Krummacher, Gottfried Daniel - Die Wanderungen Israels durch die Wüste nach Kanaan (Bne-Jaekon)
Dreiundvierzigste Predigt.
Sieben und zwanzigste Lagerstätte: Bne-Jaekon.
Text: 4. Buch Mose 33, 31.
Eine gehörige Antwort ist oft von großer Wichtigkeit, und es war eine schreckliche Sache, dass jener Mann nicht zu antworten wusste, als der König ihn mit den Worten anredete: Geselle, wie bist du hereingekommen, und hast doch kein hochzeitliches Kleid an? Er aber verstummte, heißt es, und der König tat Befehl über ihm und sprach: Bindet ihm Hände und Füße, und werft ihn in die äußerste Finsternis hinaus, da wird sein Heulen und Zähnklappen. Schrecklicher Erfolg, schreckliches Verstummen! Was hatte der Mann versehen? Weiter Nichts, als dass er kein hochzeitliches Kleid anhatte. Da lag sein Verbrechen, dass er's dessen ungeachtet wagte, sich mit anzusetzen. Warum entschuldigte sich der Mann denn nicht? Hätte er nicht sagen können: Herr, du hast allerlei Bettler und Landstreicher einladen, herbeitreiben, ja gewissermaßen nötigen und zwingen lassen, und willst nun hintennach um hochzeitliche Kleider zanken? Das ist eine schreiende Ungerechtigkeit. Wer darf denn bei so armen Leuten, welche von den Zäunen und Straßen kommen, nach Kleidern forschen, welche sich für eine Hochzeit, wie Diese, passen? Allein dies konnte er nicht sagen, denn die Sitte des Morgenlandes bringt es mit sich, dass jedem Gast ein Feierkleid, Kaftan genannt, von dem Gastgeber zugedient wird. Das hatte dieser also nicht annehmen wollen. Und warum nicht? Dazu hatte ihn die gute Meinung verleitet, welche er von seinem mitgebrachten Anzuge hatte, welcher vergleichungsweise auch wohl sehr anständig sein mochte. Er wusste sich was damit, bildete sich was darauf ein und achtete die Andern gering, selbst in ihrem Kaftan, der freilich etwas Geliehenes, nicht Eigentümliches war. Diese stolze, selbstgefällige Meinung brach ihm den Hals. O, wäre er früher demütig gewesen! Lasst es uns bei Zeiten werden, und uns deshalb mit den Kindern Israel da lagern, wo wir sie heute antreffen werden.
Der Name dieser 27sten Lagerstätte heißt also Bne-Jaekon. Sie entfernt sich noch weiter von Kanaan, und rückt dem arabischen Meerbusen oder dem roten Meer näher, das nur noch drei Lager weiter ist. Ihr Name bedeutet so viel, als Kinder des Beängstigers oder Unterdrückers, oder bußfertige Kinder.
Das ist eine sehr natürliche Frucht der Züchtigung, wovon die vorhergehende Lagerstätte den Namen hat. Eine schöne Erklärung dieser Lagerstätte finden wir Psalm 119,67.71. und 75., wo der Psalmist sagt: Ehe ich gedemütigt ward, irrte ich, nun aber halte ich dein Wort. Es ist mir lieb, oder es ist mir gut, gedemütigt worden zu sein, dass ich deine Rechte lerne. Ich weiß, Herr, dass deine Gerichte recht sind und hast mich treulich gedemütigt.
Der Psalmist redet von einer dreifachen Demütigung und einem dreifachen Nutzen derselben. Der Nutzen der ersten Demütigung ist Befreiung vom Irren, um des Herrn Wort zu halten; der Nutzen der zweiten Demütigung besteht in dem Lernen der göttlichen Rechte; in der Dritten, die am längsten dauerte, offenbart sich die Treue und Wahrheit Gottes. Lasst uns Dem ein Wenig nachgehen.
Was heißt demütigen? In seiner nächsten Bedeutung heißt das hebräische Wort antworten, sodann arm, elend, schwach machen oder sein. Es scheint seltsam, dass antworten auch so viel als demütigen heißen kann; ich denke aber, dies hänge so zusammen, dass von einem Stück aufs Ganze geschlossen werde. An den Antworten kann man Jemands Verstand und Einsicht, oder auch den Mangel an Beidem kennen lernen, seine Unwissenheit einsehen und offenbaren. An dem 12jährigen Jesu bewunderten die Rabbinen im Tempel sowohl die Antworten als die Fragen, und eine geschickte Antwort beweist einen fähigen Verstand. Wenigstens demütigte Gott den Hiob noch mehr durch sein Fragen, als durch seine Leiden. Wer ist der - so hebt Gott seine Rede Kap. 38. an - wer ist der, der so fehlt in der Weisheit und redet so mit Unverstand? Gürte deine Lenden, wie ein Mann. Ich will dich fragen, lehre mich, bist du so klug. Und nun reiht sich Frage an Frage 72 Verse hindurch, und bringt den Hiob, der nicht zu antworten weiß, also herunter, dass er demütig und beschämt bekennt: Ich bin zu leichtfertig gewesen; was soll ich antworten? Ich will meine Hand auf den Mund legen. Ich habe einmal geredet, darum will ich nicht mehr antworten, zum andern Mal will ich es nicht mehr tun. Aber auch dies: Ich will es nicht mehr tun. Aber auch dies: Ich will es nicht mehr tun, scheint dem Herrn noch nicht demütig genug gewesen zu sein. Er fängt deswegen aufs Neue mit Fragen wegen des Behemot und des Leviathan an, wo Hiob denn ganz zusammenfällt und Buße tut im Staub und in der Asche. Demütigen heißt mit einem Wort: Bewirken, dass Jemand sich für unwissend, schwach, arm, elend und hilfsbedürftig halten muss.
So befahl der Engel des Herrn der Hagar, welche von ihrer Frau Sarah weggelaufen war, weil diese sie demütigen wollte, dem sie zuvorkommen wollte: Kehre wieder um, und demütige dich unter ihre Hand. Sie sollte also erkennen, dass sie nur eine geringe Dienstmagd sei, was sie aus den Augen gesetzt hatte, und dass Sarah, als ihre Gebieterin, über sie zu verfügen habe. Demütigungen führen also immer oder doch mehrenteils etwas Schmerzhaftes mit sich, eben weil sie gering machen, was wir ungern leiden.
Die Demütigung hat einerlei Ursache, die der Psalmist in den Worten ausdrückte: Ich irrte, sowohl in der Meinung, als im Verhalten; sie hat auch einerlei Zweck, nämlich den Menschen zum Halten des göttlichen Worts und zum Erlernen seiner Rechte zu leiten. Weil aber der heilige Dichter des Demütigens dreimal gedenkt, so wollen wir es auch in dreifacher Beziehung und Abstufung betrachten, nämlich die anfängliche, gröbere Demütigung, die fortgesetzte und gründlichere, und die noch mehr ins Feinere gehende und am längsten währende.
Die anfängliche Demütigung, welche wir eine gröbere genannt haben, betrifft mehr das Ganze und Allgemeine, der Mensch wird gleichsam aus dem Rohen gearbeitet. Er kommt wie ein unförmliches Eisen in die Glut, auf den Amboss, unter den Hammer; wie ein ungestaltetes Brett auf die Hobelbank, wie es Hos. 6,5. heißt: Ich hobele sie durch die Propheten. Ein solcher Hobler war Johannes der Täufer, der mit Ausdrücken, wie die: Schlangen und Otterngezüchte, Heuchler und dergleichen um sich warf, wie Christus auch tat. Jener suchte sie zunächst aus dem Rohen zu arbeiten, und wenn das Volk ihn fragte: Was sollen wir tun? so antwortete er: Wer zwei Röcke hat, gebe dem, der keinen hat, und wer Speise hat, tue auch also. Fragten Zöllner: Was sollen wir denn tun? so antwortete er: Fordert nicht mehr, als gesetzt ist; fragten ihn die Soldaten, so antwortete er: Tut Niemand Gewalt und Unrecht und lasst euch an euerm Solde begnügen. Dies war nun ein Arbeiten aus dem Rohen. Er selbst nannte es ein Taufen mit Wasser, worauf von einem Andern, dem er nicht genugsam sei, die Riemen seiner Schuhe aufzulösen, die Taufe mit Feuer folgen müsse. Es war so viel, wie wenn wir Jemand ermahnen: Lass doch das Schwelgen und Schwärmen, das Fluchen und Schwören, arbeite fleißig, führe ein ordentliches, sittliches Leben, besuche sonntäglich wenigstens einmal die Kirche und dergleichen, was dann eine Art von Gestalt und Form gibt, obschon ein wahres Christentum viel mehr wie das bedeutet - es wäre aber doch schon etwas gewonnen, wenn auch nicht viel. Christus sagt aber doch von ihm: Die Zöllner und Huren glaubten ihm. Und ob ihr Andern es wohl saht, tatet ihr dennoch nicht Buße, dass ihr ihm hernach auch geglaubt hättet, Math. 21,32. So geht es noch manchmal. Gott sendet wohl Prediger zu einzelnen, bisher geistlich toten Gemeinen, welche ihnen gewaltig predigen, gleichsam Donnerskinder, wodurch ein großes Aufsehen und große Erweckung bewirkt und Bahn gebrochen wird. Mit den Missionsarbeiten hat es eine ähnliche Bewandtnis, so auch mit einzelnen Personen. Sie bekommen demütigende Einsichten und Empfindungen, und werden in Wirksamkeiten eingeleitet, die denselben angemessen sind. Diese nötige und heilsame Demütigung fängt bei dem Menschen mit Einsichten an, welche er bisher nicht hatte. Er irrt, wie ein Schaf irre geht, und gefällt sich selbst darin. Nun aber fängt er an einzusehen, es gehe doch so auf die Dauer nicht und tauge nicht, es müsse anders und zwar viel anders mit ihm werden, wenn es ein gutes Ende mit ihm nehmen solle. Er fängt an, zu merken, er sei geistlich krank, ein Sünder, gottlos und fängt eben dadurch an, von einem verderblichen Grundirrtum abzustehen, nach welchem der Mensch ganz andere Vorstellungen von sich hegte. Dies ist ein wichtiger Anfang der Demütigung. Findet sich der bei euch Allen? Die Einsicht muss bei einem Jeden kräftig werden, man müsse Gott gehorchen und sich unweigerlich seinen Vorschriften in Untertänigkeit unterwerfen, sich bekehren, wiedergeboren werden, an Christum glauben, Vergebung der Sünden und ein neues Herz haben. Dies bleibt aber nicht eine tote Einsicht, nicht ein leeres Geschwätz, sondern es ist mit allerlei lebendigen Empfindungen begleitet. Es geht ihm, wie dem David, als der Prophet zu ihm sagte: Du bist der Mann. Da fiel er zusammen, wie von einem Dolch durchbohrt. Aus der allgemeinen Einsicht wird eine ernstliche Anwendung auf seine eigene Person. Du, du musst Vergebung der Sünden, du ein neues Herz, du den wahren Glauben haben, wenn du sollst selig werden können. Diese lebendigen Einsichten wecken den Menschen aus seinem Sicherheits-Schlafe. Sie stören seine bisherige, gefährliche Ruhe. Sie sind mit vielen Anklagen und bittern innern Vorwürfen verknüpft, dass er einer von denen sei, von welchen Christus sagt: Ihr habt nicht gewollt mit schweren Besorgnissen verknüpft, ob's nicht schon zu spät, die Tür verschlossen und der Herr ihm abgeneigt sei. Es regen sich Furcht, Schrecken, Angst, und so wird der Mensch gedemütigt, klein gemacht, zaghaft, mutlos. Hieraus entspringen viele gute Vorsätze und Entschließungen. Es soll von nun an anders werden, was geschehen ist, das soll ferner nicht von ihm geschehen, fest entschlossen, eifersvoll, einen andern Weg zu gehen, will er jetzt nur Jesum suchen und was ihn betrübt, verfluchen. Man benutzt das, was diese Vorsätze stärken, und meidet, was sie wankend machen kann. Sie reifen auch zu wirklichen Handlungen. Unter diesen Gnadenzügen wird der Mensch geneigt und bewogen, mancherlei Böses zu meiden und Gutes zu üben, wie schwer ihm auch Beides wird, und welchen Zwang und Anstrengung ihm das Eine sowohl als das Andere kostet. Lust und Pflicht streiten mit einander und jetzt trägt Diese, dann Jene den Sieg davon. Er willigt, dass das Gesetz gut sei, und tut doch noch das Böse, das er nicht will, und unterlässt das Gute, das er doch will. Auf der einen Seite zieht ihn die Furcht Gottes, auf der andern die Furcht der Menschen; hier der Himmel, da die Welt; hier die Neigungen und Lockungen der Sünde, dort die Güter des Hauses Gottes. Er ist mit sich selbst entzweit und stimmt ähnliche Klagen an, wie Paulus: Ach, ich elender Mensch, wer wird mich doch erlösen vom Leibe dieses Todes!
Jedoch sieht man ihn nicht mehr selten im Hause des Herrn. Er hört fleißig und andächtig. Er deutet es auf sich. Er betet. Er liest die heilige Schrift und erbauliche Bücher. Er neigt sich zu wahren Christen, wenn gleich nur noch verstohlener Weise. Auch bei der Bundestafel findet er sich, obschon zitternd mit ein. - Dies wollen wir eine vorbereitende, allgemeine Demütigung ins Ganze nennen, bewirkt durch die Fragen: wie steht's um mich? werde ich selig werden? was ist mir dazu nötig? Diese wichtigen Fragen werden wohl durch allerlei äußere und innere Umstände in manchen Seelen hervorgerufen. Merkwürdige, schreckliche Naturereignisse, Donnerwetter, Stürme und dergleichen durchzucken manchmal wie leuchtende Blitze die Seelen und mahnen nachdrücklich und ernst an eine allwaltende, Alles richtende Gottheit. Grassierende Krankheiten und häufiges Sterben, plötzliche Todesfälle schrecken nicht selten die Menschen aus ihrem Schlafe auf. Gefahr des Todes, schwere Krankheiten bewegen Manchen zu großen Vorsätzen. Im Sturm auf der See beten manche Matrosen, deren Mund sich nur zum Fluchen in Bewegung setzt. setzt. Bei Erdbeben und Wasserfluten haben Scharen von Menschen ihre Hände gen Himmel erhoben, wie jetzt in Spanien und Preußen, die sich sonst um Nichts als die Erde bekümmerten. Gewaltige Predigten erschüttern wohl ganze Versammlungen und scheinen eine allgemeine Bekehrung bewirken zu wollen. Durch dies Alles wird sie auch oft wirklich bewirkt. Aber nicht selten ist Alles von kurzer Dauer. Es geht wieder vorüber, es gewinnt keine Wurzel. Mit dem Sturm endet sich das Gebet, mit der Genesung des Körpers fällt die Seele wieder in ihre vorige Krankheit. Des Zwang's müde, wälzt sich Mancher nach der Schwemme wieder desto tiefer in den Kot. Sie wachen auf, um nachher desto fester zu schlafen. Sie meinen sich was mit ihrer Rührung, werden sicher, selbstgerecht, halten sich für bekehrt und wird also das Letzte schlimmer, wie das Erste war, und der Mensch unbekehrlicher, wie früher. Freilich geht's bei Manchen besser, denn also. Sie geben der Gnade Raum. Sie gräbt sich tief in ihr Herz. Sie greift den alten Menschen zerstörend bei der Wurzel an und schafft einen neuen.
Es folgt eine tiefere, gründlichere Demütigung. Ich weiß, Herr, sagte David, dass deine Gerichte recht sind und hast mich treulich gedemütigt; welche Treue sich auch darin offenbart, dass die Demütigung bis zu ihrem Ziele fortgesetzt wird. Sie gibt eine tiefere Selbst und Sündenerkenntnis, die kaum etwas Gutes im Menschen übrig lässt, und wohl Alles zur Sünde macht, bis zu den gleichgültigsten Handlungen hin, weil Alles nicht recht geschieht. Es sind aber nicht bloß Handlungen und Worte, die vors Gericht müssen.
Und o, wie sorgfältig fängt man an, nicht nur jede in etwa sündliche Handlung zu meiden, sondern wie fallen auch die unnützen Worte, Beteurungen, Missbrauch des göttlichen Namens und dergleichen weg! Es ist nicht mehr genug, dass an sich gute Handlungen verrichtet werden, sondern sie werden nach ihrer innern Beschaffenheit, Triebfeder und Absicht beurteilt, ob man so bete, so Wohltaten ausspende, wie es geschehen solle. Über diesem allen zeigt sich je mehr und mehr das innere Verderben, die Lust, wovon der Apostel sagt: Ich wusste sie nicht, das Gesetz in den Gliedern, das Fleisch, worin nichts Gutes wohnt, der alte Mensch, welcher durch Lüste in Irrtum sich verdirbt, die Sünde, welche Ursache am Gebot nimmt und allerlei Lüste erregt. Durch dieses sieht sich der Mensch genötigt, von der guten Meinung, welche er früher von sich hegte, viel nachzulassen und eine weit geringere von sich zu fassen. Diese Demütigung geschieht durch Gerichte, wie David redet. Insbesondere ist es das Gericht des Gesetzes, dessen eigentlicher, strenger und heiliger Inhalt genauer eingesehen und der Mensch genötigt wird, dasselbe auf sich und sein ganzes Verhalten und Bestehen anzuwenden. Das Gebot kommt zu ihm, wie es Röm. 7. heißt; es würgt ihn, wie Christus in jenem Gleichnis sagt und fordert: Bezahle, was du schuldig bist. Der Mensch ist so weit erneuert, dass er das Gute will und das Böse nicht will. Aber indem er nun jenes tun, dies unterlassen will, entdeckt er mit Schmerz die Schwäche seines Willens, der nicht durchbrechen kann und schreien muss: Ich Gefangener, Armer, ich, wer reißt mir das Netz in Stücken! Jetzt übt die Seele ein scharfes Selbstgericht aus. Eine Menge innerer Anklagen erheben sich, als wäre es ihr nur noch kein rechter Ernst, es fehle noch an dem schonungslosen Eifer, der ohne Umstände Augen ausreißt, und eine Hand, einen Fuß abhaut, der dem Himmelreich Gewalt tut und es an sich reißt. Man gebe sich noch zu viel nach, man wache, man bete, man ringe nur nicht eifrig genug. Hier wünscht sich denn Mancher, eine große Angst zu empfinden, in der Hoffnung, sie würde ihm einen so kräftigen Stoß geben, der ihn auf einmal in ein anderes Wesen bringe, und er schreit: Brich durch, es koste was es will! Mancher wünscht sich aus der nämlichen Ursache eine schwere Krankheit und verspricht sich mehr davon, als sie leisten kann. Er begibt sich in eine ernstliche Anstrengung und meint, es müsse doch wunder sein, wenn man auf diese Weise nicht wenigstens allmählig weiter rücke. Aber es begleitet ihn ein jämmerliches Misslingen, dass er ächzen muss: Ach, wer bin ich, mein Erlöser, täglich böser find' ich meiner Seelen Stand. Er wird den Jüngern ähnlich, welche eine ganze Nacht durchfischten und nichts fingen, bis der Herr selbst kam und sagte: Werfet das Netz aus. Durch dergleichen Gerichte wird der Mensch sehr klein. Auf 100 oder gar auf 1000 kann er nicht einmal antworten. Er kommt sich selbst mitleidswürdig vor, und ein: Ach, ich elender Mensch! verdrängt das Andere. Er ist voll Seufzer und oft voll Tränen. Er weiß nicht, ob er allein so elend sei, oder ob es auch noch Andere der Art gebe, und glaubt nicht selten, diejenigen, welche ihm freundlich zureden, wüssten nur nicht, wie so gar erbärmlich es um ihn aussehe. Bisweilen und mitunter wird er gar reichlich und lieblich getröstet und erfreut, dass er auch ausruft: Nun hat die Schwalbe ihr Haus gefunden und der Vogel sein Nest, nämlich Deine Altäre, o, mein Gott! Aber indem er glaubt, nun endlich Allem entronnen und in den Stand gesetzt zu sein, den er sich so lange ersehnt hatte geht's ihm ungefähr wie der Maria Magdalena. Als sie sich recht zu den Füßen des erstandenen Herrn ausschütten wollte, hieß es: Rühre mich nicht an. Es geht ihm wie Petro. Was vom Himmel herabgelassen war, ward auch wieder hinaufgenommen. Er wird wieder so arm, wie er reich war, und so elend, wie er selig war, und das wohl durch eigene Schuld. Welch' ein Jammer!
Doch groß ist der Nutzen. Von wie vielen wichtigen Irrtümern wird er gesäubert, die er in Absicht des Menschen, seiner Kraft und Einsicht, in Absicht der Gnade und ihren Wirkungen hegte. Wie klug wird er dadurch und muss mit Jeremias sagen: Ich bin gewitzigt. Köstlich ist die Frucht; denn er lernt des Herrn Rechte und hält sein Wort. Er demütigt sich, und den Demütigen gibt Gott Gnade. Er sucht sein Heil bei Christo, welcher es ja ist, von dem das Wort zeugt. Dem gibt er Ehre und wird wieder geehrt. Welch' eine große Sache ist es, die Rechte des Herrn zu lernen, seine Rechte als Gott, offenbart im Gesetz, welche alle Menschen in den Staub danieder werfen; seine Rechte als Vater, geoffenbart im Evangelio, wodurch Gottlose gerechtfertigt, Sünder selig gemacht werden. Diese verstehen, bringt Leben und Friede. In lichten Stunden, wo die Seele diese Vorteile merkt, sagt sie deswegen mit David: Es ist mir gut, es ist mir lieb, dass du mich gedemütigt, so dass ich am Ende nichts mehr zu antworten wusste. Sie gibt sich mit neuer Bereitwilligkeit der Demütigung, wie schmerzhaft sie auch ist, hin, will gern schwach sein, damit der Herr allein in ihr stark sei, nichts sein, damit der Herr Alles sei, arm sein, damit sein Reichtum sich an ihr verherrliche, klein sein, damit Er allein groß sei.
Namentlich rühmt der heilige Prophet die Treue Gottes, welche sich darin offenbart. Du hast mich treulich gedemütigt, sagt er, welches sich auf mancherlei Weise darin offenbart. Es wird nicht zu viel, noch zu wenig. Es dauert nicht länger, als es gut ist, hört aber auch nicht zu früh auf. Der Herr kehrt sich an das Widerstreben nicht, nicht an die Klagen und Beschwerdeführungen, sondern setzt seine heilsamen Absichten durch. Er richtet die Demütigung nach eines jeden Bedürfnis ein, und greift ihn da an, wo es am wehsten tut, aber auch am zweckmäßigsten ist. Er unterstützt die Seele, dass sie es ertragen kann; steigt auch zuweilen das Wasser bis an die Lippen, und geht eine Woge über das Haupt und schreit die Seele: Meine Kraft hat mich verlassen. Zur rechten Stunde verwandelt er das Wasser in Wein, nimmt das Gold aus der Glut und gebeut dem Ungestüm des Windes und des Meeres, dass Alles ganz stille wird, macht den begrabenen Lazarus wieder lebendig und tröstet die Traurigen, dass ihnen Schmuck für Asche wird.
Der heilige Prophet wiederholt das Wort Demütigung zum dritten Mal. Und dieses dritte ist, wie das am meisten ins Feine gehende, so auch das langwierigste und dauert bis zum Ende der Wanderschaft durch die Wüste. Glaubt Jemand in und für sich immer stärker und weiser zu werden, dem Herrn Jesu Christo weniger Mühe zu machen und ihn weniger zu brauchen, so ist dies ein großer Irrtum und das gerade Gegenteil die Wahrheit. Er muss wachsen, ich abnehmen. Ich will mich am liebsten meiner Schwachheit rühmen, damit die Kraft Christi in mir wohne. Nicht ich lebe, sondern Christus lebt in mir. Ich bin gestorben. Jene Sprüche, wo es heißt: Niemand kann zu mir kommen, es werde ihm denn von meinem Vater gegeben; ohne mich könnt ihr Nichts tun; ihr vermögt das Geringste nicht; wir sind nicht tüchtig, aus uns selber Etwas zu denken; Gott ist es, der in euch wirkt, beide, das Wollen und das Vollbringen, nach seinem Wohlgefallen enthalten Wahrheiten, welche auch erfahren werden müssen, und wenn es geschieht, so werden wir gedemütigt.
Es gibt Demütigungen des Willens. Wie gern wäre Moses mit in Kanaan gekommen. Er bekam aber auf seine flehentliche Bitten den Bescheid: Lass genug sein. Rede mir nicht mehr davon. Wie gern wäre Paulus der Faustschläge des Satans-Engels überhoben gewesen. Es hieß aber zu ihm: Lass dir an meiner Gnade genügen. Das eine Mal tut der Herr der Seele Alles - das andere Mal Nichts zu Gefallen. Sie soll ihren Willen, auch wo er noch so gerechtfertigt erscheint, fahren lassen. Was ich will haben, krieg ich nicht, und was ich nicht will, das geschieht.
Es gibt Demütigungen des Wissens, dass man keinen Gebrauch davon machen kann, was man weiß. Israel sagt: Mein Weg ist dem Herrn verborgen und mein Recht geht vor meinem Gott über, und tut so, als hätte es nie gehört und wüsste Nichts davon, dass der Herr den Müden Kraft und Stärke genug den Unvermögenden gibt. In der Not erinnern sich die Jünger gar nicht mehr, dass ihr Herr gesagt hat: Ich will euch wiedersehen, und euer Herz soll sich freuen.
Es gibt Demütigungen der Kraft. Meine Kraft hat mich verlassen. Ich bin so ohnmächtig, dass ich nicht reden kann. Konnte man bisher aus eigner Kraft Manches ordnen, einrichten, zu Stande bringen, abwehren, so gibt das freilich nicht mehr, sondern man sieht sich auf den Glauben an den Herrn reduziert, der verheißen hat, eben in der Schwachheit mächtig sein zu wollen. Aber auch hier geht's nicht immer, wie man's gern hätte, und es geht bald nach dem Spruch: Ich vermag Alles, bald nachdem: Du demütigst meine Kraft auf dem Wege.
Es gibt Demütigungen des Seins. Wer da meint, er sei etwas, betrügt sich selbst, sagt der Apostel - und sagt damit sehr viel. Also soll man nicht einmal meinen, man sei etwas, das doch noch nicht viel bedeutet? Wer ist aber, der das nicht meinte? Aber insofern Jemand selbst etwas ist, ist Christus doch nicht Alles in allen Stücken, wie er doch sein soll. Man muss sein eignes Leben und folglich Alles verlieren. Mögen wir daraus abnehmen, welch' eine bedeutende Strecke Weges wir noch mögen zurückzulegen haben, ehe wir durch dies Nadelöhr können, und ehe wir das, in der Kleinheit vorgestreckte Ziel erreicht haben werden.
Endlich, um zu schließen, gibt es Demütigungen der eigenen Einsichten. Dein Blick ins Evangelium, in den Gnadenbund, in die Versöhnung kann sehr helle sein, kann aber auch verdunkelt werden und wird es, wenn's dir dienlich ist. Sei also nicht stolz. Du hast Vieles; du hast Mut, Freudigkeit, Trost, Gaben. Je mehr du hast, desto mehr kann dir entzogen werden, insofern du es hast. Du bist gläubig, und es wird dir nicht schwer, das Evangelium auf dich zu deuten, du bist versichert, du bist in einem lieblichen Gemütszustande. Willst du darin erhalten werden, so sei reichlich dankbar, so gehe aus der Armut am Geiste nicht heraus, sondern immer tiefer in dieselbe hinein, so sei ausnehmend demütig; dann hat der Herr noch mehr, denn das, was er dir geben wird.
Weil es denn so gar nützlich ist, gedemütigt zu werden, so wolle der Herr uns treulich demütigen, damit wir nicht irren, sondern sein Wort lernen, seine Rechte halten, und die Gnade erlangen, welche der Herr den Demütigen gibt. Amen.