Ryle, J. C. - Bist du ein Erbe?
„Denn welche der Geist Gottes treibet, die sind Gottes Kinder. Denn ihr habt nicht einen knechtischen Geist empfangen, daß ihr euch abermal fürchten müßtet; sondern ihr habt einen kindlichen Geist empfangen, durch welchen wir rufen: Abba, lieber Vater! Derselbige Geist gibt Zeugniß unserm Geist, daß wir Gottes Kinder sind. Sind wir denn Kinder, so sind wir auch Erben, nämlich Gottes Erben, und Miterben Christi; so wir anders mit Leiden, auf daß wir auch mit zur Herrlichkeit erhoben werden.“
Röm. 8,14-17.
Leser! Sobald du obenstehende Verse der Heiligen Schrift gelesen hast, fordere ich dich auf, die ernste Frage zu erwägen: „Bist du ein Erbe der Herrlichkeit?
Merke wohl, was ich frage. Ich spreche nicht von Dingen, welche bloß die Reichen, die Großen und die Adeligen angehen. Ich frage nicht, ob du ein Erbe bist von Geld und Land. Ich frage nur, ob du ein Erbe der Herrlichkeit bist?
Das Erbtheil, von dem ich rede, ist das einzige, „welches wirklich des Besitzes werth ist“. Alle andere sind unbefriedigend und unzuverlässig. Sie bringen viele Sorgen mit sich. Sie können ein wundes Herz nicht heilen. Sie können ein beladenes Gewissen nicht erleichtern. Sie können häusliches Leid nicht fernhalten. Sie können Krankheiten, Verluste, Trennungen und Todesfälle nicht verhüten. Aber für die Erben der Herrlichkeit gibt es keinerlei schmerzliche Erfahrung.
Das Erbtheil, von dem ich rede, ist das einzige, „welches man immer behalten kann.“ Alle andern muß man in der Todesstunde zurücklassen, wenn man sie nicht schon vorher verloren hat. Die Besitzer von Millionen können nichts nach jener Seite des Grabes mitnehmen. Also ist es nicht bei den Erben der Herrlichkeit. Ihr Erbtheil währt ewig.
Das Erbtheil, von dem ich rede, ist das einzige, „welches Jedermann zugänglich ist.“ Die meisten Menschen erlangen niemals Reichthümer und Hoheit, wenn sie sich auch ihr Leben lang darum bemühen. Aber Herrlichkeit, Ehre und ewiges Leben werden Jedermann, der sie unter Gottes Bedingungen annehmen will, umsonst dargeboten. „Wer nur will,“ kann ein Erbe der Herrlichkeit werden.
Leser, wenn du Antheil an diesem Erbe zu haben wünschest, so mußt du ein Glied jener großen Familie sein, welcher es gehört, und das ist die Gemeinde der wahren Christen. Du mußt ein Kind Gottes auf Erden werden, wenn du die Herrlichkeit im Himmel zu haben wünschest. Ich schreibe, um dich zu überreden, noch heute ein Kind Gottes zu werden, wenn du es nicht schon bist. Ich schreibe, um dich zu überreden, es dir völlig zu vergewissern, daß du es bist, wenn du etwa jetzt nur eine unsichere Hoffnung hast, und weiter nichts. Nur die wahren Christen sind Kinder Gottes. Nur die Kinder Gottes sind Erben der Herrlichkeit. Schenke mir beine Aufmerksamkeit, wenn ich versuche, dir diese Dinge zu erklären und dir die Lehren darzulegen, welche die Verse, die du schon gelesen, enthalten.
- „Laß mich dir zeigen“ die Verwandtschaft aller wahren Christen mit Gott. Sie sind „Gottes Kinder.“
- „Laß mich dir zeigen“ die besondern Siegel dieser Verwandtschaft.“ Wahre Christen sind diejenigen, welche der Geist Gottes treibet. „Sie haben den kindlichen Geist.“ Sie leiden mit Christo.
- „Laß mich dir zeigen“ die Vorrechte dieser Verwandtschaft. „Wahre Christen sind Gottes Erben und Miterben Christi.“
1.
Zuerst laß mich dir zeigen die Verwandtschaft aller wahren Christen mit Gott. „Sie sind Gottes Kinder.“
Ich kenne keinen erhabeneren und trostreicheren Namen als den „Kind Gottes.“ Ein Knecht Gottes, ein Diener des Herrn, ein Streiter Christi, ein Jünger und Freund des Heilandes sein, ist etwas Großes, aber ein Kind Gottes sein ist mehr. Was sagt die Schrift? „Der Knecht bleibet nicht ewiglich im Hause; der Sohn aber bleibet ewiglich.“ (Joh. 8,35.)
Söhne eines Reichen und Edlen in dieser Welt soll sein oder Sohn eines Fürsten oder Königs gilt als ein Vorrecht. Aber ein Sohn des Königs der Könige, und des Herrn der Herrn, ein Sohn des Allerhöchsten und Allerheiligsten zu sein, welcher in Ewigkeit thronet, das ist das Höchste. Und doch ist dies das Erbtheil jedes wahren Christen.
Der Sohn eines irdischen Vaters erwartet von seinem Vater Liebe, Unterhalt, Versorgung und Erziehung. Eine väterliche Heimath steht ihm immer offen. Eine väterliche Liebe wartet sein, welche kein schlechtes Betragen völlig zu ersticken vermag: Wenn diese Vorzüge schon den Kindern hier auf Erden zugehören, wie groß wird das Vorrecht der armen Sünder sein, welche von Gott sagen können: „Er ist mein Vater!“
Aber wie können sündige Menschen wie du und ich, zu Kindern Gottes werden? Wann treten sie in diese herrliche Verwandtschaft ein? Wir sind nicht Kinder Gottes von Natur. Wir werden nicht dazu geboren, wenn wir zur Welt kommen. Kein Mensch hat ein natürliches Recht, Gott als seinen Vater anzusehen. Man täuscht sich, wenn man das glaubt. Man sagt von Menschen, daß sie zu Dichtern und Malern geboren worden - aber Menschen werden nie als Kinder Gottes geboren. Der Brief an die Epheser sagt uns: „Wir waren Kinder des Zorns von Natur, gleichwie auch die andern.“ (Eph. 2,3.) Der Brief St. Johannis sagt: „Daran wird es offenbar, welche die Kinder Gottes und die Kinder des Teufels sind. Wer nicht recht thut, der ist nicht von Gott, und wer nicht seinen Bruder lieb hat.“ (1 Joh. 3,10.) Der Katechismus der Kirche folgt weislich der Lehre der Bibel und lehrt uns sagen: „Von Natur in Sünden geboren und Kinder des Zorns.“ Ja! wir sind alle eher Kinder des Teufels, als Kinder Gottes. Die Sünde ist in der That erblich und pflanzt sich fort in dem Geschlechte Adams. Die Gnade ist nichts weniger als erblich, und heilige Menschen haben nicht nothwendiger Weise heilige Kinder. Wie denn, und wann kommt diese mächtige Umwandlung über die Menschen? Wann und auf welche Weise werden denn Sünder zu Söhnen und Töchter des Allmächtigen?
Die Menschen werden zu Kindern Gottes an dem Tage, wo der Geist sie treibt an Jesum Christum als den Erlöser zu glauben, und nicht eher. Was sagt die Epistel an die Galater? Ihr seid alle Gottes Kinder durch den Glauben an Christum Jesu.„ (Gal. 3,26.) Was sagt die Epistel an die Corinther? „Von welchem auch ihr herkommt in Christo Jesu.“ (1 Cor. 1,30). Was sagt das Evangelium Johannis? „Wie viele ihn aber aufnahmen, denen gab er Macht, Gottes Kinder zu werden, die an seinen Namen glauben.“ (Joh. 1,12.) Der Glaube vereint den Sünder mit dem Sohne Gottes, und macht ihn zu einem seiner Glieder. Der Glaube macht ihn zu einem von Denen, an welchen der Vater keinen Flecken sieht, die ihm vielmehr wohlgefallen. Der Glaube vereint ihn mit dem geliebten Sohn Gottes und gibt ihm das Recht, unter die Kinder gezählt zu werden. Der Glaube gibt Gemeinschaft mit dem Vater und dem Sohne. Der Glaube pflanzt hinein in des Vaters Familie und öffnet ihm eine Stätte in des Vaters Hause. Der Glaube gibt Leben anstatt des Todes, und macht zum Sohne anstatt zum Knechte. Zeige mir einen Menschen, der diesen Glauben hat, und, welches auch seine Kirche oder seine Denomination sein mag, ich sage, daß er ein Kind Gottes ist.
Leser, dies ist einer der Punkte, welche du niemals vergessen solltest. Du und ich wissen von eines Menschen Kindschaft nichts, „bis das er glaubet.“ Ohne Zweifel sind die Kinder Gottes auserwählt von Ewigkeit an und zur Kindschaft erkoren. Jedoch merke dir, nicht eher bis sie zu ihrer Zeit berufen werden und glauben, - nicht eher kannst du und ich gewiß sein, daß sie Kinder sind. Nicht eher bis sie Buße thun und glauben, freuen sich ihrer die Engel Gottes. Die Engel können nicht im Buch des Lebens lesen. Sie wissen nicht, wer Seine verborgenen Kinder auf Erden sind. Sie erfreuen sich über Niemand, bis er Buße thut und glaubet.
Doch wenn sie irgend einen armen Sünder Buße thun und glauben sehen, dann ist Freude unter ihnen, Freude darüber, daß wieder ein Brand aus dem Feuer gerettet, und wieder ein Sohn und Erbe dem Vater im Himmel geboren ist. Doch ich sage es nochmals: du und ich wissen nichts gewisses von eines Menschen Kindschaft bei Gott, bis er an Christum glaubt.“
Leser, ich warne dich vor der irrigen Vorstellung, daß alle ohne Unterschied Kinder Gottes sind, sie mögen an Christum glauben oder nicht. Das ist eine Ansicht, der heutzutage Viele anhängen, die aber aus Gottes Wort nicht bewiesen werden kann. Es ist ein gefährlicher Traum, mit welchem Viele sich zu beruhigen versuchen, aus dem sie aber am jüngsten Tage schrecklich enttäuscht erwachen werden.
Daß Gott in einem gewissen Sinne der allgemeine Vater der ganzen Menschheit ist; das will ich nicht leugnen. Er ist die große erste Ursache aller Dinge. Er ist der Schöpfer der ganzen Menschheit, und in Ihm allein leben, weben und sind alle Menschen, seien es Christen oder Heiden. Alles das ist ohne Frage wahr. In diesem Sinne sagte Paulus zu den Athenern, ein Dichter unter ihnen hätte richtig gesagt: „Wir sind seines Geschlechts.“ (Apostg. 17,28.) Aber diese Kindschaft gibt Niemanden ein Anrecht an den Himmel. Die Kindschaft, welche wir von der Erschaffung an haben, ist eine, welche Steine, Bäume, Thiere und selbst den Teufeln ebenso gehört, wie uns.
Daß Gott die ganze Menschheit mit einer Liebe des Mitleids und Erbarmens liebt, das leugne ich nicht. Seine herzliche Barmherzigkeit umfaßt alle Seine Werke. Er will nicht, daß Jemand verloren werde, sondern daß sich jedermann zur Buße kehre. Er hat kein Gefallen an dem Tode des Gottlosen. Alles dies gebe ich vollkommen zu. In diesem Sinne sagt uns unser Herr Jesus: „Also hat Gott die Welt geliebt, daß er seinen eingeborenen Sohn gab, auf daß alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben.“ (Joh. 3,16.)
Aber das Gott ein versöhnter und verzeihender Vater für Andere, als für die Glieder Seines Sohnes Jesu Christo ist, und daß irgend Einer zu den Gliedern Jesu Christi gehört, der nicht an Ihn als den Erlöser glaubt, das ist eine Lehre, welche ich durchaus leugne. Die Heiligkeit und die Gerechtigkeit Gottes sind beide gegen diese Lehre. Sie machen es für sündhafte Menschen unmöglich, sich Gott anders als durch einen Mittler zu nahen. Sie sagen uns, daß Gott ohne Christum ein verzehrendes Feuer ist. Der ganze Zusammenhang des Neuen Testaments ist gegen diese Lehre. Dieser Zusammenhang lehrt uns, daß kein Mensch auf Christi Erbe rechnen kann, der Ihn nicht als seinen Mittler aufnehmen und an Ihn als seinen Heiland glauben will. Wo kein Glaube an Christum ist, da ist es eitel Thorheit zu sagen, daß man sich Gottes tröste als seines Vaters. Gott ist Niemanden als den Gliedern Christi ein versöhnter Vater.
Es ist thöricht, die Ansicht, welche ich hier aufstelle, eine engherzige und harte zu schelten. Das Evangelium zeigt Jedermann eine offene Thür. Seine Verheißungen sind groß und umfassend. Seine Einladungen sind dringend und warm. Seine Anforderungen sind einfach und klar. „Glaube nur an den Herrn Jesum Christ, und wer du auch seiest, du sollst selig werden. Aber zu behaupten, daß hochmüthige Menschen, welche dem sanften Joche Christi ihren Nacken nicht beugen wollen, und weltliche Menschen, welche auf ihrem eignen Wege und in ihren Sünden beharren; zu behaupten, daß solche Menschen ein Recht haben auf Christi Erbe, und ein Recht sich Kinder Gottes zu nennen, das ist wahrlich abgeschmackt. Gott erbietet sich, ihr Vater zu sein; aber Er thut es unter gewissen bestimmten Bedingungen: - sie müssen sich ihm durch Christum nahen. Christus erbietet sich ihr Erlöser zu sein; aber indem er es thut, steckt er eine einfache Anforderung: sie müssen ihre Seelen Ihm hingeben und ihre Herzen Ihm schenken. Sie verweigern die Bedingungen und wagen es doch, Gott ihren Vater zu nennen! Sie erfüllen die Anforderung nicht, und wagen es doch, zu hoffen, daß Christus sie erlösen wird! Gott soll ihr Vater sein, aber unter ihren eigenen Bedingungen! Christus soll ihr Heiland sein, aber unter ihren eigenen Bedingungen! Was kann unvernünftiger sein! Was kann hochmüthiger sein! Was kann unheiliger sein, als eine Lehre, wie diese? Hüte dich davor, o Leser, denn es ist eine gewöhnliche Lehre in unseren Tagen. Hüte dich davor, denn sie wird oft trügerisch aufgestellt, und sie klingt gar schön und barmherzig im Munde von Dichtern, Romanschreibern, empfindsamen Männern, und weichherzigen Frauen. Hüte dich davor, es sei denn, du wollest deine Bibel gänzlich bei Seite werfen, und dich selber für weiser halten als Gott. Stehe fest auf dem alten biblischen Boden. Keine Kindschaft bei Gott ohne Christum! Kein Theil an Christo ohne Glauben.“
Wollte Gott, daß nicht so viel Grund zu Warnungen dieser Art vorhanden wäre. Ich habe Ursache zu denken, daß man sie klar und deutlich aussprechen muß. Es bildet sich heutzutage eine theologische Schule, recht augenscheinlich darauf berechnet, den Unglauben zu verbreiten, dem Teufel zu dienen und die Seelen zu verderben. Sie nahet uns wie Joab zu Amasa mit den größten Betheurungen von Liebe und Erbarmung. Nach dieser Theologie ist Gott lauter Barmherzigkeit und Liebe. Seine Heiligkeit und Gerechtigkeit läßt sie ganz aus den Augen! Von der Hölle ist niemals bei ihr die Rede, - sie spricht nur vom Himmel! von der Verdammniß aber spricht sie kein Wort: - sie wird für etwas Unmögliches betrachtet: - alle Menschen sollen erlöst werden! Der Glaube und die Macht des Geistes werden hinweggeflügelt! Jedermann, der irgendwas glaubt, hat den Glauben! hat Recht! Niemand hat Unrecht! Niemand verdient für irgend eine Handlung, die er begeben mag, Tadel! Sie ist die Folge von seiner Lage! Sie ist die Wirkung der Umstände! Er ist für seine Meinungen nicht mehr verantwortlich, als für die Farbe seiner Haut! Er muß sein, was er ist! Die Bibel ist natürlich ein sehr unvollkommenes Buch! Sie ist antiquiert! Sie ist veraltet! Wir können davon gerade soviel glauben, wie uns beliebt, und nicht mehr! Leser, vor dieser Theologie warne ich dich feierlich. Trotz ihrer großen aufgeblasenen Worte über „Freisinnigkeit“ und „Barmherzigkeit“ und „weite Ansichten“ und „neues Licht“ und „Freiheit von Frömmelei“ und so fort, halte ich sie für eine Theologie, welche zur Hölle führt.
Die „Thatsachen“ sind durchaus gegen die Lehren dieser Theologie. Man steige auf die Gipfel der höchsten Berge und betrachte dort die Spuren von Noah's Fluth. Man wandere an die Gestade des todten Meeres und blicke in seine geheimnißvollen bittern Wasser hinab. Man vergegenwärtige sich die Geschichte der Juden, welche nun über die Oberfläche der ganzen Erde zerstreut sind, - und wage es dann zu sagen, daß Gott nur ein Gott der Gnade und Liebe sei, der die Sünder nun und nimmermehr strafe!
Das „Gewissen des Menschen“ ist durchaus gegen diese Lehre. Mögen ihre Anhänger an das Bett irgend eines sterbenden Weltkindes treten, und versuchen es mit denselben zu trösten. Mögen sie zusehen, ob ihre gepriesenen Theorien seine nagende, rastlose Angst wegen der Zukunft beseitigen und ihn befähigen werden, in Frieden zu scheiden. Mögen sie uns, wenn sie können, einige wenige wohl beglaubigte Fälle von Freude und Seligkeit im Tode zeigen ohne Bibel - Verheißungen, ohne Bekehrung, - und ohne jenen Glauben an das Blut Christi, welchen die altmodische Theologie vorschreibt. Ach! wenn die Menschen die Welt verlassen sollen, dann macht das Gewissen mit diesen neuen Systemen wenig Umstände. „Es läßt sich in der Sterbestunde nicht leicht überzeugen, daß solch ein Ding wie die Hölle, nicht existiert.
Jede vernünftige Vorstellung, die wir uns von einem zukünftigen Zustande machen können, ist durchaus gegen diese Lehre. Denkt euch einen Himmel, der die ganze Menschheit aufnimmt! Denkt euch einen Himmel, in welchem die Heiligen und die Unheiligen, die Reinen und die Unreinen, die Guten und die Bösen, alle bei einander wohnen! Welches Band der Gemeinschaft, des Friedens und der Brüderlichkeit, welche gemeinsame Freude, welche gemeinsamen Dienste, welche Einigkeit im Geiste läßt sich für sie denken? Wahrlich, der Verstand empört sich gegen den Gedanken eines Himmels, in welchem kein Unterschied wäre zwischen den Gerechten und den Gottlosen, zwischen Pharao und Moses, zwischen Abraham und den Sodomitern, zwischen Paulus und Nero, zwischen Petrus und Judas Ischariot, zwischen dem Mann, welcher bei der Mordthat oder in der Trunkenheit stirbt und Männern wie Simeon, Stephanus und Jacobus. Wahrlich, eine Ewigkeit in solch einem bunten Gemisch, in solch einer Gesellschaft, wäre schlimmer als die Vernichtung, selbst. Wahrlich, solch ein Himmel wäre nicht besser als die Hölle!
Der „Werth der Heiligung und Sittlichkeit“ ist durchaus gegen diese Lehre. Wenn alle Menschen ohne Unterschied Kinder Gottes sind, wie verschieden sie im Leben sein mögen; - wenn alle auf gleiche Weise in den Himmel kommen: wozu nützt es dann noch, der Heiligung nachzujagen? Welcher Grund bleibt dann, nüchtern, rechtschaffen und fromm zu leben? Was verschlägt es, wie die Menschen wandeln: wenn alle in den Himmel kommen, und Niemand in die Hölle? Wahrlich, selbst die Heiden in Griechenland und Rom könnten uns etwas Besseres und Weiseres lehren als das. Wahrlich, eine Lehre, welche die Heiligkeit und Moralität untergräbt, und allen Grund zur Buße, zum Glauben, Suchen, Kämpfen, Beten, Dulden aufhebt, trägt den Stempel ihres Ursprungs an ihrer Stirne. Sie ist von der Erde und nicht vom Himmel. Sie ist vom Teufel und nicht von Gott.
Die Bibel ist entschieden gegen diese Lehre. Hunderte und Tausende von Schriftstellen ließen sich anführen, welche diesen Theorien schroff entgegengesetzt sind. Diese Stellen müßten sämtlich vertilgt werden, wenn die Bibel zu jenen Irrthümern passen sollte. Damit aber hätte auch die Autorität der ganzen Bibel ein Ende. Und was geben sie uns dafür wieder? Nichts, - gar nichts! Sie nehmen uns das Brod des Lebens, und geben uns dafür nicht einmal einen Stein.
Leser, nochmals warne ich dich vor dieser Theologie. Ich ermahne dich, die Lehre festzuhalten, welche ich in diesem Traktat zu erreichen mich bestrebe. Bedenke, was ich gesagt, und vergiß es niemals. Kein Erbe der Herrlichkeit ohne Kindschaft bei Gott! Keine Kindschaft bei Gott ohne Antheil an Christo! Kein Antheil an Christo ohne deinen eignen persönlichen Glauben! Das ist Gottes Wahrheit. Weiche niemals davon ab.
Wer unter den Lesern dieses Traktats wünscht denn nun zu wissen, ob er ein Kind Gottes ist? Befrage dich noch heute, - und befrage dich im Angesichte Gottes, ob du Buße gethan und im Glauben stehst. Befrage dich, ob du mit Christo durch eigene Erfahrung bekannt und mit ihm im Herzen vereint bist? findest du das nicht an dir, so magst du ganz sicher sein, daß du kein Kind Gottes bist. Du bist noch nicht wiedergeboren. Du beharrst noch in deinen Sünden. Gott ist zwar dein Vater nach der Schöpfung, aber dein versöhnter und verzeihender Vater ist er nicht. Ja! ob Kirche und Welt sich auch vereinigten, dir das Gegentheil zu sagen, – ob Geistlichkeit und Laien sich auch verbünden, dir zu schmeicheln, - Deine Kindschaft ist in den Augen Gottes wenig oder gar nichts werth. laß Gott wahrhaftig sein und jedermann also. Ohne den Glauben an Christum bist du kein Kind Gottes, - bist du nicht wiedergeboren.
Wer ist unter den Lesern dieses Traktats, „der ein Kind Gottes zu werden wünscht?“ Möge er seine Sünden erkennen, und bei Christo Erlösung suchen, und noch heute wird er unter die Kinder gezählt werden. Bekenne nur deine Sündhaftigkeit und ergreife die Hand, welche Jesus heute dir hinhält, und die Kindschaft mit allen ihren Vorrechten ist dein Eigenthum. Bekenne nur deine Sünden und bringe sie zu Christo, und Gott ist treu und gerecht, daß er dir deine Sünden vergibt und reiniget dich von aller Untugend. Heute schon wird das Alte vergehn und alles neu werden. Heute schon wird dir vergeben und verziehen; heute wirst du aufgenommen unter die Geliebten Gottes; heute schon wirst du einen neuen Namen bekommen, den du im Himmel tragen sollst.
Merke dabei, wenn dein Verlangen nach der Kindschaft aufrichtig ist, wenn du wirklich über deine Sünden Leid trägst, mehr als einen bloßen Wunsch hegst, von ihnen frei zu sein, - so gibt's Trost für dich. Es ist Alles wahr, es steht Alles geschrieben in der Bibel, gerade wie ich es hingeschrieben habe. Ich darf keine Schranken zwischen dir und Gott errichten. Noch heute sage: „Ich glaube an den Herrn Jesum Christum“ und du wirst ein Kind Gottes und selig werden.
Wer ist unter den Lesern dieses Traktats, der bereits ein Kind Gottes ist? Freue dich, sage ich, und frohlocke über deine Vorrechte. Freue dich, sage ich, denn du hast große Ursache, dankbar zu sein. Gedenke der Worte des Jüngers, den der Herr lieb hatte: „Sehet, welch eine Liebe hat uns der Vater erzeiget, daß wir Gottes Kinder sollen heißen.“ (Joh. 3,1.) Wie wunderbar, daß der Himmel zur Erde niederblickt, daß der heilige Gott dem sündigen Menschen seine Liebe schenkt und ihn in seine Gemeinschaft aufnimmt! Was liegt daran, daß dich die Welt nicht kennt! Was liegt daran, daß die Weltkinder über dich lachen und deinen Namen verlästern! Laß sie lachen, laß sie spotten! Gott ist dein Vater. Du brauchst sich nicht zu schämen. Der König kann adeln. Die Bischöfe können Geistliche ordinieren. Aber die Könige, die Herren, die Minister, Bischöfe - alle zusammen können aus eigner Macht nicht einen Einzigen zu einem Kinde Gottes machen. Wer Gott seinen Vater und Christum seinen Bruder nennen darf, der braucht sich, mag er arm und niedrig sein, nirgends zu schämen.
2.
Laß mich dir zweitens zeigen, „die besondern Siegel der Verwandtschaft mit Gott.“
Wie kann man seiner Kindschaft gewiß werden? Wie kann man es erkennen, daß man durch den Glauben zu Christo gekommen, daß man wiedergeboren ist? Welches sind die Merkmale und Kennzeichen der Kinder Gottes? Dieses ist eine Frage, welche Alle, die das ewige Leben wünschen, sich vorlegen sollten. Dieses ist eine Frage, auf welche die Verse der heiligen Schrift, zu deren Betrachtung ich dich auffordere, eine Antwort ertheilen.
1. Die Kinder Gottes werden von Seinem Geiste getrieben.“ Was sagt die Schrift? „Welche der Geist Gottes treibet, die sind Gottes Kinder.“ (Röm. 8,14.)
Sie stehen alle unter der Leitung und Führung einer allmächtigen, wenngleich unsichtbaren Gewalt, nämlich der des heiligen Geistes. Sie gehen nicht mehr ein Jeder seinen eigenen Weg, und wandeln nicht mehr ein Jeder im Lichte seiner eigenen Augen, und folgen nicht mehr ein Jeder dem Hange seines eigenen natürlichen Herzens. Der Geist leitet sie. Der Geist führt sie. In ihren Herzen, ihrem Leben und ihren Neigungen ist eine Bewegung, welche sie fühlen, wenn sie sie auch nicht zu erklären vermögen, eine Bewegung, welche sie stets mehr oder weniger nach oben hintreibt. Sie werden abgelenkt von der Sünde, abgelenkt von der Selbstgerechtigkeit, - abgelenkt von der Welt. Das ist der Weg, auf welchem der Geist die Kinder Gottes führt. Diejenigen, welche Gott annimmt, belehrt und erzieht Er. Er zeiget ihnen ihr eigenes Herz. Er macht sie ihres eigenen Wandels müde. Er läßt sie nach innerem Frieden dürsten.
Sie werden hingelenkt zu Christo. Sie werden hingelenkt zur Bibel. Sie werden hingelenkt zum Gebet. Sie werden hingelenkt zur Heiligung. Dieses ist der sichere Pfad, auf welchem der Geist sie leitet. Diejenigen, welche Gott annimmt, heiligt er stets. Er macht ihnen die Sünden bitter. Er macht ihnen die Heiligung süß.
Es ist der h. Geist, welcher sie zum Sinai führt und ihnen zuerst das Gesetz zeigt, auf daß ihre Herzen getroffen werden. Er ist es, welcher sie zur Schädelstätte führt und ihnen das Kreuz zeigt, auf daß ihre Herzen verbunden und geheilt werden. Er ist es, welcher sie auf den Berg Nebo führt und ihnen das verheißene Land von ferne zeigt, auf daß ihre Herzen erfreuet werden. Wenn sie in die Wüste versetzt werden und ihre eigene Leere erkennen, so geschieht es durch den h. Geist. Wenn sie den Tabor besteigen und durch den Anblick der zukünftigen Herrlichkeit erquickt werden, so geschieht es durch den h. Geist. Alle Kinder Gottes stehen unter seiner Leitung. Alle geben sich ihm willig hin. Alle werden auf rechter Straße zum Hause des Herrn geführt, um in demselben zu bleiben immerdar.
2. Alle Kinder Gottes „haben kindliche Gefühle gegen ihren Vater im Himmel.“ Was sagt die heil. Schrift? Ihr habt nicht einen knechtischen Geist empfangen, daß ihr euch abermals fürchten müßtet; sondern einen kindlichen Geist empfangen, durch welchen wir rufen: Abba, lieber Vater!„ (Röm. 8,15.)
Die Kinder Gottes sind erlöst von jener sclavischen Furcht vor Gott, welche die Sünde im natürlichen Herzen erzeugt. Sie sind von jenem Schuldbewußtsein erlöst, welches den Adam veranlaßte, sich hinter den Bäumen des Gartens zu verbergen und den Cain vor dem Antlitz des Herrn zu fliehen. Sie sind nicht mehr bange vor Gottes Heiligkeit, Gerechtigkeit und Majestät. Sie haben nicht mehr das Gefühl, als ob eine tiefe Kluft oder eine Scheidewand zwischen ihnen und Gott bestände, - und als ob Gott über sie zürne, und wegen ihrer Sünden zürnen müsse. Von diesen Ketten und Fesseln der Seele sind die Kinder Gottes erlöst.
Ihre Gefühle gegen Gott sind jetzt diejenigen des Friedens und Vertrauens. Sie erblicken in Ihm einen in Christo versöhnten Vater. Sie blicken auf Ihn als einen Gott, dessen Forderungen alle durch ihren großen Mittler und Friedensfürsten, den Herrn Jesus erfüllt sind; - als einen Gott, der gerecht ist, und doch der Rechtfertiger eines jeden, der an Jesum glaubt; als einen Vater, dem sie mit Zuversicht nahen können; als einen Vater, zu dem sie mit Freimüthigkeit reden können. Sie haben den Geist der Knechtschaft mit demjenigen der Freiheit vertauscht, und den Geist der Furcht mit demjenigen der Liebe. Sie wissen, daß Gott heilig ist, aber sie sind nicht bange. Sie wissen, daß sie Sünder sind, aber sie sind nicht verzagt. Obschon Gott heilig ist, glauben sie, daß sie Ihm vollkommen versöhnt sind. Obschon daß sie Sünder, glauben sie, Jesum Christum ganz angezogen zu haben. Das ist das Gefühl der Kinder Gottes.
Ich gebe zu, daß einige von ihnen dieses Gefühl lebhafter empfinden als andere. Einige von ihnen tragen sich noch mit den Gebrechen und Resten des alten Geistes der Knechtschaft bis zu ihrem Sterbetage. Viele von ihnen bekommen von Zeit zu Zeit noch Anfälle und Zuckungen von der Plage des alten Menschen, der Furcht. Aber sehr wenige Kinder Gottes findet man, welche nicht genau befragt erklären werden, daß, seitdem sie Christum kennen, sie ganz andere Gefühle gegen Gott hegen, als vorher. Sie haben ein Gefühl, als ob so etwas wie die Annahme an Kindes Statt zwischen ihnen und ihrem Vater im Himmel vorgegangen wäre. Es ist ihnen, als ob Er zu ihnen gesagt: „Willst du mein Sohn sein?“ und als ob ihr Herz geantwortet: „Ich will es.“
Versuche, o Leser, dieses auch zu erfassen und nicht wieder loszulassen. Die Kinder Gottes sind eine Schar, welche gegen Gott ganz andere Gefühle hegt, als die Kinder der Welt. Sie fühlen vor Ihm keine knechtische Furcht mehr. Sie fühlen, daß er für sie ein versöhnter Vater ist. Dieses also ist ein zweites Merkmal der Kindschaft.
3. Die Kinder Gottes tragen das Zeugniß des Geistes in ihrem Gewissen.“ Was sagt die heilige Schrift? „Derselbige Geist gibt Zeugniß unserm Geist, daß wir Gottes Kinder sind.“ (Röm. 8, 16.)
Sie haben alle ein gewisses Etwas in ihren Herzen, welches ihnen sagt, daß eine Verwandtschaft zwischen ihnen und Gott besteht. Sie fühlen Etwas, das ihnen sagt, daß das Alte vergangen und Alles neu geworden, daß die Schuld erlassen, daß der Friede zu Stande gekommen, daß die Thür des Himmels aufgethan und die der Hölle geschlossen ist. Kurz, sie haben, was die Weltkinder nicht haben, - eine wohlempfundene, bestimmte, gegründete Hoffnung. Sie haben was Paulus das „Pfand“ und „Siegel“ des Geistes nennt.(2 Cor. 1,22. Eph. 1,13.)
Leser, ich läugne keinen Augenblick, daß dieses Siegel des Geistes außerordentlich verschieben ist in Betreff der Ausdehnung, in welcher die Kinder Gottes es besitzen. Bei Einigen ist es ein lautes, klares, klingendes, deutliches Zeugniß des Gewissens: „Ich bin Christi und Christus ist mein.“ Bei andern ist es ein kleines, schwaches, stammelndes Flüstern, welches der Teufel und das Fleisch oft übertönen. Einige der Kinder Gottes eilen auf ihrem Wege zum Himmel mit den vollen Segeln der Zuversicht. Andere werden auf ihrer Fahrt hin und her getrieben, und wollen kaum glauben, daß sie den Glauben haben. Doch frage eines der geringsten und niedrigsten unter den Kindern Gottes, ob es das Wenige von frommer Hoffnung, welches es erlangt hat, aufgeben will? Frage es, ob es sein Herz mit allen seinen Zweifeln und Kämpfen, seiner Noth und Furcht, umtauschen möchte gegen das Herz eines durchaus weltlichen und leichtsinnigen Menschen? Frage es, ob es zufrieden wäre, umzukehren und dasjenige, was es erlangt hat, von sich zu werfen und zur Welt zurückzukehren? Wer kann an der Antwort zweifeln? „Ich kann es nicht,“ würde es erwidern, ich weiß nicht, ob ich den Glauben habe; ich fühle mich nicht sicher, ob ich in der Gnade stehe; aber ich habe Etwas in mir, wovon ich mich nicht trennen möchte. Und was ist denn dieses „Etwas?“ Ich will's dir sagen, es ist das Zeugniß des Geistes.
Leser, versuche auch das zu verstehen. Die Kinder Gottes haben das Zeugniß des Geistes in ihrem Gewissen. Dies ist ein anderes Merkmal der Kindschaft.
4. Noch Eines laß mich hinzufügen. Alle Kinder Gottes „haben Theil an dem Leiden mit Christus.“ Was sagt die heilige Schrift?
„Sind wir denn Kinder, so sind wir auch Erben, nämlich Gottes Erben und Miterben Christi; so wir anders mitleiden.“ (Röm. 8, 17.)
Alle Kinder Gottes haben ein Kreuz zu tragen. Sie haben um des Evangeliums Willen Anfechtung, Noth und Betrübniß durchzumachen. Sie haben Anfechtung zu bestehen von der Welt, Anfechtung vom Fleische, Anfechtung vom Teufel. Sie haben Anfechtung ihres Gefühls zu bestehen von Verwandten und Freunden, harte Worte, hartes Benehmen und Hartes Urtheil. Sie haben Anfechtung in Betreff ihres guten Rufs zu bestehen; - Verläumdung, Verlästerung, Spott, Andichtung falscher Beweggründe; - Aus dieses stürmt auf sie ein. Sie haben Anfechtung in Betreff ihres weltlichen Vortheils zu bestehen. Sie haben oft zu wählen, ob sie den Menschen gefallen wollen und die Herrlichkeit drob verlieren, oder die Herrlichkeit droben gewinnen und die Menschen beleidigen. Sie haben Anfechtungen, welche aus ihrem eigenen Herzen kommen. Sie haben gewöhnlich ein Jeder seinen besondern Pfahl im Fleisch - seinen besondern Teufel, welcher ihr schlimmster Feind ist. Das ist die Erfahrung der Kinder Gottes.
Einige von ihnen leiden mehr, andere weniger. Einige von ihnen leiden auf diese Weise, andere auf jene. Gott mißt ihnen ihr Theil zu, gleich einem weisen Arzte, und er kann nicht irren. Aber niemals, glaube ich, gab es ein einziges Kind Gottes, welches ohne Kreuz das Paradies erreichte.
Leiden ist die Speise in des Herrn Familie. „Welchen der Herr lieb hat, den züchtiget Er.“ „Seid ihr ohne Züchtigung, dann seid ihr Bastarde und keine Kinder. Durch viele Trübsale müssen wir in das Reich Gottes gehen.“ Als Bischof Latimer von seinem Wirth hörte, daß derselbe niemals in Noth gewesen, da sagte er: „Dann kann Gott nicht hier sein.“
Leiden ist ein Theil der Cur, durch welche die Kinder Gottes geheiligt werden. Sie werden gezüchtigt, um sie von der Welt zu entwöhnen und zu Theilhabern an Gottes Heiligkeit zu machen. Der Herzog ihrer Seligkeit wurde durch Leiden vollkommen gemacht, und so müssen sie es auch werden. Noch niemals gab es einen Heiligen, welcher nicht entweder große Trübsale oder große Versuchungen erfuhr. Richtig sagte Melanchthon: „Wo es keine Leiden gibt, da gibt es gewöhnlich auch keine Gebete.“
Leser, versuche auch dieses deinem Herzen einzuprägen. Die Kinder Gottes haben alle ein Kreuz zu tragen. Ein leidender Heiland hat gemeiniglich leidende Jünger. Der Bräutigam war ein Mann der Schmerzen. Die Braut darf kein Weib der Freude sein, das keinen Kummer kennt. Selig sind, die da Leide tragen. Laßt uns nicht über das Kreuz murren. Es ist auch ein Zeichen der Kindschaft.
Leser, ich warne dich, dich für ein Kind Gottes zu halten, wenn du nicht die biblischen Kennzeichen der Kindschaft hast. Hüte dich vor einer Kindschaft ohne Zeugnisse. Nochmals sage ich: hüte dich! Wenn Einer mir keinen Trieb des Geistes zu zeigen hat, - von keinem Geiste der Kindschaft zu reden weiß, - von keinem Zeugniß des Geistes in seinem Gewissen, von keinem Kreuz in seiner Erfahrung - ist der ein Kind Gottes? Gott verhüte, daß ich ihn so nenne! Sein Haus ist nicht das Haus der Kinder Gottes. Er ist kein Erbe der Herrlichkeit.
Sage mir nicht, daß du getauft bist und im Catechismus der Kirche unterwiesen, und deshalb ein Kind Gottes sein mußt. Ich sage dir, daß das Gemeinde - Register nicht das Buch des Lebens ist. Das „Absterben des alten und die Auferstehung des neuen Menschen“ ist es, was die Sünder zu „Kindern der Gnade“ macht. Wenn du dieses nicht aus Erfahrung kennst, so bist du kein Kind Gottes.
Sage mir nicht, daß du ein Glied der Kirche Christi bist und deshalb ein Kind Gottes sein mußt. Ich antworte dir, daß die Kinder der Kirche nicht nothwendig Kinder Gottes sind. Solche Kindschaft ist nicht die Kindschaft des 5ten Capitels im Römerbrief. Diese letztere allein ist die Kindschaft, welche du haben mußt, wenn du erlöst werden sollst.
Und nun zweifle ich nicht, daß mancher Leser dieses Traktats zu wissen wünschen wird, ob er nicht ohne das Zeugniß des Geistes selig werden kann.
Ich antworte, wenn du unter dem Zeugniß des Geistes die volle Zuversicht der Hoffnung verstehst, so magst du auch also ohne Zweifel selig werden. Aber wenn du wissen willst, ob Einer ohne irgend welches innere Bewußtsein, ohne Hoffnung des Heils selig werden kann, so antworte ich im Allgemeinen nicht. Ich ermahne dich offen, alle Unsicherheit über Deinen Zustand vor Gott wegzuthun und deine Berufung fest zu machen. Mache dir deine Stellung zu Gott klar. Glaube nicht, daß ein stetes Zweifeln etwas Lobenswerthes sei. Ueberlasse das dem Katholiken. Wähne nicht, daß es weise sei zu leben gleich Isaschar, der sich zwischen die Grenzen lagert. „Gewißheit,“ sagte ein alter Lehrer, „kann erlangt werden, und was haben wir gethan, da wir Christen wurden, wenn wir sie nicht erlangt haben?“
Ich zweifle nicht, daß einige wahre Christen, welche diesen Traktat lesen, ihr Zeugniß der Kindschaft für zu schwach halten und harte Worte gegen sich selber richten werden. Laß mich versuchen sie zu trösten. Wer gab euch die Gefühle, welche ihr besitzt? Wer hieß euch die Sünde hassen? Wer hieß euch Christum lieben? Wer hieß euch mit Furcht und Zittern schaffen, daß ihr selig werdet? Woher kamen diese Gefühle? Kamen sie von der Natur? Es gibt keine solche Wirkungen in dem Herzen des natürlichen Menschen. Kamen sie vom Teufel? Der möchte solche Gefühle gern gänzlich ersticken. Darum sei fröhlich und gutes Muths.
Fürchtet euch nicht und seid nicht niedergeschlagen. Dringet vorwärts und fahret fort. Es ist doch Hoffnung für euch da. Ringet, arbeitet, suchet, bittet, klopfet an. Laßt nicht nach. Ihr werdet sehen, daß ihr Gottes Kinder seid!
3.
Laß mich dir endlich zeigen „die Vorrechte der Verwandtschaft mit Gott.“
Nichts Herrlicheres kann man sich denken, als die Aussichten der Kinder Gottes. Die Worte der heil. Schrift, welche an der Spitze dieses Traktats stehen, enthalten eine reiche Fundgrube heilsamer und tröstlicher Wahrheiten. „Sind wir denn Kinder,“ sagt Paulus, „so sind wir auch Erben, nämlich Gottes Erben und Miterben Christi, auf daß wir auch mit zur Herrlichkeit erhoben werden.„ (Röm. 8,17.) Die wahren Christen sind also Erben. Für sie alle ist etwas bestimmt, welches noch offenbar werden soll.
Sie sind „Gottes Erben.“ - Erben der Reichen auf Erden zu sein, das ist schon etwas. Wie viel mehr ist es aber, Kind und Erbe des Königs der Könige zu sein!
Sie sind „Miterben Christi.“ Sie sollen Seiner Majestät theilhaftig werden und Seine Herrlichkeit mitgenießen. Sie sollen mit Ihm zusammen verherrlicht werden.
Und dieses, bedenke es, gilt allen Kindern. Abraham versorgte alle seine Kinder und Gott versorgt die Seinigen auch - keines von ihnen wird enterbt. Keines wird verstoßen. Keines wird abgewiesen. Jedes wird sein Bestimmtes bekommen und ein Erbtheil erhalten, an dem Tage, wo der Herr viele Kinder zur Herrlichkeit führt.
Leser, wer vermag die Fülle des Erbtheils der Heiligen im Lichte zu schildern? Wer kann die Herrlichkeit malen, welche den Kindern Gottes ertheilt werden soll? Die Worte dazu fehlen uns. Die Sprache reicht nicht aus. Der Geist vermag sie nicht zu fassen, und die Zunge vermag sie nicht auszusprechen. O! es ist ein wahres Wort, welches der Apostel Johannes spricht: „Es ist noch nicht erschienen, was wir sein werden.“ (1 Joh. 3,2.)
Die Bibel selber lüftet den Schleier nur ein wenig, welcher über diesem Gegenstand ruhet. Wie könnte sie mehr thun? Wir könnten ja nicht mehr verstehen, wenn mehr gesagt worden wäre. Unser Verstand ist noch zu irdisch, - unser Begriffsvermögen ist noch zu fleischlich, um ein Mehres zu würdigen, wenn wir es hätten. Die Bibel behandelt meistens diesen Gegenstand in verneinenden und nicht in bejahenden Ausdrücken. Sie beschreibt, was in dem Erbe der Herrlichkeit nicht sein wird, Damit wir also eine schwache Vorstellung bekommen von dem, was uns bereitet ist. Sie weist auf das Nichtvorhandensein gewisser Dinge hin, damit wir den Segen der vorhandenen ahnen. Sie sagt uns, daß das Erbe unvergänglich, unbefleckt und unverwelklich ist. Sie sagt uns, daß die Krone der Herrlichkeit unvergänglich ist. Sie sagt uns, daß der Teufel gebunden, daß keine Nacht mehr sein wird und kein Schmerz, daß der Tod in den feurigen Pfuhl geworfen, daß alle Thränen getrocknet werden, und daß der Erbe der Herrlichkeit nicht mehr sagen wird: „Ich bin krank.“ Das sind köstliche Dinge in der That! Kein Verderben! - Kein Vergehen! - Kein Dahinschwinden! - Kein Teufel! - Keine Sünde! - Kein Kummer! - Keine Thränen! - Kein Kranksein! - Kein Tod! Wahrlich, der Herr schenkt seinen Kindern voll ein!
Jedoch, o Leser, es werden uns von der Herrlichkeit, welche der Kinder Gottes wartet, auch bestimmte Dinge gesagt, die nicht zu übersehen sind. Es gibt viele süße, liebliche und unaussprechliche Tröstungen in ihrem künftigen Erbe, welche alle wahren Christen wohl erwägen sollten. In vielen Worten und Ausdrücken der H. Schrift sind Labsale für schmachtende Pilger enthalten, welche du und ich für die Zeit der Noth bewahren sollten.
Ist „das Wissen“ uns hier schon angenehm? Ist das Wenige, welches mir von Gott und Christo und der Bibel wissen, unsern Seelen kostbar und verlangt uns nach mehr? Wir werden es vollständig bekommen in der Herrlichkeit. Was sagt die h. Schrift? „Dann aber werde ich es erkennen, gleich wie ich erkannt bin.“ (1 Cor. 13,12.) Gelobt sei Gott, dann wird keine Uneinigkeit mehr unter den Gläubigen sein! Lutheraner und Reformirte, Separatisten und Unirte, Anhänger der Kindertaufe und Vertheidiger der Taufe der Erwachsenen, Ale werden endlich die Wahrheit erkennen, gleichwie sie erkannt sind. Die frühere Unwissenheit wird verschwunden sein. Wir werden uns verwundern, wie kindisch und blind wir gewesen.
Ist „die Heiligkeit“ uns hier schon angenehm? Ist die Sünde die Bürde und Bitterkeit unseres Lebens? Verlangt uns nach völliger Aehnlichkeit mit Gottes Ebenbild? Wir werden sie in der Herrlichkeit vollkommen besitzen. Was sagt die h. Schrift? „Christus hat sich selbst für die Gemeine gegeben, auf daß er sie ihm selbst darstellete eine Gemeine, die da herrlich sei, die nicht habe einen Flecken oder Runzel oder des etwas, sondern daß sie heilig sei und unsträflich.“ (Eph. 5,27.) O welche Seligkeit, der Sünde auf ewig Lebewohl gesagt zu haben! O wie wenig leisten die Besten unter uns gegenwärtig! O welch unaussprechliche Verderbtheit klebt an allen unsern Beweggründen, allen unsern Gedanken, allen unsern Worten, allen unsern Handlungen! O wie viele von uns sind wie Naphtali, nur in unsern Worten schön, aber wie Ruben leichtfertig in unsern Werken! Gott sei Dank, alles das wird anders werden!
Ist „die Ruhe“ uns hier schon angenehm? Fühlen wir uns oft ermattet, wenn wir vorwärts streben? Sehnen wir uns nach einer Welt, wo wir nicht stets zu wagen und zu kämpfen brauchen? Wir werden sie vollständig haben in der Herrlichkeit. Was sagt die h. Schrift? „Darum ist noch eine Ruhe vorhanden dem Volk Gottes.“ (Hebr. 4,9.) Der tägliche, stündliche Kampf mit der Welt, dem Fleisch und dem Teufel wird endlich vorbei sein. Der Feind wird gebunden liegen. Aller Krieg ein Ende haben. Die Bösen werden endlich ablassen vom Quälen. Die Müden werden endlich zur Ruhe kommen. Es wird eine große Stille werden.
Ist „das Dienen“ uns hier angenehm? Finden wir es süß für Christus zu wirken, und seufzen doch unter der Last eines schwachen Körpers? Ist unser Geist oft willig, aber gehemmt und gefesselt durch das armselige, schwache Fleisch? Wird unser Herz warm, wenn es uns gestattet war einen Trunk fühlenden Wassers um Christi Willen zu reichen, und haben wir darüber geseufzt, daß wir unnütze Knechte sind? Wir dürfen uns trösten. Wir werden im Stande sein, in der Herrlichkeit vollkommen zu dienen, und ohne Ermüdung. Was sagt die Schrift? „Sie dienen ihm Tag und Nacht in seinem Tempel.“ (Offenb. 7, 15.)
Ist die „volle Genüge“ uns hier angenehm? Finden wir die Welt leer? Sehnen wir uns danach, jede leere Stelle und Lücke in unserm Herzen auszufüllen? Wir werden es vollkommen erlangen in der Herrlichkeit. Wir werden nicht länger über Risse in all unsern irdischen Gefäßen zu klagen haben, und über Dornen an all unsern Rosen, und über bittere Hefe in all unsern süßen Bechern. Wir werden nicht länger mit Jonas über einen vertrockneten Kürbis jammern. Wir werden nicht länger mit Salomo sagen: „Es ist alles ganz eitel.“ Wir werden nicht länger mit dem greisen David rufen: „Ich habe alles Dinges ein Ende gesehen.“ Was sagt die h. Schrift? „Ich will satt werden, wenn ich erwache nach deinem Bilde. (Psalm 17, 15.)
Ist „die Gemeinschaft der Heiligen“ uns hier angenehm? Fühlen wir uns niemals so glücklich als wenn wir mit den Kindern Gottes und den Stillen im Lande zusammen sind? Fühlen wir uns niemals so zu Hause wie in ihrer Gesellschaft? Wir werden sie vollkommen in der Herrlichkeit haben. Was sagt die h. Schrift? „Des Menschen Sohn wird seine Engel senden; und sie werden sammeln aus seinem Reich alle Aergernisse, und die da Unrecht thun. Und er wird senden seine Engel mit hellen Posaunen; und sie werden sammeln seine Auserwählten von den vier Winden, von einem Ende des Himmel zum andern.“ (Matth. 13,41; 24,31.) Gelobt sei Gott! wir werden alle die Heiligen sehen, von denen wir in der Bibel gelesen und in deren Fußstapfen wir zu wandeln versucht haben. Wir werden die Apostel, Propheten, Patriarchen, Märtyrer, Reformatoren, Missionare und Prediger sehen, deren die Welt nicht werth war. Wir werden das Antlitz derer sehen, welche wir auf Erden in Christo gekannt und geliebt haben, und über deren Hintritt wir bittere Thränen vergossen haben. Wir werden sie herrlicher und seliger wiedersehen, als wir sie jemals gesehen haben. Und was das Beste von Allem ist, wir werden sie ohne Angst und ohne Furcht vor einer abermaligen Trennung sehen. In der Herrlichkeit gibt es keinen Abschied, keinen Tod.
Ist “ die Gemeinschaft mit Christo“ uns hier angenehm? Ist uns Sein Name ein köstliches Gut? Fühlen wir unser Herz bei dem Gedanken an die gekreuzigte Liebe in uns erglühen? Wir werden vollständige Gemeinschaft mit ihm in der Herrlichkeit haben. „Wir werden bei dem Herrn sein allezeit.“ (1 Thess. 4,17.) Wir werden bei Ihm im Paradiese sein. Wir werden sein Antlitz im Himmelreich schauen. Unsere eignen Augen werden seine durchgrabenen Hände und Füße schauen, und jenes Haupt, welches mit Dornen gekrönt wurde. Wo er ist, da werden die Kinder Gottes sein. Wenn Er kommt, dann werden sie zu Ihm kommen. Wenn Er sich niederläßt auf dem Throne Seiner Herrlichkeit, dann werden sie zu seiner Seite stehen. Selige Aussicht das! Ich bin ein sterbender Mensch in einer sterbenden Welt! Alles ist finster vor mir! Die zukünftige Welt ist ein unbekannter Hafen! Aber Christus ist dort und das genügt mir. Wahrlich, wenn auf Erden Ruhe und Frieden denen zu Theil wird, welche Ihm im Glauben nachfolgen, dann wird noch größere Ruhe und herrlicher Frieden uns werden, wenn wir Ihn von „Angesicht zu Angesicht“ sehen. Wenn wir es gut gefunden haben, der Rauch- und Feuersäule in der Wüste nachzufolgen, so werden wir es tausendmal besser finden, uns mit unserm Josua in unserm ewigen Erbe anzubauen.
Ach! Leser, wenn du noch nicht zu den Kindern und Erben gehörst, so bedaure ich dich von ganzem Herzen. Wie vieles entgeht dir! Wie wenig wahren Trost genießest du! Du strebst vorwärts, du mühest dich ab, du erschöpfst dich für irdische Zwecke, die du doch nie erreichst; du jagst dem Schatten nach, der vor dir flieht; du wunderst dich, daß du nicht glücklich bist, und doch weigerst du dich, die Ursache davon zu erkennen; du bist hungrig, durstig und leer, und doch blind für die Fülle in deinem Bereich. O daß du doch weise würdest! daß du doch auf die Stimme Christi hörtest und von Ihm lerntest.
Leser, wenn du einer von denen bist, welche Kinder und Erben sind, dann darfst du dich wohl freuen und fröhlich sein. Du darfst wohl warten gleich dem Knaben Geduld in der Pilgerreise. Dein Bestes kommt noch! - Du hast Grund, alles Kreuz ohne Murren ertragen. Dein Kummer währt nur einen Augenblick. Die Leiben dieser Zeit sind nicht werth der Herrlichkeit, die an uns soll geoffenbart werden. Wenn Christus unser Leben sich offenbart, dann wirst auch du offenbar werden mit Ihm in der Herrlichkeit. Du kannst den Uebertreter und sein Glück ohne Neid ansehen. Du bist der wahre Reiche. Richtig sagte ein sterbender Gläubiger meiner eignen Gemeinde: „Nun bin ich reicher, als ich je in meinem Leben war.“ Du kannst sprechen wie Mephiboseth zu David sprach: „Nehme es die Welt auch gar dahin, da mein Herr König mit Frieden heimgekommen ist.“ Du kannst sagen was Alexander sagte, als er alle seine Reichthümer fortgab, und man ihn fragte, was er für sich behielt: „Ich behalte meine Hoffnung.“ Du brauchst dich nicht vor Krankheit zu fürchten. Deine unsterbliche Hälfte ist sicher und geschützt vor Allem, was deinem Körper zustößt. Du darfst ruhig dem Tode entgegen sehen. Er öffnet das Thor zwischen dir und deinem Erbtheil. - Du brauchst dich nicht zu betrüben über Dinge dieser Welt, über Trennungen und Beraubungen, - über Verluste und Widerwärtigkeiten. Der Tag der Rettung ist nahe. Dein Schaf ist außer dem Bereiche des Räubers. Der Himmel wird jedes Jahr voller von denen, die du liebst, und die Erde leerer. Frohlocke über dein Erbtheil. Es ist ganz dein, wenn du ein Kind Gottes bist. „Denn so wir Kinder sind, sind wir auch Erben.“
Und nun, Leser, zum Schlusse dieses Traktats laß mich dich fragen: „Wes Kind bist du?! Bist du ein Kind der Natur oder der Gnade? Bist du ein Kind des Teufels oder Kind Gottes? Du kannst nicht beides zugleich kein. Was bist du?
Entscheide die Frage, Leser, denn du mußt am Ende entweder als das eine oder das andere sterben. Entscheide sie, Leser, denn sie kann entschieden werden, und es ist Thorheit, sie zweifelhaft zu lassen. Entscheide sie, denn die Zeit ist kurz, die Welt alt, und du näherst dich schnell dem Richterstuhl Christi. Entscheide sie, denn der Tod ist nahe, der Herr kommt, und wer kann sagen, was der morgende Tag bringt! O, daß du nicht ruhetest, bis diese Frage entschieden ist! O, daß du nicht wartetest, bis du sagen kannst: „Ich bin wiedergeboren, ich bin ein Kind Gottes!“
Leser, wenn du noch kein Kind und Erbe Gottes bist, so laß mich dich dringend bitten, ohne Verzug es zu werden. Möchtest du reich sein? Unerforschlicher Reichthum ist in Christo. Möchtest du ein Herr sein? Du sollst ein König werden. Möchtest Du glücklich sein? Du wirst einen Frieden genießen, der höher ist als alle Vernunft und den die Welt nicht geben, nicht nehmen kann. O komm her und nimm das Kreuz auf dich und folge Christo nach! Komm hervor unter den Gedankenlosen und Weltlichen, und höre das Wort des Herrn: „Ich will euch annehmen und euer Vater sein, und ihr sollt meine Söhne und Töchter sein, spricht der alle mächtige Herr.“ (2 Cor. 6,18.)
Leser, „wenn du ein Kind Gottes bist, so bitte ich dich, zu wandeln, wie es sich für deines Vaters Haus gebührt.“ Ich fordere dich ernstlich auf, Ihn zu ehren in deinem Leben, und vor Allem Ihn zu ehren durch unbedingten Gehorsam gegen alle Seine Gebote, und durch herzliche Liebe zu allen Seinen Kindern. Bemühe sich durch die Welt zu gehen wie ein Kind Gottes und Erbe der Herrlichkeit. Mache, daß man eine Familienähnlichkeit zwischen dir und ihm, der dich erzeugt hat, erkenne. Führe ein himmlisches Leben. Trachte nach dem, was droben ist. Gleiche denen nicht, die ihr Nest hienieden bauen. Benimm dich wie Jemand, der eine unsichtbare Stadt sucht, dessen Bürgerthum im Himmel ist, und der sich viele Drangsale gefallen läßt, bis er heim kommt.
Bemühe dich, „dich als ein Kind Gottes zu fühlen“ in jeder Lage, in welche du versetzt wirst. Vergiß niemals, daß du auf deines Vaters Grund und Boden bist, so lange du hier auf Erden lebst. Vergiß niemals, daß dir eines Vaters Hand alle Freuden und alles Leid sendet. Wirf alle Sorgen auf Ihn. Freue dich und sei fröhlich in Ihm! Wie kannst du je traurig sein, da du des Königs Kind bist? Weshalb sollen die Menschen, wenn sie auf dich blicken, jemals zweifeln, ob es ein lieblich Ding ist, eines von Gottes Kindern zu sein?
Bemühe dich „dich gegen andere wie ein Kind Gottes zu benehmen“. Sei tadellos und harmlos in deinem Leben und gegen deine Mitmenschen. Sei friedfertig unter Allen, die du kennst. Suche für deine Kinder vor allen andern Dingen die Kindschaft bei Gott. Suche für sie eine Erbschaft im Himmel, was du auch sonst für sie thun magst. Niemand hinterläßt seine Kinder so wohlversorgt, als derjenige, welcher sie als Kinder und Erben Gottes hinterläßt.
Harre aus in deinem christlichen Beruf, wenn du ein Kind Gottes bist, und dringe immer weiter vor. Lege jede Last bei Seite, welche deinen Fortschritt hemmt, und die Sünde, welche dich am meisten aufhält. Halte deine Augen fest auf Jesum gerichtet. Verlasse dich auf Ihn. Gedenke, daß du ohne Ihn Nichts, mit Ihm alles vermagst. Wache und bete täglich. Sei fest und unbeweglich, und nimm immer zu in dem Werke des Herrn. Präge es deinem Herzen ein, daß kein Trunk frischen Wassers, den du im Namen eines Jüngers reichest, unbelohnt bleibt, und du mit jedem Jahre der Heimath näher kommst.
Nur noch eine kleine Weile, so wird kommen, der da kommen soll und nicht verziehen. Dann schlägt die Stunde der herrlichen Freiheit und der Offenbarung der Kinder Gottes. Dann wird die Welt erkennen, daß sie die Weisen waren. Dann werden die Kinder Gottes endlich volljährig sein. Dann werden sie nicht länger Erben in Hoffnung sein, sondern Erben im Besitz. Und dann werden sie mit unendlicher Freude jene trostreichen Worte hören: „Kommt her, ihr Gesegneten meines Vaters, ererbet das Reich, das euch bereitet ist von Anbeginn der Welt.“ (Matth. 25,34.) Wahrlich, der Tag wird Alles gutmachen!
Daß Alle, welche diesen Traktat lesen, den Werth des Erbtheils der Herrlichkeit erkennen mögen, und am Ende im Besitz desselben gefunden werden mögen, das ist meines Herzens Verlangen und Gebet.