Krummacher, Gottfried Daniel - Die Wanderungen Israels durch die Wüste nach Kanaan (Rissa)

Krummacher, Gottfried Daniel - Die Wanderungen Israels durch die Wüste nach Kanaan (Rissa)

Zwei und dreißigste Predigt.

Siebenzehnte Lagerstätte: Rissa.

4. Buch Mosis 33,21.

Diese 17te Lagerstätte fängt an, sich von den Grenzen Kanaans auf Ägypten zu, zu entfernen, in gerader Richtung auf die erste Lagerung zu Suchot, ohne das rote Meer zwischen sich zu haben. Sie liegt der 16ten Lagerstätte ganz nahe und etwa nur 3 Stunden von da. Weil aber die Wolken- und Feuersäule sich in Bewegung setzte, mussten sie es eben auch, wiewohl es nicht einleuchtet, warum sie alle die Mühe, die mit dem Abbrechen und Wiederaufschlagen der Stiftshütte und des Lagers verknüpft war, übernehmen mussten. Sie wussten es aber. Sollten sie einmal ans rote Meer zurück, so wäre es wohl angenehmer gewesen, hintereinander weg bedeutende Strecken zurückzulegen, als so kleine Stationen zu machen. Aber ihre Vernunft wurde nicht zu Rate gezogen. Es ging Fuß vor Fuß. Ob sie bei Tage oder bei Nacht zogen, weiß ich eben so wenig, als wie lange sie an einem Ort verweilen mussten. Auf jeden Fall war es Wüste, mochte es auch gerade an einem Ort wüster sein, wie am anderen. Sie machten sich’s aber so bequem, wie sie konnten, wozu ihnen Hobab, Mosis Schwager, behilflich war, der auf sein dringendes Zureden mitgezogen war, weil er, der Wüste kundig, ihnen Anweisung geben konnte, wo sie sich am besten lagern möchten. Deswegen sagte Moses zu ihm: Du sollst unser Auge sein. Hobab heißt: lieb, im Busen tragen; und das tut ja der himmlische Hirte, und erleichtert dadurch manchen sauren Tritt, deshalb sagt 5. Moses 33,3., wo er dies Wort braucht: wie hat er die Leute so lieb! Alle seine Heiligen sind in seiner Hand. Merkwürdig ist es aber doch, dass Moses seinen Schwager so dringend, und um der angegebenen Ursache willen ersucht, mitzureisen, obschon die Wolken- und Feuersäule sie leitete. Übrigens sorgt der Herr dafür, dass es den Seinen im Leiden nie ganz an einiger Erleichterung fehle, wiewohl er selbst ganz ohne dieselbe litt.

Auch von dieser Lagerstätte zu Rissa wissen wir weiter nichts, als ihren Namen, welcher auf Deutsch: Besprengung heißt. Sie steht in einer schönen Beziehung zu der vorigen Lagerstätte, wie die Ursache zur Wirkung, denn die Frucht der geistlichen Besprengung ist das Weiß- oder Reinwerden.

Unter dem Alten Testament brachte der Gottesdienst viele Besprengungen mit sich. Sie geschahen mit Blut von den geopferten Tieren, mit Öl und mit Wasser. Es wurde gesprengt gegen den Tempel und den Gnadenstuhl im Allerheiligen desselben, auf den Altar und über Menschen. Besonders ist das Blut des ersten Osterlammes zu bemerken, in welches die Kinder Israel einen Büschel Ysop tunken, und damit die oberste Schwelle ihrer Haustüre besprengen mussten, damit der Würgeengel vorüberginge. Darauf zielt auch David Ps. 51, wo es diesem eine geistliche Bedeutung gibt, und bittet: entsündige mich mit Ysop, wiewohl derselbe auch bei der Reinigung eines Aussätzigen angewendet wurde. Dies Osterlamm ist eins der größten Vorbilder von unserer Erlösung durch Christum. Deshalb sagt Paulus: wir haben auch ein Osterlamm, welches ist Christus, für uns geopfert. –

Bemerkenswert ist auch das Blut, welches zur Befestigung des Bundes auf Horeb vergossen, und womit das Volk besprengt wurde, zum Zeichen und Unterpfand ihres Anteils an den Gütern und Wohltaten dieses Bundes. Nicht weniger bemerkenswert ist die Sprengung des Bluts durch den Hohenpriester am großen Versöhntage, wodurch die Reinigung Israels von Sünden bildlicher Weise bewirkt wurde. Diese feierliche Besprengungen sind lauter große Vorbilder der Erlösung, Rechtfertigung und Heiligung der Kirche durch Christi Blut und Geist. –

Außer diesen gab es auch noch eine tägliche Besprengung in dem täglichen Morgen- und Abendopfer für die Sünde, so wie in besonderen Fällen die Besprengung mit der Asche von der roten Kuh, welche eine levitische Reinigung gewährte. Dies alles zusammen sind Bilder der herrlichen Wirkung des Blutes und Geistes Jesu Christi.

Auf die geistliche Bedeutung sinn-spielt Ezechiel, wenn es Kapitel 36,25 heißt: ich will reines Wasser über euch sprengen, dass ihr rein werdet; von aller eurer Unreinigkeit und von allen euren Götzen will ich euch reinigen. Alsdann werdet ihr an euer böses Wesen gedenken, und eures Tuns, das nicht gut war, und wird euch eure Sünde und Abgötterei gereuen. Solches will ich tun, nicht um euretwillen, spricht der Herr, Herr, dass ihr es wisst. –

Im Neuen Testament findet auch eine äußerliche Besprengung statt, nämlich die mit dem Taufwasser, wodurch die innere Reinigung der Seele durch die Vergebung der Sünde und Wiedergeburt abgebildet und versiegelt wird. Die Redensart des Besprengens kommt in der Schrift des neuen Bundes nicht selten vor; Ebräer 10,22. heißt es: lasst uns hinzugehen mit wahrhaftigem Herzen, in völligem Glauben besprengt in unseren Herzen, und los von dem bösen Gewissen, und gewaschen am Leibe mit reinem Wasser. Kap. 12,24. zählt es der Apostel zu den neutestamentlichen Vorrechten, dass ihr gekommen seid zu dem Blut der Besprengung, das da bessere Dinge redet, als Abels Blut. Und 1. Petr. 1.3. braucht der Apostel den Ausdruck, nach der Versöhnung Gottes des Vaters, durch die Heiligung des Geistes, zum Gehorsam und Besprengung des Blutes Jesu Christi.

Opfer und Besprengung machten erst ein Ganzes aus, und die Besprengung ist nichts anders, als die Zueignung und wirkliche Mitteilung der Kraft und Wirkung des geschehenen Opfers an die Seele. Das Opfer hat seine Beziehung auf Gott, die Besprengung auf den Menschen, der dadurch in die Gemeinschaft des Opfers kommt. Die Besprengung setzt ihn in den wirklichen Genuss der erworbenen Wohltaten und Güter. Die Juden selbst finden in der Besprengung ein großes Geheimnis, und behaupten, sie sei das vornehmste beim Opfer gewesen, und dass nicht ohne Ursache, denn es wurde dadurch abgebildet, nicht allein wie Christus selbst, mit seinem Blute besprengt, da er sich durch das Vergießen desselben und durch seinen ganzen Gehorsam geheiligt hat für sein Volk, stets sollte vor dem Angesichte seines Vaters stehen und angenehm sein vor ihm, sondern auch wie die Kraft desselben durch die Predigt des Evangeliums allen Gläubigen unter allen Völkern der Erde sollte mitgeteilt werden. Gleichwie die Besprengung geschah mit dem Finger des Priesters, also hat Christus durch seine göttliche Kraft sein Blut dem Vater dargeboten, und durch den Finger seines Geistes eignet er das, was er erworben, in allen Zeiten, den Auserwählten zu. Die Sprengung geschah kreuzweise, und deutete dadurch an, wie Christus, als der Gekreuzigte, sollte gepredigt, und als solcher, dem Glauben aller Völker, als einiger Gegenstand desselben, vorgestellt werden. Sie geschah mehrenteils mit einem Sprengwedel, zusammengesetzt aus einem Stock von Zedernholz und einem Büschlein Ysop, welches mit zweimal gefärbter Scharlachwolle an den Zedernstab befestigt wurde. Der Zedernbaum ist das höchste und prächtigste unter allen Gewächsen – ein Bild der Herrlichkeit unseres Hauptes Christi, vermöge welcher er seine himmlische Güter in uns seine Glieder ausgießt. Zedernholz riecht angenehm, und diese Gaben machen Gott wohlgefällig; es ist ölig, und diese sind die wahre Salbung; es ist kostbar, und was ist von solchem oder ähnlichem Wert wie die Gaben Christi; sie sind dem Verderben nicht unterworfen, so wenig als Zedernholz dem Wurmstich. Ysop ist das niedrigste unter den Pflanzen, und von lieblichem Geruch, ein Bild der uns versöhnenden Niedrigkeit Jesu, und namentlich seiner Demut, in welcher er sich einen Wurm nannte, und die ihm auch so gefällt, dass er den Demütigen Gnade gibt. Die zweimal gefärbte Scharlachwolke ist ein Bild seiner Bürggerechtigkeit, der Frucht, die aus der Vereinigung seiner Niedrigkeit und Hoheit hervorgeht. Alle drei Stücke werden im Worte des Evangeliums vorgestellt, und zum Grunde alles Trostes des armen Sünders gelegt. –

Ohne Blutvergießen geschieht keine Vergebung. Das alttestamentliche Blutvergießen hat aufgehört und musste eingestellt werden, nachdem das unvergleichliche Blut Jesu Christi vergossen ist, und zwar, wie er selbst sagt: zur Vergebung der Sünden. Es hat den höchsten Wert und die herrlichste Kraft. Den höchsten Wert, denn es ist das Blut eines Menschen, welches einen so großen Wert hat, dass es nur mit Blut bezahlt werden kann; denn wer das vergießt, dessen Blut muss nach göttlichem Befehl wieder vergossen werden. Es ist das Blut eines Unschuldigen, wie sonst keiner unschuldig ist; eines Heiligen, wie sonst keiner heilig ist, und das schon deshalb ein teures Blut genannt zu werden verdient, wie Petrus es nennt. Aber das ist noch nicht alles. Es ist das Blut des Seligmachers. Es ist das Blut Christi, des obersten Propheten, des einigen Hohenpriesters, des höchsten Königs, einer mit dem heiligem Geiste ohne Maß gesalbten Person. Einer Person, die leidlicher Weise von sehr hoher Abkunft war, und aus einem königlichen Hause abstammte, noch mehr: die alle Engel Gottes, keinen ausgenommen, anbeten müssen, die alle verehren sollen, wie sie den Vater ehren, mit einem Worte: es ist das Blut des Sohnes Gottes, das Blut Gottes, wie Paulus Apost. Gesch. 20,28. sagt, wodurch er sich seine Gemeine erkauft habe. –

Wer wird nun den Wert eines solchen Blutes berechnen können? Was ist dagegen alles Gold und Silber! Und was wollen wir sagen, wenn wir bedenken, dass wir um einen solchen Preis von allen Sünden und aus aller Gewalt des Teufels erkauft sind! Wohl mag es heißen: ihr seid teuer erkauft! –

Herrlich ist die Kraft und Wirkung dieses Blutes. Wir haben die Erlösung durch sein Blut, nämlich die Vergebung der Sünden nach dem Reichtum seiner Gnade Eph. 1,7., welches der Apostel Kol. 1 wiederholt. Röm 5. sagt er: wir sind durch sein Blut gerecht worden; durch den Glauben in seinem Blute hat uns Gott ihn zu einem Gnadenthron vorgestellt. Johannes sagt, es mache rein von aller Sünde, und in der Offenbarung heißt es: sie haben den großen Drachen, die alte Schlange, die da heißt Teufel und Satanas, überwunden durch des Lammes Blut, welches die große Kraft desselben beweist. Durch sein eigenes Blut ist er einmal eingegangen in das Heilige, und hat eine ewige Erlösung gefunden. Wieviel mehr wird das Blut Christi, der sich selbst, ohne allen Wandel, durch den heiligen Geist Gott geopfert hat, unser Gewissen reinigen von den toten Werken, zu dienen dem lebendigen Gott. –

Und wenn Christus selbst bei Darreichung des Kelches im heiligen Abendmale das Neue Testament in sein Blut setzt, so lehrt er damit, dass durchaus alle Güter des Gnadenbundes in seinem Blute liegen, oder daraus entsprießen. Was ist aber sein Blut anders, als sein verdienstliches Leiden? Wohl mag deswegen das 85. Lied sagen:

Dein Blut, der edle Saft,
Hat solche Stärk’ und Kraft,
Dass es kann gar alleine
Die Welt von Sünden reine,
Ja, gar aus Teufels Rachen,
Frei, los und ledig machen.

und das 48.: Dein Blut wäscht rote Sünden weiß. – Dies Blut hat eine zwiefache Wirkung, teils auf den Himmel und die himmlischen Dinge. Sie sind uns dadurch zugänglich geworden. Speit schon ein Land, wie der Prophet sagt, seine Einwohner, um ihrer Sünden willen aus, wieviel mehr der Himmel und die himmlischen Dinge uns, von Haus aus so ekelhafte Sünder, und was für Sünder nicht mit unter! Sie würden sich aller Gemeinschaft mit uns widersetzen, und die himmlische Taube nicht in solchen stinkenden Felslöchern nisten wollen. Nun aber sind sie durch das Blut des Sohnes Gottes versöhnt, und der Zutritt zu denselben eröffnet. Demnächst beweist dies Blut auch an den Berufenen selbst seine umwandelnde Kraft, denn es ist ein lebendiges Blut. Unser Leben ist in demselben, und so haben wir denn nun, liebe Brüder, Freudigkeit zum Eingange in das Heilige durch das Blut Jesu, welchen er uns zubereitet hat zum neuen und lebendigen Wege durch den Vorhang, d.i. sein Fleisch. Ebr. 10,20. –

Mit diesem Blute nun müssen wir besprengt werden, wie die Schrift sich ausdrückt, und wie es in den Gebräuchen des Alten Testamentes abgebildet wurde, d.h. die beruhigende, reinigende, lebendigmachende Kraft desselben, muss sich an unseren Herzen und Gewissen durch den heiligen Geist erweisen. Es ist also nicht genug, dass wir darum wissen, und eine buchstäbliche Wissenschaft von dem leidenden und tätigen Gehorsam Christi besitzen, oder uns verschaffen; es ist nicht genug, wenn wir etwas schriftgemäßes davon reden können, oder dasjenige genehm halten, was andere davon verkünden; es ist nicht genug, wenn wir uns das Verdienst so aus eigener Kraft und Vernunft selbst zueignen, und durch einen selbstgemachten Glauben, um desselben willen die Seligkeit hoffen; es ist nicht genug, wenn wir das Wort alsbald mit Freuden annehmen, und eine Zeitlang glauben, und doch das Wort keine Wurzel bei uns hat; nicht genug ist es, wenn wir um desselben Willen manches tun, leiden und lassen. Besprengt, besprengt müssen wir werden mit dem Blute Christi und dem Wasser des Geistes zu unserer Reinigung, besprengt am Verstande, dass derselben eine ganz andere Einsicht von der Wahrheit, von sich selbst, von Gott, von Jesu Christo, und dem Heilswege bekommt, als er bisher besaß, mochte er auch noch so gelehrt sein, eine Einsicht, wodurch er ein nichtswürdiger Sünder, Christus aber der vornehmste, ja, einige Gegenstand seines Verlangens und seines Vertrauens wird – besprengt am Herzen, dass dasselbe mit neuen Empfindungen des Leidwesens über die Sünde, und der Traurigkeit nach Gott, mit Liebe zu Gott in Christo, mit einem Sinne erfüllt wird, der allem absagt, um Christum zu gewinnen – besprengt im Gewissen, so dass es von den toten Werken, von der Anklage und Verdammung wegen der Sünde gesäubert, und mit Freudigkeit zu Gott erfüllt wird – besprengt am Willen, dass er sich mit dem göttlichen Willen vereinigt, und wie warmes Wachs sich leicht in jede Form schmiegt – besprengt an den Gemütsbewegungen des Leibes, welche zu Waffen der Gerechtigkeit dargestellt werden – besprengt nach der ganzen Person, so dass vor ihnen, wie vor denen mit Blut besprengten Hütten Israels, jeder Würgeengel, jedes Übel vorüber muss, ohne ihnen nahen zu dürfen, so dass Sünde, Satan, Tod sie, als einem anderen Herrn angehörig, losgeben müssen, welche Anfälle sie auch noch machen mögen – besprengt ein für alle Mal und für immer, bis die Besprengung in ihrer siebenfachen Wiederholung ihre himmlische Vollendung erlangt. Sie gibt einen mächtigen Freibrief, ein herrliches Diplom, einen hohen Adel und ein ewiges Heil. Es ist wahr, sie hat ihre Staffeln, sie hebt hier an, und geht durch, bis sie dort das Stückwerk abtut, und zur Vollkommenheit gelangt.

Das ist’s nun, was man – bildlich zu reden – zu Rissa findet, wo ein lieblicher Tau fällt, worauf dieses Wort auch hindeutet. Nach Rissa gehen, oder sich zu Rissa lagern, heißt also der Besprengung teilhaftig, von dem Blute und Geiste Jesu Christi berührt zu werden. Da rührt Jesus den Aussätzigen an, und er wird rein, ja gar unter die Priester versetzt. Da ruht ein krankes und verarmtes Weib im Glauben den Saum seines Kleides an, und wird gesund. Da legt er dem Blinden die Hand aufs Haupt, und er wird sehend; dem Tauben den Finger ins Ohr, und er hört; dem Stummen seinen Speichel auf die Zunge, und er redet.

Lasst uns sehen, was zu Rissa geschieht, dem Anfang nach. Das Wort des Evangeliums wird gepredigt, bleibt’s Tausenden ein toter Buchstabe, der auserwählte Sünder wird besprengt, wird unter Bedienung des Worts bewogen, auf die Veränderung seines Zustandes mit Ernst zu denken; er wird berufen von der Finsternis zu Seinem wunderbaren Licht, von der Gewalt des Satans zu Gott. Mit dem verlorenen Sohn schlägt er in sich, und fast den festen Entschluss: ich verderbe im Hunger, will mich deswegen aufmachen und zu meinem Vater gehen, und zu ihm sagen: Vater, ich habe gesündigt im Himmel und vor dir. Unter dem Gehör des göttlichen Worts in oder außer der Kirche, durch dieses oder ein anderes Mittel, setzt sich etwas geistliches bei ihm fest, das er nicht wieder los werden kann, obschon er’s wohl versucht. Es tritt etwa der Gedanke in seine Seele: Du kannst doch so nicht selig werden. Es geht so am Ende doch wohl nicht gut. Hast du das dann wohl schon erfahren, was die Schrift Wiedergeburt, was sie ein neues Herz nennt? Hast du wohl Vergebung der Sünden? Bist du fromm oder nicht vielmehr gerade das Gegenteil? Darfst du wohl so sterben? u. dgl. Es ist gleichsam nur noch das Gras. Das eine Mal scheinen diese Gedanken wie gar verschwunden, das andere Mal treten sie wieder lebendig hervor. Es erhebt sich auch wohl ein Schwarm von Bedenklichkeiten und Hindernissen bald von außen her, wegen der bisherigen Verbindungen, worin man mit anderen stand, und die man lieb hat; bald von innen. Es kommt einen hart, schwer oder gar unmöglich vor, man möchte es wenigstens verschieben. Aber man ist besprengt. Man ist angesteckt. Der Pfeil hat getroffen. Der Mensch ist erweckt. Er fängt schon an nach dem Herrn zu fragen. Es wird ihm ein Bedürfnis, zuweilen allein zu gehen und zu beten, und er betet auf eine ganz andere Weise wie sonst. Er kann weder seine bisherigen Gesellschaften noch seine bisherigen Gesinnungen behalten. Was vormals seine Freude, bringt ihm jetzt Herzleid. Die weltlichen Zerstreuungen kann er sehr gut missen, ja, mag sie nicht mehr. Aber das Wort Gottes kann er nicht mehr entbehren, und gesellt sich gern, wenn gleich auch noch verstohlener Weise, zu denen, die den Herrn kennen, die er nun lieb gewinnt. Dies ist gleichsam die erste Besprengung. Aber sie wird zu siebenmal wiederholt. Es geht mit der Seele weiter. Sie sieht sich gedrungen mit der Sprache mehr heraus zu rücken. Sie bekennt, sie wolle auch fromm und selig werden, und fragt: was muss ich zu dem Ende tun? Sie fängt an, ihr Elend einzusehen, sie soll, sie will, sie muss heraus, es koste, was es wolle, wenn Jesus sich ihrer nur annehmen will. Sie will bitten, bis sie empfähet, suchen, bis sie findet, anklopfen, bis ihr aufgetan werde. Das Blut, womit sie besprengt ist, zieht sie mit kräftigem Zuge durch alle Hindernisse und Schwierigkeiten hindurch, zu dem, der es für sie vergossen hat. Sie ist zu Rissa: Besprengung. Freilich will die Welt nicht dahin. Sie hat’s höchst ungern, wenn das Wort der Wahrheit sich eindringt, wenn christliche Prediger oder Privatpersonen auftreten, aus Furcht vor dieser geistlichen Ansteckung. Aber – ihr könnt’s nicht wehren! Und wie oft werden auch solche von dieser geistlichen Ansteckung ergriffen, von denen man es nie gedacht hätte, und die sich wohl geflissentlich davor zu hüten gedachten, nun aber sich glücklich schätzen. Und wie große Ursache haben sie dazu. Denn durch die Besprengung mit dem Blute Christi bekommt die Seele einen wahrhaften Anteil an seinem ganzen Verdienst, durch die Besprengung mit dem Geiste Jesu Christi, Teil an allen seinen erleuchtenden, tröstenden und heiligenden Wirkungen.

So weist sie sich schon hienieden aus, nicht nur im Fortgang, wo es scheinen könnte, als ob die Seele sich eine gewisse Würdigkeit dazu erworben hätte, was doch nicht ist, sondern schon bald im Anfange, wo sie sich des noch gar nicht versieht, wird sie nach Rissa geführt, nach der Versehung des Vaters, durch die Heiligung des Geistes zum Gehorsam und Besprengung des Blutes Christi. Es wird über sie ausgegossen der Geist aus der Höhe. Was noch nie in ihr Herz gekommen war, überkommt sie jetzt. Die Not und das Gedränge hatte einen hohen Gipfel erreicht. Sie sah kein Durchkommen, und seufzt nur: Herr, wirst du es nicht tun? In uns ist keine Kraft? Sie dachte wohl lebenslang so fortstöhnen und forthinken zu müssen, und entschloss sich schon dazu, wenn der Herr ihr nur endlich Barmherzigkeit wollte widerfahren lassen; und siehe! ehe sie’s denkt, sieht der Herr seine elende Magd an, erlöst ihr Auge von Tränen, ihren Fuß vom Gleiten. Der Himmel öffnet sich über ihr, und es regnet Gerechtigkeit. Was ist das nur für ein wunderbares Licht, wodurch sie Jesum sieht stehen zur Rechten Gottes. Die Geheimnisse des Evangeliums, die Verborgenheiten der Erlösung, wie werden sie aufgeschlossen! Welche Fülle des Heils erblickt sie in der Krippe Jesu, an seinem Kreuze, auf seinem Thron, in seinem Stellvertreten, seinem Blut, seinen Wunden, seiner Fürbitte! Wie reich ist sie in ihm! also, dass sie keinen Mangel hat; wie stark in seiner Kraft, wie vollkommen in seiner Gerechtigkeit, wie sieghaft in seinem Beistand. Jetzt hört man Worte wie dies: wer ist, der Recht zu mir hat? wie dies: in dem allen überwinden wir weit! –

Was ist das für eine demutsvolle Freimütigkeit zu Gott dem Vater durch Christum in Kraft des Heiligen Geistes; was für ein getroster Mut in Absicht der etwa bevorstehenden Leiden, in Absicht des Todes, sei es ein natürlicher, oder was ihr wohl das erwünschteste wäre, ein gewaltsamer, um des Namens Christi willen, und in Absicht des zukünftigen Gerichts; was ist das für eine tiefe Selbsterniedrigung und süße, tränenvolle Scham über sich selbst, was für eine ehrfurchtsvolle Anbetung und unbedingte Übergabe an Gott, was für eine Welt- und Selbstentsagung, was für eine Liebe! Jetzt kann die Seele das große Bekenntnis ablegen: ich glaube, und so dringt sie vom Tode ins Leben. Sie kann sagen: ich lebe, doch nicht ich, Christus lebt in mir. Sie ist los vom bösen Gewissen. Sie ist voll Geistes, voll Gerechtigkeit, Friede und Freude im heil. Geist. Die Sünde hat weichen müssen, sie ist weggebannt aus der Seele. Christi Blut und Geist hat sie fliehen heißen, und sie ist geflohen, wie die Nacht vor der Sonne.

Das heißt denn zu Rissa gelagert sein. Jetzt erfährt’s die Seele in Kraft, was es um das Blut und den Geist Jesu Christi sei, wie man dasselbe trinken könne, und davon trunken werden, wie alles Übel vor demselben weicht, und alles Heil sich dazu sammelt. Jetzt dauerts sie nicht mehr, dass sie vorher unter den stechenden Wacholdersträuchen Ritmas lagern, und in Libna eine scharfe Lauge erleiden musste, da es dazu dienen musste, sie nach Rissa zu leiten. –

Wir haben schon etliche Mal bemerkt, dass die Sprengung mehrmals wiederholt wurde. Es geht damit, wie Christus sagt: wer gewaschen ist, ist ganz rein, bedarf aber, dass ihm die Füße gewaschen werden. Es setzt sich leicht allerlei Staub und Unrat der Eigenheit, der Eitelkeit und Sünde an. Es ereignen sich Fehler. Es folgt die Staupe. Finsternis bedeckt wohl wieder das Erdreich; Dunkelheit, Dürre, Unfruchtbarkeit treten ein. Das Herz fühlt sich beschwert. Da lechzt dann das Erdreich nach einem befruchtenden Tau und gnädigen Regen.

Wenn ich traurig sitze,
In Versuchungs-Hitze,
Tröster, tröste mich.
Lass die Ströme fließen,
In mein Herz sich gießen,
Sanft und mildiglich.
Die das dürre Land erlaben,
Mit den reichen Himmelsgaben -

ist dann das Sehnen, welches auch zur rechten Stunde wieder erfüllt wird, dass es geschieht, was von Jakob gesagt wird: da ward sein Geist in ihm lebendig. Mit neuer Lieblichkeit wird die Seele inne, dass Jesus Christus gestern, heute, und derselbe ist in Ewigkeit. –

Wir aber, wir wollen höchst begierig und fleißig sein, dass die Besprengung mit dem Blute und Geiste Jesu Christi ganz vollzählig an uns vollzogen werde, dass wir die Wirkung beider in der Fülle je mehr und mehr, insofern es hienieden im Lande des Stückwerks geschehen mag, in uns selbst erfahren. Freilich wird sie sich erst jenseits in ihrem ganzen herrlichen Reichtum an denjenigen erweisen, die ihrer hienieden in ihren Erstlingen teilhaftig geworden sind, und sich sehnen nach der Kindschaft, und warten auf ihres Leibes Erlösung. Denn wir sind wohl selig, doch in der Hoffnung.

O! der wahrhafte Priester hebe an weit zu sprengen, dass die Tropfen auf Christen, Heiden, Juden und Mohammedanern fallen und kleben, und stelle sich so eine Gemeine dar, die nicht habe Flecken, Runzel oder Makel, und heilig und unsträflich sei vor ihm in der Liebe. Amen.

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