Krummacher, Friedrich Wilhelm - Antrittspredigt in der Königlichen Hof- und Garnison-Kirche zu Potsdam.

Krummacher, Friedrich Wilhelm - Antrittspredigt in der Königlichen Hof- und Garnison-Kirche zu Potsdam.

Jerem. 42, l - 6.
Da traten herzu alle Hauptleute des Heeres, Johanan, der Sohn Karech, Jesanja, der Sohn Hosaja, sammt dem ganzen Volk, beide Klein und Groß, und sprachen zum Propheten Jeremia: Lieber, laß unser Gesuch vor dir gelten, und bitte für uns den Herrn, deinen Gott, um alle diese Uebrigen, daß uns der Herr, dein Gott, wolle anzeigen, wohin wir gehen, und was wir ihnen sollen. Und der Prophet Jeremia sprach zu ihnen: Wohlan, ich will gehorchen; und siehe, ich will den Herrn, euern Gott, bitten, wie ihr gesagt habt; und Alles, was euch der Herr antworten wird, das will ich euch anzeigen, und will euch Nichts vorhalten. Und sie sprachen zu Jeremia: Der Herr sei ein gewisser und wahrhaftiger Zeuge zwischen uns, wo wir nicht thuen werden Alles, was dir der Herr, dein Gott, an uns befehlen wird. es sei Gutes oder Böses, so wollen wir gehorchen der Stimme des Herrn, unseres Gottes, zu dem wir dich senden; auf daß es uns wohl gehe, so wir der Stimme des Herrn, unseres Gottes, gehorchen.

Wer bin ich denn, theure Freunde und Brüder! durch Gottes Willen und Rath fortan der Eure, wie ihr die Meinen. Daß ich mich selbst bei euch einführe, geschieht, weil ein altes in meiner amtlichen Stellung begründetes Herkommen es also erheischt, und aus keinem anderen Grunde. - Hier bin ich und lege zuerst im Geiste einen frischen Kranz auf das Grab des viel und weit genannten Mannes, an dessen Stelle ich trete, und dem ich es in begeisterter Anhänglichkeit an den König und das Königliche Haus gleich zu thun hoffe. - Hier bin ich, und segne diesen Tempel, das Bethaus des gerechtesten, mildesten und gottgeliebtesten der Könige, und der holdseligsten und mütterlichsten der Königinnen, und entbiete Denselben im Geiste priesterlich meinen ehrfurchtsvollsten Gruß. Nicht minder grüße ich euch Alle mit dem Gruße der Liebe und des Friedens. - Zum sechsten Mal in meinem Leben geschieht es, daß ich einer Gemeine Antritts- und Bundesgruß entbiete. Bewegteren Herzens aber, als heute, entbot ich ihn nie zuvor. Ist's, weil wie Prophetenspruch mich das Wort umtönt: „Sechs Tage Arbeit, darnach - der Sabbath?“ Oder, weil mein inneres Ohr in der Thurmuhr der Zeiten eine Stunde schlagen hörte, welche die Anforderungen an die Wachsamkeit und Treue der Wächter auf Zions Mauern ins Unendliche steigert? Oder, weil eine, - es ist Gott bekannt, ob gegründete, - Ahnung mir ins Ohr raunt, es werde der neue Berufskreis, in den ich trete, auch neue und eigenthümliche Kämpfe, Sorgen und Kümmernisse für mich mit sich führen? Ich weiß es nicht. Es mögen alle diese Ursachen wohl zusammenwirken.

„Die Gnade unsers Herrn Jesu Christi, die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des heiligen Geistes:“ ja Freunde, diese dreifache Himmelskrone auf euer Haupt, und um unsre Herzen ein Band, das bis in die Ewigkeit hinüberdauere! Dies das innerliche Gebet und Flehen zu Gott, womit ich in eure Mitte trete. - Die Textgeschichte, die ich euch verlesen habe, veranschaulicht euch das Verhältniß, das ich, und zwar in durchhaltender Weise, auch zwischen euch und mir so gerne verwirklicht sähe. Ich hoffe aber, es werde eine Wahrheit werden. Die Zeit, in der wir stehen, ist ganz dazu angethan. Es kommt Alles nur darauf an, daß auch bei uns, euern Predigern, die Vorbedingungen nicht völlig fehlen, die der große Prophet Jeremias in so reichem Maaße in sich vereinigte. Ihr seid berechtigt, vor allem Anschluß an uns darnach zu fragen. Wohlan, fordert auch mir meine Beglaubigungsschreiben und Vollmachtsbriefe ab. Ihr müßt wissen, wer mich sende; wem ich diene, was ich euch zu bieten habe; wie ich unter euch zu wirken gedenke; und welches das Ziel meiner Wirksamkeit sei. - Nach diesen fünf Stücken fragt, und laßt mich in aller Demuth, aber auch in voller Wahrheit auf diese eure Fragen bündig und bestimmt Bescheid thun. Der Herr aber, der Kündiger der Herzen, als vor dessen Angesicht ich rede, sei segnend in unserer Mitte gegenwärtig, und schaffe, daß die herzerhebende Scene in unserm Texte dem Wesen nach sich vollständig unter uns erneuere!

Unsere Textgeschichte versetzt uns in eine schwere, drangsalsvolle Zeit. Die heidnischen Chaldäer sind unter Nebucadnezar verheerend in Israel eingefallen, wie bei uns die, freilich einstweilen unter ehernem Fuße niedergehaltene, übrigens aber von einem schauerlicheren Haupte noch, als der König von Babel war, befehligte Brut der Atheisten, antichristischen Himmelsstürmer und wuthschnaubenden Feinde aller göttlichen und menschlichen Ordnung. In dem düsteren Gemälde aber, welches das jüdische Land uns darbeut, begegnet unserem Geistesauge eine hocherfreuliche Erscheinung. Jeremias ist's, der Knecht Jehovas, früher, wie ihr wißt, ein Fegopfer aller Welt, und, wo er sich blicken ließ, verhöhnt, geächtet, mit Steinwürfen begrüßt, oder in's Gefängniß geworfen; jetzt aber mit einem Male nicht allein frei, sondern sogar geehrt, ja zu hohem Ansehn gelangt. Wir treffen die Hauptleute und Obersten des israelitischen Heeres, unter ihnen auch Johanan, den Sohn Karkuls, und Jesanja, den Sohn Hosaja, sammt dem ganzen Volk, beide Klein und Groß, um ihn versammelt. Sie sind gekommen, ihn um Rath zu fragen, und hangen begierig an seinem Munde. „Es schaue der Allmächtige darein!“ heißt die allgemeine Losung, und die Neigung, Jehovas Stimme zu vernehmen, ist keine seltene Perle mehr, wie weiland. Gelobt sei Gott, daß wir uns nach diesem Zuge auch in unserem Volke nicht mehr vergeblich umsehn! Das geistliche Wächteramt ist in neuerer Zeit in der öffentlichen Schätzung gar sehr gestiegen. Vieles wird auf dasselbe gebaut, Vieles von ihm erwartet. Wer es mit redlichem Bestreben vor dem Herrn führt, darf neben allem Trotz der Bösen, worauf er sich gefaßt zu halten hat, auch auf reiche Anerkennung rechnen. Dieses Amt trage auch ich von Gott zu Lehen, und besitze, - zu Gottes Ehre sei es gesagt, - Brief und Siegel, daß ich es weder aus eigener Anmaaßung, noch von Menschen habe. Und der ich im Uebrigen mich nicht werth erachte, einem Jeremias auch nur die Riemen seiner Schuhe aufzulösen, theile doch in Einem sein Bewußtsein, nämlich darin, daß ich nicht in eignem Namen vor euch stehe.

Ihr begehrt zu wissen, wer mich zu euch sende? Wie zu meinen früheren Gemeinen, sendet mich auch zu euch der Herr. Ja recht eigentlich und ausschließlich komme ich zu euch in gehorsamer Beugung unter Seinen allerhöchsten Befehl. Ich verhehle es euch nicht, schwer trennte ich mich von der Hauptstadt. Starke Bande hielten mich an diese Metropole wie der Wissenschaften und der Künste, so der wiedererwachten Bestrebungen und Bethätigungen zu neuer Hebung und Belebung des evangelischen Kirchenthums gefesselt. Was mich dieselben lösen ließ, ein Geizen nach eitler Ehre konnte es nicht sein, indem der Titel, den ich jetzt führe, im Ohr der Christenheit immer noch einen sehr zweideutigen Klang hat, was freilich die Hofprediger der beiden ersten Jahrhunderte nach der Reformation, wie ein Saurin großartigen Andenkens, ein Spener, ein Reinbeck, und Andere mit nichten verschuldet haben. Noch weniger aber, als die zweifelhafte Ehre, war sonst etwas Irdisches vorhanden, das mich zu meinem Amtswechsel hätte verlocken können. Aber, - ich wiederhole es vor euch, - in der Bestimmung Seiner Majestät, meines allergnädigsten irdischen Königes und Herrn, hat zu mir der König aller Könige gesprochen. Dies ist mir nach vielen inneren Kämpfen und Gebeten zur vollkommensten und unabweislichsten Gewißheit geworden. Mit einer Zuversicht, wie sie kaum bei einer meiner früheren Berufungen mich beseelte, kann ich diesmal sagen: „Ich komme nach Gottes Rath.“ Was Gott hier mit mir will und vor hat, ist mir selbst zur Zeit noch unbewußt; daß ich aber nach Seinem Willen hier bin, das steht mir außer allem Zweifel.

Denkt nun aber nicht, Geliebte, ich komme zu euch gezwungen und widerwillig als ein gebundener Knecht. Nein, Freunde, dem in Christo erkannten Gott wird freudig gedient und frei. Denkt nicht, ich werde fortan nur mit Unmuth bei euch sein, und unter stetem sehnsuchtsvollen Rückblick nach dem verlassenen Arbeitsfelde. Nein, Brüder! das tief gewurzelte Wissen, daß ich um Gottes willen hier bin, macht mich wohlgemuth, und wird mir mein Abschiedsweh schon verwinden helfen. Zwar kommt mir's eigen vor, mich, der ich mein ganzes Leben hindurch nur auf offner und nicht selten stürmischer See gesteuert, mit einem Male mit meinem Petrusschifflein wie auf ein ruhiges Gartenbassin gewiesen zu sehen. Aber was gewahre ich an dessen Ufern? Edle Geschlechter zunächst, die, gründlich zu Christo bekehrt, vermöge ihres Vorgangs einst weithin Dienste geistlicher Leuchtthurmsflammen thun könnten. Dann die Ehrenmänner, die, unsre Mitarbeiter beim Bau des Gottesreichs in einem Sinne jetzt, wie sie es nie zuvor gewesen, mit blinkenden Stützsäulen und ehernen Klammern die krachende Weltordnung zusammen- und aufrecht halten, bis wir unter ihrem blitzenden Schirmdach durch das Evangelium ein neues und besseres Geschlecht gezeuget. Neben diesen die Bewohner einer Königsstadt, an denen das christliche Vorbild des Throns, in dessen unmittelbarster Bestrahlung sie leben, unmöglich spur- und fruchtlos vorüber gehen kann; und endlich ein Gemeinlein gleich demjenigen, welches der Herr der Herrlichkeit zuerst in eigner Person geweidet und des Anblicks wie der Erfahrung Seiner glänzendsten Gnadenwunder gewürdigt hat: ein Gemeinlein von Schiffern und Fischern. Was will ich mehr? - Ueberdies muß mir ja der Gedanke ein tröstlicher sein, daß ich mich hinfüro nicht mehr, wie in der gewühlvollen Nachbarstadt, fast nur unter Menschengestalten bewegen muß, sondern wieder unter Menschen wohnen werde, die wenigstens soviel Zeit und Ruhe zu finden wissen, daß sie uns ihre Namen nennen, und unter trauter Erschließung ihrer Herzen zu näherem Verkehre die Hand uns reichen können. Zuletzt zweifle ich auch nicht, ich werde die Gemeine, die, an meine pastorale Mundart gewohnt, und in die Welt meiner christlichen Anschauungen eingeweiht, mich auf's halbe Wort verstand, und, mit mir im Geiste eins, meinen Gedanken folgte, mit der Zeit auch hier schon wieder finden. Genug, nicht widerstrebend, sondern mit getroster Willigkeit folge ich dem Herrn, der mich sendet, und werde gern in eurer Mitte weilen.

Wem ich mich zu Dienst begeben werde, wünscht ihr zu erfahren? Euch, lieben Brüder, euch; jedoch nur in dem Herrn. Was dem Jeremias das hohe und durchschlagende Ansehn verlieh, war vorzugsweise die von Jedermann ihm abgefühlte Entschlossenheit und Lauterkeit, womit er sich unbedingt auf Leben und Tod seinem Gott zur Verfügung gestellt. Brüder! Von ganzem Herzen begehre ich ein Gleiches zu thun, und beginne darum mein Amt unter euch sofort mit einem heiligen und feierlichen Opferacte. Für wie schätzenswerthe Güter ich eure Gunst, euren Beifall und eure Freundschaft auch immer erachten werde, so trage ich dieselben doch sämmtlich sammt meiner amtlichen Stellung, und was derselben anklebt, aus freien Stücken zum Altare meines Herrn, und leiste von vorn herein darauf Verzicht, falls ich sie anders nicht als durch eine Untreue gegen Den und Dessen Wort gewinnen und erhalten kann, der mich armen Sünder mit seinem Blut erlöset und zu seinem Eigenthum erkauft hat. So stehe ich als ein freier Mann unter euch, abhängig nur von dem, der über Alles waltet. Manches, wenn es mich träfe, würde ich schwer verschmerzen; aber nichts, denke ich, wird mich, nachdem ich alles dessen, was mir Menschen geben und nehmen können, vorab im Geist mich entäußert habe, befremden, erschüttern, außer Fassung bringen, oder wohl gar zum Wanken und Weichen von dem Wege der Befehle meines Gottes bestimmen können. Ich hoffe, ihr werdet mich nie als einen Solchen erfinden, der Jemandem unter euch nach dem Munde rede, oder aus Ansehn der Person Gottes Auftrag fälsche, oder auch nur verbräme. Paulus erachtete es in aller Demuth für einen der schönsten Sterne auf seiner Brust, daß er zum Preise der göttlichen Gnade, unter andern vor den Thessalonichern von sich bezeugen durfte: „Wir reden nicht, als wollten wir den Menschen gefallen, sondern Gott, der unsere Herzen prüfet. Denn wir nie mit Schmeichelworten sind umgegangen, wie ihr wisset, noch dem Geiz gestellet; Gott ist des Zeuge. Haben auch nicht Ehre gesucht von den Leuten, weder von euch, noch von andern.“ - Ich schwöre euch, Brüder, daß ich, und kostete es mir die theuersten Erdengüter, nicht ablassen werde, gleichem Ruhme unter euch wenigstens nachzujagen, sintemal ich weiß, wer heute oder morgen mich zur Rechenschaft fordern wird, und daß, wenn es zwischen euch und mir auch nur zu einem Schatten jenes vertrauensvollen Verhältnisses kommen solle, welches wir in unserer Textgeschichte zwischen Israel und Jeremias bestehen sehen, die erste und unabweisbarste Bedingung die ist, daß ich lauter, unbestechlich, und als ein Mann, der allein seinem Herrn im Himmel diene, unter euch erfunden werde.

„Aber wozu kommst du!“ fahrt ihr zu fragen fort. „Was hast du uns zu bieten?“ Euch Neues nichts; sondern was euch, Gott sei dafür gelobt! seit Jahren schon geboten wird. Aber Großes bringe ich euch, und in demselben das, um was es mehr oder minder gewiß euch Allen ernstlich zu thun sein wird. Was die Hauptleute Israels und das Volk den Jeremias aufsuchen ließ, war ein starkes Verlangen nach göttlich Gewissem zu einer Frist, da Niemand rechts noch links mehr wußte in Israel, und nach bestimmter Weisung in Tagen allgemeiner großer Rathlosigkeit. Und wie, daß ihr dieses Verlangen nicht theilen solltet, ihr Kinder einer Zeit, in der die Weisheit dieser Welt theils ihren Bankbruch offen erklärt, und das Geständniß abgelegt hat, daß der menschliche Geist jenseits der Grenzen der sinnlichen Dinge nicht Weg noch Steg mehr sehe, und alle Thore verschlossen finde; theils in ihrem Irrfluge endlich bei dem Punkte angekommen ist, nicht allein im Anfange der Zeit die Schöpfung, in der Mitte die Erlösung, und am Ende die Weltverklärung, sondern überhaupt jeden höheren Plan über der Welt, ja das Dasein eines lebendigen Gottes und die persönliche Unsterblichkeit der menschlichen Seele zu leugnen, und alle Religion zum leeren Traume einer zwar zur Vernichtigung bestimmten, aber gegen dieselbe vergeblich sich streubenden und um Selbsterhaltung ringenden Wasserblase auf der Strömung der Natur zu stempeln. Jetzt aber zeigt sich's immer deutlicher, daß, wie Vieles und Großes auch die neuere Zeit erfand, die Lauge doch noch nicht erfunden ward, welche die ewigen Bedürfnisse in der Menschenbrust zu ertödten und wegzuätzen im Stande wäre. Wie einst ja auch der große Mann, der hier unten schläft, zuletzt den gallischen Atheisten wie einen ekelen Molch unwirsch und ungeduldig von sich schlenkerte; so kehren in unsern Tagen Tausende wieder den Geistern, die nur verneinen, mit Abscheu und Ueberdruß den Rücken und suchen - Bejahung.

Solche aber bringe ich euch. Ich bringe den Zweifelsmüden, und des Hinundhergeworfenwerdens Ueberdrüssigen die Wahrheit. Ihr stutzt über das, was ich sage; aber ihr verhört euch nicht. Nicht Wahrheit noch Wahrheiten; nein, die Wahrheit bringe ich, die einige, unfehlbare, ewig verlässige. Keck klingt, und stolz, was ich behaupte; aber es stehet auch mein höchster Stolz darin, daß ich mich als einen Träger der Wahrheit weiß. Freilich müßte ich als ein Narr gerichtet werden, kündete ich ein Fündlein meiner eignen Vernunft unter so hohem Titel an. Aber was ich euch biete, ist nichts Selbsterdachtes, noch menschlich Ueberkommenes. Ich bin ein „Haushalte! über Gottes Geheimnisse“. Was in eigenem Vermögen nie eines Menschen Auge sah, noch in eines Menschen Herz gekommen ist, das werde ich euch verkündigen. Hier vor mir seht ihr die unergründliche Fundgrube, aus deren Fülle ich es entnehmen werde. Ich habe dieses Wort geprüft, indem ich es vergleichend mit Allem, was je der Menschengeist Erhabenes schuf, zusammenhielt, und habe spürbar den Hauch der ewigen Höhen in dem Wort geathmet, und deutlich den Laut, den Ton, die Stimme der andern Welt aus ihm heraus vernommen. Ich habe es an den großen Prüfstein der Weltgeschichte herangebracht; und auch diese, als die fortlaufende Erfüllung seiner prophetischen Zukunftsgemälde, hat mir's mit tausend sonnenhellen Siegeln als ein unfehlbares Gotteswort bekräftigt. Ich habe seinen innern Bau ergründet, und bin anbetend hingesunken vor der Majestät seiner Anlage, vor seiner wunderbaren Einheit, und seiner großartig abgerundeten Vollendung. Ich habe mich in das Werk göttlicher Erbarmung versenkt, welches den Inhalt dieses Wortes bildet, und in lobpreisendes Erstaunen versetzte mich das göttlich Planvolle in diesem Werke, und die Jahrtausende durchreichende stufenweise und folgerechte Fortführung desselben zu seinem Ziele. Ich habe endlich das Wort durch Gottes Gnade auch an den tiefsten Bedürfnissen meines eignen Herzens erproben dürfen; und in der umfassendsten und überschwenglichsten Befriedigung derselben hat es den letzten Schleier von seiner Gottesherrlichkeit vor mir abgeworfen. Ich bedarf für meinen Glauben kaum der apostolischen Zeugnisse mehr, geschweige der tatsächlichen Bürgschaften, die mir für die göttliche Eingebung dieses Worts die Geschichte der Kirche leistet, oder der Denkmale seiner schöpferischen Macht, von denen ich, wohin ich die Blicke richte, mich umgeben sehe. Schon ohne dieses Alles ist mir gewisser unter dem Himmel nichts, als daß dieses Wort von seinem Anfang bis zu seinem Schlüsse Licht aus dem Urquell alles Lichts, reine, unvermengte, unfehlbare Offenbarung des lebendigen Gottes sei. So habt ihr mich denn als einen Solchen, der da weiß, an welchen und an was er glaube, und so, denke ich, entspreche ich ja, zumal in einer Zeit wie die gegenwärtige, ganz eurem Bedürfnis Tretet nun auch ihr zu mir heran, wie dort die Hauptleute Israels und das Volk zu Jeremias, und sprechet: „Lieber! zeige uns an aus dem Munde des Herrn, deines Gottes, wohin wir ziehen und was wir thuen sollen“, so antworte ich mit nicht geringerer Zuversicht, als der Prophet: „Wohlan, ich will gehorchen und euch anzeigen, was euch der Herr antworten wird, und will euch nichts verhalten!“ Daß Jeremias die Wahrheit unmittelbar vom Himmel überkam, während ich sie als eine mittelbar empfangene und aus diesem heiligen Buch geschöpfte euch verkündige, begründet keinen wesentlichen Unterschied zwischen ihm und mir. Genug, ich bringe euch die Wahrheit: Gewisses, Zuverlässiges, Untrügliches, darauf ihr Häuser bauen könnt für die Ewigkeit. Und daß ich auch Eingang bei euch finden werde mit meiner Botschaft, darum ist mir, der ich weiß, als welche ich euch zu nehmen habe, nicht bange. Ihr seid alle sterblich; wie solltet ihr nicht aufhorchen, wenn ich euch vom Leben zeuge? Sünder seid ihr; wie, daß mein Wort, das Wort von der Erlösung und Versöhnung, spurlos in den Wind verhallen könnte? Ihr tragt von Haus aus Alle einen nagenden Wurm in euerm Marke und habt nicht Frieden; wie, daß ich der Friedenskunde, mit der ich komme, nicht reichen Anklang sollte verheißen dürfen? - Nein, meine Hoffnung wird mich nicht zu Schanden werden lassen; vielmehr wird es sicher gerathen, daß das schöne Bild unserer Textgeschichte auch unter uns sich erneure und eine volle Wahrheit werde.

Ich meine aber sonderlich diejenige Scene des alten Bildes, in der wir die Hauptleute und das Volk zu Jeremias sprechen hören: „Der Herr sei ein gewisser und wahrhaftiger Zeuge zwischen uns, wo wir nicht thun werden Alles, was dir der Herr dein Gott an uns befehlen wird. Es sei Gutes oder Böses, so wollen wir gehorchen der Stimme des Herrn, unsers Gottes!“ Eine geheime Anerkennung werdet ihr nimmer dem versagen können, der mit Gottes Wort gerade durch geht, und ob er euch auch ein Dorn im Auge, ein Stein des Anstoßes im Wege würde. Wir aber erstreben und erhoffen ein Mehreres. Auf eure vertrauensvolle Zuneigung und willige Folgsamkeit machen wir uns Rechnung. „Wohl,“ sprecht ihr; „aber sage uns vorab, wie du uns zu führen gedenkst? Entfalte das Programm deiner Wirksamkeit!“ - Gern, Freunde, soweit es in wenigen Augenblicken geschehen kann; und es kann so geschehen. Drei Worte bezeichnen meines Programmes Inhalt. Sie heißen: zart, fest und gründlich.

Zuvörderst wisset, daß ich nicht deren Einer bin, die da in neuerer Zeit durch hierarchisches Geheim- und Vornehmthun und befehlshaberisches Gebahren das Ansehn des geistlichen Amtes heben zu müssen meinen, und seltsamer Weise sich darob verwundern, daß trotz ihres pontificalen Auftretens ihre Kirchkinder statt vertraulich sich ihnen anzunähern, sich ihnen nur immer mehr entfremden. Ich denke, das petrinische: „Seid nicht, als die über das Volk herrschen, sondern werdet Vorbilder der Heerde,“ so wie das paulinische: „Nicht, daß wir Herren seien über euren Glauben; sondern wir sind Gehülfen eurer Freude,“ sei auch uns zur Lehre und Nachachtung geschrieben; und das apostolische: „So bitten wir nun an Christi Statt: Lasset euch versöhnen mit Gott!“ bezeichne uns die Spur, der wir zu folgen haben. Die Liebe überwindet Alles. Ich habe gelernt, für die mit der kläglichen Aufklärungsmilch dieses Jahrhunderts großgesäugten Kinder dieser Zeit Mitleid empfinden, und werde euch nicht mit der geschwungenen Geißel herrischer Forderung zu einem gewaltsamen Sprunge von eurem Standpunkte auf den meinigen nöthigen wollen; sondern als Einer, der selbst einmal eure Zweifel theilte, aber durch Gottes Gnade sie sämmtlich siegreich überwunden hat, vermittelnde Brücken euch zu bauen suchen. Wie Paulus meine „Stimme wandelnd,“ gedenke ich im evangelischen und nicht im sinaitischen Geiste euch zu leiten; d. h. zart werde ich euch führen. Aber nichtsdestoweniger fest. Erwartet keinerlei Zugeständniß von mir an den Un- oder Halbglauben. Ich kenne auf christlichem Gebiete nur Rechts und Links, und keine sogenannte „rechte“ oder „goldene Mitte.“ Ein wenig Sauerteig versäuert den ganzen Teig. Eine Fliege reicht hin, die ganze Salbe zu verderben. „Gottes Wort, und kein Jota weder davon noch dazu,“ - heißt meine Losung. Ich weiß nichts von einer „Bewegung von Christo aus zu Christo hin,“ sondern nur von einem Postenhalten bei Christo und der Wolke seiner unfehlbaren apostolischen Dolmetscher und Zeugen. - Endlich werde ich euch gründlich führen, d. h. nicht „mit losem Kalke tünchen, noch „Friede, Friede“ schreien, da nicht Friede ist“; sondern euch anleiten, in die Tiefe zu graben, bevor ihr das Haus eurer Hoffnungen baut, und dann die Fundamente des Hauses auf einen Felsen zu legen. Ich werde, und ob ihr mir Alle gram darüber würdet, nicht schon den Getauften, noch den bürgerlich Ehrsamen, noch den Kirchlichen, noch selbst den Erweckten, geschweige den sich nur christlich Gebährdenden schon, sondern lediglich den wirklich Bekehrten und Wiedergeborenen die Tröstungen des Evangeliums zusprechen. Ich werde unwandelbar an dem apostolischen Grundsatz halten: „Wer Christi Geist nicht hat, der ist nicht sein!“ Ich hoffe aber auch Veranstaltungen zu treffen, die euch Raum und Aufforderung gewähren, euer Herz vertraulich auszuschütten, und mit mir darüber Raths zu pflegen, ob ihr hoffen dürft, jenes Geistes theilhaftig worden zu sein. Ich werde die persönliche Seel sorge zu meiner Hauptaufgabe unter euch machen, die „Seelsorge“, wie der Buchstabe meiner Berufs Urkunde mir vorschreibt „am Hofe und in der Gemeine.“

Seid ihr mit diesem meinem Programme nun zufrieden, - und um eurer Wohlfahrt für Zeit und Ewigkeit willen muß ich wünschen, daß ihr es seid, - so schlaget ein zu dem Bunde, zu dem ich in herzlicher Liebe euch die Rechte reiche, und lasset auch aus eurem Munde als Echo meiner Rede die Worte der Kinder Israel mich vernehmen: „Der Herr fei ein gewisser und wahrhaftiger Zeuge über uns, daß wir thuen werden Alles, was dir der Herr, dein Gott, an uns befehlen wird! Füget zu diesen Worten immerhin auch die folgenden hinzu: „Auf daß es uns wohl ergehe, so wir der Stimme des Herrn, unseres Gottes, gehorchen!“

- So wahr der Allmächtige lebt, wird unter der von euch selbst bezeichneten Voraussetzung diese Hoffnung euch nicht betrügen. Euer Heil, und Anderes nichts, als das, ist das Ziel unserer ganzen Wirksamkeit. Großes haben wir euch in Aussicht zu stellen. Eure Herzen sollen zu helleren Friedenstempeln, eure Häuser zu „Hütten Gottes bei den Menschenkindern,“ eure Familien zu Wohnsitzen der Eintracht und der Liebe werden. Ihr sollt, über den Wechselfällen des Lebens stehend, mit Stephanus den Himmel offen sehen, wenn es drunten um euch dunkelt; mit Paulus das Geheimniß entdecken, überall und in Allem getrost und vergnügt zu sein, und endlich, naht euer Stündlein, mit Simeon in Frieden von hinnen fahren. Denn der Glaube, den ich euch verkündigen werde, ist der Sieg, der die Welt, und mit der Welt, Noth, Tod, und was sonst an feindlichen Mächten euch entgegensteht, „überwunden“ hat. Dieser Glaube macht freie, starke, lebens- und sterbensmuthige Herzen. Er hat „die Verheißung dieses und des zukünftigen Lebens;“ und wie er jeglichem Berufe, auch dem unscheinbarsten, die Weihe und den Adel eines Gott dem Herrn geleisteten Dienstes leiht, so verbürgt er demselben auch erst den Segen aus der Höhe. Auch euerm Beruf, ihr Männer in des Königs Waffenrock! Die Fahnen, die als Trophäen mich hier umgeben, sind, gleich den im siebenjährigen Kriege dem Feinde entrissenen, nicht blos im Pulverdampf, sondern zugleich im Weihrauchdufte des Gebets erobert worden. Und wie deß die auf dem Schlachtfelde von Leipzig zum Staube gebeugten Kniee der drei erhabenen Kriegsherren und Monarchen euch Zeugen sind, so ist euch nicht minder bekannt, wie mehr als ein Mal nach einer gewonnenen Schlacht der große Mann hier unten seinem Ziethen, unvergänglichen Andenkens, und dessen Sinnesgenossen, der „blitzenden Legion“ im preußischen Heere, zugestehen mußte: „Diesmal hat euer Herr Gott euch wieder Wort gehalten!“

So folget uns denn, ihr Theuren und Geliebten alle! Ich sage: Folget uns, und freue mich mit brünstigem Dank zu Gott, daß ich so sagen darf, so sagen muß. - Mit wallendem Herzen lege ich zu einem Bundesschlusse für die Ewigkeit meine Hand in diejenige des verehrten und theuern Amtsgenossen, mit dem ich fortan, in voller Einigkeit des Geistes, abwechselnd zu dieser Stunde und an dieser Stätte des heiligen Botschafteramtes pflegen werde. Man soll Grund und Anlaß finden, von uns zu sagen: „Siehe, wie fein und lieblich ist's, wenn Brüder einträchtig bei einander wohnen!“ Man wird, so hoffen wir, an uns die Wahrheit des Herrnworts erleben: „Wo zwei eins werden, um was sie bitten, das soll ihnen gegeben werden.“ Mit herzlicher Liebe grüße ich auch die andern theuern Mitarbeiter, die das gemeinsame Friedenswerk an dieser Kirche und Gemeine mit uns treiben. Auch ihnen trage ich das aufrichtigste Wohlwollen und innigste Vertrauen entgegen; und ich denke, die That wird diese meine Versicherung fort und fort besiegeln. Was kann aus der Gemeine werden, wenn wir sämmtlich treu auf dem einen Grunde bauen, außer welchem Niemand einen andern legen kann! Einen „Garten Gottes“ hat man dich genannt, mein liebes Potsdam. O, erblühe zu einem solchen auch im höheren geistlichen Verstande! Eine Königsstadt bist du in einem Umfang der Bedeutung, wie es keine andere ist. Werde auch in dem Sinne, in welchem es Jerusalem einst war, „des großen Königs Stadt!“ Wenn wir, eure Prediger, als reine Posaunen des unverfälschten Evangeliums erfunden werden, und ihr rüstet euch bei unserm Klange nicht, dann wehe euch, dreimal wehe! Euer Verderben in Zeit und Ewigkeit ist unausbleiblich! Doch wir versehen uns zu euch mit gutem Muthe eines Besseren, und leben der frohen Zuversicht, daß, so oft wir an dieser Stätte vor euch erscheinen, oder in euren Häusern und Hütten bei euch einsprechen werden, in eurem Innersten ein mächtiger Widerklang des Jesajanischen Ausrufs verlauten wird: „Wie lieblich sind auf den Bergen die Füße der Boten, die da Frieden verkündigen, Gutes predigen, Heil verkündigen, und die zu Zion sagen: Dein Gott ist König!“ Amen.

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