Lobstein, Friedrich - Die christlichen Festtage in zwanzig Betrachtungen - Zweites Fest. Das Weihnachtsfest. - I. Die große Freude.

Lobstein, Friedrich - Die christlichen Festtage in zwanzig Betrachtungen - Zweites Fest. Das Weihnachtsfest. - I. Die große Freude.

Luk. 2,8-20.
**Und es waren Hirten in derselben Gegend auf dem Felde bei den Hürden, die hüteten des Nachts ihrer Herde. Und siehe, des Herrn Engel trat zu ihnen; und die Klarheit des Herrn leuchtete um sie; und sie fürchteten sich sehr. Und der Engel sprach zu ihnen: Fürchtet euch nicht; siehe, ich verkündige euch große Freude, die allem Volke widerfahren wird; Denn euch ist heute der Heiland geboren, welches ist Christus, der Herr, in der Stadt Davids. Und das habt zum Zeichen: ihr werdet finden das Kind in Windeln gewickelt und in einer Krippe liegend. Und alsobald war da bei dem Engel die Menge der himmlischen Heerscharen, die lobten Gott und sprachen: Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden und den Menschen ein Wohlgefallen. Und da die Engel von ihnen gen Himmel fuhren, sprachen die Hirten unter einander: Lasst uns nun gehen gen Bethlehem, und die Geschichte sehen, die da geschehen ist, die der Herr uns kund getan hat. Und sie kamen eilend und fanden beide, Mariam und Joseph, dazu das Kind in der Krippe liegend. Da sie es aber gesehen hatten, breiteten sie das Wort aus, welches zu ihnen von diesem Kinde gesagt war. Und Alle, vor die es kam, wunderten sich der Rede, die ihnen die Hirten gesagt hatten. Maria aber behielt alle diese Worte und bewegte sie in ihrem Herzen. Und die Hirten kehrten wieder um, priesen und lobten Gott um Alles, das sie gesehen. und gehört hatten, wie denn zu ihnen gesagt war.

In der Mitte der Nacht und in der Krippe eines ärmlichen Stalles vollführt sich die größte Begebenheit. Als ein armes Kindlein, ärmer als die Füchse und Vögel des Himmels, erscheint, der da kommen soll. Dieses Kind nennen die Engel des Himmels die große Freude, die allem Volke widerfahren ist. Und diese Freude wird nicht den Klugen und Weisen verkündet, sondern armen Hirten, an welche Niemand dachte, und welche es selbst am wenigsten erwarteten. Welcher Kontrast zwischen den Freuden der Weihnacht und den Freuden, welche die Welt gibt! Diese sind mit Pomp und Glanz umgeben; die Gottesfreuden dagegen kommen geräuschlos, wenn sie vom Himmel kommen. Die ersteren müssen teuer bezahlt werden und sind nur für die Reichen; die zweiten werden umsonst jedem darnach verlangenden Herzen gegeben. Erstere sind nur Dinge, die vergehen, ja Lüste, die verführen. Die andern sind sämtlich in einer Person eingeschlossen, denn in Christo wohnt die ganze Fülle der Gottheit leibhaftig. Die Freuden der Welt sind nicht die gleichen für Alle. Der Kluge hat andere Freuden als der Unwissende, der Reiche andere als der Arme, das Kind andere als der Greis. Die Weihnachtsfreude ist allem Volke widerfahren; sie ist für alle Zustände berechnet, für jedes Alter, jede Zunge und jeden Stamm. Die Hirten von Bethlehem gelangen zu dieser Freude, indem sie einem Ruf von Oben folgen; dieser Ruf des Engels ist die Stimme des Evangeliums. Folgen wir diesem Ruf, so werden wir finden, wie die Hirten. Der Weg zu Jesu ist nicht der der Spekulation oder der Streitigkeiten, nein, derjenige der Herzenseinfalt und der Anbetung. Ohne über die Worte des Engels zu disputieren, eilen die Hirten nach Bethlehem und nehmen gefangen alle Vernunft unter den Gehorsam des göttlichen Wortes. Vor dieser geheimnisvollen Krippe knieend, bekommen sie einen Lebenseindruck, der ihnen mehr Gewissheit gibt, als die ganze Theologie des Jahrhunderts. Das Herz nur versteht das offene Herz Gottes und die große Freude, die allem Volke widerfahren ist. Wir wollen uns mit den Hirten vor die Krippe zu Bethlehem niederwerfen und auf die unaussprechliche Gabe Gottes mit Demut und Dankbarkeit schauen. So bereiten. wir uns auf das rechte Weihnachtsfest vor, mit der ganzen christlichen Kirche. Wir wollen uns fragen: Wer ist jenes Kind, das uns geboren ist; der Sohn, der uns gegeben ist? Welches Werk ist er gekommen zu vollenden, und wer sind diejenigen, welche heute sich freuen? In diesen drei Punkten ist das Weihnachtsfest und unsere Betrachtung zusammengefasst.

1) Wer ist das Kind, das uns geboren ist; der Sohn, der uns gegeben ist?

Auf den ersten Anblick scheint es ein gewöhnliches Kind zu sein. Es war keine Gestalt, noch Schöne; da war nichts Besonderes, das uns gefallen hätte. Es ist ein Kind, das weint wie ein anderes Kind, das an der Mutter Brust liegt wie ein anderes; es wird Heranwachsen, wird hungern und dürsten wie wir, müde werden wie ein anderer Mensch; arbeiten und leiden wie wir, und nachdem es alle unsere Gebrechen durchgemacht, wird es endlich sterben wie alle Adamskinder, und begraben werden wie sie. Wahrer Mensch, Fleisch von unserem Fleisch, und Bein von unserem Bein, schämt er sich nicht, uns Brüder zu nennen. Eines nur unterscheidet ihn: er ist wahrer Mensch, aber ohne Sünde. So ist die menschliche Seite des Christkindes beschaffen; aber dieses Kind hat eine andere Seite, ebenso klar ausgesprochen wie die andere und ganz verschieden von dieser. Folge diesem Kind mit deinen Augen, später wird es Wunder tun, und zwar Wunder, wie kein Anderer sie tut als Gott. Durch ihn werden die Blinden sehen, die Lahmen gehen, die Aussätzigen rein, die Tauben hören und die Toten auferstehen. Dasselbe Kind geht auf dem Wasser und wird dem Wind und den Wellen befehlen; es wird mit Gewalt zu den unreinen Geistern reden, und sie werden ausfahren; es wird Sünden vergeben und die Seelen im Frieden entlassen. Nie hat ein Mensch getan, was dieses Kind; nie ein Mensch geredet wie dieses. Und abgesehen von all' diesen Wundern, welche nur vereinzelte Tatsachen sind, ist das größte Wunder in dem Christkind seine Gerechtigkeit und Heiligkeit. Sein ganzes Leben ist von einer Farbe, keine Höhen noch Tiefen wie in unserm christlichen Leben; seine Speise war, den Willen zu tun des, der ihn gesandt hatte, und zu vollenden sein Werk; überall dasselbe Merkmal, ob du sein Herz betrachtest oder sein Leben. Du sagst, dass dieses Kind nur ein Mensch, nur ein Engel in menschlicher Gestalt sei, so erklärst du eine solche Erscheinung nicht. Hier ist mehr als ein Geschöpf, es ist der Schöpfer selbst, das Wort, welches Fleisch ward und unter uns wohnte voller Gnade und Wahrheit. Es ist die menschliche und göttliche Natur in ein und derselben Person des Gottmenschen vereint. Es ist ein Erlöser, der zwei Welten angehört, denn er vertritt die Sache zweier Welten. Was wir von der Person des Christkindes sagen, führt uns auf das Werk, das er auf dieser Welt zu vollenden kam.

2) Es ist ein Werk der Wiederherstellung.

Was waren Himmel und Erde vor dem Kommen Christi? Zwei getrennte Welten. Was sie trennte, war etwas Anderes als der Raum. Eure Übertretungen, sagt der Prophet, trennen euch von eurem Gott. Die Sünde hat das ursprüngliche Band, welches den Menschen mit Gott und die Erde mit der himmlischen Welt verbindet, gelöst. Seit dem Sündenfall ist zwischen dem Menschen und Gott ein Abgrund. Der Mensch will nicht mehr, was Gott will, und Gott kann nicht wollen, was der Mensch will. Schau die Welt an, oder geh ein in dich selbst, überall wirst du denselben Bruch finden und die Folgen davon fühlen. Ein allgemeines Übel begleitet dich und zehrt an jedem Glück. Gibt es noch ein Glück, wenn man nicht mit seinem Gott vereint ist, und wenn man nicht mehr denselben Geist hat wie er? Nimm den Frieden mit Gott weg, was bleibt? Elende, welche im Leibe des Todes schmachteten.

Diesen Leib des Todes hat Gott auf sich genommen. Er geht ein in diesen Bruch und stellt durch seine Doppelnatur das zerrissene Band zwischen Gott und Mensch wieder her. Das Christfest ist das Fest der Wiederherstellung unserer gefallenen Natur, durch die Fleischwerdung des Sohnes Gottes. Wir mussten einen Erlöser haben, der zugleich Gott und Mensch war, um beide Welten aufs Neue zu verbinden. Dieser Erlöser kommt uns in der Person Jesu Christi zu. Der ewige Sohn, welcher eins ist mit dem Vater, der Glanz seiner Herrlichkeit, das Ebenbild seines Wesens überkleidet sich mit unserer sterblichen Hülle, um unsere verlorene Sache auf sich zu nehmen. Als Mensch vertritt er den Menschen, das ganze gefallene Geschlecht Adams. Er nimmt auf sich den Gehorsam, den wir Gott verweigert haben, und leistet jenen Gehorsam von der Krippe bis zum Kreuz. Er tut mehr: Er lädt auch auf sich den Fluch, den wir mit unsern Sünden auf uns geladen haben. Denn verflucht sei, wer nicht alle Worte dieses Gesetzes erfüllt. Diese doppelte Aufgabe erfüllt das Christkind an unserer Stelle. Sein Werk ist ein Werk des Gehorsams und der Versöhnung. Und es ist ein vollkommenes Werk; Satan selbst findet nichts daran auszusehen. Da ist kein Werk mehr, das Jesus Christus nicht für uns vollbracht hätte; keine Sünde, welche er nicht an unserer Stelle getilgt hätte. Aber welche Macht hätte diese Stellvertretung, wenn das Christkind nur ein Mensch, nicht auch Gott gewesen wäre? Nimm den gerechtesten Menschen, den ersten Erzengel; den Gehorsam, den sie Gott leisten würden, wären sie ihm schuldig; sie wären seines stellvertretenden Werkes fähig. Kann doch ein Bruder Niemand erlösen, noch Gott Jemand versöhnen, denn es kostet zu viel, ihre Seele zu erlösen, dass er es muss lassen anstehen ewiglich. Das Christkind ist der einzige Name, der den Menschen gegeben ist, darinnen sie sollen selig werden. Seine göttliche Natur gibt dem, was die menschliche tut, Autorität. Als Gott hat er die Macht, uns zu erlösen; als Mensch die Macht, uns zu vertreten. Als Gott-Mensch kann er unser Werk tun, und über dieses Werk frei für uns verfügen. Diese Wiederherstellung unserer verderbten Natur ist die große Freude, welche allem Volke verkündet ist. Was Jakob nur im Traume gesehen hatte: die Leiter, auf welcher die Engel Gottes hinauf- und herabstiegen, haben wir in Wirklichkeit, in der Person des einzigen Mittlers zwischen Gott und den Menschen. Die Herrlichkeit Gottes ist gewahrt, der Friede denen wiedergegeben, welche an ihn glauben, und das Wohlgefallen Gottes wird von Neuem den Menschen zugesichert. Das verkündet uns die Menge der himmlischen Heerscharen Gottes, wenn wir sie in der Weihnacht hinauf- und herabsteigen sehen auf die Krippe zu Bethlehem. Das ist das Werk Christi und der Grund der großen Freude aller Welt. Aber es braucht noch mehr als die Ankündigung dieser Freude, sie muss in unsere Herzen eindringen und unser Leben erfüllen. Wer sind diejenigen, welche sie also besitzen und sich heute freuen? Wir wollen auf diesen dritten Punkt noch antworten:

3) Durch eine geistige Geburt überkommt uns diese Freude.

Wie Jesus Christus selbst, so ist die große Freude, die allem Volke widerfahren ist, eine Frucht des Heiligen Geistes. Jesus muss in uns sein, wenn wir uns freuen wollen; ein bloß geschichtlicher Erlöser genügt uns nicht. Du siehst ja, dass die Schrift, nachdem sie uns das Christkind in der Krippe zu Bethlehem gezeigt hat, es uns lebendig in dem göttlichen Teil unserer Natur zeigt. Die Schrift will, dass Christus in uns Gestalt gewinne; wir können uns nur freuen, wenn nicht wir leben, sondern Christus in uns lebt. So versteht es Jesus Christus selbst, wenn er von seinen Jüngern spricht: Ich bin in ihnen, wie du in mir. Jedoch genügt das nicht, der Erlöser fügt bei: Bleibt in mir, wie ich in euch bleiben werde. Die Erkenntnis des Sohnes Gottes fördert das geistige Wachstum und lässt werden einen vollkommenen Mann, der da sei in dem Maße des vollkommenen Alters Christi. Prüft euch selbst, um zu erkennen, ob Christus in euch ist.

Diese geistige Mitteilung kommt uns erst nach den Schmerzen der Geburt. In diesem Sinn schreibt Paulus an die Galater: Meine lieben Kindlein, welche ich abermals mit Ängsten gebäre, bis dass Christus in euch Gestalt gewinne. Wie macht sich diese Geburt? Ich will mich eines Beispiels bedienen. Ein Mann von Genie wird in seinem Innern bearbeitet; was ihn erregt, ist der Gedanke eines Meisterwerks. Er sieht es in sich, aber er will es hervorbringen ans Licht. In der Stille der Kammer, in dem Geräusche der Welt, bei den Tagesgeschäften wie in den Träumen der Nacht, fühlt sich dieser von seinem Gegenstande erfüllte Mann unglücklich, so lange er nicht das Bild, das er in der Stille hegt, zu Tage kommen sieht. Er arbeitet und sieht nichts anderes mehr; mit vielen Versuchen unzufrieden, wirft er sie weg und fängt von Neuem an; er gäbe sein Leben hin, nicht aber sein Ideal. Endlich verwirklicht er es; eine ganze Welt steigt aus seiner erleichterten Seele. Die Wehen der Geburt haben dem Glück einer Schöpfung Platz gemacht. Wenn die Ausführung hinter der Auffassung auch zurückbleibt, wird dieser glückliche Mensch doch immer an den Zügen des Bildes sein Original erkennen. Etwas Ähnliches ist bei der Geburt des Glaubens. Kein Mann von Genie, sondern ein armer Sünder wird endlich ergriffen. Er fühlt seine ganze Seele im Kampf mit einem neuen Zustand. Das Sündengefühl ist erweckt und mit diesem Gefühl das Vorgefühl des Friedens. Jesus Christus erscheint von Weitem in der Tiefe dieser geplagten Seele. Man will heraus aus dem alten Menschen, der durch Lüste in Irrtum sich verdirbt, denn man sieht einen neuen Menschen nach dem Bilde Gottes geschaffen in rechtschaffener Gerechtigkeit und Heiligkeit.

Diesen neuen Menschen will man verwirklichen; kein Friede, ehe er Gestalt gewonnen hat. Unter Tränen und Kämpfen rückt die Geburt voran; viele Tage vergehen, viele Versuche sind verloren, aber dieser Schmerzenszustand lässt endlich die Freude durchbrechen. Eine geistige Wiedergeburt bricht an. Das Kind ist geboren, der Sohn ist uns gegeben, das Christfest ist da. Das Erwachen hinterlässt noch viel Elend, aber der große Schritt ist getan; man kann sagen: Ich habe den Erlöser gefunden; ich weiß, dass mein Erlöser lebt. Also von Neuem wird das Wort Fleisch und wohnt unter uns voller Gnade und Wahrheit. Man ist aus der Finsternis zu einem wunderbaren Licht durchgedrungen, und, obgleich man noch in diesem sterblichen Leibe lebt, lebt man im Glauben an den Sohn Gottes, der uns geliebt hat und sich selbst für uns dahingegeben. So wird unsere für Jesum gewonnene Seele die große Freude erkennen lernen. Diese Freude ist unsere eigene Darbringung, oder die Liebe Christi, welche uns drängt. Er muss wachsen, ich aber muss abnehmen, das ist das Freudenöl des Christen. Ob auch der äußere Mensch verwese, wenn nur der innere von Tag zu Tag sich erneuert. In der Entäußerung unserer selbst werden wir den Erlöser wiederfinden, wenn von Zeit zu Zeit sich sein Bild verwischt. So wird er wachsen in unserer Seele und sich in unserer Nähe fühlbar machen. Beim Erwachen jeden Morgen werden wir uns freuen, dass heute in Davids Stadt der Heiland, Christus, der Herr, uns geboren ist. Wenn wir gehen, wird er uns führen; wenn wir uns legen, wird er uns behüten; wenn wir aufwachen, wird er mit uns reden. Nicht mehr von der Welt werden wir unsere Freuden begehren, nicht den Geschöpfen unsere Traurigkeit zeigen; wir werden wie die Hirten zu Bethlehem tun: wir werden mit Fleiß suchen, und werden das Kindlein in der Krippe liegend finden. Und nachdem wir es gesehen und von seiner Fülle Gnade um Gnade genommen haben, kehren wir um, preisen und loben Gott über Alles, was wir gesehen und gehört haben.

Cookies helfen bei der Bereitstellung von Inhalten. Diese Website verwendet Cookies. Mit der Nutzung der Website erklären Sie sich damit einverstanden, dass Cookies auf Ihrem Computer gespeichert werden. Außerdem bestätigen Sie, dass Sie unsere Datenschutzerklärung gelesen und verstanden haben. Wenn Sie nicht einverstanden sind, verlassen Sie die Website.Weitere Information
autoren/l/lobstein/lobstein-christliche_festtage_-_zweites_fest_-_1.txt · Zuletzt geändert: von aj
Public Domain Falls nicht anders bezeichnet, ist der Inhalt dieses Wikis unter der folgenden Lizenz veröffentlicht: Public Domain