Oehninger, Friedrich - Wahrheiten für unsere Tage - Wesen der Sünde.

Man hat schon das Wesen der Sünde in der Sinnlichkeit gesehen. Aber so gewiss die Natur zur Schöpfung und zum Gebiet Gottes gehört, so gewiss ist auch der „natürliche Gebrauch“ der Dinge an sich nicht Sünde, sondern erst der „unnatürliche Gebrauch,“ und dieser ist nach Röm. 1 als Folge der Verwerfung Gottes und Seiner Wahrheit zu betrachten. Auch St. Johannes sieht das Wesen der Sünde in der Anomie, d. h. in der Gesetzlosigkeit, Gesetzwidrigkeit, Eigenmächtigkeit, Sichlosmachen vom göttlichen Willen, - darin, dass das Geschöpf es wagt, einen andern Willen zu haben als sein Schöpfer (1. Joh. 3,4). Versäumnis und Nichtachtung Gottes überliefert den Menschen an das Eitle (Röm. 1,21). Darum wird auch erst am Gesetz erkannt, was Sünde ist, und der Mensch, welcher im Vertrauen auf seine eigene Güte es versäumt, sich dem Gesetz, d. h. dem Willen Gottes gegenüber zu stellen, kann träumen, er stehe recht. „Ohne das Gesetz lebte ich; da aber das Gesetz kam, starb ich“ (Röm. 1). Unsere Zeit ist nicht durch die Pädagogik des Gesetzes hindurchgegangen, wie das Geschlecht zu Luthers Zeit; darum weiß sie nichts von der Sünde oder macht sich nichts aus der Sünde und ebenso wenig aus der Gnade. - In Zuständen des Weltlebens, wo Gottes Wort der Menge abhanden gekommen ist, gibt es eine Menge Sünden und sündhafter Verhältnisse, ohne dass diese als solche erkannt werden, sogar unter öffentlicher und offizieller Billigung. Aber es sind doch Gott missfällige Dinge, Unwissenheitssünden, und solche bedurften ebenso sehr einer Sühnung wie die andern. (Vgl. 4. Mose 15). „Das Herz hat seine Abgründe, von denen der Verstand nichts weiß.“ (Pascal.)

Das geschöpfliche Leben bekommt erst dadurch einen so verführerischen Reiz, dass man in der Liebe zu Gott und der Wahrheit wankt. Dadurch wird der Irrtum kräftig und kommt der hingegebene, von Gott verlassene Sinn auf mit seinen vielen Passionen. (2. Thess. 2,10-15; Röm. 1,28. ff.) - So wird es verständlich, dass der Apostel im 2. Thess. 2, nachdem er von jenem Hingegebensein an die Mächte der Lüge und der Ungerechtigkeit gesprochen, dann auf die Ermahnung kommt, festzuhalten am Glauben der Wahrheit und am Gehorsam gegen die mündlichen und schriftlichen Überlieferungen der Apostel des Herrn.

Wie diejenigen irren, welche im Bösen nur sinnliche Schwäche sehen, so irren diejenigen, welche das Böse als notwendig betrachten. Wäre es notwendig, so würde es die Entwicklung nicht stören, wie es faktisch tut. Die Sünde ist im Gegenteil das Unvernünftige, das Unnatürliche, das Störende, welches, soll es gut werden, überwunden werden muss. Allerdings sind auf das finstere Wunder des Bösen die Wunder der Gnade gefolgt; aber der Grund dieser glücklichen Folge liegt nicht im Bösen, sondern in der göttlichen Barmherzigkeit. Der Sünde bleibt kein Ruhm noch Verdienst, sondern der Hass des heiligen Gottes, der wohl den Sünder liebt, aber nur insofern er erlösungsfähig ist und fähig, von dem eigenen wider Gott sich bestimmenden Willen zu lassen.

Es ist lehrreich und kann uns die Augen öffnen und uns wachsam machen, wenn wir den Bericht über die Versuchung Adams mit dem der Versuchung Christi und mit 1. Joh. 2,15-17 recht zusammenhalten und wohl studieren. So lernen wir, wie wir unterliegen und wie wir siegen.

Dreifach ist die Versuchung, in der Wüste, im Tempel, auf dem Berg, - entsprechend dem dreifachen Wesen des Menschen: Leib, Geist, Seele, - und der dreifachen Äußerung des sündigen Lebens: Sinnlichkeit oder Fleischeslust, Hoffart oder Stolz, Augenlust oder Habsucht. - Die erste Versuchung hat es auf Unglauben abgesehen (wie reimt sich Hunger und Gotteskindschaft?), die zweite auf Über- oder Aberglauben, die dritte auf definitive Lossagung von Gott, und es sind die drei geschichtlichen Erscheinungen des Materialismus, der Schwärmerei und der Weltvergötterung, die eine Frucht jener Versuchungen sind. - Im Festhalten der geoffenbarten Wahrheit („Es steht geschrieben“), im Gegensatz zu der alten Schlangen- und Zweifelsfrage: „Sollte Gott geredet haben?“ liegt die Überwindung des Versuchers, und das Ende solchen Gehorsams ist Herrschaft und Freiheit: „Die Engel dienten Ihm.“ Die Welt vergeht mit ihrer Lust; wer aber den Willen Gottes tut, der bleibt in Ewigkeit.“ Der Stolz ist schwerer zu heilen als die Sinnlichkeit. „Welch tief innerliche Zerstörung, welche Selbstvernichtung in der erobernden, raubenden, schrankenlosen Wissenschaft, dem Urdämon unserer Tage, liegt, hat der Mythos von Prometheus in schauerlicher Weise dargestellt.“

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