu Michmas versammelten, da habe er gesagt: „Nun werden die Philister zu mir gen Gilgal herabkommen und ich habe das Angesicht des HErrn nicht erfleht, da wagte ich es und opferte das Brandopfer,“ V. 17. Ein solches Opfer aber, das aus lauter Unglauben und Zaghaftigkeit und im Ungehorsam dargebracht wird, erwirbt nicht das Wohlgefallen des HErrn. Gehorsam ist besser denn Opfer, besonders dann, wenn, wie es hier bei Saul der Fall war, der Opfernde über seinem Opfer seine eigene Pflicht versäumt und in ein fremdes Amt übergreift. Das war der Fehler, den Saul beging. Es wird uns nämlich erzählt, dass zu jener Zeit in der Hand des ganzen Volks kein Schwert noch Spieß gefunden ward. Saul hätte also in seiner siebentägigen Wartezeit genug zu tun gehabt mit der Bewaffnung und Einübung des Volks; anstatt aber diese seine königliche Pflicht zu tun, greift er dem Priester ins Amt und bringt Opfer dar. So gibt es noch immer Leute, die lieber Opfer bringen, die Gott gar nicht von ihnen verlangt, anstatt ihre Pflicht zu tun. Denken wir noch daran, wie nicht nur Samuel Saul gegenüber diese Handlungsweise als eine Torheit bezeichnet, sondern wie auch Jesus den Pharisäern gegenüber dieses „Korban“-Sagen scharf verurteilt hat.

Wie kam es aber, dass in der Hand des israelitischen Kriegsvolkes keine Waffe gefunden ward? Das verdankten die Kinder Israel der Klugheit der Philister und ihrer eigenen Nachlässigkeit. Die Philister wussten es so einzurichten, dass in ganz Israel kein Schmied aufzukommen imstande war, V. 19; entweder dass sie bessere Arbeit lieferten als die israelitischen Schmiede und diese letzteren deshalb nicht bestehen konnten vor der philistäischen Konkurrenz, oder dass in Israel überhaupt niemand dieses Handwerk verstand. Jedenfalls war dies eine Schande für die Kinder Israels, dass unter ihnen kein guter Schmied zu finden war, und es erinnert uns dies mit Beschämung daran, wie die Kinder dieser Welt oft klüger sind als die Kinder des Lichts. In der Ordnung ist das nicht, wenn unter dem Volk Gottes keine guten Handwerker und keine tüchtigen Geschäftsleute sind. Wir haben uns wahrlich nicht nur in den Gottesdiensten als Gottes Kinder zu erweisen, sondern auch in der Werkstätte. Es war nicht in der Ordnung, dass ganz Israel hinabziehen musste zu den Philistern, wenn jemand seine Pflugschar, seine Haue, sein Beil oder seinen Spaten zu schärfen hatte. Dadurch kam das Volk Gottes vielzusehr in Abhängigkeit von diesem heidnischen Volk. Wie stimmt das mit der Ermahnung des Apostels, dass Kinder Gottes weislich wandeln sollen gegen die, so draußen sind und ihrer keines bedürfen sollen? So lange es aber an einem Ort an tüchtigen christlichen Handwerkern fehlt, kann man es einem Christen auch nicht übel nehmen, wenn er bei einem geschickten, weltlich gesinnten Meister arbeiten lässt.

Wenn es nun aber schon nicht richtig war, dass die Kinder Israels bei den Philistern ihre eisernen Werkzeuge und Waffen mussten anfertigen lassen, wieviel weniger ist es dann gut, wenn die Kinder Gottes ihre geistigen Waffen bei der Welt schärfen zu lassen genötigt sind! Dem Beil und dem Spaten, dem Schwert und dem Spieß tut es am Ende nicht viel, wenn man sie bei den Philistern schärfen lassen muss; aber wenn die Christen zur Welt gehen müssen, um ihren Verstand zu schärfen und die Ausbildung ihrer Kinder weltlich gesinnten, ungläubigen Lehrern anvertrauen müssen, so kann das gefährlich sein. Soweit es sich bloß um diejenigen Kenntnisse handelt, welche für das irdische Durchkommen nötig sind, also um die Sprachkenntnisse, Rechnen, Schreiben, Lesen und andere rein irdische Fertigkeiten, so mag man diese ohne Schaden bei einem weltlichen Lehrer suchen, aber warum kommt es vor, dass christliche Eltern ihre Kinder einem ungläubigen Lehrer in den Religionsunterricht geben, ja, dass es sogar gläubige Väter gibt, die ihre Söhne auf der Hochschule bei ungläubigen Professoren Theologie studieren lassen? Ist es nicht ein Unding, dass ein zukünftiger Streiter des HErrn bei einem Philister in die Schule gehen soll? Warum müsst ihr, gläubige Väter und Mütter, eure Söhne absolut dahin schicken, wo der Gott Israels und Sein Wort der Kritik preisgegeben wird? Ist es darum, dass in ganz Israel „kein Schmied“ gefunden wird, der den Verstand eurer Kinder genügend schärfen kann, oder ist es nicht vielmehr darum, weil es so Mode ist und ihr fürchtet, sie finden keine Anstellung, wenn sie nicht auf der philistäischen Universität gebildet sind? Ihr wollt keine Philister aus ihnen machen lassen und doch geht ihr sie den Philistern in den Unterricht. Diese Abhängigkeit der Kinder Gottes von den weltlichen Bildungsanstalten ist eine Schmach, welche von dem Volk Gottes noch weggenommen werden muss. Wir werden nicht eher tüchtige Streiter Jesu Christi haben, als bis das Volk des HErrn es wieder lernt, seine Waffen im Feuer des Heiligen Geistes auszuglühen, das wird mehr nützen, als wenn der beste Künstler im Philisterland sie zurecht geschliffen hat.

Jonathan Glaubenstat.

(1. Sam. 14.)

Durch Sauls Torheit war Israel in eine peinliche Verlegenheit geraten. Saul hatte durch eine voreilige Tat den HErrn erzürnt. Er hatte sich in der Ungeduld herausgenommen, eine priesterliche Handlung vorzunehmen, die nach dem Gesetz nicht in seine Kompetenzen fiel; dagegen hatte er versäumt, was ihm als König obgelegen wäre: die genügende Bewaffnung des Volks. Infolge dieser Torheit lastete die Ungnade des HErrn spürbar auf Israel und das Volk verlor allen Mut. Die Hebräer verkrochen sich in ihre Löcher, und Sauls Heer schmolz durch beständige Desertion bis auf die geringe Zahl von 600 Mann zusammen. Umso mutiger erhoben die Philister ihr Haupt. Drei Streitrotten derselben verheerten nach verschiedenen Richtungen hin das Land, und die feindliche Heeresmacht drang immer weiter vor. Eine Besatzung der Philister zog heraus zu dem Engpass bei Michma, einem strategisch sehr wichtigen Punkt, dessen Besitz dem feindlichen Heer den Weg in das Herz des Landes eröffnete.

In dieser höchsten Verlegenheit und angesichts der großen Gefahr, in welcher das Vaterland stand, fasste Sauls frommer und tapferer Sohn Jonathan einen kühnen Entschluss. Da der König mit bloß 600 Mann dem an Zahl weit überlegenen Feind nicht entgegen zu treten wagte, so schickte er sich ganz allein, nur von seinem getreuen Waffenträger begleitet, zu einem Angriff an.

Verschiedenes bewog ihn zu diesem Entschluss. Vor allem, dass er selbst eigentlich der Anstifter zu dem gegenwärtigen Krieg gewesen war. Er hatte die Philister durch einen kühnen Angriff auf ihre Besatzung gereizt, worauf diese mit ungeheurer Übermacht zur Rache gegen Israel zogen (Kap. 13,3.4). Wahrscheinlich wurden nun Jonathan wegen dieses seines tollkühnen Streiches, wie man seinen mutigen Angriff nannte, Vorwürfe gemacht. Der Sohn des Königs hatte aber jenen Angriff keineswegs in jugendlichem Übermut, sondern im Vertrauen auf den HErrn gewagt. Dass seine Glaubenstat keinen bessern Erfolg gehabt, das war nicht seine Schuld; sein Glaube fand eben bei seinem Vater und bei dem Volk keine Nachahmung, und der Glaube nur eine einzelnen Mannes erringt nicht immer den Sieg, wenigstens nicht sofort. Jonathan Glaubenstat rief zuerst einen starken Widerstand des Feindes hervor, und wie es oft zu gehen pflegt, verschlimmerte sich die Lage vorderhand nur. Zum Glauben gehört eben auch die Geduld, das verstehen aber viele Leute nicht; wenn daher nicht sofort Besserung eintritt, sagen sie, der Glaube sei nichts.

Jonathan unterscheidet sich nun aber von dieser Art gerade dadurch vorteilhaft, dass er sich durch den erstmaligen Misserfolg nicht entmutigen lässt. Im Gegenteil betrachtet er es als seine Pflicht, was er im Glauben angefangen hat, nun auch zu vollenden. Hat er seinen Vater und sein Volk durch seine kühne Tat in Verlegenheit gebracht, so hofft er sie nun durch eine zweite, noch kühnere Glaubenstat wieder aus der misslichen Lage zu befreien. Dabei erwartet er zugleich, dass wenn es ihm gelingt, allein einen Vorteil über den Feind zu erringen, alsdann auch sein Vater mit den 600 Mann sich aus der Mutlosigkeit aufraffen wird. Nicht Ruhmsucht ist es aber, die Jonathan zu seiner kühnen Tat bewegt, sondern der Glaube stärkt ihn zu seinem Entschluss, dass der HErr durch wenige, ja durch einen einzigen Mann ebenso gut wie durch viele helfen kann. Das spricht er ja so schön in dem Glaubenswort aus, mit dem er seinen Waffenträger ermutigt, ihn zu begleiten: „Komm,“ spricht er zu ihm, „lass uns hinübergehen zu der Besatzung dieser Unbeschnittenen! Vielleicht wird der HErr für uns wirken, denn es ist dem HErrn nicht schwer (eigentlich: „es hindert den HErrn nichts“), durch viel oder wenig zu helfen.“ Der Glaube sieht nicht auf die Größe der vorhandenen Mittel, noch auf die eigene Kraft, sondern auf den HErrn. Nun sagt Jonathan freilich nicht, dass es dem HErrn gleich sei, durch gar nichts zu helfen, nein, der HErr muss jemand haben, durch den Er wirken kann; aber ob nun das viele oder wenige, große oder kleine Mittel sind, darauf kommt es dem HErrn nicht an, wenn nur Glaube vorhanden ist, dessen sich der Allmächtige bedienen kann. Und diesen Glauben fand der HErr bei Jonathan darum wirkte ER durch ihn.

War aber Jonathan Glaube nicht mit Zweifeln gemischt? Es scheint ja aus zweierlei hervorzugehen, dass er der Hilfe des HErrn nicht ganz versichert ist. Er sagt: „Vielleicht wird der HErr für uns wirken,“ und vielleicht ist ja doch ein zweifelhaftes Wort. Das ist es aber in diesem Fall nicht, sondern es zeigt vielmehr, dass Jonathan mit seinem Glauben die Demut verbunden hat. Er sagte nicht: der HErr muss uns helfen, sondern er stellte dies bescheiden dem Willen Gottes anheim und damit zeigt er uns, dass der Glaube nicht nur ein unbegrenztes Vertrauen, sondern auch eine demütige Unterwerfung unter den Willen Gottes ist. Umso mehr musste Jonathan so sprechen, als er ja wusste, dass die gegenwärtige missliche Lage, aus der er Israel zu befreien hoffte, eine wohlverdiente Strafe sei, und da wäre es unter Umständen sogar gefährlich, eine solche Strafe durch den Glauben einfach aufheben zu wollen. Wir können aber oft nicht wissen, warum Gott eine solche Strafe verhängt, darum schickt es sich besser für uns zu sagen: „Vielleicht“ als „Gewiss“. Dadurch, dass man mit der größten Zuversicht Leidenden ganz gewiss versprochen hat, der HErr werde sie von ihrer Krankheit oder ihrem sonstigen Ungemach befreien, hat man schon manche in Verwirrung gebracht, wenn es dann doch nicht geschehen ist; hätte man ihnen aber gesagt: „Vielleicht wird der HErr dir helfen“, so wäre das kein Unglaube gewesen und ihnen hätte man die bittere Enttäuschung erspart.

Dieselbe Demut, welche Jonathan das „vielleicht“ in den Mund legt, bewahrt ihn aber auch vor der Tollkühnheit. Glaube und Tollkühnheit ist zweierlei. Darum darf man es ebenfalls nicht als Unglauben taxieren, dass Jonathan, ehe er den Angriff auf die Besatzung der Philister wagt, wissen will, dass der HErr sie in seine Hände gegeben hat. Aus dem Übermut der Philister will er darauf schließen. Das soll uns ein Zeichen sein, dass der HErr sie in unsere Hände gegeben hat, wenn sie zu uns sagen: „Kommt herauf!“ So verständigt sich Jonathan mit seinem Waffenträger, ehe er zum Angriff übergeht.

Und nun hat er trotz seiner Vorsicht und trotz seines „ vielleicht“ keine Enttäuschung erlebt, sondern als die Männer der philistäischen Besatzung Jonathan und seinem Waffenträger höhnisch zuriefen: „Kommt herauf zu uns, so wollen wir euch etwas zu wissen tun!“ wusste Jonathan, dass der HErr ihm den Feind in seine Hand gegeben. Also kletterte er mit Händen und Füßen den steilen Fels hinan und sein Waffenträger ihm nach. Oben angekommen stieß er einen nach dem andern von der Besatzung nieder und sein Waffenträger hinter ihm her gab den Gefallenen vollends den Todesstoß, also dass die beiden Männer miteinander in diesem ersten Gefecht bei zwanzig Mann erlegten auf einem Raum von ungefähr einer halben Juchart1). Das aber war noch der geringste Erfolg der kühnen Glaubenstat. Die Philister selbst fühlten unwillkürlich in dieser Niederlage eine höhere Hand, die sie schlug. Es wurde ihnen klar, der HErr streite für Israel, sodass ein Schrecken über ihre ganze Mannschaft fiel und sich ein Schrecken Gottes erhob.

„Ein Schrecken Gottes“, d. h. ein Zittern vor Gott entstand aus dem Schreck über die Niederlage durch das Schwert Jonathans. Dieser Schrecken, den Gott über die Feinde Seines Volkes sendet, ist eine merkwürdige Erscheinung, die wiederholt das Volk Gottes gerettet und ihm öfters zum Sieg verholfen hat. Dieser Schrecken hielt einst schon die Sichemiten von der Verfolgung der Söhne Jakobs ab. Israel konnte aus Ägypten entfliehen, weil der Schrecken Gottes über die Ägypter kam, und Pharaos Heer ertrank im Toten Meer aus demselben Grund. Wie oft heißt es von den Feinden Israels: der HErr erschreckte sie entweder durch Hagel oder wie die Syrer vor Samaria durch ein Geräusch wie von einer anrückenden Heeresmacht. Auch an Pfingsten fiel ein solcher Schrecken auf die Bewohner von Jerusalem, und als Ananias und Saphira durch die Hand des Herrn fielen, kam eine große Furcht über die ganze Gemeinde und über alle, die es hörten. Auch noch jetzt kann der HErr Seine Furcht fallen lassen auf ein Volk oder eine Stadt, und weiß es dahin zu bringen, dass der freche Sünder zittert vor Ihm, dem heiligen Gott. Trauen wir Ihm nur ebenso wie Jonathan, gehen wir nur im Glauben ebenso kühn vor wie dieser Streiter des HErrn, dann werden wir auch noch sehen dürfen, dass des HErrn Arm sich offenbart vor den Augen aller Welt.

Jonathans Erfolg bleibt im israelitischen Lager nicht unbemerkt, nur weiß man dort nicht, woher die Bewegung unter den Philistern kommt. Die Wächter Sauls sahen die Verwirrung im Lager des Feindes, aber die Ursache derselben konnten sie nicht entdecken. Dieser Umstand brachte Saul in große Aufregung. Es ist auch wirklich ein merkwürdiger Anblick, ein fliehendes Heer und doch niemand, der es verfolgt! So kann es aber auch jetzt noch Bewegungen geben in der Welt, die scheinbar ganz ohne menschliches Zutun entstanden sind, während doch, wie hier, der menschliche Glaube mit dabei beteiligt ist, vielleicht nur der Glaube eines einzelnen Mannes oder das Gebet einer einzigen Frau. Wir haben von Erweckungen gehört, die auf diesem Weg entstanden sind. Ein Mann hat eine ganze Stadt in Bewegung gebracht, während durch einzelne Beter eine ganze Gemeinde gesegnet worden ist, und man wusste vielleicht nicht einmal, wer es gewesen sei, der so gebetet hat.

Saul will es aber wissen, wer möglicherweise die Philister so in Schrecken gejagt haben mag. Er lässt Appell halten unter seiner Mannschaft, und da zeigt es sich, dass Jonathan und sein Waffenträger fehlt. Nun ist die Sache schon so viel als aufgeklärt; es kann kein Zweifel walten, dass dieser sein mutiger Sohn wieder einmal ungefragt eine kühne Tat unternommen hat. Saul scheint mit dieser Entdeckung nicht ganz zufrieden zu sein.

Aus seinem nachherigen Benehmen gegen Jonathan geht so ziemlich deutlich hervor, dass er ihm seines eigenmächtigen Vorgehens wegen ein wenig zürnte. Er sah vielleicht eine Insubordination darin, und des Königs Ehrgeiz ward verletzt dadurch, dass sein Sohn etwas unternahm, was er selbst nicht gewagt hätte. Daneben traute er der Sache auch nicht recht. Wer wusste, ob die Flucht der Philister nicht bloß eine Kriegslist sei, durch welche sie die Israeliten zu ihrer Verfolgung verlocken wollten, um sie dann nur umso sicherer in ihre Hände zu bekommen?

Von dieser Besorgnis getrieben, ließ Saul den Priester Ahia mit der Bundeslade herbeikommen, die im Lager war, um den HErrn Rat zu fragen durch ihn, ob er die Philister verfolgen solle oder nicht. Das war recht, denn gewiss ist es immer das beste und für Kinder Gottes selbstverständlich, dass man den HErrn zuerst fragt, ehe man etwas unternimmt. Nicht recht ist es dagegen, dass Saul nicht wartet, bis der HErr geantwortet hat, sondern da er inzwischen das Getümmel im Lager der Philister immerfort größer werden sieht, dem Priester befiehlt, dass er von der Befragung des HErrn abstehen soll. Diese Handlungsweise kennzeichnet den Charakter Sauls. Den Willen des HErrn zu erfahren, das kann ihm offenbar kein Herzensanliegen sein, aber den Schein, als wäre es ihm darum zu tun, wahrt er doch. Er fragt den HErrn und tut doch, was er selber will. Das ist aber eine schwere Beleidigung des HErrn, wenn man ihn nur zum Schein nach Seinem Willen fragt, und doch nicht einmal daran denkt, Seinen Willen zu tun, oder wenn man Ihn zwar fragt, aber nicht einmal auf Seine Antwort warten kann. Und doch fügen wir dem HErrn diese Beleidigung sehr oft zu. Wer das Wort Gottes liest oder wer zur Predigt desselben geht, der erklärt damit, dass er den Willen Gottes erfahren will. Wie viele gibt es aber nun, die, wenn sie hier den Willen Gottes vernehmen, ihn doch nicht wollen tun, und vielleicht rufen sie gar dem Priester zu, der ihnen den Willen Gottes verkündigen soll, ehe er es nur recht hat tun können: „Ziehe deine Hand ab!“ Das Wort Gottes wird ihnen gleich zu viel oder zu ernst und wie Saul laufen sie ungeduldig wieder davon, wenn sie nicht gerade das hören, was ihnen gefällt. Solche Sauls-Naturen gibt es mehr als man meint. Sagen wir es nur ehrlich, ein solches Hören des Wortes Gottes, wobei man es gar nicht darauf absieht, den Willen Gottes eigentlich zu erfahren, geschweige denn zu tun, das ist eine feine Art von Heuchelei. Wie es Saul genügte, scheinbar die Pflicht zu erfüllen und den HErrn zu fragen, bevor er etwas unternahm, so genügt es manchem, sein Gebet zu sprechen, bevor er an die Arbeit geht, dass er aber eine Antwort vom HErrn erwarten sollte, daran denkt er nicht einmal. Und wie Saul sich erlaubt, den Priester in seiner Unterredung mit Gott zu unterbrechen, weil es eben pressierte und man die göttliche Antwort nicht wohl abwarten konnte, so lässt man sich oft durch etwas Pressantes im Gebet stören und sagt dem lieben Gott gleichsam: „Du musst jetzt warten, ich habe jetzt nicht Zeit, mit Dir fertig zu reden.“ Wir werden bei näherer Beobachtung unseres eigenen Gebetslebens - wenn wir überhaupt ein solches haben - bekennen müssen, dass man sich sehr leicht dieses Fehlers schuldig macht. Ja, und Saul hatte wenigstens noch einen triftigen Grund, dass er in den Kampf eilte, ohne die göttliche Antwort abzuwarten, aber wie manche gibt es, die nur wegen einem Vergnügen, dass sie suchen, ihr Gebet verkürzen oder versäumen. Wir werden sagen müssen, dass wir oft gefehlt haben, indem wir zwar wohl gebetet, aber die göttliche Antwort nicht abgewartet haben. Kommt dann eine Sache nicht gut heraus, so wundern wir uns, und berufen uns wohl gar darauf, dass wir ja doch vorher gebetet haben. Aber dass wir nicht bloß hätten beten, sondern auch auf die Weisung des HErrn warten sollen, das kommt uns nicht in den Sinn.

Der Kampf mit den Philistern lief nun an jenem Tag trotz diesem Fehler Sauls keineswegs unglücklich ab, denn die Philister wurden gründlich geschlagen und der HErr half dem Volk Israel. Gleichwohl können wir uns ebenso wenig wie Jonathan des Eindrucks erwehren, dass der Erfolg ein größerer hätte werden können, wenn Saul nicht einen verkehrten Befehl erlassen hätte, der zwar von seiner Strenge einen deutlichen Beweis liefert, aber keine große Weisheit verrät. In seinem Eifer um die Verfolgung der Philister verbot nämlich Saul dem Volk bei Todesstrafe etwas zu genießen, ehe der Tag beendigt sei. Jonathan bemerkte mit Recht, sein Vater habe durch dieses Verbot das Land ins Unglück gebracht, denn die Niederlage der Philister wäre bedeutend größer geworden, wenn das ermattete Volk hätte essen dürfen.

Sauls unvernünftiges Verbot war also offenbar ein Missgriff, und solche macht man eben, wenn die Stellung zum HErrn eine unrichtige ist. Infolgedessen versündigte sich das Volk nachher mit dem Verzehren von rohem, blutigem Fleisch, was nach dem Gesetz bei Todesstrafe verboten war. Diesem Vergehen wehrte nun freilich der König, dass er aber seine eigene Versündigung an jenem Tage erkannt hätte, davon haben wir keine Spur. Dem Volk, das blutiges Fleisch isst, weiß er seine Sünde zu wehren, seinen Sohn Jonathan will er sogar hinrichten, weil dieser gegen das königliche Verbot ein wenig Honig genossen hat, aber dass er selbst gefehlt hat und eigentlich die Ursache von Jonathans und des Volkes Verfehlung ist, das kommt ihm nicht in den Sinn.

Saul merkt zwar, wie er den HErrn über die weitere Verfolgung der Philister um Rat fragen will, dass etwas nicht in Ordnung ist, denn der HErr antwortet ihm nicht (V. 37). Was ist nun da die Schuld? Um das herauszufinden, wirft Saul das Los. Da ist es nun merkwürdig, dass Jonathan als der Schuldige getroffen wird, während doch aus der ganzen Geschichte hervorgeht, dass Saul den HErrn beleidigt hat und nicht Jonathan. Ohne Zweifel ist Sauls unehrerbietiges Benehmen gegen den Herrn der Grund, dass dieser nicht antworten will. Saul hat das erste Mal die Antwort nicht abwarten wollen, das zweite Mal antwortet nun der HErr nicht, denn Er ist nicht unser Gutgenug, der mit Sich spielen lässt. Wie kommt es nun aber, dass Jonathan durch das Los bezeichnet wird? 1) Er hatte sich allerdings verfehlt gegen das Gebot seines Vaters und man mag hieraus abnehmen, dass ein elterliche und ein obrigkeitliches Gebot vor Gott als gültig anerkannt wird, auch dann, wenn es nicht ganz vernünftig ist. Jonathan wusste besser als sein Vater, was gut sei, und doch hätte er ihm gehorchen sollen. Er hätte es auch getan, aber das Verbot war ihm noch dazu unbekannt, er sündigte also nur aus Unwissenheit. Trotzdem bezeichnet ihn das Los als den Schuldigen. Aber warum? Nur damit 2) sein Vater sich hätte sagen sollen, er, der das unvernünftige Verbot gegeben, sei eigentlich schuld an seines Sohnes Übertretung. Aber hier zeigt nun Saul deutlich genug seine Unbußfertigkeit. Er, der in sich gehen sollte und seine Versündigung gegen den HErrn zu bereuen hätte, will seinen Sohn mit dem Tod bestrafen, weil er sich gegen ihn verfehlt hat. 3) Der Entscheid des Loses hat ihn also eher verstockt. Und so geht es auch, wenn man nicht will Buße tun, so wird man sogar noch durch das Wort Gottes verstockt. Man hört nur noch, wie dieses andere trifft, aber sich selbst fühlt man gar nicht getroffen, wie Saul durch das Los, das den Jonathan traf, sogar noch in seiner Selbstgerechtigkeit bestärkt wird. 4) Daher mag es wohl am Platz sein, hier auch überhaupt zu einer mindestens vorsichtigen Benutzung des Loses zu ermahnen. Saul hätte gar nicht nötig gehabt, ein Los zu ziehen, sein Gewissen hätte ihm schon sagen können, wer der Schuldige sei. Und warum musste er auf diesem Wege von Gott eine Antwort erzwingen, wenn ER ihm doch auf dem ordentlichen Weg nicht antworten wollte? Keine Antwort ist ja auch eine; hätte sich Saul damit begnügt, und über seinen vorherigen Fehler Buße getan, so würde ihm Gott schon wieder geantwortet haben, aber durch seine Unbußfertigkeit brachte er es endlich so weit, dass ihm der HErr gar nicht mehr geantwortet hat (28,6), so dass er dann endlich bei einer Totenbeschwörerin Rat holte, was aber auch das Ende vom Lied war.

Diese Geschichte zeigt uns, wie ein im Glauben angefangenes Werk durch menschliche Sünde geschädigt werden kann. Der Herr bewahre uns, dass wir keine solchen Hemmschuhe werden in Seinem Werk, wie Saul einer war.

1)
altes Schweizer Flächenmaß, entspricht dem süddeutschen „Tagwerk“, aufgrund einer in einem Tag vollführten Arbeit definiert, bis zu 36 Ar.
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