Ryle, J. C. - Die Gewissheit.
2 Timotheum 4, V. 6. 7. 8.
„Denn ich werde schon geopfert, und die Zeit meines Abscheidens ist vorhanden. Ich habe einen guten Kampf gekämpft, ich habe den Lauf vollendet, ich habe Glauben gehalten. Hinfort ist mir beigelegt die Krone der Gerechtigkeit, welche mir der Herr an jenem Tage, der gerechte Richter, geben wird; nicht mir aber allein, sondern auch allen, die seine Erscheinung lieb haben.“
In diesen Worten sehen wir den Apostel Paulus nach drei Richtungen hin den Blick wenden: abwärts, rückwärts und vorwärts; abwärts ins Grab, rückwärts auf seine eigene Berufsarbeit, vorwärts auf jenen großen Tag, den Tag des Gerichts. Wir wollen einige Augenblicke bei ihm stehen bleiben und seine Worte genauer erwägen. Wohl der Seele unter uns, die dahin sehen kann, wohin Paulus sah, und dann so sprechen kann, wie Paulus sprach.
Er blickt abwärts, ins Grab hinein, und er tut's ohne Furcht. Hört, was er sagt: „Ich werde schon geopfert.“ Ich bin gleich einem Tiere, das an die Opferstätte geführt und schon mit Seilen an die Hörner des Altars angebunden ist. Wein und Öl sind nach der Sitte schon über mein Haupt gegossen, die legten Feierlichkeiten sind vollbracht, alle Vorbereitungen sind getroffen, es fehlt nur noch, dass ich den Todesstreich empfange, und Alles ist vorüber.
Die Zeit meines Abscheidens ist vorhanden. „Ich bin gleich einem Schiffe, das bereit ist, in die See zu stechen: Alles an Bord ist in Ordnung, ich warte nur noch darauf, dass die Anker, welche mich noch an die Küste fesseln, gelichtet werden, und dann werde ich mit vollen Segeln meine Reise beginnen.“
Diese so herrlichen Worte hören wir von den Lippen eines Adamskindes wie wir! Ein ernstes Ding ist der Tod, und je näher er uns tritt, desto ernster wird er. Das Grab ist ein eisiger und schauerlicher Ort, und vergebens wagt man zu behaupten, es habe keine Schrecken. Und doch ist hier ein sterblicher Mensch, der ruhig hineinblicken kann in das enge Haus, das für alles Lebendige bestimmt ist; - der sagen kann, während er schon auf der Schwelle steht: „Ich sehe das Alles, aber ich fürchte mich nicht.“ Lasst uns ihn noch einmal hören. Er blickt rückwärts auf sein Amtsleben und er tuts ohne Scham. Hört, was er sagt: „Ich habe einen guten Kampf gekämpft.“ Hier spricht er wie ein Soldat. Ich habe den guten Kampf gegen die Welt, das eigene Fleisch, und den Teufel gefochten, in dem so Viele die Flucht ergreifen.
„Ich habe den Lauf vollendet.“ Das spricht er als Einer, der um einen Kampfpreis läuft. „Ich habe die mir zugewiesene Bahn durchlaufen, wie rau und steil der Weg auch war. Ich bin vor den Schwierigkeiten nicht ausgewichen, habe mich nicht durch die Länge des Weges entmutigen lassen.“ „Ich habe Glauben gehalten.“ Hier spricht er wie ein Haushalter. Ich habe treu bewahrt das herrliche Evangelium, das mir anvertraut war. Ich habe es nicht mit Menschenlehren vermischt, habe es nicht seiner Einfachheit beraubt, das durch, dass ich eigene Erfindungen hinzu tat; auch habe ich nie Andern erlaubt, es zu verfälschen, ohne dass ich ihnen unter Augen widerstanden hätte.“ „So mögt ihr mich als Soldat, als Wettläufer oder als Haushalter betrachten,“ scheint er zu sagen, „ich brauche mich nicht zu schämen.“
O! wie glücklich ist der Christ, der beim Abschied aus der Welt ein solches Zeugnis hinterlassen kann! Ein gutes Gewissen kann Niemand erretten, keine Sünde abwaschen, uns um kein Haar breit gen Himmel erheben. Dennoch wird man ein gutes Gewissen einen willkommenen Freund an unserem Sterbebette nennen dürfen. Erinnert ihr euch der Stelle in der Pilgerreise (Teil II. fast am Ende), wo Bunyan den Durchgang des alten Leberechts durch den Todesstrom beschreibt. „Der Strom,“ sagt Bunyan ,“ hatte damals seine Ufer an mehreren Stellen überflutet; aber der alte Leberecht hatte während seiner Reise seinen Freund Gutgewissen gebeten, ihn da zu treffen. Gutgewissen erschien auch treulich, reichte ihm die Hand und half ihm hindurch. Leberechts letzte Worte waren: „Die Gnade waltet.“ Glaubt mir, ein reicher Schatz von Wahrheit liegt in dieser Stelle.
Lasst uns den Apostel noch einmal hören. Er blickt vorwärts auf den großen Tag der Rechenschaft, und er tut's ohne Furcht. Achten wir wohl auf seine Worte. Fortan ist mir beigelegt die Krone der Gerechtigkeit, welche mir der Herr an jenem Tage, der gerechte Richter, beilegen wird; nicht aber mir allein, sondern auch allen, die seine Erscheinung lieb haben. Eine herrliche Belohnung, scheint er zu sagen, ist für mich bereit gelegt, es ist die Krone, die nur den Gerechten gegeben wird. An dem großen Tag des Gerichtes wird der Herr mir diese Krone geben und allen denen, welche Ihn liebten, obschon sie Ihn nicht sahen, aber danach verlangten, Ihn zu schauen von Angesicht zu Angesicht. Meine Arbeit auf der Erde ist vollbracht. Dies allein bleibt mir jetzt noch zu tun: vorwärts zu blicken, und weiter nichts.
Wir sehen also, er spricht ohne alles Bedenken, er steht diese Krone an, als gehöre sie ihm schon ganz gewiss. Er erklärt mit vollster Zuversicht als seine feste Überzeugung, dass der gerechte Richter sie ihm geben werde. Und Paulus war nicht unbekannt mit all den Umständen, welche diesen ernsten Tag auszeichnen. Der große Stuhl von eitel Feuerflammen, die davor versammelte ganze Menschheit, die aufgeschlagenen Bücher, die Aufdeckung alles Verborgenen, die zuhörenden Engel, der schreckliche Richterspruch, die ewige Scheidung der Seligen und Verdammten, alles das waren ihm wohlbekannte Dinge, aber keins davon beunruhigte ihn. Die Kraft seines Glaubens überwand das Alles. Er sah nur Jesum, seinen allmächtigen Vertreter und das Blut der Besprengung, und die Sünde abgewaschen. „Eine Krone,“ sagt er „ist mir beigelegt; der Herr selbst wird sie mir geben.“ Er spricht, als wenn er alles mit seinen Augen sähe.
Das sind die großen Dinge, die diese Verse enthalten; von den meisten derselben kann ich's nicht wagen zu sprechen, weil die Zeit nicht ausreichen würde. Ich will nur versuchen Einen Punkt in der Stelle hervorzuheben, nämlich die gewisse Hoffnung, mit welcher der Apostel vorwärts blickt auf seine eigenen Aussichten am Gerichtstage. Ich tue es um so lieber, weil die Sache, wie ich fühle, von großer Wichtigkeit ist, und weil sie heutzutage oft, wie ich mich selbst darüber demütigen muss, sehr vernachlässigt wird. Aber ich kann's nur mit Furcht und Zittern unternehmen. Ich fühle, dass ich einen sehr schwierigen Boden betrete, und dass man leicht über diesen Gegenstand unvorsichtig und nicht schriftgemäß sprechen kann. Die Straße zwischen Irrtum und Wahrheit ist hier recht eigentlich ein Engpass, und wenn ich befähigt werde, Einigen Gutes zu tun, ohne Anderen nahe zu treten, so will ich meinem Gott von Herzen danken.
Es gibt nun 4 Hauptpunkte, welche ich bei Besprechung dieses Gegenstandes auseinander halten will, und vielleicht dient es dazu, unsern Weg klarer zu machen, wenn ich sie hier gleich von vornherein aufzähle.
- Zuerst will ich versuchen zu zeigen: Eine gewisse Hoffnung, wie sie Paulus hier ausspricht, ist etwas Wahrhaftes und Schriftgemäßes.
- Will ich das zweite Zugeständnis machen: es mag sein, dass Jemand nie zu dieser gewissen Hoffnung gelangt und doch selig wird.
- Will ich einige Gründe angeben, warum eine gewisse Hoffnung überaus wünschenswert ist.
- Endlich will ich versuchen, einige Ursachen hervorzuheben, warum eine gewisse Hoffnung so selten erlangt wird.
I. Erstens also sagte ich: Eine gewisse Hoffnung ist etwas Wahrhaftes und Schriftgemäßes.
Die Gewissheit, wie sie Paulus in unserem Schriftwort ausspricht, ist keine Einbildung und keine Schwärmerei. Sie ist nicht die Wirkung einer hohen Begeisterung oder eines lebhaften Temperamentes, sondern ist in Wahrheit ein Geschenk des heiligen Geistes, welches jeder Gläubige begehren und suchen muss.
Das Wort Gottes scheint mir zu lehren, dass ein Gläubiger zu einer sicheren Zuversicht in Betreff seines Seelenheils gelangen kann.
Dies möchte ich klar und deutlich darlegen, dass ein wahrer, gläubiger Christ, zu der köstlichen Glaubensstufe kommen kann, auf der man die Versicherung der Vergebung der Sünden hat und fühlt, dass die Seele sicher ist, wo man selten von Zweifeln beunruhigt, selten durch ängstigende Fragen verwirrt, kurz, wo man, obgleich man manchen schweren innern Kampf zu kämpfen hat, dem Tode ohne Zittern, dem Gerichte ohne Zagen entgegensteht.
So meine ich es, wenn ich von Gewissheit spreche. Ich bitte euch, dies wohl festzuhalten. Weder mehr noch weniger meine ich, als was ich hier ausgesprochen habe.
Über einen solchen Seelenzustand ist viel gesprochen, sein Dasein oft bestritten worden. Die römische Kirche erkennt, wie unsicher das Bewusstsein der Rechtfertigung auf einem Fundament ruht, das vorzugsweise aus des Menschen eigenen Verdiensten besteht. Statt ihr Vertrauen auf die eigenen Tugenden aufzugeben, leugnet sie lieber die Möglichkeit der Gewissheit, und gibt sie nur dann zu, wenn sie durch außerordentliche göttliche Offenbarung geschenkt sei. „Keiner,“ sagt sie, vermag durch Gewissheit des Glaubens, welcher nichts Falsches enthalten kann, zu erkennen, ob er die Gnade Gottes erlangt habe.“ Conc. Trid. 6. c. 9. Der Jesuit M. Bresser sagt: Das Gewissen eines katholischen Menschen kann nie heiter und ruhig sein. Der Kardinal Bellarmin, der bekannte Vorkämpfer des Romanismus, nennt die Lehre von der Versicherung einen Grundirrtum der Ketzer.
Auch in unserer Kirche widersetzt sich die Mehrzahl der Weltmenschen dieser Lehre. Es verdrießt sie, wenn sie davon hören. Sie können es nicht leiden, wenn Andere Friede und Freude fühlen, weil sie selbst nie etwas davon erfahren haben. Dass sie diese Lehre nicht vernehmen können, ist sicherlich kein Wunder.
Aber außerdem gibt es wahrhaft Gläubige, welche die Gewissheit verwerfen, oder davor zurückbeben, wie vor einer gefährlichen Lehre. Sie sehen sie an als etwas, das an Selbstüberhebung grenze. Sie scheinen es für wahre Demut zu halten, nie guter Zuversicht zu sein und in einem gewissen Grade von Zweifel zu leben. Dies ist beklagenswert und der Grund manches Übels.
Ich gebe gern zu, dass es Menschen gibt, die eine solche Selbstüberhebung besitzen, dass sie eine Zuversicht zu fühlen vorgeben, für die sie in der Schrift keine Rechtfertigung haben. Es gibt immer Einige, die gut von sich denken, während Gott schlecht von ihnen denkt; ebenso, wie es Manche gibt, die schlecht von sich denken, während Gott gut von ihnen denkt. Solche Menschen werden sich immer finden. Niemals gab es eine Wahrheit in der Schrift, welche man nicht missbraucht und verfälscht hätte. Gottes Erwählung, des Menschen Unvermögen, das Seligwerden aus Gnaden, alles ist gleicherweise missbraucht worden. Fanatiker und Enthusiasten werden da sein, so lange die Welt besteht. Aber trotz alledem ist die Gewissheit etwas Wirkliches, Nüchternes, Wahres; und Gottes Kinder müssen sich nicht des rechten Gebrauchs einer Wahrheit berauben lassen, weil sie missbraucht worden ist.
Meine Antwort für alle die, welche das Dasein einer wirklichen, wohlgegründeten Gewissheit bestreiten, ist einfach diese: „Was sagt die Schrift?“ Wenn sich dort die Gewissheit nicht nachweisen lässt, so habe ich kein Wort weiter zu sagen.
Aber sagt nicht Hiob: „Ich weiß, dass mein Erlöser lebt, und Er wird mich hernach aus der Erde auferwecken, und werde danach mit dieser meiner Haut umgeben werden, und ich werde in meinem Fleisch Gott sehen.“ (Hiob 19, 25. 26.) Sagt nicht David: „Und ob ich schon wanderte im finstern Tal (eigentlich im Tal der Todesschatten), fürchte ich kein Unglück, denn du bist bei mir, dein Stecken und Stab tröstet mich.“ (Ps. 23, 4.) Sagt nicht Jesaias: „Du erhältst stets Frieden nach gewisser Zusage, denn man verlässt sich auf dich.“ (Jes. 26, 3.) Und wiederum: „Und der Gerechtigkeit Frucht wird Friede sein, und der Gerechtigkeit Nutzen wird ewige Stille und Sicherheit sein.“ (Jes. 32, 17.) Sagt nicht Paulus den Römern: „Denn ich bin gewiss, dass weder Tod noch Leben, weder Engel noch Fürstentum, noch Gewalt, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges, weder Hohes noch Tiefes, noch keine andere Kreatur, mag uns scheiden von der Liebe Gottes, die in Christo Jesu ist, unserm Herrn. (Röm. 8, 38. 39.) Sagt er nicht den Korinthern: Wir wissen aber, dass, so unser irdisches Haus dieser Hütte zerbrochen wird, wir einen Bau haben von Gott erbaut, ein Haus, nicht mit Händen gemacht, das ewig ist im Himmel. (2 Kor. 5, 1.) Und wiederum: „Wir sind aber getrost allezeit, und wissen, dass, dieweil wir im Leibe wohnen, so wallen wir dem Herrn.“ (2 Kor. 5, 6.)
Sagt er nicht zu Timotheus: „Ich weiß, an welchen ich glaube, und bin gewiss, dass er kann mir meine Beilage bewahren bis an jenen Tag.“ (2 Tim. 1, 12) Spricht er nicht zu den Kolossern von allem Reichtum des gewissen Verstandes,“ (Kol. 2, 2.) und zu den Hebräern von der Festigkeit und vollen Gewissheit der Hoffnung und des Glaubens? (Hebr. 6, 11. und 10, 22.) Sagt nicht Petrus ausdrücklich: „Tut desto mehr Fleiß, Euern Beruf und Erwählung fest (sicher) zu machen.“ (2 Petri 1, 10.) Sagt nicht Johannes: „Wir wissen, dass wir aus dem Tode zum Leben gekommen sind.“ (1 Joh. 3, 14.) Und wiederum: „Solches habe ich Euch geschrieben, dass Ihr glaubt an den Namen des Sohnes Gottes, auf dass Ihr wisst, dass Ihr das ewige Leben habt.“ (1 Joh. 5, 13.) Und wiederum: „Wir wissen, dass wir von Gott sind.“ (1 Joh. 5, 19.)
Nun, meine Lieben, was sollen wir hierzu sagen? Ich möchte mit aller Demut über jeden bestrittenen Punkt sprechen. Ich fühle, dass ich nur ein armes, dem Irrtum unterworfenes Menschenkind bin; aber ich muss sagen, dass ich in den Stellen, welche ich eben angeführt habe, etwas weit Höheres sehe, als die bloße Hoffnung und das bloße „sich vertrösten,“ womit so viele. Gläubige heutzutage zufrieden zu sein scheinen. Ich sehe darin die Sprache der Überzeugung, der Zuversicht, des Wissens, ja, ich muss sagen, der Gewissheit, und ich meines Teils fühle, wenn ich diese Worte in ihrer einfachen Bedeutung nehme, dass Gewissheit etwas Wahres ist.
Ferner aber ist meine Antwort für Alle, denen die Lehre von der Gewissheit, als an Selbstüberhebung grenzend, missfällt, folgende: Es kann schwerlich anmaßend sein, in die Fußtapfen eines Petrus, Paulus, Hiob und Johannes zu treten. Wenn irgend Einer, so waren sie Alle in hohem Grade demütige Männer, und doch sprechen sie alle von ihrem eigenen Zustande mit einer gewissen Hoffnung. Sicherlich muss uns dies zeigen, dass tiefe Demut und feste Gewissheit sich vollkommen verträgt, und dass geistliche Zuversicht und Stolz nicht notwendig mit einander verbunden sein müssen.
Ferner ist meine Antwort, dass Viele sogar in neuerer Zeit eine solche versicherte Hoffnung, wie sie unser Text ausspricht, erlangt haben. Ich möchte keinen Augenblick zugestehen, dass es ein besonderes, auf die apostolische Zeit beschränktes Vorrecht sei. In unserem eigenen Lande hat es viele Gläubige gegeben, welche in fast ununterbrochener Gemeinschaft mit dem Vater und dem Sohne zu wandeln, und fast unaufhörlich sich des Lichtes des göttlichen Gnadenantlitzes zu erfreuen schienen und die uns ihre Erfahrungen mitgeteilt haben. Ich könnte wohlbekannte Namen anführen, wenn die Zeit es gestattete. Die Sache war und ist wirklich, und das ist genug.
Meine letzte Antwort ist: „Es kann nicht Unrecht sein, vertrauensvoll bei einer Sache zu sein, wo Gott ohne Bedingung spricht, bestimmt zu glauben, wenn Gott bestimmt verspricht, sicher von der Vergebung und vom Frieden überzeugt zu sein, wenn wir bei dem Wort und Schwur des Unwandelbaren bleiben. Es ist ein grober Irrtum, wenn man meint, dass der Gläubige, der die Versicherung fühlt, bei irgend etwas bleibt, was er in sich selbst steht. Er stützt sich allein auf den Mittler des neuen Bundes und auf das Wort der Wahrheit. Er glaubt, dass der Herr Jesus bei dem bleibt, was er sagt, und hält ihn bei seinem Worte. Kurz, die Gewissheit ist nichts mehr, als ein gereifter Glaube, ein männlicher Glaube, der Christi Versprechungen mit beiden Händen ergreift, ein Glaube, welcher schließt gleich jenem Hauptmann: „Wenn der Herr Ein Wort spricht, so werde ich gesund.“ (Matth. 8, 8.) Weshalb also sollte ich zweifeln?
Also, liebe Brüder, ihr könnt darauf bauen, Paulus wäre der letzte Mann in der Welt gewesen, der seine Gewissheit auf irgend etwas, das von ihm selber wäre, gegründet hätte. Er, der sich selbst den Vornehmsten unter den Sündern nannte (1 Tim. 1, 15.), er hatte ein tiefes Gefühl von seiner eigenen Schuld und Verderbnis, aber dann hatte er auch ein noch tieferes Gefühl von der Länge und Breite der Gerechtigkeit Christi, die ihm zugerechnet war. Er, der rufen musste: „Ich elender Mensch!“ (Röm. 7, 24.), er hatte einen klaren Blick in die Quelle des Bösen in seinem Herzen, aber dann hatte er auch einen noch klareren Blick in jene andere Quelle, die alle Sünde und Unreinigkeit wegschwemmen kann. Er, der sich „den Allergeringsten unter allen Heiligen“ nennt (Eph. 3, 8.), er hatte ein lebendiges und gründliches Gefühl seiner eigenen Schwachheit, aber auch ein noch lebendigeres Gefühl davon, dass die Verheißung des Herrn „meine Schafe sollen nimmer umkommen“(Joh. 10, 28.), nicht gebrochen werden könne. Paulus wusste, wenn's je Einer wusste, dass er eine arme gebrechliche Barke war, umhergeworfen auf einem stürmischen Meere; er sah, wenn Einer es sah, die brausenden Wogen und tobenden Stürme rings um ihn her, aber dann sah er von sich selbst ab auf seinen Jesus hin und ihm war nicht mehr bange. Er dachte an jenen sicheren und festen Anker unserer Seele, der auch „hineingeht in das Inwendige des Vorhanges“ (Hebr. 6, 19.); er gedachte an das Wort und Werk und die immerwährende Fürbitte dessen, der ihn geliebt und sich selbst für ihn gegeben, und das war's und sonst nichts, was ihn in Stand setzte, so kühn zu sagen: „Hinfort ist mir beigelegt die Krone der Gerechtigkeit,“ und „der Herr wird sie mir geben,“ und so sicher zu schließen: „Der Herr wird mich bewahren, ich werde nimmermehr zu Schanden werden.“ Ich brauche nicht länger bei diesem Teile meiner Aufgabe zu verweilen. Ich denke, Ihr gesteht mir zu, ich habe den Grund für die Behauptung aufgewiesen, dass Gewissheit etwas Wahrhaftes ist.
II. Ich gehe über zu dem Zweiten, wovon ich sprach, nämlich: Es mag sein, dass ein gläubiger Christ niemals zu dieser gewissen Hoffnung, die Paulus ausspricht, gelangt, und doch selig werden kann.
Ich gebe dies ganz willig zu. Ich bestreite es keinen Augenblick. Ich möchte nicht ein einziges zerschlagenes Herz traurig machen, das Gott nicht traurig gemacht hat, möchte nicht ein einziges schüchternes Kind Gottes entmutigen, oder in irgend einem den Eindruck zurücklassen, dass man keinen Anteil an Christo habe, wenn man nicht die Versicherung fühle. Es kann Jemand den seligmachenden Glauben an Christum haben, und sich doch niemals einer gewissen Hoffnung, wie Paulus, erfreuen. Glauben und nur eine dämmernde Hoffnung auf seine Begnadigung haben, ist etwas für sich; - Freude und Frieden haben in seinem Glauben und volle Gewissheit in seiner Hoffnung ist ganz etwas Anderes. Alle Kinder Gottes haben Glauben, nicht Alle haben Versicherung. Ich denke, das sollte man nie vergessen.
Ich kenne einige große und treffliche Männer, die entgegengesetzter Meinung waren; aber ich darf keinen Menschen meinen Meister nennen. (Matth. 23, 8.) Ich fürchte mich so sehr als nur Einer vor dem Gedanken, die Gewissenswunden leichtfertig zu heilen; aber ich würde denken, jede andere Ansicht als die angegebene würde ein gar wenig tröstliches Evangelium sein, ja, sie würde sehr geeignet sein, Seelen lange Zeit von der Pforte des Lebens zurückzuhalten.
Ich schrecke nicht davor zurück, es auszusprechen, dass durch Gottes Gnade Jemand genug Glauben haben kann, um zu Christo seine Zuflucht zu nehmen, ihn wirklich zu ergreifen und festzuhalten, auf ihn wirklich zu vertrauen, wirklich ein Kind Gottes, wirklich erlöst zu sein, und doch bis zu seinem letzten Tage nie frei sein kann von mancher Ängstlichkeit, Zweifel und Furcht.
„Ein Brief,“ sagt ein alter Schriftsteller, „kann geschrieben und doch noch nicht versiegelt sein. So kann die Gnade im Herzen geschrieben sein und doch der heilige Geist noch nicht das Siegel der Versicherung darauf gedrückt haben.“
Ein Kind kann geboren sein als Erbe eines großen Vermögens und doch von seinem Reichtum noch nichts wissen, kindisch leben, kindisch sterben, und nie die Größe seiner Besitzungen kennen lernen. So kann auch ein Mensch ein Säugling in Christi Familie sein, klug sein wie ein Kind, reden wie ein Kind und, obgleich errettet, nie sich einer lebendigen Hoffnung erfreuen, noch die wirklichen Vorrechte seiner Erbschaft kennen.
Missversteht also deshalb, meine Lieben, nicht, was ich meine, wenn ihr hört, wie fest ich auf der Versicherung bestehe; tut mir nicht das Unrecht an, mir aufzubürden, als sagte ich euch: Keiner würde selig außer solchen, die mit Paulus sagen können: „Ich weiß und bin gewiss, es ist mir eine Krone beigelegt.“ Das sage ich nicht; der Art lehre ich Euch nichts.
Glauben an den Herrn Jesum Christum muss man haben, das kann keine Frage sein, wenn man selig werden soll. Ich kenne keinen anderen Weg zum Vater zu kommen. Ich kenne keine Freudenbotschaft als die von Christo. Jeder muss seine Sünden und seinen verlornen Zustand fühlen, muss zu Jesu kommen, um Vergebung und das Heil zu erhalten, muss seine Hoffnung auf Ihn und auf Ihn allein gründen. Aber wenn er nur Glauben hat, das zu tun, wie schwach und kränklich dieser Glaube auch sein mag, so will ich dafür einstehen, auf die Bürgschaft der Schrift hin, er wird nicht vom Himmelreich ausgeschlossen werden.
Niemals, niemals wollen wir die Freiheit des herrlichen Evangeliums beschränken oder den Reichtum seiner Gnade verkleinern. Lasst uns nie die Pforte noch enger und den Weg noch schmaler machen, als Stolz und Sündenliebe ihn bereits gemacht haben. Der Herr Jesus ist sehr mitleidig und voll zärtlichen Erbarmens; er sieht nicht auf den Umfang, sondern auf die Beschaffenheit des Glaubens; er misst nicht seine Ausdehnung, sondern seine Wahrheit. Er will kein zerstoßenes Rohr zerbrechen, will das glimmende Docht nicht auslöschen. Er will's nie gesagt sein lassen, dass ein Einziger am Fuß des Kreuzes verloren gegangen sei. Nein gewiss:
Wer nur ein Sünder ist in seinem Wesen
Und will aus eignen Kräften nicht genesen
Und liegt zu Jesu Füßen als erstorben,
Von solchen ist kein Einz'ger noch verdorben.
„Wer zu mir kommt,“ spricht er, (Joh. 6, 37.) „den will ich nicht hinausstoßen.“
Ja, liebe Freunde, wenn auch Jemandes Glaube nicht größer ist, als ein Senfkorn, wenn er ihn nur zu Christo hintreibt und ihn dazu führt, den Saum seines Kleides anzurühren, so wird er selig werden selig, so gewiss, wie der älteste Heilige im Paradies - selig, so vollkommen und für ewige Zeiten, wie ein Petrus, oder Johannes, oder Paulus. Es gibt Stufen in unserer Heiligung; in unserer Rechtfertigung gibt es keine; was geschrieben ist, das ist geschrieben und kann nimmermehr gebrochen werden. Wer an ihn glaubt,“ - nicht, wer nur einen starken und mächtigen Glauben hat „wer an ihn glaubt, der wird nicht zu Schanden werden.“ (Röm. 10, 11.) Aber bei alledem, das mögt Ihr wohl beachten, kann die arme Seele noch keine volle Versicherung ihrer Vergebung und Annahme bei Gott haben. Sie kann von mancherlei Furcht und Zweifel beunruhigt werden. Sie kann mancherlei Bedenken und mancherlei Ängstlichkeit, mancherlei Kampf und mancherlei Befürchtung, Dunkel und Finsternis, Wetter und Sturm haben, selbst bis zu ihrem Ende. Ich will dafür einstehen, sage ich noch einmal, dass bloßer einfältiger Glaube an Christum selig macht, wenn er auch keine Gewissheit gibt. Aber ich will nicht dafür einstehen, dass er jemand mit reichem Trost in den Himmel bringt.
Ich stehe dafür ein, dass er sicher in den Hafen bringt, aber vielleicht nicht mit vollen Segeln, nicht voll Vertrauen und Freude. Ich würde nicht das von überrascht werden, wenn ein Schwachgläubiger den ersehnten Hafen durchnässt und vom Sturm zerschlagen erreicht und es kaum zu glauben wagt, dass er gerettet werden wird, bis er seine Augen aufschlägt in der Herrlichkeit.
Liebe Brüder, ich glaube, es ist von großer Wichtigkeit, diesen Unterschied von Glauben und von Versicherung im Auge zu behalten. Er erklärt uns Dinge, die Einer, der sich mit religiösen Fragen beschäftigt, oft schwer verständlich findet.
Glaube, das lasst uns festhalten, ist die Wurzel, und Gewissheit ist die Blume. Ohne Zweifel kann man nie die Blume haben ohne die Wurzel, aber es ist nicht weniger gewiss, man kann die Wurzel haben und nicht die Blume. Glaube ist jenes arme, zitternde Weib, das im Gedränge von hinten zu Jesu trat, und den Saum seines Kleides anrührte (Markus 5, 25); Gewissheit ist der Stephanus, der da ruhig unter seinen Mördern steht, und spricht: „ich sehe den Himmel offen und des Menschen Sohn zur Rechten Gottes stehen.“ (Apostelgesch. 7, 56).
Glaube ist der bußfertige Schächer, der da ruft: „Herr, gedenke an mich“(Luk. 23, 42); Gewissheit ist der Hiob, der da in der Asche sitzt, bedeckt mit Schwären und spricht: „Ich weiß, dass mein Erlöser lebt.“ (Hiob 19, 25).
Glaube ist der Petrus, der da schrie, wie er zu sinken anfing (Matthäus 14, 30): „Herr hilf mir!“ - Gewissheit ist eben jener Petrus, wie er nachher vor dem hohen Rat erklärt: „das ist der Stein von euch Bauleuten verworfen, der zum Eckstein geworden ist, und ist in keinem Andern Heil, ist auch kein anderer Name unter dem Himmel dem Menschen gegeben, darin wir sollen selig werden“(Apg. 4, 11. 12.)
Glaube ist die ängstliche, zitternde Stimme: „Herr, ich glaube, hilf meinem Unglauben“ (Mark. 9, 24); Gewissheit ist die zuversichtliche Herausforderung: „Wer will die Auserwählten Gottes beschuldigen? wer will verdammen.“ (Röm. 8, 34).
Glaube ist der Saulus, wie er im Hause Judas zu Damaskus betet; blind, voll Kummer, und einsam (Apg. 9, 11); Gewissheit ist der Paulus, der bejahrte Gefangene, wie er ruhig ins Grab hinein schaut, und spricht: „Ich weiß, an wen ich glaube. Eine Krone ist mir beigelegt.“ (2. Tim. 1 v. 12; 4 v. 8).
Glaube ist Leben. Wie groß ist dieser Segen! Wer kann die Kluft zwischen Leben und Tod beschreiben? und doch kann das Leben schwach sein, ungesund, kränklich, mühselig und beladen, arm, bekümmert, voll Sorgen und Beschwerden, ohne Freude und Lachen bis ans Ende.
Gewissheit ist mehr als Leben; sie ist Gesundheit, Kraft, Stärke, Frische, Mannhaftigkeit, Tatkraft, Schönheit.
Liebe Freunde, es handelt sich jetzt nicht um die Frage, ob selig werden oder nicht? sondern ob man ein Vorrecht erhalten, oder dessen beraubt bleiben soll; es handelt sich nicht um Frieden, oder nicht Frieden, sondern um großen Frieden, oder wenig Frieden; es handelt sich nicht um Fragen zwischen den Freunden dieser Welt und den Jüngern Christi; es handelt sich um eine Frage, die nur die letzteren angeht, um die ersten Anfänge und um die Vollendung des Glaubens.
Der, der Glauben hat, hat's gut. Glücklich würde ich sein, wenn Ihr ihn alle hättet. Gesegnet, dreimal gesegnet, sind sie, die da glauben. Sie sind erlöst, sie sind abgewaschen, sie sind gerechtfertigt, sie sind frei von der Gewalt der Hölle; Satan mit all seiner Bosheit wird sie nimmermehr aus Christi Hand reißen. Aber der, der Gewissheit hat, hat's noch viel besser; er sieht mehr, fühlt mehr, weiß mehr, genießt mehr; er hat mehr solcher Tage, die Moses (5 Mose 11, 21.) „Tage vom Himmel auf Erden“ nennt.
III. Ich gehe zu dem Dritten über, wovon ich sprach. Ich will Euch einige Gründe angeben, warum eine gewisse Hoffnung überaus wünschenswert ist.
Hier bitte ich nun vorzüglich um Eure Aufmerksamkeit. Ich wünsche von Herzen, dass nach der Gewissheit ernstlicher getrachtet würde, als es gewöhnlich geschieht. Gar zu Viele unter denen, die da glauben, fangen mit Zweifeln an, und gehen im Zweifeln fort, leben im Zweifel, sterben im Zweifel, und gehen zum Himmel, wie durch einen Nebel ein.
Es würde mir nach dem Vorigen übel anstehen, in wegwerfender Weise von „Hoffnungen“ und „Tröstungen“ zu sprechen. Aber ich fürchte: Manche von uns bleiben damit zufrieden, und kommen nicht voran. Ich würde gern weniger Leute, die es darauf ankommen lassen wollen, in der Familie des Herrn sehen und mehr solche, die sagen können: „Ich weiß und bin gewiss.“ O! dass Ihr doch alle nach den besten Gaben strebtet, und Euch nicht mit geringeren zufrieden gäbt. Ihr entbehrt so den vollen Segensstrom, den das Evangelium Euch gewähren will. Ihr haltet Eure Seelen selbst auf in einem niedrigen und dürren Zustand, während Euer Herr spricht: Esst, meine Lieben, und trinkt, meine Freunde, und werdet trunken.“ (Hohelied 5, 1); „Bittet, so werdet ihr nehmen, dass eure Freude vollkommen werde“(Joh. 16, 24).
1. Wisst denn: fürs Erste ist die Gewissheit wünschenswert wegen der gegenwärtigen Beruhigung und des köstlichen Friedens, den sie gewährt. Zweifel und Befürchtungen haben große Macht, das Glück eines wahren Christen zu stören; Ungewissheit und Schwanken sind schlimm genug in jeder Lage, sei es in Betreff unserer Gesundheit, unseres Vermögens, unserer Verwandten, oder unserer Neigungen und unseres irdischen Berufs, aber nie sind sie so schlimm, als in den Angelegenheiten unserer Seele, und so lange ein Christ nicht hinaus kann über das „ich hoffe“ und „ich vertröste mich,“ fühlt er sich offenbar auf einer Stufe der Ungewissheit in seinem geistlichen Leben. Eben diese Worte umstricken ihn gleichsam. Er sagt: „Ich hoffe,“ weil er nicht wagt zu sagen: „ich weiß.“
Nun geht die Versicherung natürlich darauf aus, ein Kind Gottes von dieser mühseligen Knechtschaft frei zu machen und trägt so überaus viel zu seiner Beruhigung bei. Sie lässt ihn fühlen, dass für ihn das große Werk des Lebens ein vollbrachtes Werk ist, die große Schuld eine bezahlte Schuld, die große Krankheit eine geheilte Krankheit, die große Aufgabe eine erfüllte. Nun sind alle anderen Werke, Schulden, Krankheiten, Aufgaben in Vergleich dazu klein. So macht ihn die Versicherung geduldig in der Versuchung, ruhig unter Prüfungen, unerschütterlich in Kümmernissen, unerschrocken bei üblen Nachrichten, in jeder Lage zufrieden, denn sie gibt ihm ein festes Herz. Sie versüßt ihm jeden bitteren Kelch. Sie erleichtert ihm die Kreuzeslasten, sie ebnet die rauen Pfade, über die er pilgert, sie lichtet das finstere Tal der Todesschatten, sie lässt ihn immerfort fühlen, dass er etwas Festes unter seinen Füßen, etwas Sicheres in seinen Händen, einen zuverlässigen Freund auf dem Wege hat, und eine sichere Heimat am Ende. Gewissheit wird uns Armut und Verluste tragen helfen, sie wird uns lehren mitzusprechen: „Ich weiß, dass ich im Himmel ein besseres und dauerhafteres Vermögen habe. Silber und Geld habe ich nicht, aber Gnade und Herrlichkeit sind mein, und die können sich nimmer Schwingen machen und hinwegfliegen.“ „Wenn auch der Feigenbaum nicht grünen wird und kein Gewächs sein wird am Weinstock, die Arbeit am Ölbaum fehlt, und die Äcker keine Nahrung bringen, die Schafe aus den Hürden gerissen, und keine Rinder in den Ställen sein werden, will ich mich doch freuen des Herrn, und fröhlich sein in Gott, meinem Heil. Denn der Herr Herr ist meine Kraft, und wird meine Füße machen wie Hirschfüße; und wird mich in die Höhe führen, dass ich singe auf meinem Saitenspiel.“ (Habakuk 3, 17. 18).
Die Gewissheit wird ein Kind Gottes unter den heftigsten Prüfungen ermutigen, und wird ihm helfen zu sagen: „Es geht wohl“(2. Kön. 4, 26). Eine Versiegelte wird sagen können: „Wenn mich Vater und Mutter verlassen, so nimmt der Herr mich doch auf.“ (Ps. 27, 10). „Wenn auch mein Haus nicht so ist, wie Fleisch und Blut es wünschen, so hat mir doch der Herr einen Bund gesetzt, der ewig, und darin Alles wohl geordnet und gehalten wird.“ (2. Sam. 23, 5).
Die Gewissheit befähigt uns, selbst in Gefängnissen Gott zu danken und zu loben wie Paulus und Silas in Philippi. Sie kann einem Gläubigen selbst in der dunkelsten Nacht Lobgesänge in das Herz und den Mund geben und ihn fröhlich machen, wenn die Fluten daher rauschen, dass hier eine Tiefe und da eine Tiefe braust, und alle Wasserwogen und Wetter über ihn gehen. (Ps. 42, 8. 9.)
Die Gewissheit wird uns in Stand setzen, wie Petrus in Herodes Kerker ruhig zu schlafen in gewisser Aussicht auf die Hinrichtung am nächsten Morgen; sie wird uns lehren zu sprechen: „Ich liege und schlafe ganz mit Frieden, denn du, Herr, allein hilfst mir, dass ich sicher wohne.“ (Ps. 4, 8). Die Gewissheit kann machen, dass man sich mit den Aposteln freut, würdig zu sein, um des Namens Christi willen Schmach zu leiden. Sie wird den Gläubigen erinnern, dass er „fröhlich und getrost sein“ kann (Matth. 5, 12) und dass es im Himmel Seine ewige und über alle Maßen wichtige Herrlichkeit gibt, gegen die dieser Zeit Leiden für nichts zu achten sind. Die Gewissheit wird den Christen tüchtig machen, einem gewaltsamen und martervollen Tode furchtlos entgegenzugehen, wie Stephanus in den ersten Zeiten des Christentums, und wie die Blutzeugen unserer Kirche. Sie wird uns die Worte zu Herzen führen: „Fürchtet euch nicht vor denen, die den Leib töten, und danach nichts mehr tun können“ (Lukas 12, 4). „Herr Jesu, nimm meinen Geist auf!“ (Apostelgesch. 7, 59).
Die Gewissheit wird den Christen in Schmerz und Krankheit trösten; sie wird sein Haupt sanft aufs Todeskissen betten, wird ihm die Worte in den Mund legen: „Wir wissen aber, so unser irdisches Haus dieser Hütte zerbrochen wird, dass wir einen Bau haben von Gott erbaut.“ (1. Kor. 5, 1). „Ich habe Lust abzuscheiden und bei Christo zu sein.“ (Philipp. 1, 28). „Wenn mir gleich Leib und Seele verschmachtet, so bist du doch, Gott, allzeit meines Herzens Trost und mein Teil.“ (Ps. 73, 26.)
Ach, liebe Brüder, die Beruhigung, welche die Gewissheit in der Todesstunde geben kann, ist eine große Sache. O! glaubt es mir! Ihr werdet sie nie für so groß halten, als wenn Euer Todesstündlein schlagen wird. In dieser schauerlichen Stunde werden sich wenige Gläubige finden, die nicht den Wert dieses hohen Vorrechts erkennen, wie sie auch immer während ihres Lebens darüber gedacht haben mögen. Allgemeine „Hoffnungen“ und „Tröstungen“ mögen vielleicht Manchem ganz wohl ausreichen, daraufhin zu leben, während die Sonne scheint und der Körper gesund ist; aber, wenn's zum Sterben geht, muss man im Stande sein, zu sagen: „Ich weiß“ und „ich fühle.“
Glaubt mir, der Jordan ist ein kalter Strom und wir müssen allein hindurch. Kein irdischer Freund kann uns helfen. Der letzte Feind, der Tod, ist ein starker Feind; wenn unsere Seelen von hinnen fahren, dann gibt's keine Herzstärkung gleich dem edlen Wein der Heilsgewissheit. Könnten wir doch alle mit dem berühmten Richard Baxter auf dem Totenbette sagen: Ich preise Gott, dass ich eine wohlgegründete Gewissheit meiner ewigen Seligkeit habe, und darin fühle ich großen Frieden und köstliche Erquickung.“ Gegen das Ende antwortete er auf die Frage, wie es ihm ginge: „überaus wohl!“ (1691). So sprach ein Rutherford auf seinem Totenbette, - derselbe, der früher bei seiner Verurteilung zur Kerkerhaft schon triumphierte: „Wie blind sind doch meine Widersacher, die mich zu einem Festmahl und nicht in ein Gefängnis oder in die Verbannung schicken!“ Er rief auf seinem Totenbette (1661): „Wüssten's doch alle meine Brüder, welch einem lieben Herrn ich gedient habe und welch einen Frieden ich heute noch genieße. Ich werde in Christo entschlafen und will satt werden: wenn ich erwache nach seinem Bilde.“
Welch eine Wolke solcher Zeugen hat allein die schottische Kirche aufzuweisen! Wir wollen nur an den jungen Hugh Mackail erinnern, der im Jahre 1666 am 22. Dezember, nachdem er vorher die fürchterlichsten Foltern ausgestanden, von der Richtstätte zu Edinburgh, man könnte wohl sagen, gen Himmel fuhr. Denn so sprach er selbst, als er die Galgenleiter hinaufstieg mit heiterem Antlitz: „Jede Sprosse dieser Leiter ist eine Stufe näher zum Himmel.“ Als er das Schluchzen des Volks hörte, sprach er: „Es gebührt sich nicht zu weinen, sondern zu beten. Damit ihr wisst, was ich hoffe, will ich euch das letzte Kapitel der heiligen Schrift vorlesen.“ Er las das 22. Kapitel der Offenbarung Johannis und fügte hinzu: „Dies ist die Herrlichkeit, die mir geoffenbart ist: Ein lauterer Strom des lebendigen Wassers, der Stuhl Gottes und des Lammes; seine Knechte, welche ihm dienen und sein Angesicht sehen… Dahin ziehe ich jetzt.“ Als ihm der Henker den Strick um den Hals legte, sagte er: Jetzt spreche ich zum letzten Male zur Kreatur, und beginne eine Unterhaltung mit Gott, welche niemals unterbrochen werden soll. Lebt wohl, Vater und Mutter! Lebt wohl, Freunde und Verwandte! Lebe wohl, du Welt mit deinen Freuden! Lebe wohl, Speise und Trank! Lebt wohl, Sonne, Mond und Sterne! Sei mir gegrüßt, o Gott und Vater! Sei gegrüßt mein Jesu, du Mittler des neuen Bundes! Sei gegrüßt, du segensreicher Geist der Gnade, und Gott alles Trostes! Willkommen, o Herrlichkeit! Willkommen, o ewiges Leben! Willkommen, o Tod! Herr, in deine Hände befehle ich meinen Geist, denn du hast mich erlöst, du treuer Gott!“
So sprach am 27. Juli 1681 ein anderer schottischer Blutzeuge Kargil auf dem Schafott: „Ich fühle weniger Furcht und Verwirrung jetzt, wo ich das Blutgerüst besteige, als damals, wo ich zum ersten Male auf die Kanzel berufen wurde, um den Sündern das Wort Gottes zu predigen. Tod und Hölle schrecken mich so wenig, als ob ich nie gesündigt hätte, denn alle meine Sünden sind mir ohne mein Verdienst vergeben und abgewaschen durch das kostbare Blut Jesu Christi.“
O möchte so jedes Gläubigen brechendes Auge den Himmel offen sehen und des Menschen Sohn zur Rechten Gottes stehen! (Apostelgesch. 7, 55).
2. Aber lasst mich euch noch etwas Anderes nennen. Gewissheit der Seligkeit ist ferner wünschenswert, weil sie dazu dient, den Christen zu einem tätigen und zur Arbeit für den Herrn geschickten Christen zu machen. Niemand, kann man ganz allgemein sagen, tut so viel für Christum auf Erden, als wer sich der vollsten Zuversicht eines freien Eingangs zum Himmel erfreut. Das klingt wunderlich, kann ich sagen, aber es ist wahr. Ein Gläubiger, der einer versicherten Hoffnung entbehrt, wird einen großen Teil seiner Zeit damit verlieren, über seinen eigenen Zustand ängstliche Untersuchungen anzustellen. Gleich einer nervösen und hypochondrischen Person wird er immer voll von seinen eigenen Unpässlichkeiten sein, von seinen eigenen Zweifeln und Bekümmernissen, seinen inneren Kämpfen und seiner Verderbtheit. Immer von seinem inneren Kriege in Anspruch genommen, wird er wenig Muße zu anderen Dingen, wenig Zeit haben für Gott zu wirken.
Nun aber ist ein gläubiger Christ, der wie Paulus eine gewisse Hoffnung hat, frei von diesen erschlaffenden Zerstreuungen; er quält seine Seele nicht mit Zweifeln über die Vergebung seiner Sünde und seine Begnadigung. Er schaut auf das ewige Testament, das mit Blut versiegelt ist, auf das vollbrachte Werk und nie gebrochene Wort seines Herrn und Heilandes, und deshalb sieht er seine Errettung als gewiss an, und ist so im Stande, eine ungeteilte Aufmerksamkeit auf das Werk des Herrn zu richten, und recht tätig zu sein.
Wir wollen zur Erläuterung uns zwei Auswanderer vorstellen, die neben einander jeder ein Stück Land urbar zu machen und zu bebauen haben. Wir nehmen an, dass sie gleich viel und gleich gutes Land bekommen, dass ihnen und ihren Nachkommen Abgaben-Freiheit bewilligt, und dass ihnen alle ihre Rechte durch die gesetzlichen Akte vollständig gesichert und in den öffentlichen Registern gehörig eingetragen worden seien. Nun denken wir uns, dass Einer von ihnen sich sogleich daran gibt, sein Land zu kultivieren und Tag für Tag ununterbrochen daran arbeitet. Unterdessen aber lasst den Andern fortwährend seine Arbeit unterbrechen, und wiederholt auf die öffentliche Registratur gehen, um zu fragen, ob das Land denn wirklich sein Eigentum sei, ob kein Missverständnis obwalte, ob sich kein Formfehler in seinen Urkunden finde. Der Eine, der nie seinen Rechtstitel bezweifelt, wird ruhig und mit allem Fleiß fortarbeiten; der Andere, der sich nie seines Rechtes gewiss fühlt, wird immer unruhig sein und seine halbe Zeit mit Reisen nach der Hauptstadt und unnötigen Erkundigungen verschwenden. Nun also, welcher von diesen Beiden wird nach einem Jahre am meisten vorangekommen sein? Welcher wird das Meiste für sein Land getan haben? Welcher wird den größten Teil seines Bodens benutzt haben und die beste Ernte aufweisen können? Welcher wird überhaupt der glücklichere sein? Das wisst Ihr alle so gut wie ich; es bedarf keiner weiteren Antwort als der allgemeinen Regel: Ungeteilte Kraftanstrengung wird immer den größten Erfolg erzielen.
Gerade so wird es mit unserem Eigentumsrecht an die Wohnungen im Himmel stehen. Keiner wird so viel für den Herrn, der ihn erkauft hat, tun, als der Christ, der seinen Titel klar vor sich steht, und sich nicht durch ungläubige Bedenklichkeiten zerstreuen lässt. Die Freude am Herrn wird unsere Stärke sein. (Nehemia 8, 10). So bittet David: „lass mich hören Freude und Wonne, schaffe in mir, Gott, ein reines Herz und gib mir einen neuen gewissen Geist; tröste mich wieder mit deiner Hilfe und der freudige Geist erhalte mich (genauer: schenke mir einen freudigen Geist). Dann will ich die Übertreter deine Wege lehren, dass sich die Sünder zu dir bekehren.“ (Psalm 51, V. 10-15, vgl. V. 20, 21). Nie gab es solche rüstige Arbeiter im Werk des Herrn, wie die Apostel; sie schienen zu leben um zu arbeiten; Christi Werk war in der Tat ihr Essen und Trinken. Ihr Leben war ihnen nicht teuer. Sie opferten und wurden geopfert. Zu den Füßen des Kreuzes legten sie ihr Wohlsein, ihre Gesundheit, weltliche Annehmlichkeiten nieder. Eine große Ursache davon, glaube ich, war ihre gewisse Hoffnung. Sie waren Leute, die da sagen konnten: „Wir wissen, dass wir von Gott sind, und die ganze Welt liegt im Argen“ (1. Joh. 5, 19).
3. Lasst mich noch etwas Anderes nennen. Nach Gewissheit müssen wir verlangen, weil sie einen Christen zu einem entschiedenen Christen macht. Unentschiedenheit und Zweifel über unseren eigenen Zustand vor Gottes Augen ist ein drückendes Übel und die Quelle einer großen Menge von Übeln. Sie macht unseren Gang in der Nachfolge des Herrn schwankend und strauchelnd. Gewissheit hilft manchen Strick zerreißen und den Pfad der christlichen Pflicht ebnen und erhellen. Mancher, von dem wir wohl hoffen, dass er ein Kind Gottes sei, und wahrhaftig, wenn auch noch im geringen Maße, Gnade empfangen habe, befindet sich in einer fast fortwährenden Verwirrung wegen allerlei Bedenklichkeiten im praktischen Leben. „Darf ich dies oder Jenes tun? darf ich diesen Familiengebrauch aufgeben? darf ich in jene Gesellschaft gehen? welche Grenze soll ich mir setzen in Beziehung auf meine Bekanntschaften? was für eine Regel im Anzug, in der häuslichen Einrichtung? rc.“ Fragen solcher Art scheinen Manchem beständig Unruhe zu machen, und oft, sehr oft ist der einfache Grund ihrer Unklarheit der, dass sie sich nicht versichert fühlen, dass sie selber Kinder Gottes sind. Sie sind nicht darüber im Reinen, ob sie noch vor oder hinter der Tür stehen. Sie wissen selbst noch nicht, ob sie schon in die Arche aufgenommen sind, oder noch nicht.
Dass ein Kind Gottes in einer bestimmten, entschiedenen Weise handeln müsse, das fühlen solche wohl, aber die große Frage ist, ob sie selber Kinder Gottes sind.“ Wenn sie nur fühlten, dass sie es wären, so würden sie geradeaus gehen und einen bestimmten Weg einschlagen. Aber da sie sich darüber nicht sicher fühlen, so ist ihr Gewissen immer voll Bedenklichkeiten. Der Teufel raunt ihnen zu: „Vielleicht bist du nach alle dem doch nur ein Heuchler? was hast du für Recht einen entschiedenen Weg zu gehen? warte nur bis du einmal in Wahrheit ein Christ bist.“ - Und solche Einflüsterungen bringen gar oft die Waage aus dem Gleichgewicht und führen zu einem bedauerlichen Sich vergessen oder zu einer kläglichen Gleichstellung mit der Welt. In der Tat, liebe Brüder, ich glaube, hier ist einer der Hauptgründe, warum so manche in unseren Tagen unbeständig, auf beiden Seiten hinkend, mit sich selbst und allen Andern unzufrieden und geteilten Herzens sind in ihrem Wandel in der Welt. Der Glaube fehlt; die feste, gewisse Zuversicht, dass sie Christi Eigentum sind, haben sie nicht, und so sind sie zu unschlüssig, um mit der Welt zu brechen. Sie erschrecken vor dem Gedanken, den ganzen, vorigen Wandel des alten Menschen abzulegen, weil sie nicht ganz fest darauf vertrauen, dass sie den neuen angezogen haben. Gewiss, Eine geheime Ursache des Schwankens zwischen den beiden Meinungen ist Mangel der Gewissheit; wenn man entschieden sagen kann: „der Herr ist Gott,“ dann wird der Weg sehr helle. (1: Könige 18, 39).
4. Lasst mich endlich noch Eins ausführen. Gewissheit müssen wir erstreben, weil sie uns in der Heiligung fördert. Das klingt auch wunderlich und seltsam und doch ist es wahr. Es ist eins der Paradoxe, d. h. der scheinbaren Widersprüche des Evangeliums und streitet auf den ersten Blick widersprechend der Vernunft und dem allgemeinen Gefühl, und ist doch eine Tatsache.
Cardinal Bellarmin war selten weiter von der Wahrheit entfernt, als wo er sagt: Gewissheit führt zu Sorglosigkeit und „Trägheit“. - Nein, im Gegenteil: wer freie Vergebung aller Sünde von Christo empfangen hat, wird immer viel für Christi Ruhm tun, und wer sich der vollsten Versicherung seiner Annahme erfreut, wird sich gewisslich den genauesten Umgang mit Gott erhalten. Es ist ein sehr wahrer Ausspruch (1. Joh. 3, 3): „Ein jeglicher, der solche Hoffnung hat zu Ihm, der reinigt sich, gleichwie Er auch rein ist.“ Eine Hoffnung, die nicht reinigt, ist ein Spott, eine Täuschung und ein Fallstrick. Niemand ist so darauf bedacht, beständig wachsam sein Herz und Leben zu behüten als die, welche die Köstlichkeit des Lebens in inniger Gemeinschaft mit Gott kennen. Sie fühlen ihr Vorrecht und werden sich wohl hüten es zu verscherzen. Sie werden fürchten, aus ihrem hohen Stande zu fallen und ihre eigene Seelenruhe zu verderben, indem sie Wolken zwischen sich und Christum bringen. Wer mit wenig Geld auf eine Reise geht, denkt wenig an Gefahr und sorgt wenig wie spät Abends er reist. Dagegen der, der Gold und Juwelen bei sich trägt, wird ein vorsichtiger Reisender sein; er wird wohl Acht haben auf seine Wege, seine Herberge und seine Gesellschaft, um keine Gefahr zu laufen. Die Fixsterne sind die, die (in ihrem Licht) am meisten zittern. Der Mensch, der am meisten sich des Lichtes von Gottes Gnadenantlitz erfreut, wird mit Zittern davor erschrecken, seine segensreichen Tröstungen zu verlieren, und eifersüchtig besorgt sein, nicht etwas zu tun, was den heiligen Geist betrüben könnte.
Geliebte Brüder! Ich empfehle diese vier Punkte Eurer ernstlichen Erwägung. Fühltet ihr gern, dass die Arme der ewigen Liebe euch umschließen, hörtet ihr gern, dass der Heiland zu eurer Seele sagt: Ich bin dein Heil; möchtet ihr gern brauchbare Arbeiter in seinem Weinberge sein während der Tage Eurer Erdenpilgerschaft? wünschtet Ihr gern von Allen als kühne, starke, entschiedene, einfältige, unanstößige Nachfolger Christi anerkannt zu werden? Wäret Ihr gerne geistlich gesinnt und gottselig? Ach viele von Euch werden sagen: „Das ist's eben, wonach unser Herz sich sehnt. Danach verlangen wir, wir seufzen darum, aber es scheint so fern von uns.“ Nun, hat es Euch je getroffen, dass möglicherweise Eure Geringschätzung der Gewissheit die einzige verborgene Ursache aller Eurer Gebrechen ist? dass das geringe Maß von Glauben, womit Ihr Euch zufriedenstellt, die Ursache des geringen Maßes von Frieden bei Euch sein mag? Könnt Ihr es für unbegreiflich halten, dass Eure Gnadengaben schwach und ärmlich sind, wenn der Glaube, ihrer Aller Wurzel und Mutter, durch Eure Schuld schwach und gering bleibt?
Nehmt heute meinen Rat an: sucht im Glauben zu wachsen, sucht eine gewisse Hoffnung des Heils, gleich der des Apostels Paulus, sucht ein einfältiges, kindliches Vertrauen auf Gottes Verheißungen zu erlangen, sucht fähig zu werden, mit Paulus zu sagen: „Ich weiß, an wen ich glaube, und bin gewiss, dass Er ist mein und ich bin Sein.“ Manche von Euch haben andere Wege und Methoden versucht, und haben sich gänzlich getäuscht sehen müssen. Ändert Euren Plan, richtet Euer Auge auf etwas anderes, legt Eure Zweifel beiseite, lehnt Euch ganz auf des Herrn Arm! Fangt mit blindem Glauben an, werft Euer glaubensloses Zur-Seite-blicken weg, um den Herrn bei seinem Wort zu fassen, kommt und werft Euch selbst, Eure ganze Seele und alle Eure Sünden auf unsern gnadenreichen Herrn und Heiland; fangt mit einfachem Glauben an, so wird Euch alles andere zufallen.
IV. Ich komme zum letzten Teile unserer Betrachtung. Ich versprach einzelne, wahrscheinliche Ursachen hervorzuheben, warum eine gewisse Hoffnung so selten erlangt wird.
Ich will's ganz kurz machen. Diese Frage ist eine sehr ernste, und müsste in uns allein große Herzenssehnsucht anregen. Gewiss nur Wenige aus dem Volke des Herrn scheinen zu diesem segensreichen, gewissen Geist zu gelangen. Verhältnismäßig glauben Viele, aber Wenige sind überzeugt; verhältnismäßig haben noch Viele den seligmachenden Glauben, aber Wenige darunter jene herrliche Zuversicht, die aus unserem Texte hervorleuchtet. Dass dies der Fall ist, glaube ich, müssen wir Alle zugeben. Nun, warum ist es so? Warum ist eine Sache, die uns zwei Apostel so bestimmt eingeschärft haben, doch nur sehr wenigen Gläubigen aus der Erfahrung bekannt? Warum ist eine gewisse Hoffnung so selten? Ich wünsche also in aller Demut einige Beobachtungen über diesen Punkt mitzuteilen. Ich weiß, dass Manche nie Gewissheit erlangt haben, denen ich mit Freuden zu Füßen säße, sowohl auf Erden als im Himmel. Vielleicht bemerkt der Herr bei einigen seiner Kinder etwas in ihrem natürlichen Temperamente, weshalb ihnen die Gewissheit nicht gut sein würde? Vielleicht ist's ihnen notwendig, damit sie in geistlicher Gesundheit erhalten werden, dass sie recht niedergehalten werden? Gott weiß es allein. Dennoch aber, nach all diesen Zugeständnissen, muss ich fürchten, es gibt manche Christen ohne eine versicherte Hoffnung, deren Zustand gar zu oft etwa durch folgende Ursachen sich erklären lässt.
1. Eine überaus gewöhnliche Ursache, vermute ich, ist eine mangelhafte Anschauung der Lehre von der Rechtfertigung. Ich bin geneigt zu denken, dass manche Gläubige, ohne es selbst zu wissen, Rechtfertigung und Heiligung etwas in einander mengen. Sie nehmen die evangelische Wahrheit an, dass etwas in uns geschehen muss, eben sowohl wie etwas für uns geschehen ist, wenn wir wahre Glieder Christi sind; und so weit haben sie Recht; aber dann scheinen sie, vielleicht ohne es selbst gewahr zu werden, den Gedanken in sich aufkommen zu lassen, dass ihre Rechtfertigung in irgend einem Maße durch etwas in ihnen bestimmt wird. Sie sehen nicht deutlich ein, dass Christi Werk, nicht ihr eigenes Werk, sei es ganz oder teilweise, sei es direkt oder indirekt, der alleinige Grund unserer Annahme bei Gott ist, dass die Rechtfertigung eine Sache ganz außer uns ist, für die an unserer Seite nichts, was es auch immer sein mag, nötig ist außer dem einfachen Glauben, und dass der schwächste Gläubige eben so ganz und vollkommen gerechtfertigt ist als der Stärkste.
Mancher scheint zu vergessen, dass wir errettet und gerechtfertigt werden als Sünder und nur als Sünder, und dass wir nimmermehr etwas Höheres erreichen können, wenn wir auch so alt würden, wie Methusalah. Erkaufte Sünder, gerechtfertigte Sünder und wiedergeborene Sünder müssen wir ohne Zweifel sein, aber Sünder, Sünder, Sünder, immerfort bis zum letzten Ende hin. Sie scheinen nicht zu begreifen, dass ein großer Unterschied ist zwischen unserer Rechtfertigung und unserer Heiligung. Unsere Rechtfertigung ist ein vollkommen vollbrachtes Werk und lässt keine Stufen zu. Unsere Heiligung ist unvollkommen und Stückwerk, und bleibt es bis zu der letzten Stunde unseres Lebens. Sie scheinen zu erwarten, dass ein Gläubiger in irgend einer Zeit seines Lebens in einem gewissen Maße frei von Verderbtheit sein und zu einer Art innerer Vollkommenheit gelangen könnte; und da sie diesen engelischen Zustand in ihrem eigenen Herzen nicht finden, so schließen sie auf einmal, es müsse etwas sehr Übles in ihrem Seelenzustand sein, und so gehen sie all ihr Leben bekümmert dahin, gedrückt von Befürchtungen, dass sie keinen Teil noch Anfall an Christo hätten, und wollen sich nicht trösten lassen.
Meine teuren Brüder, denkt darüber nach. Wenn eine gläubige Seele nach der Versicherung sich sehnet und hat sie nicht erlangt, lasst sie vor Allem sich selbst fragen, ob sie ganz sicher ist, dass sie gesund im Glauben ist, dass ihre Lenden ganz mit Glauben gegürtet sind und ihre Augen ganz klar in der Sache der Rechtfertigung. Sie muss wissen, was es heißt, einfältig zu glauben, bevor sie erwarten kann, sich versichert zu fühlen. Glaubt mir, der alte Irrtum der Galater ist die ergiebigste Quelle des Irrtums in der Lehre wie im Leben. Sucht nach klareren Anschauungen von Christo und von dem, was Christus für Euch getan hat. Glücklich ist der, der's wirklich versteht das Kleinod unserer evangelischen Kirche: „So halten wir es nun, dass der Mensch gerecht werde ohne des Gesetzes Werk allein durch den Glauben“ (Römer 3, 25), die Rechtfertigung allein durch den Glauben, ohne Zutun des Gesetzes.
2. Eine andere gewöhnliche Ursache des Mangels der Versicherung ist Trägheit im Suchen nach dem Wachstum in der Gnade. Ich bin besorgt, manche wahre Gläubige hegen in diesem Punkte gefährliche und unschriftgemäße Ansichten. Ich will nicht sagen, dass sie es absichtlich täten, aber es ist Tatsache. Manche scheinen mir zu denken, dass, einmal bekehrt, sie nichts Weiteres zu tun hätten, und dass der Zustand der Kindschaft Gottes eine Art bequemer Sorgenstuhl sei, worin sie still sitzen oder den Rücken anlehnen und sich behaglich fühlen könnten. Sie scheinen sich einzubilden, die Gnade sei ihnen bloß gegeben, damit sie sich daran freuen möchten, und vergessen, dass sie ein Pfund ist, mit dem man wuchern, und das man durch treuen Gebrauch vermehren soll. Solche Personen verlieren manche bestimmte Ermahnungen der Schrift aus dem Gesicht, nämlich dass wir wachsen und zunehmen, dass wir mehr und mehr die Fülle haben, dass wir allen Fleiß daran wenden sollten in unserm Glauben darzureichen Tugend usw. (2. Petri 1, 3-12). Indem sie untätig dasitzen und ruhig auf den Hefen liegen (Zephanja 1, 12; Jeremias 48, 11), brauchen sie sich nicht zu wundern, dass sie der Gewissheit entbehren. Ich glaube, es müsste unser fortwährendes Ziel und Sehnen sein, voranzukommen und unsere Losung beim Antritt jedes Jahres sollte sein: „Immer völliger! mehr Erkenntnis mehr Glaube; mehr Gehorsam mehr Liebe!“ (1. Thess. 4, 1). Wenn wir dreißigfältige Frucht gebracht, sollten wir suchen, sechzigfältige zu bringen, und wenn wir's bis zu sechzigfältiger gebracht hätten, sollten wir streben, hundertfältige zu bringen. Der Wille Gottes ist unsere Heiligung, und das sollte auch unser Wille sein (Matth. 13, 23; 1. Thessal. 4, v. 3). Eins, liebe Brüder, mögt Ihr vor Allem beachten; es besteht eine unzertrennliche Verbindung zwischen Fleiß und Gewissheit: „Tut desto mehr Fleiß“ sagt Petrus, euren Beruf und Erwählung fest zu machen“( 2. Petri 1, 10.). „Wir begehren,“ sagt Paulus, „dass euer Jeglicher denselben Fleiß beweise, die Hoffnung fest zu halten (genauer: zur Erfüllung der Hoffnung) - bis ans Ende.“ (Hebr. 6, 11). „Die Fleißigen kriegen genug“ sagt Salomo. (Sprichwörter 13, 4). Es ist viel Wahres in dem alten Grundsatz „der Zuflucht nehmende Glaube kommt durchs Hören, aber der Glaube der Gewissheit kommt nicht ohne das Tun des Willens Gottes.“ Möchte doch jeder von Euch, der nach Versicherung verlangt und sie nicht bekommen hat, auf meine Worte merken. Ihr werdet sie nie bekommen ohne Fleiß, wie sehr Ihr auch danach verlangt. Es gibt keinen Gewinn ohne Mühe, in geistlichen Dingen gerade wie in zeitlichen. „Der Faule begehrt und kriegt es doch nicht.“ (Sprüche Sal. 13, 4).
3. Eine andere gewöhnliche Ursache des Mangels der Gewissheit ist ein strauchelnder Gang im Leben. Mit Sorge und Kummer muss ich es aussprechen: Ich fürchte, nichts hindert in unseren Tagen häufiger an der Erreichung einer gewissen Hoffnung als dies. Der Strom derer, die sich zum Christentum bekennen, ist viel breiter als er früher war, und ich besorge, wir müssen zugeben, er ist zugleich viel weniger tief. Unbeständigkeit im Leben ist eine feindliche, ja durchaus zerstörende Macht gegen den Gewissensfrieden. Die beiden sind ganz unverträglich, sie können und wollen nicht zusammengehen. Wenn du deine Gewohnheitssünden beibehalten willst, und kannst dich nicht entschließen, ihnen den Abschied zu geben, wenn du davor erschrickst, „die rechte Hand abzuhauen und das rechte Auge auszureißen,“ wenn es Not tut, so will ich dafür stehen, du wirst keine Gewissheit erlangen. Ein schwankender Gang, eine Vernachlässigung der kühnen und bestimmten Entschiedenheit, eine Geneigtheit, sich dieser Welt gleichzustellen, ein Zögern im Bekenntnis des Herrn, ein leichtfertiger und mattherziger Ton im Reden von religiösen Dingen, alles das ist ein sicheres Mittel, um Mehltau auf den Garten deiner Seele zu bringen.
Es ist unmöglich, dass Du Deiner Seligkeit und der Vergebung Deiner Sünden gewiss sein kannst, wenn Du nicht alle göttlichen Gebote in Betreff aller Dinge für recht hältst, und jede Sünde hasst, mag sie groß oder klein sein. (Psalm 119, 128). Duldest Du Einen Achan in dem Lager Deines Herzens, so wird er Deine Hände schwächen, und Dir die Quelle des Trostes trüben. Du musst täglich auf den Geist säen, wenn Du das Zeugnis des Geistes ernten willst. Die Wege des Herrn werden Dir nicht mehr wohlgefallen, wenn Du Dich selbst nicht mehr bemüht, in allen Deinen Wegen dem Herrn wohlzugefallen.
Ich danke Gott, dass unser Heil in keiner Weise von unseren eigenen Werken abhängt; aus Gnaden sind wir selig geworden, nicht durch Werke der eigenen Gerechtigkeit - durch den Glauben ohne des Gesetzes Werke; aber ich möchte nicht, dass irgend ein Christ es einen Augenblick vergäße, dass unser Bewusstsein vom Heile viel davon abhängig ist, wie wir wandeln. Unbeständigkeit wird unser Auge verdunkeln und Wolken zwischen uns und die Sonne der Gerechtigkeit bringen. Die Sonne ist dieselbe auch hinter den Wolken; aber man wird nicht im Stande sein, ihre Klarheit zu sehen, oder ihre Wärme zu genießen, und die Seele wird düster und kalt bleiben. „Im Stande guter Werke“ wird die Morgenröte der Versicherung Dir aufgehen und in Dein Herz hinein scheinen.
Das Geheimnis des Herrn, sagt David, ist unter denen, die ihn fürchten, und seinen Bund lässt er sie wissen. (Psalm 25, 14). Wer Dank opfert, der preist mich, und das ist der Weg, dass ich ihm zeige das Heil Gottes. (Psalm 50, 23). Großen Frieden haben, die Dein Gesetz lieben und werden nicht straucheln. (Psalm 119, 165). Wenn wir im Licht wandeln, wie Er im Lichte ist, so haben wir Gemeinschaft unter einander, und das Blut Jesu Christi, Seines Sohnes, macht uns rein von aller Sünde. (1. Joh. 1, 7). Lasst uns nicht lieben mit Worten noch mit der Zunge, sondern mit der Tat und mit der Wahrheit! Daran erkennen wir, dass wir aus der Wahrheit sind, und können unser Herz vor Ihm stillen. (1. Joh. 3, 18. 19). Und an dem merken wir, dass wir Ihn kennen, dass wir Seine Gebote halten. (1. Joh. 2, 3).
Paulus war ein Mann, der „sich übte, ein unverletztes Gewissen zu haben allenthalben, beides gegen Gott und Menschen.“ (Apostelgesch. 24, 16). Er konnte kühn sagen: „Ich habe einen guten Kampf gekämpft; ich habe Glauben gehalten.“ Ich wundre mich nicht darüber, dass der Herr ihn in Stand setzte, mit Zuversicht hinzuzusetzen: „Hinfort ist mir beigelegt die Krone der Gerechtigkeit, welche mir der gerechte Richter geben wird an jenem Tage.“
Hat Einer von Euch, die Ihr an den Herrn Jesum glaubt, Verlangen nach der Versicherung und hat sie noch nicht erlangt, möge er auch über diesen Punkt nachdenken. Möge er in sein eignes Herz hineinsehen, in sein Gewissen, auf sein Leben, auf seinen Wandel, auf sein Haus blicken. Und viel leicht wird er, wenn er das getan hat, im Stande sein zu sagen: Da ist eine Ursache, weshalb ich keine gewiss gewordene Hoffnung habe.
Nun überlasse ich die drei eben erwähnten Sachen Eurer weiteren Erwägung. Ich weiß gewiss, sie verdienen geprüft zu werden. Möchtet Ihr sie alle, wie sich's gebührt, prüfen. Und gebe der Herr Euch, dass Ihr erfüllet werdet mit Erkenntnis Seines Willens in allerlei geistlicher Weisheit und Verstand, dass Ihr wandelt würdiglich dem Herrn zu allem Gefallen und fruchtbar seid in allen guten Werken! (Kol. 1, 9. ff.)
Und nun, liebe Brüder, wie ich diese wichtige Untersuchung schließe, lasst mich zuerst zu denjenigen unter Euch sprechen, die ihr Herz noch nicht dem Herrn hingegeben haben, die noch nicht von der Welt ausgegangen sind und das gute Teil in der Nachfolge Christi erwählt haben.
Lernt doch, meine teuren Freunde, aus dem Vorhergehenden, wie herrlich die Vorrechte und Genüsse eines wahren Christen sind.
Ich möchte nicht, dass Ihr über den Herrn Jesum urteiltet nach dem, was Ihr von seinem Volke haltet. Der allerbeste unter seinen Jüngern kann Euch nur eine schwache Idee von dem herrlichen Meister geben. Ebenso wenig möchte ich, dass Ihr über die Vorrechte seines Reiches nach dem Maße der Glückseligkeit urteiltet, welches Manche von seinem Volke empfangen haben. Ach wir alle sind mehr oder weniger arme Kreaturen. Wir bleiben weit, sehr weit zurück hinter den köstlichen Verheißungen, deren wir genießen könnten. Aber glaubt's nur, herrliche Dinge gibt's in der Stadt unseres Gottes, welche diejenigen, die eine gewisse Hoffnung haben, selbst bei Lebzeiten schon erlangen. Da gibt's eine Länge und Breite und eine Tiefe und Höhe des Friedens und des Trostes, die weit über Eure Vernunft geht, ja deren Ahnung in Euer Herz wohl noch nie gekommen ist. Es ist Brots die Fülle in unseres Vaters Hause, obgleich manche von uns gewiss nur wenig davon essen und deshalb schwach bleiben. Aber dieser Fehler muss nur nicht an unserm Herrn gesucht werden; es ist ganz allein unser eigener.
Und doch besitzt, trotz alledem, selbst das schwächste Kind Gottes in sich eine Quelle der Glückseligkeit, die Ihr durchaus nicht kennt. Ihr seht wohl die Kämpfe und Erschütterungen auf der Oberfläche seines Herzens; aber Ihr seht nicht die kostbaren Perlen, die drunter in der Tiefe verborgen liegen. Das schwächste lebendige Glied Christi würde nimmermehr mit Euch tauschen. Ein Gläubiger, der nur die allergeringste Versicherung fühlt, ist besser daran, als Ihr alle. Er hat eine Hoffnung, wie schwach sie immer sein mag, aber Ihr habt noch durchaus keine. Er hat ein Teil, das nimmer von ihm genommen werden soll, einen Erlöser, der ihn nie verlassen kann, einen Schatz, der nicht veraltet und nimmer abnimmt, mag er ihn auch für jetzt noch wenig gebrauchen können. Aber Ihr wenn Ihr sterbt, wie Ihr jetzt seid, werdet Ihr all Eure Hoffnungen verloren sehen. O dass Ihr weise wäret! O dass Ihr dies verständet! O dass Ihr an Euer letztes Stündlein dächtet!
Wenn ich je für Einen gezittert habe in dieser letzten Zeit, dann muss ich's für Euch, deren Schatz ganz auf dieser Erde, deren Hoffnung ganz auf dieser Seite des Grabes ist. Ja, wenn ich alte Reiche und Fürstenhäuser bis auf den Grund erschüttert sehe, wenn ich Könige und Prinzen und reiche Leute und große Männer sehe in der Flucht ihr Leben retten und kaum wissen, wo sie ihr Haupt hinlegen sollen, wenn ich Besitzungen, die auf dem öffentlichen Vertrauen beruhen, gleich dem Schnee im Frühlinge zerschmelzen sehe, wenn ich das alles sehe, dann ergreift mich tiefes Bedauern für die, die kein besseres Teil haben, als was diese Welt ihnen geben kann, und keinen Platz in jenem Reiche, das unbeweglich ist.
Nehmt doch noch heute Rat an von einem Diener Christi! Sucht dauerhafte Reichtümer, einen Schatz, der nicht von Euch genommen werden kann, eine Stadt, die ewige Gründe hat! Macht's wie der Apostel Paulus! Übergebt Euch dem Herrn Jesu und sucht jene unvergängliche Krone, die Er bereit ist zu geben! Nehmt auf Euch Sein Joch und lernt von ihm! Verlasst eine Welt, die Euch nie wahrhaft befriedigen kann! Gebt den Abschied der Sünde, die Euch zuletzt gleich einer Schlange erstechen wird, wenn Ihr an ihr hangen bleibt. Kommt als gebeugte Sünder zum Herrn Jesu: gewiss, Er wird Euch annehmen, Euch vergeben, Seinen lebendig machenden Geist Euch schenken, Euch mit Frieden und Freude erfüllen. Das wird Euch mehr wirkliches Glück verschaffen, als die Welt je gekannt hat. Es ist eine Leere in Eurer Brust, die nichts als der Friede Christi ausfüllen kann. Tretet ein und teilt unsre Vorrechte! Kommt zu uns und setzt Euch uns zur Seite!
Schließlich will ich mich an alle Gläubigen wenden, welche diese Seiter. lesen, und ein Paar Worte brüderlichen Rates an sie richten.
Das Einzige, worauf ich bei Euch dringe, ist: Habt Ihr noch keine gewisse Hoffnung Eurer Versöhnung mit Gott und Christo erlangt, entschließt Euch heute noch, sie zu suchen. Arbeitet daran, strengt Euch drum an. Betet darum! Lasst dem Herrn keine Ruhe, bis Ihr wisst, an wen Ihr glaubt. Ich fühle in der Tat, dass die Seltenheit und geringe Stärke der Gewissheit in unseren Tagen unter solchen, die für Kinder Gottes gelten, für uns eine Ursache ist, uns zu schämen und uns Vorwürfe zu machen. Es ist überaus beklagenswert,“ sagt ein alter Gottesgelehrter ,“ dass manche Christen zwanzig oder gar vierzig Jahre gelebt haben, seit Christus sie in seiner Gnade berufen, und doch noch immer im Zweifeln hängen geblieben sind.“ Lasst uns doch das ernstliche Begehren“ des Apostels (Hebr. 6, 11) beherzigen ,“ dass unser jeglicher denselben Fleiß beweise, die Hoffnung fest zu machen bis ans Ende,“ und lasst uns mit Gottes Gnadenbeistand diesen Vorwurf von uns abzuwälzen trachten.
Wollt Ihr's denn wirklich im Ernst sagen, dass Ihr kein Verlangen hättet, Hoffnung gegen Zuversicht, Vertrauen gegen Überzeugung, Ungewissheit gegen Wissen zu vertauschen? Weil schwacher Glaube zur Seligkeit genug ist, wollt Ihr Euch deshalb damit zufrieden geben? Weil Versicherung nicht wesentlich ist für Euren Eingang in den Himmel, wollt Ihr deshalb ohne dieselbe auf Erden Euch befriedigt fühlen? Ach! das ist keine Gesundheit im Glauben: das ist nicht der Sinn des apostolischen Tages. Steht einmal auf vom Schlaf, und weil Euer Heil jetzt näher ist, denn da Ihr zum Glauben kamt, so eilt ihm entgegen, angetan mit den Waffen des Lichts! Bleibt nicht bei den Anfangsgründen der Erkenntnis Gottes hängen; schreitet fort zur Vollkommenheit des Glaubens! Verachtet die geringen Anfänge nie in Andern, aber gebt Euch selbst nicht damit zufrieden, sondern wachst in der Gnade und Erkenntnis Jesu Christi, bis Ihr ein vollkommener Mann werdet in Ihm.
O glaubt es doch, glaubt es doch, Gewissheit des Gnadenstandes ist wohl des Suchens wert. Ihr vernachlässigt Euer Heil, wenn Ihr Euch ohne die völlige Gewissheit zufrieden gebt. Das, wovon ich spreche, dient zu Eurem Frieden. Ist es gut, in irdischen Dingen Sicherheit zu haben, wie vielmehr in himmlischen! Seid nicht bange, dass sie eine fleischliche sein möchte: die verträgt sich nicht lange mit dem Genuss der Gnade. Eure Erlösung ist eine vollendete Tatsache, etwas ganz gewisses. Gott der Herr weiß es: warum solltet Ihr nicht suchen, es auch zu wissen? Darin liegt nichts Schriftwidriges. Paulus hat nie das Buch des Lebens eingesehen und doch sagt Paulus: Ich weiß und bin gewiss.
Macht's denn zu Eurem täglichen Gebet, dass Ihr im Glauben wachsen mögt. Euerm Glauben wird Euer Friede entsprechen. Je mehr Ihr im Gefühl Eurer Ohnmacht und tiefen Verderbtheit zu Dem das Glaubensauge aufschlagt, der alle unsre Sünde, ja der ganzen Welt Sünde getragen und durch seinen Tod eine ewige Gerechtigkeit, eine nimmer weichende noch hinfallende Gnade uns erworben hat, desto tröstlicher wird Euch die Gewissheit werden: Er ist unser Friede. Der Gerechte wird seines Glaubens leben. Wer aber weichen wird, an dem wird meine Seele keinen Gefallen haben. Wir aber sind nicht von denen, die da weichen und verdammt werden, sondern die da glauben und die Seele erretten.“ (Hebr. 10, 38. 39).
Pflegt diese kostbare Wurzel mehr, und früher oder später sollt Ihr mit Gottes Segen die Blüte haben. Ihr mögt vielleicht die volle Versicherung nicht auf einmal bekommen. Es ist oft gut, ein wenig warten zu müssen. (Hebr. 10, 35-37). Wir sind der Sachen, die wir ohne Anstrengung bekommen, nicht wert. Was lange währt, wird gut. Wer ausharret, wird gekrönt. Bittet, so wird Euch gegeben; suchet, so werdet Ihr finden; klopfet an, so wird Euch aufgetan.“ Ja, liebe Brüder, lasst's Euch doch einmal gesagt sein, bisher habt Ihr nicht gebeten in meinem Namen: „Bittet, so werdet Ihr nehmen, dass Eure Freude vollkommen werde.“ (Joh. 16, 24.)
Etwas anders, das ich Euch noch sagen muss, ist dies: Verwundert Euch nicht, wenn Ihr gelegentlich von Zweifeln angefochten werdet, auch nachdem Ihr die Versicherung erlangt habt. Ihr müsst nicht vergessen, dass wir auf Erden und noch nicht im Himmel sind. Ihr seid noch in dem Leibe des Todes, in welchem die Sünde noch wohnt: das Fleisch wird gelüsten gegen den Geist bis ans Ende hin. Der Aussatz wird nicht eher aus den Mauern des alten Hauses gänzlich weichen, bis der Tod dasselbe niederreißt. Und dazu gibts einen Teufel, einen mächtigen Feind, gegen dessen listige Anläufe und feurige Pfeile kein einziger Christ ohne den Harnisch Gottes und ohne die Macht Seiner Stärke bestehen könnte; der Teufel, der den Herrn Jesum versuchte und den Petrus zum Falle brachte, wird immer darauf aus sein, auch mit Euch Bekanntschaft zu machen. Einige Zweifel werden immer da sein. Wer nie zweifelt, hat nichts zu verlieren. Wer nie. sich fürchtet vor Raub oder Verlust, besitzt nichts wahrhaft Kostbares. Wer nie eifersüchtig ist, weiß wenig von tiefer Liebe. Aber lasst Euch nicht das durch entmutigen: Ihr werdet weit überwinden durch den, der Euch geliebt hat. „Niemand,“ sagt ein alter Gottesgelehrter, hat zu aller Zeit Versicherung. Wie in einem Lustgarten, der von Bäumen beschattet ist, Licht und Schatten abwechselt und einige Stellen und Wege darin dunkel sind, andere sonnenhell; so ist gewöhnlich das Leben der meisten versiegelten Christen.“ Und ein anderer macht hier die Bemerkung, man müsse sehr großen Verdacht haben, dass eine Person, die immer in derselben Haltung und Miene erschiene, ein Heuchler sei, wenn diese auch noch so gut scheint.
Endlich vergesst nicht, dass Heilsgewissheit etwas ist, das wohl eine Zeitlang verloren werden kann, selbst von den trefflichsten Christen, wenn sie nicht darüber wachen.
Es ist ein sehr zartes Pflänzlein, das bedarf täglich, ja stündlich behütet, bewässert, gehegt und gepflegt zu werden. So wacht und betet um so mehr, wenn Ihr sie erlangt habt. Haltet sie hoch, seid ihretwegen immer auf Eurer Hut. Als der Christ, in Bunyans Pilgerreise, schlief, verlor er für eine Zeitlang sein Zeugnis. Haltet das im Sinne und denkt dann auch an das traurige Schicksal der törichten Jungfrauen.
David verlor durch seinen tiefen Fall die Glaubensgewissheit für mehrere Monate. Petrus verlor sie, als er seinen Herrn verleugnete. Beide fanden sie unzweifelhaft wieder: aber nicht anders, als nach. bitterlichem Weinen. Geistliche Verfinsterung kommt an zu Pferde, oft im schnellsten Lauf, und geht weg meistens ganz langsam zu Fuße. Sie sitzt uns auf dem Nacken, ehe wir's wissen, dass sie kommt; sie verlässt uns langsam, stufenweise und erst nach manchem schweren Tag. Es ist leicht, bergabwärts zu Laufen: saure Arbeit aber kostet's, wieder hinauf zu steigen. So denkt an meine Warnung, wenn Ihr die Freude am Herrn noch habt: Wachet und betet!
Zu guter letzt: Betrübt den heiligen Geist nicht! „Damit ihr versiegelt seid auf den Tag der Erlösung!“(Eph. 5, 30.) Dämpft den Geist nicht! (1 Thess. 5, 19.) Erbittert und entrüstet den Geist nicht. (Jes. 63, 10.) Treibt ihn nicht von Euch, indem Ihr mit kleinen Schoßsünden und schlechten Gewohnheiten kapituliert. Kleine Zwistigkeiten zwischen Ehegatten bringen Unglück ins Haus und geringe Nachlässigkeiten im Christenleben werden, wenn sie erkannt und doch zugelassen, eine gewisse Entfremdung zwischen Euch und den heiligen Geist bringen.
So hört denn die Summe des Ganzen:
Der Christ, der mit Gott in Christo in der innigsten Gemeinschaft wandelt, wird im Allgemeinen im größten Frieden erhalten werden. Wer dem Herrn am treusten nachfolgt, wird sich gewöhnlich der am meisten gewissen Hoffnung erfreuen und die klarste Überzeugung von seiner eigenen Seligkeit haben.